bericht über die menschliche entwicklung 2003 - Human ...
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BERICHT ÜBER DIE<br />
MENSCHLICHE<br />
ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele:<br />
Ein Pakt zwischen Nationen<br />
zur Beseitigung <strong>menschliche</strong>r<br />
Armut<br />
VERÖFFENTLICHT FÜR DAS<br />
ENTWICKLUNGSPROGRAMM<br />
DER VEREINTEN NATIONEN<br />
(UNDP)<br />
DEUTSCHE GESELLSCHAFT<br />
FÜR DIE VEREINTEN NATIONEN e.V.<br />
BERLIN <strong>2003</strong>
Die Veröffentlichung einer deutschen Ausgabe des Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung war in <strong>die</strong>sem Jahr nur dank der Unterstützung<br />
durch <strong>die</strong> Deutsche Gesellschaft für <strong>die</strong> Vereinten Nationen e.V. und der finanziellen Förderung durch das Bundesministerium<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung möglich.<br />
DEUTSCHE GESELLSCHAFT<br />
FÜR DIE<br />
VEREINTEN NATIONEN e. V.<br />
Zimmerstraße 26/27<br />
D-10969 Berlin<br />
Telefon: (030) 259375-0<br />
Telefax: (030) 259375-29<br />
E-Mail: info@dgvn.de<br />
Internet: www.dgvn.de<br />
ISBN: 3-923904-54-1<br />
Originaltitel: <strong>Human</strong> Development Report <strong>2003</strong><br />
Copyright © <strong>2003</strong> United Nations Development Programme (UNDP)<br />
Umschlag und Design: Gerald Quinn, Quinn Information Design, Cabin John, Maryland<br />
Alle Rechte liegen beim Herausgeber. Ohne vorherige Genehmigung durch den Herausgeber dürfen keine Auszüge aus <strong>die</strong>ser Publikation<br />
angefertigt, reproduziert, archiviert oder <strong>über</strong>mittelt werden, auch nicht elektronisch, als Fotokopie, mechanisch oder mit anderen Mitteln.<br />
DEUTSCHE AUSGABE<br />
Übersetzung: Klaus Birker, Ahrweiler<br />
Angela Großmann, Bonn<br />
Christina Kamp, Bonn<br />
Gabriele Lassen-Mock, New York<br />
Redaktion: Marlene Klein, Ulrich Keller<br />
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für <strong>die</strong><br />
Vereinten Nationen e.V. (DGVN) Berlin © <strong>2003</strong><br />
Satz und Druck: Druckpartner Moser Druck + Verlag GmbH, Rheinbach<br />
Vertrieb und Verlag: UNO-Verlag<br />
Vertriebs- und Verlags-GmbH<br />
Am Hofgarten 10 · D-53113 Bonn<br />
Telefon: (0228) 94902-0 · Telefax: (0228) 94902-22<br />
E-Mail: info@uno-verlag.de<br />
Internet: www.uno-verlag.de
Kernteam<br />
Silva Bonacito, Emmanuel Boudard, Carla De Gregorio,<br />
Haishan Fu (Leitung Statistik), Claes Johansson, Christopher<br />
Kuonqui, Santosh Mehrotra, Tanni Mukhopadhyay, Omar<br />
Noman (Stellvertr. Direktor), Stefano Pettinato, David Stewart,<br />
Aisha Talib, Nena Terrell und Emily White<br />
Hauptberater<br />
Nancy Birdsall, Fernando Calderón, Isidoro P. David, Angus<br />
Deaton, Diane Elson, Richard Jolly, James Manor, Ann Pettifor,<br />
Sanjay Reddy und Frances Stewart<br />
Berater für Statistik: Tom Griffin<br />
Redaktion: Charis Gresser und Bruce Ross-Larson<br />
Design: Gerald Quinn<br />
TEAM FÜR DIE AUSARBEITUNG DES<br />
Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung <strong>2003</strong><br />
Direktorin und leitende Herausgeberin<br />
Sakiko Fukuda-Parr<br />
Sonderberaterin Gastautor und -herausgeber<br />
Nancy Birdsall Jeffrey Sachs<br />
Das Autorenteam konnte sich auf <strong>die</strong> enge Zusammenarbeit<br />
mit dem Team des Millennium-Projekts stützen<br />
John McArthur (Manager), Chandrika Bahadur, Michael Faye,<br />
Margaret Kruk, Guido Schmidt-Traub und Thomas Snow<br />
Arbeitsgruppe für das Millenniums-Projekt:<br />
Koordination und Hauptbeiträge<br />
Jhoney Barcarolo, Nancy Birdsall, Kwesi Botchwey,<br />
Mushtaque Chowdhury, Prarthna Dayal, Lynn Freedman,<br />
Pietro Garau, Caren Grown, Amina Ibrahim, Calestous Juma,<br />
Yolanda Kakabadse Navarro, Alec Irwin, Zahia Khan, Jim<br />
Kim, Yee-Cheong Lee, Roberto Lenton, Ruth Levine, Don<br />
Melnick, Patrick Messerlin, Eva Ombaka, Joan Paluzzi, Mari<br />
Pangestu, Geeta Rao Gupta, Allan Rosenfield, Josh Ruxin,<br />
Pedro Sanchez, Sara Scherr, Elliott Sclar, Burton Singer, Smita<br />
Srinivas, M.S. Swaminathan, Paulo Teixeira, Awash<br />
Teklahaimanot, Ron Waldman, Paul Wilson, Meg Wirth,<br />
Albert Wright und Ernesto Zedillo
Vorwort<br />
In <strong>die</strong>sem Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
geht es um eine ganz einfache Idee, deren Zeit<br />
nun gekommen ist: <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
Diese acht Ziele, <strong>die</strong> von der Halbierung der<br />
extremen Armut <strong>über</strong> <strong>die</strong> Eindämmung von<br />
HIV/AIDS bis zur Sicherung des Grundschulbesuchs<br />
aller Jungen und Mädchen auf der ganzen<br />
Welt bis zum Jahr 2015 reichen, gingen aus der historischen<br />
Millenniums-Erklärung hervor, <strong>die</strong> im<br />
September 2000 auf dem Millenniums-Gipfel der<br />
Vereinten Nationen von 189 Ländern verabschiedet<br />
wurde. Und sie sind im Begriff, <strong>die</strong> Entwicklung<br />
zu verändern. Regierungen, Hilfsorganisationen<br />
und Organisationen der Zivilgesellschaft <strong>über</strong>all<br />
auf der Welt richten ihre jeweilige Arbeit auf <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele neu aus.<br />
Aber trotz <strong>die</strong>ser begrüßenswerten Grundsatzverpflichtung<br />
auf <strong>die</strong> Verminderung der Armut<br />
und auf Fortschritte in anderen Bereichen der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung ist <strong>die</strong> Welt mit der<br />
praktischen Umsetzung bereits im Rückstand, wie<br />
<strong>die</strong>ser Bericht ganz deutlich zeigt. Bei einigen Zielen<br />
sind wir global gesehen weitgehend auf Kurs.<br />
Aber eine Aufschlüsselung der Fortschritte nach<br />
Regionen und Ländern und auch innerhalb von<br />
Ländern macht deutlich, dass noch ein gewaltiger<br />
Berg an Arbeit vor uns liegt. Über 50 Staaten sind<br />
im letzten Jahrzehnt ärmer geworden. Viele von ihnen<br />
erleben einen drastischen Rückgang der Lebenserwartung,<br />
verursacht durch HIV/AIDS. Einige<br />
der Staaten mit den schlechtesten Ergebnissen –<br />
häufig solche, in denen Konflikte herrschen – verzeichnen<br />
einen Rückgang des Schulbesuchs und<br />
des Zugangs zur gesundheitlichen Grundversorgung.<br />
Und fast <strong>über</strong>all nehmen Umweltschäden zu.<br />
Im Hauptteil <strong>die</strong>ses Berichts geht es darum,<br />
festzustellen, wo <strong>die</strong> größten Probleme liegen; zu<br />
analysieren, was getan werden muss, um <strong>die</strong>se<br />
Rückschläge wieder wettzumachen, und konkrete<br />
Verschläge dafür anzubieten, wie <strong>die</strong> Fortschritte<br />
<strong>über</strong>all beschleunigt werden können, um alle Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu verwirklichen. Dabei<br />
liefert er ein <strong>über</strong>zeugendes Argument dafür,<br />
warum selbst in den ärmsten Ländern noch Hoffnung<br />
besteht, dass <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können.<br />
Aber auch wenn <strong>die</strong> Ziele einen neuen Rahmen<br />
für <strong>die</strong> Entwicklung schaffen, der Ergebnisse<br />
einfordert und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht erhöht,<br />
sind sie doch kein programmatisches Instrument.<br />
Der politische Wille und <strong>die</strong> guten politischen<br />
Ideen, <strong>die</strong> jeden Versuch der Verwirklichung der<br />
Entwicklungsziele untermauern, können nur dann<br />
etwas bewirken, wenn sie in eine von jedem Staat<br />
selbst getragene und gesteuerte Entwicklungsstrategie<br />
umgesetzt werden, <strong>die</strong> auf einer soliden wissenschaftlichen<br />
Grundlage steht und sich an den<br />
Leitlinien einer guten Wirtschaftsführung sowie einer<br />
transparenten, rechenschaftspflichtigen Regierungs-<br />
und Verwaltungsführung orientiert.<br />
Deshalb schlägt <strong>die</strong>ser Bericht einen Millenniums-Entwicklungspakt<br />
vor. Aufbauend auf der<br />
Verpflichtung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Führer der Welt im Jahr<br />
2002 auf der Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />
in Monterrey (Mexiko) eingegangen sind,<br />
"eine neue Partnerschaft zwischen entwickelten<br />
und Entwicklungsländern" zu schaffen, <strong>die</strong> klar auf<br />
<strong>die</strong> Umsetzung der Millenniums-Erklärung ausgerichtet<br />
ist, bietet <strong>die</strong>ser Pakt einen breiten Rahmen<br />
dafür, nationale Entwicklungsstrategien und internationale<br />
Unterstützung durch Geber, internationale<br />
Organisationen und andere besser auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
auszurichten und dem<br />
Ausmaß ihrer Herausforderungen anzupassen.<br />
Auch weist der Pakt ganz deutlich beiden Seiten<br />
Verantwortung zu: indem er von den armen Ländern<br />
kühne Reformen verlangt und indem er <strong>die</strong><br />
Geberländer dazu verpflichtet, sich klar zur Unterstützung<br />
<strong>die</strong>ser Anstrengungen zu bekennen.<br />
Das Ziel dabei ist nicht, eine weitere neue Vision<br />
oder ein Universalrezept für <strong>die</strong> Probleme der<br />
Entwicklungsländer vorzuschlagen; davon sind in<br />
V
VI<br />
den letzten fünfzig Jahren schon viel zu viele auf<br />
der Strecke geblieben. Der Pakt versucht vielmehr,<br />
Schlüsselbereiche für Interventionen aufzuzeigen –<br />
von demokratischer Staatsführung <strong>über</strong> wirtschaftliche<br />
Stabilität bis zu Maßnahmen im Gesundheitsund<br />
Bildungsbereich, an denen sich <strong>die</strong> nationalen<br />
Anstrengungen und <strong>die</strong> internationale Unterstützung<br />
für <strong>die</strong> Ziele orientieren können. In Ländern<br />
mit mittlerem Einkommen sollten <strong>die</strong>se in den regulären<br />
Haushaltsprozess und in <strong>die</strong> langfristigen<br />
Entwicklungsstrategien eingebunden werden. In<br />
den ärmsten Ländern sind <strong>die</strong> Strategiedokumente<br />
zur Armutsbekämpfung wahrscheinlich <strong>die</strong> am besten<br />
geeigneten Instrumente. Es geht nicht darum,<br />
etwas Neues einzuführen oder <strong>über</strong>lasteten Regierungen<br />
noch eine weitere Last aufzubürden. Es<br />
werden vielmehr konkrete Ideen angeboten, wie sichergestellt<br />
werden kann, dass den schönen Worten<br />
der Millenniums-Erklärung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armut<br />
ganz oben auf <strong>die</strong> globale Agenda setzte, reale, von<br />
den Ländern selbst getragene Aktionspläne folgen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Worte in <strong>die</strong> Wirklichkeit umsetzen.<br />
Für einen solchen Ansatz gibt es durchaus gute<br />
technokratische Gründe. Wie <strong>die</strong>ser Bericht deutlich<br />
macht, unterstützen <strong>die</strong> Ziele nicht nur <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung, sie sind auch mit der<br />
entsprechenden Politik und ausreichenden Ressourcen<br />
zu verwirklichen. Aber <strong>die</strong> eigentliche<br />
Macht der Millenniums-Entwicklungsziele liegt im<br />
politischen Bereich. Sie sind <strong>die</strong> erste globale Entwicklungsvision,<br />
bei der eine globale politische Unterstützung<br />
mit einer klaren Ausrichtung auf <strong>die</strong><br />
Armen der Welt und auf <strong>die</strong> Mittel, sich für sie zu<br />
engagieren, verbunden wird.<br />
Arme Menschen sorgen sich um ihr Einkommensniveau.<br />
Arme Menschen sorgen sich darum,<br />
ob ihre Kinder zur Schule gehen können oder<br />
nicht. Arme Menschen sorgen sich darum, ob ihre<br />
Töchter beim Bildungszugang diskriminiert werden.<br />
Arme Menschen machen sich große Sorgen<br />
<strong>über</strong> Pandemien und Infektionskrankheiten wie<br />
HIV/AIDS, <strong>die</strong> im heutigen Afrika <strong>die</strong> Bevölkerung<br />
dezimieren. Und arme Menschen sorgen sich<br />
sehr um ihre Umwelt und darum, ob sie Zugang zu<br />
sauberem Wasser und Sanitärversorgung haben.<br />
Heute, in einer Ära der sich <strong>über</strong>all in der Entwicklungswelt<br />
ausbreitenden Demokratie, können <strong>die</strong><br />
Armen endlich mehr tun als sich nur sorgen.<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele sind in einem<br />
sehr realen Sinn ein Entwicklungsmanifest für<br />
<strong>die</strong> normalen Bürger der ganzen Welt: mit Fristen<br />
versehene, messbare, sozusagen im Taschenformat<br />
vorliegende Ziele, <strong>die</strong> sie unmittelbar verstehen<br />
können. Noch wichtiger ist jedoch, dass <strong>die</strong>se Bürger<br />
– wenn sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> entsprechenden Daten verfügen<br />
– von ihrer eigenen Regierung und der internationalen<br />
Gemeinschaft Rechenschaft <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Verwirklichung der Ziele verlangen können.<br />
Dies ist wichtig: Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
konzentriert sich hauptsächlich auf <strong>die</strong><br />
ersten sieben Ziele und ihre Anwendung auf <strong>die</strong><br />
Entwicklungsländer. Ohne an <strong>die</strong>ser Stelle zu <strong>über</strong>treiben,<br />
hängt jedoch der Erfolg oder Fehlschlag<br />
der neuen globalen Partnerschaft, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Welt dabei<br />
ist aufzubauen, von der Erreichung des achten<br />
Ziels ab. Dieses Ziel enthält <strong>die</strong> Verpflichtung der<br />
reichen Länder, den ärmeren zu helfen, <strong>die</strong> in gutem<br />
Glauben wirtschaftliche, politische und soziale<br />
Reformen unternehmen.<br />
Eine der entscheidenden Schlussfolgerungen<br />
<strong>die</strong>ses Berichts lautet, dass <strong>die</strong> Neuaufteilung und<br />
breitere Mobilisierung innerstaatlicher Ressourcen<br />
für <strong>die</strong> mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
zusammenhängenden Zielvorgaben, wie <strong>die</strong> Stärkung<br />
der Staats- und Regierungsführung und Institutionen<br />
sowie <strong>die</strong> Verfolgung einer soliden Sozialund<br />
Wirtschaftspolitik, zwar durchaus für <strong>die</strong> Erreichung<br />
der Ziele notwendig sind, dass all <strong>die</strong>s jedoch<br />
bei weitem nicht ausreicht. Der Bericht enthält<br />
zahlreiche Beispiele von Ländern, <strong>die</strong> vorbildliche<br />
Reformen durchführen, aber dennoch bisher<br />
kein starkes Wachstum erzielen konnten, weil geografische<br />
Isolierung, schwierige Umweltbedingungen<br />
oder andere Nachteile bedeuten, dass sie von<br />
langfristiger Unterstützung aus dem Ausland, weit<br />
<strong>über</strong> das gegenwärtige Niveau hinaus, abhängig<br />
sind, um ihre Entwicklung voranzubringen.<br />
Längerfristige Initiativen zur Halbierung des<br />
Hungers und der Armut werden scheitern, wenn es<br />
nicht zu einer grundlegenden Umstrukturierung<br />
des globalen Handelssystems kommt, vor allem in<br />
der Landwirtschaft. Dazu gehört, dass <strong>die</strong> reichen<br />
Länder Subventionen abbauen, Zölle senken und<br />
gleiche Ausgangsbedingungen für alle schaffen.<br />
Der Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und andere<br />
Krankheiten kann ohne eine wirksame Versorgung<br />
der armen Länder mit erschwinglichen, lebensnotwendigen<br />
Medikamenten nicht gewonnen werden.<br />
Eine stabile, langfristige Haushaltsplanung ist für<br />
einige der ärmsten Länder unmöglich ohne einen
systematischeren, dauerhaften Schuldenabbau.<br />
Und schließlich und endlich ist es wichtig, sich daran<br />
zu erinnern, dass <strong>die</strong> anvisierten zusätzlichen 50<br />
Milliarden Dollar jährlich an Entwicklungshilfe zur<br />
Erreichung der Ziele ein Minimum sind und von<br />
der Annahme ausgehen, dass eine groß angelegte<br />
Neuverteilung der innerstaatlichen Ressourcen und<br />
anderer Finanzquellen erreicht und der Zugang zu<br />
ihnen verbessert wird.<br />
Wenn <strong>die</strong> grundlegende Vision der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
als Mittel für <strong>die</strong> bessere<br />
Bewältigung der Globalisierung im Namen der Armen<br />
verwirklicht werden soll, dann müssen <strong>die</strong> Ziele<br />
als ein Gesamtpaket gesehen werden. Es ist ein<br />
Paket, das ungeahnte Aussichten für <strong>die</strong> Verbesserung<br />
der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung auf der ganzen<br />
Welt eröffnet und ein Versprechen enthält, dessen<br />
Einhaltung jedes Land der Welt bereits zugesagt<br />
hat. Die Herausforderung besteht nun darin, <strong>die</strong><br />
Länder zur Erfüllung <strong>die</strong>ses Versprechens anzuhalten<br />
und ihnen bei der Erreichung der Ziele behilflich<br />
zu sein.<br />
Jeder Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
ist ein Gemeinschaftswerk, das sich auf <strong>die</strong><br />
Hilfe und das Fachwissen nicht nur eines engagierten<br />
Kernteams, sondern eines breiten Kreises von<br />
Freunden und Beratern stützt. In <strong>die</strong>sem Jahr war<br />
<strong>die</strong>ser Personenkreis noch umfangreicher als sonst,<br />
denn das Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />
Nationen (United Nations Development Programme<br />
– UNDP) konnte sich auf <strong>die</strong> Vorarbeiten<br />
für das Millenniums-Projekt der Vereinten Nationen<br />
stützten, ein Netzwerk von <strong>über</strong> 300 Politikern,<br />
Praktikern und Experten aus der ganzen<br />
Welt, <strong>die</strong> ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Energie in<br />
ein auf drei Jahre angelegtes Projekt einbringen,<br />
um vielversprechende neue Strategien auszuarbeiten,<br />
<strong>die</strong> den Ländern helfen sollen, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen.<br />
Wie <strong>die</strong> früheren Berichte ist auch <strong>die</strong>ser eine<br />
unabhängige Analyse, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Debatte <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung voranbringen will, und<br />
nicht eine formelle Darstellung der Politik der Vereinten<br />
Nationen oder des UNDP. Dessen ungeachtet<br />
sind wir der Meinung, dass der Bericht, der <strong>die</strong><br />
zentralen Entwicklungshindernisse und –chancen<br />
der nächsten Dekade umreißt, mithilft, eine ehrgeizige<br />
Agenda für das UNDP und unsere Entwicklungspartner<br />
für <strong>die</strong> vor uns liegenden Monate und<br />
Jahre aufzustellen.<br />
Mark Malloch Brown<br />
UNDP-Administrator<br />
Die Analysen und politischen Empfehlungen <strong>die</strong>ses Berichts geben nicht unbedingt <strong>die</strong> Ansichten des Entwicklungsprogramms der<br />
Vereinten Nationen, seines Exekutivrats oder seiner Mitgliedstaaten wieder. Der Bericht ist eine unabhängige Publikation im Auftrag<br />
des UNDP. Er ist das Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen einem Team hervorragender Berater und dem Team des<br />
Berichts <strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung. Sie wurde geleitet von Sakiko Fukuda-Parr, der Direktorin des UNDP-Büros für den Bericht<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />
VII
Danksagungen<br />
Dieser Bericht wäre ohne <strong>die</strong> großzügigen<br />
Beiträge vieler Personen und Organisationen<br />
nicht möglich gewesen.<br />
Das Team ist besonders dankbar für <strong>die</strong><br />
enge Zusammenarbeit mit der Millenniums-<br />
Kampagne unter der Leitung von Eveline<br />
Herfkens, dem von Jeffrey Sachs geleiteten<br />
Millenniums-Projekt und der Initiative für<br />
Länder<strong>bericht</strong>e zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
(MEZ), <strong>die</strong> unter der Leitung von<br />
Jan Vandemoortele steht.<br />
BEITRÄGE<br />
Die für den Bericht in Auftrag gegebenen Hintergrundstu<strong>die</strong>n<br />
wurden erstellt von Nancy<br />
Birdsall und Michael Clemens, Fernando<br />
Caldéron und Christopher Pinc, Isidoro P.<br />
David, Angus Deaton, Richard Jolly, James<br />
Manor, Ann Pettifor und Romilly Greenhill,<br />
Sanjay Reddy und Camelia Miniou, und Frances<br />
Stewart.<br />
Zu ausgewählten Themen wurden<br />
Länderstu<strong>die</strong>n für den Bericht in Auftrag gegeben.<br />
Sie wurden erstellt von Halis Akder,<br />
Gustavo Arriola, Prosper Backiny-Yetna,<br />
Nirupam Bajpay, Edgar Balsells, Shuming<br />
Bao, Siaka Coulibaly, Michael Faye, Juan<br />
Alberto Fuentes, Ricardo Fuentes, Carlos<br />
Alonso Malaver, John McArthur, Rosane<br />
Mendonça, Solita T. Monsod, Toby T.<br />
Monsod, Andrés Montes, Marc Raffinot,<br />
Lucía Mina Rosero, Jeffrey Sachs, Alfredo<br />
Sarmiento, Thomas Snow, Irena Topinska,<br />
Sandra Álvarez Toro, Wing Woo und Natalia<br />
Zubarevich.<br />
Der Bericht konnte auch auf <strong>die</strong> Forschungsergebnisse<br />
der Arbeitsgruppenmitglieder<br />
des Millenniums-Projektes zurückgreifen,<br />
<strong>die</strong> unter http://www.unmillennium-<br />
project.org/html/task_force.shtm zu finden<br />
sind.<br />
Die Gruppe für Ökologisch nachhaltige<br />
Entwicklung des UNDP-Büros für Entwicklungspolitik<br />
lieferte Sonderbeiträge zum Umweltkapitel,<br />
insbesondere Peter Hazelwood,<br />
Susan McDade, Charles McNeill, Alvaro Umana<br />
und Jake Werksman, zusammen mit Redakteurin<br />
Karen Holmes.<br />
Verschiedene Organisationen haben in<br />
großzügiger Weise ihre Datenreihen und anderes<br />
Forschungsmaterial zur Verfügung gestellt:<br />
Carbon Dioxide Information Analysis<br />
Center, Center for International Comparisons<br />
(Universität von Pennsylvania), Ernährungsund<br />
Landwirtschaftsorganisation, Internationales<br />
Institut für strategische Stu<strong>die</strong>n, Interparlamentarische<br />
Union, Internationale Arbeitsorganisation,<br />
Internationale Fernmeldeunion,<br />
Gemeinsames HIV/AIDS-Programm<br />
der Vereinten Nationen, Luxembourg<br />
Income Study, Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung, Statistics<br />
Canada, Internationales Friedensforschungsinstitut<br />
Stockholm, Sektion Verträge<br />
des Bereichs Rechtsangelegenheiten der Vereinten<br />
Nationen, Kinderhilfswerk der Vereinten<br />
Nationen, Handels- und Entwicklungskonferenz<br />
der Vereinten Nationen, Hauptabteilung<br />
der Vereinten Nationen für wirtschaftliche<br />
und soziale Angelegenheiten, Institut für<br />
Statistik der Organisation der Vereinten Nationen<br />
für Bildung, Wissenschaft und Kultur,<br />
Umweltprogramm der Vereinten Nationen,<br />
Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für<br />
Menschenrechte, Hoher Flüchtlingskommissar<br />
der Vereinten Nationen, Programm der<br />
Vereinten Nationen für <strong>menschliche</strong> Siedlungen,<br />
Interregionales Forschungsinstitut der<br />
Vereinten Nationen für Kriminalität und<br />
IX
X<br />
Rechtspflege, Bevölkerungsabteilung der Vereinten<br />
Nationen, Bevölkerungsfonds der Vereinten<br />
Nationen, Statistikabteilung der Vereinten<br />
Nationen, Weltbank, Weltgesundheitsorganisation,<br />
Weltorganisation für geistiges<br />
Eigentum und Welthandelsorganisation.<br />
Im zweiten Kapitel konnte auf <strong>die</strong> Länderkarten<br />
des Center for International Earth<br />
Science Information Network (CIESIN)<br />
zurückgegriffen werden. Besonders auf <strong>die</strong><br />
Arbeit von Deborah Balk, Gregory Booma,<br />
Melanie Brickman und Marc Levy.<br />
BERATUNGSGREMIEN<br />
Eine wichtige Unterstützung bei der Erstellung<br />
des Berichts war <strong>die</strong> intellektuelle Hilfestellung<br />
und Beratung durch eine externes<br />
Gremium namhafter Experten. Dazu gehörten<br />
Sudhir Anand, Per Pinstrup Anderson,<br />
Peggy Antrobus, Roberto Bissio, Shahid Javed<br />
Burki, Angus Deaton, Geoffrey Heal, Ellen<br />
t’Hoen, Danuta Hübner, Nicolas Imboden,<br />
Richard Jolly, K.S. Jomo, Stephen Lewis, Nora<br />
Lustig, James Manor, Solita Monsod, Emmanuel<br />
Tumisimi Mutebile, Ann Pettifor, Surin<br />
Pitsuwan, Jorge F. Quiroga, Steve Radelet,<br />
Gustav Ranis, Kate Raworth, Sanjay Reddy,<br />
Mary Robinson, Iyer Saradha, Arjun Sengupta,<br />
George Soros, Frances Stewart, Joseph<br />
Stiglitz, Paul Streeten, Miguel Szekely, Robert<br />
Wade und Ngaire Woods. An einem Beratungsgremium<br />
für Statistik wirkten mit: Sudhir<br />
Anand, Paul Cheung, Willem DeVries, Lamine<br />
Diop, Carmen Feijo, Andrew Flatt, Paolo<br />
Garonna, Robert Johnston, Irena Krizman,<br />
Nora Lustig, Ian Macre<strong>die</strong>, Marion McEwin,<br />
Wolf Scott, Tim Smeeding und Michael Ward.<br />
KONSULTATIONEN<br />
Viele Personen, <strong>die</strong> während der Ausarbeitung<br />
des Berichts konsultiert wurden, lieferten<br />
wertvolle Hinweise, Informationen und Materialien.<br />
Das Team dankt Carla Abouzahr, Masood<br />
Ahmed, Claude Akpabie, Diana Alkaron,<br />
Sahin Alpay, Philip Alston, Brian Ames,<br />
Shaida Ba<strong>die</strong>e, Christian Barry, Grace Bediako,<br />
Misha Belkindas, Julia Benn, Anna Betran,<br />
Surjit Bhalla, Yonas Biru, Ties Boerma, Virgi-<br />
nia Braunstein, Heinrich Brüngger, Edelisa<br />
Carandang, Gabriella Carolini, Marion Cheatle,<br />
Nicholas Chipperfield, David Cieslikowski,<br />
Patrick Cornu, Andrew Creese, Gloria Cuaycong,<br />
Sufian Daghra, Alberto Pedro D'Alotto,<br />
Shantayanan Devarajan, Volodymyr Demkine,<br />
Michael Doyle, Elizabeth Drake, Jean Drèze,<br />
Marta Gacic-Dobo, Graham Eele, Simon Ellis,<br />
Kareen Fabre, Neil Fantom, Shahrokh Fardoust,<br />
Kayode Fayemi, Karen Fogg, Phillip<br />
Fox, Gourishankar Ghosh, Alexandre Goubarev,<br />
Stefanie Grant, Isabelle Guillet, Emmanuel<br />
Guindon, Messaoud Hammouya, Sufian<br />
Abu Harb, Ines Havet, Eveline Herfkens,<br />
Harvey Herr, Nadia Hijab, John Hilary, Masako<br />
Hiraga, Karen Holmes, John Hough, Béla<br />
Hovy, José Augusto Hueb, Roslyn Jackson,<br />
Daniel Janzen, Jens Johansen, Lawrence Jeff<br />
Johnson, Robert Johnston, Karen Judd, Kei<br />
Kawabata, Taro Komatsu, Eline L. Korenromp,<br />
Aki Kuwahara, Olivier Labe, Mark Lattimer,<br />
Henri Laurencin, Sophia Lawrence,<br />
Haeduck Lee, Richard Leete, Corinne Lennox,<br />
Denise Lievesley, Rolf Luyendijk, Nyein<br />
Nyein Lwin, Doug Lynd, Esperanza C. Magpantay,<br />
Mary Mahy, Kamal Malhotra, Stephen<br />
Marks, Gordon McCord, Jeff McNeely, Pratibha<br />
Mehta, José Antonio Mejia, Clare Menozzi,<br />
Jorge Mernies, Camelia Minouiu, Franco<br />
Modigliani, Roland Monasch, Sufian Mushasha,<br />
Maryann Neill, Aimée Nichols, Ann Orr,<br />
Jude Padyachy, François Pelletier, Francesca<br />
Perucci, Rudolphe Petras, Marina Ponti, William<br />
Prince, Agnes Puymoyen, Tatiana Rosito,<br />
William Ryan, Sudhir Shetty, Antoine Simonpietri,<br />
Anuja Singh, Armin Sirco, Anatoly<br />
Smyshlyaev, Abigail Spring, Petter Stålenheim,<br />
Eric Swanson, Sirageldin Suliman, Minoru<br />
Takada, Gordon Telesford, Javier Teran,<br />
Benedicte Terryn, Nyi Nyi Thaung, Michel<br />
Thieren, Irene Tinker, Zineb Touimi-Benjelloun,<br />
Pierre Varly, Neff Walker, Tessa Wardlaw,<br />
Catherine Watt, Simon Wezemon, Caitlin<br />
Wiesen, Robertson Work, Nuri Yildirim, A.<br />
Sylvester Young, Zohra Yusuf, Elizabeth Zaniewski<br />
und Hania Zlotnik.<br />
In MEZ-Workshops in Dhaka, Bangladesh<br />
und in Bratislava, Slowakei fanden Konsultationen<br />
mit verschiedenen Gruppen statt.<br />
Weitere Konsultationen mit Gruppen der Zi-
vilgesellschaft wurden auf dem Weltsozialforum<br />
in Porto Alegre sowie während der Podiumsdiskussionen<br />
auf dem Asiatischen Sozialforum<br />
in Hyderabad abgehalten. Das Team<br />
dankt insbesondere Roberto Bissio, Marina<br />
Ponti und Caitlin Wiesin für ihre Hilfe bei <strong>die</strong>sen<br />
Konsultationen.<br />
Informelle Konsultationen <strong>über</strong> statistische<br />
Fragen lieferten dem Team hilfreiche<br />
Kommentare und Vorschläge. Das Statistik-<br />
Team dankt Simon Ellis, Brian Hammond,<br />
Robert Johnston, Gareth Jones, Denise Lievesley,<br />
Laila Manji, Robert Mayo, Abdelhay<br />
Mechbal, Sulekha Patel, Francesca Perucci,<br />
José Pessoa, Eric Swanson, Michel Thieren,<br />
Abiodun Williams und A. Sylvester Young.<br />
Das Team führte auch mehrfach informelle<br />
Konsultationen mit dem Exekutivrat des<br />
UNDP und mit Mitgliedern des Programms.<br />
TEXTDURCHSICHT UND BERATUNG DURCH<br />
UNDP-MITARBEITER<br />
Eine Gruppe von UNDP-Kollegen lieferte<br />
während der Ausarbeitung des Berichts<br />
außerordentlich nützliche Kommentare, Vorschläge<br />
und Beiträge. Besonders bedanken<br />
möchte sich das Team des Berichts bei Anne-<br />
Birgitte Albrectsen, Zéphrin Diabre, Djibril<br />
Diallo, Moez Doraid, Enrique Ganuza,<br />
Ameerah Haq, Nicola Harrington, Rima Khalaf<br />
Hunaidi, Selim Jahan, Zahir Jamal, Abdoulie<br />
Janneh, Bruce Jenks, Deborah Landey,<br />
Khalid Malik, Elena Martinez, Kalman Miszei,<br />
Shoji Nishimoto, Hafiz Pasha, Monica Sharma,<br />
Mark Suzman, Julia Taft, Alvaro Umana,<br />
Jan Vandemoortele, Gita Welch und Jake<br />
Werksman.<br />
UNTERSTÜTZUNG DURCH MITARBEITER<br />
Administrative Unterstützung für <strong>die</strong> Ausarbeitung<br />
des Berichts leisteten Oscar Bernal, Renuka<br />
Corea-Lloyd, Mamaye Gebretsadik, Maria<br />
Leon, Myriame Montrose und Bhagirathi<br />
Savage. Weitere Kollegen aus dem UNDP-<br />
Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung lieferten wertvolle Beiträge: Sarah<br />
Burd-Sharps, Ana Cutter, Carolina Den Baas,<br />
Sharmila Kurukulasuriya, Juan Pablo Mejia,<br />
Mary Ann Mwangi und Frédéric Teboul. Eine<br />
große Hilfe bei der Erstellung des Berichts war<br />
auch <strong>die</strong> unermüdliche Arbeit von Praktikanten:<br />
Nicola Baroncini, Bethany Donithorn, Abdoulie<br />
Abrar Janneh, Barcai M. Karim, Alia<br />
Malik, Julia Wanjiru Schwarz, Wilatluk Sinswat<br />
und Lara Weisstaub. Nebi Ayele, Gilberto<br />
de Jesus und Stephanie Meade lieferten dem<br />
Statistik-Team wertvolle Beiträge.<br />
Unverzichtbare organisatorische und administrative<br />
Unterstützung leisteten Jennifer<br />
Copeland vom Millenniums-Projekt, Debbie<br />
Creque, Dan Nienhauser und Martha Synnott<br />
vom Earth Institute der Columbia University,<br />
und Rana Barar, Lisa Dreier, Evelyn Luciano,<br />
Alissa Schmelz, Brian Torpy, Christie Walkuski<br />
und Haynie Wheeler, <strong>die</strong> mit den Arbeitsgruppen<br />
des Millenniums-Projekts zusammenarbeiten.<br />
Liliana Izquierdo, Juan Luís Larrabure,<br />
Natalia Palgova und Gerardo Nuñez vom<br />
Büro der Vereinten Nationen für Projekt<strong>die</strong>nste<br />
leisteten wichtige administrative Unterstützung<br />
und Management<strong>die</strong>nste.<br />
REDAKTION, HERSTELLUNG UND<br />
ÜBERSETZUNG<br />
Die Redaktion des Berichts besorgte wie in<br />
früheren Jahren Communications Development<br />
Incorporated mit Meta de Coquereaumont,<br />
Paul Holtz, Elizabeth McCrocklin, Bruce<br />
Ross-Larson und Alison Strong. Das Design<br />
stammt von Gerald Quinn, das Layout von<br />
Elaine Wilson und Wendy Guyette.<br />
Eine große Hilfe für das Erscheinen des<br />
Berichts war <strong>die</strong> Arbeit aus dem Kommunikationsbüro<br />
des UNDP-Administrators Reunala in<br />
den Bereichen Übersetzung, Design und Verteilung,<br />
besonders von Maureen Lynch, William<br />
Orme, Hilda Paqui, Pia Reunala und Erin<br />
Trowbridge. Die Durchsicht der Übersetzungen<br />
<strong>über</strong>nahmen Alia Al-Dalli, Jean Barut,<br />
Ghaith Faliz, Enrique Ganuza, Yolaine Michaud,<br />
Cielo Morales und Vladimir Scherbov.<br />
* * *<br />
Das Team spricht Richard Jolly, Solita Monsod<br />
und Jorge F. Quiroga, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entwürfe<br />
XI
XII<br />
sorgfältig durchsahen und ihre neuesten Forschungsarbeiten<br />
und Erkenntnisse einbrachten,<br />
seine aufrichtige Anerkennung aus. Das<br />
Team ist auch Ian Macre<strong>die</strong>, Lene Mikkelsen<br />
und Darryl Rhoades, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Statistiken <strong>über</strong>prüften,<br />
sehr dankbar. Sie sahen <strong>die</strong> im Bericht<br />
verwendeten Daten genau durch und<br />
brachten ihr statistisches Fachwissen zum Einsatz.<br />
Schließlich möchten sich <strong>die</strong> Autoren besonders<br />
herzlich bei Mark Malloch Brown,<br />
dem UNDP-Administrator, für seine Füh-<br />
rungsrolle und seine visionäre Sicht bedanken.<br />
Die Autoren sind dankbar für all <strong>die</strong> Unterstützung,<br />
<strong>die</strong> sie erhalten haben, <strong>über</strong>nehmen<br />
jedoch <strong>die</strong> volle Verantwortung für alle in <strong>die</strong>sem<br />
Bericht geäußerten Meinungen.<br />
Sakiko Fukuda-Parr<br />
Direktorin<br />
Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung <strong>2003</strong>
Inhalt<br />
ÜBERBLICK Die Millenniums-Entwicklungsziele: Ein Pakt zwischen Nationen zur Beseitigung<br />
<strong>menschliche</strong>r Armut 1<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt 19<br />
Länder, <strong>die</strong> zurückbleiben, müssen Priorität bekommen 20<br />
Mindeststandards, um der Armutsfalle zu entkommen 22<br />
Politische Maßnahmenbündel, um der Armutsfalle zu entkommen 23<br />
Die Umsetzung des Millenniums-Entwicklungspakt 26<br />
Fazit 32<br />
KAPITEL 1 Die Millenniums-Entwicklungsziele 33<br />
Eine Agenda zur Beschleunigung <strong>menschliche</strong>r Entwicklung 33<br />
Ursprung, Entwicklung und Weiterverfolgung 35<br />
Machen globale Ziele einen Unterschied? 36<br />
Entgegnungen an <strong>die</strong> Kritiker 36<br />
Globale Ziele müssen in der Verantwortung der einzelnen Ländern liegen 38<br />
KAPITEL 2 Die größten Herausforderungen zur Erreichung der Ziele 41<br />
Krasse Unterschiede zwischen und innerhalb von Regionen 43<br />
Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung in den 1990er Jahren 50<br />
Anstrengungen, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen 54<br />
Gutes Abschneiden einiger der ärmsten Länder 57<br />
Wachsende Unterschiede innerhalb einzelner Länder: Wer bleibt auf der Strecke? 58<br />
KAPITEL 3 Strukturbedingte Wachstumshindernisse <strong>über</strong>winden, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen 79<br />
Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu wirtschaftlichem Wachstum – und zurück 81<br />
Neuere Muster – und Probleme – des Weltwirtschaftswachstums 83<br />
Strukturprobleme auf Grund ungünstiger Geografie, kleiner Märkte und hoher Handelskosten 85<br />
Gute politische Maßnahmen, wirtschaftliches Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung 88<br />
Schwache politische Maßnahmen, wirtschaftlicher Niedergang und Armut 90<br />
Den Armutsfallen entkommen 91<br />
Wachstum zu Gunsten armer Menschen 94<br />
KAPITEL 4 Politische Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und Bildung der Bevölkerung 103<br />
Wie kann das Ziel der Reduzierung des Hungers erreicht werden? 106<br />
Wie können <strong>die</strong> Bildungsziele erreicht werden? 113<br />
XIII
Wie können <strong>die</strong> Ziele im Gesundheitsbereich erreicht werden? 119<br />
Wie können <strong>die</strong> Ziele im Bereich Wasser und sanitäre Versorgung erreicht werden? 127<br />
Übergreifende Prioritäten 133<br />
KAPITEL 5 Private Finanzierung und Bereitstellung von Gesundheit, Bildung und Wasser 137<br />
Warum hat <strong>die</strong> Bereitstellung durch private Versorger in den armen Ländern zugenommen? 138<br />
Gesundheit 139<br />
Bildung 142<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung 143<br />
Vielversprechende Ansätze 146<br />
KAPITEL 6 Staatliche Maßnahmen zur Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit 153<br />
Umweltressourcen 156<br />
Reaktionen der Politik 157<br />
KAPITEL 7 Unterstützung für <strong>die</strong> Ziele an der Basis mobilisieren 165<br />
Dezentralisierung – ihre Entstehung, ihre Rolle, ihre politischen Erfordernisse 168<br />
Soziale Bewegungen und innovative Ansätze bei der Partizipation der Bevölkerung 176–<br />
KAPITEL 8 Handlungskonzepte statt Almosen: Was <strong>die</strong> reichen Länder tun können,<br />
um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu helfen 181<br />
Mehr und wirksamere Entwicklungshilfe 182<br />
Schuldenerleichterungen – schneller und umfassender 190<br />
Handel – Marktöffnung und Subventionsabbau 193<br />
Globale Technologien – <strong>die</strong> Früchte des globalen Wissens miteinander teilen 198<br />
Die in der Millenniums-Erklärung gemachten Zusagen einhalten: Handlungskonzepte statt Almosen 201<br />
Endnoten 207<br />
Bibliografische Erläuterungen 211<br />
Bibliografie 213<br />
SONDERBEITRAG<br />
Armut, Globalisierung und Wachstum: Ausblicke auf einige der statistischen Verknüpfungen Joseph E. Stiglitz 96<br />
KÄSTEN<br />
1.1 Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>menschliche</strong> Entwicklung und Menschenrechte entspringen der gleichen<br />
Motivation 34<br />
1.2 Machen globale Ziele einen Unterschied? 37<br />
2.1 Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit 44<br />
2.2 Wie entwickelt sich <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung des Einkommens? Groteske Ausmaße, zweideutige Trends 49<br />
2.3 Einkommensarmut messen: Wo soll <strong>die</strong> Grenze gezogen werden? 52<br />
2.4 Der Kampf um <strong>die</strong> Erreichung der Ziele – Definition von Ländern mit hoher und höchster Priorität 55<br />
2.5 Gewaltsame Konflikte und <strong>die</strong> Ziele 56<br />
2.6 Große Sprünge nach vorn sind innerhalb von Jahren statt Jahrzehnten möglich 58<br />
2.7 Aufgeschlüsselte Daten auf Länderebene: Nationale Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 59<br />
2.8 Konflikte innerhalb einzelner Länder 60<br />
3.1 Zur Halbierung der Einkommensarmut ist Wachstum erforderlich 79<br />
XIV
3.2 Bangladesch – ein großes Binnenland mit Zugang zur Küste 84<br />
3.3 Herausforderungen in der Andenregion 86<br />
3.4 China und In<strong>die</strong>n – beeindruckendes Wachstum, wichtige Unterschiede 87<br />
3.5 Die MEZ und Konfliktländer 92<br />
3.6 Was notwendig ist, damit der Millenniums-Entwicklungspakt in Uganda funktioniert 95<br />
4.1 Potenzial und Handlungsspielraum von Frauen—Schlüssel für das Erreichen der Millenniumsziele 104<br />
4.2 Politische Erfahrungen aus Ländern mit ausgezeichneter Gesundheits- und Bildungsbilanz 105<br />
4.3 Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit in Afrika südlich der Sahara 109<br />
4.4 Landwirtschaftspolitik und Ernährungssicherung 112<br />
4.5 Verteidigungsausgaben oder Bildung? Die Inkonsistenz des Regierungshandelns 114<br />
4.6 Thailands Erfolge beim Verhindern der Ausbreitung von HIV/AIDS 120<br />
4.7 Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen 121<br />
4.8 Integration vertikaler Programme in funktionierende Gesundheitssysteme 126<br />
4.9 Unentbehrliche Arzneimittel für alle garantieren — Erfolge in Bhutan 127<br />
4.10 Erschwingliche Sanitärversorgung in In<strong>die</strong>n 129<br />
4.11 Südafrika und das „Recht“ auf Wasser 130<br />
5.1 Soziale Dienste und das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen (GATS) 139<br />
5.2 Nutzungsgebühren in Südafrika und Bolivien 145<br />
5.3 Erfolgreiche staatlich betriebene Wasserversorgungssysteme 147<br />
5.4 Der Großraum Manila und Buenos Aires:<br />
Unterschiedliche Erfahrungen mit der Privatisierung der Wasserversorgung 149<br />
5.5 Die Bamako-Initiative: Zusammenlegung kommunaler Mittel für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung 150<br />
6.1 Wie globale Klimaveränderungen <strong>die</strong> Entwicklungsländer bedrohen 154<br />
6.2 Das Leben von Slumbewohnern verbessern 158<br />
6.3 Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung am Naturschutz in Guanacaste, Costa Rica 159<br />
6.4 Förderung von Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt – ein kreatives Steuerbeispiel aus Brasilien 159<br />
6.5 Die Fischgründe der Welt – durch Subventionen zerstört 161<br />
6.6 Abholzung der Wälder – mit Subventionen 161<br />
6.7 Politische Reaktionen auf den Klimawandel 162<br />
7.1 Madhya Pradesh und Rajasthan – Bildungspolitik mit Resultaten 167<br />
7.2 Beiderseitiges Bestehen auf <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht – seitens der Kommunalverwaltung und der Zivilgesellschaft<br />
– verbessern <strong>die</strong> Regierungsführung im brasilianischen Bundesstaat Ceará 170<br />
7.3 Die Dezentralisierung trägt dazu bei, mehr Gleichheit in Kerala durchzusetzen 171<br />
7.4 Trägt Dezentralisierung zur Armutsreduzierung bei? 175<br />
8.1 Millenniums-Entwicklungsziel 8 181<br />
8.2 Öffentliche Entwicklungshilfe: Die Zielvorgabe von 0,7 Prozent 182<br />
8.3 Neue Finanzierung für <strong>die</strong> Ziele 184<br />
8.4 Erfolgreiche Partnerschaften unter Führung der Regierung in Tansania 187<br />
8.5 Refokussierung der technischen Zusammenarbeit auf <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten 189<br />
8.6 Was ist <strong>die</strong> HIPC-Initiative? 191<br />
8.7 Ein Vorschlag zur Umschuldung, damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können 194<br />
8.8 Der große internationale Wirkungsbereich im eigenen Land gezahlter Subventionen 196<br />
8.9 Ungewisser Ausgang der Doha-Runde für <strong>die</strong> afrikanischen Baumwollexporteure 197<br />
8.10 Der Index für Entwicklungsengagement (CDI) 204<br />
XV
TABELLEN<br />
2.1 Länder, in denen der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung gefallen ist, 1980er und 1990er Jahre 50<br />
2.2 Wirtschaftswachstum und Einkommensarmut: Enge Verbindungen 51<br />
2.3 Die Veränderungen des Anteils und der Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben,<br />
waren unterschiedlich 51<br />
2.4 Große Länder sind bis 2025 durch HIV/AIDS auch bei moderater Epidemie stark bedroht 54<br />
2.5 Kindersterblichkeitsraten: Veränderungen beim Niveau und beim Vermögensgefälle, ausgewählte Länder,<br />
1980er und 1990er Jahre 61<br />
5.1 Investitionen in Projekte zur Trinkwasser- und Sanitärversorgung mit Beteiligung der Privatwirtschaft in verschiedenen<br />
Ländern, 1990–94 und 1995–2000 144<br />
6.1 Warum das Erreichen des Umweltziels so wichtig für <strong>die</strong> anderen Ziele ist 155<br />
8.1 Nettozahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe nach Empfängerregion, 1990 und 2001 183<br />
8.2 Handel: Die Chancen nutzen - oder nicht 194<br />
8.3 Zölle und Zollsenkungen in ausgewählten Ländern und Ländergruppen nach der Uruguay-Runde 195<br />
8.4 Verantwortlichkeiten der reichen Länder 202<br />
GRAFIKEN<br />
2.1 Zeitrahmen für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele – wenn nicht schnellere Fortschritte gemacht werden 41<br />
2.2 Kindersterblichkeit in OECD-Ländern und anderen Regionen im Vergleich: Die Ungleichheit nimmt im Zeitraum<br />
von 1990 bis 2001 zu 48<br />
2.3 Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung 50<br />
2.4 Schnelles Wachstum ist <strong>die</strong> Ausnahme – Erfolge in bevölkerungsreichen Ländern 50<br />
2.5 Wachstum und Einkommensarmut – kein automatischer Zusammenhang 51<br />
2.6 Die Zahl der HIV/AIDS-Fälle ist sprunghaft gestiegen 53<br />
2.7 Verringerung der Lebenserwartung aufgrund von HIV/AIDS 53<br />
3.1 Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut, 1990er Jahre 80<br />
3.2 Menschliche Entwicklung und Einkommen 81<br />
3.3 Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu Wachstum – und zurück 82<br />
4.1 Mädchen mit Schulausbildung führen ein anderes Leben 103<br />
4.2 Die Ernährungsunsicherheit nimmt zu 107<br />
4.3 Hohe Haushaltskosten führen zu niedrigeren Einschulungsquoten im Primarschulbereich 117<br />
4.4 Ein großer Teil der Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich geht in <strong>die</strong> Grundversorgung 124<br />
4.5 In vielen städtischen Haushalten fehlt es an Trinkwasser- und Sanitärversorgung 128<br />
6.1 In OECD-Ländern hängt ein höherer Benzinverbrauch mit niedrigeren Preisen zusammen, 2001 157<br />
8.1 Entwicklungshilfe – wie groß ist der Bedarf, wie viel wird gegeben? 182<br />
8.2 Rückläufige öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) 182<br />
8.3 Netto-Auszahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe 183<br />
8.4 Die Ärmsten: gefangen zwischen rückläufiger Entwicklungshilfe und gleichbleibendem Schuldenstand 191<br />
8.5 In zehn Ländern, <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen im Rahmen der HIPC-Initiative erhalten haben, verlagern sich <strong>die</strong><br />
Ausgaben vom Schulden<strong>die</strong>nst zur Förderung der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung 192<br />
8.6 Mehr Entwicklungshilfe für Kühe und Baumwolle als für Menschen (im Jahr 2000) 196<br />
8.7 Die Agrarsubventionen der OECD sind deutlich höher als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe (2001) 197<br />
8.8 Die orale Rehydratationstherapie (ORT) senkt <strong>die</strong> Kindersterblichkeit trotz Einkommensstagnation 199<br />
XVI
FEATURES<br />
2.1 Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele 64<br />
2.2 Menschliche Entwicklung messen: Die Indizes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 73<br />
2.3 Die wachsende Kluft innerhalb einzelner Länder – zwischen Regionen und Bevölkerungsgruppen 75<br />
Karte 1 Geographische Einkommensverteilung in China, 2000 75<br />
Tabelle 1 Analphabetenquoten in Brasilien nach Region, bei <strong>über</strong> 15-Jährigen, 1990-2001 75<br />
Karte 2 Alphabetenquote bei Erwachsenen in Mexiko, 2000 76<br />
Karte 3 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Philippinen, 1994 76<br />
Tabelle 2 Säuglings- und Kindersterblichkeit in In<strong>die</strong>n nach Bundesstaaten, 1990er Jahre 77<br />
Karte 4 Müttersterblichkeit in Guatemala, 1997 77<br />
Karte 5 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Regionen der Russischen Föderation, 2000 78<br />
3.1 Entwicklungsprobleme – aus dem Blickwinkel der Geografie 100<br />
Karte 1 Klassifikation der Länder nach ihrer wirtschaftlichen Struktur, 1995 100<br />
Karte 2 Klassifikation der Ländern nach durchschnittlicher jährlicher Pro-Kopf-BIP-Wachstumsrate, 1990<br />
100<br />
Tabelle 1 Wirtschaftswachstumsraten nach Ländergruppen, 1980-98 100<br />
Tabelle 2 Wirtschaftswachstumsraten nach Bevölkerungsgröße und geografischer Lage, 1980-98 101<br />
Erläuterungen zu den Statistiken des Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 234<br />
INDIKATOREN FÜR DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE<br />
MEZ 1 Ziel 1 Beseitigung der extremen Armut und des Hungers 244<br />
Ziel 2 Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung 244<br />
MEZ 2 Ziel 3 Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Ermächtigung der Frau 249<br />
MEZ 3 Ziel 4 Senkung der Kindersterblichkeit 254<br />
Ziel 5 Verbesserung der Gesundheit von Müttern 254<br />
MEZ 4 Ziel 6 Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten 259<br />
MEZ 5 Ziel 7 Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit: Boden und Luft 264<br />
MEZ 6 Ziel 7 Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit: Wasser- und Sanitärversorgung 269<br />
MEZ 7 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Entwicklungshilfe und Marktzugang 274<br />
MEZ 8 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Binnen- und kleine Insel<strong>entwicklung</strong>sländer 275<br />
MEZ 9 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Schuldentragfähigkeit 276<br />
MEZ 10 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Beschäftigungschancen, Zugang zu Medikamenten<br />
und Zugang zu neuen Technologien 278<br />
INDIKATOREN FÜR MENSCHLICHE ENTWICKLUNG<br />
ÜBERWACHUNG DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG: ERWEITERUNG DER MÖGLICHKEITEN VON MENSCHEN . . .<br />
1 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 283<br />
2 Trends des Indexes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 287<br />
3 Menschliche Armut und Einkommensarmut: Entwicklungsländer 291<br />
4 Menschliche Armut und Einkommensarmut: OECD Länder, Osteuropa und GUS 294<br />
. . . EIN LANGES UND GESUNDES LEBEN FÜHREN . . .<br />
5 Demografische Trends 296<br />
6 Engagement für Gesundheit: Zugang, Dienste und Ressourcen 300<br />
7 Umgang mit globalen Gesundheitkrisen und Herausforderungen 304<br />
8 Lebenserwartung: Fortschritte und Rückschritte 308<br />
XVII
. . . WISSEN ZU ERWERBEN . .<br />
9 Engagement für <strong>die</strong> Bildung: Öffentliche Ausgaben 312<br />
10 Lese- / Schreibfähigkeit und Schulbesuch 316<br />
11 Technologie: Verbreitung und Schaffung 320<br />
. . . ZUGANG ZU DEN RESSORCEN FÜR EINEN ANGEMESSSENEN LEBENSSTANDARD ZU ERHALTEN. .<br />
12 Wirtschaftliche Leistung 324<br />
13 Ungleichheit bei Einkommen oder Konsum 328<br />
14 Handelsstruktur 332<br />
15 Zufluss von Hilfe aus DAC-Mitgliedsländern 336<br />
16 Hilfsströme, Privatkapital und Verschuldung 337<br />
17 Prioritäten der öffentlichen Ausgaben 341<br />
18 Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern 345<br />
. . . SIE JEDOCH GLEICHZEITIG FÜR ZUKÜNFTIGE GENERATIONEN BEWAHREN . . .<br />
19 Energie und Umwelt 346<br />
. . . DIE PERSÖNLICHE SICHERHEIT ZU BEWAHREN . . .<br />
20 Flüchtlinge und Waffen 350<br />
21 Kriminalitätsopfer 354<br />
. . . UND GLEICHHEIT FÜR ALLE FRAUEN UND MÄNNER ZU VERWIRKLICHEN . . .<br />
22 Geschlechtsbezogener Entwicklungsindex 356<br />
23 Maß für <strong>die</strong> Ermächtigung der Geschlechter 360<br />
24 Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bei der Bildung 364<br />
25 Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bei der Wirtschaftstätigkeit 368<br />
26 Geschlechter, Arbeitsbelastung und Zeitverteilung 372<br />
27 Politische Partizipartion von Frauen 373<br />
ÜBEREINKOMMEN AUF DEM GEBIET DER MENSCHENRECHTE UND DES ARBEITSRECHTS<br />
28 Stand der wichtigsten internationalen Menschenrechts<strong>über</strong>einkommen 377<br />
29 Stand der grundlegenden Übereinkommen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts 381<br />
30 Basisindikatoren für andere UN-Mitgliedsländer 385<br />
Technische Erläuterungen<br />
1 Berechnung der Indices für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 386<br />
2 Einschätzung des Fortschritts bei den Millenniums-Entwicklungszielen 393<br />
Definitionen statistischer Begriffe 396<br />
Statistische Primärquellen 405<br />
Klassifizierung der Länder 407<br />
Index der Indikatoren 411<br />
XVIII
ÜBERBLICK<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele:<br />
Ein Pakt zwischen Nationen zur<br />
Beseitigung <strong>menschliche</strong>r Armut<br />
Das neue Jahrhundert begann mit einem beispiellosen<br />
Bekenntnis zu Solidarität und Entschlossenheit<br />
im Kampf gegen <strong>die</strong> Armut in<br />
der Welt. Im Jahr 2000 wurde <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung<br />
der Vereinten Nationen von<br />
der bisher größten Zusammenkunft von Staatschefs<br />
verabschiedet. Sie verpflichtete <strong>die</strong> reichen<br />
wie <strong>die</strong> armen Länder alles daran zu setzen,<br />
um <strong>die</strong> Armut zu beseitigen, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Würde und <strong>die</strong> Gleichberechtigung zu<br />
fördern und Frieden, Demokratie und ökologische<br />
Nachhaltigkeit zu verwirklichen. Die<br />
Führer der Welt versprachen, mit vereinten<br />
Kräften bis zum Jahr 2015 oder schon früher<br />
konkrete Zielvorgaben für <strong>die</strong> Förderung der<br />
Entwicklung und <strong>die</strong> Verminderung der Armut<br />
zu erreichen.<br />
Die aus der Millenniums-Erklärung hervorgegangenenMillenniums-Entwicklungsziele<br />
verpflichten <strong>die</strong> Länder dazu, verstärkt<br />
gegen unzureichende Einkommen, weit verbreiteten<br />
Hunger, <strong>die</strong> Ungleichheit zwischen<br />
Mann und Frau, Umweltschäden und Mängel<br />
bei der Bildung, der Gesundheitsversorgung<br />
und dem Zugang zu sauberem Wasser vorzugehen<br />
(Kasten 1). Sie enthalten auch Maßnahmen<br />
für den Schuldenabbau, <strong>die</strong> Erhöhung<br />
der Entwicklungshilfe sowie <strong>die</strong> Ausweitung<br />
des Handels und des Technologietransfers<br />
in <strong>die</strong> armen Länder. Der im März<br />
2002 verabschiedete Konsens von Monterrey<br />
– der im September 2002 in der Erklärung<br />
von Johannesburg <strong>über</strong> nachhaltige Entwicklung<br />
und im Aktionsplan von Johannesburg<br />
bekräftigt wurde – bildet den Rahmen für<br />
<strong>die</strong>se Partnerschaft zwischen reichen und armen<br />
Ländern.<br />
Es gibt wohl kaum einen günstigeren Zeitpunkt,<br />
um Unterstützung für eine derartige<br />
globale Partnerschaft zu mobilisieren. Im Jahr<br />
<strong>2003</strong> erlebte <strong>die</strong> Welt weitere gewalttätige<br />
Konflikte, begleitet von einer Verschärfung<br />
der internationalen Spannungen und Furcht<br />
vor Terrorismus. Manche mögen argumentieren,<br />
der Krieg gegen <strong>die</strong> Armut müsse in den<br />
Hintergrund treten, bis der Krieg gegen den<br />
Terrorismus gewonnen sei, aber sie haben unrecht.<br />
Die Notwendigkeit, <strong>die</strong> Armut zu beseitigen,<br />
konkurriert nicht mit der Notwendigkeit,<br />
<strong>die</strong> Welt sicherer zu machen. Im Gegenteil,<br />
<strong>die</strong> Beseitigung der Armut sollte zu einer<br />
sichereren Welt beitragen – <strong>die</strong> Vision der<br />
Millenniums-Erklärung.<br />
Wer gegen <strong>die</strong> Armut vorgehen will, muss<br />
ihre Ursachen verstehen. Dieser Bericht trägt<br />
zu einem solchen Verständnis bei, indem er<br />
<strong>die</strong> tieferen Ursachen dafür analysiert, warum<br />
Entwicklung ausgeblieben ist. Während der<br />
neunziger Jahre konzentrierten sich <strong>die</strong> <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />
Debatten auf drei Problemfelder.<br />
Das erste war <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
von Wirtschaftsreformen zur Verwirklichung<br />
makroökonomischer Stabilität. Das zweite<br />
war <strong>die</strong> Notwendigkeit starker Institutionen<br />
und einer guten Regierungsführung, um<br />
Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen und <strong>die</strong><br />
Korruption einzudämmen. Das dritte war <strong>die</strong><br />
Notwendigkeit sozialer Gerechtigkeit und <strong>die</strong><br />
Einbindung der Menschen in <strong>die</strong> Entscheidungen,<br />
<strong>die</strong> sie selbst und ihre Gemeinwesen<br />
und Länder betreffen. Für <strong>die</strong>sen Aspekt hat<br />
sich <strong>die</strong>ser Bericht seit jeher eingesetzt und<br />
wird es auch weiterhin tun.<br />
Alle <strong>die</strong>se Fragen sind für <strong>die</strong> nachhaltige<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung von entscheidender<br />
Bedeutung und sie ver<strong>die</strong>nen weiterhin<br />
<strong>die</strong> vorrangige Aufmerksamkeit der Politik.<br />
Aber sie lassen einen vierten Faktor außer<br />
Acht, der hier untersucht wird: <strong>die</strong> strukturellen<br />
Zwänge, <strong>die</strong> das Wirtschaftswachstum<br />
und <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung behindern.<br />
Der in <strong>die</strong>sem Bericht vorgestellte Millenniums-Entwicklungspakt<br />
schlägt ein politisches<br />
Konzept für <strong>die</strong> Verwirklichung der Millen-<br />
KASTEN 1<br />
Millenniums-Entwicklungsziele<br />
und Zielvorgaben<br />
Ziel 1: Beseitigung der extremen<br />
Armut und des<br />
Hungers<br />
Zielvorgabe 1: Zwischen<br />
1990 und 2015 den<br />
Anteil der Menschen<br />
halbieren, deren Einkommen<br />
weniger als 1$<br />
pro Tag beträgt<br />
Zielvorgabe 2: Zwischen<br />
1990 und 2015 den<br />
Anteil der Menschen<br />
halbieren, <strong>die</strong> Hunger<br />
leiden<br />
Ziel 2: Verwirklichung der allgemeinenPrimarschulbildung<br />
Zielvorgabe 3: Bis zum<br />
Jahr 2015 sicherstellen,<br />
dass Kinder in der ganzen<br />
Welt, Jungen wie Mädchen,<br />
eine Primarschulbildung<br />
vollständig<br />
abschließen können<br />
Ziel 3: Förderung der Gleichheit<br />
der Geschlechter<br />
und Ermächtigung der<br />
Frau<br />
Zielvorgabe 4: Das Geschlechtergefälle<br />
in der<br />
Primar- und Sekundarschulbildung<br />
beseitigen,<br />
vorzugsweise bis 2005,<br />
und auf allen Bildungsebenen<br />
bis spätestens<br />
2015<br />
Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit<br />
Zielvorgabe 5: Zwischen<br />
1990 und 2015 <strong>die</strong><br />
Sterblichkeitsrate von<br />
Kindern unter fünf Jahren<br />
um zwei Drittel senken<br />
Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />
ÜBERBLICK 1
Fortsetzung KASTEN 1<br />
Millenniums-Entwicklungsziele<br />
und Zielvorgaben<br />
Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit<br />
von Müttern<br />
Zielvorgabe 6: Zwischen<br />
1990 und 2015 <strong>die</strong><br />
Müttersterblichkeitsrate<br />
um drei Viertel senken<br />
Ziel 6: Bekämpfung von HIV/<br />
AIDS, Malaria und<br />
anderen Krankheiten<br />
Zielvorgabe 7: Bis 2015<br />
<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS zum Stillstand<br />
bringen und allmählich<br />
umkehren<br />
Zielvorgabe 8: Bis 2015<br />
<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
Malaria und anderen<br />
schweren Krankheiten<br />
zum Stillstand bringen<br />
und allmählich umkehren<br />
Ziel 7: Sicherung der ökologischen<br />
Nachhaltigkeit<br />
Zielvorgabe 9: Die<br />
Grundsätze der nachhaltigen<br />
Entwicklung in<br />
einzelstaatliche Politiken<br />
und Programme einbauen<br />
und den Verlust<br />
von Umweltressourcen<br />
umkehren<br />
Zielvorgabe 10: Bis 2015<br />
den Anteil der Menschen<br />
um <strong>die</strong> Hälfte senken,<br />
<strong>die</strong> keinen nachhaltigen<br />
Zugang zu sauberem<br />
Trinkwasser haben<br />
Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />
eine erhebliche Verbesserung<br />
der Lebensbedingungen<br />
von mindestens<br />
100 Millionen Slumbewohnern<br />
herbeiführen<br />
Ziel 8: Aufbau einer weltweitenEntwicklungspartnerschaft<br />
Zielvorgabe 12: Ein offenes,<br />
regelgestütztes, berechenbares<br />
und nichtdiskriminierendesHandelsund<br />
Finanzsystem weiterentwickeln<br />
Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />
niums-Entwicklungsziele vor, dessen Ausgangspunkt<br />
<strong>die</strong> Auseinandersetzung mit <strong>die</strong>sen<br />
Zwängen ist.<br />
Die einzelstaatliche Trägerschaft – durch<br />
Regierungen und Bevölkerung – ist ein<br />
Schlüsselfaktor für <strong>die</strong> Verwirklichung der<br />
Millenniums-Entwicklungsziele. Die demokratische<br />
Debatte kann durch <strong>die</strong> Ziele gefördert<br />
werden, und <strong>die</strong> Führer der einzelnen<br />
Länder werden eher bereit sein, <strong>die</strong> zur<br />
Verwirklichung der Ziele erforderlichen<br />
Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine engagierte<br />
Bevölkerung entsprechenden Druck<br />
ausübt.<br />
Die Ziele werden nur dann zum Erfolg führen,<br />
wenn sie für <strong>die</strong> Milliarden Menschen, für <strong>die</strong><br />
sie bestimmt sind, wirklich eine Bedeutung<br />
haben. Die Ziele müssen nationale Wirklichkeit<br />
werden und <strong>die</strong> wichtigsten Interessengruppen<br />
– <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Regierungen<br />
– müssen sie sich zu eigen machen. Sie sind<br />
Prüfsteine, an denen Fortschritt gemessen<br />
werden kann und anhand derer <strong>die</strong> Armen<br />
von den politischen Führern Rechenschaft<br />
verlangen können. Sie helfen den Menschen<br />
für politische Strategien und Maßnahmen zu<br />
kämpfen, <strong>die</strong> angemessene Arbeitsplätze<br />
schaffen, den Zugang zu Schulen verbessern<br />
und <strong>die</strong> Korruption ausmerzen. Sie sind auch<br />
Verpflichtungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Führer der einzelnen<br />
Länder eingegangen sind und <strong>über</strong> deren Erfüllung<br />
sie ihren Wählern Rechenschaft ablegen<br />
müssen.<br />
Wenn sich <strong>die</strong> Bevölkerung <strong>die</strong> Ziele zu eigen<br />
machen, kann <strong>die</strong>s eine demokratische<br />
Debatte <strong>über</strong> <strong>die</strong> Leistungen der Regierung<br />
befördern, vor allem, wenn ungeschönte Daten<br />
