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„Gedanken zum alten und neuen Jahr“

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<strong>„Gedanken</strong> <strong>zum</strong> <strong>alten</strong> <strong>und</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Jahr“</strong><br />

Eine persönliche Auslese<br />

<strong>zum</strong> Jahreswechsel<br />

2006/2007<br />

von<br />

Karl-Jürgen Wilbert


Wieder ein neues Jahr<br />

(Theodor Fontane, 1819 - 1898)<br />

Und wieder hier draußen ein neues Jahr.<br />

Was werden die Tage bringen?<br />

Wirds werden, wie es immer war,<br />

halb scheitern, halb gelingen?<br />

Wirds fördern das, worauf ich gebaut,<br />

oder vollends es verderben?<br />

[Gleichviel, was es im Kessel braut,<br />

oder vollends es verderben?<br />

Gleichviel, was es im Kessel braut,<br />

nur wünsch ich nicht zu sterben.<br />

Ich möchte noch wieder im Vaterland<br />

die Gläser klingen lassen<br />

<strong>und</strong> wieder noch des Fre<strong>und</strong>es Hand<br />

im Einverständnis fassen.]<br />

Ich möchte noch wirken <strong>und</strong> schaffen <strong>und</strong> tun<br />

<strong>und</strong> atmen eine Weile,<br />

denn um im Grabe auszuruhn,<br />

hat's nimmer Not <strong>und</strong> Eile.<br />

Ich möchte leben, bis all dies Glühn<br />

rückläßt einen leuchtenden Funken<br />

<strong>und</strong> nicht vergeht wie die Flamm im Kamin,<br />

die eben zu Asche gesunken.<br />

Oder mit Friedrich Rückert (1788 - 1866):<br />

Licht<br />

Nun ist das Licht im Steigen,<br />

Es geht ins neue Jahr.<br />

Laß deinen Muth nicht neigen,<br />

Es bleibt nicht wie es war.<br />

So schwer zu seyn, ist eigen<br />

Dem Anfang immerdar,<br />

Am Ende wird sichs zeigen,<br />

Wozu das Ganze war.<br />

[Nicht zage gleich den Feigen<br />

Und klag' in der Gefahr!<br />

Schwing auf <strong>zum</strong> Sonnenreigen<br />

Dich schweigend wie der Aar!<br />

Und wenn du kannst nicht schweigen,<br />

So klage schön <strong>und</strong> klar!]<br />

2


Konfuzius<br />

Ein Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln:<br />

Erstens: durch Nachdenken - das ist die edelste.<br />

Zweitens: durch Nachahmen - das ist die leichteste.<br />

Drittens: durch Erfahrung - das ist die bitterste.<br />

Zunächst Schlaglichter aus 2006 – <strong>zum</strong> nachschlagen ... – erschlagend bisweilen ...<br />

In Wort <strong>und</strong> Bild:<br />

Januar<br />

Die Eissporthalle in Bad Reichenhall bricht unter der Schneelast zusammen, 15<br />

Menschen kommen um ihr Leben.<br />

Ein umfangreicher „Gammelfleisch“-Skandal wird aufgedeckt - eine Passauer Firma<br />

soll zwölf Tonnen verdorbenes Wildfleisch in Umlauf gebracht haben.<br />

3


Februar<br />

Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen weitet sich mit <strong>neuen</strong><br />

Massendemonstrationen in islamischen Ländern aus.<br />

März<br />

Slobodan Milosevic stirbt.<br />

Dresden verkauft als erste deutsche Kommune ihren kompletten Wohnungsbestand<br />

<strong>und</strong> tilgt damit alle Schulden.<br />

Die Lehrer der Rütli- Schule bitten um Hilfe.<br />

4


April<br />

Der italienische Oppositionschef Romano Prodi gewinnt die Parlamentswahlen mit<br />

hauchdünnem Vorsprung <strong>und</strong> löst Silvio Berlusconi als Ministerpräsident ab. Silvio<br />

Berlusconi kämpft vor Gericht gegen seine Abwahl - vergeblich.<br />

Mai<br />

Die EU verweigert Litauen wegen überhöhter Inflation als erstem Mitgliedsland den<br />

Euro.<br />

Juni<br />

Der B<strong>und</strong>estag beschließt mit der Föderalismusreform die umfassendste<br />

Verfassungsänderung seit Bestehen der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Die Medien tauften ihn "Bruno", Bayerns Ministerpräsident Edm<strong>und</strong> Stoiber nannte<br />

ihn "Problembär". Nach über drei Monaten erfolgloser Jagd, wurde "Bruno" in Bayern<br />

von Jägern erschossen.<br />

.<br />

5


Juli<br />

Im Kongo wird erstmals gewählt.<br />

Kofferbomben in Regionalzügen: Deutschland entgeht nur wegen handwerklicher<br />

Fehler zwei Terroranschlägen, drei Wochen später nimmt die Polizei einen der<br />

mutmaßlichen Bombenleger fest.<br />

August<br />

Die umstrittene Reform der Rechtschreibreform tritt nach zahlreichen Änderungen<br />

verbindlich in Kraft.<br />

Ulrich Wickert hört nach 15 Jahren als Moderator der „Tagesthemen“ auf.<br />

September<br />

Eine historische Entscheidung: Der B<strong>und</strong>estag schickt deutsche Soldaten nach<br />

Nahost. Verteidigungsminister Jung (CDU) verabschiedet seine Truppe in Richtung<br />

Libanon, wo sie Waffenschmuggel ins Land verhindern helfen soll.<br />

6


Oktober<br />

Schockfotos aus Afghanistan: Deutsche Soldaten posieren mit Totenschädeln.<br />

Stumpft die Konfrontation mit brutaler Gewalt die Truppe ab? - hitzige Diskussionen<br />

bis hin <strong>zum</strong> B<strong>und</strong>estag. Was die Medien daraus machen.<br />

November<br />

Iraks früherer Präsident Saddam Hussein wird wegen „Verbrechen gegen die<br />

Menschlichkeit“ <strong>zum</strong> Tod verurteilt.<br />

Berlin kippt das fünfzig Jahre alte Ladenschlussgesetz, kurz darauf beschließen<br />

weitere B<strong>und</strong>esländer die weitgehende Freigabe der Ladenschlusszeiten.<br />

