bericht über die menschliche entwicklung 2003 - Human ...
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KASTEN 8.10<br />
Der Index für Entwicklungsengagement<br />
(Commitment to Development Index – CDI)<br />
ist ein innovativer Versuch, zu <strong>über</strong>wachen,<br />
wie gut <strong>die</strong> reichen Länder ihre Verpflichtungen<br />
im Rahmen globaler Partnerschaften erfüllen.<br />
Das traditionelle Maß zur Beurteilung von<br />
Entwicklungshilfe ist das Volumen in US-<br />
Dollar. Der vom Center for Global Development<br />
und der Zeitschrift Foreign Policy entwickelte<br />
Index geht dar<strong>über</strong> hinaus und untersucht<br />
ein breiteres Spektrum von Dimensionen<br />
und politischen Handlungskonzepten. Dazu<br />
zählen sowohl <strong>die</strong> Qualität als auch der Umfang<br />
von Entwicklungshilfe, Handelshemmnisse,<br />
<strong>die</strong> Umwelt, Investitionen, Migration und<br />
Friedenssicherung.<br />
Die Entwicklung eines Indexes, der das<br />
vollständige Spektrum der politischen Maßnahmen<br />
berücksichtigt, <strong>die</strong> einen Einfluss auf<br />
arme Länder haben, ist genauso wichtig wie<br />
schwierig. Der CDI stellt einen bedeutenden<br />
ersten Schritt in dem Bemühen dar, <strong>die</strong> reichen<br />
Länder für <strong>die</strong> Erfüllung ihrer Verpflichtungen<br />
zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Reihe<br />
von Fragen bleibt jedoch offen:<br />
• Bewertung „guter“ politischer Maßnahmen.<br />
Der CDI wurde zur Bewertung eines<br />
konkreten Bündels politischer Maßnahmen<br />
konzipiert, von denen angenommen wird, dass<br />
sie zu besseren Entwicklungsergebnissen<br />
führen. Beispielsweise werden für Entwicklungshilfe<br />
an Länder mit guter Staats- und Regierungsführung<br />
mehr Punkte vergeben als für<br />
Entwicklungshilfe an Länder, in denen der Bedarf<br />
vielleicht größer ist. Ein anderes Beispiel<br />
sind ausländische Direktinvestitionen (ADI),<br />
<strong>die</strong> eine Komponente des Indexes bilden. Für<br />
sie wird beim CDI auf Grund fehlender Daten<br />
angenommen, dass sie unter allen Umständen<br />
positiv zu bewerten sind.<br />
• Gewichtung. Das vielleicht größte Problem<br />
bei jedem zusammengesetzten Index ist<br />
<strong>die</strong> Frage, welche Bedeutung den einzelnen Indikatoren<br />
beigemessen werden soll. Der CDI<br />
verwendet verschiedene Methoden in jedem<br />
Politikbereich. Im Gesamtindex werden jedoch<br />
alle sechs Komponenten gleich gewichtet.<br />
Dies ist zwar der einfachste Ansatz,<br />
schmälert jedoch <strong>die</strong> Bedeutung der Entwicklungshilfe<br />
und des Handels. Beide sind zweifellos<br />
wichtiger als beispielsweise Beiträge zur<br />
Friedenssicherung.<br />
• Schwächen der Messgrößen. Zwar sind<br />
Quelle: Birdsall und Roodman <strong>2003</strong>.<br />
Der Index für Entwicklungsengagement (CDI)<br />
alle sechs hier präsentierten Aspekte der politischen<br />
Maßnahmen der reichen Länder wichtig<br />
für <strong>die</strong> globale Entwicklung, doch einige<br />
davon sind schwierig zu messen. Migrationspolitische<br />
Maßnahmen, <strong>die</strong> zu Entwicklung<br />
beitragen, sind schwierig zu messen, weil es<br />
keinen klaren Konsens dar<strong>über</strong> gibt, was eine<br />
gute Migrationspolitik ausmacht, und Daten<br />
spärlich sind. Die Umwelt ist ebenfalls ein<br />
komplexes Gebiet mit einem Mangel an adäquaten<br />
Daten.<br />
• Komplexität. Der CDI wurde mit einem<br />
sehr konkreten Fokus auf politische Maßnahmen<br />
entwickelt, was in einer Vielzahl von Indikatoren<br />
und einem breiten Spektrum statistischer<br />
Methoden resultierte. Der Nachteil <strong>die</strong>ser<br />
Komplexität ist, dass außer für engagierte<br />
Forscher, <strong>die</strong> sich auf dem Gebiet auskennen,<br />
der Index ein „schwarzer Kasten“ bleibt: Die<br />
Ergebnisse sind klar, aber um verstehen zu<br />
können, wie sie zustande kommen, benötigt<br />
man Spezialwissen. Für Wähler, Nichtregierungsorganisationen,<br />
Journalisten und politische<br />
Entscheidungsträger – alle wichtige<br />
Adressaten – bleiben <strong>die</strong> daraus abzuleitenden<br />
Hinweise auf notwendige Veränderungen vielleicht<br />
unklar.<br />
• Benachteiligung großer Volkswirtschaften.<br />
Weil zentrale Komponenten des Indexes –<br />
<strong>die</strong> Beiträge zu Entwicklungshilfe, Friedenssicherung<br />
und ADI – als Anteil am Bruttosozialprodukt<br />