zur Verfügung gestellt werden, <strong>die</strong> zum<br />
Beispiel am Eingang von Gemeindezentren<br />
angeschlagen werden. Die Ziele können auch<br />
eine Wahlkampfplattform für Politiker bilden.<br />
Ein Beispiel hierfür lieferte der brasilianische<br />
Präsident Luis Inacio „Lula“ da Silva, dessen<br />
Kampagne zur Beseitigung des Hungers<br />
(Fome Zero – Kein Hunger mehr) Teil seines<br />
Programms im Präsidentschaftswahlkampf<br />
war.<br />
Den Gruppen der Zivilgesellschaft – von<br />
Gemeinwesenorganisationen <strong>über</strong> Berufsverbände<br />
und Frauengruppen bis zu Netzwerken<br />
der Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />
– kommt bei der Umsetzung der Ziele und<br />
der Überwachung der dabei erreichten Fortschritte<br />
eine wichtige Rolle zu. Aber <strong>die</strong> Ziele<br />
erfordern auch leistungsfähige, wirksam handelnde<br />
Staaten, <strong>die</strong> in der Lage sind, <strong>die</strong> von<br />
ihnen gemachten Entwicklungszusagen einzuhalten.<br />
Und sie erfordern eine Mobilisierung<br />
der Bevölkerung, damit der politische<br />
Willen zu ihrer Verwirklichung nicht nachlässt.<br />
Eine solche Mobilisierung setzt eine offene,<br />
partizipatorische politische Kultur voraus.<br />
Politische Reformen wie etwa <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
der Haushalte und der Verantwortung<br />
für <strong>die</strong> Bereitstellung von grundlegenden<br />
Dienstleistungen rücken <strong>die</strong> Entscheidungsprozesse<br />
näher an <strong>die</strong> Menschen heran,<br />
so dass <strong>die</strong>se mehr Druck zur Verwirklichung<br />
der Ziele ausüben können. Wo <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
erfolgreich war, wie etwa in Teilen<br />
Brasiliens, in Jordanien, Mosambik und in den<br />
indischen Bundesstaaten Kerala, Madya Pradesh<br />
und Westbengalen, hat sie zu erheblichen<br />
Verbesserungen geführt. Sie ermöglicht<br />
es den staatlichen Stellen, schneller auf <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />
der Menschen zu reagieren, Korruption<br />
aufzudecken und das Fernbleiben vom<br />
Arbeitsplatz zu reduzieren.<br />
Aber Dezentralisierung ist ein schwieriger<br />
Prozess. Ihr Erfolg setzt eine fähige Zentralregierung,<br />
engagierte Kommunalverwaltungen<br />
mit finanzieller Eigenverantwortung sowie engagierte<br />
Bürger in einer gut organisierten Zivilgesellschaft<br />
voraus. In Mosambik gelang es<br />
den entschlossen vorgehenden Kommunalbehörden<br />
mit eigener Finanzhoheit, <strong>die</strong> Reichweite<br />
des Impf- und Schwangerenberatungsprogramms<br />
um 80 Prozent zu steigern. Kapazitätsengpässe<br />
wurden durch Verträge mit<br />
NRO und privaten Dienstleister auf kommunaler<br />
Ebene <strong>über</strong>wunden.<br />
Jüngste Erfahrungen haben auch gezeigt,<br />
wie soziale Bewegungen zu einer stärkeren Beteiligung<br />
an Entscheidungsprozessen führen<br />
können, wie in der öffentlichen Überwachung<br />
kommunaler Haushalte. In Porto Alegre (Bra-<br />
2 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
silien) führte <strong>die</strong> öffentliche Überwachung<br />
kommunaler Haushalte zu enormen Verbesserungen<br />
bei den Dienstleistungen. 1989 hatten<br />
weniger als <strong>die</strong> Hälfte der Stadtbewohner Zugang<br />
zu sauberem Wasser, sieben Jahre später<br />
war <strong>die</strong>ser Zugang praktisch für alle gesichert.<br />
Auch der Primarschulbesuch verdoppelte sich<br />
in <strong>die</strong>sem Zeitraum und der öffentliche Nahverkehr<br />
wurde auf <strong>die</strong> Randbezirke der Stadt<br />
ausgedehnt.<br />
Solch gemeinschaftliches Handeln verbessert<br />
<strong>die</strong> Grundversorgung und hilft mit, politischen<br />
Willen zu mobilisieren und langfristig<br />
aufrechtzuerhalten. Die Bürger üben Druck<br />
auf ihre Führer aus, damit sie den politischen<br />
Verpflichtungen, <strong>die</strong> sie eingegangen sind,<br />
nachkommen. Und <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
geben ihnen ein Instrument in <strong>die</strong><br />
Hand, um von ihren Regierungen Rechenschaft<br />
zu verlangen.<br />
Da <strong>die</strong> Ziele der Millenniums-Erklärung<br />
nicht zu verwirklichen sind, wenn wir einfach<br />
so weitermachen wie bisher, muss das<br />
Tempo des Fortschritts dramatisch beschleunigt<br />
werden<br />
In den vergangenen 30 Jahren waren in<br />
den Entwicklungsländern insgesamt gewaltige<br />
Verbesserungen zu beobachten. Die Lebenserwartung<br />
stieg um acht Jahre. Der Anteil der<br />
Analphabeten wurde um fast <strong>die</strong> Hälfe auf<br />
25 Prozent gesenkt. In Ostasien wurde <strong>die</strong><br />
Zahl der Menschen, <strong>die</strong> mit weniger als einem<br />
Dollar am Tag auskommen müssen, in den<br />
neunziger Jahren nahezu halbiert.<br />
Dennoch kommt <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
zu langsam voran. Für viele Länder<br />
waren <strong>die</strong> neunziger Jahre eine Dekade der<br />
Hoffnungslosigkeit. Etwa 54 Länder sind heute<br />
ärmer als 1990. In 21 Ländern leidet ein<br />
großer Teil der Menschen Hunger. In 14 Ländern<br />
sterben mehr Kinder vor ihrem fünften<br />
Lebensjahr. In 12 Ländern geht der Primarschulbesuch<br />
zurück. In 34 Ländern ist <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />
gesunken. Die Rückschläge im<br />
Überlebenskampf waren zuvor geringer.<br />
Ein weiteres Zeichen für eine Entwicklungskrise<br />
ist der Rückgang beim Index für<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung in 21 Ländern. (Der<br />
HDI – <strong>Human</strong> Development Index – ist ein<br />
zusammengefasstes Maß für drei Dimensionen<br />
der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung: <strong>die</strong> Möglichkeit<br />
ein langes und gesundes Leben zu<br />
führen, Bildung zu erhalten und einen angemessenen<br />
Lebensstandard zu haben). Auch<br />
<strong>die</strong>s war bis zum Ende der achtziger Jahre ein<br />
eher seltenes Phänomen, denn <strong>die</strong>se Fähigkeiten,<br />
<strong>die</strong> im HDI zusammengefasst sind, gehen<br />
normalerweise nicht so leicht verloren.<br />
Wenn der globale Fortschritt das Tempo<br />
der neunziger Jahre beibehält, haben lediglich<br />
das Millenniums-Entwicklungsziel der Halbierung<br />
der Einkommensarmut und <strong>die</strong> Halbierung<br />
der Zahl der Menschen ohne Zugang<br />
zu sauberem Trinkwasser eine realistische<br />
Chance, verwirklicht zu werden, vor allem<br />
China und In<strong>die</strong>n. Afrika südlich der Sahara<br />
würde auf regionaler Ebene beim gegenwärtigen<br />
Tempo das Ziel der Armutsbekämpfung<br />
erst 2147 und das Ziel der Senkung der Kindersterblichkeit<br />
erst 2165 erreichen. Bei<br />
HIV/AIDS und Hunger steigen <strong>die</strong> Zahlen in<br />
der Region an, anstatt zu fallen.<br />
Dass so viele Länder rund um <strong>die</strong> Welt <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele in den 12 Jahren<br />
bis 2015 nicht erreichen werden, ist ein<br />
Hinweis darauf, wie dringend notwendig eine<br />
Kursänderung ist. Doch <strong>die</strong> in der Vergangenheit<br />
erzielten Entwicklungserfolge zeigen, was<br />
selbst in sehr armen Ländern möglich ist. Sri<br />
Lanka ist es zwischen 1945 und 1953 gelungen,<br />
<strong>die</strong> Lebenserwartung um 12 Jahre zu steigern.<br />
Ein weiteres ermutigendes Beispiel bietet<br />
Botsuana: <strong>die</strong> Nettoeinschulungsrate in<br />
Primarschulen stieg zwischen 1970 und 1985<br />
von 46 Prozent auf fast 90 Prozent.<br />
Heute verfügt <strong>die</strong> Welt <strong>über</strong> umfangreichere<br />
Ressourcen und mehr Kenntnisse als je<br />
zuvor, um Herausforderungen wie Infektionskrankheiten,<br />
geringe Produktivität, fehlende<br />
umweltverträgliche Energien und<br />
Transportmittel, <strong>die</strong> fehlende Grundversorgung<br />
mit sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen,<br />
Schulen und Gesundheits<strong>die</strong>nsten zu<br />
bewältigen. Die Frage ist, wie <strong>die</strong>se Ressourcen<br />
und Kenntnisse am besten einzusetzen<br />
sind, damit sie den ärmsten Menschen zugute<br />
kommen.<br />
Fortsetzung KASTEN 1<br />
Millenniums-Entwicklungsziele<br />
und Zielvorgaben<br />
(Umfasst <strong>die</strong> Verpflichtung<br />
auf eine gute Regierungs-<br />
und Verwaltungsführung,<br />
<strong>die</strong> Entwicklung<br />
und <strong>die</strong> Armutsreduzierung<br />
sowohl auf nationaler<br />
als auch auf internationaler<br />
Ebene)<br />
Zielvorgabe 13: Den besonderen<br />
Bedürfnissen<br />
der am wenigsten entwickelten<br />
Länder Rechnung<br />
tragen<br />
(Umfasst einen zoll- und<br />
quotenfreien Zugang für<br />
Exportgüter der am wenigsten<br />
entwickelten<br />
Länder, ein verstärktes<br />
Schuldenerleichterungsprogramm<br />
für <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />
armen<br />
Länder und <strong>die</strong> Streichung<br />
der bilateralen öffentlichen<br />
Schulden sowie<br />
<strong>die</strong> Gewährung<br />
großzügigerer öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe<br />
für Länder, <strong>die</strong> zur Armutsminderungentschlossen<br />
sind)<br />
Zielvorgabe 14: Den besonderen<br />
Bedürfnissen<br />
der Binnen- und kleinen<br />
Insel<strong>entwicklung</strong>sländer<br />
Rechnung tragen<br />
(durch das Aktionsprogramm<br />
für <strong>die</strong> nachhaltige<br />
Entwicklung der kleinen<br />
Inselstaaten unter<br />
den Entwicklungsländern<br />
und <strong>die</strong> Ergebnisse<br />
der zweiundzwanzigsten<br />
Sondertagung der Generalversammlung)<br />
Zielvorgabe 15: Die<br />
Schuldenprobleme der<br />
Entwicklungsländer<br />
durch Maßnahmen auf<br />
nationaler und internationaler<br />
Ebene umfassend<br />
angehen und so <strong>die</strong><br />
Schulden langfristig tragbar<br />
werden lassen<br />
Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />
ÜBERBLICK 3
Fortsetzung KASTEN 1<br />
Millenniums-Entwicklungsziele<br />
und Zielvorgaben<br />
Zielvorgabe 16: In Zusammenarbeit<br />
mit den<br />
Entwicklungsländern<br />
Strategien zur Beschaffung<br />
menschenwürdiger<br />
und produktiver Arbeit<br />
für junge Menschen erarbeiten<br />
und umsetzen<br />
Zielvorgabe 17: In Zusammenarbeit<br />
mit den<br />
Pharmaunternehmen erschwinglicheuntentbehrliche<br />
Medikamente in<br />
den Entwicklungsländern<br />
verfügbar machen<br />
Zielvorgabe 18: In Zusammenarbeit<br />
mit dem<br />
Privatsektor dafür sorgen,<br />
dass <strong>die</strong> Vorteile der<br />
neuen Technologien, insbesondere<br />
der Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien,<br />
genutzt<br />
werden können<br />
In zwei Gruppen von Ländern ist ein Kurswechsel<br />
besonders vordringlich. Bei der ersten<br />
handelt es sich um Länder, bei denen<br />
eine geringe <strong>menschliche</strong> Entwicklung und<br />
ein schlechte Umsetzung der Ziele zusammenkommen<br />
– also <strong>die</strong> Länder mit höchster<br />
und <strong>die</strong> Länder mit hoher Priorität. Bei<br />
der zweiten Gruppe handelt es sich um <strong>die</strong><br />
Länder, <strong>die</strong> gute Fortschritte in Richtung<br />
auf <strong>die</strong> Ziele machen, in denen aber Inseln<br />
tiefer Armut zurückbleiben<br />
Es gibt 59 Länder mit höchster und hoher Priorität,<br />
in denen ausbleibende Fortschritte und<br />
ein alarmierend niedriges Ausgangsniveau einen<br />
großen Teil der Ziele untergraben. Auf<br />
<strong>die</strong>se Länder müssen <strong>die</strong> Aufmerksamkeit und<br />
<strong>die</strong> Ressourcen der Welt konzentriert werden.<br />
In den 90er Jahren erlebten <strong>die</strong>se Länder<br />
vielfältige Krisen:<br />
• Einkommensarmut: <strong>die</strong> ohnehin hohen<br />
Armutsraten stiegen in 37 der 67 Länder, für<br />
<strong>die</strong> Daten vorliegen, weiter an.<br />
• Hunger: in 19 Ländern leidet mehr als ein<br />
Viertel der Menschen unter Hunger, und <strong>die</strong><br />
Situation wird nicht besser oder verschlechtert<br />
sich sogar. In 21 Ländern ist der Anteil der<br />
Hungernden gestiegen.<br />
• Überleben: in 14 Ländern stieg <strong>die</strong> Sterblichkeit<br />
der Kinder unter fünf Jahren in den<br />
90er Jahren, und in sieben Ländern wird fast<br />
ein Viertel der Kinder den fünften Geburtstag<br />
nicht erleben.<br />
• Wasser: in neun Ländern hat <strong>über</strong> ein<br />
Viertel der Menschen keinen Zugang zu sauberem<br />
Wasser, und <strong>die</strong> Situation wird nicht<br />
besser oder verschlechtert sich sogar.<br />
• Sanitärversorgung: in 15 Ländern hat<br />
<strong>über</strong> ein Viertel der Menschen keinen Zugang<br />
zu angemessener Sanitärversorgung, und <strong>die</strong><br />
Situation wird nicht besser oder verschlechtert<br />
sich sogar.<br />
All <strong>die</strong>sen verschiedenen Problemen liegt<br />
eine Wirtschaftskrise zu Grunde. Diese Länder<br />
sind nicht nur bereits extrem arm, sondern<br />
ihre Wachstumsraten sind auch erschreckend<br />
gering.<br />
In den 90er Jahren betrug das Wachstum<br />
des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens<br />
in 125 Entwicklungs- und Transformationsländern<br />
weniger als 3 Prozent und ging in 54<br />
<strong>die</strong>ser Länder zurück. Von den 54 Ländern<br />
mit rückläufigem Einkommen gehören 20 zu<br />
Afrika südlich der Sahara, 17 zu Osteuropa<br />
und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten<br />
(GUS), sechs zu Lateinamerika und der Karibik,<br />
sechs zu Ostasien und dem Pazifikraum<br />
und fünf zu den arabischen Staaten. Sie umfassen<br />
viele Länder mit hoher Priorität, aber<br />
auch einige Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung.<br />
Weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit<br />
stehen Länder, <strong>die</strong> gute Fortschritte machen,<br />
in denen jedoch bestimmte Gruppen und Gebiete<br />
ausgeschlossen sind oder zurückbleiben.<br />
Alle Ländern sollten sich darum bemühen,<br />
signifikante Disparitäten zwischen Gruppen –<br />
zwischen Männern und Frauen, zwischen ethnischen<br />
Gruppen, zwischen Rassen sowie zwischen<br />
städtischen und ländlichen Gebieten –<br />
zu <strong>über</strong>winden. Dazu müssen jedoch <strong>die</strong> Landesdurchschnitte<br />
kritisch betrachtet werden.<br />
Viele Länder, deren Gesamtdurchschnitt<br />
angemessene Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong><br />
fristgerechte Erreichung der Zielvorgaben erkennen<br />
lässt, weisen ausgedehnte Inseln verfestigter<br />
Armut auf. Die spektakuläre Leistung<br />
Chinas in den 90er Jahren, 150 Millionen<br />
Menschen <strong>die</strong> Überwindung der Einkommensarmut<br />
zu ermöglichen, blieb auf <strong>die</strong> Küstenregionen<br />
beschränkt. Anderswo gibt es<br />
nach wie vor Inseln tiefer Armut, in manchen<br />
Regionen im Landesinnern war der wirtschaftliche<br />
Fortschritt erheblich langsamer als im<br />
übrigen Land.<br />
In einer Reihe von Ländern könnten <strong>die</strong><br />
Ziele leichter verwirklicht werden, indem einfach<br />
<strong>die</strong> Lebensbedingungen der Menschen,<br />
denen es ohnehin schon besser geht, weiter<br />
angehoben werden. Es gibt Hinweise darauf,<br />
dass <strong>die</strong>s im Bereich der Gesundheitsversorgung<br />
bereits geschieht. Aber ein solcher Ansatz<br />
mag <strong>die</strong> Ziele zwar den Buchstaben nach<br />
erfüllen, dem Geist nach jedoch nicht. Selbst<br />
wenn sich ein Land insgesamt auf <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
der Ziele hinbewegt, liegen <strong>die</strong><br />
Fortschritte von Frauen, Bewohnern ländlicher<br />
Gebiete, ethnischen Minderheiten und<br />
anderen armen Gruppen in der Regel unter<br />
4 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
dem Gesamtdurchschnitt, manchmal gibt es<br />
für sie <strong>über</strong>haupt keine Fortschritte.<br />
Von 24 Entwicklungsländern, für <strong>die</strong> subnationale<br />
Daten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
zwischen Mitte der achtziger und Mitte der<br />
neunziger Jahre vorliegen, haben nur drei den<br />
Abstand zwischen den reichsten und den<br />
ärmsten Gruppen in Bezug auf <strong>die</strong> Sterblichkeitsraten<br />
der Kinder unter fünf Jahren verringert.<br />
Ähnliche Muster finden sich bei den Raten<br />
der Immunisierung, des Schulbesuchs und<br />
der Schulabschlüsse, wo <strong>die</strong> Kluft zwischen<br />
Stadt und Land sowie ethnische Disparitäten<br />
offenbar fortbestehen oder sich sogar verschlimmern.<br />
Auch bleiben Frauen in armen<br />
Gebieten häufig von den Gesamtfortschritten<br />
in Richtung auf <strong>die</strong> Ziele ausgeschlossen.<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt ist ein<br />
Aktionsplan, der vorrangig auf <strong>die</strong> Länder<br />
mit höchster und hoher Priorität ausgerichtet<br />
ist, <strong>die</strong> am dringendsten der Unterstützung<br />
bedürfen<br />
Auf globaler Ebene muss sich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />
der Politik auf <strong>die</strong> Länder konzentrieren,<br />
<strong>die</strong> mit den höchsten Entwicklungsherausforderungen<br />
konfrontiert sind. Ohne einen<br />
sofortigen Kurswechsel werden sie <strong>die</strong> Ziele sicher<br />
nicht erreichen. Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund<br />
bietet der Bericht einen neuen Aktionsplan,<br />
der sich hauptsächlich an <strong>die</strong>se Länder richtet:<br />
den Millenniums-Entwicklungspakt.<br />
Um ein nachhaltiges Wachstum zu erzielen,<br />
müssen <strong>die</strong> Länder in mehreren Schlüsselbereichen<br />
wie Regierungsführung, Gesundheit,<br />
Bildung, Infrastruktur und Marktzugang<br />
gewisse Mindeststandards erreichen. Wenn<br />
ein Land in einem <strong>die</strong>ser Bereiche <strong>die</strong> Standards<br />
unterschreitet, kann es in eine „Armutsfalle“<br />
geraten.<br />
Die meisten der Länder mit höchster und<br />
hoher Priorität versuchen, <strong>die</strong>se Mindeststandards<br />
zu erreichen. Sie stehen jedoch vor tief<br />
verwurzelten strukturellen Hindernissen, <strong>die</strong><br />
nur schwer aus eigener Kraft zu <strong>über</strong>winden<br />
sind. Dazu gehören Zugangsbeschränkungen<br />
zu internationalen Märkten und ein hohes<br />
Verschuldungsniveau, das weit <strong>über</strong> dem liegt,<br />
was sie mit ihrer begrenzten Exportkapazität<br />
zum Schuldenabbau beitragen können. Ein<br />
weiteres wesentliches Hindernis ist <strong>die</strong> Größe<br />
und geografische Lage eines Landes. Andere<br />
mit der Geografie eines Landes zusammenhängende<br />
strukturelle Zwänge sind eine geringe<br />
Bodenfruchtbarkeit, Anfälligkeit für extreme<br />
Klimaschwankungen oder Naturkatastrophen<br />
und sich ausbreitende Krankheiten wie<br />
Malaria. Aber <strong>die</strong> Geographie bedeutet kein<br />
unabänderliches Schicksal. Mit einer entsprechenden<br />
Politik können <strong>die</strong>se Herausforderungen<br />
bewältigt werden. Bessere Straßen und<br />
Kommunikationsmöglichkeiten sowie stärkere<br />
Kooperation mit den Nachbarländern können<br />
den Marktzugang verbessern. Präventions-<br />
und Behandlungsmaßnahmen können<br />
<strong>die</strong> Auswirkungen pandemischer Krankheiten<br />
erheblich abmildern.<br />
Die gleichen strukturellen Bedingungen,<br />
<strong>die</strong> dazu beitragen, dass ein ganzes Land in <strong>die</strong><br />
Armutsfalle gerät, können auch große Bevölkerungsgruppen<br />
in ansonsten relativ wohlhabenden<br />
Ländern treffen. Chinas entlegene Inlandsregionen<br />
zum Beispiel sind wesentlich<br />
weiter von Häfen entfernt, haben eine wesentlich<br />
schlechtere Infrastruktur und viel härtere<br />
biophysikalische Bedingungen als <strong>die</strong> Küstenregionen<br />
des Landes, <strong>die</strong> in den letzten Jahren<br />
das schnellste Wirtschaftswachstum in der<br />
chinesischen Geschichte erzielen konnten.<br />
Die Verringerung der Armut in den ärmeren<br />
Regionen erfordert eine gesamtstaatliche Politik,<br />
<strong>die</strong> ihnen mehr Ressourcen zuweist. Oberste<br />
politische Priorität ist hier mehr Gerechtigkeit<br />
und nicht nur mehr Wirtschaftswachstum.<br />
Um auf strukturelle Zwänge zu reagieren,<br />
muss <strong>die</strong> Politik an verschiedenen Fronten<br />
gleichzeitig vorgehen, dazu gehört aber auch<br />
verstärkte Unterstützung aus dem Ausland.<br />
Sechs Bündel politischer Maßnahmen können<br />
den Ländern helfen, sich aus ihrer Armutsfalle<br />
zu befreien:<br />
• Frühzeitige und ehrgeizige Investitionen<br />
in Grundbildung und Gesundheit bei gleichzeitiger<br />
Förderung der Gleichberechtigung<br />
der Geschlechter. Dies sind <strong>die</strong> Vorbedingungen<br />
für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum.<br />
Wachstum kann wiederum Arbeitsplätze<br />
Auf globaler Ebene muss<br />
sich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />
der Politik auf <strong>die</strong> Länder<br />
konzentrieren, <strong>die</strong> mit<br />
den höchsten Entwicklungsherausforderungen<br />
konfrontiert sind<br />
ÜBERBLICK 5
Wenn <strong>die</strong> Länder nicht<br />
weit ehrgeizigere<br />
Entwicklungspläne<br />
beschließen, werden sie<br />
<strong>die</strong> Ziele nicht erreichen<br />
schaffen und <strong>die</strong> Einkommen anheben, mit<br />
positiven Rückwirkungen auf Bildung und<br />
Gesundheit.<br />
• Steigerung der Produktivität der Kleinbauern,<br />
<strong>die</strong> unter ungünstigen Umweltbedingungen<br />
wirtschaften – also der Mehrheit der<br />
hungrigen Menschen auf der Welt. Nach einer<br />
zuverlässigen Schätzung leben weltweit<br />
70 Prozent der ärmsten Menschen im ländlichen<br />
Raum und sind von der Landwirtschaft<br />
abhängig.<br />
• Verbesserung der Basisinfrastruktur wie<br />
Häfen, Straßen, Stromversorgung und Kommunikation,<br />
um <strong>die</strong> Kosten wirtschaftlicher<br />
Tätigkeit zu verringern und geografische<br />
Schranken zu <strong>über</strong>winden.<br />
• Ausarbeitung einer Industrieansiedlungspolitik,<br />
<strong>die</strong> unternehmerisches Engagement<br />
fördert und zur Diversifizierung der Wirtschaft<br />
beiträgt, so dass <strong>die</strong> Abhängigkeit von<br />
Rohstoffexporten zurückgeht, wobei den<br />
Klein- und Mittelbetrieben eine aktive Rolle<br />
zukommt.<br />
• Förderung demokratischer Staatsführung<br />
und der Menschenrechte, um Diskriminierung<br />
zu beseitigen, soziale Gerechtigkeit zu<br />
gewährleisten und das Wohlergehen aller<br />
Menschen zu fördern.<br />
• Sicherstellung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />
und eines soliden Stadtmanagements,<br />
so dass langfristig wirksame Verbesserungen<br />
der Entwicklung erreicht werden können.<br />
Diesen politischen Strategien liegt der Gedanke<br />
zu Grunde, dass Volkswirtschaften nur<br />
dann besser funktionieren können, wenn zuerst<br />
andere Probleme gelöst werden. So ist es<br />
zum Beispiel nicht möglich, <strong>die</strong> Abhängigkeit<br />
von Rohstoffexporten zu verringern, wenn <strong>die</strong><br />
Arbeitskräfte nicht in den Fertigungsbereich<br />
<strong>über</strong>wechseln können, weil sie nicht genügend<br />
qualifiziert sind.<br />
Die Aufgabe, der sich <strong>die</strong> Länder mit<br />
höchster und hoher Priorität gegen<strong>über</strong> sehen,<br />
ist für sie allein zu umfangreich – vor allem für<br />
<strong>die</strong> ärmsten Länder, <strong>die</strong> mit sehr beschränkten<br />
Mitteln außerordentlich hohe Hürden zu<br />
<strong>über</strong>winden haben. In <strong>die</strong>sem Punkt spricht<br />
der Millenniums-Entwicklungspakt eine unmissverständliche<br />
Sprache. Die ärmsten Länder<br />
benötigen umfangreiche externe Ressour-<br />
cen, um ein annehmbares Niveau der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung zu erreichen. Dies ist jedoch<br />
keine Forderung nach unbegrenzter Finanzierung<br />
durch <strong>die</strong> reichen Länder. Denn<br />
der Pakt weist ebenso unmissverständlich darauf<br />
hin, dass <strong>die</strong> armen Länder innerstaatliche<br />
Ressourcen mobilisieren, <strong>die</strong> politischen Strategien<br />
und Institutionen stärken, <strong>die</strong> Korruption<br />
bekämpfen und <strong>die</strong> Regierungs- und Verwaltungsführung<br />
verbessern müssen. All <strong>die</strong>s<br />
sind unverzichtbare Schritte auf dem Weg zu<br />
einer nachhaltigen Entwicklung.<br />
Wenn <strong>die</strong> Länder nicht weit ehrgeizigere<br />
Entwicklungspläne beschließen, werden sie<br />
<strong>die</strong> Ziele nicht erreichen. Hier plä<strong>die</strong>rt der<br />
Millenniums-Entwicklungspakt für <strong>die</strong> Anwendung<br />
eines neuen Prinzips. Die Regierungen<br />
der armen und der reichen Länder sowie<br />
<strong>die</strong> internationalen Institutionen sollen zuallererst<br />
<strong>die</strong> Frage stellen, welche Finanzmittel<br />
zur Erreichung der Ziele benötigt werden, anstatt<br />
zuzulassen, dass das Tempo der Entwicklung<br />
durch <strong>die</strong> beschränkten Mittel bestimmt<br />
wird, <strong>die</strong> derzeit für <strong>die</strong>sen Zweck veranschlagt<br />
sind.<br />
Alle Länder – insbesondere <strong>die</strong>jenigen mit<br />
höchster und hoher Priorität – müssen systematisch<br />
feststellen, was zur Verwirklichung<br />
der Ziele benötigt wird. Diese Diagnose sollte<br />
auch Initiativen umfassen, <strong>die</strong> von Regierungen<br />
armer Länder unternommen werden können,<br />
etwa <strong>die</strong> Mobilisierung innerstaatlicher<br />
fiskalischer Ressourcen, <strong>die</strong> Umwidmung von<br />
Ausgaben zu Gunsten der Grundversorgung,<br />
<strong>die</strong> Heranziehung privater Finanzmittel und<br />
Fachkenntnisse sowie <strong>die</strong> Einleitung von Reformen<br />
zur Verbesserung der Wirtschaftsführung.<br />
Trotz alledem wird bei den benötigten<br />
Mitteln noch eine große Lücke klaffen, <strong>die</strong><br />
von den Regierungen beziffert werden muss.<br />
Die Schließung <strong>die</strong>ser Lücke wird zusätzliche<br />
finanzielle und technische Hilfe seitens der<br />
reichen Länder erfordern, namentlich Finanzmittel<br />
für laufende Kosten, umfangreichere<br />
Schuldenerleichterungen, besseren Marktzugang<br />
und mehr Technologietransfer.<br />
Es besteht ein breiter Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Notwendigkeit eines Gesamtrahmens für <strong>die</strong><br />
Koordinierung der Entwicklungsbemühungen,<br />
basierend auf den von den Ländern ge-<br />
6 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
tragenen Entwicklungsstrategien und auf öffentlichen<br />
Investitionsprogrammen. Für <strong>die</strong><br />
Länder mit niedrigem Einkommen besteht<br />
<strong>die</strong>ser Rahmen aus den Strategiedokumenten<br />
zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction<br />
Strategy Papers – PRSPs), <strong>die</strong> in rund zwei<br />
Dutzend Ländern bereits vorhanden und in<br />
weiteren zwei Dutzend in Vorbereitung sind.<br />
Die Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Herausforderungen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
systematischer aufgreifen,<br />
müssen zunächst <strong>die</strong> Frage nach den<br />
Erfordernissen für ihre Umsetzung stellen.<br />
Dann müssen sie bewerten, welche Mittel fehlen<br />
und welche politischen Reformen durchzuführen<br />
sind.<br />
Wenn der Anteil der in extremer Armut lebenden<br />
Menschen halbiert werden soll<br />
(Ziel 1), muss in den wachstumsschwachen<br />
Ländern mit höchster und hoher Priorität<br />
ein weitaus stärkeres Wirtschaftswachstum<br />
erreicht werden. Aber Wachstum allein<br />
genügt nicht. Hinzu kommen müssen politische<br />
Strategien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung zwischen<br />
höherem Wachstum und höheren Einkommen<br />
der ärmsten Haushalte stärken.<br />
Über 1,2 Milliarden Menschen – jeder fünfte<br />
Erdbewohner – müssen mit weniger als einem<br />
Dollar am Tag auskommen. In den neunziger<br />
Jahren ging der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> unter<br />
extremer Einkommensarmut leiden, von 30 auf<br />
23 Prozent zurück. Angesichts einer wachsenden<br />
Weltbevölkerung verminderte sich jedoch<br />
<strong>die</strong> absolute Zahl nur um 123 Millionen. Dies<br />
ist nur ein Bruchteil des Fortschritts, der zur<br />
Beseitigung der Armut nötig wäre. Wenn man<br />
von China absieht, nahm <strong>die</strong> Zahl der extrem<br />
armen Menschen sogar um 28 Millionen zu.<br />
In Süd- und Ostasien sind <strong>die</strong> Zahlen der<br />
in Einkommensarmut lebenden Menschen am<br />
höchsten, obwohl <strong>die</strong>se beiden Regionen in<br />
jüngster Zeit eindrucksvolle Fortschritte verzeichneten.<br />
Wie bereits angeführt, konnte<br />
China in den neunziger Jahren 150 Millionen<br />
Menschen, das sind 12 Prozent der Bevölkerung,<br />
aus der Armut befreien. Damit wurde<br />
<strong>die</strong> Verbreitung der Armut halbiert. Aber in<br />
Lateinamerika und der Karibik, den arabischen<br />
Staaten, in Mittel- und Osteuropa sowie<br />
in Afrika südlich der Sahara nahm <strong>die</strong> Zahl<br />
der Menschen zu, <strong>die</strong> mit weniger als einem<br />
Dollar pro Tag auskommen müssen.<br />
Das Haupthindernis für <strong>die</strong> Verringerung<br />
der Armut war das Ausbleiben eines nachhaltigen,<br />
armutsreduzierenden Wachstums. In<br />
den neunziger Jahren erreichten nur 30 von<br />
155 Entwicklungs- und Transformationsländern,<br />
für <strong>die</strong> Daten vorliegen – also knapp ein<br />
Fünftel – ein Einkommenswachstum von<br />
mehr als drei Prozent pro Kopf im Jahr. Wie<br />
<strong>bericht</strong>et, gingen in 54 <strong>die</strong>ser Länder <strong>die</strong><br />
Durchschnittseinkommen sogar zurück.<br />
Aber Wirtschaftswachstum allein reicht<br />
nicht aus. Wachstum kann rücksichtslos sein,<br />
es kann aber auch Armut verringern. Dies<br />
hängt von seinem Zuschnitt, von strukturellen<br />
Aspekten der Wirtschaft und von politischen<br />
Entscheidungen ab. Die Armut ist sogar in solchen<br />
Ländern angestiegen, in denen <strong>die</strong> Wirtschaft<br />
insgesamt gewachsen ist. In 33 von 66<br />
Entwicklungsländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />
verschärfte sich <strong>über</strong> <strong>die</strong> letzten zwanzig Jahre<br />
das Ungleichgewicht bei den Einkommen.<br />
Alle Länder, vor allem jene, denen es im<br />
Durchschnitt gut geht, <strong>die</strong> aber Inseln verfestigter<br />
Armut aufweisen, müssen eine Politik<br />
verfolgen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum<br />
und der Verminderung der<br />
Armut stärkt.<br />
Wachstum wird armen Menschen eher zugute<br />
kommen, wenn es breit angelegt ist und<br />
sich nicht auf wenige Sektoren oder Regionen<br />
konzentriert; wenn es arbeitsintensiv (wie z.B.<br />
in der Landwirtschaft und der Textilproduktion)<br />
statt kapitalintensiv (wie bei der Ölförderung)<br />
ist und wenn <strong>die</strong> staatlichen Einnahmen<br />
in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung investiert<br />
werden (z.B. für gesundheitliche Grundversorgung,<br />
Bildung, Ernährung, Wasser- und<br />
Sanitärversorgung). Wachstum wird armen<br />
Menschen weniger zugute kommen, wenn es<br />
auf einer eingeschränkten Basis erfolgt, <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung vernachlässigt oder<br />
bei der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen<br />
ländliche Gebiete, bestimmte Regionen,<br />
Bevölkerungsgruppen oder Frauen benachteiligt.<br />
Das Haupthindernis für<br />
<strong>die</strong> Verringerung der<br />
Armut war das<br />
Ausbleiben eines<br />
nachhaltigen, armutsreduzierten<br />
Wachstums<br />
ÜBERBLICK 7
Einfuhrzölle schützen <strong>die</strong><br />
Märkte in den reichen<br />
Ländern und reduzieren<br />
<strong>die</strong> Anreize für <strong>die</strong> Bauern<br />
in den armen Ländern, in<br />
<strong>die</strong> Landwirtschaft zu<br />
investieren, was zu<br />
einer nachhaltigeren<br />
Ernährungssicherheit<br />
führen würde<br />
Politische Strategien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung<br />
zwischen Wachstum und Armutsverminderung<br />
stärken können, sind:<br />
• Steigerung des Volumens, der Effizienz<br />
und der Ausgewogenheit von Investitionen in<br />
<strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung, Bildung<br />
und <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgung.<br />
• Erweiterung des Zugangs armer Menschen<br />
zu Grund und Boden, Krediten, Qualifikationen<br />
und anderen Wirtschaftsfaktoren.<br />
• Steigerung der Produktivität der Kleinbauern<br />
und der Diversifizierung.<br />
• Förderung eines arbeitsintensiven industriellen<br />
Wachstums unter Einbeziehung der<br />
Klein- und Mittelbetriebe.<br />
Zur Halbierung des Anteils der hungernden<br />
Menschen (Ziel 1) müssen zwei Herausforderungen<br />
bewältigt werden: <strong>die</strong> Sicherung<br />
des Zugangs zu Nahrungsmitteln, <strong>die</strong> mancherorts<br />
mittlerweile reichlich vorhanden<br />
sind, und <strong>die</strong> Erhöhung der Produktivität<br />
der Bauern, <strong>die</strong> gegenwärtig noch Hunger<br />
leiden – vor allem in Afrika<br />
Die Zahl der hungernden Menschen ging in<br />
den neunziger Jahren um fast 20 Millionen<br />
zurück. Nimmt man China jedoch aus, so erhöhte<br />
sich <strong>die</strong> Zahl der Hungernden. In Südasien<br />
und in Afrika südlich der Sahara findet<br />
sich <strong>die</strong> höchste Konzentration hungernder<br />
Menschen. In Südasien besteht das Problem<br />
darin, <strong>die</strong> reichlich vorhandenen Nahrungsmittel<br />
besser zu verteilen. In Afrika südlich<br />
der Sahara liegt das Problem auch in der landwirtschaftlichen<br />
Produktivität.<br />
Es gibt zahlreiche staatliche Maßnahmen,<br />
mit denen der Hunger bekämpft werden<br />
kann. Wo lokale Ausgleichslager vorhanden<br />
sind, können bei einem Ernährungsnotstand<br />
Lebensmittel auf den Markt gebracht werden,<br />
<strong>die</strong>s verringert heftige Preisschwankungen.<br />
Viele Länder, wie etwa China und In<strong>die</strong>n, haben<br />
solche Systeme eingeführt. Nahrungsmittellager<br />
können besonders für dürreanfällige<br />
Binnenländer wichtig sein.<br />
Des weiteren sind viele hungernde Menschen<br />
landlos oder verfügen <strong>über</strong> keine gesicherten<br />
Besitz- und Nutzungsrechte. Durch<br />
Agrarreformen muss armen Menschen im<br />
ländlichen Raum ein gesicherter Zugang zu<br />
Grund und Boden eröffnet werden. Frauen<br />
produzieren in Afrika südlich der Sahara und<br />
Südasien einen Großteil der Nahrungsmittel,<br />
verfügen jedoch <strong>über</strong> keinen gesicherten Zugang<br />
zu Grund und Boden.<br />
Auch <strong>die</strong> geringe landwirtschaftliche Produktivität<br />
muss verbessert werden, insbesondere<br />
in ökologisch benachteiligten Randregionen<br />
mit schlechten Böden und hohen Klimaschwankungen.<br />
Die bemerkenswerten Fortschritte<br />
der „Grünen Revolution“ sind an <strong>die</strong>sen<br />
Gebieten vorbeigegangen. Hier ist eine<br />
zweifache grüne Revolution vonnöten, <strong>die</strong> sowohl<br />
<strong>die</strong> Produktivität erhöht als auch <strong>die</strong><br />
ökologische Nachhaltigkeit verbessert. Es bedarf<br />
höherer Investitionen, um bessere Technologien<br />
zu erforschen und zu entwickeln und<br />
sie durch Beratungs<strong>die</strong>nste zu verbreiten. Zudem<br />
muss dringend in <strong>die</strong> Infrastruktur investiert<br />
werden, vor allem in Straßen und Lagersysteme.<br />
Doch <strong>die</strong> staatlichen Investitionen<br />
und <strong>die</strong> Unterstützung der Geberländer für<br />
<strong>die</strong> Landwirtschaft waren in den letzten Jahrzehnten<br />
rückläufig.<br />
Einfuhrzölle schützen <strong>die</strong> Märkte in den<br />
reichen Ländern und reduzieren <strong>die</strong> Anreize<br />
für <strong>die</strong> Bauern in den armen Ländern, in <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft zu investieren, was zu einer<br />
nachhaltigeren Ernährungssicherheit führen<br />
würde. Enorme Subventionen in den reichen<br />
Ländern verringern ebenfalls <strong>die</strong> Anreize, in<br />
eine langfristige Ernährungssicherung zu investieren<br />
und drücken <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />
nach unten. Für <strong>die</strong> Nahrungsmittelimporteure<br />
kann <strong>die</strong>s allerdings von Vorteil sein.<br />
Die Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung<br />
und <strong>die</strong> Beseitigung des<br />
Geschlechtergefälles in der Primar- und Sekundarschulbildung<br />
(Ziele 2 und 3) erfordern<br />
auch <strong>die</strong> Bewältigung damit verknüpfter<br />
Probleme wie Effizienz, Gerechtigkeit<br />
und verfügbare Finanzmittel<br />
Insgesamt sind in den Entwicklungsländern<br />
<strong>über</strong> 80 Prozent der Kinder in Primarschulen<br />
eingeschult. Jedoch besuchen rund 115 Millio-<br />
8 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
nen Kinder immer noch keine Primarschule,<br />
und in Afrika südlich der Sahara und in Südasien<br />
sind <strong>die</strong> Einschulungsraten mit 57 beziehungsweise<br />
84 Prozent beklagenswert niedrig.<br />
Ein Kind, das in Afrika in <strong>die</strong> erste Klasse eingeschult<br />
wird, hat eine jämmerliche Chance<br />
von 1 zu 3, dass es <strong>die</strong> Primarschule abschließen<br />
wird. Hinzu kommt, dass weltweit ein<br />
Sechstel der Erwachsenen Analphabeten sind.<br />
Die Kluft zwischen Männern und Frauen ist<br />
dabei nach wie vor enorm: von den 115 Millionen<br />
Kinder, <strong>die</strong> keine Schule besuchen,<br />
sind drei Fünftel Mädchen, und zwei Drittel<br />
der 876 Millionen erwachsenen Analphabeten<br />
sind Frauen.<br />
Mangelnde Bildung nimmt den einzelnen<br />
Menschen <strong>die</strong> Möglichkeit, ein erfülltes Leben<br />
zu führen. Sie entzieht aber auch der Gesellschaft<br />
<strong>die</strong> Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung,<br />
weil Bildung ausschlaggebend ist<br />
für <strong>die</strong> Verbesserung der Gesundheit, der<br />
Ernährung und der Produktivität. Das Bildungsziel<br />
ist also von zentraler Bedeutung für<br />
<strong>die</strong> Verwirklichung der anderen Ziele.<br />
In den meisten armen Ländern ist <strong>die</strong> angebotene<br />
Grundbildung höchst ungleich verteilt.<br />
Auf <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung<br />
entfallen sehr viel weniger als 20 Prozent der<br />
öffentlichen Ausgaben, während der Anteil der<br />
reichsten 20 Prozent sehr viel höher ist. Des<br />
Weiteren sind <strong>die</strong> pro Schüler aufgewendeten<br />
Finanzmittel im Bereich der Primarschulbildung<br />
sehr viel niedriger als bei der Sekundarund<br />
Hochschulbildung. Diese Verteilung benachteiligt<br />
<strong>die</strong> Armen ebenfalls, weil sie von<br />
der Grundbildung sehr viel stärker profitieren.<br />
Auch <strong>die</strong> den Haushalten entstehenden<br />
Kosten für <strong>die</strong> Schulbildung, etwa für Schulgebühren<br />
und Schuluniformen, halten vor allem<br />
Kinder aus den ärmsten Familien vom<br />
Schulbesuch ab. Als in Kenia, Malawi und<br />
Uganda Schuluniformen und -gebühren abgeschafft<br />
wurden, schnellten <strong>die</strong> Einschulungen<br />
in <strong>die</strong> Höhe. Ein gerechtes System führt auch<br />
zu besseren Ergebnissen: Länder mit guten<br />
Bildungsleistungen geben in der Regel mehr<br />
für <strong>die</strong> ärmsten Haushalte und mehr für <strong>die</strong><br />
Primarschulbildung aus.<br />
Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Unterschiede zwischen<br />
den Geschlechtern im Bildungsbereich <strong>über</strong>-<br />
wunden haben, zeigen, wie <strong>die</strong> Eltern dazu ermutigt<br />
werden können, ihre Töchter zur Schule<br />
zu schicken: indem Schulen in der Nähe des<br />
Wohnorts angesiedelt werden, indem <strong>die</strong> aus<br />
eigener Tasche zu tragenden Kosten möglichst<br />
gering gehalten werden, indem <strong>die</strong> Schulzeiten<br />
angepasst werden, um der Mithilfe im<br />
Haushalt Rechnung zu tragen, und indem<br />
Lehrerinnen eingestellt werden, was den Eltern<br />
ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Länder<br />
mit hohen Bildungsleistungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten<br />
beseitigt haben, weisen<br />
einen weit <strong>über</strong> dem Regionaldurchschnitt liegenden<br />
Lehrerinnenanteil auf.<br />
Viele Schulsysteme leiden unter einem ineffizienten<br />
Betrieb, in dem zu viele Kinder<br />
Klassen wiederholen müssen oder <strong>die</strong> Schule<br />
ohne Abschluss verlassen. In Ländern, in denen<br />
mehrere Sprachen gesprochen werden,<br />
wird <strong>die</strong> Lernerfahrung durch Unterricht in<br />
der Muttersprache in den ersten Schuljahren<br />
entscheidend verbessert. Schulspeisungsprogramme<br />
tragen ebenfalls dazu bei, dass Kinder<br />
zur Schule kommen und auch dort bleiben,<br />
denn hungrige Kinder können nicht lernen.<br />
Vorschulprogramme für jüngere Kinder helfen<br />
bei der Vorbereitung auf den Schulanfang,<br />
vor allem wenn <strong>die</strong> Kinder zur ersten Generation<br />
von Lernenden in einer Familie gehören.<br />
Eine kaum zu bewältigende Aufgabe für<br />
Länder mit geringen Einschulungsraten ist <strong>die</strong><br />
Steuerung der laufenden Kosten, um zwischen<br />
den Lehrergehältern, <strong>die</strong> in der Regel 90 Prozent<br />
oder mehr der Gesamtsumme beanspruchen,<br />
und den übrigen Kosten, wie z.B. für<br />
Schulbücher, ein größeres Gleichgewicht zu<br />
erzielen. Unter niedrigen Bildungsausgaben<br />
leiden insbesondere <strong>die</strong> Armen, denn den Eliten<br />
und mächtigen Gruppen gelingt es zumeist,<br />
sich einen unverhältnismäßig hohen<br />
Anteil der knappen Haushaltsmittel zu sichern.<br />
Schwache Haushalte machen auch <strong>die</strong><br />
Umsetzung von Reformen schwierig. Wenn<br />
mehr Mittel für <strong>die</strong> Bildung bereit stehen, ist<br />
es leichter, für mehr Gerechtigkeit und Effizienz<br />
zu sorgen.<br />
Die Mittelknappheit wird dadurch verschärft,<br />
dass <strong>die</strong> Unterstützung der Geber für<br />
den Bildungsbereich rückläufig ist. In den<br />
neunziger Jahren fiel <strong>die</strong>se Unterstützung real<br />
Das Bildungsziel ist von<br />
zentraler Bedeutung für<br />
<strong>die</strong> Verwirklichung der<br />
anderen Ziele<br />
ÜBERBLICK 9
In der Regel können sich<br />
Länder höhere Bildungsausgaben<br />
leisten, wenn<br />
ihre Volkswirtschaften<br />
wachsen. Aber <strong>die</strong><br />
ärmsten Länder müssen<br />
mehr für Bildung<br />
ausgeben, um aus der<br />
Armutsfalle<br />
herauszukommen<br />
um 30 Prozent auf 4,7 Milliarden Dollar, von<br />
denen lediglich 1,5 Milliarden Dollar für <strong>die</strong><br />
Grundbildung zur Verfügung standen. In der<br />
Regel finanzieren <strong>die</strong> Geber auch eher Ausrüstungen<br />
und andere Kapitalkosten und weniger<br />
<strong>die</strong> Lehrbücher, Lehrergehälter und sonstigen<br />
Betriebskosten. Doch genau hier liegen <strong>die</strong><br />
Engpässe.<br />
Der Privatsektor muss sowohl bei der Ausstattung<br />
als auch bei den Finanzmitteln wesentlich<br />
mehr für <strong>die</strong> Sekundar- und Hochschulbildung<br />
tun. Die Regierungen müssen<br />
<strong>die</strong> NRO und den Privatsektor dazu bewegen,<br />
das Angebot auszuweiten und gleichzeitig <strong>die</strong><br />
Einhaltung von Normen zu kontrollieren und<br />
Daten <strong>über</strong> Anzahl und Qualität von Privatschulen<br />
zentral zu erheben. In einem Umfeld<br />
knapper Ressourcen sind Gerechtigkeit und<br />
Effizienz nur dann zu verwirklichen, wenn<br />
staatliche Subventionen für Privatschulen<br />
nicht zu Lasten der Grundbildung für <strong>die</strong> Armen<br />
gehen.<br />
In der Regel können sich Länder höhere<br />
Bildungsausgaben leisten, wenn ihre Volkswirtschaften<br />
wachsen. Aber <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />
müssen mehr für Bildung ausgeben, um<br />
aus der Armutsfalle herauszukommen – und<br />
sie verfügen nicht <strong>über</strong> genügend Mittel für<br />
<strong>die</strong>se grundlegenden Investitionen.<br />
Die Verwirklichung der Gleichstellung der<br />
Geschlechter und <strong>die</strong> Ermächtigung der<br />
Frau (Ziel 3) sind wertvolle Ziele an sich,<br />
aber sie sind auch ausschlaggebend für <strong>die</strong><br />
Verwirklichung aller anderen Ziele<br />
Die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter<br />
und der Ermächtigung der Frau im<br />
breitesten Sinn gehört zu den Schlüsselzielen<br />
der Millenniums-Erklärung. Allerdings ist <strong>die</strong><br />
Beseitigung der Ungleichheit bei der Primarschulbildung<br />
<strong>die</strong> einzige quantitative Zielvorgabe.<br />
Bildung trägt zur Verbesserung der Gesundheit<br />
bei, und bessere Bildung und Gesundheit<br />
erhöhen <strong>die</strong> Produktivität, <strong>die</strong> zu<br />
Wirtschaftswachstum führt. Das Wachstum<br />
wiederum erzeugt Ressourcen, mit denen Verbesserungen<br />
der Gesundheit und Bildung finanziert<br />
werden können, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Produktivität<br />
weiter steigern. Die Gleichstellung der Geschlechter<br />
spielt in <strong>die</strong>sen Synergien eine ausschlaggebende<br />
Rolle, denn <strong>die</strong> Entwicklung<br />
wird von den Frauen getragen.<br />
In fast allen Gesellschaften werden Fürsorge<br />
und Betreuung vorrangig von Frauen<br />
geleistet. Daher trägt ihre Bildung mehr zur<br />
Gesundheit und Bildung der nächsten Generation<br />
bei als <strong>die</strong> Bildung von Männern. Dies<br />
gilt ganz besonders dann, wenn <strong>die</strong> Frauen<br />
auch ein starkes Mitspracherecht bei Entscheidungen<br />
innerhalb der Familie haben.<br />
Mädchen, <strong>die</strong> selbst eine Schulbildung genossen<br />
haben, wachsen zu Frauen heran, <strong>die</strong> weniger<br />
und gesündere Kinder haben, so dass<br />
der Übergang zu niedrigeren Geburtsraten<br />
beschleunigt wird. Besser ausgebildete, gesündere<br />
Frauen tragen auch zu höherer Produktivität<br />
bei, indem sie zum Beispiel landwirtschaftliche<br />
Neuerungen <strong>über</strong>nehmen. Damit<br />
erhöht sich auch das Haushaltseinkommen.<br />
Des Weiteren arbeiten solche Frauen häufig<br />
außer Haus, verfügen <strong>über</strong> ein eigenes Einkommen<br />
und damit <strong>über</strong> größere Selbständigkeit.<br />
Diese positiven Prozesse erhalten noch<br />
mehr Gewicht, wenn Frauen an Haushaltsentscheidungen<br />
beteiligt werden. Wenn Frauen<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit haben, durch gemeinsame<br />
Aktionen mehr Rechte zu verlangen, etwa das<br />
Recht auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung,<br />
auf gleiche Beschäftigungschancen,<br />
dann sind solche positiven Synergien noch<br />
wahrscheinlicher.<br />
Die Senkung der Kindersterblichkeit, <strong>die</strong><br />
Verbesserung der Gesundheit der Mütter<br />
und <strong>die</strong> Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria<br />
und anderen Krankheiten (Ziele 4-6)<br />
erfordern eine dramatische Ausweitung des<br />
Zugangs zur Gesundheitsversorgung<br />
Jedes Jahr sterben <strong>über</strong> zehn Millionen Kinder<br />
– 30.000 pro Tag – an vermeidbaren Krankheiten.<br />
Über 500.000 Frauen sterben jährlich<br />
auf Grund von Komplikationen während der<br />
Schwangerschaft oder Geburt; in den Ländern<br />
Afrikas südlich der Sahara sind solche<br />
Todesfälle hundert Mal wahrscheinlicher als<br />
in den OECD-Ländern (Organisation for<br />
10 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Economic Co-operation and Development)<br />
mit hohem Einkommen. Weltweit leben 42<br />
Millionen Menschen mit HIV/AIDS, davon<br />
39 Millionen in Entwicklungsländern. Tuberkulose<br />
ist (zusammen mit AIDS) weiterhin <strong>die</strong><br />
häufigste tödliche Infektionskrankheit bei Erwachsenen,<br />
sie verursacht bis zu zwei Millionen<br />
Todesfälle pro Jahr. Die Zahl der Malariatoten,<br />
<strong>die</strong> heute eine Million pro Jahr beträgt,<br />
könnte sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln.<br />
Ohne wesentlich schnellere Fortschritte<br />
werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele in<br />
<strong>die</strong>sem Bereich (Ziele 4–6) nicht erreicht werden.<br />
Selbst bei der Senkung der Kindersterblichkeit,<br />
wo stetige Fortschritte zu verzeichnen<br />
sind, würde Afrika südlich der Sahara beim<br />
gegenwärtigen Tempo <strong>die</strong> Senkung um zwei<br />
Drittel erst 150 Jahre nach dem angestrebten<br />
Datum erreichen.<br />
Das sind beschämende Statistiken, denn<br />
viele <strong>die</strong>ser Todesfälle wären vermeidbar,<br />
wenn Moskitonetze, Hebammen, bezahlbare<br />
Antibiotika, grundlegende Hygiene und eine<br />
Therapie zur Bekämpfung der Tuberkulose<br />
mit der Bezeichnung „Kurzzeitbehandlung<br />
unter Direktbeobachtung (Directly Observed<br />
Therapy Short Course – DOTS) in viel breiterem<br />
Umfang eingesetzt würden. All <strong>die</strong>s sind<br />
keine technisch aufwendigen Lösungen, aber<br />
sie könnten zusammen Millionen von Menschenleben<br />
retten. Dennoch sind sie für viele<br />
Länder unerreichbar. Dafür gibt es ein breites<br />
Spektrum systemischer Gründe: Ebenso wie<br />
im Bildungsbereich fehlt es den Gesundheitssystemen<br />
an Mitteln (vor allem für <strong>die</strong> gesundheitliche<br />
Grundversorgung), <strong>die</strong> angebotenen<br />
Dienste sind ungleich verteilt und es mangelt<br />
an Effizienz.<br />
Die Gesundheitssysteme in den armen<br />
Ländern sind viel zu schlecht finanziert, um<br />
<strong>die</strong> Ziele erreichen zu können. Kein OECD-<br />
Land mit hohem Einkommen gibt weniger als<br />
fünf Prozent seines Bruttoinlandsproduktes<br />
(BIP) für öffentliche Gesundheits<strong>die</strong>nste aus.<br />
Aber <strong>die</strong> Entwicklungsländer kommen kaum<br />
je <strong>über</strong> <strong>die</strong>sen Anteil hinaus, bei den meisten<br />
liegt er zwischen zwei und drei Prozent. 1997<br />
erreichten <strong>die</strong> staatlichen Gesundheitsausgaben<br />
in den am wenigsten entwickelten Län-<br />
dern im Durchschnitt lediglich sechs Dollar<br />
pro Kopf, bei den übrigen Ländern mit niedrigem<br />
Einkommen waren es 13 Dollar. Dagegen<br />
betrugen <strong>die</strong>se Pro-Kopf-Ausgaben in den<br />
Ländern, deren Einkommen im oberen mittleren<br />
Bereich liegt, 125 Dollar und in den Ländern<br />
mit hohem Einkommen 1.356 Dollar.<br />
Das absolute Minimum für <strong>die</strong> medizinische<br />
Grundversorgung liegt nach Schätzungen der<br />
World Health Organization (WHO) bei<br />
35–40 Dollar pro Kopf. In den armen Ländern<br />
ist es praktisch unmöglich, <strong>die</strong> internationalen<br />
Preise für lebensrettende Medikamente zu bezahlen<br />
– und es ist nahezu kriminell, <strong>die</strong>s von<br />
den armen Menschen zu erwarten.<br />
Bei kleinen und unzureichenden Budgets<br />
sind <strong>die</strong> Armen <strong>die</strong> Verlierer. In den meisten<br />
Ländern erhalten <strong>die</strong> ärmsten zwanzig Prozent<br />
der Haushalte viel weniger als zwanzig<br />
Prozent der Aufwendungen für Gesundheit.<br />
Dabei führt mehr Gerechtigkeit bei den Ausgaben<br />
zu besseren Ergebnissen: Länder, <strong>die</strong><br />
den ärmeren Haushalten mehr zukommen lassen,<br />
verzeichnen eine niedrigere Kindersterblichkeit.<br />
Unterschiede zwischen Stadt und<br />
Land sind ein weiteres Beispiel für ungerechte<br />
Verteilung. In der Regel erhalten <strong>die</strong> ländlichen<br />
Gebiete weniger Mittel. In Kambodscha<br />
leben 85 Prozent der Menschen im ländlichen<br />
Raum, aber nur 13 Prozent des staatlichen Gesundheitspersonals<br />
sind dort eingesetzt. In<br />
Angola leben 65 Prozent auf dem Land, aber<br />
nur 15 Prozent des Gesundheitspersonals arbeiten<br />
dort.<br />
Das Fehlen von Mitteln höhlt <strong>die</strong> Gesundheitssysteme<br />
immer weiter aus, denn der Mangel<br />
auf einem Gebiet führt zu Mängeln auf anderen.<br />
Wenn Kliniken keine Medikamente haben,<br />
hält <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Patienten davon ab, sich dort<br />
behandeln zu lassen. Dies wiederum führt zu<br />
häufigem Fernbleiben des Personals von der<br />
Arbeit, so dass <strong>die</strong> Effizienz weiter untergraben<br />
wird. Wenn dann <strong>die</strong> Bevölkerung den<br />
Wert der Gesundheits<strong>die</strong>nste nicht mehr<br />
sieht, wird das System nicht mehr kontrolliert<br />
und <strong>die</strong> Gesundheits<strong>die</strong>nste erfüllen <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />
immer weniger anstatt mehr.<br />
Die Politik muss sich mit den Problemen<br />
der verfügbaren Finanzmittel, der Gerechtigkeit<br />
und der Effizienz auseinandersetzen:<br />
Die Gesundheitssysteme<br />
in den armen Ländern<br />
sind viel zu schlecht<br />
finanziert, um <strong>die</strong> Ziele<br />
erreichen zu können<br />
ÜBERBLICK 11
Regierungen in armen<br />
Ländern müssen den<br />
Ausgaben für Gesundheit<br />
einen höheren Rang<br />
einräumen als sonstigen<br />
Aufwendungen, etwa für<br />
Verteidigung<br />
• Ressourcen mobilisieren. Regierungen in<br />
armen Ländern müssen den Ausgaben für Gesundheit<br />
einen höheren Rang einräumen als<br />
sonstigen Aufwendungen, etwa für Verteidigung.<br />
Und innerhalb der Gesundheitsbudgets<br />
muss <strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung<br />
Priorität erhalten. Aber in den Ländern mit<br />
niedrigem Einkommen ist das wahrscheinlich<br />
nicht genug.<br />
• Externe Ressourcen aufstocken. Dies gilt<br />
vor allem für <strong>die</strong> Entwicklungshilfe, aber<br />
Schuldenerleichterung, Medikamentenspenden<br />
und Preisabschläge seitens der pharmazeutischen<br />
Unternehmen wären ebenfalls ein<br />
wichtiger Beitrag.<br />
• Mehr Gerechtigkeit schaffen. Die Regierungen<br />
müssen Ungleichgewichte beseitigen,<br />
indem sie sich auf ländliche Gebiete, arme Bevölkerungsgruppen,<br />
Frauen und Kinder konzentrieren.<br />
Aber es reicht nicht aus, sich ausschließlich<br />
auf <strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung<br />
zu konzentrieren, denn staatliche<br />
Krankenhäuser, <strong>die</strong> bereits mit AIDS- oder<br />
Tuberkulosepatienten <strong>über</strong>belegt sind, können<br />
keine weiteren Patienten aufnehmen.<br />
• Die Arbeitsweise der Gesundheitssysteme<br />
verbessern. Regierungen mit Liquiditätsproblemen<br />
stehen bei der Festlegung der Prioritäten<br />
vor einem Dilemma. Oberste Priorität<br />
ist <strong>die</strong> Aufrechterhaltung eines integrierten<br />
Systems. Vertikale Programme, <strong>die</strong> auf bestimmte<br />
Krankheiten konzentriert sind, werden<br />
zwar immer populärer, aber ohne eine Basisinfrastruktur<br />
im Gesundheitswesen können<br />
sie weder effektiv noch nachhaltig sein. Solche<br />
Programme sollten in <strong>die</strong> Gesamtstruktur des<br />
Gesundheitswesen eingebunden werden. Das<br />
gilt auch für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung von<br />
Müttern und <strong>die</strong> reproduktive Gesundheitsversorgung.<br />
Viele Länder konzentrieren sich<br />
auf <strong>die</strong> Familienplanung, lassen jedoch <strong>die</strong><br />
Gesundheitsversorgung von Kindern und<br />
Müttern außer Acht. Sich auf <strong>die</strong> lebenswichtigen<br />
Maßnahmen zu konzentrieren, ist nicht<br />
genug; mit demselben Nachdruck muss auch<br />
dafür gesorgt werden, dass jedes Gesundheitszentrum<br />
<strong>über</strong> unverzichtbare Medikamente<br />
verfügt.<br />
Da private Dienstleister im Bereich der<br />
Gesundheitsversorgung für viele arme Men-<br />
schen <strong>die</strong> erste Anlaufstelle sind, müssen <strong>die</strong><br />
Regierungen durch bessere Vorschriften dafür<br />
sorgen, dass sie von der staatlichen Aufsicht<br />
erfasst werden. Dafür kommen zahlreiche<br />
Maßnahmen in Frage: Verbraucherschutzgesetze;<br />
Akkreditierungen, <strong>die</strong> dem Verbraucher<br />
zeigen, welche Anbieter registriert sind; Einwirken<br />
auf <strong>die</strong> praktischen Ärzte, sich auf<br />
grundlegende Medikamente zu beschränken.<br />
In vielen lateinamerikanischen Ländern wurden<br />
<strong>die</strong> besser entwickelten medizinischen<br />
Dienste durch <strong>die</strong> Einführung kommerzieller<br />
Arztpraxen privatisiert, <strong>die</strong>s hatte für <strong>die</strong> ärmsten<br />
Menschen alles andere als positive Auswirkungen.<br />
Die Halbierung des Anteils der Menschen<br />
ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und<br />
verbesserter Sanitärversorgung (Ziel 7) erfordert<br />
ein integriertes Vorgehen. Ohne Sanitäreinrichtungen<br />
und Hygiene ist sauberes<br />
Wasser von geringerem Nutzen für <strong>die</strong><br />
Gesundheit.<br />
Mehr als eine Milliarde Menschen in den Entwicklungsländern<br />
– also jeder Fünfte – haben<br />
keinen Zugang zu sauberem Wasser, und 2,4<br />
Milliarden fehlt der Zugang zu einer ausreichenden<br />
Sanitärversorgung. Beides kann <strong>über</strong><br />
Leben oder Tod entscheiden. Diarrhöe gehört<br />
zu den Haupttodesursachen von Kleinkindern:<br />
in den neunziger Jahren starben mehr<br />
Kinder an Diarrhöe als Menschen in den bewaffneten<br />
Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg<br />
ums Leben kamen. Am stärksten betroffen<br />
sind <strong>die</strong> armen Bewohner ländlicher Gebiete<br />
und in Elendssiedlungen.<br />
Auch hier gilt dasselbe wie für <strong>die</strong> anderen<br />
Gesundheitsziele. Es gibt preiswerte technische<br />
Lösungen, <strong>die</strong> den Gemeinwesen zugänglich<br />
und wohlbekannt sind: geschützte<br />
Schachtbrunnen, öffentliche Zapfstellen, geschützte<br />
Quellen, Latrinen mit manueller Spülung,<br />
einfache Grubenlatrinen, belüftete Grubenlatrinen<br />
und Anschlüsse zu Klärgruben<br />
oder geschlossenen Abwasserkanälen. Dennoch<br />
wird <strong>die</strong> Wirksamkeit <strong>die</strong>ser Lösungen<br />
durch verschiedene Faktoren untergraben,<br />
außerdem sind sie nicht wirklich ausreichend:<br />
12 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Wasser ohne Sanitärversorgung. Ohne<br />
verbesserte Sanitäreinrichtungen und bessere<br />
Hygiene ist der Zugang zu Wasser weit weniger<br />
nützlich. Eine bessere Gesundheitsversorgung<br />
wird für <strong>die</strong> Behandlung von durch Wasser<br />
<strong>über</strong>tragenen Krankheiten verhindert –<br />
Krankheiten, <strong>die</strong> durch sauberes Wasser, bessere<br />
Sanitäreinrichtungen und bessere Hygiene<br />
hätten vermieden werden können.<br />
Während jedoch <strong>die</strong> Nachfrage nach sauberem<br />
Wasser offensichtlich ist, hängt <strong>die</strong> Nachfrage<br />
nach entsprechender Sanitärversorgung<br />
erheblich stärker von der Hygieneerziehung<br />
ab. Oft bleibt es der Eigeninitiative der armen<br />
Haushalte <strong>über</strong>lassen, Sanitäreinrichtungen in<br />
ihren Wohnungen zu installieren, wobei sie<br />
häufig <strong>die</strong> Kosten dafür selbst tragen müssen.<br />
Wenn sie von der Notwendigkeit einer solchen<br />
Investition nicht <strong>über</strong>zeugt sind, werden<br />
sie sie wahrscheinlich nicht durchführen.<br />
Fehlende Ressourcen zur Finanzierung<br />
teurer Infrastruktur. In städtischen und<br />
Stadtrandgebieten erfordert Wasserversorgung<br />
<strong>die</strong> Erschließung von Quellen, eine Wasserleitung<br />