Ein 18 Jahre alter Amokläufer überfällt im westfälischen Emsdetten seine frühere<br />

Schule, verletzt 37 Menschen <strong>und</strong> tötet sich selbst.<br />

Dezember<br />

Wegen der Ankündigung eines Amoklaufs stehen die Schulen in Baden-<br />

Württemberg unter Polizeischutz; ein verdächtiger Schüler begeht Selbstmord,<br />

Trittbrettfahrer werden festgenommen.<br />

7


Zum zweiten Mal verweigert B<strong>und</strong>espräsident Köhler wegen verfassungsrechtlicher<br />

Bedenken einem Vorhaben der großen Koalition die Zustimmung.<br />

Saddam Hussein stirbt durch den Strang.<br />

Albert Camus in „Betrachtungen zur Todesstrafe“: „Nicht Erhabenheit umgibt das<br />

Schafott, sondern Ekel, Verachtung oder schmählichste Lust.“<br />

Noch unerwähnt, da fast 1/3-Parität in der sprachlichen Hitliste „Wort des Jahres“:<br />

Die Fußball-WM: Italien wird Weltmeister, Deutschland „Meister der Herzen“.<br />

Die „B<strong>und</strong>eskanzlerin“ übergibt den Staffelstab des Wortes des Jahres 2005 für 2006<br />

an die „Fanmeile“.<br />

Die "Klinsmänner" spielten sich nicht nur mit überraschenden Leistungen ins<br />

Halbfinale, sondern auch auf Platz neun der Wörterliste.<br />

"Schwarz-rot-geil!" urteilte die Gesellschaft für deutsche Sprache <strong>und</strong> setzte den<br />

Ausdruck auf Platz zehn der Liste, die Worte festhält, die die öffentliche Diskussion des<br />

betreffenden Jahres besonders bestimmt haben, die für wichtige Themen stehen oder<br />

sonst als charakteristisch erscheinen.<br />

Wörter des Jahres 2006<br />

1. Fanmeile<br />

2. Generation Praktikum<br />

3. Karikaturenstreit<br />

4. Rechtschreibfrieden<br />

5. Prekariat<br />

[6. Bezahlstudium<br />

7. Problembär<br />

8. Poloniumspuren<br />

9. Klinsmänner<br />

10. schwarz-rot-geil!]<br />

Wörter des Jahres 2005<br />

1. B<strong>und</strong>eskanzlerin<br />

2. Wir sind Papst<br />

3. Tsunami<br />

4. Heuschrecken<br />

5. Gammelfleisch<br />

[6. Jamaika-Koalition<br />

7. hoyzern<br />

8. suboptimal<br />

9. Telenovela<br />

10. FC Deutschland 06]<br />

Wörter des Jahres 2004<br />

1. Hartz IV<br />

2. Parallelgesellschaften<br />

3. Pisa-gebeutelte Nation<br />

4. gefühlte Armut<br />

5. Ekelfernsehen<br />

[6. Praxisgebühr<br />

7. Ein-Euro-Job<br />

8. Aufgestellt<br />

9. Rehakles<br />

10. & mehr]<br />

8


2003: Das alte Europa<br />

2002: Teuro<br />

2001: Der 11. September<br />

1999: Millennium<br />

2000: Schwarzgeldaffäre<br />

1998: Rot-Grün<br />

1997: Reformstau<br />

1996: Sparpaket<br />

1995: Multimedia<br />

1994: Superwahljahr<br />

...<br />

Als erstes Wort des Jahres kürten die Sprachwissenschaftler 1971: "heiße Höschen".<br />

Zurück zur WM:<br />

Neue Ansichten<br />

Auch die Frauen der Nation lassen sich nicht nur vereinzelt, sondern in Massen<br />

mitreißen – „Public Viewing“ heißt das Zauberwort - <strong>und</strong> adaptieren die Fanartikel in<br />

vielfältiger Weise:<br />

9


Neue Begeisterung<br />

Viele fanden es schick, auch im Straßenverkehr Flagge zu zeigen.<br />

Mobile Auslöser einer <strong>neuen</strong> Nationalstolz-Debatte.<br />

Dazu B<strong>und</strong>espräsident Horst Köhler:<br />

«Ich finde gut, dass ich nicht mehr der einzige bin mit einer Flagge am Auto.»<br />

Bemerkenswert auch immer wieder der Sprachgebrauch der Medien bei dem Versuch<br />

große Ereignisse noch größer herauszubringen.<br />

Vom „Fußball-W<strong>und</strong>erwerk“ ist die Rede.<br />

Zunächst noch „das gefühlte Finale“ vor dem Spiel gegen Argentinien.<br />

Aber: „Da haben wir den Nudelsalat.“<br />

Die Verarbeitung des 2:0 gegen Italien ist ein „nationales Anliegen“.<br />

Zidane handelt sich ein verständnisloses „Mon Dieu!“ ein.<br />

Was bleibt: „Wir fangen fast schon an, uns selbst zu mögen.“<br />

„Die Deutschen entdeckten den positiven Patriotismus.“<br />

Auf der Website http://www.metaphorik.de/Metaphernkiste/index.htm wurde der<br />

deutsche Fernsehjournalismus mit folgender Anmerkung <strong>zum</strong> Metaphernweltmeister<br />

gekürt:<br />

„Projektionen aus dem Fußball auf die Gesprächskultur kennen wir seit langem, etwa<br />

wenn sich Gesprächspartner 'die Bälle zuschieben' oder sich jemand mit einer<br />

Äußerung 'ein Eigentor schießt'. Umgekehrt wird es indes interessant:<br />

'Schneider - Schnelldenker am Ball, hat aber heute nicht so sicher formuliert mit seinen<br />

Füßen.' (Reinhold Beckmann, ARD, 30.6.2006)“<br />

10


Ansonsten wird „Politik mit Worten gemacht <strong>und</strong> überliefert.“, wie der Publizist<br />

Johannes Gross weiß.<br />

Politische Entwicklungen 2006 im bildreichen Zitat offeriert die Auslese der dpa:<br />

«Ich bereue nur, dass ich Jelzin nicht <strong>zum</strong> Zitrusanbau in irgendeine Bananenrepublik<br />

geschickt habe.»<br />

(Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow an seinem 75. Geburtstag am<br />

