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Sergej Lukianenko Der Herr der Finsternis

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nen, wie in meinen Pupillen weiße Funken aufsprühten,<br />

bevor mein Spiegelbild zerfloss. Nun sah ich im Spiegel<br />

nur das Zimmer, den schlafenden Len und den Sonnenkater,<br />

<strong>der</strong> leise sagte: »Geduld, du siehst dich nicht auf<br />

Anhieb … Geduld!«<br />

Und als hätte <strong>der</strong> Spiegel seine Worte gehört, erschien<br />

mein Gesicht wie<strong>der</strong>. Mein Gesicht – das doch nicht meines<br />

war. Ich sah das Gesicht eines Erwachsenen. <strong>Der</strong>jenige,<br />

<strong>der</strong> mich da aus dem Spiegel heraus anblickte,<br />

mochte zwanzig o<strong>der</strong> dreißig Jahre alt sein. Das war aber<br />

noch gar nicht das Schlimmste.<br />

<strong>Der</strong>jenige – da im Spiegel – lächelte. So freundlich, als<br />

hätte er lange auf diese Begegnung gewartet und als<br />

würde er sich riesig darüber freuen. Seine Miene wirkte<br />

ruhig und selbstsicher. Dieses Ich – das nicht ich war –<br />

wollte weg von zu Hause. Dieses Ich – das nicht ich war<br />

– hatte sich ohne große Skrupel an Iwon gerächt. Dieses<br />

Ich – das nicht ich war – hatte das Labyrinth durchwan<strong>der</strong>t,<br />

denn es sorgte sich schon lange nicht mehr um seine<br />

Mutter, fürchtete sich nicht vor seinem Vater und hatte<br />

nicht die geringste Absicht, für einen Freund zu sterben.<br />

»Warum?«, fragte ich, aber die Lippen meines Spiegelbilds<br />

bewegten sich nicht. Diese Frage interessierte ihn<br />

nicht – denn er kannte die Antwort.<br />

»Weil du so bist«, antwortete <strong>der</strong> Kater traurig. »Du<br />

bist dieser Erwachsene, <strong>der</strong> es hasst, ein Kind zu sein.«<br />

»Und du wusstest, dass ich so bin?«<br />

»Ja.«<br />

Ich schaute zum Kater hinüber, und als ich danach wie<strong>der</strong><br />

in den Spiegel blickte, sah ich bloß einen Jungen.<br />

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