zu der betreffenden Kommune und<br />
ein örtliches Verteilungsnetz. Die Abwasserentsorgung<br />
erfordert öffentliche Kanalisationssysteme<br />
und Kläranlagen. Solche Investitionen<br />
verursachen erhebliche Kosten, <strong>die</strong><br />
weit <strong>über</strong> <strong>die</strong> Mittel der meisten Kommunalverwaltungen<br />
hinausgehen. Selbst in Ländern<br />
mit mittlerem Einkommen müssen solche<br />
Leistungen von der jeweiligen Regierung bereitgestellt<br />
werden. Der wichtigste Bestandteil<br />
der Infrastruktur für Wasser- und Sanitärversorgung<br />
ist <strong>die</strong> Abwasserbehandlung, um zu<br />
vermeiden, dass Abwässer völlig ungeklärt in<br />
<strong>die</strong> Flüsse gelangen und das Grundwasser verschmutzen.<br />
Dies setzt auch verbesserte Technologien<br />
voraus. Aber den Kommunalbehörden<br />
fehlen <strong>die</strong> Finanzmittel, um in <strong>die</strong> sanitäre<br />
Grundversorgung zu investieren.<br />
Hohe Kosten und schlechte Wartung.<br />
Die Regierungen müssen sicherstellen, das der<br />
Zugang der Armen zu Wasser- und Sanitär<strong>die</strong>nsten<br />
nicht durch ungerechte Abgaben untergraben<br />
wird, mit denen <strong>die</strong> Versorgung der<br />
Wohlhabenderen subventioniert wird. Die<br />
Bessergestellten sollten einen höheren Anteil<br />
an den Kosten für <strong>die</strong> Erhaltung der Infra-<br />
struktur <strong>die</strong>ser Dienste <strong>über</strong>nehmen. Die Ausgaben<br />
für kostenträchtige Systeme in den besseren<br />
Stadtvierteln verschlingen <strong>die</strong> Ressourcen<br />
für kostengünstige Systeme; Slums und<br />
Stadtrandgebiete bleiben häufig ohne jede<br />
Versorgung. Hinzu kommt, dass in ländlichen<br />
und Stadtrandgebieten <strong>die</strong> Wassersysteme oft<br />
schlecht unterhalten werden. In solchen Gebieten<br />
war <strong>die</strong> Einbeziehung der Gemeinwesen<br />
häufig der Schlüssel für <strong>die</strong> Verbesserung<br />
der Dienste.<br />
Die Erfahrungen mit multinationaler privater<br />
Beteiligung an der Wasser- und Sanitärversorgung<br />
sind zweischneidig. Es gibt einige<br />
Erfolge des Privatsektors bei der erweiterten<br />
Wasserversorgung armer Viertel in großen<br />
Städten (z.B. Buenos Aires, Argentinien und<br />
<strong>die</strong> Agglomeration von Manila, Philippinen).<br />
Aber bisweilen wurden <strong>die</strong>se Erfolge durch<br />
Korruption in großem Stil und <strong>die</strong> Nichteinhaltung<br />
von Abkommen mit der Regierung<br />
zunichte gemacht. Die einheimische Unternehmerschaft<br />
in <strong>die</strong>sem Sektor muss gefördert<br />
werden, wobei <strong>die</strong> staatlichen Entwicklungsbanken<br />
für <strong>die</strong> Finanzierung sorgen sollen.<br />
Die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />
(Ziel 7) erfordert es, mit den Ökosystemen<br />
so umzugehen, dass sie zu einer<br />
nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts<br />
der Menschen beitragen. Dies ist auch<br />
ein wichtiges Element bei der Erreichung<br />
der übrigen Ziele.<br />
Fast zwei Milliarden Hektar Boden sind von<br />
Erosion betroffen. Dies beeinträchtigt den Lebensunterhalt<br />
von bis zu einer Milliarde Menschen,<br />
<strong>die</strong> in Trockengebieten leben. Etwa 70<br />
Prozent des kommerziellen Fischfangs stammt<br />
aus voll ausgeschöpften oder <strong>über</strong>fischten Beständen.<br />
1,7 Milliarden Menschen – ein Drittel<br />
der Weltbevölkerung – leben in Ländern<br />
mit Wasserknappheit.<br />
Die Geografie von Verbrauch, Umweltschäden<br />
und <strong>menschliche</strong>m Einfluss ist uneinheitlich.<br />
Die reichen Länder verursachen<br />
den größten Teil der Umweltverschmutzung<br />
der Welt und dezimieren viele ihrer natürlichen<br />
Ressourcen. Wichtige Beispiele sind <strong>die</strong><br />
Da private Dienstleister<br />
im Bereich der Gesundheitsversorgung<br />
für viele<br />
arme Menschen <strong>die</strong> erste<br />
Anlaufstelle sind, müssen<br />
<strong>die</strong> Regierungen durch<br />
bessere Vorschriften dafür<br />
sorgen, dass sie von der<br />
staatlichen Aufsicht<br />
erfasst werden<br />
ÜBERBLICK 13
Eine Politik, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
ökologische<br />
Nachhaltigkeit fördert,<br />
muss großes Gewicht<br />
darauf legen, dass <strong>die</strong><br />
Ortsbevölkerung in <strong>die</strong><br />
Lösungen einbezogen<br />
wird und sich <strong>die</strong> Politik<br />
in den reichen Ländern<br />
ändert<br />
Erschöpfung der weltweiten Fischbestände<br />
und der Ausstoß von Treibhausgasen, <strong>die</strong> den<br />
Klimawandel verursachen; beides hängt mit<br />
den nicht nachhaltigen Konsummustern reicher<br />
Menschen und Länder zusammen. In<br />
den reichen Ländern erreicht der Ausstoß<br />
von Kohlendioxyd 12,4 Tonnen pro Kopf; in<br />
den Ländern mit mittlerem Einkommen sind<br />
es 3,2 Tonnen und in denen mit niedrigem<br />
Einkommen eine Tonne. Arme Menschen<br />
sind durch Umweltkatastrophen und -belastungen<br />
wie den zu erwartenden Auswirkungen<br />
des globalen Klimawandels am stärksten<br />
gefährdet.<br />
Die Umkehrung <strong>die</strong>ser negativen Trends<br />
wäre an sich schon wünschenswert, würde aber<br />
auch zum Erreichen der anderen Zielen beitragen,<br />
weil <strong>die</strong> Gesundheit, <strong>die</strong> Einkommen und<br />
<strong>die</strong> Chancen der armen Menschen durch <strong>die</strong><br />
Erschöpfung der natürlichen Ressourcen stark<br />
beeinflusst werden. Rund 900 Millionen Arme,<br />
<strong>die</strong> in ländlichen Gebieten leben, sind zur Sicherung<br />
ihres Lebensunterhalts zu einem<br />
großen Teil auf natürliche Produkte angewiesen.<br />
Bis zu einem Fünftel der Krankheiten, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> armen Länder belasten, hängen möglicherweise<br />
mit umweltbedingten Risikofaktoren<br />
zusammen. Klimaveränderungen, wie Überschwemmungskatastrophen,<br />
können <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />
Produktivität in armen Ländern<br />
beeinträchtigen und <strong>die</strong> Risiken erhöhen. Dies<br />
sind nur einige wenige Beispiele für das Zusammenwirken<br />
zwischen dem Umweltziel und<br />
den anderen Zielen.<br />
Eine Politik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ökologische Nachhaltigkeit<br />
fördert, muss großes Gewicht darauf<br />
legen, dass <strong>die</strong> lokale Bevölkerung in <strong>die</strong> Lösungen<br />
einbezogen wird. Sie sollte außerdem<br />
hervorheben, wie wichtig eine Änderung des<br />
politischen Kurses in den reichen Ländern ist.<br />
Vorrangige politische Maßnahmen sind:<br />
• Verbesserung der Institutionen und der<br />
Regierungsführung. Klare Definition von Eigentums-<br />
und Nutzerrechten, Verbesserung<br />
der Überwachung und Einhaltung von Umweltnormen<br />
und Einbeziehung der Gemeinwesen<br />
in das Management ihrer Umweltressourcen.<br />
• Aufnahme von Umweltschutz und Umweltmanagement<br />
in <strong>die</strong> sektoralen und son-<br />
stigen Entwicklungsstrategien der einzelnen<br />
Länder.<br />
• Verbesserung der Funktionsfähigkeit<br />
des Marktes. Abschaffung von umweltschädigenden<br />
Subventionen, vor allem in den reichen<br />
Ländern (etwa Subventionen für fossile<br />
Brennstoffe oder große kommerzielle Fischereiflotten),<br />
und Berücksichtigung der Umweltkosten<br />
durch Verschmutzungsabgaben.<br />
• Stärkung internationaler Mechanismen.<br />
Verbesserung der internationalen Bewältigung<br />
globaler Probleme wie etwa Schutz internationaler<br />
Wassereinzugsgebiete und Umkehrung<br />
des Klimawandels, zusammen mit<br />
Mechanismen zur gerechten Aufteilung <strong>die</strong>ser<br />
Lasten.<br />
• Investition in Wissenschaft und Technik.<br />
Höhere Investitionen in Technologien im<br />
Bereich der erneuerbaren Energien und<br />
Schaffung einer Beobachtungsstelle zur Überwachung<br />
der Funktionsweise und des Zustands<br />
der wichtigsten Ökosysteme.<br />
• Bewahrung wichtiger Ökosysteme.<br />
Schaffung von Schutzzonen unter Einbeziehung<br />
der Ortsbevölkerung.<br />
Wenn solche politischen Strategien Wurzeln<br />
schlagen und Früchte tragen sollen, muss<br />
es zu einer neuen Partnerschaft zwischen den<br />
reichen und den armen Ländern kommen. Im<br />
Sinne einer gerechten Aufgabenverteilung<br />
müssen große Länder mehr zur Verminderung<br />
der Umweltschäden beitragen und mehr<br />
Ressourcen für ihre Behebung einsetzen. Wie<br />
bei den anderen Zielen besteht auch hier eine<br />
dringende Notwendigkeit, einige extreme Benachteiligungen<br />
zu korrigieren.<br />
Politische Veränderungen in den reichen<br />
Ländern bei Entwicklungshilfe, Schuldenabbau,<br />
Handel und Technologietransfer<br />
(Ziel 8) sind für <strong>die</strong> Verwirklichung der<br />
Ziele unverzichtbar.<br />
Es ist schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong> ärmsten<br />
Länder <strong>die</strong> Ziele 1–7 verwirklichen können,<br />
ohne dass <strong>die</strong> reichen Länder <strong>die</strong> erforderlichen<br />
politischen Kursänderungen zur Verwirklichung<br />
von Ziel 8 vornehmen. Die armen<br />
Länder können aus eigener Kraft <strong>die</strong> struktu-<br />
14 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
ellen Zwänge nicht <strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> sie in der<br />
Armutsfalle gefangen halten, namentlich <strong>die</strong><br />
Zölle und Subventionen, mit denen <strong>die</strong> reichen<br />
Länder den Marktzugang für ihre Exporte<br />
beschränken; Patente, <strong>die</strong> den Zugang<br />
zu lebensrettender Technologie eingrenzen<br />
und langfristig nicht tragbare Schulden bei<br />
reichen Ländern, Regierungen und multilateralen<br />
Institutionen.<br />
Die ärmsten Länder verfügen nicht <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Mittel zur Finanzierung der Investitionen,<br />
<strong>die</strong> zur Erreichung eines Mindeststandards bei<br />
der Infrastruktur, der Bildung und der Gesundheit<br />
erforderlich sind. Sie haben nicht <strong>die</strong><br />
Mittel für Investitionen in <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
und in kleine Fertigungsbetriebe, um <strong>die</strong> Produktivität<br />
der Arbeitnehmer zu verbessern.<br />
Solche Investitionen schaffen <strong>die</strong> Grundlage<br />
für <strong>die</strong> Überwindung der Armutsfalle – und<br />
<strong>die</strong> Länder können nicht darauf warten, bis<br />
wirtschaftliches Wachstum <strong>die</strong> benötigten<br />
Ressourcen erzeugt. Kinder können nicht darauf<br />
warten, bis durch Wachstum Ressourcen<br />
erzeugt werden, wenn ihr Leben durch vermeidbare<br />
Ursachen bedroht ist.<br />
Der aus der Millenniums-Erklärung und<br />
dem Konsens von Monterrey hervorgegangene<br />
Partnerschaftsrahmen macht deutlich, dass<br />
<strong>die</strong> Hauptverantwortung für <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
der Ziele 1–7 bei den Entwicklungsländern<br />
liegt. Er verpflichtet <strong>die</strong>se Länder dazu,<br />
innerstaatliche Ressourcen zur Finanzierung<br />
der ehrgeizigen Programme zu mobilisieren,<br />
politische Reformen zur Stärkung der Wirtschaftsführung<br />
durchzuführen, den armen<br />
Menschen ein Mitspracherecht in den Entscheidungsprozessen<br />
einzuräumen und <strong>die</strong><br />
Demokratie, <strong>die</strong> Menschenrechte und <strong>die</strong> soziale<br />
Gerechtigkeit zu fördern. Aber der Konsens<br />
ist auch ein Pakt, der <strong>die</strong> reichen Länder<br />
dazu verpflichtet, noch mehr zu tun, jedoch<br />
als Leistungsziel und nicht als Anspruch. Der<br />
Millenniums-Entwicklungspakt verdeutlich <strong>die</strong><br />
ausschlaggebende Rolle der reichen Länder,<br />
<strong>die</strong> in Ziel 8 zum Ausdruck kommt.<br />
Die reichen Länder haben sich bei einer<br />
Reihe von Zusammenkünften zu konkretem<br />
Handeln verpflichtet: nicht nur auf dem Millenniums-Gipfel,<br />
sondern auch auf der Internationalen<br />
Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfi-<br />
nanzierung im März 2002 in Monterrey und<br />
auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />
im September 2002 in Johannesburg. In<br />
Doha (Katar) verpflichteten sich <strong>die</strong> Handelsminister<br />
im November 2001, <strong>die</strong> Interessen<br />
der armen Länder in den Mittelpunkt ihrer<br />
künftigen Arbeit am multilateralen Handelssystem<br />
zu stellen. Jetzt ist der Zeitpunkt für <strong>die</strong><br />
reichen Länder gekommen, ihre Zusagen einzulösen.<br />
Für <strong>die</strong> Länder mit höchster Priorität ist es<br />
am vordringlichsten, dass <strong>die</strong> reichen Länder<br />
jetzt handeln, denn sie haben den längsten<br />
Weg zur Ereichung der Ziele zurückzulegen.<br />
Ihr Wirtschaftswachstum stagniert seit zehn<br />
Jahren oder noch länger, wodurch ihre Schuldenbelastung<br />
auf eine nicht mehr tragbare<br />
Höhe angewachsen ist. Diese Länder sind auf<br />
<strong>die</strong> Ausfuhr von Rohstoffen angewiesen, deren<br />
Preise stetig gefallen sind. Auch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
ging in den neunziger Jahren<br />
zurück – in Afrika südlich der Sahara pro<br />
Kopf gerechnet um ein Drittel – und sie bleibt<br />
weit hinter dem zurück, was zur Verwirklichung<br />
der Ziele nötig ist.<br />
Mehr und wirksamere Entwicklungshilfe.<br />
Der Wendepunkt bei der rückläufigen<br />
Entwicklungshilfe kam auf der Konferenz von<br />
Monterrey, wo rund 16 Milliarden Dollar pro<br />
Jahr an zusätzlicher Entwicklungshilfe bis<br />
2006 zugesagt wurden. Dennoch würde <strong>die</strong>se<br />
Erhöhung <strong>die</strong> gesamte öffentliche Entwicklungshilfe<br />
auf lediglich 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
der 22 Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />
(Development Assistance<br />
Committee – DAC) der OECD anheben.<br />
Dieser Anteil würde immer noch weit<br />
unter dem Ziel von 0,7 Prozent liegen, das <strong>die</strong><br />
reichen Länder in Monterrey und Johannesburg<br />
zu erreichen versprachen. Er unterschreitet<br />
auch den geschätzten Bedarf, der<br />
entsprechend einer vorsichtigen Schätzung<br />
bei einer Größenordnung von rund 100 Milliarden<br />
Dollar pro Jahr liegt. Dies wäre eine<br />
Verdoppelung der Entwicklungshilfe, so dass<br />
rund 0,5 Prozent des Bruttosozialproduktes<br />
der Länder des Entwicklungshilfeausschusses<br />
der OECD erreicht würden.<br />
Aber mehr Hilfe allein ist nicht genug: sie<br />
muss auch effizienter werden. Im Konsens von<br />
Es ist schwer vorstellbar,<br />
dass <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />
<strong>die</strong> Ziele 1-7 verwirklichen<br />
können, ohne dass<br />
<strong>die</strong> reichen Länder <strong>die</strong><br />
erforderlichen politischen<br />
Kursänderungen zur<br />
Verwirklichung von Ziel 8<br />
vornehmen<br />
ÜBERBLICK 15
Die Handelspolitik der<br />
reichen Länder benachteiligt<br />
immer noch in<br />
hohem Maße <strong>die</strong> Exporte<br />
aus Entwicklungsländern<br />
Monterrey haben sich <strong>die</strong> Geber verpflichtet,<br />
nur dann zu helfen, wenn <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
gemeinsame Anstrengungen unternehmen,<br />
um Wirtschaftsführung und Demokratie<br />
zu verbessern und Maßnahmen für<br />
eine wirksame Armutsbekämpfung durchzuführen.<br />
Der Konsens verlangt von den Geberländern<br />
auch, ihre Verfahrensweisen zu verbessern,<br />
vor allem <strong>die</strong> Entwicklungsprioritäten<br />
der Empfängerländer zu respektieren, <strong>die</strong><br />
Lieferbindung für <strong>die</strong> Entwicklungshilfe aufzuheben,<br />
ihre Umsetzung zu harmonisieren<br />
beziehungsweise <strong>die</strong> administrative Belastung<br />
für <strong>die</strong> Empfängerländer zu reduzieren und<br />
eine Dezentralisierung anzustreben. Diese<br />
wichtigen Verpflichtungen wurden in der im<br />
Februar <strong>2003</strong> verabschiedeten Erklärung von<br />
Rom <strong>über</strong> Harmonisierung von den Leitern<br />
der multilateralen und bilateralen Entwicklungsinstitutionen<br />
auf ihrem Treffen in der italienischen<br />
Hauptstadt erneut bekräftigt.<br />
Neue Ansätze zur Schuldenerleichterung.<br />
26 Länder konnten ihre Schulden im Rahmen<br />
der Initiative für hoch verschuldete arme Länder<br />
(Heavily Indebted Poor Countries –<br />
HIPC) abbauen, acht von ihnen erreichten den<br />
Erfüllungszeitpunkt, so dass einige ihrer Schulden<br />
gestrichen wurden. Aber es muss noch viel<br />
mehr geschehen: Eine größere Zahl von Ländern<br />
muss in den Genuss <strong>die</strong>ser Maßnahmen<br />
kommen, und es muss auch sichergestellt werden,<br />
dass <strong>die</strong> Länder ihre Schuldenlast wirklich<br />
tragen können. So führten in Uganda in jüngster<br />
Zeit sinkende Kaffeepreise und schwindende<br />
Exporteinnahmen dazu, dass <strong>die</strong> Schuldenlast<br />
des Landes erneut untragbar wurde.<br />
Erweiterter Marktzugang als Hilfe zur<br />
Diversifizierung und Handelsausweitung.<br />
Die Handelspolitik der reichen Länder benachteiligt<br />
immer noch in hohem Maße <strong>die</strong><br />
Exporte aus Entwicklungsländern. Die durchschnittlichen<br />
Zölle der OECD-Länder auf<br />
Fertigwaren aus Entwicklungsländern sind<br />
<strong>über</strong> vier Mal so hoch wie <strong>die</strong>jenigen für Fertigwaren<br />
aus anderen OECD-Ländern. Hinzu<br />
kommt, dass <strong>die</strong> Agrarsubventionen der reichen<br />
Länder zu unfairer Konkurrenz führen.<br />
Baumwollbauern in Benin, Burkina Faso, dem<br />
Tschad, Mali und Togo haben ihre Produktivität<br />
verbessert. Ihre Produktionskosten sind<br />
niedriger als <strong>die</strong> ihrer Konkurrenten in den<br />
reichen Ländern, aber dennoch sind sie kaum<br />
wettbewerbsfähig. Die Agrarsubventionen der<br />
reichen Länder betragen <strong>über</strong> 300 Milliarden<br />
Dollar pro Jahr – das ist beinahe das Sechsfache<br />
der öffentlichen Entwicklungshilfe.<br />
Besserer Zugang zum globalen technischen<br />
Fortschritt. Die technologischen Durchbrüche<br />
der letzten Jahrzehnte haben ein enormes<br />
Potenzial für <strong>die</strong> Verbesserung des<br />
<strong>menschliche</strong>n Lebens durch technische Innovationen<br />
geschaffen. Den reichen Ländern<br />
eröffnet sich ein weites Feld, um dazu beizutragen,<br />
dass der technische Fortschritt zur<br />
Steigerung der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
eingesetzt wird und hilft, der Vernachlässigung<br />
der Bedürfnisse der Armen entgegenzuwirken.<br />
Derzeit sind nur zehn Prozent der globalen<br />
medizinischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />
den Krankheiten gewidmet,<br />
unter denen 90 Prozent der Ärmsten der<br />
Welt leiden. Die reichen Länder können auch<br />
helfen sicherzustellen, dass das Abkommen<br />
der Welthandelsorganisation (World Trade<br />
Organization – WTO) <strong>über</strong> <strong>die</strong> Handelsbezogenen<br />
Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums<br />
(Trade-Related Aspects of<br />
Intellectual Property Rights – TRIPS) <strong>die</strong> Interessen<br />
der Entwicklungsländer berücksichtigt.<br />
Das TRIPS-Abkommen schützt bisher<br />
nicht in ausreichendem Maß <strong>die</strong> Rechte indigener<br />
Gemeinschaften an ihrem traditionellen<br />
Wissen, das z.T. von Außenstehenden patentiert<br />
wird. Das TRIPS-Abkommen enthält<br />
zwar Bestimmungen zum Technologietransfer,<br />
<strong>die</strong> Formulierungen sind jedoch vage und<br />
erschweren <strong>die</strong> Umsetzung. Die WTO-Ministerkonferenz<br />
von Doha im Jahr 2001 bekräftigte,<br />
dass das TRIPS-Abkommen <strong>die</strong> armen<br />
Länder nicht daran hindern soll, ihrer Bevölkerung<br />
unverzichtbare Medikamente besser<br />
zugänglich zu machen. Die Konferenz traf den<br />
Beschluss, bis Dezember 2002 eine Einigung<br />
dar<strong>über</strong> zu erzielen, wie Länder ohne angemessene<br />
Fertigungskapazität Zugang zu solchen<br />
Medikamenten erhalten können. Aber<br />
<strong>die</strong>ser Termin ist verstrichen, ohne dass eine<br />
Lösung in Sicht wäre.<br />
Den Verpflichtungen weiter folgen –<br />
und neue Zielvorgaben formulieren. Die<br />
16 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
eichen Länder sind viele Verpflichtungen<br />
eingegangen, aber meistens ohne termingebundene<br />
und quantitative Zielvorgaben.<br />
Wenn <strong>die</strong> Entwicklungsländer <strong>die</strong> Ziele 1–7<br />
bis 2015 erreichen sollen, müssen <strong>die</strong> reichen<br />
Länder vor <strong>die</strong>sem Datum in einigen kritischen<br />
Bereichen Fortschritte erzielen. Dabei<br />
können sie sich selbst Fristen setzen, so dass<br />
<strong>die</strong>se Fortschritte <strong>über</strong>wacht werden können.<br />
Dieser Bericht schlägt vor, dass <strong>die</strong> reichen<br />
Länder <strong>die</strong> folgenden weiteren Zielvorgaben<br />
anstreben:<br />
• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
zur Schließung von Finanzlücken (<strong>die</strong> auf<br />
mindestens 50 Milliarden Dollar geschätzt<br />
werden).<br />
• Entwicklung konkreter Maßnahmen zur<br />
Umsetzung der Erklärung von Rom <strong>über</strong> Harmonisierung.<br />
• Beseitigung von Zöllen und Kontingenten<br />
auf Exporte aus Entwicklungsländern wie<br />
Agrarprodukte, Textilien und Bekleidung.<br />
• Abbau von Subventionen für landwirtschaftliche<br />
Produkte in den reichen Ländern.<br />
• Vereinbarung und Finanzierung eines Mechanismus<br />
der Ausgleichsfinanzierung für <strong>die</strong><br />
hochverschuldeten armen Länder im Fall unvorhersehbarer<br />
Ereignisse – wie beispielsweise<br />
Zusammenbrüche der Rohstoffpreise.<br />
• Vereinbarung und Finanzierung einer<br />
noch stärkeren Schuldenreduzierung für <strong>die</strong><br />
hochverschuldeten armen Länder, <strong>die</strong> den Erfüllungszeitpunkt<br />
erreicht haben, um <strong>die</strong> langfristige<br />
Tragbarkeit sicherzustellen.<br />
• Einführung von Schutz und Entgelt für<br />
traditionelles Wissen im TRIPS-Abkommen.<br />
• Verständigung dar<strong>über</strong>, was Länder ohne<br />
ausreichende Fertigungskapazitäten tun kön-<br />
nen, um <strong>die</strong> öffentliche Gesundheit im Rahmen<br />
des TRIPS-Abkommens zu schützen.<br />
So wie <strong>die</strong> Bevölkerung eines Landes dar<strong>über</strong><br />
wachen kann, was ihre Regierung unternimmt,<br />
um ihren Verpflichtungen nachzukommen,<br />
sollten auch <strong>die</strong> reichen Länder ihre Fortschritte<br />
bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen<br />
<strong>über</strong>wachen. Sie sollten als Beitrag zu einer<br />
globalen Strategie zur Verringerung der Armut<br />
Zwischen<strong>bericht</strong>e vorlegen, in denen sie ihre<br />
Prioritäten für ihre weiteren Schritte mitteilen.<br />
* * *<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele stellen <strong>die</strong><br />
Welt vor <strong>über</strong>wältigende Herausforderungen.<br />
Wenn es nicht zu radikalen Verbesserungen<br />
kommt, werden zu viele Länder <strong>die</strong> gesteckten<br />
Vorgaben nicht erreichen. Dies hätte verheerende<br />
Folgen für <strong>die</strong> ärmsten und schwächsten<br />
ihrer Bürger. Dennoch bietet sich der<br />
Welt heute <strong>die</strong> beispiellose Chance, <strong>die</strong> Verpflichtung<br />
zur Beseitigung der Armut zu erfüllen.<br />
Zum ersten Mal herrscht zwischen reichen<br />
und armen Ländern ein wirklicher Konsens<br />
dar<strong>über</strong>, dass Armut ein Problem der ganzen<br />
Welt ist, und dass <strong>die</strong> ganze Welt gemeinsam<br />
dagegen ankämpfen muss. Wie <strong>die</strong>ser Bericht<br />
erläutert, sind <strong>die</strong> Lösungen zur Überwindung<br />
von Hunger, Krankheit, Armut und fehlender<br />
Bildung zum großen Teil bekannt. Jedoch<br />
müssen für <strong>die</strong>se Anstrengungen angemessene<br />
Ressourcen bereitgestellt werden, und <strong>die</strong><br />
Dienstleistungen müssen gerechter und effizienter<br />
verteilt werden. All <strong>die</strong>s wird jedoch<br />
nicht geschehen, wenn nicht jedes einzelne<br />
Land, ob arm oder reich, seiner Verantwortung<br />
gegen<strong>über</strong> den Milliarden armer Menschen<br />
<strong>über</strong>all auf der Welt gerecht wird.<br />
ÜBERBLICK 17
Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
Im September 2000 verabschiedeten <strong>die</strong><br />
Staats- und Regierungschefs der Welt <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung<br />
der Vereinten Nationen.<br />
Sie verpflichteten darin ihre Länder auf stärkere<br />
globale Anstrengungen zur Minderung<br />
der Armut, zur Verbesserung der Gesundheit<br />
und zur Förderung von Frieden, Menschenrechten<br />
und ökologischer Nachhaltigkeit. Die<br />
Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>die</strong> aus der<br />
Erklärung hervorgegangen sind, stellen spezifische,<br />
messbare Zielvorgaben dar. Dazu<br />
gehört auch das Ziel, bis zum Jahr 2015 <strong>die</strong> extreme<br />
Armut zu mindern, von der noch immer<br />
mehr als eine Milliarde Menschen auf der<br />
Welt betroffen sind. Diese Ziele, und <strong>die</strong> Verpflichtungen<br />
der reichen und armen Länder,<br />
sie umzusetzen, wurden mehrfach bestätigt:<br />
im Konsens von Monterrey, dem Ergebnis der<br />
UN-Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />
vom März 2002; auf dem Weltgipfel für<br />
nachhaltige Entwicklung im September 2002<br />
und zum Auftakt der Welthandelsrunde von<br />
Doha.<br />
Staats- und Regierungschef aus reichen<br />
wie armen Länder haben <strong>die</strong> Konferenz von<br />
Monterrey als Zeichen eines gegenseitigen<br />
Paktes bei der Unterstützung gemeinsamer<br />
Entwicklungsziele beschrieben. Diese Verpflichtung<br />
stellt <strong>die</strong> Grundlage des Millenniums-Entwicklungspaktes<br />
dar, der hier vorgeschlagen<br />
wird. Es ist ein Pakt, durch den <strong>die</strong><br />
Weltgemeinschaft zusammenarbeiten kann,<br />
um den armen Ländern zu helfen, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen. Mit<br />
<strong>die</strong>sem Pakt werden alle wichtigen Interessengruppen<br />
aufgerufen, in gemeinsamer Verantwortung<br />
ihre Anstrengungen darauf auszurichten,<br />
den Erfolg der Ziele sicherzustellen.<br />
Arme Länder können auf mehr Unterstützung<br />
durch <strong>die</strong> Geber und auf besserem Zugang zu<br />
den Märkten der reichen Länder bestehen.<br />
Die Armen können ihre Politiker dafür zur<br />
Rechenschaft ziehen, dass sie <strong>die</strong> Zielvorgaben<br />
zur Minderung der Armut innerhalb eines<br />
festgelegten Zeitplans erreichen. Und <strong>die</strong> Geber<br />
können auf einer besseren Regierungsführung<br />
in armen Ländern und einer stärkeren<br />
Rechenschaftspflicht beim Einsatz der<br />
Entwicklungshilfegelder bestehen.<br />
Doch trotz des bewundernswerten Engagements<br />
auf der Millenniums-Versammlung<br />
der Vereinten Nationen und auf jüngeren internationalen<br />
Treffen werden Dutzende von<br />
Ländern als Fälle mit Priorität angesehen (in<br />
<strong>die</strong>sem Bericht unterteilt in „Länder mit hoher<br />
Priorität“ und „Länder mit höchster Priorität“),<br />
weil sie bedenklich weit davon entfernt<br />
sind, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen – was den Pakt<br />
nötiger macht denn je. Die globalen Kräfte,<br />
<strong>die</strong> Entwicklung befördern – wachsende<br />
Märkte, technologischer Fortschritt, <strong>die</strong> zunehmende<br />
Verbreitung der Demokratie – stiften<br />
bereits in großen Teilen der Welt Nutzen.<br />
Aber an Hunderten von Millionen der ärmsten<br />
Menschen der Welt gehen sie vorbei. Es<br />
sind nur noch zwölf Jahre bis zu dem Zeitpunkt,<br />
an dem <strong>die</strong> Ziele erreicht sein sollen.<br />
Und obgleich eine gute Staats- und Regierungsführung<br />
und gut funktionierende Institutionen<br />
in den ärmsten Ländern unabdingbar<br />
für den Erfolg der Ziele sind, so werden sie<br />
doch nicht ausreichen. Um <strong>die</strong> Ziele in den<br />
ärmsten Ländern erreichbar zu machen, müssen<br />
<strong>die</strong> reichen Länder, wie sie es versprochen<br />
haben, sehr viel mehr finanzielle Mittel bereitstellen<br />
und für das internationale System bessere<br />
Regeln aufstellen.<br />
Um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, sollte als erstes<br />
anerkannt werden, dass jedes Land eine Entwicklungsstrategie<br />
verfolgen muss, <strong>die</strong> seinen<br />
besonderen Bedürfnissen entspricht. Gesicherte<br />
Erfahrungen, gute wissenschaftliche<br />
Arbeit sowie eine ordnungsgemäße Überwachung<br />
und Evaluierung sollten <strong>die</strong> Grundla-<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt ist ein<br />
gemeinsames Produkt des Teams des Berichts<br />
<strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung und den<br />
Koordinatoren der Arbeitsgruppen des<br />
Millenniums-Projekts mit Beiträgen von anderen<br />
Millennium-Projektteilnehmern<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 19
Doch genauso wie <strong>die</strong><br />
Globalisierung einigen<br />
Regionen der Welt<br />
systematisch Nutzen<br />
gebracht hat, so ist sie an<br />
anderen Regionen sowie<br />
an vielen Gruppen<br />
innerhalb einzelner<br />
Länder vorbeigegangen<br />
gen für nationale Strategien sein. Innerhalb<br />
<strong>die</strong>ses Rahmens brauchen <strong>die</strong> armen Länder<br />
Spielraum, um mit den Gebern Strategien zu<br />
erarbeiten, <strong>die</strong> an <strong>die</strong> örtlichen Verhältnisse<br />
angepasst sind. Wenn nationale Programme<br />
nicht wirklich in einheimischen Händen liegen,<br />
werden sie weder an <strong>die</strong> Bedingungen vor<br />
Ort angepasst noch politisch tragfähig sein.<br />
Auch müssen in den nationalen Programmen<br />
<strong>die</strong> Menschenrechte geachtet werden. Die<br />
Programme müssen <strong>die</strong> Rechtsstaatlichkeit<br />
unterstützen und einer ehrlichen und wirksamen<br />
Umsetzung verpflichtet sein. Wenn <strong>die</strong>se<br />
Bedingungen erfüllt sind, sollten <strong>die</strong> armen<br />
Länder mit sehr viel mehr Unterstützung aus<br />
den reichen Ländern rechnen können, sowohl<br />
in finanzieller Hinsicht als auch in Hinblick<br />
auf fairere Spielregeln für Handel, Finanzen,<br />
Wissenschaft und Technologie.<br />
LÄNDER, DIE ZURÜCKBLEIBEN,<br />
MÜSSEN PRIORITÄT BEKOMMEN<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt muss sich<br />
als erstes den Ländern mit Priorität widmen,<br />
<strong>die</strong> bei der Erreichung der Ziele mit den größten<br />
Schwierigkeiten zu kämpfen haben – Länder<br />
mit der niedrigsten <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
und Länder, <strong>die</strong> im Laufe der letzten<br />
zehn Jahre <strong>die</strong> geringsten Fortschritte gemacht<br />
haben (siehe Kapitel 2). Für <strong>die</strong>se Länder<br />
sind nationale politische Reformen und<br />
sehr viel mehr Entwicklungshilfe von entscheidender<br />
Bedeutung.<br />
In den 1980er und einem großen Teil der<br />
1990er Jahre waren viele Entwicklungsanstrengungen<br />
der internationalen Finanzinstitutionen<br />
und wichtiger Geberländer von dem<br />
Glauben geleitet, dass <strong>die</strong> Kräfte des Marktes<br />
alle armen Länder auf den Weg eines sich<br />
selbst tragenden Wirtschaftswachstums<br />
führen würden. Die Globalisierung wurde als<br />
großartiger neuer Motor für weltweiten wirtschaftlichen<br />
Fortschritt angesehen. Man nahm<br />
an, dass <strong>die</strong> armen Länder in der Lage sein<br />
würden, wirtschaftliches Wachstum zu erzielen,<br />
wenn sie nur eine gute Wirtschaftspolitik<br />
auf der Grundlage der Regeln von makroökonomischer<br />
Stabilität, der Liberalisierung der<br />
Märkte und der Privatisierung der Wirtschaft<br />
verfolgten. Vom Wirtschaftswachstum wiederum<br />
erwartete man weitreichende Verbesserungen<br />
in den Bereichen Gesundheit, Bildung,<br />
Ernährung, Versorgung mit Wohnraum<br />
und dem Zugang zu infrastruktureller Grundversorgung,<br />
wie Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />
<strong>die</strong> es den Ländern ermöglichen würden,<br />
sich aus der Armut zu befreien.<br />
Obwohl sich <strong>die</strong>se optimistische Vorstellung<br />
für Hunderte von Millionen armer Menschen<br />
als ausgesprochen unzulänglich herausgestellt<br />
hat, so ist sie doch nach wie vor für<br />
weite Teile der Welt von nicht unerheblichem<br />
Nutzen. Obgleich es in den vergangenen Jahren<br />
Proteste gegen <strong>die</strong> Globalisierung gegeben<br />
hat, haben doch <strong>die</strong> globalen Marktkräfte zu<br />
wirtschaftlichem Wachstum und zur Minderung<br />
der Armut in China, In<strong>die</strong>n und Dutzenden<br />
anderer Entwicklungsländer beigetragen.<br />
Dank der globalen Marktkräfte und nationaler<br />
politischer Strategien, <strong>die</strong> dazu beitragen, <strong>die</strong>se<br />
Kräfte auch nutzbar zu machen, leben Milliarden<br />
von Menschen länger und genießen einen<br />
höheren Lebensstandard.<br />
Doch genauso wie <strong>die</strong> Globalisierung einigen<br />
Regionen der Welt systematisch Nutzen<br />
gebracht hat, so ist sie an anderen Regionen<br />
sowie an vielen Gruppen innerhalb einzelner<br />
Länder vorbeigegangen. In den 1990er Jahren<br />
ist der Lebensstandard in weiten Teilen Ostund<br />
Südasiens enorm gestiegen. Doch in weiten<br />
Teilen Afrikas südlich der Sahara, Osteuropas<br />
und der Gemeinschaft Unabhängiger<br />
Staaten (GUS) sowie in vielen Ländern Lateinamerikas<br />
und des Nahen Ostens ist <strong>die</strong>s<br />
nicht passiert. Hinzu kommen epidemisch<br />
auftretende Krankheiten, insbesondere<br />
HIV/AIDS. Solche Krankheiten treffen gerade<br />
<strong>die</strong> Menschen <strong>über</strong>proportional, <strong>die</strong> ohnehin<br />
schon benachteiligt sind, und werfen sie<br />
noch weiter zurück – was dazu führt, dass <strong>die</strong><br />
Armen in einem Teufelskreis von Armut und<br />
Krankheit gefangen gehalten werden.<br />
Selbst in großen und wachsenden Volkswirtschaften<br />
wie Brasilien, China, In<strong>die</strong>n oder<br />
Mexiko gibt es extrem arme Regionen, in denen<br />
das Wachstum der Volkswirtschaft kaum<br />
Abhilfe schafft. Der wirtschaftliche und soziale<br />
Fortschritt geht oft auch an ethnischen Minderheiten<br />
und sogar an Mehrheiten vorbei –<br />
20 HBERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
insbesondere an Mädchen und Frauen, <strong>die</strong><br />
unter geschlechtsspezifischen Benachteiligungen<br />
beim Zugang zu Schulbildung, öffentlichen<br />
Diensten, Arbeitsplätzen und Privateigentum<br />
leiden.<br />
Trotz des höheren Lebensstandards, den<br />
<strong>die</strong> Globalisierung (unterstützt von guter<br />
Wirtschaftspolitik) in weiten Teilen der Welt<br />
mit sich gebracht hat, erleben also Hunderte<br />
von Millionen von Menschen wirtschaftliche<br />
Rückschritte statt Fortschritte. Und <strong>über</strong> eine<br />
Milliarde Menschen kämpfen, gegeißelt von<br />
Hunger und Krankheiten, um ihr tägliches<br />
Überleben.<br />
Es gibt viele Gründe, warum <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />
Entwicklung an vielen der ärmsten<br />
Menschen und der ärmsten Gegenden der<br />
Welt noch immer vorbeigeht. Ein häufiger<br />
Grund ist eine schlechte Staats- und Regierungsführung.<br />
Wenn Regierungen korrupt, inkompetent<br />
oder ihren Bürgern gegen<strong>über</strong><br />
nicht rechenschaftspflichtig sind, dann drohen<br />
Volkswirtschaften zu versagen. Wo <strong>die</strong> Einkommensunterschiede<br />
sehr groß sind, kontrollieren<br />
oft <strong>die</strong> Reichen das politische System<br />
und vernachlässigen einfach <strong>die</strong> Armen, wodurch<br />
eine breitangelegte Entwicklung verhindert<br />
wird. Ebenso wird das wirtschaftliche<br />
Wachstum zum Erliegen kommen, wenn Regierungen<br />
nicht ausreichend in <strong>die</strong> Gesundheit<br />
und Bildung ihrer Bevölkerung investieren,<br />
weil es dann nicht genug gesunde, qualifizierte<br />
Arbeitskräfte gibt. Ohne eine gute Staats- und<br />
Regierungsführung in Bezug auf Wirtschaftspolitik,<br />
Menschenrechte, gut funktionierende<br />
Institutionen und demokratische politische<br />
Partizipation kann kein Land mit niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung erwarten, dass seine<br />
Entwicklungsanstrengungen langfristig erfolgreich<br />
sein werden oder dass <strong>die</strong> Geberländer<br />
ihre Unterstützung ausweiten.<br />
Viele Beobachter würden <strong>die</strong> Armen gerne<br />
belehren, einfach selber für eine Verbesserung<br />
zu sorgen, doch <strong>die</strong> meisten armen Länder<br />
stehen vor schwierigen strukturellen Problemen,<br />
<strong>die</strong> weit außerhalb ihrer Kontrolle liegen.<br />
Zu <strong>die</strong>sen Problemen gehört oft auch das<br />
internationale Handelssystem, wenn zum Beispiel<br />
reiche Länder Agrarexporte aus armen<br />
Ländern blockieren oder ihren Bauern hohe<br />
Subventionen zahlen und so <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />
<strong>die</strong>ser Exportgüter drücken. Arme Länder<br />
sehen sich auch beim Export von Textilien<br />
und Bekleidung, von verarbeiteten Lebensmitteln<br />
und Getränken und von anderen Produkten,<br />
bei denen sie konkurrenzfähig sein<br />
könnten, Handelsbarrieren gegen<strong>über</strong>. Hinzu<br />
kommt, dass viele Regierungen durch unbezahlbare<br />
Auslandsschulden gelähmt sind, <strong>die</strong><br />
sie von Vorgängerregierungen geerbt haben –<br />
während <strong>die</strong> Bemühungen um Schuldenerleichterungen<br />
zu spärlich ausfallen und zu spät<br />
kommen bzw. gekommen sind.<br />
Die geographische Lage bietet eine weitere<br />
wichtige Erklärung für fehlende wirtschaftliche<br />
Entwicklung. Viele arme Länder sind<br />
einfach zu klein und geographisch zu isoliert,<br />
um in- oder ausländische Investoren anzuziehen.<br />
Das Binnenland Mali mit seiner Bevölkerung<br />
von elf Millionen Menschen und einem<br />
jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund<br />
240 US-Dollar (bzw. 800 US-Dollar, an der<br />
Kaufkraftparität gemessen) ist für <strong>die</strong> meisten<br />
potenziellen ausländischen Investoren kaum<br />
interessant. Das Bruttosozialprodukt Malis<br />
entspricht mit rund 2,6 Milliarden US-Dollar<br />
in etwa dem einer Kleinstadt in einem reichen<br />
Land, wo etwa 85.000 Menschen von durchschnittlich<br />
30.000 US-Dollar im Jahr leben.<br />
Angesichts extrem hoher Transportkosten<br />
und einem kaum vorhandenen Interesse auf<br />
Seiten internationaler Unternehmen, in <strong>die</strong><br />
Produktion für kleine inländische Märkte zu<br />
investieren, geht <strong>die</strong> Globalisierung an solchen<br />
Ländern vorbei.<br />
Arme, abgelegene Länder wie Mali sind<br />
mit der Weltwirtschaft verbunden, indem sie<br />
meist einige wenige traditionelle Rohstoffe<br />
produzieren. Doch das langsame Wachstum<br />
der Weltwirtschaft, gleichbleibende Technologien<br />
und <strong>die</strong> oft schwankenden oder sinkenden<br />
Weltmarktpreise für <strong>die</strong>se Rohstoffe bieten<br />
keine ausreichend breite Basis für wirtschaftlichen<br />
Fortschritt. Aufgrund der anhaltend<br />
starken Abhängigkeit vom Export einiger<br />
weniger Rohstoffe gibt es keine Chancen,<br />
langfristig erfolgreich zu sein. In <strong>die</strong>ser verhängnisvollen<br />
Lage befinden sich weite Teile<br />
Afrikas südlich der Sahara, <strong>die</strong> Andenregion<br />
und Zentralasien.<br />
Wenn Regierungen<br />
korrupt, inkompetent oder<br />
ihren Bürgern gegen<strong>über</strong><br />
nicht rechenschaftspflichtig<br />
sind, dann<br />
drohen Volkswirtschaften<br />
zu versagen<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 21
Dafür wird der<br />
Millenniums-<br />
Entwicklungspakt<br />
benötigt: Ohne ihn<br />
werden <strong>die</strong> armen Länder<br />
bei niedrigem oder<br />
negativem<br />
Wirtschaftswachstum in<br />
der Armutsfalle gefangen<br />
bleiben<br />
Diese strukturellen Probleme werden<br />
durch das schnelle Bevölkerungswachstum<br />
noch verschärft. Die Bevölkerung wächst tendenziell<br />
in den Ländern am schnellsten, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
niedrigste <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufweisen.<br />
Dies kann zur Folge haben, dass immer weniger<br />
Ackerland zur Verfügung steht und <strong>die</strong> Umweltzerstörung<br />
(Abholzung, Verschlechterung<br />
der Bodenqualität, Überfischung und sinkende<br />
Süßwasservorkommen) zunimmt.<br />
Außerdem werden geographische Barrieren,<br />
<strong>die</strong> Abhängigkeit von Rohstoffen und der<br />
demographische Druck oft durch <strong>die</strong> große<br />
Belastung von Krankheiten wie HIV/AIDS,<br />
Tuberkulose und Malaria weiter verschlimmert<br />
– oder durch biophysikalische Probleme<br />
wie ausgelaugte Böden und gestörte Ökosysteme.<br />
Zwar legen <strong>die</strong> reichen Länder und <strong>die</strong><br />
wirtschaftlichen Institutionen, <strong>über</strong> <strong>die</strong> sie <strong>die</strong><br />
Kontrolle haben, bei der Festlegung der Zuweisung<br />
von Entwicklungshilfemitteln den<br />
Schwerpunkt auf eine gute Staats- und Regierungsführung.<br />
Doch allzu oft schenken sie den<br />
anderen Problemen, vor denen viele der ärmsten<br />
Länder stehen, keine Beachtung – insbesondere<br />
da <strong>die</strong> reichen Länder keine Erfahrungen<br />
mit um sich umgreifenden endemischen<br />
tropischen Krankheiten wie Malaria haben.<br />
Allzu viele politische Entscheidungsträger<br />
in den reichen Ländern glauben, dass <strong>die</strong><br />
armen Länder sich einfach nicht genug anstrengen,<br />
um sich zu entwickeln. Es fehlt ihnen<br />
das Verständnis für <strong>die</strong> tieferliegenden<br />
strukturellen Zwänge, <strong>die</strong> dort herrschen.<br />
MINDESTSTANDARDS, UM DER<br />
ARMUTSFALLE ZU ENTKOMMEN<br />
Aufgrund <strong>die</strong>ser strukturellen Hindernisse<br />
bleiben Länder in der Armutsfalle gefangen.<br />
Aber selbst unter derart schwierigen Bedingungen<br />
gibt es Grund zur Hoffnung. Für weitverbreitete<br />
Krankheiten, für Probleme aufgrund<br />
der geographischen Isolation, sensible Ökosysteme,<br />
<strong>über</strong>mäßige Abhängigkeit von Rohstoffexporten<br />
und schnelles Bevölkerungswachstum<br />
gibt es praktische, erprobte Lösungen.<br />
Dazu gehören politische Kursänderungen auf<br />
Seiten der reichen Länder, und sehr viel mehr<br />
Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur, <strong>die</strong> Kontrol-<br />
le von Krankheiten und <strong>die</strong> ökologische Nachhaltigkeit<br />
auf Seiten der armen Länder, unterstützt<br />
durch mehr finanzielle Hilfe der Regierungen<br />
der Geberländer. Dafür wird der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
benötigt. Ohne<br />
ihn werden <strong>die</strong> armen Länder bei niedrigem<br />
oder negativem Wirtschaftswachstum in der<br />
Armutsfalle gefangen bleiben.<br />
Anhaltendes Wirtschaftswachstum hilft in<br />
zweierlei Hinsicht, <strong>die</strong> Fesseln der Armut zu<br />
sprengen. Erstens erhöht es direkt das durchschnittliche<br />
Haushaltseinkommen. Wenn <strong>die</strong><br />
Haushalte unterhalb der Armutsgrenze Anteil<br />
am durchschnittlichen Anstieg des Volkseinkommens<br />
haben, dann kommt es zu einer direkten<br />
Minderung der extremen Einkommensarmut<br />
(d.h. des Anteils der Bevölkerung,<br />
der mit weniger als einem US-Dollar pro Tag<br />
<strong>über</strong>lebt). Die Erfahrung hat eindrucksvoll gezeigt,<br />
dass wirtschaftliches Wachstum den Armen<br />
aus der Falle der Einkommensarmut heraushelfen<br />
kann.<br />
Doch zu solchen positiven Wirkungen<br />
kommt es nicht automatisch. Sie können zunichte<br />
gemacht werden, wenn <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
des Einkommens zunimmt und <strong>die</strong><br />
Armen keinen ausreichenden Anteil am<br />
Wachstum haben – ein Phänomen, das in den<br />
vergangenen Jahren in vielen Ländern zu beobachten<br />
war. Deshalb werden in dem Pakt<br />
Maßnahmen betont, mit denen sichergestellt<br />
werden soll, dass <strong>die</strong> Armen einen Anteil am<br />
Gesamtwachstum haben. Dabei liegt der<br />
Schwerpunkt darauf, ihren Zugang zu den<br />
entscheidenden Faktoren zu verbessern – indem<br />
zum Beispiel <strong>die</strong> Grundbesitzverhältnisse<br />
gesichert werden, <strong>die</strong> Gründung von Kleinunternehmen<br />
erleichtert wird, arbeitsintensive<br />
Exporte gefördert werden und ein breiterer<br />
Zugang zu Kleinstkrediten geschaffen wird.<br />
Wirtschaftliches Wachstum verringert <strong>die</strong><br />
Einkommensarmut am stärksten, wenn <strong>die</strong><br />
Ungleichverteilung des Einkommens in der<br />
Ausgangslage möglichst gering ist.<br />
Wirtschaftliches Wachstum hat auch indirekte<br />
Wirkungen. Es mindert <strong>die</strong> nicht einkommensbezogene<br />
Armut, indem es <strong>die</strong><br />
Staatseinkünfte erhöht und damit mehr öffentliche<br />
Investitionen in Bildung, Basisinfrastruktur,<br />
<strong>die</strong> Kontrolle von Krankheiten und<br />
22 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
<strong>die</strong> Gesundheitsversorgung (insbesondere von<br />
Müttern und Kindern) ermöglicht. Hinzu<br />
kommt, dass <strong>die</strong>se Investitionen nicht nur <strong>die</strong><br />
nicht einkommensbezogene Armut mindern,<br />
sondern auch das Wirtschaftswachstum beschleunigen,<br />
indem sie <strong>die</strong> Qualifikation der<br />
Arbeitskräfte und <strong>die</strong> Produktivität erhöhen –<br />
und damit das Markteinkommen der Armen.<br />
Obwohl Wirtschaftswachstum nicht automatisch<br />
als Mittel gegen <strong>die</strong> nicht einkommensbezogene<br />
Armut wirkt, leistet es doch einen<br />
bedeutenden Beitrag zur Minderung der<br />
Armut, vorausgesetzt dass politisch sichergestellt<br />
wird, dass seine Dividenden <strong>die</strong> Armen<br />
auch erreichen. Einige arme Länder haben<br />
eindrucksvolle Fortschritte im Bildungs- und<br />
Gesundheitswesen erzielt, indem sie <strong>die</strong>sen<br />
Bereichen hohe Priorität beimaßen. Doch nur<br />
Wachstum kann solche Fortschritte aufrecht<br />
erhalten, denn in einer stagnierenden Volkswirtschaft<br />
gewinnen staatliche Haushaltsdefizite<br />
früher oder später <strong>die</strong> Oberhand. Zusammengefasst:<br />
Öffentliche Investitionen für <strong>die</strong><br />
Armen kurbeln das wirtschaftliche Wachstum<br />
an, während wirtschaftliches Wachstum solche<br />
Investitionen langfristig möglich macht.<br />
Die Gleichstellung der Geschlechter spielt<br />
in all <strong>die</strong>sen Bereichen eine zentrale Rolle. Die<br />
wirkungsvolle Verbindung zwischen der Produktivität<br />
und der Bildung und Gesundheit<br />
von Müttern und Mädchen – einschließlich<br />
der reproduktiven Gesundheit – werden allzu<br />
oft außer Kraft gesetzt, weil es den Frauen an<br />
Ermächtigung fehlt. Mädchen, <strong>die</strong> einen<br />
höheren Bildungsstand haben, heiraten später.<br />
Sie haben weniger Kinder, gebildetere<br />
Kinder, gesündere Kinder. Und erzielen auf<br />
dem Arbeitsmarkt ein höheres Einkommen.<br />
Wenn Mädchen nicht <strong>die</strong> Möglichkeit bekommen,<br />
zur Schule zu gehen, oder wenn es Frauen<br />
mit einem höheren Bildungsstand nicht erlaubt<br />
ist, sich am Arbeitsleben zu beteiligen,<br />
werden <strong>die</strong>se potenziellen Chancen vergeudet.<br />
Wenn bei öffentlichen Investitionen in <strong>die</strong> Basisinfrastruktur<br />
(wie z.B. sauberes Wasser) <strong>die</strong><br />
Bedürfnisse der Frauen nicht berücksichtigt<br />
werden, dann könnten Frauen dazu verurteilt<br />
sein, mehrere Stunden am Tag damit zu verbringen<br />
Wasser zu holen, statt einen produktiveren<br />
gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.<br />
Wenn Frauen kein Mitspracherecht bei Haushaltsentscheidungen<br />
haben, werden <strong>die</strong> Synergien<br />
zwischen Produktivität, Gesundheit und<br />
Bildung gebremst. Die Gleichstellung der Geschlechter<br />
bedeutet also mehr als soziale Gerechtigkeit,<br />
sie fördert Entwicklung.<br />
Für <strong>die</strong> Länder, <strong>die</strong> in der Armutsfalle gefangen<br />
sind, wird Wachstum nicht von alleine<br />
kommen, und <strong>die</strong> einheimischen Investitionen<br />
in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung werden nicht<br />
ausreichen. Um der Armutsfalle zu entkommen,<br />
brauchen <strong>die</strong>se Länder sehr viel mehr finanzielle<br />
Unterstützung der Geber, um sehr<br />
viel stärker in Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft,<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />
und andere zentrale Infrastrukturbereiche zu<br />
investieren, schon bevor es zu wirtschaftlichem<br />
Wachstum kommt. Solche Investitionen<br />
sind von entscheidender Bedeutung, um <strong>die</strong><br />
Voraussetzungen für anhaltendes Wirtschaftswachstum<br />
erst einmal zu schaffen.<br />
Die Botschaft ist einfach: Um der Armutsfalle<br />
zu entkommen muss ein Land bestimmte<br />
Mindeststandards erreichen – in Bezug auf<br />
Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und<br />
Staats- und Regierungsführung. Dadurch bekommt<br />
es erst <strong>die</strong> Möglichkeit, anhaltendes<br />
Wirtschaftswachstum in Gang zu setzen. Dutzende<br />
armer Länder liegen unter <strong>die</strong>sen Mindeststandards,<br />
oft keineswegs durch eigenes<br />
Verschulden, und aus Gründen, <strong>die</strong> völlig<br />
außerhalb ihrer Kontrolle liegen. An <strong>die</strong>ser<br />
Stelle greift der Pakt zwischen den reichen<br />
und den armen Ländern. Wenn ein Land <strong>die</strong><br />
richtigen politischen Strategien wählt und sich<br />
bei der Umsetzung <strong>die</strong>ser Strategien einer guten<br />
Staats- und Regierungsführung verpflichtet,<br />
dann muss <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />
– internationale Organisationen, bilaterale<br />
Geber, private Akteure, Organisationen<br />
der Zivilgesellschaft – <strong>die</strong>sem Land mit mehr<br />
Entwicklungshilfe helfen, <strong>die</strong> Mindeststandards<br />
zu erreichen.<br />
POLITISCHE MASSNAHMENBÜNDEL,<br />
UM DER ARMUTSFALLE ZU ENTKOMMEN<br />
Um Wege aus der Armutsfalle zu finden,<br />
braucht es einen vielschichtigen Ansatz – einen<br />
Ansatz, der <strong>über</strong> <strong>die</strong> gängigen vernünfti-<br />
Öffentliche Investitionen<br />
für <strong>die</strong> Armen kurbeln<br />
das wirtschaftliche<br />
Wachstum an, während<br />
wirtschaftliches<br />
Wachstum solche<br />
Investitionen langfristig<br />
möglich macht<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 23
Das erste Maßnahmenbündel<br />
– Investitionen<br />
in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung – muss<br />
durch sehr viel mehr<br />
Geberbeiträge gestützt<br />
werden, noch bevor<br />
wirtschaftliches<br />
Wachstum greift<br />
gen Gebote in Bezug auf gute wirtschaftliche<br />
und politische Staats- und Regierungsführung<br />
hinaus geht. Für Länder, <strong>die</strong> in der Armutsfalle<br />
stecken, sind sechs Maßnahmenbündel entscheidend:<br />
• Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
– Ernährung, Gesundheit (einschließlich<br />
reproduktiver Gesundheit), Bildung, Trinkwasser-<br />
und Sanitärversorgung – um produktive<br />
Arbeitskräfte zu fördern, <strong>die</strong> an der Weltwirtschaft<br />
erfolgreich teilhaben können.<br />
• Unterstützung für Kleinbauern zur Erhöhung<br />
der Produktivität als Ausweg aus der<br />
Subsistenzwirtschaft und chronischer Unterernährung<br />
– insbesondere in Ländern mit<br />
<strong>über</strong>wiegend ländlicher Bevölkerung.<br />
• Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur – Energie,<br />
Straßen, Häfen, Kommunikation – um<br />
neue Investitionen in nicht-traditionellen Bereichen<br />
anzuziehen.<br />
• Entwicklung einer Industrieansiedlungspolitik<br />
unter besonderer Berücksichtung kleiner<br />
und mittelständischer Unternehmen,<br />
durch <strong>die</strong> nicht-traditionelle Aktivitäten des<br />
Privatsektors unterstützt werden. Eine solche<br />
Politik könnte Zonen für <strong>die</strong> Weiterverarbeitung<br />
von Exportgütern umfassen sowie steuerliche<br />
Anreize und andere Maßnahmen zur<br />
Förderung von Investitionen und öffentlichen<br />
Ausgaben für Forschung und Entwicklung.<br />
• Betonung der Menschenrechte und sozialer<br />
Gerechtigkeit, um das Wohlergehen aller<br />
Menschen zu fördern und um sicherzustellen,<br />
dass arme und marginalisierte Menschen –<br />
einschließlich Frauen und Mädchen – <strong>die</strong><br />
Freiheit und <strong>die</strong> Stimme haben, Entscheidungen,<br />
<strong>die</strong> ihr Leben betreffen, zu beeinflussen.<br />
• Förderung ökologischer Nachhaltigkeit<br />
und Verbesserung des städtischen Managements.<br />
Alle Länder mit einem niedrigen Niveau<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, aber insbesondere<br />
<strong>die</strong> ärmsten Länder, müssen <strong>die</strong> biologische<br />
Vielfalt und <strong>die</strong> Ökosysteme schützen,<br />
<strong>die</strong> das Leben erhalten (sauberes Wasser,<br />
saubere Luft, Bodennährstoffe, Wälder,<br />
Fischgründe und andere wichtige Ökosysteme)<br />
und sicherstellen, dass ihre Städte gut verwaltet<br />
werden, um <strong>die</strong> Lebensgrundlagen und<br />
eine sichere Umwelt zu erhalten.<br />
Das erste Maßnahmenbündel – Investitio-<br />
nen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung – muss<br />
durch sehr viel mehr Geberbeiträge gestützt<br />
werden, noch bevor wirtschaftliches Wachstum<br />
greift. Weil bessere Gesundheit und Bildung<br />
beides Ziele <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
und Voraussetzungen für anhaltendes Wachstum<br />
sind, sind Investitionen in <strong>die</strong>se Bereiche<br />
wichtig, damit später Maßnahmen der Privatwirtschaft<br />
in Gang kommen können. Unterstützt<br />
durch zusätzliche Gebermittel können<br />
öffentliche Investitionen bedeutende Fortschritte<br />
in den Bereichen Gesundheit, Bevölkerungs<strong>entwicklung</strong>,<br />
Ernährung, Bildung, Trinkwasser-<br />
und Sanitärversorgung voranbringen.<br />
Die nötigen Technologien sind weithin bekannt<br />
und erprobt. Bevor sich das Pro-Kopf-<br />
Einkommen wesentlich erhöht, können und<br />
sollten daher große Fortschritte in den Bereichen<br />
Gesundheit and Bildung erzielt werden.<br />
Das zweite Maßnahmenbündel für Auswege<br />
aus der Armutsfalle beinhaltet <strong>die</strong> Erhöhung<br />
der Produktivität armer Kleinbauern.<br />
Die Produktivität in der Landwirtschaft lässt<br />
sich erhöhen, indem man verbesserte Technologien<br />
einführt, wie besseres Saatgut, bessere<br />
Bodenbestellung und Fruchtfolgesysteme,<br />
Schädlingsbekämpfung und Bodenbewirtschaftung.<br />
Sie lässt sich auch erhöhen, indem<br />
man <strong>die</strong> ländliche Infrastruktur verbessert,<br />
zum Beispiel durch Bewässerungssysteme,<br />
Lagermöglichkeiten, Verkehrseinrichtungen,<br />
Verbindungsstraßen zwischen Dörfern und<br />
größeren Marktzentren. Um <strong>die</strong> Produktivität<br />
langfristig zu erhöhen, können gesicherte<br />
Grundbesitzverhältnisse <strong>die</strong> Rechte der Bauern<br />
schützen und ihnen Anreize bieten, in <strong>die</strong><br />
Bodenverbesserung zu investieren. Diese<br />
Schritte erfordern Entwicklungspartnerschaften<br />
mit der Wirtschaft (public private partnerships),<br />
um ländliche Entwicklung zu fördern,<br />
auch durch entscheidende Investitionen<br />
in <strong>die</strong> Agrarwissenschaften und -technologien.<br />
Das dritte Maßnahmenbündel sieht vor,<br />
bei den zentralen Bereichen der Infrastruktur<br />
einen angemessenen Mindeststandard zu erreichen,<br />
um <strong>die</strong> wirtschaftliche Bandbreite zu<br />
erweitern. Dies wird an einigen Standorten,<br />
zum Beispiel in Hafenstädten, einfacher sein,<br />
woanders jedoch sehr viel schwieriger, zum<br />
Beispiel in Binnen- oder Gebirgsländern, in<br />
24 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
denen <strong>die</strong> Transportkosten hoch sind. Wieder<br />
wird <strong>die</strong> Entwicklungshilfe eine Schlüsselrolle<br />
spielen, um arme Länder in <strong>die</strong> Lage zu versetzen,<br />
bei der Infrastruktur einen Mindeststandard<br />
zu erreichen. Ohne Hilfe von außen<br />
werden <strong>die</strong>se Länder in der Falle bleiben – zu<br />
arm, um in <strong>die</strong> Infrastruktur zu investieren,<br />
und mit zu geringer Infrastruktur, um in neuen<br />
Exportzweigen international konkurrenzfähig<br />
zu werden.<br />
Bei dem vierten Maßnahmenbündel geht<br />
es um <strong>die</strong> speziellen Instrumente der Industrieansiedlungspolitik<br />
– darunter auch <strong>die</strong><br />
Förderung von Wissenschaft und Technologie<br />
– um stabile Rahmenbedingungen für Investitionen<br />
in nicht-traditionellen Wirtschaftsbereichen<br />
zu schaffen. In vielen <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />
Erfolgsgeschichten, zum Beispiel in<br />
den Volkswirtschaften der ostasiatischen Tigerstaaten,<br />
wurde <strong>die</strong> Entwicklung nicht-traditioneller<br />
Wirtschaftsbereiche durch zeitweilige<br />
Steuerbefreiungen, Freihandelszonen für<br />
<strong>die</strong> Exportindustrie, Wirtschaftssonderzonen,<br />
Wissenschaftsparks, Steuergutschriften für Investitionen,<br />
gezielte Finanzierung von Forschung<br />
und Entwicklung sowie staatliche Zuschüsse<br />
für Infrastruktur und Grund und Boden<br />
unterstützt. Ohne solche speziellen Anreize<br />
ist es für kleine, arme Länder schwierig, in<br />
nicht-traditionellen Bereichen der Weltwirtschaft<br />
Fuß zu fassen, mit der Folge, dass nur<br />
wenige damit Erfolg haben. Hier kann <strong>die</strong> Bereitstellung<br />
von Kleinstkrediten helfen, indem<br />
sie in sehr viel geringem Umfang spezielle Anreize<br />
bieten, um Beschäftigung und <strong>die</strong> Schaffung<br />
von Einkommen in Kleinst-, Klein- und<br />
mittelständischen Unternehmen zu fördern.<br />
Wie bei ländlichem Grundbesitz auch, können<br />
gesicherte Besitzverhältnisse bei städtischen<br />
Wohngebäuden <strong>die</strong> produktiven Investitionen<br />
der armen Bevölkerung erhöhen.<br />
Das fünfte Maßnahmenbündel beinhaltet<br />
<strong>die</strong> Förderung der Menschenrechte und <strong>die</strong><br />
Ermächtigung der Armen durch demokratische<br />
Staats- und Regierungsführung. In Dutzenden<br />
von Ländern fehlt den Armen, ethnischen<br />
Minderheiten, Frauen und anderen<br />
Gruppen noch immer der Zugang zu öffentlichen<br />
Diensten und privaten Entwicklungschancen<br />
– und sie werden deshalb nicht<br />
vom Wachstum profitieren, wenn es schließlich<br />
in Gang kommt. Die politischen Institutionen<br />
müssen den Armen <strong>die</strong> Möglichkeit geben,<br />
an Entscheidungen beteiligt zu sein, <strong>die</strong><br />
ihr Leben beeinflussen, und sie vor Entscheidungen<br />
schützen, <strong>die</strong> Regierungen und andere<br />
Kräfte willkürlich treffen, ohne dafür rechenschaftspflichtig<br />
zu sein.<br />
Nationale Strategien für <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele müssen ein Engagement für<br />
<strong>die</strong> Rechte der Frauen auf Bildung, Versorgung<br />
im Bereich reproduktiver Gesundheit,<br />
Eigentum, gesicherte Besitzverhältnisse und<br />