2. März über seinen Erzrivalen, den russischen Ex-Präsidenten Boris Jelzin.)<br />

«Und es riecht hier noch immer nach Schwefel.»<br />

(Der venezolanische Präsident Hugo Chávez auf das Pult deutend, von dem der von ihm<br />

als Teufel beschimpfte US-Präsident George W. Bush am Vortag des 19. September<br />

seine Rede <strong>zum</strong> Auftakt der UN-Generaldebatte geh<strong>alten</strong> hatte.)<br />

«Hier, in diesem außergewöhnlichen Stück Wüste, wird die Zukunft der Weltsicherheit<br />

im frühen 21. Jahrh<strong>und</strong>ert entschieden.»<br />

(Der britische Premierminister Tony Blair am 20. November bei einem Truppenbesuch<br />

in der südafghanischen Unruheprovinz Helmand.)<br />

«Wenn man Frau von der Leyen reden hört, gewinnt man den Eindruck, dass der<br />

B<strong>und</strong>esadler demnächst durch einen Storch ersetzt werden soll.»<br />

(FDP-Chef Guido Westerwelle über die Politik der B<strong>und</strong>esfamilienministerin <strong>und</strong><br />

siebenfachen Mutter.)<br />

«Christen sind als Haie gefragt - <strong>und</strong> nicht als Zierfische.»<br />

(Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, bei der<br />

Vorstellung des Plakatmotivs <strong>zum</strong> Evangelischen Kirchentag unter dem Motto<br />

«Lebendig <strong>und</strong> kräftig <strong>und</strong> schärfer».)<br />

Ohne Kommentar.<br />

Mehr beeindruckt hat mich dieser Tage der Witz eines Mannes, von dem auch der<br />

Ausspruch stammt:<br />

„Man muss seinem Leib Gutes tun, damit die Seele Lust hat, darin zu leben.“<br />

Ich spreche von Sir Winston Churchill:<br />

„Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose<br />

nicht gestimmt hat.“<br />

<strong>und</strong>:<br />

„Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.“<br />

11


Hab ich nicht den Mut<br />

(Josepf von Eichendorff, 1788 - 1857)<br />

Habe ich nicht den Mut, besser zu sein als meine Zeit,<br />

so mag ich zerknirscht das Schimpfen lassen,<br />

denn keine Zeit ist durchaus schlecht.<br />

Was war außerdem ?<br />

Hier der Nachschlag <strong>zum</strong> Schlaglicht:<br />

Der frühere Außenminister <strong>und</strong> langjährige Grünen-Politiker Joschka Fischer beendet<br />

seine Politik-Karriere mit einer kurzen Abschiedsrede in einer nicht öffentlichen<br />

Sitzung der Fraktion.<br />

«Deutschland hat Fieber.» Der Wetterexperte Jörg Kachelmann <strong>zum</strong> wärmsten Juli in<br />

Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Den Hitzerekord stellt am 20. Juli<br />

mit 38,9 Grad Celsius Bernburg in Sachsen-Anhalt auf.<br />

Anousheh Ansari, US-Unternehmerin iranischer Herkunft, fliegt im September als erste<br />

Weltraumtouristin ins All. Für die einwöchige Reise in die Schwerelosigkeit zahlt die<br />

40-Jährige 20 Millionen Dollar (15,6 Millionen Euro).<br />

Der Friedensnobelpreis 2006 wird im Oktober an Muhammad Yunus aus Bangladesch<br />

<strong>und</strong> die von ihm gegründete Grameen Bank verliehen. Yunus schuf ein System von<br />

Kleinstkrediten für Arme.<br />

Ein 41 Jahre alter Krankenpfleger aus Westfalen ist der Glückspilz des Jahres. Der Vater<br />

dreier Kinder knackt im Oktober den größten Jackpot der deutschen Lotto-Geschichte.<br />

Bei der Jagd auf die 37,7 Millionen Euro hatten Glücksjäger 25,4 Millionen Tippscheine<br />

gekauft <strong>und</strong> den Lotto-Gesellschaften damit fabelhafte 148,3 Millionen Euro in die<br />

Kassen gespült.<br />

Apropos gespült:<br />

Unlängst wurde ich darauf aufmerksam gemacht (Vizepräsident der Universität in<br />

Koblenz) , dass im deutschen Sprachgebrauch monetäre Dinge häufig mit Bildern aus<br />

dem Bereich des Wassers dargestellt werden.<br />

Z.B. die Geldquelle sprudelt, man schwimmt im Geld, der Geldregen, der Geldfluss –<br />

Ihnen fallen sicher weitere Beispiele ein ...<br />

Das Thema fasziniert mich mit dem Zusammenwachsen Europas zunehmend, so dass<br />

gegen Ende des Jahres im Rathaus ein Vortrag über Sprachbilder verschiedener<br />

Nationen geplant ist.<br />

12


Eine junge albanische Übersetzerin berichtete von dem Unverständnis des Moslems für<br />

den deutschen Ausdruck „Schwein gehabt.“ In Bezug auf das unreine Tier fehlt jegliche<br />

Assoziation <strong>zum</strong> „Glück“:<br />

Interessant auch die nur leichten Abweichungen über die Grenzen hinweg:<br />

Was uns Deutschen der „Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt“, ist den Bulgaren die<br />