eines Landes gemessen werden, werden<br />
große Volkswirtschaften, <strong>die</strong> häufig hinsichtlich<br />
des Volumens <strong>die</strong> größten Beiträge<br />
leisten, schlechter bewertet. In der Tat haben<br />
<strong>die</strong> fünf führenden Länder Bevölkerungen von<br />
weniger als 20 Millionen Menschen.<br />
Manche Ergebnisse sind <strong>über</strong>raschend,<br />
was in einigen Fällen auf <strong>die</strong> oben erörterten<br />
Probleme zurückzuführen ist. Die Niederlande<br />
führen <strong>die</strong> Rangliste an und verweisen Dänemark,<br />
den unter den Ländern im Index bei<br />
weitem großzügigsten Geber öffentlicher Entwicklungshilfe,<br />
gemessen anhand des Anteils<br />
am Bruttosozialprodukt, auf den zweiten Platz.<br />
Dieses Ergebnis beruht vor allem auf der<br />
außerordentlich hohen Punktzahl der Niederlande<br />
bei den ADI, bei denen Dänemark sehr<br />
schlecht abschneidet. Dies zeigt <strong>die</strong> Probleme,<br />
<strong>die</strong> sich ergeben, wenn der Umfang der ADI<br />
als Kriterium für gute Politik verwendet wird:<br />
ADI sind ein Ergebnis, auf das <strong>die</strong> Struktur des<br />
privaten Sektors zweifellos einen größeren Ein-<br />
Zur Jahrhundertwende schien <strong>die</strong> Beseitigung<br />
der Armut in den Bereich des Möglichen<br />
gerückt zu sein. Der Kalte Krieg war be-<br />
fluss hat als <strong>die</strong> Politik der Regierung. Eine<br />
weitere Überraschung bietet Portugal auf dem<br />
dritten Platz, dem ebenfalls eine hohe Bewertung<br />
bei den ADI zugute kommt. Darauf folgen<br />
Neuseeland und <strong>die</strong> Schweiz auf dem vierten<br />
und fünften Platz – Länder, <strong>die</strong> sich wie<br />
Portugal nicht als große Geber öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe profiliert haben. Dass <strong>die</strong><br />
Schweiz so gut abschneidet, illustriert <strong>die</strong> Probleme,<br />
<strong>die</strong> damit verbunden sind, alle Komponenten<br />
des Indexes gleich zu gewichten: Das<br />
Land schneidet bei den wichtigen Kategorien<br />
Handel und Entwicklungshilfe schlecht ab,<br />
aber gut bei Investitionen und Migration – Bereiche,<br />
<strong>die</strong> schwer zu messen und deren Auswirkungen<br />
umstritten sind.<br />
Finnland, Kanada, Australien, <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten und Japan erreichen <strong>die</strong><br />
schlechtesten Bewertungen. Die zwei größten<br />
Geber von Auslandshilfe in Dollar-Beträgen –<br />
<strong>die</strong> Vereinigten Staaten und Japan – rangieren<br />
weit unten. Die Bewertungen beider Länder<br />
fallen schlecht aus, weil ihre Entwicklungshilfe<br />
und ihre ADI absolut zwar einen enormen<br />
Umfang haben, im Verhältnis zur Größe ihrer<br />
Volkswirtschaften aber klein sind. Japan erhielt<br />
eine besonders niedrige Punktezahl bei<br />
den Beiträgen zur Friedenssicherung, weil verfassungsmäßige<br />
Hürden und Verpflichtungen<br />
das Land daran hindern, Truppen zur Friedenssicherung<br />
abzustellen. Auch <strong>die</strong>s veranschaulicht<br />
wiederum das Problem der Gewichtung:<br />
In wichtigen Bereichen wie Handel und<br />
Umwelt schneidet Japan im Vergleich besser<br />
ab. Die Vereinigten Staaten profitieren beim<br />
Gesamtergebnis von ihrer guten Bilanz im<br />
Handelssektor, zu der der offenere Agrarmarkt<br />
beiträgt, der nicht so stark subventioniert<br />
ist wie <strong>die</strong> Agrarmärkte in Europa.<br />
Das wichtigste Ergebnis des Indexes ist jedoch<br />
nicht <strong>die</strong> Rangfolge, sondern <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass selbst das führende Land nur knapp<br />
mehr als <strong>die</strong> Hälfte der möglichen Punkte erreicht.<br />
Alle Länder sind noch weit davon entfernt,<br />
armen Ländern wirklich bei der Entwicklung<br />
zu helfen.<br />
Die erste Ausgabe des CDI, der jährlich<br />
veröffentlicht werden soll, könnte <strong>die</strong> Debatte<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Entwicklungspolitik reicher Länder<br />
anheizen und zu Diskussionen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Fragen anregen, wie Entwicklungspolitik bewertet<br />
und <strong>die</strong> Datenlage verbessert werden<br />
kann.<br />
endet, und <strong>die</strong> Chancen dafür, dass sich alle<br />
Gesellschaften gemeinsamen Zielen verpflichten<br />
könnten, schienen in Reichweite.<br />
204 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>