<strong>die</strong> Teilnahme am Arbeitsleben beinhalten.<br />
Sie müssen gegen andere Formen der Diskriminierung<br />
– aufgrund von Rasse, ethnischer<br />
oder regionaler Zugehörigkeit – angehen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Armen innerhalb einzelner Länder marginalisieren<br />
können. Eine Stärkung der Demokratie<br />
durch strukturelle Reformen der Staatsund<br />
Regierungsführung, wie Dezentralisierung,<br />
kann den Armen in Entscheidungsprozessen<br />
mehr Gehör verschaffen.<br />
Das sechste Maßnahmenbündel fordert<br />
ein besseres städtisches und Umweltmanagement,<br />
insbesondere um <strong>die</strong> Armen zu schützen.<br />
Es ist kein Zufall, dass viele der ärmsten<br />
Gegenden der Welt unter enormen Klimaschwankungen<br />
und hoher Klimaanfälligkeit<br />
leiden, und ein gutes ökologisches Management<br />
brauchen. Zu <strong>die</strong>sen Gegenden gehören<br />
tropische und subtropische Regionen, <strong>die</strong> anfällig<br />
für <strong>die</strong> von El Niño verursachten Niederschlags-<br />
und Temperaturschwankungen<br />
sind. Solche Regionen bekommen auch <strong>die</strong><br />
Auswirkungen des langfristigen Klimawandels<br />
zu spüren. Hinzu kommen das schnelle Bevölkerungswachstum<br />
und rücksichtslose Wirtschaftspraktiken,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ökosysteme vieler<br />
Länder mit niedrigem Einkommen und niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung belasten.<br />
Durch <strong>die</strong>sen Druck kommt es zum Verlust<br />
von Lebensräumen durch Abholzung und <strong>die</strong><br />
Ausbreitung von Straßen, Städten und Ackerland<br />
– und zum Raubbau an knappen Ressourcen<br />
wie Grundwasservorkommen und<br />
küstennahen Fischgründen. Eine damit zusammenhängende<br />
Herausforderung besteht in<br />
der Bewältigung der schnell voranschreitenden<br />
Urbanisierung, um <strong>die</strong> öffentliche Ge-<br />
Nationale Strategien für<br />
<strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele müssen<br />
ein Engagement für <strong>die</strong><br />
Rechte der Frauen auf<br />
Bildung, Versorgung im<br />
Bereich reproduktiver<br />
Gesundheit, Eigentum,<br />
gesicherte Besitzverhältnisse<br />
und <strong>die</strong><br />
Teilnahme am Arbeitsleben<br />
beinhalten<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 25
Der Millenniums-<br />
Entwicklungspakt basiert<br />
auf der von den<br />
wichtigsten<br />
Interessengruppen<br />
gemeinsam getragenen<br />
Verantwortung<br />
sundheit und den Zugang zur Grundversorgung<br />
z.B. mit Land, Wohnraum, Beförderungsmitteln,<br />
sauberem Trinkwasser, Sanitärversorgung<br />
und anderer Infrastruktur sicherzustellen.<br />
Solche Anstrengungen erfordern<br />
eine umsichtige Stadtplanung und erhebliche<br />
öffentliche Investitionen.<br />
Um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, müssen <strong>die</strong><br />
ärmsten Länder also der Armutsfalle entkommen.<br />
Um <strong>die</strong>s zu schaffen, müssen sie eine kritische<br />
Mindestversorgung in den Bereichen<br />
Gesundheit, Bildung, Infrastruktur sowie einen<br />
Mindeststandard bei der Staats- und Regierungsführung<br />
erreichen. Außerdem brauchen<br />
sie eine Agrarpolitik, durch <strong>die</strong> sich <strong>die</strong><br />
Produktivität erhöht, und eine Industrieansiedlungspolitik,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Grundlage für langfristiges,<br />
von der Privatwirtschaft getragenes<br />
Wirtschaftswachstum schafft. Schließlich sollten<br />
<strong>die</strong>se politischen Maßnahmen unter Achtung<br />
sozialer Gerechtigkeit und der Menschenrechte<br />
sowie ökologischer Nachhaltigkeit<br />
umgesetzt werden. Mehr Entwicklungshilfe<br />
ist entscheidend, damit <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />
<strong>die</strong>se Mindeststandards erreichen können.<br />
Dieser Finanzierung muss eine bessere Staatsund<br />
Regierungsführung und eine bessere Nutzung<br />
der Ressourcen gegen<strong>über</strong>stehen. Im<br />
Laufe etwa einer Generation wird ein anhaltendes<br />
Wirtschaftswachstum es <strong>die</strong>sen Ländern<br />
ermöglichen, <strong>die</strong> Finanzierung der öffentlichen<br />
Grundversorgung und Infrastruktur<br />
von den Gebern zu <strong>über</strong>nehmen.<br />
DIE UMSETZUNG DES MILLENNIUMS-<br />
ENTWICKLUNGSPAKTS<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt basiert<br />
auf der von den wichtigsten Interessengruppen<br />
gemeinsam getragenen Verantwortung.<br />
Er erfordert eine Vielzahl zusammenwirkender<br />
und sich gegenseitig ergänzender Anstrengungen<br />
der reichen und armen Länder, internationalen<br />
Organisationen, Kommunalverwaltungen,<br />
privaten Akteure und Organisationen<br />
der Zivilgesellschaft. Einige Maßnahmen werden<br />
auf Regierungsebene durchgeführt werden,<br />
andere auf internationaler Ebene – wie<br />
zum Beispiel internationale Abkommen, um<br />
<strong>die</strong> Spielregeln in den Bereichen Handel und<br />
Finanzen sowie der Entwicklung und des Managements<br />
von Wissenschaft und Technologien<br />
zu ändern.<br />
LÄNDER MIT NIEDRIGER MENSCHLICHER<br />
ENTWICKLUNG – BESEITIGUNG DER ARMUT<br />
UND MASSNAHMEN ZUR DECKUNG DER<br />
GRUNDBEDÜRFNISSE<br />
Ohne Frage gibt es in Ländern mit niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung – insbesondere in<br />
den Ländern, <strong>die</strong> in der Armutsfalle stecken –<br />
den dringendsten Bedarf. Die Länder müssen,<br />
aufbauend auf den oben beschriebenen sechs<br />
Maßnahmenbündeln, kohärente Strategien<br />
zur Umseztzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
entwickeln.<br />
Als Teil <strong>die</strong>ser Gesamt<strong>entwicklung</strong>sstrategien<br />
betont der Konsens von Monterrey (siehe<br />
oben) <strong>die</strong> Bedeutung von Armutsbekämpfungsstrategien,<br />
<strong>die</strong> in den Händen und in der<br />
Verantwortung der einzelnen Länder liegen.<br />
Deshalb haben mehr als zwei Dutzend arme<br />
Länder Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung<br />
(Poverty Reduction Strategy Papers<br />
- PRSPs) erarbeitet, <strong>die</strong> den Rahmen für<br />
<strong>die</strong> Finanzierung, Umsetzung und Überwachung<br />
solcher Strategien bieten. Die Strategiedokumente<br />
beschreiben makroökonomische,<br />
struktur- und sozialpolitische Strategien und<br />
Programme zur Förderung von Wachstum,<br />
zur Minderung der Armut und zur Erzielung<br />
von Fortschritten in Bereichen wie Bildung<br />
und Gesundheit und geben den externen Finanzierungsbedarf<br />
an. Die PRSPs werden von<br />
Regierungen erarbeitet, aber sie entstehen<br />
durch partizipative Prozesse, an denen <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />
und externe Partner beteiligt<br />
sind, darunter auch <strong>die</strong> Weltbank und der Internationale<br />
Währungsfonds (IWF).<br />
Die PRSPs sind zwar bei weitem nicht perfekt,<br />
doch rücken sie <strong>die</strong> Armutsbekämpfung<br />
stärker ins Zentrum von Entwicklungsstrategien.<br />
Und sie bieten einen Rahmen für <strong>die</strong> Koordination<br />
der Geber auf der Basis nationaler<br />
Prioritäten. Aber sie unterstützen noch nicht<br />
in ausreichendem Maße <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
Zwar werden <strong>die</strong> Ziele in den<br />
PRSPs immer häufiger erwähnt, doch sie sollten<br />
eine Grundlage dafür bieten, Länderstra-<br />
26 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
tegien systematischer zu bewerten und den<br />
Umfang des Entwicklungshilfebedarfs anzugeben.<br />
Den Regierungen wird geraten, bei der<br />
Erarbeitung ihrer Strategien „realistisch“ zu<br />
sein. Dies bedeutet aber tendenziell, dass sie<br />
das bestehende Niveau an Entwicklungshilfe<br />
und <strong>die</strong> verschiedenen Hindernisse für mehr<br />
Wirtschaftswachstum (wie den fehlenden Zugang<br />
zu ausländischen Märkten) hinnehmen<br />
sollen. Im Ergebnis gelingt es nicht, in den<br />
PRSPs <strong>die</strong> Ressourcen zu benennen, <strong>die</strong> nötig<br />
sind, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
Die Richtlinien von IWF und Weltbank<br />
zur Erarbeitung der Strategiedokumente (das<br />
PRSP Sourcebook) empfehlen zum Beispiel<br />
eine Methode zur Festlegung von Zielvorgaben<br />
angesichts fiskalischer und technischer Beschränkungen.<br />
Die Richtlinien betonen nicht,<br />
dass solche Beschränkungen verringert werden<br />
können und sollten (z.B. durch mehr Entwicklungshilfe),<br />
damit <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong> Ziele erreichen<br />
können. Dies verdeutlicht z.B. das PRSP<br />
von Malawi, dass nicht anspruchsvoll genug ist,<br />
um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. In einer gemeinsamen<br />
Beurteilung von Malawis PRSP durch<br />
IWF- und Weltbank-Mitarbeiter („Joint Staff<br />
Assessment“) heißt es: „Während <strong>die</strong> meisten<br />
Indikatoren mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
(MEZ) in Einklang stehen, sind <strong>die</strong><br />
Zielvorgaben des PRSPs weniger ehrgeizig.<br />
Weitere Arbeit ist nötig, um längerfristige Zielvorgaben<br />
zu entwickeln, <strong>die</strong> zu den 2015er-Zielen<br />
in direktem Bezug stehen. Werden <strong>die</strong> Zielvorgaben,<br />
<strong>die</strong> im PRSP für 2005 festgelegt<br />
wurden, hochgerechnet, entsteht der Eindruck,<br />
dass Malawi <strong>die</strong> 2015er-Ziele nicht erreichen<br />
wird. Die Mitarbeiter gehen davon<br />
aus, dass <strong>die</strong>se PRSP-Zielvorgaben realistischer<br />
sind und Malawis gegenwärtige sozioökonomische<br />
Voraussetzungen widerspiegeln“ (S. 3-4,<br />
23. August 2002, s. http://www.imf.org).<br />
Die Einschätzung des PRSPs von Malawi<br />
durch IWF und Weltbank birgt <strong>die</strong> Gefahr,<br />
<strong>die</strong> Ziele und <strong>die</strong> Verpflichtungen der Konferenz<br />
von Monterrey zu untergraben. Malawi<br />
braucht sehr viel mehr Entwicklungshilfe,<br />
ebenso wie viele weitere Länder in ähnlicher<br />
Lage. Anstatt Mäßigung verordnet zu bekommen,<br />
sollten sie Hilfe erhalten, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />
erreichen. IWF und Weltbank sollten ihnen<br />
helfen, <strong>die</strong> nötige zusätzliche Hilfe zu mobilisieren.<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
bietet den Rahmen für <strong>die</strong>se Art internationaler<br />
Hilfe.<br />
In jeder nationalen Entwicklungsstrategie,<br />
einschließlich der PRSPs, sollten zwei Fragen<br />
gestellt werden. Zum einen, welche nationale<br />
Politik erforderlich ist, um <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele zu erreichen. Dazu gehören<br />
auch <strong>die</strong> Mobilisierung und Umverteilung einheimischer<br />
Ressourcen sowie <strong>die</strong> Konzentration<br />
der Ausgaben auf Reformen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Effizienz<br />
steigern und zu mehr Gerechtigkeit<br />
führen. Zum zweiten, welche internationalen<br />
politischen Maßnahmen nötig sind – zum Beispiel<br />
mehr Entwicklungshilfe, Erweiterung<br />
des Markzugangs, raschere Schuldenerleichterungen<br />
und verstärkter Technologietransfer.<br />
Der Pakt fordert alle Entwicklungsländer<br />
auf, ihre Entwicklungsstrategien (einschließlich<br />
ihrer PRSPs, sofern <strong>die</strong>se vorhanden sind)<br />
im Rahmen ihrer nationalen Prioritäten und<br />
Bedürfnisse mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
in Einklang zu bringen. Alle nationalen<br />
Strategien sollten klar <strong>die</strong> Maßnahmen<br />
definieren, <strong>die</strong> innerhalb der Möglichkeiten<br />
der einzelnen Länder liegen – sowie <strong>die</strong> Maßnahmen,<br />
für <strong>die</strong> stärkere internationale Unterstützung<br />
erforderlich ist, wie weitere Schuldenerleichterungen,<br />
mehr Entwicklungshilfe und<br />
ein besserer Zugang zu ausländischen Märkten.<br />
In den nationalen Strategien sollte auch<br />
der mittelfristige Haushaltsbedarf für alle entscheidenden<br />
Bereiche – Gesundheits- und Bildungswesen,<br />
Infrastruktur, Umweltmanagement<br />
– geschätzt werden. Außerdem sollten<br />
darin <strong>die</strong> Budgetposten ausgewiesen werden,<br />
<strong>die</strong> mit einheimischen Mitteln abgedeckt werden<br />
können, sowie <strong>die</strong> Posten, <strong>die</strong> durch eine<br />
höhere Entwicklungshilfe abgedeckt werden<br />
sollen.<br />
Dieser Prozess wird <strong>die</strong> Kluft zwischen<br />
der gegenwärtigen öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
(Official Development Assistance -<br />
ODA) und dem Umfang deutlich machen, der<br />
nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Arme<br />
Länder und ihre Partner der Entwicklungszusammenarbeit<br />
können dann zuversichtlich zusammenarbeiten,<br />
um sicherzustellen, dass <strong>die</strong><br />
nationalen Strategien durch eine vernünftige<br />
Der Pakt fordert alle<br />
Entwicklungsländer auf,<br />
ihre Entwicklungsstrategien<br />
im Rahmen<br />
ihrer nationalen Prioritäten<br />
und Bedürfnisse mit<br />
dem Millenniums-<br />
Entwicklungszielen in<br />
Einklang zu bringen<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 27
Die internationalen<br />
Finanzinstitutionen sollten<br />
<strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele in den<br />
Mittelpunkt ihrer<br />
analytischen,<br />
beraterischen und<br />
finanziellen Bemühungen<br />
für alle<br />
Entwicklungsländer<br />
stellen<br />
Politik und eine angemessene Finanzierung<br />
gestützt werden.<br />
LÄNDER MIT MITTLERER MENSCHLICHER<br />
ENTWICKLUNG – GEGEN INSELN TIEFER<br />
ARMUT VORGEHEN<br />
Die meisten Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung sollten in der Lage sein, <strong>die</strong><br />
meisten oder alle ihrer Entwicklungsbedürfnisse<br />
mit einheimischen Mitteln oder mit ausländischen<br />
Mitteln zu Marktkonditionen<br />
(einschließlich privater Geldströme und öffentlicher<br />
Darlehen multilateraler Entwicklungsbanken<br />
und bilateraler Institutionen) zu<br />
finanzieren. Viele von ihnen sind auf dem<br />
Weg, <strong>die</strong> meisten oder alle der Ziele zu erreichen.<br />
Aber in mehreren <strong>die</strong>ser Länder gibt es<br />
noch immer Inseln tiefer Armut. Deshalb<br />
brauchen sie nach wie vor spezifische Unterstützung<br />
durch reiche Länder – insbesondere<br />
einen besseren Markzugang für Exporte und<br />
bessere internationale Spielregeln im Finanzwesen<br />
und beim Technologietransfer. Auf nationaler<br />
Ebene müssen sie zudem strukturelle<br />
Ungleichheiten reduzieren – indem sie sich<br />
mit politischen Maßnahmen den Gruppen<br />
widmen, <strong>die</strong> besonders gefährdet oder marginalisiert<br />
sind, ob aufgrund von Geschlecht,<br />
ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder geographischer<br />
Lage.<br />
Diese Länder können auch den Ländern<br />
mit hoher und höchster Priorität helfen, Ziele<br />
zu definieren und festzulegen, welche Mittel<br />
nötig sind, um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen. Es gibt sehr unterschiedliche<br />
Länder mit mittlerem Niveau<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, von Brasilien bis<br />
Malaysia, von Mauritius bis Mexiko. Von ihnen<br />
können Länder, <strong>die</strong> noch immer in der<br />
Armutsfalle stecken, wichtige Erfahrungen<br />
<strong>über</strong>nehmen, denn <strong>die</strong>se Länder standen (und<br />
stehen oft immer noch) vor vielen ähnlichen<br />
ökologischen, gesundheitlichen und anderen<br />
Herausforderungen. Viele Länder mit mittlerem<br />
Einkommen haben in jüngster Zeit damit<br />
begonnen, Entwicklungsberatung und sogar<br />
finanzielle Hilfe anzubieten; ein ermutigender<br />
Trend, der ausdrücklich gefördert werden<br />
sollte.<br />
INTERNATIONALE FINANZINSTITUTIONEN –<br />
DIE ZIELE IN DEN MITTELPUNKT DER<br />
LÄNDERSTRATEGIEN STELLEN<br />
Die internationalen Finanzinstitutionen sollten<br />
<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele in den<br />
Mittelpunkt ihrer analytischen, beraterischen<br />
und finanziellen Bemühungen für alle Entwicklungsländer<br />
stellen. Zum Beispiel sollten<br />
<strong>die</strong> Beurteilungen durch IWF- und Weltbank-<br />
Mitarbeiter für jedes PRSP Hinweise darauf<br />
geben, ob es wahrscheinlich ist, dass <strong>die</strong> vorgeschlagene<br />
Strategie zur Zielerreichung führt<br />
– und wenn nicht, was geändert werden muss,<br />
damit <strong>die</strong>s gelingt. Die PRSPs böten dann <strong>die</strong>sen<br />
Institutionen <strong>die</strong> Gelegenheit, nicht nur<br />
<strong>die</strong> nationalen politischen Kursänderungen zu<br />
erwägen, <strong>die</strong> nötig sind, um <strong>die</strong> Institutionen<br />
zu stärken, <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik zu verbessern<br />
und <strong>die</strong> Unterstützung der Regierung zu<br />
erhöhen. Sie böten auch Gelegenheit, <strong>die</strong><br />
Schritte in Betracht zu ziehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft unternehmen muss:<br />
mehr Entwicklungshilfe (einschließlich umfassendere<br />
Schuldenerleichterungen), besseren<br />
Zugang zu ausländischen Märkten für <strong>die</strong> Exportwirtschaft<br />
des betreffenden Landes, mehr<br />
Technologietransfer und ähnliche Maßnahmen,<br />
<strong>die</strong> in Partnerschaft mit dem Land<br />
durchgeführt werden müssen.<br />
IWF und Weltbank sollten mit den Ländern<br />
zusammenarbeiten, um makroökonomische<br />
Rahmenbedingungen zu vereinbaren, <strong>die</strong><br />
mit der Zielerreichung in Einklang stehen,<br />
einschließlich einer angemessenen externen Finanzierung.<br />
Sie können dann den Ländern helfen,<br />
<strong>die</strong> notwendige Erhöhung der öffentlichen<br />
Entwicklungshilfe (ODA) zu mobilisieren und<br />
mit den zufließenden Mitteln in makroökonomischer<br />
Hinsicht umzugehen. In einigen Ländern<br />
wird eine starke Erhöhung der öffentlichen<br />
Entwicklungshilfe zu einem Anstieg der<br />
realen Wechselkurse führen. Aber das Nettoergebnis<br />
wird von Vorteil sein – wenn <strong>die</strong><br />
Währungsaufwertung unter entsprechenden<br />
mittelfristigen makroökonomischen Rahmenbedingungen<br />
stattfindet und wenn <strong>die</strong> Mittel<br />
aus der Entwicklungshilfe in <strong>Human</strong>kapital,<br />
materielle Infrastruktur, und andere Entwicklungserfordernisse<br />
investiert werden. Deshalb<br />
28 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
sollten IWF und Weltbank den Ländern - und<br />
ihren Gebern - helfen, <strong>die</strong> zusätzliche öffentliche<br />
Entwicklungshilfe möglichst wirkungsvoll<br />
zur Unterstützung der Ziele einzusetzen.<br />
Regionale Entwicklungsbanken haben <strong>die</strong><br />
wichtige Aufgabe, <strong>die</strong> Ziele in den Mittelpunkt<br />
ihrer Länderstrategien zu stellen und<br />
ihre Kreditvergabegeschäfte und <strong>die</strong> technische<br />
Zusammenarbeit damit in Einklang zu<br />
bringen. Sie sind in der besonderen Position,<br />
regionale öffentliche Güter zu finanzieren und<br />
<strong>die</strong> regionale Integration und Kooperation<br />
zu fördern. Die Interamerikanische Entwicklungsbank<br />
(Inter-American Development<br />
Bank - IDB) hat <strong>die</strong>se Richtung bereits eingeschlagen,<br />
aber sie und andere regionale Banken<br />
müssen noch sehr viel mehr tun.<br />
BILATERALE GEBER —ÜBERARBEITUNG<br />
DER ANSÄTZE UND FESTLEGUNG NEUER<br />
ZIELVORGABEN<br />
Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit<br />
braucht einen neuen Ansatz. Die Leitfrage<br />
sollte nicht länger sein, „Welche Fortschritte<br />
in Richtung der Ziele können innerhalb der<br />
Grenzen der gegenwärtigen bilateralen Hilfe<br />
gemacht werden?“ Stattdessen sollte sie lauten:<br />
„Welcher Umfang und welche Art von<br />
Entwicklungshilfe ist nötig, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen<br />
und werden <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong> Mittel wirkungsvoll<br />
einsetzen?“<br />
Die bilateralen Geber wissen, dass sie <strong>die</strong><br />
öffentliche Entwicklungshilfe verbessern müssen<br />
– insbesondere wenn der Umfang der Hilfe<br />
zunimmt. Diese Verbesserungen sollten auf<br />
den folgenden Prinzipien basieren:<br />
• Die Länder sollten ihre Strategien zur Erreichung<br />
der Ziele selbst entwickeln und verantworten.<br />
• Die Hilfe sollte ergebnisorientiert sein und<br />
auf Überprüfungen der Länderanträge durch<br />
Experten und auf sorgfältiger Überwachung,<br />
Evaluierung und Prüfung der Programme basieren.<br />
• Die bilateralen Geber sollten ihre Unterstützung<br />
für <strong>die</strong> Länderstrategien koordinieren<br />
– zum Beispiel durch Sektoransätze, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Budgetfinanzierung gegen<strong>über</strong> der Projektfinanzierung<br />
betonen.<br />
• Die bilateralen Geber sollten schließlich<br />
<strong>die</strong> mit Mängeln behaftete Unterscheidung<br />
zwischen der Hilfe zur Deckung von Kapitalkosten<br />
und der Hilfe zur Deckung von laufenden<br />
Kosten aufheben. Beide Ausgabenbereiche<br />
erfordern umfassende Unterstützung.<br />
Da <strong>die</strong> meisten Geber sich im Prinzip darauf<br />
geeinigt haben, ihre Programme mit den<br />
PRSPs in Einklang zu bringen, ist es umso<br />
wichtiger, dass <strong>die</strong>se Dokumente <strong>die</strong> Unterstützung<br />
betonen, <strong>die</strong> nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />
erreichen – u.a. zusätzliche Entwicklungshilfe,<br />
Schuldenerleichterungen, Zugang zu Märkten<br />
und Technologien.<br />
Alle reichen Länder sollten Zielvorgaben<br />
für ihre wiederholten Zusagen festlegen, <strong>die</strong><br />
Entwicklungshilfe, den Handel und <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />
für arme Länder auszuweiten.<br />
Sie sollten auch ermutigt werden, ihre<br />
eigenen Bewertungen und Strategien zur<br />
Bekämpfung der Armut in der Welt zu erarbeiten<br />
und entsprechend ihrer Zusagen ehrgeizige<br />
Zielvorgaben zu bestimmen.<br />
UN-ORGANISATIONEN – DIE HILFE<br />
VON EXPERTEN ZUR VERFÜGUNG STELLEN<br />
Die UN-Organisationen spielen eine entscheidende<br />
Rolle dabei, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erreichen zu helfen, insbesondere<br />
indem ihre Experten <strong>die</strong> Länder bei der Gestaltung<br />
und Umsetzung von Entwicklungsprogrammen<br />
unterstützen. Die Vereinten Nationen<br />
verfügen <strong>über</strong> umfangreiches Fachwissen<br />
in allen Schwerpunktbereichen der Ziele,<br />
zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Entwicklungsplanung,<br />
technische Entwicklung,<br />
Rechtsstaatlichkeit, Landwirtschaft und viele<br />
andere. Jede der wichtigsten UN-Organisationen<br />
sollte eine Strategie entwickeln, um Ländern<br />
mit niedrigem Einkommen und niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, darunter insbesondere<br />
den Ländern mit Priorität, zu helfen,<br />
ihre nationalen Strategien umzusetzen.<br />
Auch auf globaler Ebene spielt das UN-<br />
System eine Rolle. Es mobilisiert, um<br />
• weltweit <strong>die</strong> Fortschritte zu <strong>über</strong>wachen,<br />
• <strong>die</strong> nationalen Fortschritte zu verfolgen,<br />
• <strong>die</strong> wichtigsten Probleme bei der Erreichung<br />
der Ziele zu identifizieren sowie Lösungen<br />
zu finden,<br />
Da <strong>die</strong> meisten Geber sich<br />
im Prinzip darauf geeinigt<br />
haben, ihre Programme<br />
mit den PRSPs in Einklang<br />
zu bringen, ist es umso<br />
wichtiger, dass <strong>die</strong>se<br />
Dokumente <strong>die</strong><br />
Unterstützung betonen,<br />
<strong>die</strong> nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele<br />
zu erreichen<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 29
Obwohl <strong>die</strong> Doha-Runde<br />
„Entwicklungsrunde“<br />
genannt wird, haben erste<br />
Versuche, den<br />
Entwicklungsgedanken in<br />
den Vordergrund zu<br />
rücken, in eine Sackgasse<br />
geführt und Frustrationen<br />
ausgelöst<br />
• durch <strong>die</strong> Millenniums-Kampagne weltweit<br />
breite Teile der Gesellschaft einzubinden.<br />
REGIONALE ORGANISATIONEN UND<br />
INSTITUTIONEN DER<br />
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT —<br />
FÖRDERUNG DER REGIONALEN<br />
INTEGRATION UND KOOPERATION<br />
Für arme Länder mit kleinen Märkten – sei es<br />
aufgrund ihrer geringen Bevölkerungszahl<br />
oder geographischer Hindernisse beim Zugang<br />
zu den Weltmärkten – muss <strong>die</strong> regionale Integration<br />
zu den politischen Prioritäten gehören.<br />
Regionale Kooperation, zum Beispiel in Hinblick<br />
auf gemeinsame Investitionen in entscheidende<br />
Bereiche der Infrastruktur, kann <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Grenzen kleiner Volkswirtschaften hinaus<br />
<strong>die</strong> Chancen im Handel ausweiten und so eine<br />
zentrale Plattform für anhaltendes Wirtschaftswachstum<br />
bieten. Besonders in Afrika, wo viele<br />
Länder eine geringe Bevölkerungszahl haben<br />
oder Binnenländer sind, ist regionale Integration<br />
vonnöten. Als führende Initiativen für zwischenstaatliche<br />
Kooperation in Afrika spielen<br />
<strong>die</strong> Neue Partnerschaft für <strong>die</strong> Entwicklung<br />
Afrikas (New Partnership for African Development<br />
- NEPAD) und <strong>die</strong> Afrikanische Union<br />
eine wichtige Rolle bei der Förderung wirtschaftlicher<br />
Integration und politischer Partnerschaften.<br />
DIE DOHA-RUNDE UND ANDERE<br />
VERHANDLUNGEN ZUM INTERNATIONALEN<br />
HANDEL – ÖFFNUNG DER MÄRKTE UND<br />
VERRINGERUNG DER SUBVENTIONEN<br />
Selbst wenn auf nationaler Ebene geeignete<br />
politische Strategien verfolgt werden und <strong>die</strong><br />
Entwicklungshilfe erhöht wird, werden <strong>die</strong> armen<br />
Länder <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
nicht erreichen, solange ihre nicht-traditionellen<br />
Exporte durch den Protektionismus<br />
der reichen Länder blockiert werden oder der<br />
Weltmarktwert ihrer Produkte dadurch sinkt.<br />
Auch brauchen <strong>die</strong> armen Länder sehr viel<br />
mehr internationale Unterstützung im Bereich<br />
Technologietransfer.<br />
Im Konsens von Monterrey und im<br />
Durchführungsplan des Weltgipfels für nachhaltige<br />
Entwicklung (Johannesburg 2002)<br />
werden <strong>die</strong> Zusagen in Bezug auf Handelser-<br />
leichterungen wiederholt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> reichen Länder<br />
auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten<br />
Nationen gemacht haben. Die reichen Länder<br />
haben zugesagt, den armen Ländern – insbesondere<br />
den am wenigsten entwickelten Ländern,<br />
kleinen Insel<strong>entwicklung</strong>sländern und<br />
Binnenländern – zu helfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />
in dem sie ihnen unbeschränkten Zugang<br />
zu ihren Märkten gewähren. Doch obwohl<br />
<strong>die</strong> Doha-Runde – <strong>die</strong> nächste Verhandlungsrunde<br />
zum internationalen Handel –<br />
„Entwicklungsrunde“ genannt wird, haben<br />
erste Versuche, den Entwicklungsgedanken in<br />
den Vordergrund zu rücken, in eine Sackgasse<br />
geführt und Frustrationen ausgelöst.<br />
DIE ZIVILGESELLSCHAFT —SPIELEN EINE<br />
GRÖßERE ROLLE BEI DER ENTWICKLUNG<br />
POLITISCHER STRATEGIEN UND BEI DER<br />
BEKÄMPFUNG DER ARMUT<br />
Ein wichtiger Bereich, in dem im Laufe des<br />
vergangenen Jahrzehnts Fortschritte erzielt<br />
wurden, ist der wachsende Einfluss lokaler,<br />
nationaler und globaler Organisationen und<br />
Netzwerke der Zivilgesellschaft auf politische<br />
Kursänderungen, wie zum Beispiel im Falle<br />
der Schuldenerleichterungen. Nichtregierungsorganisationen<br />
(NRO), Organisationen<br />
auf Gemeindeebene, Berufsverbände und andere<br />
Gruppen der Zivilgesellschaft werden regelmäßig<br />
aufgefordert, bei der Erarbeitung<br />
und Umsetzung von Strategien zur Minderung<br />
der Armut mitzuwirken. Ihre Beteiligung ist<br />
auch fester Bestandteil der Arbeit im Rahmen<br />
des Globalen Fonds zur Bekämpfung von<br />
Aids, Tuberkulose und Malaria.<br />
Diese neuen Ansätze spiegeln <strong>die</strong> drei Rollen<br />
der Zivilgesellschaft wider: als Beteiligte<br />
beim Erarbeiten von Strategien, als Dienstleister<br />
durch Organisationen auf Gemeindeebene<br />
und durch nationale NRO sowie als<br />
„Wachhunde“, um sicherzustellen, dass Regierungen<br />
ihren Verpflichtungen nachkommen.<br />
In vielen Ländern fasst <strong>die</strong>ses Rollenverständnis<br />
jedoch erst langsam Fuß; <strong>die</strong> Regierungen<br />
dominieren nach wie vor Entscheidungsprozesse<br />
und ihre Umsetzung. Indem<br />
<strong>die</strong> bilateralen und multilateralen Institutionen<br />
auf transparenten Prozessen bei der Erarbeitung<br />
nationaler Strategien für <strong>die</strong> Millenni-<br />
30 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
ums-Entwicklungsziele bestehen, können sie<br />
der Zivilgesellschaft helfen, bei der politischen<br />
Richtungsbestimmung und Umsetzung besser<br />
Fuß zu fassen.<br />
DIE PRIVATWIRTSCHAFT – BETEILIGUNG AN<br />
GLOBALEN AKTIONSPLÄNEN<br />
Die Privatwirtschaft spielt eine entscheidende<br />
Rolle beim marktwirtschaftlichen Wachstum,<br />
insbesondere bei der Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
und der Erhöhung von Einkommen.<br />
Privatunternehmen sollten nicht nur Maßnahmen<br />
gegen <strong>die</strong> Korruption unterstützen, sondern<br />
<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele zusätzlich<br />
durch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen<br />
fördern: durch Unternehmensphilanthropie,<br />
Technologietransfer, mehr ausländische<br />
Investitionen in Ländern, <strong>die</strong> am Rande<br />
des internationalen Systems stehen, sowie unterschiedliche<br />
Preise für Güter und Dienstleistungen<br />
in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />
und niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />
Unternehmen können dann am effektivsten<br />
sein, wenn sie unter globalen Aktionsplänen<br />
agieren – wie im Falle von Pharma-Unternehmen,<br />
<strong>die</strong> zunehmend bereit sind, mit den<br />
Preisen für lebensnotwendige AIDS-Medikamente<br />
herunterzugehen, wenn sie von den<br />
Vereinten Nationen dazu aufgefordert werden.<br />
In anderen Schlüsselbereichen wie der<br />
Landwirtschaft, dem Umweltmanagement<br />
und der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
sollte es eine ähnliche Kooperation<br />
geben. Dar<strong>über</strong> hinaus müssen Unternehmen<br />
ein von ethischen Grundsätzen geleitetes<br />
Verhalten an den Tag legen, indem sie <strong>die</strong><br />
Menschenrechte achten, Korruption unterlassen<br />
und sich an <strong>die</strong> grundsätzlichen Verbote<br />
von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Umweltzerstörung<br />
halten.<br />
DIE WISSENSCHAFT – SICH DEN<br />
BEDÜRFNISSEN DER ARMEN WIDMEN<br />
Um <strong>die</strong> derzeit bekannten Technologien zu ergänzen,<br />
ist in vielen Bereichen dringend ein<br />
wissenschaftlicher Durchbruch erforderlich,<br />
wie zum Beispiel bei Impfstoffen oder neuen<br />
Medikamenten gegen HIV/AIDS, Tuberkulose<br />
und Malaria. Da <strong>die</strong> internationale wissenschaftliche<br />
Forschung meist an den Bedürfnis-<br />
sen der Armen vorbei geht, ist es entscheidend,<br />
dass <strong>die</strong> Wissenschaft – angeführt von<br />
nationalen Laboratorien, den nationalen<br />
Geldgebern der Wissenschaft und privaten<br />
Stiftungen – weltweit mit Forschungsteams in<br />
armen Ländern zusammenarbeitet, um <strong>die</strong> für<br />
<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung vorrangigen<br />
Zielvorgaben zu bestimmen und weitaus mehr<br />
finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.<br />
Aus <strong>die</strong>sem Grund empfiehlt der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
<strong>die</strong> Einrichtung verschiedener<br />
internationaler Strategieforen für<br />
technologische Innovationen. Einige solcher<br />
Foren gibt es bereits, aber sie müssen mit<br />
mehr finanziellen Mitteln ausgestattet werden.<br />
Andere müssen eingerichtet werden. Diese<br />
Foren werden dazu beitragen, Prioritäten für<br />
<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung festzulegen,<br />
um den Technologiebedarf der armen Ländern<br />
zu decken. In <strong>die</strong>sen Foren werden verschiedene<br />
Akteure zusammenkommen: internationale<br />
Forschungsinstitute und wissenschaftliche<br />
Akademien, multilaterale und bilaterale<br />
Geber, Vertreter der einzelnen Länder,<br />
führende Vertreter aus der Wissenschaft<br />
sowie Vertreter der Privatwirtschaft. Sie werden<br />
sich Schlüsselbereichen wie Gesundheit,<br />
Landwirtschaft, Infrastruktur, Informationsund<br />
Kommunikationstechnologie, Systeme<br />
zur Energieversorgung, Umweltmanagement<br />
sowie Maßnahmen zur Vorbeugung vor und<br />
Anpassung an Klimaschwankungen und langfristigen<br />
Klimawandel widmen.<br />
Die Foren werden wissenschaftliche Prioritäten<br />
identifizieren und sich auf Wege einigen,<br />
<strong>die</strong> nötige Forschung und Entwicklung<br />
zu finanzieren, auch durch Kooperationen öffentlicher<br />
und privater Träger (public-private<br />
partnerships), und sie werden der Gebergemeinschaft<br />
Vorhaben für technische Fortschritte<br />
in jedem <strong>die</strong>ser Bereiche zur Überprüfung<br />
vorschlagen.<br />
EIN GLOBALES SYSTEM ZUR VERBESSERUNG<br />
DER BEWERTUNG ANHAND VON<br />
REFERENZDATEN UND ZUR EVALUIERUNG<br />
DER FORTSCHRITTE<br />
Da <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele sich an<br />
spezifischen, zeitlich umrissenen, quantitativ<br />
messbaren Zielen orientieren, bieten sie eine<br />
Um <strong>die</strong> derzeit bekannten<br />
Technologien zu<br />
ergänzen, ist in vielen<br />
Bereichen dringend ein<br />
wissenschaftlicher<br />
Durchbruch erforderlich,<br />
wie zum Beispiel bei<br />
Impfstoffen oder neuen<br />
Medikamenten gegen<br />
HIV/AIDS, Tuberkulose<br />
und Malaria<br />
DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 31
Im Rahmen des Paktes<br />
sollten neue Initiativen<br />
gefördert werden, um <strong>die</strong><br />
Leistungen reicher wie<br />
armer Länder in Bezug auf<br />
ihre Verpflichtungen zu<br />
<strong>über</strong>wachen<br />
solide Grundlage für <strong>die</strong> Bewertung anhand<br />
von Referenzdaten und <strong>die</strong> Evaluierung von<br />
Fortschritten. Damit jedoch zuverlässige<br />
Überprüfungen und Evaluierungen durchgeführt<br />
werden können, wird <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft deutlich mehr in <strong>die</strong> Erhebung<br />
und Sammlung von Daten investieren müssen.<br />
Bei zu vielen Zielen in zu vielen Ländern gibt<br />
es nicht genügend Daten, um zu einer angemessen<br />
quantitativen Beurteilung zu kommen.<br />
Da es gemeinsame Verpflichtungen sind, <strong>die</strong><br />
im Zentrum jedes nationalen Programms stehen,<br />
müssen <strong>die</strong> Maßnahmen der armen Länder<br />
und ihrer Partner aus den reichen Ländern<br />
nun sehr viel genauer <strong>über</strong>wacht werden<br />
als in der Vergangenheit.<br />
Im Rahmen des Paktes sollten neue Initiativen<br />
gefördert werden, um <strong>die</strong> Leistungen reicher<br />
wie armer Länder in Bezug auf ihre Verpflichtungen<br />
zu <strong>über</strong>wachen. Zum Beispiel<br />
müssen Umfang und Qualität der von Geberseite<br />
fließenden Mittel sorgfältig <strong>über</strong>wacht<br />
werden, um sicherzustellen, dass sie mit den<br />
Zielen in Einklang stehen. Die Doha-Runde<br />
sollte sorgfältig <strong>über</strong>wacht werden, um sicherzustellen,<br />
dass <strong>die</strong> Verhandlungen in der Tat<br />
eine „Entwicklungsrunde“ darstellen. Auch<br />
der Bekämpfung der Korruption muss besondere<br />
Aufmerksamkeit gewidmet werden, und<br />
auch <strong>die</strong>s kann und sollte besser <strong>über</strong>wacht<br />
werden. Einer substanziellen Erhöhung der<br />
Mittelzuflüsse von Geberseite muss eine wesentliche<br />
Zunahme der Transparenz und Rechenschaftspflicht<br />
in Bezug auf den Einsatz<br />
<strong>die</strong>ser Mittel gegen<strong>über</strong>stehen.<br />
FAZIT<br />
Die Welt hat in der <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />
Theorie und Praxis enorme Fortschritte gemacht.<br />
Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
zielt darauf ab, <strong>die</strong>se Theorie und Praxis in einem<br />
kohärenten System zusammenzuführen,<br />
das <strong>die</strong> Notwendigkeit eines mehrgleisigen<br />
Ansatzes zur Erreichung der Millenniums-<br />
Entwicklungsziele auf der Basis der Partnerschaftsversprechen<br />
aus aktuellen internationalen<br />
Erklärungen anerkennt. Der Pakt bietet ei-<br />
nen Rahmen, innerhalb dessen <strong>die</strong> ärmsten<br />
Länder nationale Pläne entwickeln und verantworten.<br />
Sie greifen dabei auf anhaltende<br />
externe Unterstützung zurück, um der Armutsfalle<br />
zu entkommen und das Wohlergehen<br />
der ärmsten Teile ihrer Bevölkerung zu<br />
verbessern. Im Wesentlichen will der Pakt einen<br />
ziel-orientierten Entwicklungsprozess befördern,<br />
in dem alle Hauptinteressengruppen<br />
klare Aufgaben sowie Verpflichtungen gegen<strong>über</strong><br />
den anderen Akteuren haben.<br />
Um der Armutsfalle zu entkommen, müssen<br />
<strong>die</strong> Länder in verschiedenen Bereichen —<br />
Gesundheit, Bildung, Ernährung, Infrastruktur<br />
und Staats- und Regierungsführung – bestimmte<br />
Mindeststandards erreichen, damit<br />
anhaltendes Wirtschaftswachstum und Entwicklung<br />
in Gang kommen können. Dutzende<br />
armer Länder liegen unter <strong>die</strong>sen Mindeststandards,<br />
oft ohne eigenes Verschulden und<br />
aus Gründen, <strong>die</strong> außerhalb ihrer Kontrolle<br />
liegen. Das ist der wichtigste Bereich, zu dem<br />
der Pakt zwischen reichen und armen Ländern<br />
und Akteuren gefragt ist. Wenn ein Land<br />
<strong>die</strong> richtige Politik verfolgt und sich bei der<br />
Umsetzung <strong>die</strong>ser Politik einer guten Staatsund<br />
Regierungsführung verpflichtet, dann<br />
muss <strong>die</strong> Weltgemeinschaft mit mehr Entwicklungshilfe<br />
– durch internationale Organisationen,<br />
bilaterale Geber, private Akteure,<br />
Organisationen der Zivilgesellschaft – <strong>die</strong>sem<br />
Land helfen, <strong>die</strong> Mindeststandards zu erreichen.<br />
Indem sie <strong>die</strong>sen Millenniums-Entwicklungspakt<br />
unterzeichnen, sind alle Länder<br />
aufgefordert, sich den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
erneut zu verpflichten sowie erneut<br />
ihre Bereitschaft zu bestätigen, <strong>die</strong> Aufgaben<br />
zu <strong>über</strong>nehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Verpflichtung<br />
mit sich bringt. Bilaterale Geber, internationale<br />
Finanzinstitutionen, Sonderorganisationen<br />
der Vereinten Nationen, Akteure<br />
aus der Privatwirtschaft und Organisationen<br />
der Zivilgesellschaft sollten mit mutigen konkreten<br />
Verpflichtungen und Maßnahmen<br />
Schritte nach vorne unternehmen, um sicherzustellen,<br />
dass <strong>die</strong> Ziele erfolgreich erreicht<br />
werden.<br />
32 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KAPITEL 1<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />
Wir erkennen an, dass wir neben unseren<br />
eigenen Verantwortlichkeiten gegen<strong>über</strong><br />
unserer jeweiligen Gesellschaft gemeinschaftlich<br />
dafür verantwortlich sind, weltweit<br />
<strong>die</strong> Grundsätze der Menschenwürde,<br />
der Gleichberechtigung und der Billigkeit<br />
zu wahren. Als Führer haben wir daher<br />
eine Pflicht gegen<strong>über</strong> allen Bürgern der<br />
Welt zu erfüllen, namentlich den schwächsten<br />
unter ihnen und insbesondere den Kindern<br />
der Welt, denen <strong>die</strong> Zukunft gehört.<br />
—Millenniums-Erklärung der Vereinten<br />
Nationen 1<br />
Im September 2000 kamen <strong>die</strong> Staats- und Regierungschefs<br />
der Welt zum UN-Millenniums-Gipfel<br />
zusammen, um ihre Nationen darauf<br />
zu verpflichten, <strong>die</strong> globalen Anstrengungen<br />
zur Verwirklichung von Frieden, Menschenrechten,<br />
Demokratie, starker Staats- und<br />
Regierungsführung, ökologischer Nachhaltigkeit<br />
und zur Beseitigung der Armut zu verstärken,<br />
und um <strong>die</strong> Prinzipien der Menschenwürde,<br />
Gleichheit und Gerechtigkeit zu<br />
fördern. 2 Die daraus resultierende Millenniums-Erklärung<br />
wurde von 189 Ländern verabschiedet<br />
und beinhaltet dringliche, kollektive<br />
Verpflichtungen, <strong>die</strong> Armut zu <strong>über</strong>winden,<br />
in der <strong>die</strong> meisten Menschen der Welt<br />
noch immer gefangen sind. Die Staats- und<br />
Regierungschefs der Welt gaben sich nicht mit<br />
dem üblichen „weiter wie bisher“ zufrieden –<br />
denn sie wussten, dass <strong>die</strong>s nicht ausreichen<br />
würde. Stattdessen verpflichteten sie sich auf<br />
ehrgeizige Zielvorgaben innerhalb eines klar<br />
definierten Zeitrahmens.<br />
Auf dem Gipfel im Jahr 2000 forderte <strong>die</strong><br />
Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />
den UN-Generalsekretär auch auf, einen<br />
Kompass zur Erreichung der Verpflichtungen<br />
der Erklärung zu erstellen. Das Ergebnis waren<br />
<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>die</strong><br />
aus 8 Zielen, 18 Zielvorgaben und 48 Indikatoren<br />
bestehen. 3 Die Ziele sind ehrgeiziger,<br />
konkreter und umfassender als je zuvor. Und<br />
sie sind auch darin einmalig, dass ausdrücklich<br />
anerkannt wird, dass <strong>die</strong> Ziele zur Beseitigung<br />
der Armut nur durch engere Partnerschaften<br />
zwischen den Entwicklungsakteuren<br />
und durch verstärktes Handeln auf Seiten der<br />
reichen Länder erreicht werden können –<br />
durch <strong>die</strong> Ausweitung des Handels, durch<br />
Schuldenerleichterungen, Technologietransfer<br />
und Entwicklungshilfe.<br />
EINE AGENDA ZUR BESCHLEUNIGUNG<br />
MENSCHLICHER ENTWICKLUNG<br />
Mit den Millenniums-Entwicklungszielen werden<br />
viele der hartnäckigsten Fehler <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung angegangen. Anders als<br />
<strong>die</strong> Ziele der Ersten, Zweiten und Dritten<br />
Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen<br />
(1960er, 1970er, 1980er Jahre), in denen es<br />
hauptsächlich um wirtschaftliches Wachstum<br />
ging, stellen <strong>die</strong> Millenniums-Ziele das<br />
<strong>menschliche</strong> Wohlergehen und <strong>die</strong> Reduzierung<br />
der Armut in den Mittelpunkt der<br />
globalen Entwicklungsvorgaben – ein Ansatz,<br />
für den sich der Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung von Anfang an eingesetzt<br />
hat.<br />
Die Ziele und <strong>die</strong> Förderung <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung leiten sich aus der gleichen<br />
Motivation ab. Sie spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />
Verpflichtung wider, <strong>menschliche</strong>s Wohlergehen<br />
zu fördern, das Würde, Freiheit und <strong>die</strong><br />
Gleichheit aller Menschen einschließt. Die<br />
Ziele setzen Maßstäbe, an denen der Fortschritt<br />
im Hinblick auf ihre Umsetzung gemessen<br />
werden kann – geleitet von den<br />
Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Solidarität,<br />
Toleranz, Achtung vor der Natur und gemeinsame<br />
Verantwortung. Diese Werte haben mit<br />
Die Ziele und <strong>die</strong><br />
Förderung <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung leiten sich<br />
aus der gleichen<br />
Motivation ab. Sie<br />
spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />
Verpflichtung wider,<br />
<strong>menschliche</strong>s<br />
Wohlergehen zu fördern,<br />
das Würde, Freiheit und<br />
<strong>die</strong> Gleichheit aller<br />
Menschen einschließt.<br />
DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 33
KASTEN 1.1<br />
Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>menschliche</strong> Entwicklung und Menschenrechte entspringen der gleichen Motivation<br />
Werte, an denen sich <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung der<br />
Vereinten Nationen und <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele ausrichten<br />
Wie in der Millenniums-Erklärung formuliert, sind <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele Referenzgrößen für <strong>die</strong><br />
Fortschritte hin zu einer Vision von Entwicklung, Frieden<br />
und Menschenrechten, <strong>die</strong> geleitet ist von „bestimmten<br />
Grundwerten“, durch <strong>die</strong> „<strong>die</strong> internationalen<br />
Beziehungen im 21. Jahrhundert geprägt sein müssen“.<br />
Dazu gehören:<br />
• „Freiheit. Männer und Frauen haben das Recht, in<br />
Würde und Freiheit – von Hunger und der Furcht vor<br />
Gewalt, Unterdrückung oder Ungerechtigkeit – ihr Leben<br />
zu leben und ihre Kinder zu erziehen. Diese Rechte<br />
werden am besten durch eine demokratische und partizipatorische<br />
Staatsführung auf der Grundlage des Willens<br />
des Volkes gewährleistet.<br />
• Gleichheit. Keinem Menschen und keiner Nation<br />
darf <strong>die</strong> Chance vorenthalten werden, aus der Entwicklung<br />
Nutzen zu ziehen. Die Gleichberechtigung und<br />
Chancengleichheit von Männern und Frauen muss gewährleistet<br />
sein.<br />
• Solidarität. Die globalen Probleme müssen so bewältigt<br />
werden, dass <strong>die</strong> damit verbundenen Kosten und<br />
Belastungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien<br />
der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit aufgeteilt<br />
werden. Diejenigen, <strong>die</strong> leiden oder denen <strong>die</strong> geringsten<br />
Vorteile entstehen, haben ein Anrecht darauf, Hilfe<br />
von den größten Nutznießern zu erhalten.<br />
• Toleranz. Die Menschen müssen einander in der<br />
gesamten Vielfalt ihrer Glaubens<strong>über</strong>zeugungen, Kulturen<br />
und Sprachen achten. Unterschiede innerhalb einer<br />
Gesellschaft sowie zwischen verschiedenen Gesellschaften<br />
sollten weder gefürchtet noch unterdrückt,<br />
sondern vielmehr als kostbares Gut der Menschheit geschätzt<br />
werden. Eine Kultur des Friedens und des Dialogs<br />
zwischen allen Kulturen sollte aktiv gefördert werden.<br />
• Achtung vor der Natur. Bei der Bewirtschaftung<br />
aller lebenden Arten und natürlichen Ressourcen muss<br />
im Einklang mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung<br />
Umsicht bewiesen werden. Nur so können wir<br />
<strong>die</strong> unermesslichen Reichtümer, mit denen <strong>die</strong> Natur<br />
uns beschenkt, erhalten und an unsere Nachkommen<br />
weitergeben. Die heutigen nicht zukunftsfähigen Produktions-<br />
und Konsumstrukturen müssen im Interesse<br />
unseres künftigen Wohls und des Wohls unserer Nachfahren<br />
geändert werden.<br />
• Gemeinsam getragene Verantwortung. Die Verantwortung<br />
für <strong>die</strong> Gestaltung der weltweiten wirtschaftlichen<br />
und sozialen Entwicklung und <strong>die</strong> Bewältigung<br />
von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen<br />
Sicherheit muss von allen Nationen der Welt<br />
gemeinsam getragen und auf multilateraler Ebene wahrgenommen<br />
werden. Als universellste und repräsentativste<br />
Organisation der Welt müssen <strong>die</strong> Vereinten Nationen<br />
<strong>die</strong> zentrale Rolle dabei spielen." (UN 2000, S. 2)<br />
Die Ziele – Bausteine<br />
für <strong>menschliche</strong> Entwicklung...<br />
Bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung geht es um Menschen,<br />
es geht darum, <strong>die</strong> Wahlmöglichkeiten der Menschen<br />
zu erweitern, damit sie ein erfülltes und kreatives<br />
Leben in Freiheit und Würde leben können. Wirtschaftliches<br />
Wachstum, mehr Handel und Investitionen, technischer<br />
Fortschritt – all das ist sehr wichtig. Aber es sind<br />
Wege, nicht das Ziel. Zur Erweiterung der Wahlmöglichkeiten<br />
der Menschen ist es entscheidend, <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong>n Fähigkeiten auszubauen: <strong>die</strong> Bandbreite<br />
dessen, was Menschen sein können. Die grundlegendsten<br />
Fähigkeiten für <strong>menschliche</strong> Entwicklung sind, ein<br />
langes und gesundes Leben zu führen, gebildet zu sein,<br />
Quelle: UN (United Nations) 2000a; <strong>Human</strong> Development Report<br />
Office; UN 1966; Marks <strong>2003</strong>; UNDP (United Nations Development<br />
Programme) 2000.<br />
einen angemessenen Lebensstandard zu haben und politische<br />
und bürgerliche Freiheiten zu genießen, um am<br />
gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben.<br />
Die ersten drei <strong>die</strong>ser Fähigkeiten sind Bestandteil<br />
des Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (<strong>Human</strong> Development<br />
Index - HDI) in <strong>die</strong>sem Bericht. Obwohl <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele dazu beitragen, <strong>die</strong>se<br />
Fähigkeiten zu entwickeln, spiegeln sie doch nicht alle<br />
wesentlichen Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
wider, denn bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung handelt<br />
es sich um ein umfassenderes Konzept.<br />
... und Menschenrechte<br />
Die Umsetzung der Ziele wird auch <strong>die</strong> Menschenrechte<br />
voranbringen. Jedes Ziel kann direkt mit den wirtschaftlichen,<br />
sozialen und kulturellen Rechten, wie sie in<br />
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel<br />
22, 24, 25, 26) aufgeführt sind, sowie mit anderen<br />
Menschenrechtsinstrumenten in Zusammenhang gebracht<br />
werden.<br />
Es hat wichtige Konsequenzen, anzuerkennen,<br />
dass es sich bei den Zielvorgaben, <strong>die</strong> in den Zielen ausgedrückt<br />
sind, nicht einfach nur um Entwicklungsbestrebungen,<br />
sondern auch um zu beanspruchende Rechte<br />
handelt.<br />
• Die Ziele so zu sehen bedeutet, dass es sich bei Maßnahmen<br />
zu ihrer Erreichung nicht um eine Art Almosen,<br />
sondern um eine Pflicht handelt. Dieser Ansatz schafft<br />
einen Rahmen, um verschiedene Akteure, darunter Regierungen,<br />
Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und<br />
internationale Organisationen, zur Rechenschaft zu ziehen.<br />
• Menschenrechte bringen Verpflichtungen auf Seiten<br />
anderer mit sich – nicht nur <strong>die</strong> Verpflichtung, <strong>die</strong><br />
Menschenrechte nicht zu verletzen, sondern auch sie zu<br />
schützen und ihre Durchsetzung zu fördern. In Menschenrechtskonventionen<br />
wird <strong>die</strong> Notwendigkeit einer<br />
internationalen Ordnung anerkannt, <strong>die</strong> sicherstellt,<br />
dass <strong>die</strong>se Rechte eingehalten werden (Artikel 28 der<br />
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2<br />
des Internationalen Paktes <strong>über</strong> wirtschaftliche, soziale<br />
und kulturelle Rechte), und <strong>die</strong> <strong>die</strong> entsprechenden Verpflichtungen<br />
von Regierungen und anderen Akteuren<br />
festlegt, zu ihrer Realisierung beizutragen.<br />
• Die Ziele im Rahmen von Menschenrechten zu sehen,<br />
verbessert das Verständnis in Bezug auf <strong>die</strong> politischen<br />
und institutionellen Reformen, <strong>die</strong> nötig sind, um<br />
<strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Das Menschenrecht auf Bildung<br />
vollständig durchzusetzen erfordert zum Beispiel mehr,<br />
als nur <strong>die</strong> allgemeine Alphabetisierung und Primarschulbildung<br />
zu erreichen. Es erfordert auch, dass <strong>die</strong><br />
Menschen an öffentlichen Entscheidungen bezüglich<br />
des Bildungswesens sinnvoll beteiligt sind. Und es erfordert,<br />
dass <strong>die</strong> Maßnahmen zur Erreichung der Ziele im<br />
Bildungswesen gerecht sind – und nicht womöglich<br />
schwächere Gruppen benachteiligen oder <strong>die</strong> geschlechtsspezifische<br />
Diskriminierung festschreiben.<br />
Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen<br />
Rechte in vollem Umfang durchzusetzen, erfordert sehr<br />
viel mehr als nur <strong>die</strong> Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
Doch <strong>die</strong> Umsetzung der Ziele ist ein<br />
wichtiger Schritt in <strong>die</strong>se Richtung. Da <strong>die</strong> Rechte auf<br />
Bildung, Gesundheitsversorgung und einen angemessenen<br />
Lebensstandard von langfristigem Wirtschaftswachstum<br />
und institutionellen Reformen abhängen,<br />
können <strong>die</strong>se Rechte schrittweise umgesetzt werden.<br />
Doch das akzeptable Tempo <strong>die</strong>ser „schrittweisen<br />
Umsetzung“ und <strong>die</strong> Verpflichtung, <strong>die</strong>se Umsetzung<br />
erfolgreich durchzuführen, werden selten ausformuliert.<br />
Stattdessen wird es jedem einzelnen Land <strong>über</strong>lassen,<br />
<strong>die</strong>se Dinge festzulegen und dar<strong>über</strong> zu debattieren. In<br />
den Millenniums-Entwicklungszielen sind <strong>die</strong> Forderungen,<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> sich alle Länder einig sind, genauer<br />
festgelegt. Sie bieten Referenzgrößen, an denen <strong>die</strong> entsprechenden<br />
Verpflichtungen gemessen werden müssen.<br />
Wie hängen <strong>die</strong> Ziele <strong>menschliche</strong>r Entwicklung mit den<br />
Millenniums-Entwicklungszielen zusammen?<br />
Wesentliche Fähigkeiten für Entsprechende Millenniums-<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung Entwicklungsziele<br />
Ein langes und gesundes Leben Ziel 4, 5 und 6: Senkung der Kindersterblichkeit,<br />
Verbesserung der<br />
Gesundheit von Müttern und<br />
Bekämpfung verbreiteter schwerer<br />
Krankheiten<br />
Ein angemessener Bildungsstand Ziel 2 und 3: Verwirklichung der allgemeinen<br />
Primarschulbildung und<br />
Ermächtigung der Frau durch<br />
Förderung der Gleichstellung der<br />
Geschlechter im Bildungswesen<br />
Ein angemessener Lebensstandard Ziel 1: Reduzierung von Hunger und<br />
Armut<br />
Politische und bürgerliche Freiheiten um am Kein Millenniums-Entwicklungsziel<br />
gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben aber ein wichtiges globales Ziel,<br />
das in der Millenniums-Erklärung<br />
enthalten ist<br />
Wesentliche Voraussetzungen für Entsprechende Millenniums-<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung Entwicklungsziele<br />
Ökologische Nachhaltigkeit Ziel 7: Sicherung der ökologischen<br />
Nachhaltigkeit<br />
Gerechtigkeit, insbesondere Ziel 3: Förderung der Gleichstellung<br />
Geschlechtergerechtigkeit der Geschlechter und Ermächtigung<br />
der Frau<br />
Ein förderliches globales Ziel 8: Stärkung der Entwicklungswirtschaftliches<br />
Umfeld partnerschaft zwischen reichen und<br />
armen Ländern<br />
34 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
der Vorstellung von <strong>menschliche</strong>m Wohlergehen<br />
im Konzept <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
vieles gemein. Und sie spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />
Motivation der Menschenrechte wider.<br />
Somit leiten sich <strong>die</strong> Ziele, das Konzept<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung und <strong>die</strong> Menschenrechte<br />
aus ein und derselben Motivation<br />
ab (Kasten 1.1).<br />
In jedem Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung wurde argumentiert, dass es der<br />
Sinn und Zweck von Entwicklung sei, das Leben<br />
der Menschen zu verbessern, indem man<br />
ihre Wahlmöglichkeiten und ihre Freiheiten<br />
erweitert und ihre Würde stärkt. Armut beinhaltet<br />
sehr viel mehr als nur <strong>die</strong> Einschränkungen<br />
durch fehlendes Einkommen. Armut<br />
bedeutet auch einen Mangel an grundlegenden<br />
Fähigkeiten, ein erfülltes, kreatives Leben<br />
zu leben – nämlich wenn Menschen, <strong>die</strong> unter<br />
gesundheitlichen Problemen leiden, von den<br />
Entscheidungen, <strong>die</strong> ihre Gemeinschaft betreffen,<br />
ausgeschlossen sind oder kein Recht<br />
haben, den Verlauf ihres Lebens selbst zu<br />
steuern. Durch solche Entbehrungen unterscheidet<br />
sich <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut von der<br />
Einkommensarmut.<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele sollen<br />
helfen, <strong>die</strong> Menschen besser in <strong>die</strong> Lage zu<br />
versetzen, Wahlentscheidungen zu treffen.<br />
Dennoch decken <strong>die</strong> Ziele nicht alle entscheidenden<br />
Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
ab. Keine Erwähnung finden insbesondere<br />
<strong>die</strong> Erweiterung der Möglichkeiten der<br />
Menschen, sich an Entscheidungen, <strong>die</strong> ihr<br />
Leben beeinflussen, zu beteiligen und <strong>die</strong><br />
Ausweitung ihrer bürgerlichen und politischen<br />
Freiheiten. Beteiligung, Demokratie<br />
und Menschenrechte sind jedoch wichtige<br />
Elemente der Millenniums-Erklärung.<br />
Die Ziele stellen Bausteine für <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung dar, indem sich jedes<br />
Ziel auf wichtige Dimensionen <strong>die</strong>ses<br />
Prozesses bezieht. Auch spiegelt sich in den<br />
Zielen eine Menschenrechts-Agenda wider –<br />
das Recht auf Nahrung, Bildung, ärztliche<br />
Versorgung und einen angemessenen Lebensstandard,<br />
wie sie in der Allgemeinen Erklärung<br />
der Menschenrechte aufgeführt sind.<br />
Die Notwendigkeit, all <strong>die</strong>se – wirtschaftlichen,<br />
sozialen und kulturellen – Rechte si-<br />
cherzustellen, bringt Verpflichtungen für <strong>die</strong><br />
Regierungen reicher wie armer Länder mit<br />
sich.<br />
URSPRUNG, ENTWICKLUNG UND<br />
WEITERVERFOLGUNG<br />
In den Millenniums-Entwicklungszielen finden<br />
sich <strong>die</strong> Hauptforderungen einer ganzen<br />
Reihe vom UN-Entwicklungskonferenzen der<br />
1990er Jahre wieder. Sie sind also das Ergebnis<br />
vieler nationaler, regionaler und internationaler<br />
Konsultationen, an denen Millionen<br />
von Menschen beteiligt waren, <strong>die</strong> eine große<br />
Bandbreite an Interessen vertraten, darunter<br />
jene von Regierungen, Organisationen der Zivilgesellschaft<br />
und Akteuren aus der Privatwirtschaft.<br />
Diese Konferenzen betonten den<br />
multidimensionalen Charakter von Entwicklung<br />
– mit <strong>menschliche</strong>m Wohlergehen als<br />
letztendlichem Ziel.<br />
Die Ziele bauen auch auf den Impulsen<br />
auf, <strong>die</strong> aus den Internationalen Entwicklungszielen<br />
entstanden sind. Die Internationalen<br />
Entwicklungsziele wurden 1996 vom Entwicklungshilfeausschuss<br />
(Development Assistance<br />
Committee - DAC) der Organisation<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(Organisation for Economic Cooperation<br />
and Development - OECD) erarbeitet,<br />
um festzulegen, wie seine 23 bilateralen<br />
Geberländer zusammenarbeiten wollen, um<br />
das Leben in Entwicklungsländern im 21.<br />
Jahrhundert zu verbessern. Die OECD-Ziele<br />
haben einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen,<br />
weil sie zeitgebunden und quantifizierbar<br />
waren. So konnten sie <strong>über</strong>prüft werden und<br />
trugen dazu bei, Unterstützung zu mobilisieren.<br />
Da <strong>die</strong> Internationalen Entwicklungsziele<br />
jedoch aus der Gebergemeinschaft stammten,<br />
machten Entwicklungsländer und Gruppen<br />
der Zivilgesellschaft sie sich nie wirklich zu eigen.<br />
Die Veröffentlichung Eine bessere Welt<br />