„Birne“.<br />

Spannend etwa wie folgende Beispiele anderswo verstanden werden:<br />

Wüstenschiff<br />

Rabeneltern<br />

Jemanden in den Himmel loben<br />

Leeres Stroh dreschen<br />

Mauer des Schweigens<br />

Auf einer Erfolgswelle reiten<br />

Jemandem nicht das Wasser reichen können<br />

Kaderschmiede<br />

Das Recht mit Füßen treten<br />

Warteschlange<br />

Jemandem das Herz brechen<br />

Die Nadel im Heuhaufen suchen<br />

Nussschale<br />

Aufopferung<br />

(Hanane Aad, *1965, Beirut/Libanon)<br />

Vor langer Zeit zerbrach mein Gesicht,<br />

lange Zeit lebte ich ohne.<br />

Ich konnte es nicht beweinen,<br />

weil auch meine Augen zerbrochen waren.<br />

Die Spiegel verstummten,<br />

die Umrisse verblassten.<br />

Mein Gesicht zerbrach,<br />

die Erde bebte.<br />

Mein Gesicht zerbrach,<br />

mein Herz aber hörte, wie der Frost sich anschlich.<br />

Es wollte keinen Widerstand leisten.<br />

Es sagte: Zerbrich mich wie mein Gesicht,<br />

als Funken aber versprühe mich dort,<br />

wo Kälte herrscht, Dunkelheit <strong>und</strong> Gewalt.<br />

Pflanze mich in die Wüste,<br />

<strong>und</strong> sie wird W<strong>und</strong>er.<br />

Pflanze mich in die Wüste,<br />

<strong>und</strong> der Sand gebiert Lilien <strong>und</strong> Jasmin.<br />

Benetze den Saum meiner W<strong>und</strong>e mit meinem Blut,<br />

<strong>und</strong> ich werde Balsam.<br />

Mit meinen W<strong>und</strong>en werde ich Balsam.<br />

[Die Lyrikerin Hanane Aad arbeitet als Kritikerin bei der Zeitung „Al-Nahar“ <strong>und</strong> als Kulturredakteurin u.a. im tv-<br />

Sender „Haya Channel“ <strong>und</strong> im „New Television Channel“. Hanane Aad erhielt 2000 den Preis des Libanesischen<br />

Ministeriums für Kultur <strong>und</strong> 2001 den Journalisten Preis der Internationalen Katholischen Union für<br />

Journalismus in Genf.]<br />

13


Was wurde aus uns als Papst?<br />

Im September löst Papst Benedikt XVI. mit kritischen Äußerungen über den Propheten<br />

Mohammed wütende Proteste in der muslimischen Welt aus. Er zitierte während einer<br />

Vorlesung an der Universität Regensburg den byzantinischen Kaiser Manuel II.<br />

Palaiologos mit einer Äußerung <strong>zum</strong> Verhältnis von Religion <strong>und</strong> Gewalt, wonach man<br />

im Islam "nur Schlechtes <strong>und</strong> Inhumanes finden" könne. Dazu gehöre auch die<br />

Vorschrift, "den Glauben durch das Schwert zu verbreiten".<br />

Die Organisation der Islamischen Konferenz, der 57 Staaten angehören, sprach von<br />

einer "Verleumdungskampagne" gegen ihre Religion. Das Auftreten des Papstes in<br />

Ankara im November <strong>und</strong> seine überraschende Unterstützung eines möglichen<br />

Beitritts der Türkei zur EU brachten ihm unerwartete Sympathien <strong>und</strong> lobende<br />

Schlagzeilen in der mehrheitlich muslimischen Türkei ein.<br />

Das Tübinger Seminar für Allgemeine Rhetorik hat die Regensburger Vorlesung des<br />

Papstes zur "Rede des Jahres 2006" gewählt.<br />

Im Übrigen:<br />

Wir sind nicht mehr Papst, sondern Bruno. - Oder vielleicht beides ... ?<br />

14


Was ist Deutschland noch?<br />

Focus versuchte sich <strong>zum</strong> Jahreswechsel mit einer Profilerstellung anhand von Fakten,<br />

Statistiken, Hitlisten. Ein paar Auszüge:<br />

• Die populärsten Bühnenstücke der letzten 15 Jahre anhand der Besucherzahlen<br />

Starlight Express 9 165 000<br />

Das Phantom der Oper 8 101 000<br />

Die Zauberflöte 6 547 000<br />

Cats 6 454 000<br />

Die Fledermaus 3 860 000<br />

Hänsel <strong>und</strong> Gretel 3 336 000<br />

Carmen 3 086 000<br />

My Fair Lady 3 085 000<br />

Die Hochzeit des Figaro 2 794 000<br />

West Side Story 2 787 000<br />

• Die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen<br />

Musik hören 42,3 %<br />

Fernsehen 37,4 %<br />

Tageszeitung lesen 32,4 %<br />

Gut essen gehen 25,9 %<br />

Partys feiern/Fre<strong>und</strong>e 25,2 %<br />

Grillen/Picknick im Freien 21,6 %<br />

Bücher lesen 20,4 %<br />

Sport treiben 12,4 %<br />

• Das deutsche Liebesleben<br />

Mehr Spontaneität beim Sex wünschen sich 45 % der Deutschen.<br />

Sowohl 30 % der Männer als auch 30 % der Frauen haben schon einmal Telefon-/<br />

Computer-/ E-Mail-Sex gehabt.<br />

• Schulausbildung der Deutschen über 15 Jahren<br />

Hauptschulabschluss 41,6 %<br />

Fachhochschul- oder Hochschulreife 22,4 %<br />

Realschulabschluss 20,3 %<br />

• Durchschnittliche tägliche Mediennutzung (2005)<br />

Der Durchschnittsdeutsche lässt 5 St<strong>und</strong>en am Tag Radio <strong>und</strong> TV laufen <strong>und</strong> liest<br />

36 Minuten Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften. Gebildete Menschen nutzen am<br />

intensivsten Printmedien.<br />

15


Zeitschriften 15 Minuten<br />

Tageszeitungen 21 Minuten<br />

Internet 59 Minuten<br />

Radio 142 Minuten<br />

Fernsehen 168 Minuten<br />

Gesamt 405 Minuten (6 St<strong>und</strong>en 45 Minuten)<br />

• Ausbildungs-/Studienkosten<br />

Humanmedizin 165 300 €<br />

Ingenieurwissenschaften 33 200 €<br />

Jura, BWL, VWL 11 600 €<br />

• Wahlbeteiligung der 18 – 25-jährigen liegt ca. 10 % unter dem Durchschnitt.<br />

• Verbandsleben<br />

R<strong>und</strong> 60 % der Bevölkerung sind in Interessengruppen oder Verbänden organisiert.<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> Parteien leiden an Mitgliederschw<strong>und</strong>, Sportvereine <strong>und</strong><br />

ADAC registrieren einen Anstieg der Mitgliederzahlen.<br />

Deutscher Gewerkschaftsb<strong>und</strong> 6,8<br />

Deutscher Fußballb<strong>und</strong> 6,4<br />

Deutscher Naturschutzring 5,2<br />

• Die größten Ängste der Deutschen 2006<br />

Anstieg der Lebenshaltungskosten 70 %<br />

Fehlende Bürgernähe der Politiker 63 %<br />

Arbeitslosigkeit in Deutschland 61 %<br />

Pflegefall im Alter 52 %<br />

Eigene Arbeitslosigkeit 51 %<br />

• Die häufigsten Krankheiten in absteigender Reihenfolge<br />

Rückenschmerzen<br />

Kopfschmerzen<br />

Allergien<br />

Asthma<br />

Schwindel<br />

Herzrhythmusstörungen<br />

Chronische Bronchitis<br />

Depression<br />

Unfall<br />

Diabetes<br />

16


• Todesursachen (Statistisches B<strong>und</strong>esamt für 2005)<br />

Jeder zweite Deutsche stirbt an einem Herz-Kreislaufversagen (367 361 Personen)<br />

Jeder vierte an Krebs (211 398 Personen)<br />

Atemwegserkrankungen 57 742 Personen<br />

Schlaganfall 51 930 Personen<br />

Diabetes 24 342 Personen<br />

Freitod 10 260 Personen<br />

Mord/Totschlag/ungeklärte Ursache 2 677 Personen<br />

Mumps 4 Personen<br />

Der Tod im Alltag<br />

Pkw-Unfall 1 767 Personen<br />

Überdosis Rauschgift 1 326 Personen<br />

Sturz von der Treppe 1 071 Personen<br />

Ertrinken in der Badewanne 55 Personen<br />

Flugzeugabsturz 27 Personen<br />

Insektenstich 18 Personen<br />

Angesichts dieser Einfachheit, das Zeitliche zu segnen, dringt wieder ins Gedächtnis,<br />

was „Die Welt“ <strong>zum</strong> Jahresende festhielt:<br />

Die Urbedingung der Condition humana bleibt - auch wenn die Medizin Leistungen<br />

verspricht, die an Heilsw<strong>und</strong>er grenzen - ihre Begrenztheit in der Zeit.<br />

...<br />

Die einzige Gewissheit über das Leben ist auch die älteste: Mors certa hora incerta.<br />

...<br />

Die Zeit ist jenseits der Verfügung des Menschen. Vor der Zeit sind alle gleich. Der<br />

härteste Tyrann kann sie nicht vermehren, der größte Geizhals nicht vermindern.<br />

...<br />

Das Paradies, Unschuld <strong>und</strong> ewige Jugend ist verloren. Was den Menschen bleibt, ist<br />

die Vorstellung vom Paradies: jenseits der Zeit, weder Vergangenheit noch Zukunft,<br />

keine Erinnerung <strong>und</strong> keine Hoffnung , immer nur Gegenwart, die ewig dauert.<br />

17


Was denken Tiere in der Neujahrsnacht?<br />

(James Krüss)<br />

Was denken in der Neujahrsnacht<br />

die Kater <strong>und</strong> die Katzen?<br />

Sie denken, dass im <strong>alten</strong> Jahr<br />

der Mausefang bescheiden war,<br />

<strong>und</strong> strecken in das neue Jahr<br />

begehrlich ihre Tatzen.<br />

Was denken in der Neujahrsnacht<br />

die Pudel <strong>und</strong> die Möpse?<br />

Sie denken, dass nicht jeden Tag<br />

ein Knochen auf dem Teller lag,<br />

<strong>und</strong> wünschen für den Neujahrstag<br />

sich Leberwurst <strong>und</strong> Klopse.<br />

[Was denken in der Neujahrsnacht<br />

die Vögel hierzulande?<br />

Sie denken an die Storchenschar,<br />

die hier im Sommer fröhlich war<br />

<strong>und</strong> die nun wandelt, Paar um Paar,<br />

im warmen Wüstensande.<br />

Was denken in der Neujahrsnacht<br />

die Knäblein <strong>und</strong> die Knaben?<br />

Sie denken, ob der Frost bald weicht<br />

<strong>und</strong> ob ein Mensch den Mond erreicht<br />

<strong>und</strong> ob sie nächstes Jahr vielleicht<br />

Schuhgröße vierzig haben.<br />

Was denken in der Neujahrsnacht<br />

in aller Welt die Mädchen?<br />

Die Mädchen denken unentwegt<br />

<strong>und</strong> angeregt <strong>und</strong> aufgeregt<br />

an das, was man im Sommer trägt,<br />

ob Gretchen oder Kätzchen.]<br />

Was denken in der Neujahrsnacht<br />

die <strong>alten</strong>, <strong>alten</strong> Leute?<br />

Sie denken unterm weißen Haar,<br />

wie sonderbar das Leben war,<br />

<strong>und</strong> dass das Glück sie w<strong>und</strong>erbar<br />

geleitet hat bis heute.<br />

18


Was geschah 2006 in Literatenkreisen?<br />

Peter Handke verzichtete im Juni freiwillig auf den<br />

Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf. Politik <strong>und</strong><br />

Literaturszene streiten über einen Autor <strong>und</strong> eine<br />

Intervention. Kritiker hatten ihm seine Parteinahme<br />

für Serbien im Balkankrieg <strong>und</strong> sein Verständnis für<br />

den serbischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic<br />

vorgeh<strong>alten</strong>.<br />

Günter Grass in der sich nach Erscheinen seines<br />

autobiografischen Romans „Beim Häuten der<br />

Zwiebel“ entzündenden, ewigwährenden Debatte:<br />

„Erinnern heißt auswählen.“<br />

Als erster Schriftsteller aus der Türkei wird<br />

Orhan Pamuk mit dem Nobelpreis für Literatur<br />

ausgezeichnet für seine Verdienste als<br />

Brückenbauer zwischen den Kulturen.<br />

19


Wie heimlicherweise ...<br />

(Eduard Mörike, 1804 - 1875)<br />

Wie heimlicherweise<br />

ein Englein leise<br />

mit rosigen Füßen<br />

die Erde betritt,<br />

so nahte der Morgen.<br />

Jauchzt ihm, ihr Frommen,<br />

ein heilig Willkommen,<br />

ein heilig Willkommen!<br />

Herz, jauchze du mit!<br />

In ihm sei's begonnen,<br />

der Mond <strong>und</strong> Sonnen<br />

an blauen Gezelten<br />

des Himmels bewegt.<br />

Du, Vater, du rate!<br />

Lenke du <strong>und</strong> wende!<br />

Herr, dir in die Hände<br />

sei Anfang <strong>und</strong> Ende,<br />

sei alles gelegt!<br />

Und in Rheinland-Pfalz ?<br />

Landtagswahl am 26. März: Kurt Beck holt erstmals die absolute Mehrheit für die<br />