für alle (A Better World For All: Progress<br />
towards the International Development<br />
Goals) aus dem Jahr 2000 stieß bei Gruppen<br />
der Zivilgesellschaft auf breite Kritik, da sie<br />
<strong>die</strong> Entwicklungsländer für ihre Fortschritte<br />
verantwortlich mache, ohne in <strong>die</strong>sem Prozess<br />
Die Konferenz machte<br />
neue Bedingungen für<br />
eine globale Partnerschaft<br />
auf der Basis<br />
gegenseitiger<br />
Verantwortung zwischen<br />
Entwicklungsländern und<br />
reichen Ländern geltend<br />
DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 35
Misserfolge sollten als<br />
Erinnerung an <strong>die</strong><br />
Versäumnisse der<br />
Vergangenheit <strong>die</strong>nen,<br />
feste globale Versprechen<br />
wirklich einzuhalten<br />
der Rolle der reichen Länder und der multilateralen<br />
Institutionen Rechnung zu tragen. 4<br />
Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
alle Internationalen Entwicklungsziele<br />
außer einem enthalten, werden sie nicht als<br />
eine Erfindung der reichen Länder allein angesehen.<br />
Sie sind vielmehr wirklich globale<br />
Entwicklungsziele, <strong>die</strong> nochmals <strong>die</strong> kollektive<br />
Verpflichtung der Welt ausdrücken, <strong>die</strong><br />
Lebensumstände der Menschen in armen<br />
Ländern zu verbessern. In den Zielen wird <strong>die</strong><br />
Entwicklungsverantwortung der Entwicklungsländer<br />
anerkannt, während gleichzeitig<br />
konkretere Forderungen an <strong>die</strong> reichen Länder<br />
gestellt werden.<br />
Den Entwicklungsländern war es wichtig,<br />
<strong>die</strong> Verantwortlichkeiten aller Länder festzulegen.<br />
Das Ziel 8, in dem es um globale Partnerschaft<br />
geht, hat keinen zeitgebundenen,<br />
quantitativ messbaren Indikator, anhand dessen<br />
<strong>die</strong> Fortschritte <strong>über</strong>prüft und <strong>die</strong> Akteure<br />
zur Rechenschaft gezogen werden können,<br />
wie in den Zielen 1-7. Doch seine Aufnahme<br />
in <strong>die</strong> Ziele ist ein bedeutender Schritt in Richtung<br />
“Solidarität” – einem Grundprinzip der<br />
Millenniums-Erklärung.<br />
Die Internationale Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />
in Monterrey, Mexiko,<br />
vom März 2002 bestätigte erneut, dass <strong>die</strong><br />
Welt der Millenniums-Erklärung und den<br />
darin enthaltenen Entwicklungszielvorgaben<br />
verpflichtet sei. Die Konferenz machte neue<br />
Bedingungen für eine globale Partnerschaft<br />
auf der Basis gegenseitiger Verantwortung<br />
zwischen Entwicklungsländern und reichen<br />
Ländern geltend. Sie bestätigte auch <strong>die</strong><br />
Hauptverantwortung der nationalen Regierungen<br />
bei der Mobilisierung eigener Ressourcen<br />
und bei der Verbesserung der Staatsund<br />
Regierungsführung, einschließlich einer<br />
vernünftigen Wirtschaftspolitik und solider<br />
demokratischer Institutionen. Und sie bestätigte<br />
<strong>die</strong> Verpflichtungen der reichen Länder,<br />
auf günstige internationale Rahmenbedingungen<br />
und mehr Mittel zur Entwicklungsfinanzierung<br />
hinzuarbeiten. 5 Diese Verpflichtungen<br />
wurden auf dem Weltgipfel für<br />
nachhaltige Entwicklung im September 2002<br />
in Johannesburg, Südafrika, zusätzlich unterstützt<br />
(siehe Kapitel 8).<br />
MACHEN GLOBALE ZIELE EINEN<br />
UNTERSCHIED?<br />
Die Weltgemeinschaft, oft unter Führung der<br />
Vereinten Nationen, hat sich seit der Ersten<br />
Entwicklungsdekade in den 1960er Jahren<br />
viele Entwicklungsziele gesetzt – und blickt<br />
auf zahlreiche Misserfolge zurück. In der Erklärung<br />
von Alma Ata aus dem Jahr 1977 verpflichtete<br />
sich <strong>die</strong> Welt zum Beispiel, Gesundheitsversorgung<br />
für alle Menschen bis zum<br />
Ende des Jahrhunderts zu erreichen. Dennoch<br />
starben im Jahr 2000 Millionen Arme an pandemischen<br />
und anderen Krankheiten, von denen<br />
viele leicht zu verhindern und zu behandeln<br />
sind. In gleicher Weise verpflichtete sich<br />
<strong>die</strong> Welt auf dem Kindergipfel von 1990, bis<br />
2000 <strong>die</strong> allgemeine Primarschulbildung verwirklicht<br />
zu haben. Doch auch <strong>die</strong>ses Ziel<br />
wurde verfehlt. Und <strong>die</strong> Misserfolge sollten als<br />
Erinnerung an <strong>die</strong> Versäumnisse der Vergangenheit<br />
<strong>die</strong>nen, feste globale Versprechen<br />
wirklich einzuhalten.<br />
Doch mit den Zielen der Vereinten Nationen<br />
sind auch viele— zum Teil sensationelle –<br />
Erfolge erzielt worden. Ein Immunisierungsziel<br />
hat in <strong>über</strong> 70 Ländern <strong>die</strong> Impfraten<br />
enorm erhöht, von 10 – 20 Prozent im Jahr<br />
1980 auf mehr als 70 Prozent im Jahr 1990.<br />
Und selbst wenn <strong>die</strong> quantitativen Zielvorgaben<br />
bis zum angestrebten Zeitpunkt nicht erreicht<br />
worden sind, so haben sie doch <strong>die</strong><br />
Fortschritte beschleunigt. Zum Beispiel hat<br />
sich <strong>die</strong> Lebenserwartung bis zum Jahr 2000<br />
in 124 Ländern auf mindestens 60 Jahre erhöht.<br />
In den 1990er Jahren wurde <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
zwar in nur 63 Ländern um ein<br />
Drittel oder mehr gesenkt, in <strong>über</strong> 100 Ländern<br />
jedoch um ein Fünftel. Globale Ziele<br />
können also ehrgeiziger machen und zu Anstrengungen<br />
anspornen (siehe Kasten 1.2).<br />
ENTGEGNUNGEN AN DIE KRITIKER<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele sind viel<br />
dafür gelobt worden, dass sie neue Energien<br />
für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung freigesetzt<br />
hätten. Aber sie werden auch dafür<br />
kritisiert,<br />
• dass sie zu eng gefasst seien und Entwick-<br />
36 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 1.2<br />
Seit es <strong>die</strong> Vereinten Nationen gibt, haben sich <strong>die</strong> Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten<br />
globale Ziele gesetzt, darunter viele Zielsetzungen, <strong>die</strong> immer wieder auftauchen.<br />
Die Beendigung des Kolonialismus war in den 1950er und 1960er Jahren<br />
ein Hauptthema. Das wirtschaftliche Wachstum zu beschleunigen und andere<br />
wirtschaftliche Ziele – wie Beschäftigung, Industrialisierung und internationale<br />
Hilfe – voranzubringen waren wichtige Themen der Ersten, Zweiten und Dritten<br />
Entwicklungsdekade (1960er, 1970er, 1980er Jahre). Ziele in Bezug auf Alphabetisierung,<br />
Schulbildung, Gesundheit, Überleben, Wasserversorgung und<br />
Abwasserentsorgung wurden von Anfang der 1960er Jahre bis in <strong>die</strong> 1990er Jahre<br />
immer wieder festgelegt, und gipfelten im Jahr 2000 in der Millenniums-Erklärung.<br />
UN-Ziele werden oft als <strong>über</strong>ehrgeizig und selten umgesetzt abgetan, doch<br />
viele Ziele sind erreicht worden:<br />
• Die Ausrottung der Pocken (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation,<br />
1965) – 1977 geschehen.<br />
• Die Immunisierung von 80 Prozent aller Kinder (im ersten Lebensjahr) gegen<br />
schwere Kinderkrankheiten bis 1990 (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation,<br />
1974, <strong>über</strong>arbeitet 1984) – in rund 70 Ländern erreicht, wenngleich <strong>die</strong>ser Erfolg<br />
in Südasien und in Afrika südlich der Sahara nicht von Dauer war.<br />
• Halbierung der Anzahl der Kinder, <strong>die</strong> an Durchfall sterben (Weltkindergipfel,<br />
1990) – in den 1990er Jahren erreicht.<br />
• Senkung der Kindersterblichkeit auf weniger als 120 pro 1.000 Lebendgeburten<br />
bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990) – in allen bis auf 12 Entwicklungsländern<br />
erreicht.<br />
• Ausrottung der Kinderlähmung bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990) – in 110<br />
Ländern erreicht. In <strong>über</strong> 175 Ländern gibt es nun keine Kinderlähmung mehr.<br />
• Ausrottung der Guinea-Wurm-Krankheit bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990)<br />
– im Jahr 2000 war <strong>die</strong> Anzahl der gemeldeten Fälle um 97 Prozent gesunken und<br />
<strong>die</strong> Krankheit ist in allen bis auf 14 Ländern ausgerottet.<br />
Auch in Bezug auf viele weitere Ziele sind signifikante Fortschritte erzielt<br />
worden, wenn auch <strong>die</strong> Ziele nicht in vollem Umfang erreicht wurden:<br />
• Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums in Entwicklungsländern auf<br />
fünf Prozent pro Jahr bis Ende der 1960er Jahre und auf sechs Prozent in den<br />
1970er Jahren (Resolution der Vereinten Nationen, 1961) – in den 1960er Jahren<br />
<strong>über</strong>trafen 32 Länder das Wachstumsziel von fünf Prozent, und in den 1970er<br />
Jahren erreichten 25 Länder mehr als sechs Prozent (obgleich <strong>die</strong> Ergebnisse in<br />
den 1980er und 1990er Jahren sehr viel enttäuschender waren; siehe Kapitel 2<br />
und 4.)<br />
• Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an der weltweiten industriellen<br />
Produktion (Erklärung der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle<br />
Entwicklung, 1975) – ihr Anteil stieg von sieben Prozent im Jahr 1970 auf<br />
20 Prozent im Jahr 2000, wenngleich <strong>die</strong>se Zugewinne sich auf eine kleine Anzahl<br />
von Ländern beschränkten.<br />
• Erhöhung der Lebenserwartung auf 60 Jahre bis 2000 (Generalversammlung<br />
der Vereinten Nationen, 1980) – erreicht in 124 der 173 Länder, <strong>die</strong> unter <strong>die</strong>ser<br />
Schwelle lagen (fast alle davon aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten<br />
Länder, viele in Afrika südlich der Sahara).<br />
• Senkung der Kindersterblichkeit um mindestens ein weiteres Drittel innerhalb<br />
der 1990er Jahre (Weltkindergipfel, 1990) – 63 Länder haben <strong>die</strong>ses Ziel erreicht,<br />
und in <strong>über</strong> 100 Ländern wurden <strong>die</strong> Todesfälle bei Kindern um 20 Prozent<br />
reduziert.<br />
• Beseitigung oder Reduzierung von Hunger und Unterernährung bis 2000<br />
(Dritte Entwicklungsdekade, 1980er Jahre; Weltkindergipfel, 1990) – in den Entwicklungsländern<br />
sank <strong>die</strong> Unterernährung zwischen 1980 und 2000 um 17 Pro-<br />
Quelle: Jolly <strong>2003</strong>.<br />
lungsprioritäten wie starke Staats- und Regierungsführung,<br />
Beschäftigung, Versorgung im<br />
Bereich reproduktiver Gesundheit und institutionelle<br />
Reformen der Weltordnungspolitik<br />
unberücksichtigt ließen.<br />
Machen globale Ziele einen Unterschied?<br />
zent, doch in Afrika südlich der Sahara stieg <strong>die</strong> Zahl der Unterernährten in den<br />
1990er Jahren um 27 Millionen.<br />
• Erreichung des allgemeinen Zugangs zu sauberem Trinkwasser bis 1990,<br />
dann bis 2000 (Dritte Entwicklungsdekade, 1980er Jahre; Weltkindergipfel,<br />
1990) – 4,1 Milliarden Menschen mehr erhielten Zugang, so dass nun fünf Milliarden<br />
versorgt sind.<br />
Dennoch sind einige der Ziele alles andere als erreicht worden:<br />
• Erhöhung der Mittel der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7<br />
Prozent des Bruttosozialprodukts der reichen Länder ab 1970 (Resolution der<br />
Generalversammlung der Vereinten Nationen 1970, Internationale Entwicklungsstrategie<br />
für <strong>die</strong> 1970er Jahre) – <strong>die</strong> Mittel sind gemessen als Anteil am BSP<br />
sogar gefallen, und in den 1990er Jahren erreichten nur vier Länder <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />
von 0,7 Prozent (Dänemark, <strong>die</strong> Niederlande, Norwegen und Schweden).<br />
• Zuweisung von 0,15 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) für <strong>die</strong> Öffentliche<br />
Entwicklungszusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern<br />
in den 1980er und 1990er Jahren (Konferenz der Vereinten Nationen <strong>über</strong> <strong>die</strong> am<br />
wenigsten entwickelten Länder, 1981) – acht von 16 Mitgliedern des Entwicklungsausschusses<br />
der OECD erreichten in den 1980er Jahren <strong>die</strong> Zielvorgabe von<br />
0,15 Prozent, in den 1990er Jahren jedoch nur fünf von 20 Mitgliedern.<br />
• Halbierung der Analphabetenrate bei Erwachsenen bis 2000 (Weltkindergipfel,<br />
1990) – <strong>die</strong> Analphabetenrate sank von 25 Prozent 1990 auf lediglich 21 Prozent<br />
im Jahr 2000.<br />
• Ausrottung der Malaria (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation, 1965)<br />
– zwar gab es Erfolge in Asien und Lateinamerika, doch an Afrika ist das "globale”<br />
Anti-Malaria-Programm der 1960er Jahre weitgehend vorbei gegangen (da <strong>die</strong><br />
Krankheit dort als besonders hartnäckig gilt), obwohl Afrika unter den meisten<br />
Malariafällen leidet. In den folgenden Jahrzehnten widmete <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft der Malaria wenig Aufmerksamkeit und geringe Mittel, was dazu<br />
führte, dass <strong>die</strong> Maßnahmen bruchstückhaft ausfielen.<br />
Ob <strong>die</strong> numerische Zielvorgabe eines globalen Ziels erreicht wurde, ist ein<br />
wichtiger, aber kein hinreichender Erfolgsmaßstab, denn es gibt keinen Hinweis<br />
darauf, ob <strong>die</strong> Zielsetzung als solche einen Unterschied gemacht hat oder nicht.<br />
In vielen Fällen sind enorme Fortschritte gemacht worden, auch wenn <strong>die</strong> numerischen<br />
Zielvorgaben nicht erreicht wurden – zum Beispiel im Fall der Internationalen<br />
Dekade für Trinkwasserversorgung und Abwasserhygiene der 1980er<br />
Jahre (Generalversammlung der Vereinten Nationen, 1980), in der kaum ein Entwicklungsland<br />
<strong>die</strong> allgemeine Versorgung erreicht hat. Doch dadurch, dass globale<br />
Ziele gesetzt wurden, wurde <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf <strong>die</strong>sen Bedarf gelenkt,<br />
und in den 1980er Jahren stieg der Zugang zu sauberem Trinkwasser um 130 Prozent,<br />
und der Zugang zu sanitären Einrichtungen um 266 Prozent, was in beiden<br />
Fällen sehr viel mehr war als in den 1970er oder 1990er Jahren. Trotzdem wurde<br />
<strong>die</strong> Dekade oft als Misserfolg eingestuft, nur weil <strong>die</strong> numerischen Zielvorgaben<br />
nicht erreicht wurden.<br />
Nachdem sie einmal festgelegt sind, gibt es höchst unterschiedliche Wege,<br />
<strong>die</strong> Ziele, auf <strong>die</strong> man sich bei den Vereinten Nationen geeinigt hat, weiterzuverfolgen.<br />
Auf der einen Seite gibt es Extremfälle wie das Ziel der Beschleunigung<br />
des wirtschaftlichen Wachstums, für dessen Umsetzung <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />
wenig Kräfte mobilisiert hat. Auf der anderen Seite gibt es Ziele wie<br />
<strong>die</strong> Ausrottung der Pocken, <strong>die</strong> Ausweitung von Immunisierungen und <strong>die</strong> Senkung<br />
der Kindersterblichkeit, zu deren Erreichung <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />
— angeführt von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation<br />
- WHO) und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United<br />
Nations Children’s Fund -UNICEF) — Maßnahmen der einzelnen Länder unterstützt<br />
hat.<br />
• dass sie sich auf eng gefasste Indikatoren<br />
stützten – wie zum Beispiel Unterschiede bei<br />
den Einschulungsquoten, um Fortschritte bei<br />
der Gleichstellung der Geschlechter festzustellen,<br />
oder <strong>die</strong> Anzahl der Telefonanschlüs-<br />
DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 37
Die Millenniums-<br />
Entwicklungsziele können<br />
nur erreicht werden,<br />
wenn <strong>die</strong> Anstrengungen<br />
dazu in der Verantwortung<br />
der einzelnen<br />
Länder liegen und von<br />
ihnen vorangetrieben<br />
werden<br />
se, um den Zugang zu Technologien zu messen.<br />
• dass sie unrealistisch seien und entmutigend<br />
wirken könnten, und dass sie dazu eingesetzt<br />
werden könnten, Länder bloßzustellen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ziele nicht erreichen.<br />
• dass sie nationale Prioritäten verzerren<br />
würden und <strong>die</strong> einheimische Führerschaft<br />
untergraben könnten, indem sie eine Agenda<br />
„von oben“ beförderten, <strong>die</strong> von den Gebern<br />
bestimmt sei, zu Lasten partizipatorischer Ansätze,<br />
bei denen Gemeinschaften und Länder<br />
ihre eigenen Prioritäten setzten. 6<br />
Mit <strong>die</strong>sen Bedenken wird auf eine mögliche<br />
Verzerrung hingewiesen, wenn <strong>die</strong> Ziele –<br />
und insbesondere ihre numerischen Indikatoren<br />
– aus ihrem Zusammenhang gerissen werden<br />
und eher als Selbstzweck verstanden werden,<br />
statt als Bezugsgrößen für Fortschritte in<br />
Richtung des Oberziels, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut<br />
zu beseitigen. Die Ziele spiegeln zwar einen<br />
Konsens bezüglich globaler Kern<strong>entwicklung</strong>sziele<br />
wider, sie sind jedoch kein neues<br />
Entwicklungsmodell. Und wenngleich alle<br />
Ziele wichtig sind, so müssen doch <strong>die</strong> Prioritäten,<br />
<strong>die</strong> man jedem einzelnen Ziel beimessen<br />
will, in nationalen Entwicklungsstrategien<br />
festgelegt werden.<br />
Es sind ehrgeizige Ziele – sie spiegeln den<br />
dringenden Bedarf an sehr viel schnelleren<br />
Entwicklungsfortschritten wider. Sie sollen<br />
nicht anprangern, sondern dazu <strong>die</strong>nen,<br />
Kräfte zu mobilisieren. Alle Akteure werden<br />
dazu aufgefordert, neue Maßnahmen und<br />
Ressourcen zu identifizieren, damit <strong>die</strong> Ziele<br />
erreicht werden können. Je ärmer ein Land<br />
ist, desto größer ist <strong>die</strong> Herausforderung.<br />
Nehmen wir zum Vergleich <strong>die</strong> Anstrengungen<br />
von Mali, um <strong>die</strong> Armut bis 2015 auf 36<br />
Prozent zu halbieren 7 und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />
der Kinder unter fünf Jahren um zwei<br />
Drittel auf 85 pro 1.000 Lebendgeburten zu<br />
senken, 8 im Gegensatz zu den Aufgaben, vor<br />
denen Sri Lanka steht: <strong>die</strong> Armut auf 3,3<br />
Prozent zu reduzieren 9 und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />
der Kinder unter fünf Jahren auf<br />
acht pro 1.000 Lebendgeburten zu senken. 10<br />
Dies bedeutet nicht, dass Misserfolge in Mali<br />
vorprogrammiert sind. Vielmehr macht es<br />
<strong>die</strong> enormen Herausforderungen deutlich,<br />
vor denen <strong>die</strong> ärmsten Länder stehen – und<br />
<strong>die</strong> enormen Anstrengungen, <strong>die</strong> von der<br />
internationalen Gemeinschaft unternommen<br />
werden müssen.<br />
Außerdem sollten Erfolge nicht einfach<br />
nur danach beurteilt werden, ob <strong>die</strong> Ziele<br />
rechtzeitig erreicht werden. Die Halbierung<br />
der Armut bis zum Jahr 2015 ist nicht das<br />
Ende des Weges, denn <strong>die</strong> Länder müssen<br />
weiter daran arbeiten, <strong>die</strong> Armut immer<br />
wieder zu halbieren. Und ein Land sollte<br />
nicht dafür verurteilt werden, wenn es <strong>die</strong><br />
Ziele nicht zum angestrebten Zeitpunkt<br />
erreicht.<br />
GLOBALE ZIELE MÜSSEN IN DER<br />
VERANTWORTUNG DER EINZELNEN<br />
LÄNDER LIEGEN<br />
Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
ihren Ursprung bei den Vereinten Nationen<br />
haben, sind es Ziele der Menschen – und sie<br />
können nur erreicht werden, wenn <strong>die</strong> Anstrengungen<br />
dazu in der Verantwortung der<br />
einzelnen Länder liegen und von ihnen vorangetrieben<br />
werden.<br />
STARKE NATIONALE IDENTIFIKATION<br />
Die Entwicklungsländer orientieren sich<br />
schon seit Jahrzehnten an der den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
zu Grunde liegenden<br />
Haltung. Doch <strong>die</strong> Ziele brauchen neue politische<br />
Stoßkraft, um bei der Minderung der Armut<br />
schnellere Fortschritte zu erzielen – einem<br />
Prozess, der in vielen Ländern bereits<br />
stattfindet. Während <strong>die</strong> Regierungen dabei<br />
sind abzuschätzen, ob und wie <strong>die</strong> Ziele bis<br />
2015 erreicht werden, beurteilen sie gleichzeitig<br />
auch ihre politischen Prioritäten und entwickeln<br />
nationale Strategien. Mehrere Länder<br />
haben ihre Sozialausgaben erhöht und neue<br />
Programme zur Unterstützung der Ziele initiiert.<br />
Bolivien hat zum Beispiel seine Sozialpolitik<br />
an den Zielen ausgerichtet. Es gibt Vorschläge,<br />
<strong>die</strong> Ausgaben für Gesundheit und<br />
Bildung wesentlich zu erhöhen und zwei nationale<br />
Programme wurden dazu bereits ins<br />
Leben gerufen. Auch Kamerun hat seine Finanzierung<br />
des Gesundheits- und Bildungs-<br />
38 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
wesens massiv erhöht, und Politiker verwenden<br />
in ihren Wahlkampfdebatten Daten <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Fortschritte in Richtung der Ziele.<br />
Nationale Identifikation und Verantwortung<br />
heißt nicht nur Regierungsverantwortung.<br />
Maßnahmen müssen nicht nur durch<br />
Politiker und Regierungsbehörden, sondern<br />
auch durch Gemeinschaften, Kommunalverwaltungen<br />
und Gruppen der Zivilgesellschaft<br />
vorangetrieben werden. Die Stoßkraft für politische<br />
Kursänderungen muss von den Menschen<br />
eines Landes kommen, indem sie mehr<br />
Schulen, eine bessere Gesundheits- und Wasserversorgung<br />
und andere notwendige Entwicklungsbausteine<br />
einfordern. Die Ziele bieten<br />
Ansatzpunkte, um solchen Druck auszuüben.<br />
Sie geben der Bevölkerung und den Gemeinschaften<br />
ein Instrument an <strong>die</strong> Hand, um<br />
<strong>die</strong> Behörden zur Rechenschaft zu ziehen.<br />
Und sie können als Wertungstafel <strong>die</strong>nen, mit<br />
dem <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong> Leistungen der politischen<br />
Führung – von lokalen <strong>über</strong> nationale<br />
Regierungsvertreter bis hin zu Abgeordneten<br />
und Oppositionsparteien – beurteilen können<br />
(siehe Kapitel 7).<br />
Gruppen der Zivilgesellschaft – von lokalen<br />
Organisationen bis hin zu globalen Netzwerken<br />
– sind Verbündete, <strong>die</strong> Unterstützung<br />
bieten, <strong>die</strong> helfen Schulen zu bauen, und <strong>die</strong><br />
sich für <strong>die</strong> Erforschung vernachlässigter<br />
Krankheiten einsetzen. Aber auch als „Wachhunde“<br />
spielen sie eine wichtige Rolle. Sie<br />
<strong>über</strong>wachen <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> dafür zuständig<br />
sind, Ergebnisse zu liefern, und sie prägen demokratische<br />
Debatten zur Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />
in armen Gemeinschaften. In Staaten,<br />
<strong>die</strong> auf dem Weg zur Demokratie sind, hat<br />
es bislang kaum oder nur unzureichende offene<br />
Debatten <strong>über</strong> politische Entscheidungen gegeben.<br />
Deshalb sind <strong>die</strong> Menschen anfällig für<br />
populistische Rhetorik. Eine soziale Mobilisierung<br />
rund um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
kann daher helfen, demokratische Prozesse<br />
zu unterstützen und zu konsoli<strong>die</strong>ren, in denen<br />
<strong>die</strong> Stimmen der Normalbürger Einfluss<br />
auf <strong>die</strong> Gestaltung der Politik nehmen. Zwar<br />
haben Gruppen der Zivilgesellschaft bereits<br />
begonnen, sich mit den Zielen zu befassen,<br />
doch viele von ihnen wissen nichts davon oder<br />
stehen den Zielen misstrauisch gegen<strong>über</strong>. 11<br />
ENGAGEMENT DER PARTNER IN DEN REICHEN<br />
LÄNDERN UND DER INTERNATIONALEN<br />
GEMEINSCHAFT<br />
Die Ziele sind ein bedeutender Schritt beim<br />
Aufbau einer echten Entwicklungspartnerschaft<br />
und bei der Definition dessen, was unter<br />
Partnerschaft zu verstehen ist. Die Vereinbarungen,<br />
<strong>die</strong> aus der Internationalen Konferenz<br />
<strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung 2002<br />
und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />
hervorgegangen sind, beförderten den<br />
Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong> gegenseitige Verantwortung<br />
von reichen und Entwicklungsländern. Die<br />
Entwicklungsländer sollen den Schwerpunkt<br />
auf <strong>die</strong> Verbesserung der Staats- und Regierungsführung<br />
legen, insbesondere was <strong>die</strong><br />
Mobilisierung von Ressourcen, ihre gerechte<br />
Verteilung und ihren wirkungsvollen Einsatz<br />
angeht. Die reichen Länder sollen mehr finanzielle<br />
Mittel zu Vorzugsbedingungen zur Verfügung<br />
stellen sowie Schuldenerleichterungen<br />
und den Handel und Technologietransfer fördern<br />
(siehe Kapitel 8).<br />
KLARE DIAGNOSE DESSEN,<br />
WAS GETAN WERDEN MUSS<br />
Die Welt braucht eine klare Analyse der<br />
Gründe, warum <strong>die</strong> weltweite Armut anhält,<br />
wo und worin <strong>die</strong> größten Hindernisse für deren<br />
Beseitigung liegen und was getan werden<br />
muss, um sie anzugehen. Jedes arme Land<br />
muss eine nationale Strategie erarbeiten, <strong>die</strong><br />
seiner Situation Rechnung trägt.<br />
Auch <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />
muss Prioritäten setzen, wie <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele erreicht werden sollen.<br />
Diese Prioritäten müssen auf einer objektiven<br />
Analyse der größten Probleme und wichtigsten<br />
Hindernisse basieren sowie auf Erfahrungen,<br />
welche Maßnahmen gegriffen haben<br />
(und welche nicht) und auf Ideen für neue<br />
Maßnahmen, um <strong>die</strong> Fortschritte zu beschleunigen.<br />
Um <strong>die</strong>se Analyse durchzuführen, hat der<br />
UN-Generalsekretär das Millenniums-Projekt<br />
ins Leben gerufen, eine Forschungsinitiative,<br />
in der fast 300 Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft,<br />
internationalen Organisatio-<br />
Die Ziele sind ein<br />
bedeutender Schritt beim<br />
Aufbau einer echten<br />
Entwicklungspartnerschaft<br />
und bei der<br />
Definition dessen, was<br />
unter Partnerschaft zu<br />
verstehen ist<br />
DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 39
Der Millenniums-<br />
Entwicklungspakt ist der<br />
wichtigste Programmpunkt<br />
<strong>die</strong>ses Berichts<br />
nen und dem öffentlichen und privaten Sektor<br />
aus aller Welt zusammenkommen. Im Jahr<br />
2005 soll der Abschluss<strong>bericht</strong> des Projektes<br />
veröffentlicht werden.<br />
Auch <strong>die</strong>ser Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung trägt dazu bei, globale Prioritäten<br />
zu identifizieren, Daten zu liefern und<br />
neue Ideen zu analysieren. Er ist in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Millenniums-Projekt<br />
entstanden und greift auf dessen Arbeit sowie<br />
auf weitere Stu<strong>die</strong>n zurück, <strong>die</strong> innerhalb des<br />
Hauses oder im Rahmen von Forschungsaufträgen<br />
erstellt wurden. Er beschreibt:<br />
• eine Gesamtschau der weltweiten Fortschritte<br />
im Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele – und identifiziert<br />
<strong>die</strong> Bereiche, <strong>die</strong> <strong>die</strong> größte Aufmerksamkeit<br />
erfordern (Kapitel 2).<br />
• <strong>die</strong> strukturellen Hindernisse für wirtschaftliches<br />
Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
und Wege, sie zu <strong>über</strong>winden (Kapitels<br />
3).<br />
• politische Optionen zur Erreichung der<br />
Ziele in den Bereichen Bildung, Ernährung,<br />
Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter,<br />
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung<br />
(Kapitel 4).<br />
• geeignete Rollen für den privaten und öffentlichen<br />
Sektor beim Ausbau sozialer Basis<strong>die</strong>nste<br />
(Kapitel 5).<br />
• politische Optionen zur Erreichung der<br />
Ziele im Bereich Umwelt (Kapitel 6).<br />
• <strong>die</strong> Rolle der Bevölkerung zur Erhöhung<br />
der politischen Stoßkraft, um politische Kursänderungen<br />
zu bewirken (Kapitel 7).<br />
• neue politische Strategien in den Bereichen<br />
Handel, Schuldenerleichterungen, Technologietransfer<br />
und Entwicklungshilfe, <strong>die</strong><br />
nötig sind, um <strong>die</strong> Umsetzung aller Millenniums-Ziele<br />
zu unterstützen (Kapitel 8).<br />
Der vorangestellte Millenniums-Entwicklungspakt<br />
ist der wichtigste politische Programmpunkt<br />
<strong>die</strong>ses Berichts. Er stellt einen<br />
neuen Ansatz dar, um den Ländern zu helfen,<br />
der Armutsfalle zu entkommen und <strong>die</strong> Ziele<br />
zu erreichen. Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
identifiziert <strong>die</strong> Aufgaben der verschiedenen<br />
Interessengruppen. Er stützt sich auf <strong>die</strong><br />
Prinzipien des Konsens von Monterrey (der auf<br />
der Internationalen Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />
angenommen wurde), der<br />
eher einem leistungs- als einem anspruchsorientierten<br />
<strong>entwicklung</strong>spolitischen Ansatz folgt.<br />
40 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KAPITEL 2<br />
Die größten Herausforderungen zur<br />
Erreichung der Ziele<br />
Zwei Gruppen von Entwicklungsländern stehen<br />
vor besonders schwierigen – unterschiedlichen<br />
– Herausforderungen bei der Erreichung<br />
der Millenniums-Entwicklungsziele. In<br />
der ersten Gruppe befinden sich <strong>die</strong> Länder<br />
mit hoher und höchster Priorität, in denen tief<br />
verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut und mangelnde<br />
Fortschritte – oder sogar Rückschritte –<br />
Krisen verursacht haben, und denen <strong>die</strong> Welt<br />
ihre gebündelte Aufmerksamkeit und Ressourcen<br />
widmen muss. Die zweite Gruppe<br />
steht nicht so oft im Blickpunkt der Öffent-<br />
Arabische Staaten<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Welt<br />
Südasien<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Welt<br />
Südasien<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Arabische Staaten<br />
lichkeit, denn sie hat insgesamt gute Fortschritte<br />
gemacht. Aber <strong>die</strong>se Fortschritte sind<br />
ungleich verteilt, und <strong>die</strong> Kluft weitet sich aus,<br />
weil arme Gruppen und Regionen auf der<br />
Strecke bleiben.<br />
Ostasien und der Pazifikraum, angeführt<br />
von China, sind dicht davor, <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />
gegen<strong>über</strong> dem Stand des Jahres<br />
1990 zu halbieren – und kommen auch bei der<br />
Umsetzung der anderen Ziele gut voran. Für<br />
<strong>die</strong> arabischen Staaten, Lateinamerika und <strong>die</strong><br />
Karibik wird es eine Herausforderung sein,<br />
GRAFIK 2.1<br />
Zeitrahmen für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele – wenn nicht schnellere Fortschritte gemacht werden<br />
ZIEL<br />
ERREICHT a<br />
2000<br />
2015<br />
2020<br />
2050<br />
2100<br />
2200<br />
RÜCK-<br />
SCHRITT<br />
Armut<br />
Hunger<br />
Primarschulbildung<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Südasien<br />
Arabische Staaten<br />
Welt<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Geschlechtergleichstellung<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Arabische Staaten<br />
Südasien<br />
Kindersterblichkeit<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 41<br />
Südasien<br />
Arabische Staaten<br />
Welt<br />
Zugang zu<br />
Wasser<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Südasien<br />
Welt<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
a.Wenn <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut im letzten für das Ziel relevante Jahr unter 10 Prozent liegt, wird davon ausgegangen, dass <strong>die</strong> Region das Ziel erreicht hat (siehe dazu auch technische Erläuterung 2).<br />
Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Feature 1.<br />
Sanitärversorgung<br />
Südasien<br />
Welt<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara
In den 1990er Jahren kam<br />
es in vielen Entwicklungsländern<br />
zu Stagnation<br />
und Rückschritten in<br />
vielen Bereichen, <strong>die</strong> für<br />
<strong>die</strong> Ziele von zentraler<br />
Bedeutung sind<br />
<strong>die</strong> Ziele zu erreichen, aber es ist möglich<br />
(Grafik 2.1). Für andere Regionen bleibt <strong>die</strong><br />
Erreichung der Ziele jedoch eine ernorme<br />
Herausforderung. Wenn sich <strong>die</strong> Situation<br />
nicht verbessert, werden <strong>die</strong> Länder Afrikas<br />
südlich der Sahara bis zum Jahr 2165 brauchen,<br />
um <strong>die</strong> Kindersterblichkeit um zwei<br />
Drittel zu verringen, bis 2147 um <strong>die</strong> extreme<br />
Armut zu halbieren und bis 2129, um das Ziel<br />
allgemeiner Primarschulbildung zu erreichen.<br />
Was das Ziel der Beseitigung des Hungers angeht,<br />
so kann derzeit für <strong>die</strong> Länder Afrikas<br />
südlich der Sahara noch kein Zeitpunkt<br />
bestimmt werden, denn <strong>die</strong> Situation verschlechtert<br />
sich noch weiter. Und obwohl<br />
Südasien raschere Fortschritte gemacht hat,<br />
wird es in den meisten Bereichen noch substanzielle<br />
Verbesserungen brauchen, wenn <strong>die</strong><br />
Ziele erreicht werden sollen.<br />
In den 1990er Jahren kam es in vielen Entwicklungsländern<br />
zu Stagnation und Rückschritten<br />
in vielen Bereichen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ziele<br />
von zentraler Bedeutung sind. Etwa 54 Länder<br />
sind heute ärmer als noch 1990. In 21 Ländern<br />
ist der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> Hunger leiden,<br />
gestiegen. In 14 Ländern sterben mehr<br />
Kinder, bevor sie fünf Jahre alt werden. In<br />
12 Ländern ist <strong>die</strong> Einschulungsquote im<br />
Primarschulbereich gesunken. Und in vielen<br />
Ländern hat Stagnation eingesetzt, es kommt<br />
zwar nicht zu Rückschritten, es geht aber auch<br />
nicht voran. 1<br />
In den 1980er Jahren erlebten nur vier<br />
Länder Rückschritte beim Index für <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung (einem zusammengefassten<br />
Maß auf der Grundlage der Möglichkeiten<br />
der Bürgerinnen und Bürger eines Landes,<br />
ein langes und gesundes Leben zu führen<br />
und einen angemessenen Bildungs- und Lebensstandard<br />
zu haben). In den 1990er<br />
Jahren ist ihre Zahl sprunghaft auf 15 angestiegen.<br />
Hinter <strong>die</strong>sen Rückschritten stecktenunzureichendesWirtschaftswachstumund<br />
<strong>die</strong> HIV/AIDS-Epidemie. In den 1990er Jahren<br />
ging auch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe der reichen<br />
Länder zurück, <strong>die</strong> Schuldenlast der armen<br />
Länder stieg, und <strong>die</strong> Rohstoffpreise<br />
sanken weiter (siehe Kapitel 8), aus denen<br />
viele arme Länder ihre Staatseinkünfte beziehen.<br />
Viele Entwicklungsländer stehen in einem<br />
oder zwei Bereichen in Bezug auf <strong>die</strong> Ziele vor<br />
enormen Herausforderungen. Anlass zur Sorge<br />
geben jedoch <strong>die</strong> 31 Länder mit höchster<br />
Priorität, in denen bei den meisten der Ziele<br />
mangelnde Fortschritte und ein extrem niedriges<br />
Ausgangsniveau zusammenfallen. Obwohl<br />
es solche Länder in allen Regionen der Welt<br />
gibt, liegen bei weitem <strong>die</strong> meisten davon in<br />
Afrika südlich der Sahara. Es gibt weitere 28<br />
Länder mit hoher Priorität, in denen <strong>die</strong> Situation<br />
etwas weniger verzweifelt ist. Aber es sind<br />
weiterhin entscheidende Fortschritte nötig,<br />
um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
Dennoch gelingt <strong>die</strong>s einigen der ärmsten<br />
Länder auf dem Weg zu einem höheren Entwicklungsstand.<br />
Im Kampf gegen HIV/AIDS<br />
gibt es Erfolgsgeschichten, das Bildungsniveau<br />
steigt, Volkswirtschaften beginnen zu<br />
wachsen. Eine zentrale Botschaft <strong>die</strong>ses Berichts,<br />
der wir in Teil 2 nachgehen, ist, dass<br />
man viel dar<strong>über</strong> weiß, wie <strong>die</strong> Ziele zu erreichen<br />
sind. Aber <strong>die</strong>ses Wissen muss auch<br />
schnell zum Einsatz kommen, wenn <strong>die</strong> Länder,<br />
<strong>die</strong> darum kämpfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />
<strong>die</strong>s auch schaffen sollen.<br />
Beim Messen der Fortschritte ist es von<br />
entscheidender Bedeutung, <strong>über</strong> <strong>die</strong> Durchschnittszahlen<br />
den einzelnen Länder hinauszuschauen.<br />
In vielen Ländern könnten <strong>die</strong> Ziele<br />
buchstabengetreu erreicht werden, wenn<br />
sich <strong>die</strong> Bemühungen auf <strong>die</strong> Menschen konzentrieren,<br />
<strong>die</strong> in der Gesellschaft bereits ihr<br />
Bestes geben. Aber es entspricht nicht dem<br />
Sinn der Ziele, wenn in den Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Ziellinie passieren, viele arme Menschen auf<br />
der Strecke bleiben. In Brasilien, China, In<strong>die</strong>n<br />
und Mexiko waren <strong>die</strong> Fortschritte insgesamt<br />
bereits hervorragend. Doch einigen Regionen<br />
und Gruppen kommt <strong>die</strong>se Entwicklung<br />
noch nicht ausreichend zugute, während<br />
wohlhabende Teile der Bevölkerung weiter<br />
vorwärts drängen. Und in Ländern, <strong>die</strong> kaum<br />
vorankommen, wird ein großer Teil der Last<br />
von marginalisierten Gruppen getragen, wie<br />
zum Beispiel in Burkina Faso, Mali und der<br />
Russischen Föderation.<br />
In <strong>die</strong>sem Kapitel werden <strong>die</strong> Fortschritte<br />
in Hinblick auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
bewertet. Dabei wird eine globale<br />
42 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Perspektive zugrunde gelegt, um <strong>die</strong> Bereiche<br />
zu identifizieren, denen sich <strong>die</strong> Politik am<br />
dringendsten widmen muss (Kasten 2.1 und<br />
Feature 2.1 am Ende des Kapitels; siehe auch<br />
<strong>die</strong> Indikatoren-Tabellen 1-10 der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
im statistischen Anhang).<br />
Die Bewertung zeigt:<br />
• krasse Unterschiede zwischen und innerhalb<br />
von Regionen,<br />
• Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
in den 1990er Jahren,<br />
• Anstrengungen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />
wobei es Rückschritte und Stagnation gibt,<br />
und Länder, <strong>die</strong> in der Krise stecken,<br />
• ein gutes Abschneiden einiger der ärmsten<br />
Länder,<br />
• wachsende Unterschiede innerhalb einzelner<br />
Länder.<br />
KRASSE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN<br />
UND INNERHALB VON REGIONEN<br />
Auf der ganzen Welt gibt es Fortschritte<br />
bei den Zielen. Aber es bilden sich krasse Unterschiede<br />
zwischen den Regionen heraus. Einige<br />
Regionen preschen voran und erreichen<br />
ein neues Entwicklungsniveau, während andere<br />
auf der Strecke bleiben. Das gleiche Muster<br />
tritt auch innerhalb von Regionen auf. Einige<br />
Länder sind auch bei ringsherum enttäuschenden<br />
regionalen Trends erfolgreich, während<br />
andere auch in solchen Regionen zurückfallen,<br />
<strong>die</strong> insgesamt gute Fortschritte machen:<br />
• Südasien —kommt von niedrigem Niveau<br />
aus voran. Südasien bleibt eine der ärmsten<br />
Regionen der Welt. Weil <strong>die</strong>se Region so<br />
dicht bevölkert ist, lebt dort auch <strong>die</strong> größte<br />
Zahl armer Menschen. Die Aufgabe ist enorm,<br />
denn mehr als ein Drittel der Südasiaten hat<br />
keinen Zugang zu verbesserter Sanitärversorgung,<br />
ein Drittel lebt in Armut, ein Viertel der<br />
Menschen leidet Hunger, ein Fünftel der Kinder<br />
geht nicht zur Primarschule, und fast ein<br />
Zehntel der Kinder stirbt vor Erreichen des<br />
sechsten Lebensjahres. Doch in all <strong>die</strong>sen Bereichen<br />
sind in den 1990er Jahren bedeutende<br />
Fortschritte gemacht worden, was <strong>die</strong> Region<br />
von der untersten Entwicklungsstufe emporgehoben<br />
hat. Außerdem waren <strong>die</strong> Leistungen<br />
der einzelnen Länder in <strong>die</strong>ser Region homo-<br />
gener als anderswo. Außer in Afghanistan kam<br />
es in keinem südasiatischen Land bei den<br />
Schlüsselindikatoren der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu Rückschritten. Dennoch<br />
gab es einige Unterschiede. Bangladesch und<br />
Bhutan reduzierten <strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern<br />
unter fünf Jahren um <strong>über</strong> sechs Prozentpunkte,<br />
Nepal um <strong>über</strong> fünf Prozentpunkte.<br />
Heute ist in <strong>die</strong>sen Ländern der Anteil der<br />
Kinder, <strong>die</strong> sterben, bevor sie fünf Jahre alt<br />
sind, kleiner als in Pakistan, wo sehr viel<br />
langsamere Fortschritte gemacht wurden.<br />
Außerdem schnitten in In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> einzelnen<br />
Bundesstaaten sehr unterschiedlich ab, so dass<br />
<strong>die</strong> Ungleichverteilung zwischen einer Reihe<br />
von Bundesstaaten zunahm.<br />
Afrika südlich der Sahara – bleibt auf<br />
der Strecke. Wie Südasien sind auch <strong>die</strong> Länder<br />
Afrikas südlich der Sahara mit gewaltiger<br />
Armut konfrontiert. Doch anders als Südasien<br />
bleibt <strong>die</strong>se Region auf der Strecke. Fast <strong>über</strong>all<br />
hat es hier Stagnation gegeben: Die Wirtschaft<br />
ist nicht gewachsen, <strong>die</strong> Hälfte der Afrikaner<br />
lebt in extremer Armut und ein Drittel<br />
leidet Hunger, und etwa ein Sechstel der Kinder<br />
stirbt vor Erreichen des sechsten Lebensjahres<br />
– wie vor zehn Jahren. Aufgrund des<br />
Bevölkerungswachstums ist <strong>die</strong> Anzahl der leidenden<br />
Menschen in den 1990er Jahren erheblich<br />
gestiegen. Im Bildungssektor wurden<br />
einige Fortschritte erzielt, wo sich <strong>die</strong> Einschulungsquote<br />
im Primarschulbereich bei<br />
dennoch mageren 57 Prozent hielt. Und <strong>die</strong><br />
Abschlussquoten sind niedrig, nur ein Drittel<br />
der Kinder in <strong>die</strong>ser Region schließt <strong>die</strong><br />
Grundschule ab. Dennoch gelang es einigen<br />
Ländern, inmitten <strong>die</strong>ses trostlosen Bildes von<br />
Stillstand und Rückschritt, in den 1990er Jahren<br />
beeindruckende Fortschritte zu erzielen.<br />
Kap Verde, Mauritius, Mosambik und Uganda<br />
verzeichneten <strong>über</strong> drei Prozent Pro-Kopf-<br />
Wachstum jährlich, und in Ghana und Mosambik<br />
gelangen einige der weltweit drastischsten<br />
Reduzierungen des Hungers. In Benin<br />
stieg <strong>die</strong> Einschulungsquote im Primarschulbereich<br />
um mehr als 20 Prozentpunkte. Trotz<br />
HIV/AIDS senkten zehn Länder <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
um drei Prozentpunkte und<br />
mehr, in Malawi sank sogar um mehr als fünf<br />
Prozentpunkte.<br />
Kap Verde, Mauritius,<br />
Mosambik und Uganda<br />
verzeichneten <strong>über</strong> drei<br />
Prozent Pro-Kopf-<br />
Wachstum jährlich, und in<br />
Ghana und Mosambik<br />
gelangen einige der<br />
weltweit drastischsten<br />
Reduzierungen des<br />
Hungers<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 43
KASTEN 2.1<br />
Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele haben klar<br />
gemacht, dass es einen Bedarf an relevanten,<br />
verlässlichen, aktuellen Statistiken gibt, um politische<br />
Maßnahmen festzulegen, Entscheidungsträger<br />
zur Rechenschaft zu ziehen, Fortschritte<br />
zu <strong>über</strong>wachen und Ergebnisse zu evaluieren.<br />
Doch trotz bedeutender Verbesserungen<br />
in den vergangenen Jahren ist <strong>die</strong> Deckung<br />
des Bedarfs an Grunddaten zur <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung nach wie vor eine große globale<br />
Herausforderung.<br />
Obwohl <strong>die</strong> Datenlage in den einzelnen<br />
Entwicklungsländern sehr unterschiedlich ist,<br />
gibt <strong>die</strong> Datenbank zu den Millenniums-Indikatoren<br />
Aufschlüsse (siehe http://millennium<br />
indicators.un.org). Diese Datenbank basiert<br />
auf Länderstatistiken, <strong>die</strong> von internationalen<br />
Daten-Agenturen zusammengestellt oder geschätzt<br />
werden. Es zeigt sich nicht nur eine bedeutende<br />
Kluft bei fast jedem Indikator. Es<br />
gibt auch umfassende Probleme in Bezug auf<br />
<strong>die</strong> Relevanz, Genauigkeit, Konsistenz und <strong>die</strong><br />
Verlässlichkeit. Zum Beispiel:<br />
• Die Auswahl vieler der Indikatoren für <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele ist durch <strong>die</strong><br />
Datenverfügbarkeit begründet. Es sind nicht<br />
notwendigerweise <strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ziele<br />
am geeignetsten sind. Ein Beispiel ist der Indikator<br />
von einem US-Dollar am Tag, dem strittigsten<br />
Maß für absolute Armut (siehe Kasten<br />
2.3). Ein weiteres Beispiel ist der Indikator des<br />
nachhaltigen Zugangs zu erschwinglichen unentbehrlichen<br />
Arzneimitteln, bei dem es<br />
schwierig, sowohl den Zugang als auch <strong>die</strong> Erschwinglichkeit<br />
schwierig exakt zu bewerten.<br />
Indessen müssen adäquate Indikatoren für <strong>die</strong><br />
Zielvorgabe in Bezug auf Slumbewohner (Bestandteil<br />
von Ziel 7) noch vollständig entwickelt<br />
werden.<br />
• Bei den Indikatoren für <strong>die</strong> Einkommensarmut,<br />
Gesundheit, Ungleichheit der Geschlechter,<br />
Arbeitsplätze und <strong>die</strong> Umwelt haben<br />
viele Länder für den Zeitraum von 1990<br />
bis 2001 keine Daten – und wenige Länder verfügen<br />
<strong>über</strong> Trenddaten für <strong>die</strong>sen Zeitraum<br />
(siehe Tabelle).<br />
• Einige Daten – wie zum Beispiel in Bezug<br />
auf Müttersterblichkeit und HIV/AIDS – basieren<br />
auf unvollständiger Erfassung, <strong>die</strong> jedoch<br />
entscheidend ist, oder auf nicht repräsentativen<br />
Erhebungen. Sie unterliegen daher einer<br />
enormen Unsicherheit. Und selbst wenn<br />
Daten für mehrere Zeiträume zur Verfügung<br />
stehen, so sind sie aufgrund von Änderungen<br />
der Definitionen, der Methoden und der<br />
Reichweite oft nicht vergleichbar.<br />
Indem <strong>die</strong> Ziele eine langfristige Nachfrage<br />
nach Daten schaffen, stellen sie eine Herausforderung<br />
für nationale und internationale<br />
Institutionen dar, <strong>über</strong> kurzfristige Antworten<br />
hinauszugehen und im Statistik-Bereich zuverlässige,<br />
nachhaltige nationale Kapazitäten und<br />
Systeme aufzubauen. Was muss getan werden<br />
– oder auf andere Art und Weise getan werden<br />
– um <strong>die</strong>se Ziele zu erreichen?<br />
Entwicklung nationaler Nachfrage<br />
Aufgrund der fehlenden Wertschätzung für<br />
<strong>die</strong> Bedeutung von Statistiken zur Unterstützung<br />
informierter Entscheidungsprozesse sind<br />
zu viele Länder in einem Teufelskreis niedriger<br />
Nachfrage nach Statistiken und geringer Mittelausstattung<br />
gefangen, was dazu führt, dass<br />
das Angebot mangelhaft ist. Solche Länder<br />
sammeln nicht routinemäßig Daten. Viele haben<br />
in den vergangenen zehn Jahren keine<br />
Volkszählung durchgeführt. Und sie sind bei<br />
der Einführung moderner statistischer Stan-<br />
Große Datenlücken selbst bei Basisindikatoren <strong>menschliche</strong>r Entwicklung:<br />
Länder, in denen es an Daten fehlt, 1990-2001<br />
Prozent<br />
Länder Länder<br />
ohne ohne je-<br />
Indikator Trenddaten gliche Daten<br />
Untergewichtige Kinder unter fünf Jahren 100 22<br />
Nettoeinschulungsquote im Primarschulbereich 46 17<br />
Kinder, <strong>die</strong> das fünfte Schuljahr erreichen 96 46<br />
Von medizinischem Fachpersonal begleiteten Geburten 100 19<br />
nichtselbständig erwerbstätige Frauen im Nicht-Agrarsektor<br />
HIV-Prävalenz bei schwangeren Frauen (15- bis 24-Jährige)<br />
51 41<br />
in größeren Städten<br />
Bevölkerung mit nachhaltigem Zugang zu einer besseren<br />
100 91<br />
Wasserquelle 62 18<br />
Bevölkerung mit weniger als einem US-Dollar pro Tag 100 55<br />
Anmerkung: Die Daten beziehen sich auf Entwicklungsländer und Länder in Mittel- und Osteuropa und der GUS. Ein Land verfügt<br />
definitionsgemäß dann <strong>über</strong> Trenddaten, wenn für mindestens zwei Zeitpunkte bzw. Zeiträume Daten vorliegen – für 1990–95<br />
und für 1996–2001 – und wenn <strong>die</strong> beiden Dateneinträge mindestens drei Jahre auseinander liegen. Quelle: UN <strong>2003</strong>c.<br />
dards und Methoden weit im Rückstand. Auch<br />
haben sie nur eingeschränkte Kapazitäten, Statistiken<br />
zu analysieren und zu verbreiten, was<br />
nicht ermutigt, in der nationalen politischen<br />
Analyse Daten zu verwenden.<br />
Die Nachfrage nach Daten muss steigen,<br />
wenn <strong>die</strong> nationalen Statistik-Systeme aus dem<br />
Teufelskreis von zu geringer Leistung und Unterfinanzierung<br />
herauskommen sollen. Anstrengungen<br />
zur Ausweitung des Datenangebots<br />
müssen auch <strong>die</strong> Kapazitäten der Regierungen<br />
und der allgemeinen Öffentlichkeit<br />
stärken, Daten wirkungsvoll zu nutzen. Zwar<br />
ist für solche Bemühungen entscheidend, dass<br />
sie in einheimischer Hand sind und <strong>die</strong> einzelnen<br />
Länder sich dafür engagieren, doch <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft kann helfen, indem<br />
sie:<br />
• sich für <strong>die</strong> Bedeutung von Statistiken und<br />
Statistik-Systemen zur Unterstützung effektiver<br />
Staats- und Regierungsführung und zur Ermächtigung<br />
der Bevölkerung einsetzt. Zu den<br />
wichtigen Gelegenheiten hierfür gehören <strong>die</strong><br />
Prozesse zur Erarbeitung von Strategiedokumenten<br />
zur Armutsbekämpfung (PRSPs), <strong>die</strong><br />
nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
und <strong>die</strong> Länder<strong>bericht</strong>e zu den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />
Sie alle betonen<br />
den Bedarf an Überwachung und Evaluierung;<br />
• existierende Daten besser nutzt, um <strong>die</strong><br />
kurzfristige Nachfrage für bestimmte Programme<br />
zu decken, und langfristig in Statistik-<br />
Systeme investiert;<br />
• Statistik-Analysten und Manager statistischer<br />
Systeme ausbildet, neue Instrumente zur<br />
Datenerhebung entwickelt, den Zugang zu Daten<br />
verbessert, indem sie <strong>die</strong> Verbreitung und<br />
Analyse von Daten unterstützt, und dazu ermutigt,<br />
existierende Technologien einzusetzen,<br />
um <strong>die</strong> Kosten niedrig zu halten und nationale<br />
Statistik-Programme effektiver zu machen.<br />
Verbesserung nationaler Strategien<br />
und Systeme<br />
Um <strong>die</strong> Datenlücken in Entwicklungsländern<br />
zu schließen, haben internationale Organisationen<br />
eine Reihe von Haushaltserhebungen<br />
durchgeführt, insbesondere in den Bereichen<br />
Armut, Gesundheit und Bildung. Diese Erhebungen<br />
– darunter Haushaltserhebungen zu<br />
Demographie und Gesundheit (Demographic<br />
and Health Surveys) Mehrfachindikatoren-<br />
Clustererhebungen (Multiple Indicator Cluster<br />
Surveys), Haushaltserhebungen zur Messung<br />
des Lebensstandards (Living Standards<br />
Continued on next page<br />
44 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 2.1 (Fortsetzung)<br />
Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />
Measurement Surveys) und Fragebogen zu<br />
Kernindikatoren der Wohlfahrt (Core Welfare<br />
Indicator Questionnaires) – haben entscheidende<br />
Daten zu sozioökonomischen Merkmalen<br />
und Trends geliefert, insbesondere was <strong>die</strong><br />
Armen angeht.<br />
Wenn jedoch ähnliche Erhebungen in<br />
Ländern mit beschränkten Ressourcen durchgeführt<br />
werden, sind sie manchmal von einem<br />
kurzfristigen externen Bedarf geleitet, verzerren<br />
<strong>die</strong> einheimischen Prioritäten und bieten<br />
keine nachhaltige Verbesserung für <strong>die</strong> einheimische<br />
statistische Infrastruktur. Zwar können<br />
Verwaltungssysteme detaillierte Zeitreihen<br />
und aufgeschlüsselte Daten für <strong>die</strong> nationale<br />
Planung zur Verfügung stellen, doch <strong>die</strong>s erfordert<br />
langfristige Investitionen und wird oft<br />
vernachlässigt.<br />
Um <strong>die</strong> Entwicklung nachhaltiger Statistik-Systeme<br />
zu fördern und Verzerrungen der<br />
Prioritäten und des Outputs so gering wie<br />
möglich zu halten, sollte <strong>die</strong> Sammlung und<br />
Analyse von Daten im Rahmen nationaler Statistik-Strategien<br />
erfolgen. Diese Strategien sollten<br />
in engem Zusammenhang mit nationalen<br />
politischen Strategien und den für <strong>die</strong> Statistik-<br />
Systeme vereinbarten Prioritäten stehen.<br />
Mehrere afrikanische Länder haben in<br />
jüngster Zeit ihre statistischen Kapazitäten erheblich<br />
verbessert, indem sie <strong>die</strong> einheimische<br />
Nachfrage als Leitlinie für ihre Anstrengungen<br />
zur Entwicklung von Statistiken nutzten.<br />
Uganda hat seine Statistik-Agentur restrukturiert<br />
und sie damit in <strong>die</strong> Lage versetzt, <strong>die</strong><br />
Nachfrage der Nutzer besser zu bewältigen<br />
und zu decken. In Malawi hat sich durch staatliche<br />
und Geber-Investitionen in Haushaltserhebungen<br />
und Datenanalysen das Verständnis<br />
in Bezug auf <strong>die</strong> Armut erhöht. Dies führte zu<br />
Kartierungen der Armut, zur Vereinbarung einer<br />
Armutsgrenze und zu einem umfassenden<br />
Profil der Armen.<br />
Eine internationale Armutsuntersuchung<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele heben Bereiche<br />
hervor, in denen <strong>die</strong> nationalen Statistik-Systeme<br />
entscheidend verbessert werden<br />
müssen. Viele Länder, darunter <strong>die</strong> Länder mit<br />
hoher und höchster Priorität, wie sie in <strong>die</strong>sem<br />
Bericht identifiziert wurden, brauchen umfassende<br />
Hilfe, um regelmäßige Einkommensund<br />
Konsumerhebungen durchzuführen. Diese<br />
Erhebungen sollen insbesondere dazu <strong>die</strong>nen,<br />
<strong>die</strong> extreme Armut und grundlegende Lebensbedingungen<br />
zu beurteilen. Auch müssen<br />
<strong>die</strong>se Länder statistische Programme für andere<br />
soziale Indikatoren entwickeln oder stärken<br />
– insbesondere hinsichtlich der durch <strong>die</strong> Ziele<br />
bestimmten Gesundheitsdaten.<br />
Eine internationale Armutsuntersuchung<br />
könnte eine Möglichkeit sein, um auf <strong>die</strong> durch<br />
<strong>die</strong> Ziele neu geschaffene Nachfrage nach<br />
statistischer Unterstützung zu reagieren. Zwar<br />
liefern existierende Erhebungen (wie zum Beispiel<br />
Haushaltserhebungen zu Demographie<br />
und Gesundheit wichtige Daten für viele<br />
Bereiche. Aber keine liefert konsistente, verlässliche<br />
Daten <strong>über</strong> <strong>die</strong> extreme Armut und<br />
elementare Lebensbedingungen. Eine internationale<br />
Armutsuntersuchung würde neue bzw.<br />
verbesserte internationale Standards und<br />
Methoden verwenden. Sie könnte modular<br />
aufgebaut sein, wobei einige Module unverändert<br />
und zeitlich und räumlich konstant beibehalten<br />
und andere dem aktuellen oder langfristigen<br />
Bedarf des Landes angepasst würden.<br />
Als Bestandteil eines integrierten Erhebungsprogramms<br />
könnte eine solche Untersuchung<br />
wertvolle Daten für nationale und globale Analysen<br />
liefern und ein wichtiges Instrument zum<br />
Aufbau nationaler statistischer Kapazitäten<br />
werden.<br />
Beschaffung zusätzlicher Mittel<br />
und effektiverer Einsatz<br />
In vielen armen Ländern gibt es, wenn <strong>über</strong>haupt,<br />
nur <strong>über</strong> <strong>die</strong> einfachste statistische Infrastruktur<br />
und Ausbildung. Da <strong>die</strong> Handlungsmöglichkeiten<br />
<strong>die</strong>ser Länder aufgrund<br />
fehlender Mittel stark eingeschränkt sind,<br />
brauchen sie bedeutende finanzielle Unterstützung,<br />
um mit dem Aufbau von Statistik-Kapazitäten<br />
beginnen zu können. Andere Länder<br />
haben gut entwickelte Programme in bestimmten<br />
Bereichen, brauchen aber Unterstützung,<br />
um ihre Statistik-Systeme insgesamt leistungsfähiger<br />
zu machen. Auch müssen sie ihre nationalen<br />
Prioritäten abstimmen und in statistische<br />
Tätigkeiten investieren, um den nachhaltigen<br />
Aufbau von Kapazitäten sicherzustellen.<br />
Regierungen und Geber sollten erkennen,<br />
das <strong>die</strong> Erhöhung der Leistungsfähigkeit von<br />
Statistik-Systemen zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
unerlässlich ist. Anstatt<br />
sich auf kurzfristige Ergebnisse zu konzentrieren<br />
und sich auf teure externe Experten<br />
zu verlassen, sollte langfristigen Planungsansätzen<br />
der Vorzug gegeben werden, und lokal<br />
verfügbare Ressourcen und Wissen sollten<br />
effektiver genutzt werden.<br />
Neue Finanzierungsinstrumente<br />
Viele Geber bemühen sich, Statistik-Systeme<br />
zu finanzieren, indem sie sowohl <strong>die</strong> Finanzie-<br />
rung ausweiten (und zum Beispiel statistische<br />
Komponenten in neue Projekte integrieren) als<br />
auch mit neuen Instrumenten experimentieren.<br />
Zum Beispiel gewährt der neue Treuhandfonds<br />
für den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />
(Trust Fund for Statistical Capacity Building)<br />
der Weltbank, an dem mehrere Geber beteiligt<br />
sind, Zuschüsse für <strong>die</strong> Entwicklung von Masterplänen<br />
und Kleinprojekten zum Aufbau<br />
statistischer Kapazitäten. Außerdem sollen<br />
neue Kreditlinien den Entwicklungsländern<br />
helfen, das Investitionsvolumen zu erhöhen<br />
und <strong>die</strong> Abhängigkeit von Gebermitteln zu reduzieren.<br />
Dazu gehören zum Beispiel Investitionskredite,<br />
bei denen in der Umsetzungsphase<br />
<strong>die</strong> Unterstützung zur Deckung periodisch<br />
auftretender Kosten (dem Hauptanteil der<br />
Ausgaben statistischer Ämter) nach und nach<br />
abnimmt.<br />
Zusammenarbeit von Entwicklungsländern<br />
Jahrzehnte technischer Entwicklungshilfe und<br />
-zusammenarbeit haben in den Entwicklungsländern<br />
bedeutsames Wissen gefördert. Experten<br />
aus den reichen Ländern kommt eine wichtige<br />
Rolle zu. Doch <strong>die</strong>s gilt auch für Praktiker<br />
in <strong>die</strong>sen Ländern und aus anderen Entwicklungsländern,<br />
in denen <strong>die</strong> Probleme und Bedingungen<br />
ähnlich sind. Ende der 1980er Jahre<br />
half zum Beispiel der nationale statistische<br />
Koordinationsausschuss der Philippinen (National<br />
Statistical Coordination Board) dem indonesischen<br />
Zentralamt für Statistik (Central<br />
Bureau of Statistics), Daten für <strong>die</strong> volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung zusammenzustellen.<br />
Mehrere Faktoren sind für den Erfolg solcher<br />
Bemühungen entscheidend: Die Empfängerländer<br />
haben <strong>die</strong> Verantwortung und Kontrolle<br />
dar<strong>über</strong> und engagieren sich; ähnliche<br />
wirtschaftliche, kulturelle und Datensysteme<br />
im Empfängerland und in dem unterstützenden<br />
Land erleichtern den Technologietransfer;<br />
<strong>die</strong> Beratungskosten sind erschwinglich und<br />
eine langfristige Unterstützung dadurch möglich;<br />
es gibt das Gefühl, es mit Seinesgleichen<br />
zu tun zu haben, und es besteht <strong>die</strong> Bereitschaft,<br />
voll zu kooperieren.<br />
Verbesserung der Zusammenarbeit<br />
und Koordination<br />
Der Aufbau statistischer Kapazitäten muss sowohl<br />
in den einzelnen Ländern als auch unter<br />
den Gebern wirksam koordiniert werden. In<br />
den meisten Entwicklungsländern (selbst in jenen<br />
mit langer statistischer Tradition) sind <strong>die</strong><br />
Continued on next page<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 45
KASTEN 2.1 (Fortsetzung)<br />
Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />
statistischen Programme – <strong>über</strong> <strong>die</strong> nationalen<br />
statistischen Ämter hinaus – oft auf diverse Ministerien<br />
verteilt. Die statistischen Stellen internationaler<br />
Organisationen, wie zum Beispiel<br />
<strong>die</strong> Stellen am Hauptsitz der Vereinten Nationen<br />
und bei den regionalen Kommissionen, arbeiten<br />
hauptsächlich mit den nationalen statistischen<br />
Ämtern zusammen. Andere Statistik-<br />
Stellen spezialisierter Geberorganisationen –<br />
wie der Internationalen Arbeitsorganisation<br />
(ILO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation<br />
der Vereinten Nationen (FAO)<br />
der Organisation der Vereinten Nationen für<br />
Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNES-<br />
CO) und der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) – arbeiten normalerweise mit ihren<br />
Ansprechpartnern in den Fachministerien der<br />
Länder zusammen. Wieder andere, hauptsächlich<br />
multilaterale und bilaterale Geber, lassen<br />
<strong>die</strong> technische Zusammenarbeit oft durch Ministerien<br />
für technische Zusammenarbeit oder<br />
ähnliche Mechanismen verwalten.<br />
Diese Struktur bringt enorme Koordinierungsprobleme<br />
mit sich. Es lässt sich nicht vermeiden,<br />
dass verschiedene Geber annähernd<br />
gleiche Projekte duplizieren, deren Ziele sich<br />
<strong>über</strong>lappen oder sich widersprechen, und <strong>die</strong><br />
um begrenzte einheimische Mittel konkurrieren<br />
und nationale Kapazitäten <strong>über</strong>mäßig beanspruchen.<br />
Es gibt auch einen schwerwiegenden<br />
Mangel an Kohärenz innerhalb der nationalen<br />
Systeme und eine Trennung zwischen<br />
den nationalen statistischen Ämtern und verschiedenen<br />
Ministerien. Mit welchem Ergebnis?<br />
Enorme Ineffizienz, weniger nützliche Daten<br />
aus Erhebungen, <strong>die</strong> unterschiedliche Definitionen<br />
und Methoden verwenden, und Diskrepanzen<br />
bei den nationalen und internationalen<br />
Statistiken.<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele bieten<br />
eine einmalige Gelegenheit, sowohl natio-<br />
nal als auch international klare, effektive Verantwortlichkeiten<br />
festzulegen. Zum Beispiel<br />
könnten <strong>die</strong> nationalen statistischen Ämter<br />
eine zentralere Rolle bei der Koordination nationaler<br />
Statistiken für den nationalen und internationalen<br />
Bedarf spielen. Es sollten praktische<br />
Mechanismen geschaffen werden, um <strong>die</strong><br />
internationale Hilfe zu koordinieren und zu<br />
<strong>über</strong>wachen.<br />
Um den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />
zu koordinieren, wurde im Jahr 1999 das Konsortium<br />
„Partnerschaft für Statistik im Dienste<br />
der Entwicklung im 21. Jahrhundert“ (Partnership<br />
in Statistics for Development in the<br />
21st Century/PARIS21) gegründet. Dieses<br />
Konsortium verbindet nationale und internationale<br />
Statistiker und Statistik-Nutzer in ihren<br />
Bemühungen, Strategien zum Aufbau statistischer<br />
Kapazitäten zu entwickeln und <strong>die</strong> wirksame<br />
Zusammenarbeit zwischen armen und<br />
reichen Ländern zu fördern. Obwohl es relativ<br />
neu ist, hat PARIS21 sich vieler Herausforderungen<br />
angenommen – den Bedarf an besseren<br />
Daten zu betonen, Ressourcen zu mobilisieren,<br />
Instrumente zur Bewertung statistischer Kapazitäten<br />
und zur Identifizierung von Prioritäten<br />
zu entwickeln und <strong>die</strong> Länder dazu zu ermutigen,<br />
<strong>die</strong> Entwicklung ihrer Statistiken langfristig<br />
zu planen.<br />
Erhöhung der Leistungsfähigkeit<br />
internationaler Datensysteme<br />
Die steigende Nachfrage nach kohärenten,<br />
konsistenten internationalen Statistiken stellt<br />
eine bedeutende Herausforderung dar. Zwar<br />
sind bessere internationale Statistiken von besseren<br />
nationalen Statistiken abhängig, doch<br />
sind auch in den internationalen statistischen<br />
Organisationen Veränderungen nötig. Um auf<br />
neue Messprobleme zu reagieren und aktuelle<br />
Statistiken zur Verfügung zu stellen, müssen<br />
• Lateinamerika und <strong>die</strong> Karibik – zögerliche<br />
Fortschritte. Am anderen Ende des<br />
Spektrums der Entwicklungsregionen nähern<br />
sich <strong>die</strong> Indikatoren für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
in Lateinamerika und der Karibik dem<br />
Niveau der reichen Länder an. Doch obwohl<br />
in einigen Bereichen (Bildung, Sterblichkeit<br />
von Kindern unter fünf Jahren) weiter Fortschritte<br />
gemacht wurden, gab es in den 1990er<br />
Jahren nur sehr langsames Wirtschaftswachstum<br />
und einen leichten Anstieg der Armut. Im<br />
Ergebnis holt Ostasien auf, der Einkommens-<br />
<strong>die</strong> Organisationen ihre Kapazitäten erweitern.<br />
Sie müssen Datenlücken und Widersprüche<br />
reduzieren und besser mit nationalen<br />
Statistik-Systemen zusammenarbeiten. Und<br />
sie müssen <strong>die</strong> Koordination untereinander<br />
verstärken, um internationale Standards und<br />
Methoden zu verbessern und um <strong>die</strong> Vereinbarkeit<br />
internationaler Datenreihen sicherzustellen.<br />
Die internationale Gemeinschaft spielt<br />
eine wichtige Rolle bei der statistischen Entwicklung,<br />
indem sie international vereinbarte<br />
Standards, Methoden und Rahmenbedingungen<br />
für statistische Tätigkeiten umsetzt. Zu<br />
den bedeutenden Meilensteinen gehören <strong>die</strong><br />
Entwicklung und Annahme des Systems der<br />
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen,<br />
des Allgemeinen Datenveröffentlichungs-Systems<br />
und des Rahmens zur Bewertung der<br />
Qualität von Daten (Data Quality Assessment<br />
Framework). Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />
haben neue Impulse geliefert, für geeignete<br />
Konzepte und Methoden internationale<br />
Richtlinien zu entwickeln, auf denen jedes<br />
Land aufbauen kann – wie zum Beispiel Messgrößen<br />
für <strong>die</strong> extreme Armut und <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />
in den Slums der Städte.<br />
Diese Bereiche sind besonders wichtig, um<br />
den Bedarf der Länder mit hoher und höchster<br />
Priorität zu decken.<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele haben<br />
<strong>die</strong> internationale Gemeinschaft mobilisiert<br />
und Entwicklungsländer inspiriert, Verantwortung<br />
für den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />
zu <strong>über</strong>nehmen. Die enormen statistischen<br />
Lücken zu schließen wird von Gebern wie<br />
Empfängern Engagement und Anstrengungen<br />
erfordern. Der Aufbau von Kapazitäten ist keine<br />
Aufgabe, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Länder erledigt werden<br />
kann – sie müssen sie selbst erledigen. Dennoch<br />
ist <strong>die</strong> Hilfe von außen unverzichtbar.<br />
Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von David <strong>2003</strong>; De Vries <strong>2003</strong>; Johnston 2002, <strong>2003</strong>; UNDP 2002a, <strong>2003</strong>e, McEwin <strong>2003</strong>; Simonpietri <strong>2003</strong>; UN 2002g; World<br />
Bank. 2002a, <strong>2003</strong>d, <strong>2003</strong>h.<br />
unterschied zu Lateinamerika sinkt. Auch der<br />
Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> Hunger leidet, ist<br />
in Ostasien inzwischen geringer. Obwohl in<br />
den 1990er Jahren in den meisten lateinamerikanischen<br />
und karibischen Ländern das Pro-<br />
Kopf-Einkommen nur langsam stieg, wuchs es<br />
in fünf Ländern um <strong>über</strong> drei Prozent jährlich<br />
– darunter Chile und Guyana mit einem Pro-<br />
Kopf-Wachstum von fast fünf Prozent. Auch<br />
beim Hunger gab es große Unterschiede: In<br />
Kuba hat sich der Anteil der Menschen, <strong>die</strong><br />
Hunger leiden, fast verdreifacht, von fünf auf<br />
46 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
13 Prozent, während Peru den größten Rückgang<br />
verzeichnete, von 40 auf elf Prozent. Die<br />
Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren<br />
sank in Bolivien (von zwölf auf acht Prozent)<br />
und in Ecuador (von sechs auf drei Prozent),<br />
während es in Barbados, Jamaika und<br />
St. Vincent und den Grenadinen fast keine<br />
Verbesserungen gab.<br />
Ostasien und der Pazifikraum – insgesamt<br />
gutes Abschneiden. Die ostasiatische<br />
Wirtschaft wuchs in den 1990er Jahren um<br />
jährlich fast sechs Prozent, während <strong>die</strong> Armut<br />
um rund 15 Prozentpunkte sank, und <strong>die</strong>s<br />
trotz der akuten Finanzkrise von 1997/98. Unter<br />
allen Regionen konnte hier der Hunger am<br />
schnellsten verringert werden. Der Anteil der<br />
Menschen, <strong>die</strong> Hunger leiden, sank von 17 auf<br />
elf Prozent – und ist damit nun geringer als in<br />
den arabischen Staaten oder in Lateinamerika<br />
und der Karibik. Der allgemeine Primarschulbesuch<br />
und -abschluss sind greifbar nah, und<br />
<strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren<br />
ist merklich gesunken. Chinas Erfolge waren<br />
von zentraler Bedeutung für <strong>die</strong> Region.<br />
Mit 1,2 Milliarden Menschen macht China<br />
rund 70 Prozent der Bevölkerung Ostasiens<br />
aus (Chinas Erfolge und seine ungleichgewichtige<br />
Verteilung werden später in <strong>die</strong>sem<br />
Kapitel behandelt). Zu den weiteren Erfolgsgeschichten<br />
gehören höhere Einschulungsquoten<br />
in der Demokratischen Volksrepublik<br />
Laos und niedrigere Sterblichkeitsraten bei<br />
Kindern unter fünf Jahren in Indonesien.<br />
Dennoch haben viele Länder in der Region in<br />
den 1990er Jahren nicht von derartigen Fortschritten<br />
profitiert. In den Philippinen ist das<br />
Einkommen nur langsam gestiegen – und in<br />
Brunei Darussalam, der Mongolei, den Salomonen<br />
und Vanuatu ist es gesunken. In Kambodscha<br />
stieg <strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern<br />
unter fünf Jahren um zwei Prozentpunkte.<br />
• Mittel- und Osteuropa und <strong>die</strong> Gemeinschaft<br />
Unabhängiger Staaten – wachsende<br />
Armut und sinkende Lebenserwartung. Für<br />
<strong>die</strong> Menschen in Mittel- und Osteuropa und<br />
in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten<br />
(GUS) gingen <strong>die</strong> 1990er Jahre mit schlechterer<br />
Gesundheit und mit geringeren Durchschnittseinkommen<br />
zu Ende, als für <strong>die</strong> Menschen<br />
in Lateinamerika und der Karibik. Die-<br />
se negativen Trends reichen in <strong>die</strong> 1980er Jahre<br />
zurück, doch <strong>die</strong> Zahlen für <strong>die</strong> 1990er Jahre<br />
vermitteln eine Vorstellung vom Ausmaß<br />
der Verschlechterungen. So verdreifachte sich<br />
<strong>die</strong> Armut auf fast 100 Millionen Menschen –<br />
25 Prozent der Bevölkerung der Region. 2 Die<br />
Erfahrungen mit dem Übergang zur Marktwirtschaft<br />
sind in den beiden Regionen – Mittel-<br />
und Osteuropa einerseits und der GUS<br />
andererseits – unterschiedlich. Einige Länder<br />
in Mittel- und Osteuropa haben sich seit Ende<br />
der 1990er Jahre beachtlich verbessert. Die<br />
Tschechische Republik, Ungarn, Polen, <strong>die</strong><br />
Slowakei und Slowenien sind kurz davor, der<br />
Europäischen Union beizutreten. Die Herausforderung<br />
besteht darin, <strong>die</strong>se Erfolge in den<br />
Ländern der GUS zu wiederholen, <strong>die</strong> darum<br />
kämpfen, voranzukommen. Die sieben Länder<br />
der GUS – Armenien, Aserbaidschan, Georgien,<br />
Kirgisistan, <strong>die</strong> Republik Moldau, Tadschikistan<br />
und Usbekistan – befanden sich<br />
Ende der 1990er Jahre auf einem Einkommensniveau,<br />
das dem der am wenigsten entwickelten<br />
Länder nahe kommt.<br />
• Arabische Staaten – anhaltende Unterschiede.<br />
In den arabischen Staaten haben sich<br />
seit 1970 dank des hohen Einkommensniveaus<br />
viele Aspekte der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
verbessert. Doch klafft in den arabischen Staaten<br />
unter allen Regionen <strong>die</strong> größte Lücke zwischen<br />
dem Einkommen und anderen Aspekten<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung. Trotz sich verringernder<br />
geschlechterspezifischer Unterschiede<br />
bei der Einschulung bleibt <strong>die</strong> Ungleichbehandlung<br />
der Geschlechter ein Thema.<br />
In Ländern, in denen es Parlamente gibt,<br />
sind nur fünf Prozent der Abgeordneten Frauen.<br />
3 Die politischen und <strong>die</strong> Bürgerrechte stellen<br />
<strong>die</strong> größte Herausforderung dar. 1999 hatten<br />
nur vier der 17 Länder der Region, für <strong>die</strong><br />
Daten zur Verfügung stehen, Mehrparteiensysteme.<br />
4 Dennoch verzeichneten der Libanon,<br />
der Sudan und Tunesien trotz allgemeiner<br />
wirtschaftlicher Stagnation in den 1990er Jahren<br />
ein Wachstum von <strong>über</strong> drei Prozent pro<br />
Jahr. Kuwait reduzierte den Anteil seiner Bevölkerung,<br />
<strong>die</strong> Hunger leidet, von 22 auf vier<br />
Prozent. Ägypten schaffte <strong>die</strong> stärkste Senkung<br />
der Sterblichkeit von Kindern unter fünf<br />
Jahren, von rund zehn auf vier Prozent. Doch<br />
Sieben Länder der GUS<br />
befanden sich Ende der<br />
1990er Jahre auf einem<br />
Einkommensniveau, das<br />
dem der am wenigsten<br />
entwickelten Länder nahe<br />
kommt<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 47
Die Fragen in Bezug auf<br />
<strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />
des Einkommens<br />
geben Anlass<br />
zu einigen der strittigsten<br />
internationalen Debatten:<br />
Die Antworten hängen<br />
davon ab, wie <strong>die</strong> Fragen<br />
gestellt werden<br />
Höheres<br />
Todesrisiko<br />
5 mal höher<br />
10 mal höher<br />
15 mal höher<br />
andere Länder bleiben auf der Strecke. Im<br />
Irak kam es in den 1990er Jahren fast zu einer<br />
Verdreifachung der Sterblichkeitsrate bei Kindern<br />
unter fünf Jahren, auf 13 Prozent. Auch<br />
Länder in weniger extremen Situationen hatten<br />
zu kämpfen. Im Jemen stieg der Anteil der<br />
Kinder mit Untergewicht sprunghaft an, von<br />
30 Prozent 1992 auf 46 Prozent 1997. 5<br />
UNTERSCHIEDE ZWISCHEN REICHEN UND<br />
ARMEN LÄNDERN: ÜBER EINKOMMENS-<br />
UNTERSCHIEDE ALLEIN HINAUSGEHEN<br />
Die Fragen in Bezug auf <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />
des Einkommens geben Anlass zu<br />
einigen der strittigsten internationalen Debatten.<br />
Die Antworten hängen davon ab, wie <strong>die</strong><br />
Fragen gestellt werden. Und selbst wenn <strong>die</strong><br />
Fragen <strong>die</strong> gleichen zu sein scheinen, können<br />
<strong>die</strong> Antworten sehr unterschiedlich ausfallen<br />
(Kasten 2.2). Man schaut auf <strong>die</strong> Daten <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Einkommensunterschiede wie auf einen<br />
Börsenindex, um zu beurteilen, wie es der<br />
Welt gerade geht. Sind <strong>die</strong> Dinge auf dem<br />
richtigen Weg? Wird genug getan? Die Debatten<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />
des Einkommens geben jedoch kaum mehr<br />
Hinweise als den, dass Volkswirtschaftler und<br />
Statistiker viele Antworten auf <strong>die</strong> scheinbar<br />
gleichen Fragen finden können.<br />
Nobelpreisträger Amartya Sen hat vorgeschlagen,<br />
dass sorgfältig geprüft werden sollte,<br />
was mit Ungleichheit gemeint ist. 6 Wenn man<br />
nur auf <strong>die</strong> Ungleichverteilung des Einkommens<br />
schaut, kann <strong>die</strong>s den Blick auf Unter-<br />
GRAFIK 2.2<br />
Kindersterblichkeit in OECD-Ländern und anderen Regionen im Vergleich:<br />
Die Ungleichheit nimmt zu, Zeitraum 1990 bis 2001<br />
Kindersterblichkeit vor dem sechsten Lebensjahr in OECD-Ländern mit hohem Einkommen<br />
1990<br />
20 mal höher<br />
in Afrika<br />
südlich<br />
25 mal höher der Sahara<br />
Quelle: World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
2001<br />
in<br />
Südasien<br />
in den<br />
Arabischen<br />
Staaten<br />
in Ostasien<br />
und im<br />
Pazifikraum<br />
in Lateinamerika<br />
und der<br />
Karibik<br />
in Mittel-<br />
und<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
schiede im Leben der Menschen verstellen,<br />
auf ihre ungleichen Fähigkeiten und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen<br />
Veränderungen. Oft ist es schwierig<br />
zu erfassen, wie sich <strong>die</strong> Kluft zwischen reichen<br />
und armen Menschen und Regionen in<br />
anderen Bereichen als dem Einkommen verändert.<br />
Denn <strong>die</strong> meisten Grundindikatoren<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung sind nach oben begrenzt.<br />
Wenn fast alle Kinder zur Schule gehen,<br />
alle Erwachsenen lesen und schreiben<br />
können und <strong>die</strong> Lebenserwartung sich der<br />
biologischen Grenze nähert, kann ein Land<br />
kaum noch weitere Fortschritte machen.<br />
Während also <strong>die</strong> reichen Länder sich nach<br />
<strong>die</strong>sen Indikatoren nur noch wenig verbessern<br />
können, bedeutet jede Verbesserung in den<br />
armen Ländern eine Verringerung der Ungleichheit.<br />
Selbst wenn ein Land in Bezug auf einen<br />
der Grundindikatoren für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung nicht weiter voran kommen kann,<br />
können sich <strong>die</strong> Dinge doch weiter verbessern.<br />
Die Qualität der Bildung kann sich verbessern.<br />
Die Gesundheitsversorgung kann das Leben<br />
drastisch verbessern, auf eine Art und Weise,<br />
<strong>die</strong> sich in den Daten bezüglich der Lebenserwartung<br />
nicht widerspiegelt. Hinter dem Einkommensniveau<br />
kann sich mehr Spaß bei der<br />
Arbeit und mehr Freizeit verbergen. Frauen<br />
können zuhause und bei der Arbeit mehr Einflussmöglichkeiten<br />
erlangen. Solche Indikatoren<br />
sind an der Grenze der Messbarkeit der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung – und solche Indikatoren<br />
sind es, mit denen viele Veränderungen<br />
der nicht einkommensbezogenen Ungleichheit<br />
identifiziert werden.<br />
Doch <strong>die</strong> Ungleichheit bei den Grundindikatoren<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung sinkt<br />
nicht immer. Während es zum Beispiel eine<br />
hitzige Debatte dar<strong>über</strong> gibt, ob <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
des Einkommens zwischen den reichen<br />
und den armen Ländern zunimmt, ist <strong>die</strong><br />
Ungleichheit in Bezug auf <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
eindeutig gestiegen. Anfang der 1990er<br />
Jahre war in Afrika südlich der Sahara <strong>die</strong><br />
Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor Erreichen<br />
seines sechsten Lebensjahres stirbt,<br />
19mal höher als in den reichen Ländern – und<br />
heute ist sie 26mal höher (Grafik 2.2). In den<br />
vergangenen zehn Jahren hat sich unter allen<br />
48 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 2.2<br />
Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 2002<br />
wurde festgestellt, dass <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />
des Einkommens zwar nicht genau definiert<br />
werden kann und ihre Trends zweideutig sind, es<br />
jedoch allgemeinen Konsens bezüglich ihres grotesken<br />
Ausmaßes gibt. Dies hat sich bislang nicht<br />
geändert. Das Einkommen ist (mit einem Gini-Koeffizienten<br />
von 0,66) unter der Weltbevölkerung<br />
ungerechter verteilt als innerhalb der Länder mit<br />
der größten Ungleichverteilung (Brasilien hat zum<br />
Beispiel einen Gini-Koeffizienten von 0,61). (Der<br />
Gini-Koeffizient ist ein Maß für <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
des Einkommens. Er liegt zwischen null, was<br />
perfekte Gleichverteilung bedeutet, und eins, was<br />
auf völlige Ungleichverteilung hinweist.) Die reichsten<br />
fünf Prozent der Weltbevölkerung beziehen<br />
ein 114-mal höheres Einkommen als <strong>die</strong> ärmsten<br />
fünf Prozent. Die reichsten ein Prozent beziehen<br />
genauso viel Einkommen wie <strong>die</strong> ärmsten 57 Prozent.<br />
Und <strong>die</strong> reichsten 25 Millionen Amerikaner<br />
haben ein Einkommen, dass dem von fast zwei Milliarden<br />
ärmsten Menschen der Welt entspricht (Milanovic<br />
2002, S. 51-92).<br />
Die Ungleichverteilung des Einkommens zu<br />
<strong>über</strong>wachen und in Grenzen zu halten ist nicht nur<br />
wichtig, um <strong>die</strong> Chancen für möglichst viele Menschen<br />
zu verbessern, sondern auch um soziale<br />
Spannungen in (meist städtischen) Regionen mit<br />
großer Ungleichheit zu mindern. Mit zunehmender<br />
Globalisierung und dem billiger und breiter werdenden<br />
Zugang zu Informationen steigt auch das<br />
Bewusstsein für <strong>die</strong> globale Ungleichheit. Die Menschen<br />
vergleichen sich selbst nicht mehr nur mit<br />
ihren Mitbürgern, sie sind sich auch der internationalen<br />
Unterschiede bewusst, was <strong>die</strong> Divergenzen<br />
zwischen den einzelnen Ländern schlimmer – und<br />
gefährlicher – macht. Um <strong>die</strong> wachsenden Spannungen<br />
zu mindern ist es entscheidend, dass alle<br />
Länder von der Entwicklung profitieren.<br />
Es gibt sehr unterschiedliche Erkenntnisse<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung. Sie hängen<br />
von der Methode ab, mit der <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
analysiert wurde. Ungleichverteilung lässt<br />
sich länder<strong>über</strong>greifend berechnen (indem man<br />
das durchschnittliche Volkseinkommen verwendet),<br />
oder auf alle Menschen der Welt bezogen<br />
(ohne Berücksichtigung von Staatsgrenzen), oder<br />
in Bezug auf <strong>die</strong> Bevölkerung innerhalb eines<br />
Landes.<br />
Länder<strong>über</strong>greifende Ungleichheit<br />
Die internationale Ungleichheit wird für gewöhnlich<br />
durch Vergleiche des jeweiligen Volkseinkommens<br />
pro Kopf gemessen. Die Länder, <strong>die</strong> zu Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts das höchste Pro-Kopf-<br />
Einkommen hatten, sind auch heute noch <strong>die</strong> reichsten<br />
Länder, was zeigt, wie hartnäckig <strong>die</strong> Strukturen<br />
der internationalen Ungleichverteilung fortbestehen.<br />
Wie entwickelt sich <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung des Einkommens?<br />
Groteske Ausmaße, zweideutige Trends<br />
Westeuropa war im Jahr 1820 gemessen am<br />
Pro-Kopf-Einkommen 2,9-mal reicher als Afrika –<br />
und im Jahr 1992 sogar 13,2-mal reicher (Maddison<br />
2001). In den 1990er Jahren ist das Pro-Kopf-Einkommen<br />
in den reichen OECD-Ländern langsam<br />
aber stetig gestiegen, doch viele Transformationsländer<br />
in Mittel- und Osteuropa, insbesondere <strong>die</strong><br />
GUS, viele Teile Afrikas südlich der Sahara, sowie<br />
einige Länder in Lateinamerika und der Karibik erlebten<br />
wirtschaftliche Stagnation. Gleichzeitig erzielten<br />
bevölkerungsreiche Entwicklungsländer wie<br />
China und In<strong>die</strong>n rasches Wachstum.<br />
Daraus ergibt sich, dass sich innerhalb der<br />
Gruppe der reichen Länder <strong>die</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />
annähern, während sich in den Entwicklungsländern<br />
ein gemischtes Bild ergibt. Wenn man <strong>die</strong><br />
Einkommensdaten entsprechend der Bevölkerungszahl<br />
gewichtet, um <strong>die</strong> relative Bedeutung der<br />
Leistung jedes einzelnen Landes zu erfassen, dann<br />
scheinen sich <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen der<br />
Länder einander anzunähern. Die bevölkerungsreichen<br />
Länder sind maßgeblich für solche Trends.<br />
China und In<strong>die</strong>n holen mit ihrem schnellen<br />
Wachstum gegen<strong>über</strong> Industrieländern z.B. in Nordamerika<br />
und Westeuropa auf.<br />
Ungleichverteilung in Bezug auf <strong>die</strong><br />
Weltbevölkerung<br />
In einigen Untersuchungen hat man versucht, <strong>die</strong><br />
Trends der wirklich globalen Ungleichverteilung zu<br />
erfassen – d.h. <strong>die</strong> Verteilung der Einkommen auf<br />
alle Weltbürger, unabhängig von Ländergrenzen.<br />
Aus Einkommenserhebungen lässt sich ablesen,<br />
dass <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung, wenn man sie<br />
auf <strong>die</strong>se Weise misst, zwischen 1987 und 1998 gestiegen<br />
ist. Die treibenden Kräfte hinter <strong>die</strong>ser Auseinander<strong>entwicklung</strong><br />
waren:<br />
• ein zunehmendes Einkommensgefälle zwischen<br />
den Reichsten und den Ärmsten aufgrund des im<br />
Verhältnis zu den reichen OECD-Ländern langsamen<br />
Einkommenszuwachses in den ländlichen Regionen<br />
der bevölkerungsreichen asiatischen Länder,<br />
• schnellere Fortschritte in den chinesischen<br />
Städten im Verhältnis zu den ländlichen Regionen<br />
Chinas und im Verhältnis zu In<strong>die</strong>n,<br />
• und ein Rückgang bei der mittleren Einkommensgruppe<br />
der Weltbevölkerung (Milanovic<br />
2002, S. 51-92).<br />
Doch <strong>die</strong>se Schlussfolgerungen halten nicht jeder<br />
Kritik stand, denn der abgedeckte Zeitrahmen<br />
ist zu begrenzt, und es werden Kaufkraftparitäten<br />
(KKP) verwendet, deren Kurse oft ungeeignet sind<br />
und <strong>die</strong> internationalen Preisunterschiede nicht zutreffend<br />
widerspiegeln (siehe Kasten 2.3).<br />
Beim Einsatz alternativer Methoden sind andere<br />
Analysten zu optimistischeren Schlüssen gekommen,<br />
<strong>die</strong> auf eine weltweite Konvergenz bei<br />
den globalen Individual-Einkommen hindeuten.<br />
Nach einem Höhepunkt im Jahr 1970 hatte sich danach<br />
<strong>die</strong> Kluft bis 1995 wieder auf das Niveau von<br />
1950 verringert (Dollar und Kraay 2002, S. 120-<br />
133); Bhalla 2002; Sala-i-Martin 2002). Ein treibender<br />
Faktor in <strong>die</strong>ser Debatte ist der Maßstab der<br />
Ungleichverteilung, der zu Grunde gelegt wird, um<br />
daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Wenn man<br />
mit zusammenfassenden Indikatoren wie dem Gini-<br />
Koeffizienten misst, <strong>die</strong> sich einer einzigen Zahl<br />
darstellen lassen, so scheinen sich <strong>die</strong> Einkommen<br />
einander anzunähern. (Denn so, wie der Gini-Koeffizient<br />
konstruiert ist, legt er größeres Gewicht auf<br />
<strong>die</strong> mittleren Einkommensgruppen und weniger<br />
auf <strong>die</strong> Extremfälle). Dennoch hat in den vergangenen<br />
Jahrzehnten ohne Frage das Einkommensgefälle<br />
zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern<br />
zugenommen.<br />
Ungleichverteilung unter der Bevölkerung<br />
einzelner Länder<br />
Das Konzept der nationalen Einkommensunterschiede<br />
wird zu Analyse auf Länderebene angewandt.<br />
Dieses Konzept ist geeignet, um <strong>die</strong> Korrelation<br />
zwischen der Politik eines Landes (meist in<br />
Bezug auf seine wirtschaftliche Offenheit und seine<br />
Umverteilungsmaßnahmen) und seiner Einkommensverteilung<br />
zu analysieren.<br />
In vielen Ländern scheint <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
des Vermögens und insbesondere des Einkommens<br />
zuzunehmen. In zahlreichen Untersuchungen<br />
hat man versucht, <strong>die</strong> Trends bei der Einkommensverteilung<br />
in großen Länderstichproben im Zeitablauf<br />
zu erfassen. Cornia und Kiiski (2001) schätzen,<br />
dass zwischen den 1980er Jahren und<br />
Mitte/Ende der 1990er Jahre <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
in 42 von 73 Ländern, für <strong>die</strong> vollständige und vergleichbare<br />
Daten vorliegen, gestiegen ist. In nur<br />
sechs der untersuchten 33 Entwicklungsländer (ausgenommen<br />
Transformationsländer) ist <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
zurückgegangen, während sie in 17<br />
Ländern gestiegen ist. Mit anderen Worten, innerhalb<br />
der Grenzen <strong>die</strong>ser einzelnen Länder konzentriert<br />
sich <strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> Vermögen und Ressourcen<br />
zunehmend in den Händen einiger weniger.<br />
Auch wenn <strong>die</strong>s nicht auf alle <strong>die</strong>se Länder zutrifft,<br />
so begann doch in vielen <strong>die</strong>ser Länder <strong>die</strong><br />
Ungleichverteilung während der Schuldenkrise Anfang<br />
der 1980er Jahre zuzunehmen (Kanbur und<br />
Lustig 1999). Seitdem hat <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />
rasant zugenommnen, insbesondere in der Gemeinschaft<br />
Unabhängiger Staaten (GUS) und in Südosteuropa.<br />
In vielen Ländern Lateinamerikas ist <strong>die</strong><br />
Ungleichverteilung nach wie vor extrem hoch.<br />
Wenn <strong>die</strong> deutliche Zunahme der Ungleichverteilung<br />
anhält, könnte sie schreckliche Auswirkungen<br />
auf <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung und <strong>die</strong> soziale<br />
Stabilität haben (auch auf <strong>die</strong> Gewalt und <strong>die</strong> Kriminalitätsquoten;<br />
siehe Fajnzylber, Lederman und<br />
Loayza 1998 und Bourguignon 2001).<br />
Quelle: Ravallion 2002; Schultz 1998, pp. 307-344; Korzeniewicz und Moran 1997, pp. 1000-1039; Sprout und Weaver 1992, pp. 237-258; Maddison 2001; Milanovic 2002, pp. 51-92, <strong>2003</strong>; Dollar und Kraay<br />
2002, pp. 120-133; Kanbur und Lustig 1999; Bhalla 2002; Sala-i-Martin 2002; Cornia und Kiiski 2001; UNDP 2002e; Fajnzylber, Lederman und Loayza 1998; Bourguignon 2001.<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 49
GRAFIK 2.3<br />
Rückschritte bei der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
Index für<br />
<strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung<br />
.900<br />
.800<br />
.700<br />
.600<br />
.500<br />
1990 2001<br />
Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />
Russische<br />
Förderation<br />
Republik<br />
Moldau<br />
Botsuana<br />
Lesotho<br />
GRAFIK 2.4<br />
Schnelles Wachstum ist<br />
<strong>die</strong> Ausnahme – Erfolge in<br />
bevölkerungsreichen<br />
Ländern<br />
Jährliches Wachstum des<br />
Pro-Kopf-Einkommens (1990-2001)<br />
Anzahl der<br />
Länder<br />
Über 3%<br />
30 Länder<br />
0–3%<br />
71 Länder<br />
Negatives<br />
Wachstum<br />
54 Länder<br />
Quelle: Indikatorentabelle 12.<br />
Anteil an der<br />
Weltbevölkerung<br />
47%<br />
26%<br />
12%<br />
Entwicklungs-Regionen nur in Lateinamerika<br />
und der Karibik <strong>die</strong> Lage im Vergleich zu den<br />
reichen Ländern nicht verschlechtert, und<br />
auch hier ist es immer noch fünf mal wahrscheinlicher,<br />
dass ein Kind vor seinem fünften<br />
Geburtstag stirbt.<br />
RÜCKSCHRITTE BEI DER MENSCHLICHEN<br />
ENTWICKLUNG IN DEN 1990ER JAHREN<br />
In Bezug auf <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
waren <strong>die</strong> 1990er Jahre zugleich <strong>die</strong> besten<br />
und <strong>die</strong> schlechtesten Jahre. In einigen Ländern<br />
und Regionen gab es noch nie dagewesene<br />
Fortschritte, während andere stagnierten<br />
oder zurückfielen. Was am stärksten auffällt,<br />
ist das Ausmaß des Stillstands und der Rückschritte.<br />
Es weist auf eine Krise <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung hin, wie es sie in früheren Jahrzehnten<br />
noch nie gegeben hat.<br />
Das wird nicht nur deutlich, wenn man<br />
sich <strong>die</strong> Zielvorgaben für <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele ansieht, sondern auch beim<br />
Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (<strong>Human</strong><br />
Development Index - HDI), dem zusammenfassenden<br />
Maß für <strong>die</strong> Schlüsseldimensionen<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung (Feature 2.2). Der<br />
Index entwickelt sich normalerweise beständig<br />
nach oben – wenn auch normalerweise<br />
langsam, weil bei drei seiner Schlüsselkomponenten<br />
(Alphabetisierung, Einschulungsquoten<br />
und Lebenserwartung) Veränderungen im<br />
Allgemeinen Zeit brauchen. Wenn also der<br />
HDI sinkt, weißt <strong>die</strong>s auf eine Krise hin, darauf,<br />
dass Nationen Raubbau an der Grundlage<br />
ihrer Entwicklung betreiben – an den Menschen,<br />
ihrem eigentlichen Reichtum.<br />
VERLANGSAMUNG MENSCHLICHER<br />
ENTWICKLUNG<br />
Obwohl <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen im<br />
Laufe der Zeit mal gestiegen, mal gefallen<br />
sind, hat es in der Geschichte der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung anhaltende Verbesserungen<br />
gegeben, insbesondere gemessen durch<br />
den HDI. Wie aber bereits festgestellt, gab es<br />
in den 1990er Jahren eine noch nie dagewesene<br />
Stagnation und Verschlechterung. Der<br />
HDI ist in den 1990er Jahren in insgesamt 21<br />
TABELLE 2.1<br />
Länder, in denen der Index für<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung gefallen ist,<br />
1980er und 1990er Jahre<br />
Zeitraum Anzahl Länder<br />
1980–90 4 Kongo (Demokratische<br />
Republik); Guyana;<br />
Ruanda; Sambia<br />
1990–2001 21 Armeniena , Belarusa ,<br />
Botsuana, Burundi, Cote<br />
d’Ivoire, Kamerun,<br />
Kasachstana , Kenia, Kongo,<br />
Kongo (Demokratische<br />
Republik), Lesotho,<br />
Republik Moldau, Russische<br />
Föderation, Südafrika,<br />
Swasiland, Sambia,<br />
Simbabwe, Tadschikistana ,<br />
Tansaniaa , Ukrainea ,<br />
Zentralafrikanische<br />
Republik<br />
Anmerkung: : Auf Grundlage einer Stichprobe von 113 Ländern, für <strong>die</strong><br />
vollständige Daten vorliegen.<br />
Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />
Ländern gefallen. In vielen <strong>die</strong>ser Länder gibt<br />
es keine ausreichenden Daten, um den HDI<br />
für <strong>die</strong> Zeit vor 1990 zu berechnen, so dass wir<br />
nicht wissen, ob der HDI <strong>die</strong>ser Länder auch<br />
in den 1980er Jahren gefallen ist. Von den 114<br />
Ländern, für <strong>die</strong> seit 1980 Daten vorliegen, ist<br />
der HDI in den 1980er Jahren in nur vier Ländern<br />
gefallen, während in den 1990er Jahren<br />
in 15 Ländern Rückgänge zu verzeichnen waren<br />
(Tabelle 2.1). Ein großer Teil des Rückgangs<br />
in den 1990er Jahren kann auf <strong>die</strong> Ausbreitung<br />
von HIV/AIDS zurückgeführt werden,<br />
durch <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Lebenserwartung verringert<br />
hat, und auf den Einbruch bei den<br />
Einkommen, insbesondere in den Ländern<br />
der GUS.<br />
Beides führte dazu, dass sich nach einem<br />
stetigen Aufwärtstrend seit Mitte der 1970er<br />
Jahre <strong>die</strong> Fortschritte beim HDI verlangsamten.<br />
Angeführt wurde <strong>die</strong>se Verlangsamung,<br />
insbesondere Ende der 1980er Jahre und in<br />
der ersten Hälfte der 1990er Jahre, durch <strong>die</strong><br />
Länder Mittel- und Osteuropas und der GUS.<br />
Viele <strong>die</strong>ser Länder hatten bereits Mitte der<br />
1980er Jahre begonnen, sich auf einer Abwärtsspirale<br />
zu bewegen, doch zwischen 1990<br />
und 1995 sank auch der regionale Durchschnittswert<br />
des HDI. In Afrika südlich der<br />
Sahara haben sich <strong>die</strong> Fortschritte beim HDI<br />
insgesamt zwar nur verlangsamt, doch einige<br />
Länder erlitten schwere Rückschläge (Grafik<br />
2.3).<br />
50 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
FEHLENDES WIRTSCHAFTSWACHSTUM<br />
Fehlendes Wirtschaftswachstum ist eine der<br />
Ursachen für <strong>die</strong> stockende Entwicklung des<br />
HDI, und dafür, dass viele Länder und Regionen<br />
nicht in der Lage sind, <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />
und <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut zu reduzieren<br />
(Grafik 2.4). Selten, wenn <strong>über</strong>haupt, lässt sich<br />
<strong>die</strong> Einkommensarmut in einer stagnierenden<br />
Wirtschaft reduzieren, und <strong>die</strong> Regionen, deren<br />
Wirtschaft schneller wächst, sind auch <strong>die</strong>jenigen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Einkommensarmut am stärksten<br />
reduziert haben (Tabelle 2.2). Dies beinhaltet<br />
eine klare Botschaft: Wirtschaftliches<br />
Wachstum ist zur Minderung der Einkommensarmut<br />
unentbehrlich. Doch <strong>die</strong> Verbindung<br />
zwischen Wirtschaftswachstum und einer<br />
Minderung der Einkommensarmut funktioniert<br />
bei weitem nicht automatisch. Trotz Wirtschaftswachstum<br />
nahm in Indonesien, Polen<br />
und Sri Lanka in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Armut<br />
zu (Grafik 2.5). (In Kapitel 3 geht es um<br />
Wachstum, das den Armen zugute kommt,<br />
und darum, wie es erreicht werden kann).<br />
Wenn <strong>die</strong> Ungleichverteilung konstant<br />
bleibt, muss das Wachstum in einem Land<br />
jährlich mindestens drei Prozent betragen, um<br />
das Einkommen innerhalb einer Generation<br />
zu verdoppeln— zum Beispiel von einem auf<br />
zwei US-Dollar pro Tag. Doch nur 30 von 153<br />
Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen, verzeichneten<br />
beim Pro-Kopf-Einkommen in den 1990er<br />
Jahren Wachstumsraten von jährlich <strong>über</strong> drei<br />
Prozent. In 54 Ländern fiel das Durchschnittseinkommen,<br />
und in den restlichen 71 Ländern<br />
betrug das jährliche Einkommenswachstum<br />
weniger als drei Prozent.<br />
Und <strong>die</strong> Konsequenzen <strong>die</strong>ses bedrückenden<br />
Abschneidens beim Wachstum? Zur Jahrtausendwende<br />
kämpften <strong>über</strong> 1,2 Milliarden<br />
Menschen mit weniger als einem US-Dollar<br />
pro Tag ums Überleben – und mehr als doppelt<br />
so viele, 2,8 Milliarden, mit weniger als<br />
zwei US-Dollar pro Tag. Von einem US-<br />
Dollar am Tag zu leben bedeutet nicht, sich<br />
das leisten zu können, was man mit einem US-<br />
Dollar kaufen könnte, wenn man ihn in <strong>die</strong><br />
einheimische Währung umrechnet. Es entspricht<br />
viel mehr dem, was man in den Vereinigten<br />
Staaten für einen US-Dollar kaufen<br />
TABELLE 2.2<br />
Wirtschaftswachstum und<br />
Einkommensarmut: Enge Verbindungen<br />
Wachstum in Armutsden<br />
1990er minderung<br />
Jahren in den 1990er<br />
(jährliches Jahren<br />
Wachstum (Minderung<br />
des Pro-Kopf- in Prozent-<br />
Region Einkommens) punkten)<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum6.4 14.9<br />
Südasien 3.3 8.4<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik 1.6 –0.1<br />
Naher Osten und<br />
Nordafrika 1.0 –0.1<br />
Afrika südl. der Sahara –0.4 –1.6<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS –1.9 –13.5 a<br />
a. Veränderungen gemessen auf der Basis der Armutsgrenze von zwei<br />
US-Dollar pro Tag, <strong>die</strong> für Mittel- und Osteuropa und <strong>die</strong> GUS als eine<br />
geeignetere Grenze extremer Armut angesehen wird.<br />
Quelle: World Bank 2002f.<br />
kann: eine Zeitung, eine Busfahrkarte im Nahverkehr,<br />
einen Beutel Reis.<br />
Es gibt hitzige Debatten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Stichhaltigkeit<br />
der Armutsdaten, <strong>die</strong> von der Weltbank<br />
kommen und von einem US-Dollar pro<br />
Tag ausgehen. Denn ihre Berechnung ist mit<br />
konzeptionellen und praktischen Problemen<br />
behaftet. Einige Experten halten <strong>die</strong> Daten<br />
zwar nur für Annäherungswerte, jedoch annehmbar.<br />
Andere glauben, dass sie wenig <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Einkommensarmut und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen<br />
Trends aussagen (Kasten 2.3).<br />
Wie dem auch sei, <strong>die</strong> Daten zeigen, dass<br />
weltweit der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> von weniger<br />
als einem US-Dollar pro Tag leben, von<br />
fast 30 Prozent 1990 auf 23 Prozent 1999 gefallen<br />
ist (Tabelle 2.3). 7 Doch es ist keine Ge-<br />
GRAFIK 2.5<br />
Wachstum und Einkommensarmut<br />
– kein automatischer<br />
Zusammenhang<br />
Anteil der<br />
Bevölkerung, <strong>die</strong> in<br />
Einkommensarmut<br />
lebt<br />
39%<br />
Jährliches<br />
Wachstum des<br />
Pro-Kopf-<br />
Einkommens<br />
Sri Lanka<br />
1991–96<br />
4.1%<br />
Indonesien<br />
1990–99<br />
3.2%<br />
Polen<br />
1987/88–93/95<br />
2.4%<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 51<br />
33%<br />
18%<br />
15%<br />
20%<br />
+6%<br />
+3%<br />
+14%<br />
6%<br />
Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der<br />
Grundlage von World Bank <strong>2003</strong>i und World Bank<br />
2000a.<br />
TABELLE 2.3<br />
Die Veränderungen des Anteils und der Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> von<br />
weniger als einem US-Dollar pro Tag leben, waren unterschiedlich<br />
Anteil in Prozent Anzahl<br />
Region 19901999 19901999<br />
Afrika südlich der Sahara 47.4 49.0 241 315<br />
Ostasien und Pazifikraum30.5 15.6 486 279<br />
ohne China 24.2 10.6 110 57<br />
Südasien 45.0 36.6 506 488<br />
Lateinamerika und Karibik 11.0 11.1 48 57<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS a 6.8 20.3 31 97<br />
Naher Osten und Nordafrika 2.1 2.2 5 6<br />
Insgesamtb 29.6 23.2 1,292 1,169<br />
ohne China 28.5 25.0 917 945<br />
a. Veränderungen gemessen auf der Basis der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag, <strong>die</strong> für Mittel- und Osteuropa und<br />
<strong>die</strong> GUS als eine geeignetere Grenze extremer Armut angesehen wird.<br />
b. Daten auf der Basis der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag für alle Regionen<br />
Quelle: World Bank 2002f.
KASTEN 2.3<br />
Die lebhafte Debatte, ob das Millenniums-Entwicklungsziel<br />
der Halbierung der Armut erreicht wird, wird<br />
zum großen Teil durch <strong>die</strong> fehlende Einigkeit dar<strong>über</strong><br />
angeheizt, wie Armut am besten gemessen werden<br />
kann. (Zu den Hauptbeteiligten an <strong>die</strong>ser Debatte<br />
gehören Surjit Bhalla, Angus Deaton, Thomas Pogge,<br />
Sanjay Reddy und Martin Ravallion sowie Xavier Salai-Martin.)<br />
Schlussfolgerungen, ob das Armutsziel erreicht<br />
werden wird, müssen daher durch Definitionen,<br />
und, was noch wichtiger ist, durch Methodik qualifiziert<br />
werden.<br />
Die absolute Armut ist der Hauptindikator, mit<br />
dem <strong>die</strong> Fortschritte auf dem Weg zum Ziel bewertet<br />
werden. Mit <strong>die</strong>sem Indikator misst man den Anteil an<br />
der Bevölkerung, der mit weniger als einem bestimmten<br />
Einkommensbetrag pro Tag <strong>über</strong>lebt. Dieser festgelegte<br />
Betrag ist <strong>die</strong> Armutsgrenze – der wohl strittigste<br />
Punkt in der Debatte. Wenn man <strong>die</strong> internationale<br />
Armutsgrenze um nur ein paar Cents verschiebt, kann<br />
das <strong>die</strong> Schätzungen der Armut in der Welt gewaltig<br />
verändern und Millionen von Menschen in <strong>die</strong> Armut<br />
oder aus der Armut heraus „bewegen“.<br />
Armutsquoten auf der Basis von nationalen Armutsgrenzen<br />
können <strong>die</strong> Dynamik der Armut innerhalb<br />
einzelner Länder im Zeitlauf erfassen. Nationale<br />
Armutsgrenzen basieren im Allgemeinen auf dem Betrag,<br />
den ein Mensch braucht, um in einem Land angemessen<br />
leben zu können. Um in der Russischen Föderation<br />
zu <strong>über</strong>leben braucht man andere Güter des<br />
Mindestbedarfs als in Haiti. Weil <strong>die</strong> Kosten des Warenkorbs,<br />
der zu Grunde gelegt wird, um <strong>die</strong> Armutsgrenze<br />
zu schätzen, in den einzelnen Ländern unterschiedlich<br />
sind, weichen auch <strong>die</strong> Armutsgrenzen voneinander<br />
ab. Auch unterscheiden sich <strong>die</strong> Konzepte<br />
und Kriterien, <strong>die</strong> in den einzelnen Ländern zu Grunde<br />
gelegt werden, um Armutsgrenzen zu definieren.<br />
Das macht <strong>die</strong> nationalen Armutsgrenzen dann problematisch,<br />
wenn der analytische Zweck der ist, internationale<br />
Armutsvergleiche anzustellen – wie bei der<br />
Überwachung der regionalen und globalen Fortschritte<br />
in Richtung des Millenniums-Entwicklungsziels der<br />
Armutsminderung.<br />
Eine internationale Armutsgrenze –<br />
unsauber, aber nötig<br />
Um Armutsquoten länder<strong>über</strong>greifend vergleichen zu<br />
können wären Armutsdaten, <strong>die</strong> auf einer international<br />
festgelegten Armutsgrenze basieren, geeigneter, zumindest<br />
theoretisch. Zu <strong>die</strong>sem Zweck verwendet <strong>die</strong><br />
Weltbank eine Grenze extremer Armut von etwa einem<br />
US-Dollar pro Tag (gemessen anhand US-amerikanischer<br />
Kaufkraftparität). Hinter <strong>die</strong>sem Ansatz<br />
steht <strong>die</strong> Annahme, dass angepasst an <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />
Lebenshaltungskosten ein US-Dollar pro Tag in<br />
Entwicklungsländern im Durchschnitt das Existenzminimum<br />
darstellt. Diese Annahme basiert auf nationalen<br />
Armutsgrenzen aus einer Stichprobe von Entwicklungsländern.<br />
An <strong>die</strong>sem Ansatz wird jedoch massiv<br />
kritisiert, dass er bei der Erfassung des Existenzminimums<br />
in den verschiedenen Entwicklungsländern konzeptionell<br />
und methodisch ungenau sei.<br />
Einige Analysten sehen Armut als ein Konzept an,<br />
dass von der Gesellschaft festgelegt wird, was besagt,<br />
dass eine Person im Verhältnis zum Rest ihrer Mitbürger<br />
als arm gilt (Oster, Lake und Oksman 1978). Wenn<br />
das Einkommen steigt, hebt <strong>die</strong>s nach <strong>die</strong>ser Sichtweise<br />
zwangsläufig <strong>die</strong> Armutsgrenze an, was <strong>die</strong> Argu-<br />
Einkommensarmut messen: Wo soll <strong>die</strong> Grenze gezogen werden?<br />
mente für eine länder<strong>über</strong>greifende gemeinsame Armutsgrenze<br />
schwächt. Reddy und Pogge (2002) argumentieren<br />
in ähnlicher Weise gegen <strong>die</strong> Armutsgrenze<br />
von einem US-Dollar pro Tag und schlagen eine Armutsgrenze<br />
vor, <strong>die</strong> auf einem lokal definierten Minimum<br />
an Fähigkeiten basiert. Ravallion (2000, S. 3245-<br />
3252) dagegen verteidigt <strong>die</strong> Armutsgrenze von einem<br />
US-Dollar pro Tag aufgrund ihrer Einfachheit. Einer<br />
der Hauptvorteile <strong>die</strong>ser Armutsgrenze sei, dass sie als<br />
rhetorisches Mittel und als Instrument zur Vertretung<br />
von Interessen <strong>die</strong>ne. Intuitiv wirke sie appellierend,<br />
denn sie lasse auf das Ausmaß der Entbehrungen der<br />
Armen in Entwicklungsländern schließen. Doch aufgrund<br />
der enormen methodischen und konzeptionellen<br />
Unstimmigkeiten sind <strong>die</strong> Armutsdaten, <strong>die</strong> auf der<br />
Basis internationaler Armutsgrenzen berechnet werden,<br />
extrem problematisch und können zu irreführenden<br />
Armutsquoten führen.<br />
Die Problematik länder<strong>über</strong>greifender<br />
Preisvergleiche<br />
Eines der Hauptprobleme mit den Armutsdaten auf<br />
der Basis von einem US-Dollar pro Tag leitet sich aus<br />
den zu Grunde gelegten Anpassungen an internationale<br />
Preisunterschiede ab. Wenn man – als eine Hauptannahme<br />
– davon ausgeht, dass ein US-Dollar pro Tag<br />
der korrekte durchschnittliche Preis des Warenkorbs<br />
ist, der in Entwicklungsländern das Existenzminimum<br />
darstellt, dann muss der Preis <strong>die</strong>ses Warenkorbs in<br />
einheimische Währungen umgerechnet werden. Die<br />
Weltbank tut <strong>die</strong>s, indem sie den Kurs der Kaufkraftparität<br />
verwendet, einen Preisindex, mit dem der Preis<br />
eines Warenkorbs in einem Land mit seinem Preis in<br />
einem anderen Land verglichen werden kann.<br />
Doch das Vorgehen, mit dem man zu <strong>die</strong>sen Kursen<br />
kommt, ist nicht ganz transparent. Außerdem entstehen<br />
daraus ungenaue Armutsgrenzen, denn viele der<br />
Preise, auf denen <strong>die</strong>se Armutsgrenzen basieren, beziehen<br />
sich auf Güter, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen gar nicht konsumieren<br />
(Reddy und Pogge 2002; Deaton <strong>2003</strong>). Was <strong>die</strong><br />
Sache noch schwieriger macht: In <strong>die</strong>sen Umrechnungen<br />
werden <strong>die</strong> erheblichen Preisunterschiede zwischen<br />
den städtischen und ländlichen Regionen eines<br />
Landes nicht berücksichtigt. Außerdem müssen <strong>die</strong> Armen<br />
für viele Güter und Dienstleistungen höhere<br />
Stückpreise zahlen, weil sie es sich nicht leisten können,<br />
größere Mengen auf einmal einzukaufen (Ward <strong>2003</strong>).<br />
Die Verwendung der volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnung anstelle von Einkommenserhebungen<br />
– besser oder verzerrend?<br />
Die von der Weltbank verwendete Armutsgrenze von<br />
einem US-Dollar pro Tag basiert auf Einkommensund<br />
Budgeterhebungen, <strong>die</strong> Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Einkommensverteilung und das Einkommens- (oder<br />
Konsum-)Niveau liefern. Diese beiden Indikatoren bestimmen<br />
bei festgelegter Armutsgrenze <strong>die</strong> Einkommensarmutsquote.<br />
Es wird diskutiert, ob das aus <strong>die</strong>sen<br />
Erhebungen abgeleitete Einkommensniveau durch ein<br />
anderes konsumbezogenes zusammengesetztes Maß ersetzt<br />
werden soll (Sala-i-Martin 2002; UNCTAD<br />
2002a; Bhalla 2002). Befürworter weisen darauf hin,<br />
dass in den Erhebungen aus verschiedenen Gründen<br />
das Einkommen der besonders Reichen in den armen<br />
Ländern stark unterschätzt wird (Székely und Hilgert<br />
1999). Eine Möglichkeit, <strong>die</strong>ses Problem zu vermeiden,<br />
besteht darin, <strong>die</strong> erhobenen Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Einkommensverteilung zwar im Gedächtnis zu behalten,<br />
<strong>die</strong> Armutsquote jedoch auf der Basis der (normalerweise<br />
höheren) Angaben zum durchschnittlichen<br />
Konsum zu berechnen, <strong>die</strong> aus der volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnung hervorgehen.<br />
Zwar mag der auf der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />
basierende Ansatz länder<strong>über</strong>greifend<br />
stimmiger sein, doch ist ein durch Erhebungen ermitteltes<br />
Einkommensniveau nicht unbedingt weniger zutreffend,<br />
als <strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> auf der Basis von volkwirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnungen ermittelt wurden. Die<br />
Konsumdaten aus der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />
mögen zwar vollständiger sein als Erhebungen,<br />
denn sie beinhalten Güter wie Finanz<strong>die</strong>nstleistungen,<br />
zugerechnete Mieten und Einkommen aus Arbeitgeberbeiträgen<br />
zur Altersvorsorge. Doch <strong>die</strong>s sind<br />
Güter, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen nicht konsumieren. Zwar mag in<br />
Erhebungen das Durchschnittseinkommen zu niedrig<br />
geschätzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, das <strong>die</strong><br />
Armut zu hoch geschätzt wird. Wenn Länder reicher<br />
werden, könnten außerdem <strong>die</strong> Posten, <strong>die</strong> in Erhebungen<br />
nicht erfasst werden, zu einer <strong>über</strong>höhten Einschätzung<br />
des Konsumzuwachses der Armen führen.<br />
Was ist am Ende das Ergebnis? Wenn man statt<br />
Einkommenserhebungen <strong>die</strong> volkwirtschaftliche Gesamtrechnung<br />
verwendet, um daraus das Einkommensniveau<br />
der Armen abzuleiten, riskiert man, <strong>die</strong><br />
Rückgangsrate der Armut zu <strong>über</strong>schätzen. Außerdem<br />
kann es passieren, dass man bei der Verwendung der<br />
volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung <strong>die</strong> Armutszahlen<br />
in allen Ländern außer den ärmsten zu niedrig<br />
schätzt. In den ärmsten Ländern wiederum kann es<br />
passieren, dass von einem zu hohen Armutsniveau ausgegangen<br />
wird, da <strong>die</strong> volkwirtschaftliche Gesamtrechnung<br />
wichtige informelle Wirtschaftsaktivitäten nicht<br />
erfasst. Verwendet man das Einkommensniveau aus<br />
Erhebungen, vermeidet man <strong>die</strong>se Probleme, indem<br />
man direkt auf das Einkommen und <strong>die</strong> Konsumgüter<br />
abzielt, <strong>die</strong> für arme Haushalte relevant sind (Lebensmittel,<br />
ein Dach <strong>über</strong> dem Kopf, Gesundheit, Bildung).<br />
Erhebungen sind jedoch nicht frei von ernsten<br />
Mess- und Interpretationsproblemen. Vor allem sind<br />
Erhebungen aufgrund der hohen Kosten und der beträchtlichen<br />
Fachkenntnis, <strong>die</strong> zur ihrer Planung und<br />
Durchführung nötig ist, gerade in den Ländern, in denen<br />
sie am meisten gebraucht werden, nicht besonders<br />
üblich. Außerdem kann es irreführend sein, auf Erhebungen<br />
basierende Armutsquoten zu verwenden, um<br />
daraus länder<strong>über</strong>greifend Schlussfolgerungen bezüglich<br />
des Armutsniveaus zu ziehen – oder sogar bezüglich<br />
dessen Veränderungen. Denn Definitionen, Methodik,<br />
Umfang und Genauigkeit variieren von Land<br />
zu Land und im Zeitablauf.<br />
Angesichts <strong>die</strong>ser Bedenken sollten auf nationaler<br />
und internationaler Ebene mehr Anstrengungen unternommen<br />
werden, um <strong>die</strong> Bemühungen zur Erfassung<br />
der den Kaufkraftparitäten zu Grunde liegenden Preise<br />
zu perfektionieren (Die Weltbank unternimmt derzeit<br />
Anstrengungen in <strong>die</strong>se Richtung und rechnet damit,<br />
im Jahr 2005 neue Kurse veröffentlichen zu können.),<br />
<strong>die</strong> Planungs- und Erhebungsmethoden für Einkommens-<br />
und Konsumerhebungen zu harmonisieren<br />
und sich auf ein jeweils den Bedingungen vor Ort angepasstes<br />
Bündel an Fähigkeiten zu einigen, dass das<br />
Minimum darstellen soll und auf dem <strong>die</strong> Armutsdaten<br />
basieren sollen. Dazu ist es entscheidend, Feedback<br />
und Anleitung von Ländern und Gemeinden zu bekommen.<br />
Quelle: Sala-i-Martin 2002; Ravallion 2000; Reddy und Pogge 2002; Deaton <strong>2003</strong>; UNCTAD 2002a; Székely und Hilgert 1999; Bhalla 2002; Oster, Lake und Oksman 1978; Ward <strong>2003</strong>.<br />
52 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
schichte insgesamt guter Fortschritte. Es ist<br />
eher eine Entwicklung, bei der einige Länder<br />
sich mühsam vorankämpfen, während sich in<br />
anderen Ländern <strong>die</strong> schlimme Lage sogar<br />
noch weiter verschlechtert. Ein großer Teil<br />
der eindrucksvollen Minderung der weltweiten<br />
Armut in den 1990er Jahren wurde durch<br />
Chinas unglaubliches Wirtschaftswachstum<br />
von <strong>über</strong> neun Prozent pro Jahr vorangetrieben,<br />
durch das 150 Millionen Menschen der<br />
Armut entkommen sind. 8<br />
In 37 von 67 Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />
ist <strong>die</strong> Armutsquote in den 1990er Jahren<br />
gestiegen. 9 Doch anderen Ländern – Brasilien,<br />
Chile, In<strong>die</strong>n, Uganda, Thailand, Vietnam<br />
– gelang eine eindrucksvolle Senkung ihrer<br />
Armutsquote. Viele der Länder, in denen<br />
<strong>die</strong> Armutsquote in <strong>die</strong> Höhe schnellte, liegen<br />
in Osteuropa, und auch in Zentralasien. Zu<br />
den weiteren beachtenswerten Fällen gehören<br />
Algerien, <strong>die</strong> Mongolei, Nigeria, Pakistan, Venezuela<br />
und Simbabwe. 10<br />
Bei wachsender Bevölkerung kann eine<br />
Reduzierung des Anteils der Armen dennoch<br />
eine zahlenmäßige Zunahme bedeuten. Nur in<br />
Ostasien ist <strong>die</strong> Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> in<br />
extremer Armut leben, in den 1990er Jahren<br />
bedeutend gesunken. In Südasien, wo fast eine<br />
halbe Milliarde Menschen arm ist, hat sich<br />
ihre Anzahl kaum verändert. In allen anderen<br />
Regionen ist <strong>die</strong> Anzahl der Armen gestiegen,<br />
vor allem in Afrika südlich der Sahara, wo zum<br />
Ende des Jahrzehnts weitere 74 Millionen<br />
Menschen in extremer Armut lebten – was der<br />
Bevölkerung der Philippinen entspricht. In<br />
Osteuropa und der GUS hat sich <strong>die</strong> Anzahl<br />
der Armen mehr als verdreifacht, von 31 Millionen<br />
auf fast 100 Millionen (siehe Tabelle<br />
2.3). 11<br />
ZUNEHMENDE AUSBREITUNG VON<br />
HIV/AIDS<br />
Der größte Schlag für <strong>die</strong> Entwicklung war in<br />
den vergangenen Jahrzehnten HIV/AIDS. Die<br />
ersten Fälle hatte man Anfang der 1980er Jahre<br />
erkannt, und bis 1990 hatten sich bereits<br />
rund 10 Millionen Menschen infiziert (Grafik<br />
2.6). Seitdem hat sich <strong>die</strong> Zahl der Infizierten<br />
mehr als vervierfacht, auf etwa 42 Millionen.<br />
Dar<strong>über</strong> hinaus sind bereits 22 Millionen<br />
Menschen an der Krankheit gestorben und 13<br />
Millionen Kinder sind in der Folge zu Waisen<br />
geworden.<br />
Die Krankheit beeinflusst den HDI durch<br />
ihre verheerenden Auswirkungen auf <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />
in den am schlimmsten betroffenen<br />
Ländern (Grafik 2.7).<br />
Doch HIV/AIDS zerstört mehr als Leben.<br />
Indem Erwachsene in den besten Lebensjahren<br />
daran sterben oder außer Gefecht gesetzt<br />
werden, wirft es <strong>die</strong> Entwicklung aus der<br />
Bahn.<br />
HIV/AIDS lähmt ganze Teile Afrikas – in<br />
Botsuana, Lesotho, Swasiland und Simbabwe<br />
ist mindestens rund einer von drei Erwachsenen<br />
infiziert, in Namibia, Südafrika and Sambia<br />
einer von fünf, und in 19 weiteren Ländern<br />
mehr als einer von 20. Die Krankheit tötet<br />
reich und arm, darunter Lehrerinnen, Bauern,<br />
Fabrikarbeiterinnen und Beamte. Sambia verlor<br />
1998 durch <strong>die</strong> Krankheit 1.300 Lehrer –<br />
zwei Drittel derer, <strong>die</strong> pro Jahr ausgebildet<br />
werden. 12 Bis 2020 könnten <strong>die</strong> am schlimmsten<br />
betroffenen afrikanischen Länder mehr<br />
als ein Viertel ihrer Arbeitskräfte verlieren. 13<br />
Diese <strong>menschliche</strong> Tragö<strong>die</strong> ist unermesslich.<br />
Uganda ist das einzige Land südlich der<br />
Sahara, das <strong>die</strong> Epidemie aufgehalten und begonnen<br />
hat, den Trend umzukehren, als <strong>die</strong><br />
Epidemie ein krisenhaftes Ausmaß erreicht<br />
hatte. In Sambia sank <strong>die</strong> HIV-Prävalenz bei<br />
jungen Frauen zwischen 1996 und 1999 um<br />
vier Prozentpunkte. Das gibt Anlass zur Hoffnung,<br />
dass Sambia das zweite Land in der Region<br />
werden könnte, dass beginnt, den Krisentrend<br />
umzukehren. Eine weitere Erfolgsgeschichte<br />
ist der Senegal. Dort wurde<br />
HIV/AIDS von Anfang an durch eine sofortige<br />
konzertierte Reaktion unter Kontrolle gehalten.<br />
14<br />
Doch in anderen Teilen Afrikas südlich<br />
der Sahara stehen <strong>die</strong> Zeichen nicht gut. In<br />
Kamerun und Nigeria wähnte man <strong>die</strong> Infektionsraten<br />
stabil, doch sie beginnen zu steigen.<br />
In einer Umfrage waren sich <strong>die</strong> Hälfte der befragten<br />
afrikanischen Teenager nicht dar<strong>über</strong><br />
im klaren, dass ein gesund aussehender<br />
Mensch HIV/AIDS haben könnte. Und von<br />
allen Personen weltweit, <strong>die</strong> Verhütungsmittel<br />
GRAFIK 2.6<br />
Die Zahl der HIV/AIDS-Fälle<br />
ist sprunghaft gestiegen<br />
Zahl der HIV/AIDS-Fälle<br />
10<br />
Millionen<br />
25,5<br />
Millionen<br />
42<br />
Millionen<br />
1990 1996 2002<br />
Quelle: UNAIDS 2002b.<br />
Alle anderen<br />
Regionen<br />
Lateinamerika<br />
Süd- und<br />
Südostasien<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
GRAFIK 2.7<br />
Verringerung der<br />
Lebenserwartung aufgrund<br />
von HIV/AIDS<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 53<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
–35 Jahre<br />
Simbabwe<br />
–28 Jahre<br />
Botsuana<br />
Lebenserwartung<br />
ohne<br />
HIV/AIDS<br />
–28 Jahre<br />
Swasiland<br />
–24 Jahre<br />
Lesotho<br />
Verringerung der Lebenserwartung<br />
zwischen 2000 – 2005<br />
Quelle: UNDP 2001c.