Sozialdemokraten. Ende von rot-gelb.<br />

Anmerkung mit Oscar Wilde:<br />

Jedermann kann für die Leiden eines Fre<strong>und</strong>es<br />

Mitgefühle aufbringen. Es bedarf aber eines<br />

wirklich edlen Charakters, um sich über die<br />

Erfolge eines Fre<strong>und</strong>es zu freuen.<br />

20


Was würden Sie tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?<br />

(Joachim Ringelnatz, 1883 - 1934)<br />

Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich<br />

Die ersten Nächte schlaflos verbringen<br />

Und darauf tagelang ängstlich <strong>und</strong> kleinlich<br />

Ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen.<br />

Dann - hoffentlich - aber laut lachen<br />

Und endlich den lieben Gott abends leise<br />

Bitten, doch wieder nach seiner Weise<br />

Das neue Jahr göttlich selber zu machen.<br />

Mit dem Stichwort „göttlich“ bin ich bei Mozart angelangt.<br />

Das Mozartjahr ist ausgeklungen - <strong>zum</strong> Abschied das dies irae des requiem:<br />

Tag des Zornes, jener Tag<br />

löst die Welt(-Zeit) in Glut(-Asche) auf<br />

gemäß dem Zeugnis Davids <strong>und</strong> der<br />

Sibylla.<br />

Welch ein Zittern wird dann sein,<br />

wenn der Richter kommen wird,<br />

der alles streng diskutieren wird!<br />

...<br />

Was werde ich Armer dann sagen,<br />

wen bitten, mein Patron zu sein,<br />

da kaum ein Gerechter sicher sein wird?<br />

...<br />

Gerechter Richter der Vergeltung,<br />

mache mir ein Geschenk der Vergebung<br />

vor dem Abrechnungstag.<br />

...<br />

Wenn die Überführten verflucht sind<br />

<strong>und</strong> den scharfen Flammen zugesprochen,<br />

rufe mich mit den Gesegneten!<br />

...<br />

Dies irae, dies illa<br />

solvet saeclum in favilla:<br />

teste David cum Sibylla.<br />

Quantus tremor est futurus,<br />

quando judex est venturus,<br />

cuncta stricte discussurus!<br />

…<br />

Quid sum miser tunc dicturus?<br />

Quem patronum rogaturus,<br />

cum vix justus sit securus?<br />

…<br />

Juste judex ultionis,<br />

donum fac remissionis<br />

ante diem rationis.<br />

…<br />

Confutatis maledictis,<br />

flammis acribus addictis:<br />

voca me cum benedictis.<br />

…<br />

Neben der Musik haben auch die Bilder gesprochen, die den Blick in die Zukunft<br />

richten:<br />

Ausstellung moderner bulgarischer Kunst in den Trierer Viehmarktthermen beginnt<br />

den Veranstaltungskanons Charme des Balkans, der den EU-Beitritt Bulgariens <strong>und</strong><br />

Rumäniens <strong>zum</strong> 01.01.2007 begleiten wird.<br />

21


Der Veranstaltungskanon wird sich unter anderem auch mit dem Einfluss der<br />

deutschen Adelshäuser auf die Monarchien des Balkans befassen.<br />

Dazu aus der Region: Prinzessin Elisabeth zu Wied, spätere Königin von Rumänien,<br />

bekannt als Carmen Sylva.<br />

EINE GANZ NEUE KATZENGESCHICHTE<br />

(Carmen Sylva, 1843 - 1916; aus: „Meine Ruh“, 1901)<br />

ES HATTEN EINST DREI KATZEN<br />

EIN NEUES MÄUSCHEN ERWISCHT,<br />

UND HABEN SICH´S GEGENSEITIG<br />

ZUM SCHMAUSE AUFGETISCHT.<br />

DOCH WIE SIE´S FEIN ZERSTÜCKELT,<br />

GEFRESSEN MIT HAUT UND HAAR,<br />

DA FIEL´S IHNEN EIN, WIE NIEDLICH<br />

UND ARTIG DAS MÄUSLEIN WAR.<br />

DAS ARME GEFRESSENE MÄUSLEIN !<br />

SIE HATTEN´S GAR NICHT BEDACHT,<br />

DASS ES KLEIN WAR UND NETT, UND NUN HÄTTEN<br />

SIE GERN ES LEBENDIG GEMACHT.<br />

SIE HABEN MIT FLÖTENSTIMME<br />

DARÜBER GEWEINT UND MIAUT,<br />

GEZANKT UND GESTRITTEN UND ENDLICH<br />

ES RECHT BEHAGLICH VERDAUT.<br />

Weitere regionale Persönlichkeit in 2007: Sophie von La Roche (1731-1807).<br />

Ihr Zitat „Ich bin mehr Herz als Kopf.“ bildet den Titel der diesjährigen<br />

Literaturmatinee, die sich Sophie von La Roche <strong>und</strong> ihrem Ehrenbreitsteiner Salon<br />

(1771 - 1780) widmet.<br />

22


Im Übrigen:<br />

2050. Todestag von Marcus Tullius Cicero<br />

1900. Todestag von Ignatius von Antiochien<br />

1600. Todestag von Johannes Chrysostomos<br />

800. Geburtstag der heiligen Elisabeth (2007 = „Elisabeth-<strong>Jahr“</strong>)<br />

400. Geburtstag von Paul Gerhardt<br />

300. Todestag des barocken dt. Komponisten <strong>und</strong> Organisten Dietrich Buxtehude<br />

250. Geburtstag von Heinrich Friedrich Karl vom Stein<br />

250. Geburtstag von William Blake<br />

200. Geburtstag von Henry Wadsworth Longfellow<br />

150. Geburtstag von Hermann Sudermann<br />

150. Todestag von Joseph von Eichendorff<br />

100. Geburtstag von Sebastian Haffner<br />

100. Geburtstag von Astrid Lindgren<br />

50. Todestag von Alfred Döblin<br />

Gebet zu Neujahr 1883<br />

des kath. Stadtdechanten <strong>und</strong> Pfarrers von St. Lamberti (Münster) Hermann Kappen<br />

Herr, setze dem Überfluss Grenzen<br />

<strong>und</strong> lasse die Grenzen überflüssig werden.<br />

Lasse die Leute kein falsches Geld machen,<br />

aber auch das Geld keine falschen Leute.<br />

Nimm den Ehefrauen das letzte Wort<br />

<strong>und</strong> erinnere die Männer an ihr erstes.<br />

Schenke unseren Fre<strong>und</strong>en mehr Wahrheit<br />

<strong>und</strong> der Wahrheit mehr Fre<strong>und</strong>e.<br />

Bessere solche Beamte, Geschäfts- <strong>und</strong> Arbeitsleute,<br />

die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind.<br />

Gib den Regierenden ein besseres Deutsch<br />

<strong>und</strong> den Deutschen eine bessere Regierung.<br />

Herr, sorge dafür, daß wir alle in den Himmel kommen<br />

- aber nicht sofort.<br />

Was bringt uns 2007 noch ?<br />

Beschlossen:<br />

MEHRWERTSTEUER: Die Mehrwertsteuer ist am 01.01.2007 von 16 auf 19 Prozent<br />

angestiegen.<br />

23


ELTERNGELD: Es beläuft sich auf 67 Prozent des letzten Nettogehalts. Die Höchstgrenze<br />

liegt bei 1800 Euro im Monat. Es wird zwölf Monate plus zwei Monate für den Partner<br />

gezahlt.<br />

RENTENBEITRAGSSATZ: Der Rentenbeitragssatz steigt von 19,5 auf 19,9 Prozent. Den<br />

Rentenkassen bringt die Anhebung Mehreinnahmen von 3,4 Milliarden Euro.<br />

Sprichwort aus Japan:<br />

Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der Teufel.<br />

Mit Jahresbeginn hat Deutschland den Vorsitz des Ministerrates der Europäischen<br />

Union sowie die Führung der G-8-Gruppe übernommen.<br />

Der Wahlspruch: „Europa gelingt gemeinsam.“<br />

Der „Untertitel“: „Wir brauchen Europa.“<br />

Der 50-jährige „Geburtstag“ der Europäischen Union fällt in die deutsche<br />

Ratspräsidentschaft: Am 25.03.1957 wurden die römischen Verträge unterzeichnet.<br />

Nach Deutschland übernimmt Portugal Anfang Juli den Vorsitz des Ministerrates der<br />

Europäischen Union.<br />

24


„Die Zeit“ hat in ihrer ersten Ausgabe in 2007 zehn Gründe für Europa formuliert.<br />

Danach ist die EU gut, weil<br />

1. sie den Euro hat.<br />

2. sie sozial ist.<br />

3. sie sich immer wieder neu erfindet.<br />

4. sie ihre Erweiterung wagt.<br />

5. sie mehr den Verstand als den Bauch anspricht.<br />

6. sie für das internationale Recht kämpft.<br />

7. sie grenzenlos ist.<br />

8. sie das Leben bequemer macht.<br />

9. sie bürokratisch ist.<br />

10. sie modern ist.<br />

Wie Henry Ford schon sagte: "Es hängt von Dir selbst ab, ob Du das neue Jahr als<br />

Bremse oder als Motor benutzen willst."<br />

In Planung:<br />

Die Koalition will Großzügigkeit belohnen: Nach Plänen von Finanzminister Peer<br />

Steinbrück (SPD) lotet die Regierung Wege aus, um gemeinnützige Arbeit <strong>und</strong> Spenden<br />

stärker zu fördern.<br />

Unter dem Motto "Hilfen für Helfer“ sind höhere Steuervergünstigungen geplant.<br />

Diese sollen rückwirkend für den 01.01.2007 gelten - wenn sie beschlossen sind.<br />

25


Noch vor Ostern will die Koalition den Gesetzentwurf zur Rente mit 67 verabschieden.<br />

Damit sollen Erhöhungen des Beitragssatzes langfristig begrenzt werden: Er soll bis<br />

2030 nicht über 22 Prozent klettern. Die stufenweise Anhebung des Eintrittsalters soll<br />

2012 beginnen <strong>und</strong> bis 2029 andauern.<br />

Für Beschäftigte, die mindestens 45 Jahre lang Beiträge bezahlt haben, sind<br />

Ausnahmen geplant: Sie sollen auch künftig mit 65 die volle Rente bekommen. Doch<br />

dies ist bereits auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen.<br />

Am 1. April soll die lang diskutierte Ges<strong>und</strong>heitsreform in Kraft treten - wenn der<br />

Gesetzesentwurf Anfang des Jahres von B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat verabschiedet<br />

wurde.<br />

Zu den zentralen Punkten der Reform zählen neben dem geplanten Ges<strong>und</strong>heitsfonds<br />

ein neuer Basistarif bei den privaten Krankenversicherungen, Einsparungen bei<br />

Kliniken <strong>und</strong> neue Regeln für Vorsorgeuntersuchungen.<br />

26


Was noch ?<br />

Insekt des Jahres 2007: Die Ritterwanze (Lygaeus equestris)<br />

Die Wahl soll mit dem schlechten Image aufräumen, das den Tieren wegen der<br />

blutsaugenden Bettwanze anhaftet.<br />

Kulturhauptstädte 2007 sind die Grossregion Luxemburg ...<br />

<strong>und</strong> das rumänische Sibiu/ Hermannstadt.<br />

27


Zwischendruch etwas Lyrisches aus dem <strong>neuen</strong> EU-Mitglied Bulgarien<br />

von Blaga Dimitrova (1922 - 2003)<br />

[Blaga Dimitrova ist eine der bekanntesten zeitgenössischen Dichterinnen Bulgariens, engagierte sich vor der<br />

Wende als Kritikerin des totalitären Regimes <strong>und</strong> war 1992 - 1993 Vizestaatspräsidentin.]<br />