„Länder mit höchster<br />
Priorität“ brauchen <strong>die</strong><br />
Aufmerksamkeit der Welt,<br />
ihre Ressourcen und ihr<br />
Engagement am<br />
dringendsten<br />
benutzen, verwenden nur sieben Prozent<br />
Kondome, <strong>die</strong> wirksam vor HIV schützen. 15<br />
Obwohl fast 70 Prozent aller HIV/AIDS-<br />
Fälle in Afrika südlich der Sahara vorkommen,<br />
breitet sich <strong>die</strong> Epidemie auch in anderen<br />
Regionen aus. In der Karibik sind fast 0,5<br />
Millionen Menschen infiziert, in Ostasien 1,2<br />
Millionen, in Osteuropa und der GUS 1,2 Millionen,<br />
in Lateinamerika 1,5 Millionen und in<br />
Südasien 6 Millionen. 16<br />
China, In<strong>die</strong>n und <strong>die</strong> Russische Föderation<br />
– alle mit großen Bevölkerungszahlen und<br />
dem Risiko, dass <strong>die</strong> Infektionsraten in <strong>die</strong><br />
Höhe schnellen – geben besonderen Anlass<br />
zur Sorge. In <strong>die</strong>sen Ländern sind rund sieben<br />
Millionen Menschen infiziert. In Afrika südlich<br />
der Sahara ist <strong>die</strong> Anzahl der Fälle innerhalb<br />
eines Jahrzehnts explosionsartig von sieben<br />
Millionen auf 25 Millionen gestiegen. 17<br />
Der Verlauf der Epidemie hängt von sozialen<br />
Faktoren ab, und davon, wie auf <strong>die</strong> Bedrohung<br />
reagiert wird. Aber selbst bei einem moderaten<br />
Szenario könnten sich allein in <strong>die</strong>sen<br />
drei Ländern bis 2025 fast 200 Millionen Menschen<br />
infiziert haben (Tabelle 2.4).<br />
ANSTRENGUNGEN, UM DIE<br />
ZIELE ZU ERREICHEN<br />
Dass der HDI in vielen Länder gefallen ist,<br />
weist auf ein Problem hin. Wenn man sich <strong>die</strong><br />
Schlüsselindikatoren für <strong>die</strong> Fortschritte auf<br />
dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
anschaut, offenbart sich das Ausmaß<br />
<strong>die</strong>ses Problems. Wenn es nicht zu bedeutenden<br />
Veränderungen kommt, haben <strong>die</strong> Länder,<br />
in denen es Stillstand oder Rückschritte<br />
gibt, wenig Chancen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
TABELLE 2.4<br />
Große Länder sind bis 2025 durch<br />
HIV/AIDS auch bei moderater Epidemie<br />
stark bedroht<br />
Geschätzte<br />
Geschätzte Verringerung<br />
Zahl der der Lebens-<br />
HIV/AIDS-Fälle erwartung<br />
Land im Jahr 2025 (um Jahre)<br />
China 70 Millionen 8<br />
In<strong>die</strong>n 110 Millionen 13<br />
Russland 13 Millionen 16<br />
Quelle: Eberstadt 2002.<br />
FÜR JEDES ZIEL – LÄNDER MIT HOHER UND<br />
HÖCHSTER PRIORITÄT<br />
Bei jedem Ziel gibt es Länder, in denen <strong>die</strong> Situation<br />
besonders dringlich ist – wo mangelnde<br />
Fortschritte mit einem unmenschlich niedrigen<br />
Ausgangsniveau zusammenfallen. Diese<br />
„Länder mit höchster Priorität“ brauchen <strong>die</strong><br />
Aufmerksamkeit der Welt, ihre Ressourcen<br />
und ihr Engagement am dringendsten (Kasten<br />
2.4 und technische Erläuterung 2). 18<br />
In „Ländern mit hoher Priorität“ ist <strong>die</strong><br />
Lage weniger verzweifelt, aber <strong>die</strong> Fortschritte<br />
reichen noch nicht aus (siehe Feature 2.1).<br />
Diese Länder machen entweder von einem<br />
niedrigen Entwicklungsstand aus Fortschritte,<br />
oder sie schaffen von einem höheren Ausgangsniveau<br />
aus langsame Fortschritte (oder<br />
verzeichnen sogar Rückschritte).<br />
• Wie bereits festgestellt, fiel das Durchschnittseinkommen<br />
pro Kopf in den 1990er<br />
Jahren in 54 Ländern (siehe Grafik 2.5). Von<br />
<strong>die</strong>sen Ländern sind 32 Länder mit wirtschaftlichen<br />
Krisen konfrontiert und werden als<br />
Länder mit höchster Priorität angesehen. Viele<br />
davon sind ohnehin schon extrem arm, und<br />
<strong>die</strong> meisten liegen in Afrika südlich der Sahara.<br />
Doch auch in Mittel- und Osteuropa und<br />
der GUS, in Lateinamerika und der Karibik<br />
und in Ostasien und dem Pazifikraum gibt es<br />
Krisenländer. Außerdem gibt es 20 Länder<br />
mit hoher Priorität.<br />
• In 21 Ländern nahm der Hunger in den<br />
1990er Jahren zu. In 19 Ländern mit höchster<br />
Priorität leiden mehr als ein Viertel der Menschen<br />
Hunger und <strong>die</strong> Lage verbessert sich<br />
nicht wesentlich – oder sie verschlechtert sich<br />
sogar. In 19 Ländern mit hoher Priorität ist <strong>die</strong><br />
Lage besser, doch der Hunger bleibt eine bedeutende<br />
Herausforderung.<br />
• In 11 Ländern mit höchster Priorität gehen<br />
mindestens 25 Prozent der Kinder nicht<br />
zur Primarschule und es gibt wenig Fortschritte<br />
in Hinblick auf das Ziel allgemeiner<br />
Einschulung. Wieder liegen <strong>die</strong> meisten<br />
<strong>die</strong>ser Länder in Afrika südlich der Sahara.<br />
Dies ist jedoch ein Entwicklungsbereich,<br />
wo ein großer Mangel an verlässlichen Daten<br />
herrscht. Weiterhin gibt es 13 Länder mit<br />
hoher Priorität.<br />
54 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 2.4<br />
Der Kampf um <strong>die</strong> Erreichung der Ziele – Definition von Ländern mit hoher und höchster Priorität<br />
Bei jedem Ziel Länder mit Priorität<br />
In <strong>die</strong>sem Bericht werden in Bezug auf jedes<br />
Millenniums-Entwicklungsziel Länder mit ‘hoher‘<br />
und Länder mit ’höchster‘ Priorität identifiziert<br />
(siehe Feature 2.1). Ziel ist es, <strong>die</strong> Länder<br />
zu identifizieren, wo dringend gehandelt<br />
werden muss, um das jeweilige Ziel zu erreichen<br />
(Länder mit höchster Priorität), sowie <strong>die</strong><br />
Länder, wo <strong>die</strong> Situation weniger verzweifelt<br />
ist, aber nach wie vor bedeutende Verbesserungen<br />
bei den Fortschritten erforderlich sind<br />
(Länder mit hoher Priorität; siehe technische<br />
Erläuterung 2).<br />
In Ländern mit höchster Priorität fällt tief<br />
verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut mit fehlenden<br />
Fortschritten oder sogar Rückschritten zusammen<br />
(siehe Matrix). Es sind <strong>die</strong> Krisenländer in<br />
Bezug auf jedes Ziel, <strong>die</strong> Länder, auf <strong>die</strong> sich<br />
<strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Welt und ihre Ressourcen<br />
konzentrieren müssen.<br />
In Ländern mit hoher Priorität ist <strong>die</strong> Situation<br />
weniger verzweifelt, doch es gibt nach<br />
wie vor einen großen Bedarf. Dies sind entweder<br />
Länder mit mittlerem Ausgangniveau aber<br />
fehlenden Fortschritten oder Rückschritten,<br />
oder sie leiden unter extremer <strong>menschliche</strong>r<br />
Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Feature 2.1.<br />
• Die Kindersterblichkeitsraten stiegen in<br />
14 Ländern in den 1990er Jahren so stark wie<br />
in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht.<br />
Armut, machen aber moderate Fortschritte,<br />
<strong>die</strong> jedoch noch immer viel zu langsam verlaufen,<br />
um das entsprechende Ziel zu erreichen.<br />
Länder, <strong>die</strong> bei allen oder fast allen Zielen<br />
hohe Priorität haben<br />
Es gibt 28 Länder mit hoher, ziel<strong>über</strong>greifender<br />
Priorität. Diese Länder fallen nicht in <strong>die</strong><br />
Kategorie ’höchste Priorität‘, <strong>die</strong> aber entweder<br />
in Bezug auf drei Ziele hohe oder höchste<br />
Priorität haben, oder <strong>die</strong> in Bezug auf zwei Ziele<br />
höchste Priorität haben, oder <strong>die</strong> in Bezug<br />
auf mindestens <strong>die</strong> Hälfte der Ziele, für <strong>die</strong> in<br />
<strong>die</strong>sen Ländern Daten vorliegen, hohe oder<br />
höchste Priorität haben, wobei es für mindestens<br />
drei Zeitpunkte bzw. Zeiträume Daten<br />
geben muss. Wenn es bei nur zwei Zielen Daten<br />
gibt, hat das Land in beiden Bereichen<br />
hohe oder höchste Priorität.<br />
Es gibt 31 Länder mit höchster, ziel<strong>über</strong>greifender<br />
Priorität. Das bedeutet, sie haben<br />
’höchste Priorität‘ bei mindestens drei Zielen,<br />
oder bei mindestens der Hälfte der Ziele, für<br />
<strong>die</strong> in <strong>die</strong>sen Ländern Daten vorliegen, wobei<br />
für mindestens drei Zeitpunkte bzw. Zeiträume<br />
Daten vorliegen müssen. Wenn es nur für<br />
Länder mit hoher und höchster Priorität<br />
Länder Länder<br />
mit höchster mit hoher<br />
Priorität Priorität<br />
Afrika südlich der Sahara 25 13<br />
Ostasien und Pazifikraum 0 4<br />
Südasien 1 1<br />
Arabische Staaten<br />
Lateinamerika<br />
3 3<br />
und Karibik<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
1 3<br />
sowie GUS 1 4<br />
Insgesamt gibt es in 32 Ländern mit höchster<br />
Priorität keine Verbesserung der schlechten<br />
Situation. In einigen <strong>die</strong>ser Länder werden<br />
zwei Ziele Daten gibt, erhält das Land in beiden<br />
Bereichen höchste Priorität.<br />
Weitere 78 Länder verfügen <strong>über</strong> ausreichend<br />
Daten, <strong>die</strong> ausgewertet werden können,<br />
doch sie fallen nicht in <strong>die</strong> Kategorie der Länder<br />
mit hoher oder höchster Priorität. Und in<br />
weiteren 32 Ländern gibt es zu wenig Daten,<br />
um eine verlässliche Bewertung vorzunehmen.<br />
Die Eingruppierung in Länder mit hoher<br />
und höchster Priorität und weitere Kategorien<br />
ist nützlich, aber mit Vorsicht zu betrachten.<br />
Die Klassifikation verdeutlicht <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass <strong>die</strong> Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong> größte Gefahr laufen,<br />
<strong>die</strong> Ziele nicht zu erreichen, in Afrika südlich<br />
der Sahara und in Zentralasien liegen. Doch<br />
<strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> den einzelnen Millenniums-Entwicklungszielen<br />
zu Grunde liegen, werden oft<br />
unpräzise gemessen, und <strong>die</strong> Klassifikation einiger<br />
Länder wird sich in Folge einer besseren<br />
Datenlage ändern. Außerdem fehlen in vielen<br />
Ländern zu einzelnen Zielen zu viele Daten, als<br />
dass <strong>die</strong>se Länder insgesamt korrekt eingeordnet<br />
werden könnten. Wenn <strong>die</strong> zu Grunde liegenden<br />
Daten vollständiger wären, wären daher<br />
einige der 32 Länder, <strong>die</strong> in der Kategorie<br />
„Sonstige“ eingestuft sind, Länder mit hoher<br />
oder höchster Priorität (Beispiele sind Kirgisistan<br />
und Pakistan).<br />
Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> hier verwendeten<br />
Klassifikationskriterien plausibel, aber nur<br />
eine von vielen vernünftigen Möglichkeiten<br />
sind. Einige Länder sind an der Grenze zwischen<br />
zwei Kategorien, und würden in eine andere<br />
Kategorie wechseln, wenn nur geringfügig<br />
andere Klassifikationskriterien verwendet werden<br />
würden. Schließlich fallen viele Länder,<br />
<strong>die</strong> keine Länder mit hoher oder höchster Priorität<br />
sind, bei einem oder mehreren Zielen<br />
zurück und brauchen erhebliche internationale<br />
Aufmerksamkeit und Hilfe.<br />
Keine Angaben Stand der <strong>menschliche</strong>n Armut<br />
(in Bezug auf das Ziel)<br />
Fortschritt auf das Ziel hin<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 55<br />
Niedrig<br />
Mittel<br />
Hoch<br />
HOHE<br />
PRIORITÄT<br />
HÖCHSTE<br />
PRIORITÄT<br />
Langsam oder<br />
rückläufig<br />
HOHE<br />
PRIORITÄT<br />
Mäßig Schnell
KASTEN 2.5<br />
Gewaltsame Konflikte sind ein entscheidendes<br />
Hindernis bei der Erreichung der<br />
Millenniums-Entwicklungsziele. Zwischen<br />
1990 und 2001 gab es 57 größere bewaffnete<br />
Konflikte an 45 Schauplätzen. Am<br />
schlimmsten betroffen waren <strong>die</strong> Länder<br />
Afrikas südlich der Sahara, doch keine<br />
Entwicklungsländer-Region blieb davon<br />
verschont.<br />
Die Zahl der auf Konflikte zurückzuführenden<br />
Todesfälle ist schwierig zu erfassen<br />
und <strong>die</strong> Schätzungen schwanken. Es<br />
sind seit 1990 jedoch nicht weniger als 3,6<br />
Millionen Menschen durch Konflikte ums<br />
Leben gekommen, und viele weitere Millionen<br />
Menschen wurden verletzt. Besonders<br />
tragisch ist es, dass <strong>die</strong> Opfer in zunehmendem<br />
Maße keine Soldaten sondern<br />
Zivilisten sind. Zivilisten machen mehr als<br />
90 Prozent aller Toten und Verletzten aus.<br />
Erschreckend ist, dass mindestens <strong>die</strong><br />
Hälfte aller zivilen Opfer Kinder sind.<br />
Über <strong>die</strong>se tragischen direkten Auswirkungen<br />
hinaus kann der Zusammenbruch<br />
von Volkswirtschaften und von Infrastruktur<br />
weitere <strong>menschliche</strong> Opfer fordern.<br />
Von den Ländern mit hoher oder<br />
höchster Priorität bei der Erreichung der<br />
fast ein Dritter der Kinder keine fünf Jahre alt.<br />
Alle bis auf sechs <strong>die</strong>ser Länder – Afghanistan,<br />
Kambodscha, Irak, Somalia, Sudan, Tadschikistan<br />
– liegen in Afrika südlich der Sahara. In<br />
24 Ländern mit hoher Priorität Ländern geben<br />
<strong>die</strong> Kindersterblichkeitsraten Anlass zu<br />
größter Besorgnis.<br />
ZIELÜBERGREIFEND – 31 LÄNDER<br />
MIT HÖCHSTER PRIORITÄT,<br />
28 LÄNDER MIT HOHER PRIORITÄT<br />
Die Zahlen für <strong>die</strong> Länder mit hoher und<br />
höchster Priorität sind in Kasten 2.4 zusammengefasst.<br />
Es gibt 31 solcher Länder: 25 in<br />
Afrika südlich der Sahara, drei in den arabischen<br />
Staaten, und je eins in Südasien, in der<br />
Region Lateinamerika und Karibik und in der<br />
Region Mittel- und Osteuropa und GUS. In<br />
<strong>die</strong>sen Ländern versagt <strong>die</strong> Entwicklung ziel<strong>über</strong>greifend.<br />
Hier braucht es <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />
und <strong>die</strong> Ressourcen der Welt, wenn<br />
Gewaltsame Konflikte und <strong>die</strong> Ziele<br />
Quelle: Stewart <strong>2003</strong>; Marshall 2000; UNHCR 2000; UNICEF 1996; SIPRI 2002b.<br />
Ziele erlebten in den 1990er Jahren 13<br />
Länder schwere Konflikte. Es ist <strong>über</strong>raschend,<br />
dass einige Länder (wie Sri Lanka<br />
und Indonesien), <strong>die</strong> größere Konflikte<br />
durchgemacht haben, in Hinblick auf <strong>die</strong><br />
Ziele dennoch weiter gute Fortschritte machen.<br />
Für <strong>die</strong>se unwahrscheinlich scheinenden<br />
Erfolge gibt es zwei Erklärungen.<br />
Erstens ist eine gute Politik von zentraler<br />
Bedeutung – starke Regierungen, <strong>die</strong><br />
weiterhin alle Menschen versorgen, können<br />
einen großen Unterschied machen,<br />
was <strong>die</strong> Folgen für <strong>die</strong> Menschen angeht.<br />
In Kasten 3.5 in Kapitel 3 werden Maßnahmen<br />
behandelt, mit denen Regierungen<br />
und Geber <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Kosten<br />
von Konflikten mildern können.<br />
Zweitens erstrecken sich Konflikte oft<br />
nicht auf ein ganzes Land, sondern sind<br />
auf bestimmte Regionen beschränkt. In<br />
solchen Fällen kann es sein, dass sich <strong>die</strong><br />
Auswirkungen des Krieges in den Sozialindikatoren<br />
auf nationaler Ebene nicht niederschlagen.<br />
Doch wo der Konflikt tobt,<br />
können seine Auswirkungen dennoch verheerend<br />
sein. In Kasten 2.8 in <strong>die</strong>sem Kapitel<br />
werden Länder untersucht, in denen<br />
isolierte Gebiete unter Konflikten leiden.<br />
<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreicht<br />
werden sollen.<br />
Weitere 28 Länder werden ziel<strong>über</strong>greifend<br />
als Länder mit hoher Priorität definiert.<br />
Wieder liegen viele davon, nämlich 13, in Afrika<br />
südlich der Sahara. Doch je vier liegen in<br />
der Region Mittel- und Osteuropa und GUS<br />
und in der Region Ostasien/Pazifik, je drei in<br />
den arabischen Staaten und in der Region<br />
Lateinamerika und Karibik sowie eines in<br />
Südasien.<br />
Obwohl kein einzelner Faktor <strong>die</strong> missliche<br />
Lage <strong>die</strong>ser Länder erklären kann, haben<br />
viele der Länder mit hoher und höchster Priorität<br />
in Afrika südlich der Sahara gemeinsame<br />
Merkmale. Viele sind Binnenländer oder ein<br />
großer Teil der Bevölkerung lebt weit von der<br />
Küste entfernt. Außerdem sind <strong>die</strong> meisten<br />
<strong>die</strong>ser Länder klein – nur vier von ihnen haben<br />
eine Bevölkerung von mehr als 40 Millionen.<br />
Von den Weltmärkten abgeschnitten zu<br />
sein und nur eine kleine Volkswirtschaft zu<br />
haben, kann es sehr viel schwieriger machen,<br />
zu diversifizieren, von Rohstoffen hin zu weniger<br />
schwankungsanfälligen Exportprodukten,<br />
bei denen <strong>die</strong> Wertschöpfung höher ist. In der<br />
Tat machen in 14 von 17 Ländern südlich der<br />
Sahara, für <strong>die</strong> Daten vorliegen und <strong>die</strong> hohe<br />
und höchste Priorität haben, <strong>die</strong> Rohstoffe<br />
mehr als zwei Drittel der Exporte aus. Viele<br />
der Länder stehen auch vor noch akuteren Bedrohungen.<br />
In 23 Ländern liegt <strong>die</strong><br />
HIV/AIDS-Prävalenz bei <strong>über</strong> fünf Prozent,<br />
und neun Länder waren in den 1990er Jahren<br />
in schwere Konflikte verwickelt (Kasten<br />
2.5). 19<br />
In anderen Regionen unterscheiden sich<br />
<strong>die</strong> Probleme der Länder mit höchster Priorität<br />
ziemlich von denen der afrikanischen<br />
Länder. Zwar sind sie ebenfalls mit einigen<br />
der strukturellen Probleme konfrontiert, <strong>die</strong><br />
auch Afrika südlich der Sahara betreffen. Zudem<br />
versuchen zum Beispiel einige Länder<br />
der GUS den Übergang zur Marktwirtschaft<br />
zu schaffen – ein Prozess, der in den Ländern<br />
Mittel- und Osteuropas sehr viel erfolgreicher<br />
war. In den arabischen Staaten stehen <strong>die</strong> Hindernisse<br />
nicht im Zusammenhang mit dem<br />
Einkommen. Sie ergeben sich stattdessen aus<br />
dem Versäumnis, Einkommen in <strong>menschliche</strong><br />
56 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Entwicklung und in Fortschritte zur Erreichung<br />
der Ziele umzusetzen.<br />
Was also ist zu tun, um <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele zu erreichen? Egal, wie<br />
man <strong>die</strong>se Frage beantwortet, <strong>die</strong> Länder mit<br />
hoher und höchster Priorität müssen im Mittelpunkt<br />
stehen. Die Probleme, mit denen sie<br />
konfrontiert sind, und <strong>die</strong> Wege, <strong>die</strong>se Probleme<br />
zu lösen, werden in den folgenden Kapiteln<br />
ausführlich behandelt.<br />
Aber arme Länder, <strong>die</strong> keine Fortschritte<br />
schaffen, sind nicht <strong>die</strong> einzige Sorge. Im Verlauf<br />
<strong>die</strong>ses Kapitels wird eine weitere Gruppe<br />
von Ländern untersucht: Länder, in denen <strong>die</strong><br />
Fortschritte ungleichmäßig verteilt sind, so<br />
dass eine große Zahl von Menschen weiter in<br />
schrecklichen Verhältnissen lebt.<br />
GUTES ABSCHNEIDEN EINIGER<br />
DER ÄRMSTEN LÄNDER<br />
Viele der ärmsten Länder der Welt machen<br />
gute Fortschritte in Bezug auf <strong>die</strong> meisten der<br />
Ziele. In der Tat haben bei allen Zielen <strong>die</strong><br />
ärmsten Länder einige der schnellsten Fortschritte<br />
gemacht. Es stimmt zwar, dass <strong>die</strong>se<br />
Länder mit niedrigem Ausgangsniveau den<br />
größten Spielraum für Verbesserungen haben.<br />
Doch das sollte nicht von den Erfolgen ablenken,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong>se Länder unter Bedingungen gemacht<br />
haben, <strong>die</strong> in vielen anderen Entwicklungsländern<br />
zu Stillstand oder Rückschritten<br />
geführt haben. Die Erfolge der südafrikanischen<br />
Länder stehen auf einer besonders<br />
wackligen Grundlage, denn HIV/AIDS und<br />
<strong>die</strong> Trockenheiten aus jüngster Zeit bedrohen<br />
ernsthaft <strong>die</strong> weiteren Fortschritte. Doch in<br />
den 1990er Jahren zeigten sich folgende positive<br />
Entwicklungen:<br />
• In Kap Verde, Mauritius, Mosambik und<br />
Uganda wuchs das Durchschnittseinkommen<br />
pro Kopf um mehr als drei Prozent jährlich.<br />
• In den Ländern Afrikas südlich der Sahara<br />
gelangen einige der weltweit größten Erfolge<br />
bei der Minderung des Hungers. Ghana reduzierte<br />
den Anteil seiner Hunger leidenden Bevölkerung<br />
von 35 auf 12 Prozent, Mosambik<br />
von 69 auf 55 Prozent.<br />
• Benin steigerte seine Einschulungsquote<br />
im Primarschulbereich von 49 auf 70 Prozent.<br />
Mali und der Senegal steigerten ihre Einschulungsquoten<br />
im Primarschulbereich um mindestens<br />
15 Prozentpunkte. Auch <strong>die</strong> Abschlussquoten<br />
im Primarschulbereich stiegen<br />
in einigen der ärmsten Länder – in Mali um<br />
mehr als zwanzig Prozentpunkte.<br />
• Viele der ärmsten Länder machten gute<br />
Fortschritte auf dem Weg zur Gleichstellung<br />
der Geschlechter in der Primar- und Sekundarschulbildung.<br />
Mauretanien war dabei<br />
führend. Hier stieg das Verhältnis von<br />
Mädchen zu Jungen im Primar- und Sekundarschulbereich<br />
zwischen 1990 und 1996 von<br />
67 auf 93 Prozent. Mali und Nepal verringerten<br />
den Abstand in den 1990er Jahren um<br />
mindestens 10 Prozentpunkte.<br />
• Trotz HIV/AIDS gab es einige bemerkenswerte<br />
Verbesserungen in Bezug auf das<br />
Überleben von Kindern in Afrika südlich der<br />
Sahara. Guinea senkte <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
um sieben Prozentpunkte, Malawi und Niger<br />
um fünf Prozentpunkte oder mehr. Auch in einigen<br />
der ärmsten Länder in Asien gab es drastische<br />
Senkungen. Bhutan und <strong>die</strong> Demokratische<br />
Volksrepublik Laos reduzierten <strong>die</strong><br />
Sterblichkeit der Kinder unter fünf Jahren von<br />
rund 16 auf zehn Prozent, Bangladesch von 14<br />
auf acht Prozent.<br />
• Obwohl HIV/AIDS in Afrika südlich der<br />
Sahara insgesamt eine erdrückende Zahl von<br />
Todesopfern forderte, kristallisieren sich einige<br />
beachtenswerte Ausnahmen heraus. Uganda<br />
reduzierte in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Infektionsraten<br />
in acht aufeinander folgenden Jahren,<br />
und Sambia könnte das zweite Land in<br />
der Region werden, das den Ausbreitungstrend<br />
von HIV/AIDS von einem Krisenniveau<br />
ausgehend umkehrt. Außerdem hat es der Senegal<br />
geschafft, <strong>die</strong> Ausbreitung der Krankheit<br />
zu verhindern. 20<br />
• Côte d’Ivoire und Mali erhöhten in den<br />
1990er Jahren den Anteil der Menschen, <strong>die</strong><br />
Zugang zu sauberem Wasser haben, um 10<br />
Prozentpunkte und mehr. Ghana und der Senegal<br />
erhöhten den Anteil ihrer Bevölkerung<br />
mit Zugang zu verbesserter Sanitärversorgung<br />
um 10 Prozentpunkte und mehr.<br />
Diese Erfolge, zusammen mit rascheren<br />
Verbesserungen in den entwickelteren Länder,<br />
zeigen, dass alle Länder <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Viele der ärmsten Länder<br />
der Welt machen gute<br />
Fortschritte in Bezug auf<br />
<strong>die</strong> meisten der Ziele<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 57
KASTEN 2.6<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele zielen<br />
darauf ab, das Leben der Menschen innerhalb<br />
einer Generation enorm zu verbessern.<br />
Solche Zielvorgaben sind ehrgeizig,<br />
aber erreichbar: Viele Länder haben innerhalb<br />
kurzer Zeit in allen Bereichen<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung große Sprünge<br />
nach vorne gemacht.<br />
Innerhalb von sieben Jahren, von<br />
1946 bis 1953, hat sich in Sri Lanka <strong>die</strong><br />
durchschnittliche Lebenserwartung um<br />
unglaubliche zwölf Jahre erhöht. Zwischen<br />
1970 und 1985 hat Botsuana den<br />
Anteil der Kinder, <strong>die</strong> zur Primarschule<br />
gehen, verdoppelt – und hat damit das<br />
Ziel allgemeiner Primarschulbildung fast<br />
erreicht. In den 1990er Jahren hat China<br />
den Anteil der Menschen, <strong>die</strong> in Armut leben,<br />
fast halbiert. Und Südafrika hat von<br />
1994 bis 2001 <strong>die</strong> Anzahl der Menschen<br />
ohne Zugang zu sauberem Wasser halbiert.<br />
Diese Erfolge sind <strong>die</strong> Ergebnisse geeigneter<br />
Strategien unter bestimmten Umständen,<br />
und sie zu wiederholen ist nicht<br />
so einfach. Aber <strong>die</strong> Erfolge zeigen, was<br />
Entwicklungsziele erreichen können (Kasten<br />
2.6); (In Kapitel 4 und 5 wird analysiert, wodurch<br />
einige <strong>die</strong>ser Erfolge gestützt werden).<br />
WACHSENDE UNTERSCHIEDE INNERHALB<br />
EINZELNER LÄNDER: WER BLEIBT AUF DER<br />
STRECKE?<br />
Nationale Leistungsindikatoren helfen zu vermitteln,<br />
was mit den Bewohnern eines Landes<br />
geschieht, doch in den verschiedenen Regionen<br />
eines Landes sind <strong>die</strong> Fortschritte oft sehr unterschiedlich.<br />
In vielen Ländern mit guten<br />
durchschnittlichen Leistungen in Bezug auf <strong>die</strong><br />
Ziele gibt es Bevölkerungsgruppen, und manchmal<br />
ganze Gebiete, <strong>die</strong> auf der Strecke bleiben.<br />
Wo bestehen Lücken in der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
innerhalb einzelner Länder, und wie<br />
haben sie sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts<br />
entwickelt (siehe auch Feature 2.3)?<br />
Nationale Statistiken sind Mittelwerte mit<br />
internen Unterschieden oder Zusammenfas-<br />
Große Sprünge nach vorn sind innerhalb von<br />
Jahren statt Jahrzehnten möglich<br />
In 7 Jahren<br />
LEBENS-<br />
ERWARTUNG<br />
ZUGANG ZU<br />
SAUBEREM WASSER<br />
58 Jahre<br />
15 Millionen<br />
Personen ohne<br />
verbesserten<br />
Wasserzugang<br />
46 Jahre<br />
7 Millionen<br />
Sri Lanka<br />
Südafrika<br />
1946–53 1994–2001<br />
In 9 Jahren<br />
ARMUT<br />
getan werden kann. In weiteren Kapiteln<br />
<strong>die</strong>ses Berichts wird untersucht, was funktioniert<br />
und was nicht, und es werden zentrale<br />
Strategien zu Erreichung der Ziele<br />
identifiziert.<br />
Quelle: Millennium Project Task Force 7 <strong>2003</strong>; WSP 2002b; Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
auf der Grundlage von World Bank 2002f und <strong>2003</strong>i; Caldwell 1986, S. 171-220; World Bank. <strong>2003</strong>i.<br />
33%<br />
18%<br />
China<br />
1990–1999<br />
Bevölkerung, <strong>die</strong> in<br />
extremer Armut lebt<br />
In 15 Jahren<br />
EINSCHULUNG IM<br />
PRIMARSCHULBEREICH<br />
89%<br />
Netto-Einschulungsrate<br />
46%<br />
Botsuana<br />
1970–85<br />
sungen nationaler Eigenarten, bei denen<br />
durch <strong>die</strong> Darstellung von Durchschnittswerten<br />
wirtschaftliche, soziale, kulturelle, geschlechterspezifische<br />
und ethnische Spaltungen<br />
innerhalb der Ländergrenzen nicht deutlich<br />
werden. Bei den Indikatoren, <strong>die</strong> man verwendet,<br />
um <strong>die</strong> nationalen Fortschritte in<br />
Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele zu beurteilen, kann es<br />
also passieren, dass <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />
vieler Einwohner nicht ausreichend abgebildet<br />
werden (Kasten 2.7).<br />
Aufgrund ihrer wahrscheinlichen, negativen<br />
Auswirkungen auf das Entwicklungstempo<br />
sollte <strong>die</strong> in verschiedenen Bereichen große<br />
– und wachsende – Kluft Anlass zur Sorge geben.<br />
Diese Kluft weist auch darauf hin, dass<br />
<strong>die</strong> Chancen ungleichmäßig verteilt sind, und<br />
dass sich <strong>die</strong> Mächtigen einen größeren Teil<br />
der Früchte der Entwicklung sichern. Wenn<br />
<strong>die</strong> Kluft in verschiedenen Bereichen wächst<br />
und sehr groß wird, kann sie sich in Folge sozialer<br />
Unruhen, politischer Kontroversen,<br />
Verzerrungen bei der Mittelverteilung und<br />
Gewalt und Konflikten destabilisierend auf<br />
<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auswirken (Kasten<br />
2.8).<br />
Aus <strong>die</strong>sen Gründen ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> Trends<br />
innerhalb einzelner Nationen Aufmerksamkeit,<br />
selbst bei Ländern, <strong>die</strong> scheinbar gute<br />
Fortschritte in Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele machen.<br />
Es kann sein, dass <strong>die</strong>se Länder aufgrund eines<br />
hierarchischen („top-down“) Ansatzes<br />
vorankommen, dass man sich mit den politischen<br />
Anstrengungen und Ressourcen<br />
zunächst auf <strong>die</strong> Menschen konzentriert, <strong>die</strong><br />
leichter zu erreichen sind, wie zum Beispiel <strong>die</strong><br />
Armen oder <strong>die</strong> Städter. Dieser Ansatz kann<br />
den nationalen Durchschnitt weit genug anheben,<br />
um ein Ziel oder eine andere Zielvorgabe<br />
als erreicht erklären zu können.<br />
Besonders im Gesundheitsbereich stellt<br />
<strong>die</strong>s ein Problem dar, denn <strong>die</strong> gesundheitsbezogenen<br />
Ziele und Zielvorgaben (z.B. <strong>die</strong> Senkung<br />
der Kinder- und Müttersterblichkeit um<br />
zwei Drittel bzw. drei Viertel) zielen auf <strong>die</strong><br />
Senkung der Durchschnittsraten ab, und beziehen<br />
sich damit auf <strong>die</strong> Gesamtbevölkerung.<br />
Die Ziele und Zielvorgaben in den Bereichen<br />
Ernährung, Bildung und Armut konzentrieren<br />
sich dagegen auf <strong>die</strong> Hunger leidenden, <strong>die</strong><br />
58 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Ungebildeten und <strong>die</strong> Armen. Aus <strong>die</strong>sem<br />
Grund kann man Verbesserungen bei den<br />
Zielvorgaben im Gesundheitsbereich erreichen,<br />
indem man auf irgendeine Gruppe,<br />
einschließlich der Wohlhabenderen, abzielt.<br />
Einige Regierungen könnten in <strong>die</strong> Versuchung<br />
kommen, <strong>die</strong> Gesundheitsziele zu erreichen,<br />
indem sie <strong>die</strong> Nutzen auf <strong>die</strong> Wohlhabenderen<br />
konzentrieren, und sich den Menschen,<br />
<strong>die</strong> schwieriger zu erreichen sind, erst<br />
später widmen. 21 Einige Analysten argumentieren,<br />
dass ein solcher hierarchischer Ansatz<br />
insofern seine Vorzüge hat, als dass er erlaubt,<br />
das Ziel auf nationaler Ebene zu erreichen,<br />
und dass <strong>die</strong>s letztendlich allen zugute komme<br />
– aber das muss nicht stimmen.<br />
Damit weiter Fortschritte gemacht werden<br />
und möglichst viele Menschen einbezogen<br />
sind, sollte der Prozess „von unten nach oben“<br />
ablaufen, mit Betonung der Gleichstellung<br />
und es sollte zuerst um <strong>die</strong> Menschen gehen,<br />
KASTEN 2.7<br />
Seit 1992 haben etwa 135 Länder in eigener<br />
Regie mehr als 450 nationale und regionale Berichte<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung erstellt.<br />
Viele <strong>die</strong>ser Berichte liefern Daten, <strong>die</strong><br />
nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit,<br />
Alter, Rasse, geographischen oder sonstigen<br />
Kriterien aufgeschlüsselt sind. Sie erlauben so<br />
eine tiefergehende Analyse der länderspezifischen<br />
Ursachen von Ungleichverteilung und<br />
Armut – und manchmal decken sie systematische<br />
Diskriminierung oder andere schwere<br />
Mängel auf. Die Berichte sind zu einer wichtigen<br />
Quelle für <strong>die</strong> aktuellsten aufgeschlüsselten<br />
Länderdaten geworden. Sie leisten einen<br />
Beitrag zu den politischen Strategien, mit denen<br />
Fortschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
vorangebracht werden sollen, und zu<br />
den Instrumenten, mit denen <strong>die</strong>se Fortschritte<br />
gemessen werden können. Die folgenden<br />
Beispiele zeigen, was <strong>die</strong> Berichte erreichen<br />
können:<br />
• Seit 1997 berechnet Brasilien jährlich den<br />
Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (HDI) für<br />
jeden der <strong>über</strong> 5.000 Kommunen des Landes.<br />
Der Bundesstaat Minas Gerais reagierte, indem<br />
er das Robin Hood-Gesetz einführte, mit<br />
dem ein Teil der Steuereinnahmen Stadtbezirken<br />
zugewiesen wird, <strong>die</strong> beim HDI und anderen<br />
Indikatoren niedrige Werte aufweisen.<br />
<strong>die</strong> den größten Bedarf an Unterstützung haben.<br />
Beim Verfolgen des Gesundheitsziels<br />
sollte den Menschen, denen es am schlechtesten<br />
geht und <strong>die</strong> am schwierigsten zu erreichen<br />
sind nicht erst in letzter Minute Aufmerksamkeit<br />
geschenkt werden. Für politische<br />
Entscheidungsträger ist es einfacher und<br />
kurz- und mittelfristig weniger kostspielig, <strong>die</strong><br />
Armen bei der Versorgung mit sozialen<br />
Dienstleistungen ans Ende der Schlange zu<br />
stellen. 22 Aber der trügerische Fortschritt,<br />
der dadurch zustande kommt, könnte sich<br />
langfristig als nicht nachhaltig erweisen.<br />
DIE KLUFT ZWISCHEN<br />
SOZIO-ÖKONOMISCHEN GRUPPEN<br />
Die Erfahrungen aus vielen Ländern legen<br />
nahe, dass einige Gruppen weniger von nationalen<br />
Verbesserungen in Bezug auf Einkommen,<br />
Gesundheit und Bildung profitieren als<br />
Aufgeschlüsselte Daten auf Länderebene: Nationale Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
• In Nepals Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung 2001 wurden umfassende aufgeschlüsselte<br />
Daten verwendet. Sie zeigten<br />
eine deutlich ungleiche Verteilung von Ressourcen<br />
und Chancen, was zu der Schlussfolgerung<br />
führte, dass <strong>die</strong> tiefere Ursache<br />
für <strong>die</strong> enttäuschenden Ergebnisse bei der<br />
Armutsbekämpfung eine schwache Staats- und<br />
Regierungsführung sei. In dem Bericht<br />
wurde herausgefunden, dass <strong>die</strong> durchschnittliche<br />
Lebenserwartung der am meisten benachteiligten<br />
Kasten bei 51 Jahren liegt – und<br />
bei der ethnischen Gruppe der Newar bei 63<br />
Jahren.<br />
• Ägyptens jährlicher Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung liefert aufgeschlüsselte<br />
sozioökonomische, umweltbezogene, demographische<br />
und andere Indikatoren für jedes<br />
der 26 Governorate des Landes. Diese Daten<br />
und <strong>die</strong> Erkenntnisse aus dem Bericht bilden<br />
<strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Jahrestreffen der<br />
Gouverneure des Landes. Die Treffen <strong>die</strong>nen<br />
dazu, gemeinsam Disparitäten zu analysieren<br />
und politische Maßnahmen festzulegen, mit<br />
denen auf <strong>die</strong> Erkenntnisse reagiert werden<br />
soll.<br />
• In Litauens Bericht des Jahres 2000 wurden<br />
<strong>die</strong> zwischen Stadt und Land bestehenden<br />
Disparitäten bei der <strong>menschliche</strong>n Entwick-<br />
Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung; Stelle für <strong>die</strong> nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung (NHDR Unit).<br />
lung analysiert. Aufgeschlüsselte Daten für<br />
Schlüsselindikatoren wie Sterblichkeit, Selbstmorde,<br />
Beschäftigung und Bildung zeigten,<br />
dass <strong>die</strong> in den ländlichen Regionen lebenden<br />
Litauer immer weniger in der Lage sind, durch<br />
traditionelle Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt<br />
zu sichern, und es gibt bislang keine produktive<br />
alternative Lebensgrundlage, <strong>die</strong> nachhaltig<br />
wäre. In dem Bericht wird gewarnt, dass<br />
<strong>die</strong>ser Trend den sozialen Zusammenhalt untergraben<br />
könnte.<br />
• In Namibias Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung wurde <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut<br />
untersucht, indem man den HDI nach<br />
Sprachgruppen aufgeschlüsselte. Diese Aufschlüsselung<br />
zeigt ein hohes Niveau <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung bei den hauptsächlich europäisch<br />
geprägten Gruppen auf – bei Menschen,<br />
<strong>die</strong> Afrikaans, Englisch oder Deutsch<br />
sprechen – und ein sehr niedriges Niveau bei<br />
den San (Buschleuten). Diese Erkenntnisse<br />
hatten gezielte Investitionen in Gesundheit,<br />
Bildung und neue Arbeitsplätze zur Folge.<br />
Die in den Berichten enthaltenen aufgeschlüsselten<br />
Daten sind online verfügbar unter<br />
http://sedac.ciesin.columbia.edu/hdr/. (Die<br />
nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklungen<br />
können eingesehen werden unter<br />
http://hdr.undp.org.).<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 59
KASTEN 2.8<br />
Oft treten gewaltsame Konflikte in bestimmten Gegenden<br />
einzelner Länder auf und werden durch ethnische,<br />
sprachliche oder ähnliche soziale Aus- und<br />
Abgrenzung angeheizt. Dies erklärt vielleicht, warum<br />
Länder wie Sri Lanka und Indonesien trotz jahrelanger<br />
Konflikte in den 1990er Jahren bei den<br />
Millenniums-Entwicklungszielen insgesamt gut abschnitten.<br />
Es ist wahrscheinlicher, dass das Niveau<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung in Konfliktregionen niedriger<br />
ist, als in Regionen, <strong>die</strong> nicht direkt von<br />
Konflikten betroffen sind. Manchmal sind auch<br />
Nachbarregionen mit Flüchtlingsströmen und humanitären<br />
Krisen konfrontiert und so von in der<br />
Nähe ausgetragenen Konflikten mit betroffen.<br />
Der Zusammenhang zwischen Konflikten und<br />
schwacher Entwicklung kann wechselseitig sein.<br />
Wirtschaftliches und soziales Elend kann Gewalt<br />
schüren, insbesondere wenn es von deutlicher Ungleichverteilung<br />
zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />
und Regionen begleitet ist. Zugleich<br />
können Konflikte oft wichtige Ursachen für schwache<br />
wirtschaftliche Entwicklung sein und unter anderem<br />
zu Krisen im Gesundheitssystem und zur Zerstörung<br />
der Infrastruktur des Landes führen. Dieser<br />
Zusammenhang lässt sich erfassen, indem man <strong>die</strong><br />
räumliche Verteilung von Konflikten mit subnationalen<br />
Entwicklungsindikatoren vergleicht. Da nur<br />
beschränkt Daten zur Verfügung stehen, ist eine solche<br />
Analyse in nur wenigen Ländern möglich. Für<br />
<strong>die</strong>sen Bericht war es möglich, für vier Länder Daten<br />
zu bekommen:<br />
• Indonesien. Auf den einzelnen indonesischen<br />
Inseln, aber auch insel<strong>über</strong>greifend gibt es deutliche<br />
regionale Disparitäten beim Index für <strong>menschliche</strong><br />
Armut (<strong>Human</strong> Poverty Index - HPI). In Gegenden<br />
mit großer Armut kam es zu gewaltsamen separatistischen<br />
Konflikten, wobei <strong>die</strong> deutlichen Spaltungen<br />
entlang religiöser, ethnischer und sozialer Abgrenzungen<br />
verlaufen.<br />
• Kolumbien. Es gibt ein mittleres oder hohes<br />
Ausmaß an Gewalt entlang der parallel verlaufenden<br />
Gebirgsketten, <strong>die</strong> Kolumbien von Norden nach Süden<br />
durchziehen, und in den Gebieten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />
Berge mit der Pazifikküste verbinden. Die Berge sind<br />
vorwiegend ländlich geprägte und oft unwirtliche<br />
Gegenden mit wenig Infrastruktur. Der Index für<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung (HDI) ist in den Gebieten<br />
am niedrigsten, wo der Konflikt am gewaltsamsten<br />
ausgetragen wurde (siehe Karte).<br />
• Nepal. Der Maoistenaufstand in Nepal, der 1996<br />
begann, hat seine Schwerpunktgebiete in den abgelegensten,<br />
ressourcenärmsten und am stärksten vernachlässigten<br />
Gegenden, wo es selbst an der grundlegendsten<br />
sozialen Infrastruktur fehlt. Dazu<br />
gehören abgelegene Dörfer ethnischer Minderheiten,<br />
darunter Gebiete mit niedrigem HDI im Nordwesten<br />
und einige Regionen im Norden.<br />
• Sri Lanka. Fast zwanzig Jahre herrschte Bürgerkrieg<br />
zwischen der tamilischen Bevölkerungsminderheit<br />
und der singhalesischen Mehrheit. Dabei sind<br />
<strong>über</strong> 65.000 Menschen ums Leben gekommen und<br />
fast eine Million vertrieben worden. Die Karte zeigt,<br />
wie <strong>die</strong> nördlichen und nord-östlichen tamilischen<br />
Provinzen von der Infrastruktur<strong>entwicklung</strong> in Sri<br />
Lanka ausgeschlossen worden sind.<br />
Quelle: UNDP <strong>2003</strong>a.<br />
Konflikte innerhalb einzelner Länder<br />
INDONESIEN<br />
Index für <strong>menschliche</strong><br />
Armut, 1998<br />
(Prozent)<br />
0–24<br />
25–34<br />
35–39<br />
KOLUMBIEN<br />
Index für <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung, 2001<br />
Über ,770<br />
,744–,770<br />
,710–,744<br />
Unter ,710<br />
NEPAL<br />
Index für <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung, 2000<br />
,500–,600<br />
,450–,500<br />
,200–,450<br />
Unter ,200<br />
SRI LANKA, 1998<br />
Straßen aller Kategorien (km), 1998<br />
Über 1.500<br />
1.000–1.500<br />
Weniger als 1.000<br />
Keine Angaben<br />
Gebiete mitŁ<br />
hohem Ausmaߣ<br />
an Gewalt<br />
Besonders<br />
sensible<br />
Gebiete<br />
Colombo<br />
Kathmandu<br />
Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.<br />
Quelle: Sarmiento Gómez<br />
et al. <strong>2003</strong>; BCPR <strong>2003</strong>.<br />
Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.<br />
Konfliktgebiete<br />
(hoher Anteil derŁ<br />
tamilischen Bevölkerung)<br />
60 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Jakarta<br />
Bogota<br />
Konfliktgebiete<br />
(große Anzahl an<br />
Binnenvertriebenen)<br />
Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.
TABELLE 2.5<br />
Kindersterblichkeitsraten: Veränderungen beim Niveau und beim Vermögensgefälle,<br />
ausgewählte Länder, 1980er und 1990er Jahre<br />
Durchschnittsniveau<br />
verbessert sich<br />
bleibt gleich<br />
verschlechtert sich<br />
Source: Minujin and Delamonica <strong>2003</strong>.<br />
andere. Die Einkommensdisparitäten scheinen<br />
sich in mehreren Ländern zu verstärken.<br />
Dies weist auf eine tiefere Kluft zwischen den<br />
Menschen an der Spitze der Einkommensverteilung<br />
(im allgemeinen <strong>die</strong> städtische Mittelund<br />
Oberklasse) und den Menschen am unteren<br />
Ende (meist ländliche Haushalte indigener<br />
oder ethnisch marginalisierter Herkunft mit<br />
weiblichem Haushaltsvorstand) hin. Wenn <strong>die</strong><br />
anhaltenden Ungleichverteilung des Einkommens<br />
nicht in Angriff genommen wird, könnte<br />
dadurch der Nutzen des Wirtschaftswachstums<br />
für <strong>die</strong> Minderung der Armut geschmälert<br />
werden (siehe Kasten 2.2).<br />
Wahrscheinlich sogar mehr als das Einkommensniveau<br />
scheint das Vermögen eine<br />
entscheidende Rolle bei der Sicherung der sozialen<br />
Grundversorgung zu spielen (Vermögen<br />
wurde in den Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>sen Abschnitt<br />
herangezogen wurden, durch Haushaltserhebungen<br />
geschätzt, <strong>die</strong> sich auf Vermögensgegenstände<br />
in den Haushalten und<br />
deren Merkmale bezogen). 23 Zwischen Mitte<br />
der 1980er Jahre und Mitte der 1990er Jahre<br />
verringerte sich bei den Kindersterblichkeitsraten<br />
der Abstand zwischen der reichsten und<br />
der ärmsten Vermögensgruppe in nur drei von<br />
24 Entwicklungsländern, in denen Daten erhoben<br />
wurden. 24 In 13 Ländern, <strong>die</strong> bei der<br />
durchschnittlichen Senkung der Kindersterblichkeit<br />
als besonders erfolgreich gelten, gibt<br />
es Hinweise auf eine unveränderte oder steigende<br />
Diskrepanz zwischen den reichsten und<br />
den ärmsten Gruppen (Tabelle 2.5).<br />
Relatives Gefälle<br />
(zwischen reich und arm)<br />
verringert sich bleibt gleich nimmt zu<br />
Guatemala<br />
Togo<br />
Sambia<br />
Ägypten Mali<br />
Marokko Peru<br />
Senegal<br />
Burkina Faso<br />
Kamerun<br />
Niger<br />
Kenia<br />
Bangladesch Bolivien<br />
Brasilien Kolumbien<br />
Dominikan. Rep. Ghana<br />
Indonesien Uganda<br />
Philippinen<br />
Tansania<br />
Kazachstan<br />
Simbabwe<br />
Trotz einer bedeutenden Verringerung<br />
der vermögensbedingten Kluft bei der Versorgung<br />
mit Immunisierungen waren innerhalb<br />
der gleichen Stichprobe von 24 Ländern weniger<br />
als <strong>die</strong> Hälfte der Kinder aus den ärmsten<br />
Familien bis Ende der 1990er Jahre mit DPT3<br />
(drei Dosen von Diphtherie-, Pertussis- und<br />
Tetanusimpfungen) immunisiert worden. In<br />
Burkina Faso, Kamerun, Mali und Niger waren<br />
weniger als 30 Prozent der Kinder armer<br />
Familien versorgt. In vielen Ländern zeigte<br />
sich in den 1990er Jahren bei der Versorgung<br />
des ärmsten Fünftels der Bevölkerung keine<br />
Veränderung, oder sie ging leicht zurück. 25<br />
Die Disparitäten im Bildungsbereich geben<br />
weitere Hinweisen auf <strong>die</strong> Ungleichheit<br />
zwischen reichen und armen Haushalten. In<br />
vielen Ländern ist es sehr viel unwahrscheinlicher,<br />
dass Kinder aus armen Haushalten <strong>die</strong><br />
Schule besuchen, und es ist wahrscheinlicher,<br />
dass sie, wenn sie zur Schule gehen, <strong>die</strong> Schule<br />
vorzeitig abbrechen. In Afrika südlich der<br />
Sahara sind <strong>die</strong> Einschulungsquoten bei armen<br />
Haushalten besonders niedrig, und <strong>die</strong><br />
Schulabbrecherquoten besonders hoch. 26<br />
In Südasien zeigt sich ein ähnliches Muster,<br />
wenn auch <strong>die</strong> Abbrecherquoten sich auf<br />
das fünfte Schuljahr aufwärts konzentrieren.<br />
In Lateinamerika schicken arme Haushalte<br />
tendenziell mehr Kinder zur Schule, was zu<br />
höheren Einschulungsquoten führt, aber <strong>die</strong><br />
Abbrecherquoten sind genauso hoch wie in<br />
den anderen Regionen. 27 Selbst Länder mit<br />
niedriger Ungleichverteilung des Einkom-<br />
Wenn <strong>die</strong> anhaltenden<br />
Ungleichverteilung des<br />
Einkommens nicht in<br />
Angriff genommen wird,<br />
könnte dadurch der<br />
Nutzen des Wirtschaftswachstums<br />
für <strong>die</strong><br />
Minderung der Armut<br />
geschmälert werden<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 61
Die Gleichstellung der<br />
Geschlechter ist<br />
entscheidend dafür, ob<br />
<strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele erreicht<br />
werden oder nicht – von<br />
Gesundheit und Krankheit<br />
<strong>über</strong> Armut und Hunger,<br />
Bildung und Kindersterblichkeit<br />
bis hin zum<br />
Zugang zu sauberem<br />
Wasser und ökologischer<br />
Nachhaltigkeit<br />
mens, wie z.B. Vietnam, zeigen bei den einzelnen<br />
Vermögensgruppen große vermögensbedingte<br />
Unterschiede im Bildungsbereich. Die<br />
Daten zu den vermögensbedingten Unterschieden<br />
im Gesundheits- und Bildungsbereich<br />
stützen eine unbestreitbare Schlussfolgerung:<br />
Damit <strong>die</strong> Ziele von so vielen Ländern<br />
und so vielen Menschen wie möglich erreicht<br />
werden können, sollte der politische Schwerpunkt<br />
auf der Schließung der Vermögenskluft<br />
innerhalb der einzelnen Länder liegen.<br />
GEFÄLLE ZWISCHEN STADT UND LAND<br />
Auch das zunehmende Gefälle zwischen städtischen<br />
und ländlichen Regionen weist auf<br />
eine Entwicklungsschieflage hin. In einigen<br />
afrikanischen Ländern legen <strong>die</strong> Fortschritte<br />
auf dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
nahe, dass das Gefälle zwischen<br />
Stadt und Land trotz insgesamt zufriedenstellender<br />
Leistungen in Bezug auf <strong>die</strong> meisten Indikatoren<br />
fortbesteht – oder sich vergrößert. 28<br />
In acht von elf Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />
ist <strong>die</strong> allgemeine Armutsquote zurückgegangen<br />
– auf dem Lande hat sich <strong>die</strong>s weitaus<br />
langsamer abgespielt, besonders im Niger, Senegal<br />
und in Tansania.<br />
Wie beim Vermögensgefälle spiegelt sich<br />
<strong>die</strong> Kluft zwischen Stadt und Land auch in<br />
ungleichmäßigen Fortschritten im Gesundheits-<br />
und Bildungsbereich wider. In 26 Ländern<br />
in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />
haben <strong>die</strong> ländlichen Gebiete bei vielen der<br />
Millenniums-Entwicklungsziele zu kämpfen. 29<br />
Meistens ist <strong>die</strong>s im Verhältnis zu den städtischen<br />
Regionen zu sehen, doch in einigen Fällen<br />
sind es absolute Rückschritte (wobei sich<br />
<strong>die</strong> Bedingungen in ländlichen Gebieten verschlechtern<br />
und in städtischen Gebieten verbessern).<br />
Zwischen Ende der 1980er Jahre<br />
und Mitte bis Ende der 1990er Jahre vergrößerte<br />
sich der Abstand zwischen ländlichen<br />
und städtischen Haushalten bei der Kindersterblichkeit<br />
in 14 von 26 der untersuchten<br />
Länder.<br />
Entsprechend ist es auch sehr viel wahrscheinlicher,<br />
dass Kinder in den Städten eine<br />
anständige Schulbildung erhalten. Arme Eltern<br />
in ländlichen Regionen zögern oft, ihre<br />
Kinder zur Schule zu schicken, und <strong>die</strong> Kinder,<br />
<strong>die</strong> in armen ländlichen Regionen zur<br />
Schule gehen, leiden oft darunter, dass nicht<br />
genug Lehrer, Schulbücher und Klassenräume<br />
zu Verfügung stehen. In Entwicklungsländern<br />
ist <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />
Mann, der in einer ländlichen Region lebt,<br />
Analphabet ist, doppelt so hoch wie in der<br />
Stadt. 30 Die größten Disparitäten zwischen<br />
Stadt und Land gibt es im Bildungsbereich in<br />
Südasien.<br />
DIE KLUFT ZWISCHEN DEN<br />
GESCHLECHTERN<br />
Die Millenniums-Erklärung ruft dazu auf,<br />
Frauen politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich<br />
zu stärken. Das dritte Millenniums-<br />
Entwicklungsziel zielt deshalb darauf ab, <strong>die</strong><br />
Kluft zwischen Jungen und Mädchen bei<br />
der Primar- und Sekundarschulbildung und<br />
schließlich auch bei der höheren Bildung zu<br />
verringern. Doch <strong>die</strong> geschlechtsspezifischen<br />
Unterschiede im Bildungsbereich machen nur<br />
einen kleinen Teil der Ungleichheit zwischen<br />
den Geschlechtern aus. Wie in <strong>die</strong>sem Bericht<br />
argumentiert wird, ist <strong>die</strong> Gleichstellung der<br />
Geschlechter entscheidend dafür, ob <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erreicht werden<br />
oder nicht – von Gesundheit und Krankheit<br />
<strong>über</strong> Armut und Hunger, Bildung und Kindersterblichkeit<br />
bis hin zum Zugang zu sauberem<br />
Wasser und ökologischer Nachhaltigkeit.<br />
Ein deutlicher Indikator für <strong>die</strong> Krise im<br />
Geschlechterverhältnis ist <strong>die</strong> Kluft bei den<br />
Sterblichkeitsraten von Männern und Frauen.<br />
Trotz ihres biologischen Vorteils haben Frauen<br />
in einer Reihe von Ländern, hauptsächlich<br />
in Süd- und Ostasien, <strong>die</strong> höheren Sterblichkeitsraten.<br />
Das Phänomen der „fehlenden<br />
Frauen“ bezieht sich auf Frauen und<br />
Mädchen, von denen man schätzt, dass sie in<br />
Folge von Diskriminierung beim Zugang zu<br />
Gesundheit und Ernährung gestorben sind.<br />
Volkszählungsdaten weisen darauf hin, dass<br />
<strong>die</strong> Anzahl der fehlenden Frauen zugenommen<br />
hat, ihr Anteil an den heute lebenden<br />
Frauen jedoch gefallen ist. Verbesserungen<br />
gab es in Bangladesch, Pakistan und den meisten<br />
arabischen Staaten. In In<strong>die</strong>n fielen sie je-<br />
62 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
doch nur gering aus, und in China kam es zu<br />
Verschlechterungen. 31 Gerade umgekehrt<br />
sterben in einigen westlichen Staaten der GUS<br />
<strong>die</strong> Männer bis zu 15 Jahre früher als <strong>die</strong> Frauen.<br />
32<br />
Doch in den meisten Fällen fällt <strong>die</strong> geschlechtsspezifische<br />
Diskriminierung mit anderen<br />
Vorurteilen gegen persönliche Besonderheiten<br />
zusammen, wie Herkunft (ländliche<br />
Regionen), ethnische Zugehörigkeit (indigene<br />
Minderheiten) und sozio-ökonomische Gruppenzugehörigkeit<br />
(ärmste Haushalte). Geschlechterdisparitäten<br />
im Gesundheits- und<br />
besonders im Bildungsbereich sind wesentliche<br />
Ursachen für geschlechtsspezifische Diskriminierung.<br />
In vielen Entwicklungsländern<br />
ist <strong>die</strong> geschlechtsspezifische Kluft in der Primar-<br />
und Sekundarschulbildung beim ärmsten<br />
Fünftel der Bevölkerung sehr viel größer.<br />
Außerdem hat sich <strong>die</strong> Situation in den meisten<br />
<strong>die</strong>ser Länder in den 1990er Jahren nicht<br />
bedeutend geändert – was Hinweise auf <strong>die</strong><br />
Diskriminierung von Mädchen auf Haushaltsebene,<br />
insbesondere in armen Haushalten,<br />
stützt. 33<br />
Weltweit machen Frauen etwas weniger<br />
als <strong>die</strong> Hälfte der Erwachsenen aus, <strong>die</strong> mit<br />
HIV/AIDS leben. Doch in Afrika südlich der<br />
Sahara, wo sich das Virus hauptsächlich durch<br />
heterosexuelle Aktivitäten ausbreitet, sind<br />
mehr als 55 Prozent der infizierten Erwachsenen<br />
Frauen. 34 Junge Frauen sind in <strong>die</strong>ser Re-<br />
gion zwei- bis viermal gefährdeter, sich zu infizieren,<br />
als junge Männer. In Süd- und Südostasien<br />
sind 60 Prozent der jungen Menschen<br />
mit HIV/AIDS weiblich. 35<br />
* * *<br />
Dass alle Länder <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
sinnvoll erreichen können, steht<br />
außer Zweifel. In allen Regionen der Welt und<br />
von unterschiedlichem Entwicklungsstand ausgehend<br />
gibt es Länder, <strong>die</strong> bedeutende Fortschritte<br />
gemacht haben. Auch haben Länder<br />
Fortschritte gemacht, ohne dass dabei <strong>die</strong> Ungleichheit<br />
gestiegen ist. In den folgenden Kapiteln<br />
<strong>die</strong>ses Berichts wird untersucht, was hinter<br />
<strong>die</strong>sen Erfolgen steckt und wie <strong>die</strong>se Erfolge in<br />
Ländern wiederholt werden können, <strong>die</strong> es<br />
noch nicht geschafft haben. Viele der Schritte<br />
auf dem Weg zum Erfolg sind bekannt. Doch<br />
sicherzustellen, dass <strong>die</strong>ser Weg auch begangen<br />
wird, erfordert grundlegende Veränderungen<br />
im <strong>entwicklung</strong>spolitischen Denken. Die<br />
traditionellen Ansätze, bei denen man versucht,<br />
angesichts politischer Schwächen und<br />
stark beschränkter Mittel das Möglichste zu<br />
tun, werden nicht ausreichen. Im letzten Kapitel<br />
<strong>die</strong>ses Berichts geht es um <strong>die</strong> zentralen, bereichs<strong>über</strong>greifenden<br />
Maßnahmen, <strong>die</strong> erforderlich<br />
sind, um das für <strong>die</strong> Zielerreichung<br />
nötige Umfeld zu schaffen. Der Schwerpunkt<br />
liegt dabei auf den Maßnahmen, <strong>die</strong> auf Seiten<br />
der reichen Länder gefordert sind.<br />
Dass alle Länder <strong>die</strong><br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele sinnvoll<br />
erreichen können, steht<br />
außer Zweifel<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 63
Feature 2.1 Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
Millenniums-Entwicklungsziele Regional<strong>über</strong>sicht<br />
Armut<br />
Prozentsatz der Bevölkerung mit weniger als 1 $ pro Tag<br />
GEGENWÄRTIGER TREND<br />
50<br />
Süd-<br />
Afrika<br />
asien<br />
40 südlich<br />
der Sahara<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Hunger<br />
Prozentsatz der unter Mangelernährung leidenden Bevölkerung<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Primarschulbildung<br />
Nettoeinschulungsquote in der Primarstufe (in Prozent)<br />
100<br />
Ziel = 100%<br />
2015<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
Afrika<br />
südlich<br />
der Sahara<br />
Ziel<br />
2015<br />
1990 2000<br />
Afrika<br />
südlich<br />
der Sahara<br />
Ziel<br />
2015<br />
GEGENWÄRTIGER TREND<br />
Südasien<br />
Südasien<br />
GEGENWÄRTIGER TREND<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
* bezieht sich auf <strong>die</strong> Bevölkerung mit weniger als 2$ pro Tag.<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Rückgang=Verbesserung<br />
1990 1999<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie<br />
GUS*<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Rückgang=Verbesserung<br />
1990–92 1998–2000<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
64 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Ziel<br />
2015<br />
Ziel<br />
2015<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS
Millenniums-Entwicklungsziele Regional<strong>über</strong>sicht<br />
Gleichstellung der Geschlechter<br />
Verhältnis Mädchen/Jungen in der Primar- und Sekundarschulbildung (in Prozent)<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
Kindersterblichkeit<br />
Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren pro 1.000 Lebendgeburten<br />
175<br />
Afrika südlich<br />
150 der Sahara<br />
125<br />
100<br />
75<br />
50<br />
25<br />
0<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Ziel = 100%<br />
2005<br />
1990 1998<br />
GEGENWÄRTIGER TREND<br />
Zugang zu Wasser<br />
Prozentsatz der Bevölkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
1990 2000<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Südasien<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Zugang zu Sanitärversorgung<br />
Prozentsatz der Bevölkerung mit Zugang zu angemessener Sanitärversorgung<br />
1990 2000 Ziel<br />
2015<br />
Süd-<br />
Asien<br />
Südasien<br />
Ziel<br />
2015<br />
Südasien<br />
Ziel<br />
2015<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Rückgang=Verbesserung<br />
1990 2001 Ziel<br />
2015<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
Mittelund<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 65
Einkommensarmut<br />
BIP pro Kopf (Kaufkraftparität (PPP) in Tausend US$)<br />
Länder, <strong>die</strong> 1990 ein Einkommen von 10.000 Dollar oder weniger hatten<br />
Ländereinstufung nach<br />
Werten von 1990<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
TANSANIA, VER. REP.<br />
MALAWI<br />
ÄTHIOPIEN<br />
MALI<br />
MOSAMBIK<br />
BENIN<br />
NIGERIA<br />
BURKINA FASO<br />
MADAGASKAR<br />
SIERRA LEONE<br />
SAMBIA<br />
NIGER<br />
BURUNDI<br />
UGANDA<br />
TSCHAD<br />
KENIA<br />
GUINEA-BISSAU<br />
KONGO<br />
SENEGAL<br />
ZENTRALAFRIK. REPUBLIK<br />
RUANDA<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
GUINEA<br />
MAURETANIEN<br />
KONGO, DEM. REP.<br />
KAMERUN<br />
GHANA<br />
TOGO<br />
LESOTHO<br />
GAMBIA<br />
KOMOREN<br />
ANGOLA<br />
SIMBABWE<br />
KAP VERDE<br />
SWAZILAND<br />
NAMIBIA<br />
BOTSUANA<br />
GABUN<br />
MAURITIUS<br />
Süd-<br />
Asien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
NEPAL<br />
BANGLADESCH<br />
PAKISTAN<br />
INDIEN<br />
SRI LANKA<br />
IRAN, ISLAM. REP.<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
LAOS, DEM. VR.<br />
VIETNAM<br />
KAMBODSCHA<br />
CHINA<br />
MONGOLEI<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
INDONESIEN<br />
SALOMONEN<br />
VANUATU<br />
PHILIPPINEN<br />
FIDSCHI<br />
THAILAND<br />
SAMOA (WESTL.)<br />
MALAYSIA<br />
KOREA, REP.<br />
Regionale Verteilung<br />
der Menschen mit<br />
weniger als 1$ pro<br />
Tag (PPP)<br />
Weltgesamtzahl – 1,169<br />
Milliarden im Jahr 1999<br />
Südasien<br />
42%<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara 27%<br />
24%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik 5%<br />
Mitte- und Osteuropa<br />
sowie GUS 2%<br />
2 4 6 8 10 12<br />
RÜCKSCHRITT<br />
2001<br />
1990<br />
FORTSCHRITT<br />
2001<br />
2 4 6 8 10 12<br />
Arabische Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
YEMEN<br />
SUDAN<br />
LIBANON<br />
SYRIEN, ARAB. REP.<br />
ÄGYPTEN<br />
MAROKKO<br />
DSCHIBUTI<br />
JORDANIEN<br />
TUNESIEN<br />
ALGERIEN<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
BOLIVIEN<br />
HAITI<br />
HONDURAS<br />
GUAYANA<br />
ECUADOR<br />
PERU<br />
JAMAIKA<br />
GUATEMALA<br />
EL SALVADOR<br />
ST. VINCENT U. GRENADINEN<br />
PANAMA<br />
BELIZE<br />
DOMINIKANISCHE REP.<br />
DOMINICA<br />
ST. LUCIA<br />
GRENADA<br />
PARAGUAY<br />
CHILE<br />
VENEZUELA<br />
BRASILIEN<br />
KOLUMBIEN<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
URUGUAY<br />
COSTA RICA<br />
MEXIKO<br />
ANTIGUA UND BARBUDA<br />
ST. KITTS UND NEVIS<br />
ARGENTINIEN<br />
2 4 6 8 10 12<br />
Mittel- und<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
USBEKISTAN<br />
ALBANIEN<br />
TADSCHIKISTAN<br />
ARMENIEN<br />
KIRGISISTAN<br />
MOLDAU, REP.<br />
GEORGIEN<br />
RUMÄNIEN<br />
POLEN<br />
MAZEDONIEN, EHEM. JUGOSL. REP.<br />
TURKMENISTAN<br />
BULGARIEN<br />
KASACHSTAN<br />
BELARUS<br />
UKRAINE<br />
KROATIEN<br />
ESTLAND<br />
RUSSISCHE FÖDERATION<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Keine Daten<br />
Anzahl der Menschen mit weniger<br />
als 1$ pro Tag, 1999 (Millionen)<br />
Afrika südlich der Sahara 315<br />
Südasien 488<br />
Ostasien und Pazifikraum 279<br />
Arabische Staaten 6<br />
Lateinamerika und Karibik 57<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS* 97<br />
2 4 6 8 10 12<br />
66 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
n n n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
n n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
n<br />
2 4 6 8 10 12<br />
2 4 6 8 10 12<br />
* bezieht sich auf den Anteil der Bevölkerung mit weniger als 2$ pro Tag.