FALLS<br />

Wenn du zurückkehrst,<br />

falls du zurückkehrst -<br />

erst dann siehst du, dass es dich nicht gibt.<br />

Dann laufen alle Straßen<br />

in unzählige Richtungen,<br />

nur deine Richtung - gesperrt.<br />

Dein Gruß ist<br />

verlegen <strong>und</strong> erloschen,<br />

<strong>und</strong> man begegnet ihm wie einem Fremdling.<br />

Schuldbewusst betrittst du das Haus,<br />

siehst dich um,<br />

wie in einem vergessenen Haus aus deinem Traum.<br />

Und berührst mit den Fingern<br />

einzig deine Abwesenheit<br />

in den verstellten Büchern <strong>und</strong> Dingen.<br />

Und dir wird klar,<br />

dass etwas verstellt wurde,<br />

nicht nur in deinem Haus, auch in der Welt.<br />

So einfach <strong>und</strong> natürlich -<br />

um den Raum auszufüllen,<br />

den du innehattest.<br />

Was hat uns 2007 bisher beschert?<br />

Auf der indonesischen Insel Sulawesi verschwindet eine Passagiermaschine.<br />

Ban Ki-moon übernimmt von Kofi Annan das Amt des Generalsekretärs der Vereinten<br />

Nationen. Anfängliche Irritationen im Bezug auf die Todesstrafe.<br />

Wolfgang Schäuble plant Abschusserlaubnis entführter Flugzeuge.<br />

Eröffnung des Insolvenzverfahrens der BenQ-Siemens-Werke Bocholt, Kamp-Lintfort,<br />

München.<br />

Der langjährige Bürgermeister Jerusalems, Teddy Kollek (* 1911), stirbt.<br />

Kenia schließt die Grenze zu Somalia <strong>und</strong> schiebt Flüchtlinge ab.<br />

Es bleibt wie es ist ...<br />

28


Und für Deutschland?<br />

Die B<strong>und</strong>eskanzlerin kündigt in ihrer Neujahrsrede an, dass sich Deutschland im <strong>neuen</strong><br />

Jahr „doppelt anstrengen“ müsse.<br />

Frau Schavan kündigt die „Hightech-Strategie für Deutschland - Ideen zünden“ an:<br />

Prof. Dr. Detlev Ganten, Vorstandsvorsitzender der Charité-Universitätsmedizin Berlin<br />

versteht darunter: „Unternehmerisches Denken schon an der Uni lernen.“<br />

Für Dr. Arend Oetker, Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft<br />

bedeutet es: „Mehr privates Geld für Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung.“<br />

„Die Besten müssen in Deutschland bleiben.“, lautet Prof. Dr. Wahlsters, Vorsitzender<br />

der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz,<br />

Devise.<br />

Dr. Stefan Marcinowski, Mitglied des Vorstands <strong>und</strong> Sprecher der Forschung BASF<br />

Aktiengesellschaft, gibt die Losung aus: „Tapeten als Bildschirme - leuchtende<br />

Innovationen für Deutschland.“<br />

Von der B<strong>und</strong>esregierung angesetztes finanzielles Volumen: Investitionen von 14,6<br />

Milliarden Euro bis <strong>zum</strong> Jahr 2009.<br />

Zurück zur Lyrik von Blaga Dimitrova:<br />

WORTGEBÄUDE<br />

Zum Gedenken an Pablo Neruda<br />

Nichts existiert,<br />

wenn es nicht im Wort wiedergeboren ist.<br />

Nicht existent die Gegenwart,<br />

wenn sie nicht im Wort greifbar wird.<br />

Nicht existent die Vergangenheit,<br />

wenn sie nicht im Wort bewahrt ist.<br />

Nicht existent auch die Liebe,<br />

wenn ich nicht jeden Tag "Ich liebe dich" höre.<br />

(Eine Präzisierung:<br />

Lebenswichtig ist für mich, dass ich es höre<br />

nicht nur aus deinem M<strong>und</strong>,<br />

sondern auch aus meinem, denn<br />

das Wort, einmal ausgesprochen,<br />

kehrt zu seinem Aussprecher zurück<br />

mit der ausdrücklichen Klarheit des Gesagten.)<br />

29


Nicht existent auch ich, absolut,<br />

wenn ich das Wort nicht ein- <strong>und</strong> ausatmen kann.<br />

Das Universum meldet im Sternen-Morse<br />

zur Erde: "Am Anfang war das Wort."<br />

Und die Erde erwidert den Sternen mit atemlosem Echo:<br />

Und am Ende - Wortlosigkeit<br />

Die Wortwürger greifen<br />

nach dem Sein selbst.<br />

ST<br />

Ich lebte im goldensten Zeitalter,<br />

in glücklichster Gesellschaft,<br />

im gerechtesten System,<br />

unter der weisesten Lehre,<br />

mit der höchsten Moral,<br />

unter der ewigsten Fre<strong>und</strong>schaft,<br />

der lichtesten Zukunft zugewandt.<br />

Ich übersprang den Komparativ<br />

<strong>und</strong> landete direkt im - Superlativ.<br />

Immer hatte das Lächeln<br />

das seligste zu sein,<br />

der Augenblick - der historischste,<br />

die Feier - die feierlichste,<br />

der Fortschritt - der fortschrittlichste.<br />

Ich glaubte mit dem reinsten Glauben<br />

<strong>und</strong> loderte mit der loderndsten Lohe.<br />

Und stellte mich oft auf die Zehenspitzen,<br />

um die Latte zu überspringen: das -st!<br />

Nur weiß ich nicht, warum<br />

meine Gedichte am traurigsten klangen<br />

<strong>und</strong> immer trauriger gegen den Schluss.<br />

Ich verbleibe <strong>zum</strong> Schluss mit Wilhelm Busch, dessen 175. Geburtstag auf den<br />

15.04.2007 fällt:<br />

Will das Glück nach seinem Sinn<br />

dir was Gutes schenken,<br />

sage Dank <strong>und</strong> nimm es hin<br />

ohne viel Bedenken.<br />

Jede Gabe sei begrüßt,<br />

doch vor allen Dingen:<br />

Das, worum du dich bemühst,<br />

möge dir gelingen!<br />

30

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