Hunger<br />
Unterernährte Menschen in Prozent der Gesamtbevölkerung<br />
LÄNDEREINSTUFUNG<br />
NACH WERTEN VON 1990<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
MOSAMBIK<br />
ANGOLA<br />
TSCHAD<br />
BURUNDI<br />
ZENTRALAFRIK. REPUBLIK<br />
MALAWI<br />
KENIA<br />
SIERRA LEONE<br />
SAMBIA<br />
SIMBABWE<br />
NIGER<br />
GUINEA<br />
KONGO<br />
TANSANIA, VER. REP.<br />
MADAGASKAR<br />
GHANA<br />
RUANDA<br />
LIBERIA<br />
KONGO, DEM. REP.<br />
KAMERUN<br />
TOGO<br />
LESOTHO<br />
MALI<br />
SENEGAL<br />
BURKINA FASO<br />
UGANDA<br />
GAMBIA<br />
BENIN<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
BOTSUANA<br />
NAMIBIA<br />
MAURETANIEN<br />
NIGERIA<br />
GABUN<br />
SWASILAND<br />
MAURITIUS<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
AFGHANISTAN<br />
BANGLADESCH<br />
SRI LANKA<br />
INDIEN<br />
PAKISTAN<br />
NEPAL<br />
IRAN, ISLAM. REP.<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
KAMBODSCHA<br />
MONGOLEI<br />
LAOS, DEM. VR<br />
THAILAND<br />
VIET NAM<br />
PHILIPPINEN<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
KOREA, DEM. VR<br />
CHINA<br />
MYANMAR<br />
Regionale Verteilung<br />
der unterernährten<br />
Menschen,<br />
1998-2000<br />
Insgesamt–<br />
827,5 Millionen<br />
RÜCKSCHRITT<br />
1998-2000<br />
1990-92<br />
Südasien<br />
40%<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara 22%<br />
24%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
FORTSCHRITT<br />
1998-2000<br />
Arabische<br />
Staaten 4%<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik 7%<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS 4%<br />
ZIEL<br />
2015<br />
70 60 50 40 30 20 10<br />
70 60 50 40 30 20 10 0<br />
Arabische<br />
0 Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
SOMALIA<br />
JEMEN<br />
SUDAN<br />
KUWAIT<br />
IRAK<br />
MAROKKO<br />
ALGERIEN<br />
ÄGYPTEN<br />
SYRIEN, ARAB. REP.<br />
JORDANIEN<br />
SAUDI-ARABIEN<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
70 60 50 40 30 20 10 0<br />
HAITI<br />
PERU<br />
NICARAGUA<br />
DOMINIKANISCHE REP.<br />
BOLIVIEN<br />
HONDURAS<br />
PANAMA<br />
GUYANA<br />
PARAGUAY<br />
KOLUMBIEN<br />
GUATEMALA<br />
JAMAIKA<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
BRASILIEN<br />
EL SALVADOR<br />
SURINAME<br />
VENEZUELA<br />
ECUADOR<br />
CHILE<br />
COSTA RICA<br />
URUGUAY<br />
KUBA<br />
MEXIKO<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Keine Daten<br />
Anzahl der mangelernährten Menschen<br />
1998-2000 (Millionen)<br />
Afrika südlich der Sahara 183.3<br />
Südasien 333.6<br />
Ostasien und Pazifikraum 193.3<br />
Arabische Staaten 32.2<br />
Lateinamerika und Karibik 54.9<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 30.2<br />
70 60 50 40 30 20 10 0<br />
70 60 50 40 30 20 10 0<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 67
Primarschulbidung<br />
Nettoeinschulungsverhältnis in der Primarstufe (in Prozent)<br />
LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />
WERTEN VON 1990<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
MALI<br />
ERITREA<br />
NIGER<br />
BURKINA FASO<br />
MOZAMBIK<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
SENEGAL<br />
BENIN<br />
MALAWI<br />
GAMBIA<br />
TANSANIA, VER. REP.<br />
BURUNDI<br />
ZENTRALAFRIK. REP.<br />
KONGO, DEM. REP.<br />
RUANDA<br />
LESOTHO<br />
TOGO<br />
SWASILAND<br />
NAMIBIA<br />
BOTSUANA<br />
MAURITIUS<br />
SÜDAFRIKA<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
BANGLADESCH<br />
IRAN, ISLAM. REP.<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
LAOS, DEM. VR<br />
CHINA<br />
INDONESIEN<br />
PHILIPPINEN<br />
KOREA, REP.<br />
FIDSCHI<br />
Regionale Verteilung<br />
der nicht eingeschulten<br />
Kinder im<br />
Primarschulalter<br />
1998-2000<br />
Gesamtzahl – 114<br />
Millionen im Jahr 2000<br />
RÜCKSCHRITT<br />
2000<br />
1990<br />
FORTSCHRITT<br />
2000<br />
ZIEL=100%<br />
40 50 60 70 80 90 100<br />
Arabische<br />
Staaten 40 50 60 70 80 90 100<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
40<br />
40<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara 37%<br />
Südasien<br />
35%<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik 2%<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS 3%<br />
Arabische Staaten 7%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum 14%<br />
50 60 70 80 90 100<br />
50 60 70 80 90 100<br />
DSCHIBUTI<br />
KUWAIT<br />
MAROKKO<br />
SAUDI-ARABIEN<br />
JORDANIEN<br />
OMAN<br />
IRAK<br />
KATAR<br />
ALGERIEN<br />
TUNESIEN<br />
VER. ARAB. EMIRATE<br />
SYRIEN, ARAB. REP.<br />
BAHRAIN<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
KOLUMBIEN<br />
NICARAGUA<br />
EL SALVADOR<br />
BARBADOS<br />
COSTA RICA<br />
BRASILIEN<br />
CHILE<br />
VENEZUELA<br />
HONDURAS<br />
BOLIVIEN<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
URUGUAY<br />
PANAMA<br />
KUBA<br />
PARAGUAY<br />
GUYANA<br />
JAMAIKA<br />
BAHAMAS<br />
BELIZE<br />
MEXIKO<br />
Mittel- und<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
RUMÄNIEN<br />
LETTLAND<br />
BULGARIEN<br />
UNGARN<br />
ESTLAND<br />
MAZEDONIEN, EHEM. YUGOSL. REP.<br />
POLEN<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Keine Daten<br />
50 60 70 80 90 100<br />
68 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
40<br />
40<br />
Nettoeinschulung Primarstufe, 2000 (Millionen)<br />
Afrika südlich der Sahara 42.5<br />
Südasien 39.9<br />
Ostasien und Pazifikraum 15.4<br />
Arabische Staaten 8.1<br />
Lateinamerika und Karibik 2.2<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 3.6<br />
50 60 70 80 90 100
Gleichstellung der Geschlechter<br />
Verhältnis Mädchen/Jungen in der Primar- und Sekundarbildung (in Prozent)<br />
COUNTRY RANKING<br />
BY 1990 VALUE<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
GUINEA<br />
NIGER<br />
MALI<br />
TOGO<br />
BURKINA FASO<br />
GAMBIA<br />
SIERRA LEONE<br />
MAURETANIEN<br />
ÄTHIOPIEN<br />
SENEGAL<br />
KONGO, DEM. REP.<br />
MOSAMBIK<br />
MALAWI<br />
ERITREA<br />
BURUNDI<br />
KAMERUN<br />
KONGO<br />
SIMBABWE<br />
TANZANIA, VER. REP.<br />
RUANDA<br />
MAURITIUS<br />
SÜDAFRIKA<br />
BOTSUANA<br />
NAMIBIA<br />
LESOTHO<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
NEPAL<br />
INDIEN<br />
BANGLADESCH<br />
IRAN, ISLAM. REP.<br />
SRI LANKA<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
LAOS, DEM. VR<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
CHINA<br />
VANUATU<br />
INDONESIA<br />
TONGA<br />
KOREA, REP.<br />
BRUNEI DARUSSALAM<br />
THAILAND<br />
MYANMAR<br />
MALAYSIA<br />
SAMOA (WESTL.)<br />
MONGOLEI<br />
Regionale Verteilung<br />
der nicht eingeschulten<br />
Mädchen im<br />
Primaralter<br />
1998-2000<br />
Weltgesamtzahl 63<br />
Millionen im Jahr 2000<br />
REVERSAL<br />
2000<br />
1990<br />
Südasien<br />
41%<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara 35%<br />
PROGRESS<br />
2000<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik 2%<br />
Arabische<br />
Staaten 8%<br />
Mittel- und<br />
Osteuropa 3%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum 11%<br />
GOAL=100%<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
MAROKKO<br />
DSCHIBUTI<br />
IRAK<br />
SUDAN<br />
ÄGYPTEN<br />
ALGERIEN<br />
TUNESIEN<br />
SAUDI-ARABIEN<br />
SYRIEN, ARAB. REP.<br />
OMAN<br />
JORDANIEN<br />
KATAR<br />
VER. ARAB. EMIRATE<br />
KUWAIT<br />
BAHRAIN<br />
Lateiamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
BOLIVIEN<br />
PERU<br />
PARAGUAY<br />
MEXIKO<br />
COSTA RICA<br />
PANAMA<br />
BELIZE<br />
ECUADOR<br />
JAMAIKA<br />
CHILE<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
BAHAMAS<br />
EL SALVADOR<br />
VENEZUELA<br />
KUBA<br />
SURINAME<br />
ST. LUCIA<br />
KOLUMBIEN<br />
Mittel- und<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
ALBANIEN<br />
LITAUEN<br />
TSCHECH. REP.<br />
MAZEDONIEN, EHEM. JUGOSL. REP.<br />
GEORGIEN<br />
ASERBEIDSCHAN<br />
BULGARIEN<br />
RUMÄNIEN<br />
UNGAN<br />
POLEN<br />
LETTLAND<br />
SLOWAKEI<br />
ESTLAND<br />
KIRGISISTAN<br />
MOLDAU, REP.<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Anzahl nicht eingeschulter Mädchen im<br />
Primarschulalter, 2000 (Millionen)<br />
Afrika südlich der Sahara 22.1<br />
Südasien 26.1<br />
Ostasien und Pazifikraum 6.9<br />
Arabische Staaten 4.8<br />
Lateinamerika und Karibik 1.2<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 1.9<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
50 60 70 80 90 100 110<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 69
Kindersterblichkeit<br />
Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren (pro 1.000 Lebendgeburten)<br />
LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />
WERTEN VON 1990<br />
Afrika südlich der Sahara<br />
REGIONADURCHSCHNITT<br />
SIERRA LEONE<br />
NIGER<br />
ANGOLA<br />
MALI<br />
GUINEA-BISSAU<br />
MALAWI<br />
GUINEA<br />
LIBERIA<br />
MOSAMBIK<br />
BURKINA FASO<br />
ÄQUATORIALGUINEA<br />
KONGO, DEM. REP.<br />
TSCHAD<br />
ÄTHIOPIEN<br />
SAMBIA<br />
BURUNDI<br />
NIGERIA<br />
BENIN<br />
MAURETANIEN<br />
ZENTRALAFRIK. REP.<br />
RUANDA<br />
MADAGASKAR<br />
UGANDA<br />
TANZANIA, VER. REP.<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
ERITREA<br />
GAMBIA<br />
TOGO<br />
SENEGAL<br />
LESOTHO<br />
KAMERUN<br />
GHANA<br />
KOMOREN<br />
SWASILAND<br />
KONGO<br />
KENIA<br />
GABUN<br />
SAO TOME UND PRINCIPE<br />
NAMIBIA<br />
SIMBABWE<br />
SÜDAFRIKA<br />
KAP VERDE<br />
BOTSUANA<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
AFGHANISTAN<br />
BHUTAN<br />
NEPAL<br />
BANGLADESCH<br />
PAKISTAN<br />
INDIA<br />
MALEDIVEN<br />
IRAN, ISLAM. REP.<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
LAOS, DEM. VR<br />
MYANMAR<br />
KAMBODSCHA<br />
MONGOLEI<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
MARSHALLINSELN<br />
INDONESIEN<br />
KIRIBATI<br />
VANUATU<br />
PHILIPPINEN<br />
KOREA, DEM. VR<br />
VIETNAM<br />
CHINA<br />
SAMOA (WESTL.)<br />
THAILAND<br />
SALOMONEN<br />
MIKRONESIEN, FÖD. STAATEN<br />
FIDSCHI<br />
RÜCKSCHRITT<br />
2001<br />
1990<br />
FORTSCHRITT<br />
2001<br />
ZIEL<br />
2015<br />
200 150 100 50<br />
0<br />
Anzahl der Todesfälle unter fünf<br />
Jahren, 2000 (millions)<br />
Afrika südlich der Sahara 4.5<br />
Südasien 3.6<br />
Ostasien und Pazifikraum 1.4<br />
Arabische Staaten 0.6<br />
Lateinamerika und Karibik 0.4<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 0.2<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
SOMALIA<br />
DSCHIBUTI<br />
JEMEN<br />
SUDAN<br />
ÄGYPTEN<br />
MAROKKO<br />
ALGERIEN<br />
TUNESIEN<br />
IRAK<br />
SYRIEN, ARAB. REP.<br />
SAUDI-ARABIEN<br />
JORDANIEN<br />
LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />
LIBANON<br />
OMAN<br />
200 150 100 50 0<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
HAITI<br />
BOLIVIEN<br />
GUYANA<br />
GUATEMALA<br />
PERU<br />
NICARAGUA<br />
DOMINIKANISCHE REP.<br />
HONDURAS<br />
EL SALVADOR<br />
BRASILIEN<br />
ECUADOR<br />
BELIZE<br />
MEXIKO<br />
SURINAME<br />
200 150 100 50 0<br />
PARAGUAY<br />
GRENADA<br />
ST. KITTS UND NEVIS<br />
KOLUMBIEN<br />
PANAMA<br />
Mittel- und<br />
Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
TADSCHIKISTAN<br />
ASERBEIDSCHAN<br />
TURKMENISTAN<br />
KIRGISISTAN<br />
USBEKISTAN<br />
ARMENIEN<br />
KASACHSTAN<br />
ALBANIEN<br />
MOLDAU, REP.<br />
RUMÄNIEN<br />
MAZEDONIEN, EHEM. JUG. REP.<br />
Länder mit<br />
höchster Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Regionale Verteilung<br />
der Todesfälle<br />
unter 5 Jahren,<br />
2000 (Millionen<br />
Weltgesamtzahl 10,8<br />
Millionen im Jahr 2000<br />
Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
42%<br />
200 150 100 50 0<br />
200 150 100 50 0<br />
200 150 100 50 0<br />
70 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Südasien<br />
34%<br />
Länder mit<br />
hoher Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS 2%<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik 4%<br />
Arabische<br />
Staaten 6%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum 13%
Zugang zu Wasser<br />
Menschen ohne Zugang zu besseren Wasserquellen (prozentualer Anteil der Bevölkerung)<br />
LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />
WERTEN VON 1990<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
ÄTHIOPIEN<br />
MAURETANIEN<br />
TANSANIA, VER. REP.<br />
MADAGASKAR<br />
GUINEA<br />
UGANDA<br />
KENIA<br />
ZENTRALAFRIK. REP.<br />
MALAWI<br />
TOGO<br />
KAMERUN<br />
SAMBIA<br />
NIGER<br />
NIGERIA<br />
GHANA<br />
MALI<br />
BURUNDI<br />
NAMIBIA<br />
SENEGAL<br />
SIMBABWE<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
SÜDAFRIKA<br />
KOMOREN<br />
BOTSUANA<br />
MAURITIUS<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
NEPAL<br />
SRI LANKA<br />
INDIEN<br />
PAKISTAN<br />
BANGLADESCH<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
VIETNAM<br />
CHINA<br />
INDONESIEN<br />
THAILAND<br />
PHILIPPINEN<br />
SINGAPUR<br />
Regionale Verteilung<br />
der Menschen ohne<br />
Zugang zu besseren<br />
Wasserquellen, 2000<br />
Weltgesamtzahl – 1,16<br />
Milliarden im Jahr 2000<br />
RÜCKSCHRITT<br />
2000<br />
1990<br />
Südasien<br />
19%<br />
38%<br />
Ostasien<br />
und Pazifikraum<br />
Afrika<br />
südlich<br />
der Sahara<br />
23%<br />
FORTSCHRITT<br />
2000<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik 6%<br />
Arabische<br />
Staaten 3%<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS3%<br />
ZIEL<br />
2015<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100 Arabische Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
OMAN<br />
SUDAN<br />
LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />
TUNESIEN<br />
MAROKKO<br />
ÄGYPTEN<br />
JORDANIEN<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
HAITI<br />
PARAGUAY<br />
EL SALVADOR<br />
NICARAGUA<br />
BOLIVIEN<br />
ECUADOR<br />
PERU<br />
GUATEMALA<br />
MEXIKO<br />
DOMINIKANISCHE REP.<br />
BRASILIEN<br />
HONDURAS<br />
CHILE<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
JAMAIKA<br />
KOLUMBIEN<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Keine Daten<br />
Anzahl der Menschen ohne Zugang zu<br />
besseren Wasserquellen, 2000 (millions)<br />
Afrika südlich der Sahara 264.5<br />
Südasien 215.8<br />
Ostasien und Pazifikraum 440.3<br />
Arabische Staaten 39.6<br />
Lateinamerika und Karibik 69.4<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 29.6<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 71
Zugang zu Sanitärversorgung<br />
Menschen mit Zugang zu angemessener Sanitärversorgung (prozentualer Anteil der Bevölkerung)<br />
LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />
WERTEN VON 1990<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
ÄTHIOPIEN<br />
NIGER<br />
TSCHAD<br />
BENIN<br />
ZENTRALAFRIK. REP.<br />
MAURETANIEN<br />
NAMIBIA<br />
MADAGASKAR<br />
TOGO<br />
GUINEA-BISSAU<br />
CÔTE D'IVOIRE<br />
NIGERIA<br />
GUINEA<br />
SIMBABWE<br />
SENEGAL<br />
BOTSUANA<br />
GHANA<br />
SAMBIA<br />
MALI<br />
MALAWI<br />
KAMERUN<br />
KENIA<br />
TANSANIA, VER. REP.<br />
SÜDAFRIKA<br />
BURUNDI<br />
KOMOREN<br />
MAURITIUS<br />
Südasien<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
INDIEN<br />
NEPAL<br />
PAKISTAN<br />
BANGLADESCH<br />
SRI LANKA<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
CHINA<br />
VIETNAM<br />
INDONESIEN<br />
PHILIPPINEN<br />
THAILAND<br />
PAPUA-NEUGUINEA<br />
SINGAPUR<br />
Regionale Verteilung<br />
der Menschen ohne<br />
Zugang zu angemessenerSanitärversorgung,<br />
2000<br />
Weltgesamtzahl – 2,361<br />
Milliarden im Jahr 2000<br />
RÜCKSCHRITT<br />
2000<br />
1990<br />
Südasien<br />
38%<br />
42%<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
FORTSCHRITT<br />
2000<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara 12%<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik 5%<br />
Arab. Staaten 2%<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS 1%<br />
ZIEL<br />
2015<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100 Arabische Staaten<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
20 30 40 50 60 70 80 90<br />
Lateinamerika<br />
und Karibik<br />
REGIONALDURCHSCHNITT<br />
HAITI<br />
BOLIVIEN<br />
PERU<br />
HONDURAS<br />
DOMINIKANISCHE REP.<br />
MEXIKO<br />
GUATEMALA<br />
ECUADOR<br />
BRASILIEN<br />
EL SALVADOR<br />
NICARAGUA<br />
KOLUMBIEN<br />
PARAGUAY<br />
CHILE<br />
JAMAIKA<br />
TRINIDAD UND TOBAGO<br />
100<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
JEMEN<br />
SUDAN<br />
MAROKKO<br />
TUNESIEN<br />
OMAN<br />
ÄGYPTEN<br />
LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />
JORDANIEN<br />
Länder mit höchster<br />
Priorität<br />
(in Fettdruck und Farbe)<br />
Länder mit hoher<br />
Priorität<br />
(in Farbe)<br />
Keine Daten<br />
Anzahl der Menschen ohne Zugang zu angemessener<br />
Sanitärversorgung, 2000 (millions)<br />
Afrika südlich der Sahara 281.9<br />
Südasien 907.1<br />
Ostasien und Pazifikraum 995.3<br />
Arabische Staaten 44.8<br />
Lateinamerika und Karibik 108.8<br />
Mittel- und Osteuropa sowie GUS 16.5<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
Quelle: : Einkommen: Berechnungen des Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten der Weltbank für BIP zu Marktpreisen (konstant 1995 US$), Bevölkerung<br />
und BIP pro Kopf (PPP US$), World Bank <strong>2003</strong>i; World Bank 2002f. Hunger: MEZ Indikatortabelle 1; FAO 2002b. Primarschulbildung:MEZ Indikatortabelle 1; UNESCO 2002a. Gleichstellung der<br />
Geschlechter: World Bank <strong>2003</strong>i; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; UNESCO 2002a. Kindersterblichkeit:World Bank<br />
<strong>2003</strong>i; UNICEF <strong>2003</strong>b. Zugang zu Wasser: UN <strong>2003</strong>c; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; Berechnungen des Büro für den<br />
Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von UN <strong>2003</strong>c, <strong>2003</strong>h. Zugang zu Sanitärversorgung: UN <strong>2003</strong>c; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; Berechnungen des Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von UN <strong>2003</strong>c, <strong>2003</strong>h.<br />
72 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Feature 2.2 Menschliche Entwicklung messen: Die Indizes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
Unterschiedliche Verläufe<br />
des HDI<br />
0,950<br />
0,900<br />
0,850<br />
0,800<br />
0,750<br />
0,700<br />
0,650<br />
0,600<br />
1975 2001<br />
Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />
Schweiz<br />
Finnland<br />
Venezuela<br />
Brasilien<br />
Der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
Der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung(human development<br />
index - HDI) ist ein einfaches zusammengefasstes Maß der drei<br />
Dimensionen des Konzepts <strong>menschliche</strong>r Entwicklung: ein langes<br />
und gesundes Leben zu führen und einen angemessenen Bildungs-<br />
und Lebensstandard zu haben (siehe technische Erläuterung).<br />
Es sind darin also Maße der Lebenserwartung, des Schulbesuchs,<br />
der Fähigkeit lesen und schreiben zu können und des<br />
Einkommens enthalten. Dies bietet eine breitere Sicht auf <strong>die</strong><br />
Entwicklung eines Landes, als <strong>die</strong>s mit der alleinigen Berücksichtigung<br />
des Einkommen möglich wäre — das zudem allzu oft mit<br />
Wohlergehen gleichgesetzt wird. Seit der Einführung des HDI<br />
im Jahr 1990 sind drei ergänzende Indices entwickelt worden,<br />
um besondere Aspekte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung hervorzuheben:<br />
der Index für <strong>menschliche</strong> Armut (human poverty index -<br />
HPI), der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex (gender-related<br />
development index - GDI) und das Maß für geschlechtsspezifische<br />
Ermächtigung (gender empowerment measure - GEM).<br />
Der HDI kann <strong>die</strong> Erfolge einiger Länder und <strong>die</strong> langsameren<br />
Fortschritte anderer Länder hervorheben. Venezuela startete<br />
1975 mit einem höheren HDI als Brasilien, doch Brasilien<br />
hat sehr viel schnellere Fortschritte gemacht. Finnland hatte 1975<br />
einen niedrigeren HDI als <strong>die</strong> Schweiz, liegt aber heute etwas<br />
weiter vorn. Die Rangfolgen beim HDI und beim Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) pro Kopf können ebenfalls voneinander abweichen.<br />
Dies zeigt, dass ein hohes Niveau <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
auch ohne hohes Einkommen erreicht werden kann, und<br />
dass ein hohes Einkommen keine Garantie für ein hohes Niveau<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung ist (siehe Indikatorentabelle 1). Pakistan<br />
und Vietnam haben ein ähnlich hohes Einkommen, aber Vietnam<br />
hat sehr viel mehr getan, um <strong>die</strong>ses Einkommen in<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung umzusetzen. In ähnlicher Weise hat Jamaika<br />
einen sehr viel besseren HDI erreicht als Marokko mit<br />
etwa gleich hohem Einkommen.<br />
Swasiland erreicht mit weniger als zwei Dritteln des Einkommens<br />
den gleichen HDI wie Botsuana, und das Gleiche gilt<br />
für <strong>die</strong> Philippinen und Thailand. Mit den richtigen politischen<br />
Strategien können also selbst Länder mit niedrigem Einkommen<br />
<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung voranbringen.<br />
Die meisten Regionen haben im Laufe der vergangenen<br />
zwanzig Jahre beim HDI stetige Fortschritte gemacht. Dabei<br />
schnitten Ostasien und der Pazifikraum in den 1990er Jahren be-<br />
HDI, HPI-1, HPI-2, GDI—gleiche Komponenten, unterschiedliche Messungen<br />
sonders gut ab. Auch in den arabischen Staaten hat es bedeutendes<br />
Wachstum gegeben, das <strong>über</strong> dem Entwicklungsländer-<br />
Durchschnitt lag. In Afrika südlich der Sahara dagegen hat es fast<br />
nur Stagnation gegeben. Befand sich Afrika im Jahr 1985 noch<br />
auf gleichem Niveau wie Südasien, ist es seitdem weit zurückgefallen.<br />
Es waren zwei Ländergruppen, <strong>die</strong> derartige Rückschritte<br />
erlitten haben: Die Länder der GUS, <strong>die</strong> einen Übergang zur<br />
Marktwirtschaft durchmachen, der für viele von ihnen lang und<br />
schmerzhaft ist, und <strong>die</strong> armen afrikanischen Länder, deren Entwicklung<br />
aus einer Vielzahl von Gründen behindert oder umgekehrt<br />
wurde, darunter HIV/AIDS sowie inner- und zwischenstaatliche<br />
Konflikte.<br />
Der HDI ist zwar ein nützlicher Ausgangspunkt, lässt jedoch<br />
entscheidende Aspekte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung unberücksichtigt,<br />
insbesondere <strong>die</strong> Möglichkeit, an den Entscheidungen<br />
teilzuhaben, <strong>die</strong> das eigene Leben beeinflussen. Man<br />
kann reich, gesund und gebildet sein, doch ohne <strong>die</strong>se Möglichkeit<br />
wird <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufgehalten.<br />
Dass <strong>die</strong> Freiheitsdimensionen beim HDI ausgelassen werden,<br />
wurde seit den ersten Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
betont — und brachte <strong>die</strong> Entwicklung eines Index der<br />
<strong>menschliche</strong>n Freiheit (human freedom index - HFI) im Jahr<br />
1991 und eines Index der politischen Freiheit (political freedom<br />
index - PFI) im Jahr 1992 voran. Weder das eine noch das andere<br />
Maß hatte allerdings <strong>über</strong> das erste Jahr hinaus Bestand, was<br />
beweist, wie schwierig es ist, so komplexe Aspekte <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung in einem einzigen Index angemessen zu erfassen.<br />
Das bedeutet jedoch nicht, dass bei der Zustandsbetrachtung der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung eines Landes Indikatoren für politische<br />
und bürgerliche Freiheiten völlig ignoriert werden können.<br />
Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen den Indices<br />
für <strong>menschliche</strong> Entwicklung und den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />
Die drei Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung,<br />
<strong>die</strong> durch den HDI erfasst werden, sind den Zielen 1 –7 sehr ähnlich,<br />
<strong>die</strong> den Schwerpunkt ebenfalls auf Bildung, Gesundheit<br />
und einen angemessenen Lebensstandard legen (siehe auch Kasten<br />
1.2 in Kapitel 1).Außerdem liegt der Schwerpunkt des GDI<br />
und des GEM (<strong>die</strong> jeweils darauf abzielen, <strong>die</strong> Ungleichheit der<br />
Geschlechter in Bezug auf <strong>menschliche</strong> Fähigkeiten und in politischen<br />
und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen zu erfassen)<br />
sehr stark auf den Bestrebungen von Ziel 3 zur Gleichstellung<br />
der Geschlechter und zur Ermächtigung der Frau.<br />
Index Lebensdauer Wissen Angemessener Lebensstandard Partizipation oder Ausgrenzung<br />
HDI Lebenserwartung bei 1. Alphabetenquote bei Erwachsenen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf —<br />
der Geburt 2. Kombinierte Einschulungsquote (US-Dollar-Kaufkraftparität)<br />
HPI-1 Wahrscheinlichkeit zum Analphabetenquote bei Erwachsenen Mängel bei der wirtschaftlichen Versorgung gemessen durch —<br />
Zeitpunkt der Geburt, 1. Anteil der Bevölkerung ohne nachhaltigen Zugang zu<br />
keine 40 Jahre alt einer besseren Wasserquelle<br />
zu werden 2. Anteil der Kinder unter fünf Jahren, <strong>die</strong> für ihr Alter<br />
Untergewicht haben<br />
HPI-2 Wahrscheinlichkeit zum Anteil der Erwachsenen, <strong>die</strong> funktionale Anteil der Bevölkerung unter der Einkommensarmutsgrenze Langzeitarbeitslosenquote<br />
Zeitpunkt der Geburt, Analphabeten sind (mit einem bereinigten verfügbaren Haushaltseinkommen (12 Monate oder länger)<br />
keine 60 Jahre alt von weniger als 50 Prozent des Medians)<br />
zu werden<br />
GDI Lebenserwartung von 1. Alphabetenquote bei erwachsenen Geschätztes Erwerbseinkommen von Frauen und Männern, —<br />
Frauen und Männern Frauen und Männern das <strong>die</strong> Verfügungsgewalt von Frauen und Männern<br />
zum Zeitpunkt der Geburt 2. Kombinierte Einschulungsquoten von <strong>über</strong> finanzielle Mittel widerspiegelt<br />
Mädchen und Jungen im Primar-,<br />
Sekundar- und Teritärbildungsbereich<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 73
Der Index für <strong>menschliche</strong> Armut<br />
Während der HDI <strong>die</strong> Gesamtfortschritte bei der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung in einem Land misst, spiegelt der Index für <strong>menschliche</strong><br />
Armut (HPI) wider, wie sich <strong>die</strong> Fortschritte verteilen, und<br />
misst <strong>die</strong> immer noch vorhandenen Entbehrungen. Der HPI<br />
misst <strong>die</strong> Mängel in denselben Dimensionen grundlegender<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung wie der HDI.<br />
HPI-1<br />
Der HPI-1 misst <strong>die</strong> Armut in Entwicklungsländern. Er konzentriert<br />
sich auf <strong>die</strong> Entbehrungen in drei Dimensionen: ein langes<br />
Leben, gemessen durch <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt<br />
der Geburt, keine 40 Jahre alt zu werden; Wissen, gemessen<br />
durch <strong>die</strong> Analphabetenquote bei Erwachsenen; und <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />
Versorgung, öffentlich und privat, gemessen durch<br />
den Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> keine besseren Wasserquellen<br />
nutzt, durch den Anteil ohne nachhaltigen Zugang zu einer besseren<br />
Wasserquelle und durch den Anteil der Kinder, <strong>die</strong> für ihr<br />
Alter Untergewicht haben.<br />
HPI-2<br />
Da sich <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Entbehrungen je nach gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Bedingungen einer Gemeinschaft unterscheiden,<br />
wurde ein gesonderter Index, der HPI-2, entwickelt,<br />
um <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut in ausgewählten OECD-Ländern zu<br />
messen, in denen auf mehr verfügbare Daten zurückgegriffen<br />
werden kann. Der HPI-2 legt den Schwerpunkt auf Mängel in<br />
denselben drei Dimensionen wie der HPI-1 sowie auf eine zusätzliche<br />
Dimension: <strong>die</strong> gesellschaftliche Ausgrenzung. Die verwendeten<br />
Indikatoren sind <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt<br />
der Geburt, keine 60 Jahre alt zu werden; der Anteil der<br />
funktionalen Analphabeten an der Bevölkerung im Erwachsenenalter,<br />
der Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> unterhalb der Einkommensarmutsgrenze<br />
lebt (mit bereinigtem verfügbarem Haushaltseinkommen<br />
von weniger als 50 Prozent des Mittelwertes) und <strong>die</strong><br />
Langzeitarbeitslosenquote (12 Monate oder länger).<br />
Der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex<br />
Der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex (GDI) misst <strong>die</strong><br />
Erfolge in denselben Dimensionen wie der HDI und verwendet<br />
<strong>die</strong>selben Indikatoren, doch er erfasst auch <strong>die</strong> ungleichen Fortschritte<br />
bei Frauen und Männern. Der Index ist einfach der HDI,<br />
der auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten heruntergebrochen<br />
wurde. Je größer <strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten bei der<br />
grundlegenden <strong>menschliche</strong>n Entwicklung sind, desto niedriger<br />
ist der GDI eines Landes im Vergleich zu seinem HDI.<br />
Das Maß für geschlechtsspezifische Ermächtigung<br />
Das Maß für geschlechtsspezifische Ermächtigung (GEM) gibt<br />
Aufschluss dar<strong>über</strong>, ob Frauen am wirtschaftlichen und politischen<br />
Leben aktiv teilnehmen können. Es legt den Schwerpunkt<br />
auf <strong>die</strong> Partizipation und misst <strong>die</strong> Ungleichheit der Geschlechter<br />
in Schlüsselbereichen wirtschaftlicher und politischer Beteiligung<br />
und Entscheidungsfindung. Es verfolgt den Frauenanteil<br />
im Parlament, in der Gesetzgebung, bei höheren Beamten und<br />
Führungskräften, bei Freiberuflern und Facharbeitern — und<br />
<strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten beim Erwerbseinkommen, das wirtschaftliche<br />
Unabhängigkeit widerspiegelt. Im Unterschied zum<br />
GDI deckt <strong>die</strong>ses Maß <strong>die</strong> Chancenungleichheit in ausgewählten<br />
Bereichen auf.<br />
1,00<br />
,900<br />
,800<br />
,700<br />
,600<br />
,500<br />
,400<br />
,300<br />
Gleiches Einkommen,<br />
unterschiedlicher HDI<br />
Einkommen<br />
Reales BIP pro Kopf<br />
(US-Dollar Kaufkraftparität)<br />
4,000<br />
3,500<br />
3,000<br />
2,500<br />
2,000<br />
Quelle: Indikatorentabelle 1.<br />
Südasien<br />
2001<br />
1995<br />
1990<br />
1985<br />
1980<br />
1975<br />
Index für<br />
<strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung<br />
FORTSCHRITTE RÜCKSCHRITTE<br />
74 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Afrika<br />
südlich<br />
der<br />
Sahara<br />
1995<br />
0.800<br />
Globale Disparitäten beim HDI<br />
Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
2001<br />
Jamaika<br />
0.700<br />
Vietnam<br />
Marokko<br />
0.600<br />
0.500<br />
Pakistan<br />
2001<br />
1990<br />
Arabische<br />
Staaten<br />
Alle<br />
Entwicklungsländer<br />
2001<br />
1990<br />
Ostasien<br />
und<br />
Pazifikraum<br />
Gleicher HDI, unterschiedliches<br />
Einkommen<br />
Einkommen<br />
Reales BIP pro Kopf<br />
(US-Dollar Kaufkraftparität)<br />
7,000<br />
6,000<br />
5,000<br />
4,000<br />
Quelle: Indikatorentabelle 1.<br />
Lateinamerika<br />
und<br />
Karibik<br />
1990<br />
1995<br />
2000<br />
MittelundOsteuropa<br />
sowie GUS<br />
Quelle: Berechnungen des UNDP-Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von<br />
Indikatorentabelle 2.<br />
Index für<br />
<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung<br />
0.800<br />
Thailand<br />
Philippinen<br />
0.700<br />
Botsuana<br />
0.600<br />
Swasiland<br />
0.500<br />
OECD-<br />
Länder mit<br />
hohem<br />
Einkommen
Feature 2.3 Die wachsende Kluft innerhalb einzelner Länder – zwischen Regionen und Bevölkerungsgruppen<br />
KARTE 1 Geographische Einkommensverteilung in China, 2000<br />
BIP pro Kopf nach<br />
Verwaltungsbezirk (10,000 Yuan)<br />
0–0,50<br />
0,50–1.00<br />
1,00–3,03<br />
Keine Angaben<br />
Subnationale sozioökonomische Daten geben wichtige Hinweise<br />
auf <strong>die</strong> Ungleichverteilung — selbst in Ländern, <strong>die</strong> im Durchschnitt<br />
bislang gute Fortschritte auf dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
gemacht haben. Hinweise auf eine unausgewogene<br />
Entwicklung helfen politische Prioritäten festzulegen.<br />
Insbesondere sollten <strong>die</strong> Bemühungen dahin gehen, <strong>die</strong> tief<br />
verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut zu beseitigen, von der bestimmte<br />
Gegenden und Bevölkerungsgruppen in Ländern betroffen sind,<br />
<strong>die</strong> ansonsten eine sehr viel höhere <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufweisen.<br />
Einige Länder stellen detaillierte subnationale Daten für<br />
eingehende sozioökonomische Analysen bereit sowie, wo möglich,<br />
räumliche Kartendarstellungen sozioökonomischer Variablen.<br />
Einige <strong>die</strong>ser Daten werden im Folgenden untersucht, denn<br />
sie bieten gute Beispiele für <strong>die</strong> langsam entstehende oder wachsende<br />
Kluft, bei der ganze Regionen oder Bevölkerungsgruppen<br />
(oder sowohl als auch) in einem oder mehreren Entwicklungsbereichen<br />
auf der Strecke bleiben.<br />
China: Schnelle Fortschritte, angeführt von den<br />
Küstenregionen<br />
China gehört zu den wenigen Ländern, <strong>die</strong> bei den Indikatoren<br />
der Millenniums-Entwicklungsziele insgesamt gut abschneiden.<br />
Doch in den jüngsten Jahrzehnten zeigen sich bei den Ergebnissen<br />
von Chinas wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung große<br />
Disparitäten zwischen den Küstenregionen und dem Hinterland.<br />
Dieser Trend spiegelt auch <strong>die</strong> Spaltung zwischen städtischen und<br />
ländlichen Regionen wider. In den Küstenregionen hat es durchweg<br />
das schnellste Wirtschaftswachstum gegeben. Zwischen 1978<br />
und 1998 stieg das Pro-Kopf-Einkommen um erstaunliche 11<br />
Prozent pro Jahr. Wenn man <strong>die</strong> Inflation unberücksichtigt lässt,<br />
heißt das, dass ein Einkommen von 100 US-Dollar im Jahr 1978<br />
innerhalb von 20 Jahren auf 800 US-Dollar gestiegen wäre.<br />
Außerdem machten <strong>die</strong> Küstenregionen in den 1990er Jahren<br />
noch schnellere Fortschritte. Das durchschnittliche Wachstum<br />
lag bei 13 Prozent pro Jahr – fünfmal so hoch wie in Chinas<br />
Peking<br />
Anmerkung: Verwaltungsbezirke mit sehr geringer Bevölkerungsdichte (<strong>die</strong> niedrigste bei 20 Prozent) wurden zusammengefasst,<br />
um dafür ein aggregiertes BIP pro Kopf zu berechnen, denn aufgrund der geringen Bevölkerung in <strong>die</strong>sen Gebieten lässt sich das<br />
Pro-Kopf-Einkommen nicht in hoher Auflösung in der Karte darstellen.<br />
Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />
am langsamsten wachsenden Regionen im Nordwesten, <strong>die</strong> weitab<br />
von der Küste liegen, wo der Handel boomt. Daraus folgt, dass<br />
sich der größte Teil des Volkseinkommens auf <strong>die</strong> Metropolen<br />
und <strong>die</strong> Küstenregionen konzentriert. Karte 1 zeigt <strong>die</strong> Verteilung<br />
der Höhe des Bruttoinlandsprodukts auf <strong>die</strong> verschiedenen Verwaltungseinheiten<br />
im Jahr 2000. Die Küstenregionen mit ihren<br />
großen Häfen und Hafenstädten verdanken ihren Wohlstand vor<br />
allem dem Export.<br />
Im Jahr 1999 standen <strong>die</strong> drei reichsten Metropolen Chinas<br />
– Shanghai, Peking und Tianjin – beim Index für <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung (HDI) an der Spitze der Rangfolge. Diejenigen, <strong>die</strong><br />
am unteren Ende standen, waren allesamt westliche Provinzen.<br />
Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> Ungleichverteilung in den ärmsten Provinzen<br />
am höchsten ist. Tibet hatte <strong>die</strong> niedrigsten Werte beim<br />
Erwerb von Schulbildung und bei der Lebenserwartung. In den<br />
Bereichen Einkommen, Bildung und Gesundheit werden nur einige<br />
Teile Chinas <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreichen.<br />
Riesige Teile des Hinterlandes und insbesondere <strong>die</strong> westlichen<br />
Provinzen bleiben dahinter zurück.<br />
Brasilien: Bleibt der Norden auf der Strecke?<br />
Brasilien blickt auf ein langes Erbe starker Ungleichverteilung<br />
zurück. Das Einkommen der reichsten zehn Prozent der Haushalte<br />
ist 70-mal so hoch wie das der ärmsten zehn Prozent. Im Laufe<br />
der vergangenen zehn Jahre stieg bei der Analphabetenquote <strong>die</strong><br />
Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Bundesstaaten<br />
(siehe Tabelle 1). Zwar begann <strong>die</strong> Armut Anfang der 1990er Jahre<br />
abzunehmen, doch geschah <strong>die</strong>s ungleichmäßig. Die Armutsquote<br />
sinkt nicht schnell genug, als dass Brasilien das erste Millenniums-Entwicklungsziel<br />
erreichen könnte. Beim gegenwärtigen<br />
Fortschrittstempo ist der Süden <strong>die</strong> einzige Region, von der<br />
erwartet werden kann, dass sie bis zum Jahr 2015 <strong>die</strong> Armut halbiert<br />
haben wird. Doch auch <strong>die</strong> ärmste Region, der Nordosten,<br />
hat <strong>die</strong> Armut drastisch reduziert, ebenso wie <strong>die</strong> Zentralregion<br />
und <strong>die</strong> südöstlichen Regionen.<br />
Der Norden ist <strong>die</strong> einzige Region, in der <strong>die</strong> Armut zugenommen<br />
hat. Sie stieg von 36 Prozent im Jahr 1990 auf 44 Prozent<br />
im Jahr 2001. (Die Daten für den Norden sind auf <strong>die</strong> städtischen<br />
Regionen beschränkt.) Warum bleiben so viele Menschen auf der<br />
Strecke, wenn das allgemeine Wachstum gut ausfällt? Schuld daran<br />
ist nicht ein durchschnittlicher Mangel an Ressourcen, sondern<br />
<strong>die</strong> anhaltend hohe Ungleichverteilung (Mendonça <strong>2003</strong>). Im<br />
Norden nimmt nicht nur <strong>die</strong> Armut zu, <strong>die</strong> Region hinkt auch<br />
beim HDI hinterher, im Gegensatz zu den Städten im reichen Süden<br />
(São Paulo, Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul), und im<br />
Gegensatz zum Nordosten, der sich beim HDI bedeutend verbessert<br />
hat. Die politische Konsequenz ist, dass mehr Ressourcen in<br />
<strong>die</strong> bedürftigsten Regionen gelenkt werden sollten – in den Norden,<br />
aufgrund seiner ungünstigen Trends, und in den Nordosten,<br />
aufgrund seines noch immer niedrigen Niveaus <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />
TABELLE 1<br />
Analphabetenquoten in Brasilien nach<br />
Region, bei <strong>über</strong> 15-jährigen, 1990-2001<br />
Prozent<br />
Region 1990 2001 Veränderung<br />
Brasilien 18,7 12,4 –6,4<br />
Norden 12,4 11,2 –1,2<br />
Nordosten 36,4 24,3 –12,2<br />
Zentralbrasilien/<br />
Osten 16,9 10,2 –6,7<br />
Südosten 11,4 7,5 –3,9<br />
Süden 11,7 7,1 –4,6<br />
Quelle: Mendonça <strong>2003</strong>.<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 75
Mexiko: Entwicklung, <strong>die</strong> den Süden ausschließt<br />
Seit Anfang der 1990er Jahre kann das wirtschaftliche, soziale und<br />
politische Abschneiden Mexikos bestenfalls als gemischt bezeichnet<br />
werden. Die Erholung von der Schuldenkrise der 1980er Jahre<br />
erlitt durch <strong>die</strong> Finanzkrise 1994–95 einen Rückschlag. Insgesamt<br />
ist Mexiko jedoch auf dem Weg, <strong>die</strong> meisten der Ziele zu erreichen.<br />
Die Armutsquote fiel im Jahr 2000 geringer aus als 1992.<br />
Sie sank von 15 auf 13 Prozent (obwohl sie im Jahr 1995 sprunghaft<br />
auf 18 Prozent gestiegen war). Die ärmsten Regionen sind der<br />
Süden und der Südosten. Auch das Vermögensgefälle verschlechterte<br />
sich in der 1990er Jahren. Am Ende des Jahrzehnts betrug<br />
das Einkommen der zehn Prozent besten Ver<strong>die</strong>ner das 35-fache<br />
des Einkommens der ärmsten zehn Prozent, verglichen mit dem<br />
33-fachen im Jahr 1992. Doch bei anderen Entwicklungsindikatoren<br />
– hauptsächlich in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und<br />
Bildung – gab es in den 1990er Jahren Verbesserungen.<br />
Die Ungleichverteilung spaltet <strong>die</strong> mexikanische Gesellschaft<br />
entlang ethnischer und sozialer Trennlinien. Dabei ist <strong>die</strong><br />
deutlichste Kluft jene, <strong>die</strong> den Süden vom Norden trennt, wobei<br />
der Süden in Bezug auf fast alle Millenniums-Entwicklungsziele<br />
hinterher hinkt. Die südlichen Bundesstaaten haben eine<br />
hauptsächlich indigene Bevölkerung, es sind ländliche Regionen,<br />
ihre Wirtschaft ist weitgehend durch <strong>die</strong> Landwirtschaft geprägt,<br />
es fehlt an Infrastruktur. Aufgrund des schlechten Abschneidens<br />
des Südens und der Fortschritte im Norden besteht <strong>die</strong> historische<br />
Spaltung auch seit der Öffnung Mexikos für den internationalen<br />
Handel in den 1990er Jahren fort. Der Norden und der<br />
Nordwesten haben tendenziell davon profitiert, während der Süden<br />
aufgrund seiner Entfernung zur Grenze mit den USA von der<br />
wirtschaftlichen Integration mit Kanada und den Vereinigten<br />
Staaten bislang ausgeschlossen war.<br />
Im südlichen Bundesstaat Chiapas leben <strong>über</strong> 30 Prozent der<br />
Bevölkerung in extremer Armut. Häufig kommt es – wie auch anderswo<br />
im Süden – zu Gewalt. Außerdem sind viele der Menschen<br />
im Süden Analphabeten (siehe Karte 2). Dieses Muster<br />
spiegelt auch <strong>die</strong> Kluft zwischen Männern und Frauen bei den<br />
Analphabetenquoten wider. In den am wenigsten alphabetisierten<br />
Bundesstaaten des Südens ist <strong>die</strong>se Kluft sehr viel tiefer.<br />
Die Philippinen: Integration ethnischer Minderheiten<br />
Die Philippinen sind wirtschaftlich und gesellschaftlich stark gespalten.<br />
Die schwierige Topographie und das ungünstige Klima<br />
machen den Südosten anfälliger für Naturkatastrophen als <strong>die</strong><br />
milderen zentralen und nordwestlichen Bundesstaaten (einschließlich<br />
des Großraums Manila).<br />
Zu einigen Regionen gibt es eine starke Konzentration von<br />
Bevölkerungsminderheiten: Moro-Sezessionisten in der Autonomen<br />
Region Muslimisches Mindanao (ARMM) im Südwesten,<br />
Zentral-Mindanao im Süden und <strong>die</strong> von indigenen Bevölkerungsgruppen<br />
dominierte Verwaltungsregion Cordillera im Norden.<br />
Im Verhältnis zum nationalen Durchschnitt hinken bei vielen<br />
sozioökonomischen Indikatoren große Gebiete in <strong>die</strong>sen Regionen<br />
hinterher. Die ostasiatische Finanzkrise 1997, verbunden mit<br />
dem Wetterphänomen El Niño im Jahr darauf, trug dazu bei, dass<br />
<strong>die</strong> Armutsquote im Jahr 2000 wieder auf 28 Prozent anstieg. Dieser<br />
Trend verlief nicht einheitlich. Die Armut nahm in den Bergregionen<br />
im Zentrum der Insel Luzon im Norden des Landes zu,<br />
und im Süden in den westlichen Regionen von Mindanao.<br />
Es gibt anhaltend große regionale Disparitäten bei der Einkommensarmut,<br />
von niedrigen 12 Prozent in der Region Manila<br />
bis zu 74 Prozent in der Autonomen Region Muslimisches Mindanao.<br />
Diese Disparitäten zeigen sich auch in der Ungleichverteilung<br />
beim HDI. Sie spiegeln <strong>die</strong> ethnische Verteilung der Bevölkerung<br />
ziemlich genau wider, wobei <strong>die</strong> Gebiete ethnischer Minderheiten<br />
am schlechtesten abschneiden (siehe Karte 3). Ein ähnlich<br />
heterogenes Abschneiden zeigt sich, wenn man andere Indikatoren<br />
betrachtet, zum Beispiel <strong>die</strong> Kindersterblichkeitsraten,<br />
bei denen <strong>die</strong> geringsten Verbesserungen wieder in der Region<br />
Mindanao zu verzeichnen waren.<br />
KARTE 2<br />
Alphabetenquote bei Erwachsenen in Mexiko, 2000<br />
Anteil der Bevölkerung im<br />
Alter von <strong>über</strong> 15 Jahren, <strong>die</strong><br />
lesen und schreiben kann nach<br />
Stadtbzirk (in Prozent)<br />
25,0–79,0<br />
79,1–92,3<br />
92,4–98,9<br />
Keine Angaben<br />
KARTE 3<br />
Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den<br />
Phillipinen, 1994<br />
HDI<br />
Manila<br />
0,372–0,560<br />
0,561–0,657<br />
0,658–0,925<br />
Keine Angaben<br />
Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />
Mexico City<br />
Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />
76 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
In<strong>die</strong>n: Allgemeine, doch in einigen Regionen langsamere<br />
Fortschritte<br />
In<strong>die</strong>n, wo ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt, hat in den meisten<br />
Bereichen großartige Fortschritte erzielt. Die Armut ist drastisch<br />
reduziert worden und im Bildungsbereich hat es sowohl für<br />
Jungen als auch für Mädchen Verbesserungen gegeben. Bei der<br />
Alphabetisierung wurden <strong>die</strong> Kluft zwischen den Geschlechtern<br />
enorm vermindert, insbesondere im armen zentralindischen Bundesstaat<br />
Madhya Pradesh und in gewissem Grad auch in Rajasthan,<br />
Uttar Pradesh und Bihar.<br />
Dennoch scheinen einige Gegenden von <strong>die</strong>sen Trends ausgeschlossen<br />
zu sein, insbesondere entlang der Grenzen zu Pakistan<br />
und Nepal. Außerdem ist bei der Alphabetisierung <strong>die</strong> Kluft<br />
zwischen den unteren sozialen Klassen und dem Rest der Bevölkerung<br />
nach wie vor extrem hoch, insbesondere in den ärmsten<br />
Bundesstaaten Rajasthan, Uttar Pradesh und Bihar sowie in<br />
Karnataka. Shariff und Sudarshan (1996) fanden heraus, das der<br />
Anteil der weiblichen Personen, <strong>die</strong> lesen und schreiben können,<br />
bei Angehörigen der nach der indischen Verfassung gelisteten<br />
Volksstämme („scheduled tribes“) in Rajasthan bei nur sieben<br />
Prozent und in Madhya Pradesh bei neun Prozent liegt.<br />
Auch im Gesundheitsbereich gibt es Anlass zu großer Sorge.<br />
Hauptsächlich aufgrund der weit verbreiteten Unterernährung<br />
und schlechten Infrastruktur sind <strong>die</strong> Sterblichkeitsraten in den<br />
ärmsten, ländlich geprägten Bundesstaaten mit einem hohen Anteil<br />
der nach der indischen Verfassung gelisteten Kasten („scheduled<br />
castes“) anhaltend hoch, insbesondere bei Müttern und<br />
Kindern (Bajpay <strong>2003</strong>). Zwischen 1992/93 und 1997/98 ist <strong>die</strong><br />
Säuglings- und Kindersterblichkeit in allen Bundesstaaten außer<br />
Madhya Pradesh und Rajasthan gesunken. Außerdem ist in den<br />
ländlichen Gegenden <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeit bedeutend<br />
höher, insbesondere in Maharashtra und Andhra Pradesh (siehe<br />
Tabelle 2). Hohe Immunisierungsquoten sind nach wie vor fast<br />
ausschließlich ein Merkmal südlicher und südwestlicher Bundesstaaten.<br />
In zahlreichen Regionen, insbesondere im Norden und<br />
Nordosten, wurden im Jahr 1999 weniger als ein Drittel der Kinder<br />
immunisiert.<br />
Guatemala: Fortschritte bei der Gleichstellung<br />
der Geschlechter und bei ethnischen Spaltungen<br />
Seit 1990 ist Guatemala in Richtung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
nur langsam und ungleichmäßig vorangekommen. Zu<br />
den Katastrophen der vergangenen Jahre gehörten schlimme<br />
Trockenheiten und <strong>die</strong> niedrigeren Weltmarktpreise für Kaffee,<br />
das Hauptexportprodukt des Landes. Zwar gab es in den 1990er<br />
Jahren für viele Bevölkerungsgruppen und Regionen Verbesserungen<br />
bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung, doch waren im Norden<br />
und Nordwesten <strong>die</strong> Ergebnisse enttäuschend. In <strong>die</strong>sen Regionen,<br />
wo <strong>die</strong> meisten indigenen Guatemalteken leben, war im<br />
Jahr 2000 das Ausmaß der extremen Armut am höchsten. Es<br />
scheint einige Überlappungen bei der Diskriminierung zu geben,<br />
mit der <strong>die</strong> indigenen ethnischen Minderheiten und mit der Frauen<br />
konfrontiert sind. Karte 4 zeigt zum Beispiel, dass <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />
im Norden und Nordwesten am höchsten ist, was<br />
auf schwach ausgebildete Gesundheitssysteme in ländlichen Gebieten<br />
hindeutet, wo vor allem ethnische Minderheiten und Frauen<br />
leben.<br />
Die Alphabetenquoten verdeutlichen einen weiteren Aspekt<br />
des Problems. Die Frauen im Nordwesten waren <strong>die</strong> einzige<br />
Gruppe, bei der <strong>die</strong> Alphabetenquote sich nicht verbesserte. Geschlechtsspezifische<br />
und Rassendiskriminierung tritt in den gleichen<br />
Regionen auf, und betrifft vermutlich <strong>die</strong> selben Menschen:<br />
indigene Frauen. Diese Trends werden durch anhaltende Ungleichverteilungen<br />
– insbesondere durch <strong>die</strong> Konzentration von<br />
Grund und Boden – noch verstärkt, <strong>die</strong> alle Guatemalas Entwicklung<br />
beeinträchtigen könnten. Nach einer aktuellen Stu<strong>die</strong><br />
stieg <strong>die</strong> Konzentration von Grund und Boden zwischen 1979<br />
und 2000 und behinderte <strong>die</strong> Diversifizierung und bessere Verteilung<br />
von Eigentum und Risiken (Fuentes, Balsells und Arriola<br />
<strong>2003</strong>).<br />
TABELLE 2<br />
Säuglings- und Kindersterblickeit in<br />
In<strong>die</strong>n nach Bundesstaaten, 1990er Jahre<br />
Säuglingssterblichkeitsfaktor<br />
(auf 1.000 Verhältnis<br />
Lebendgeburten) Land/Stadt<br />
Bundesstaat 1992/93 1997/98 1995<br />
Andhra Pradesh 70,4 65,0 1,72<br />
Bihar 89,2 73,0 1,30<br />
Gujarat 73,5 62,2 1,45<br />
Karnataka 65,4 51,5 1,60<br />
Kerala 23,8 16,3 1,23<br />
Madhya Pradesh 85,2 86,1 1,70<br />
Maharashtra 50,5 43,7 1,94<br />
Orissa 112,1 82,0 1,65<br />
Rajasthan 76,3 80,4 1,45<br />
Tamil Nadu 67,7 48,2 1,56<br />
Uttar Pradesh 99,9 86,7 1,35<br />
Quelle: International Institute of Population Sciences 2000.<br />
Doch während <strong>die</strong> Situation absolut gesehen besorgniserregend<br />
ist, so gab es doch in den 1990er Jahren bei den indigenen<br />
Haushalten <strong>die</strong> größte prozentuale Verringerung der extremen<br />
Armut, von 32 Prozent auf 26 Prozent. Auch bei den Haushalten<br />
mit weiblichen Familienvorstand sank <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />
schnell. Während <strong>die</strong> Einkommensfortschritte, <strong>die</strong> bei vielen der<br />
für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele relevanten Indikatoren<br />
verzeichnet wurden, zufriedenstellend waren, hat (hauptsächlich<br />
aufgrund von Trockenheiten) <strong>die</strong> Unterernährung im Nordwesten<br />
und insbesondere im Norden zugenommen. Die ländliche<br />
indigene Bevölkerung war davon besonders stark betroffen, was<br />
wohl auch ein Hinweis auf Defizite bei der Infrastruktur ist.<br />
Mali: Frauen bleiben auf der Strecke<br />
Mali hat bei vielen Indikatoren der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
wichtige Fortschritte gemacht. Trotz einiger Unbeständigkeiten<br />
gab es 1992–99 in allen Regionen Verbesserungen bei der<br />
Gesamt<strong>entwicklung</strong>. Dennoch sind in vielen wichtigen Entwicklungsbereichen<br />
noch immer zu viele Frauen <strong>die</strong> Leidtragenden.<br />
Im Bildungsbereich können 40 von 100 Männern lesen und<br />
schreiben – aber nur 33 von 100 Frauen. Die ländlichen Regionen<br />
des Nordens sind ein Beispiel für das nationale Gesamtbild, ins-<br />
KARTE 4<br />
Müttersterblichkeit in Guatemala, 1997<br />
Todesfälle pro 100.000<br />
Lebendgeburten<br />
0–41,2<br />
41,3–113,5<br />
113,6–267,2<br />
Guatemala Stadt<br />
Source: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />
DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 77
esondere als ein Ergebnis der kulturell bedingten Einstellungen<br />
gegen<strong>über</strong> Frauen in ländlichen Gegenden.<br />
Auch sind Frauen <strong>über</strong>proportional von HIV/AIDS betroffen.<br />
Im Jahr 1992 lag <strong>die</strong> Infektionsrate bei ca. drei Prozent.<br />
Weibliche Sex-Arbeiterinnen haben <strong>die</strong> höchsten Infektionsraten<br />
(Backiny-Yetna, Raffinot, und Coulibaly <strong>2003</strong>). Die Krankheit<br />
hat zu der hohen Müttersterblichkeit von rund 580 Todesfällen<br />
pro 100.000 Lebendgeburten beigetragen, <strong>die</strong> in den vergangenen<br />
fünf Jahren fast unverändert geblieben ist.<br />
Burkina Faso: Trockenheit und Krankheiten ausgesetzt<br />
Burkina Faso ist nach dem Index für <strong>menschliche</strong> Armut (HPI)<br />
und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf eines der ärmsten<br />
Länder der Welt. Das Land weist deutliche Entwicklungsunterschiede<br />
zwischen den östlichen und den westlichen Regionen auf.<br />
Der Osten hat ein trockenes Klima, was <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
schwierig macht. Der Westen ist feuchter, was ein Klima schafft,<br />
dass für <strong>die</strong> Baumwollproduktion geeignet ist. Außerdem ist <strong>die</strong><br />
Armutsquote in ländlichen Gebieten fünfmal höher. Sie lag in<br />
den ländlichen Gebieten in den Jahren 1994 und 1998 bei 50 Prozent.<br />
Zwischen 1993 und 1999 nahm <strong>die</strong> Unterernährung in allen<br />
Provinzen zu. Es kam zu einem Anstieg der Wachstumsstörungen<br />
in Folge chronischer Mangelernährung, von 29 Prozent in<br />
Jahr 1993 auf 37 Prozent im Jahr 1999, wobei vor allem <strong>die</strong> ländlichen<br />
Regionen <strong>die</strong>sen Trend maßgeblich beeinflussen. In der<br />
Hauptstadt Ouagadougou wird der Anteil der Kinder, <strong>die</strong> an Unterernährung<br />
leiden, auf ein Fünftel geschätzt. In den restlichen<br />
Landesteilen ist es ein Drittel der Kinder. Bei der ländlichen Bevölkerung<br />
haben sich <strong>die</strong> Einschulungsquoten im Primarschulbereich<br />
kaum verbessert. Im Jahr 1994 lag <strong>die</strong> Einschulungsquote<br />
bei Mädchen auf dem Lande bei 22 Prozent, im Vergleich zu 69<br />
Prozent bei Mädchen in den Städten. Vier Jahre später waren <strong>die</strong>se<br />
Zahlen auf 24 Prozent und 99 Prozent gestiegen, was darauf<br />
hindeutet, dass in den ländlichen Regionen extrem langsame<br />
Fortschritte gemacht werden.<br />
Russische Föderation: Entwicklungskrisen und<br />
Geschlechtergefälle<br />
Die Russische Föderation hat seit ihrem Übergang zur Marktwirtschaft<br />
eine starke Transformation durchgemacht. Hinzu<br />
kam, dass in den 1990er Jahren zwei große Problemfelder <strong>die</strong><br />
Entwicklungsindikatoren unterminierten. Das erste war<br />
HIV/AIDS; <strong>die</strong> Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> HIV-positiv waren,<br />
lag im Jahr 2001 bei 178.000 (Zubarevich <strong>2003</strong>). Die Krankheit<br />
betrifft hauptsächlich Menschen im Alter zwischen 15 und 29 sowie<br />
städtische Einwohner (Moskau. St. Petersburg, Swerdlowsk<br />
Oblast).<br />
Das zweite enorme Problem war <strong>die</strong> Zunahme der Armut<br />
und der Ungleichverteilung zwischen den Regionen und innerhalb<br />
einzelner Regionen. Im Jahr 2000 waren Moskau, Tatarstan<br />
und der Öl und Erdgas fördernde Tjumen Oblast <strong>die</strong> einzigen<br />
Regionen, deren HDI-Niveau mit dem der reicheren Länder, wie<br />
der Tschechischen Republik, Ungarn und Slowenien, vergleichbar<br />
war. Am anderen Ende des Spektrums lagen <strong>die</strong> Verwaltungsbezirke<br />
Sibirien und Fernost, deren HDI-Niveau mit dem<br />
von Gabun oder Nicaragua vergleichbar ist (siehe Karte 5).<br />
Diese Kluft zwischen den Regionen spiegelt sich in den Unterschieden<br />
innerhalb einzelner Regionen wider. Die drei reichsten<br />
Regionen sind auch <strong>die</strong>jenigen, in denen Vermögen und Armut<br />
am deutlichsten polarisiert sind. Die Armut in Russland ist<br />
sowohl in städtischen als auch in ländlichen Regionen angestiegen,<br />
insbesondere zwischen 1997 und 1999. Sie erreichte mit 57<br />
Prozent in den ländlichen Gebieten, im Vergleich zu 47 Prozent<br />
in den städtischen Gebieten, ihren Höhepunkt. Die Armut betrifft<br />
<strong>die</strong> einzelnen Regionen in unterschiedlicher Weise: Insbesondere<br />
<strong>die</strong> wirtschaftliche Instabilität (wie zum Beispiel <strong>die</strong> finanzielle<br />
Krise Ende der 1990er Jahre) scheint <strong>die</strong> regionalen<br />
Disparitäten beim Lebensstandard verschärft zu haben, wobei<br />
<strong>die</strong> weniger entwickelten Regionen schneller ärmer werden (Zubarevich<br />
<strong>2003</strong>).<br />
Die zunehmende Armut hat ältere Frauen und Haushalte<br />
mit weiblichem Familienvorstand besonders hart getroffen, was<br />
eine besorgniserregende „Feminisierung“ der Armut in Russland<br />
veranschaulicht. Eine treibende Kraft hinter <strong>die</strong>sem Trends ist<br />
<strong>die</strong> Unsicherheit der Arbeitsplätze, und noch mehr <strong>die</strong> Diskriminierung<br />
von Frauen bei den Löhnen. Anfang 1999 lag das Lohnverhältnis<br />
von Frauen zu Männern bei 56 Prozent. Am Ende des<br />
Jahres war es auf 52 Prozent gesunken, und Mitte 2000 auf 50<br />
Prozent (Zubarevich <strong>2003</strong>). Einer anderen Stu<strong>die</strong> zufolge sank<br />
das Verhältnis von 70 Prozent im Jahr 1998 auf 63 Prozent im<br />
Jahr 2000. Außerdem waren in der Übergangszeit Frauen in der<br />
Politik nur sehr schwach vertreten. Die geschlechtsspezifische<br />
Kluft in Bildungsbereich ist jedoch nach wie vor niedrig, etwa auf<br />
dem gleichen Niveau, wie vor dem Systemwechsel.<br />
KARTE 5<br />
Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Regionen der Russischen Förderation, 2000<br />
Moskau<br />
78 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
HDI<br />
,800–,900<br />
,750–,800<br />
,700–,750<br />
,600–,700<br />
Quelle: : Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von verschiedenen nationalen Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
(NHDRs) und Mendonça <strong>2003</strong>; Bajpay <strong>2003</strong>; Baumeister 2002, zitiert in Fuentes, Balsells und Arriola <strong>2003</strong>; Backiny-Yetna, Coulibaly und Raffinot <strong>2003</strong>a, b;<br />
Zubarevich <strong>2003</strong>.<br />
Quelle: Zubarevich <strong>2003</strong>.
KAPITEL 3<br />
Strukturbedingte Wachstumshindernisse<br />
<strong>über</strong>winden, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />
erreichen<br />
Die zentrale Botschaft des Millenniums-Entwicklungspakts<br />
– und <strong>die</strong>ses Kapitels – ist,<br />
dass viele der ärmsten Länder und Regionen<br />
auf der Welt mit strukturbedingten Hindernissen<br />
konfrontiert sind, <strong>die</strong> es wesentlich erschwert<br />
haben, dauerhaftes wirtschaftliches<br />
Wachstum zu erzielen. Es ist daher kein Zufall,<br />
dass sie <strong>die</strong> ärmsten sind.<br />
Dauerhaftes Wachstum erfordert, dass<br />
Länder zuerst in einer Reihe von Bereichen<br />
Mindeststandards erreichen: solides Regierungs-<br />
und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen,<br />
grundlegende Gesundheitsversorgung<br />
und Grundschulbildung, Kerninfrastruktur,<br />
Zugang zu Auslandsmärkten. Wenn<br />
ein Land auf Grund von Strukturbedingungen<br />
wie einer grassierenden Krankheit oder eines<br />
abgelegenen Standortes in großer Entfernung<br />
von den Weltmärkten oder besonders<br />
fragiler Böden und geringer Nahrungsmittelproduktion<br />
oder großer Anfälligkeit für Naturkatastrophen<br />
einen oder mehrere <strong>die</strong>ser<br />
Standards nicht erreicht, besteht <strong>die</strong> Gefahr,<br />
dass es in eine Armutsfalle gerät. Dies macht<br />
dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum unwahrscheinlich.<br />
Weil <strong>die</strong>se Länder hohe Hürden<br />
<strong>über</strong>winden müssen und begrenzte Ressourcen<br />
haben, können sie <strong>die</strong> Mindeststandards<br />
für Wachstum nicht aus eigener Kraft<br />
erreichen, sondern benötigen externe Unterstützung.<br />
Selbst in Ländern, <strong>die</strong> im Großen und<br />
Ganzen erfolgreich sind, können strukturbedingte<br />
Hindernisse zu „Inseln“ verfestigter<br />
Armut beitragen. Die Regionen im abgelegenen<br />
Landesinneren Chinas beispielsweise sind<br />
mit wesentlich größeren Entfernungen zu Häfen,<br />
wesentlich schlechterer Infrastruktur und<br />
wesentlich härteren biophysikalischen Bedingungen<br />
konfrontiert als <strong>die</strong> Küstenregionen<br />
des Landes, <strong>die</strong> das rascheste langanhaltende<br />
wirtschaftliche Wachstum in der Geschichte<br />
der Menschheit aufweisen. Um in so stark bevölkerten<br />
Ländern wie China, Brasilien und<br />
In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Armut wirksam bekämpfen zu können,<br />
muss man sich darauf konzentrieren, Ressourcen<br />
im Inland für <strong>die</strong> Verringerung von<br />
Armut und Ungleichheit bereitzustellen. Diese<br />
Aufgabe unterscheidet sich jedoch stark<br />
von der in Ländern mit höchster Priorität, <strong>die</strong><br />
gewöhnlich in einer Armutsfalle stecken. Dort<br />
kann mit den inländischen Ressourcen der Bedarf<br />
der Durchschnittsbürger, geschweige<br />
denn der der Ärmsten, nicht gedeckt werden.<br />
Dieser Ressourcenmangel ist auf unzureichendes<br />
wirtschaftliches Wachstum zurückzuführen<br />
(Kasten 3.1).<br />
Um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
(MEZ) erreichen zu können, ist wirtschaftliches<br />
Wachstum aus zwei Gründen erforderlich:<br />
Erstens ist wirtschaftliches Wachstum ein<br />
direktes Mittel zur Verringerung der Einkommensarmut<br />
vieler Haushalte. Diese werden so<br />
KASTEN 3.1<br />
Zur Halbierung der Einkommensarmut ist Wachstum erforderlich<br />
Wirtschaftliches Wachstum ist wichtig,<br />
um alle Millenniums-Entwicklungsziele zu<br />
erreichen. Es wird jedoch am dringendsten<br />
für <strong>die</strong> erste Zielvorgabe benötigt, wonach<br />
zwischen 1990 und 2015 eine Halbierung<br />
des Anteils armer Menschen herbeigeführt<br />
werden soll. In vielen Untersuchungen<br />
wurde eine „Einkommenselastizität<br />
der Armut“ berechnet, d.h. der prozentuelle<br />
Rückgang des Anteils der Armen<br />
pro 1 Prozent Anstieg des Pro-Kopf-<br />
Einkommens. Eine gängige Schätzung in<br />
der umfangreichen ökonometrischen<br />
Fachliteratur ist, dass bei konstanter Einkommensverteilung<br />
und einer Elastizität<br />
von 2 <strong>die</strong> Armutsquote pro 1 Prozent Anstieg<br />
des durchschnittlichen Pro-Kopf-<br />
Einkommens um 2 Prozent sinkt (Bruno,<br />
Ravallion und Squire 1998; siehe auch<br />
Adams 2002).<br />
Aus <strong>die</strong>ser Elastizitätsschätzung folgt,<br />
dass für <strong>die</strong> Halbierung der Zahl der Armen<br />
ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens<br />
von 41 Prozent erforderlich ist.<br />
Wenn <strong>die</strong>se 41 Prozent <strong>über</strong> 25 Jahre<br />
(1990 bis 2015) verteilt werden, wird ein<br />
jährliches Wachstum von 1,4 Prozent<br />
benötigt. Wenn ein Land <strong>die</strong> kompletten<br />
41 Prozent zwischen <strong>2003</strong> und 2015 bewerkstelligen<br />
muss, ist eine wesentliche<br />
höhere jährliche Rate (2,9 Prozent) notwendig.<br />
Doch selbst <strong>die</strong> höhere Rate liegt<br />
für ein Land mit niedrigem Einkommen<br />
durchaus im Bereich des Möglichen –<br />
wenn <strong>die</strong> Wachstumsvoraussetzungen erfüllt<br />
sind und <strong>die</strong> richtigen politischen<br />
Maßnahmen für Wachstum ergriffen werden.<br />
Quelle: Bruno, Ravallion und Squire 1996; Adams 2002.<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 79
GRAFIK 3.1<br />
Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut, 1990er Jahre<br />
Armutsrate, Vorjahresstand (Anteil der Bevölkerung mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag, KKP,<br />
logarithmische Skala)<br />
100<br />
50<br />
10<br />
5<br />
1<br />
Niger<br />
Sambia<br />
Uganda<br />
Bangladesch<br />
Tansania<br />
Mauretannien<br />
500 1.000<br />
5.000 10.000<br />
Pro-Kopf-BIP, Vorjahresstand, KKP US-Dollar (logarithmische Skala)<br />
Quelle: World Bank 2002j und Maddison 2001.<br />
Tadschikistan<br />
Nicaragua<br />
Nigeria<br />
Simbabwe<br />
in <strong>die</strong> Lage versetzt, mehr zu sparen und Ressourcen<br />
für Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung zu verwenden. Ohne wirtschaftliches<br />
Wachstum kann ein Land nicht erwarten,<br />
den Anteil der Menschen zu halbieren,<br />
<strong>die</strong> unterhalb der einkommensbezogenen Armutsgrenze<br />
leben. Dies ist das erste Millenniums-Entwicklungsziel.<br />
Zweitens bedeutet<br />
wirtschaftliches Wachstum gewöhnlich höhere<br />
Staatseinnahmen. Weil <strong>die</strong> meisten Investitionen<br />
in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung – zu<br />
Gunsten von Gesundheit, Ernährung, Bildung,<br />
grundlegender Infrastruktur – aus dem<br />
öffentlichen Sektor kommen, ist eine Verbesserung<br />
der Staatsfinanzen eine wichtige Voraussetzung,<br />
um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu können.<br />
Natürlich ist wirtschaftliches Wachstum<br />
eine notwendige, aber kaum ausreichende Bedingung<br />
für solche Erhöhungen der öffentlichen<br />
Ausgaben zu Gunsten der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung. Manche Regierungen unterlassen<br />
<strong>die</strong>se Investitionen oder diskriminieren<br />
dabei Untergruppen der Bevölkerung. Mit einem<br />
solchen Verhalten schwächen sie <strong>die</strong> potenziellen<br />
Vorteile wirtschaftlichen Gesamtwachstums<br />
auf dem Weg zum Erreichen der<br />
MEZ. Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Ent-<br />
wicklung wurde in der Vergangenheit der Begriff<br />
„rücksichtsloses Wachstum“ verwendet,<br />
um wirtschaftliches Wachstum zu beschreiben,<br />
das <strong>die</strong> Armen nicht erreicht, weil entweder<br />
der größte Teil der Einkommenszuwächse<br />
an reichere Haushalte geht oder dort bleibt<br />
oder weil das politische System <strong>die</strong> zusätzlichen<br />
Staatseinnahmen nicht in den Bedarf der<br />
Armen an <strong>menschliche</strong>r Entwicklung investiert.<br />
Und ohne dauerhafte Verbesserungen<br />
von Bildung und Gesundheit kann das wirtschaftliche<br />
Wachstum auf Dauer nicht aufrechterhalten<br />
werden (siehe HDR 1996).<br />
In Ländern mit höheren Einkommen lebt<br />
ein geringerer Bevölkerungsanteil unterhalb<br />
der Armutsgrenze. Dies lässt darauf<br />
schließen, dass zur Verringerung der Armutsrate<br />
ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erforderlich<br />
ist. Aber <strong>die</strong> negative Beziehung zwischen<br />
der Einkommensarmut und der Einkommenshöhe<br />
ist zwar klar, erklärt jedoch<br />
bei weitem nicht alle Facetten. Länder mit<br />
ähnlicher Einkommenshöhe können sehr unterschiedliche<br />
Armutsraten haben: Obwohl<br />
Bangladesch und Sambia sehr ähnliche Pro-<br />
Kopf-Einkommen aufweisen, gibt es in Bangladesch<br />
sehr viel weniger Armut (Grafik 3.1).<br />
80 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />
Senegal<br />
Vietnam<br />
In<strong>die</strong>n Namibia<br />
Pakistan<br />
Jemen<br />
Philippinen<br />
China<br />
Peru<br />
Indonesien<br />
Sri Lanka<br />
Rumänien<br />
Venezuela<br />
Brasilien Trinidad<br />
und Tobago<br />
Mexiko<br />
Costa Rica<br />
Bulgarien
GRAFIK 3.2<br />
Menschliche Entwicklung und Einkommen<br />
HDI*<br />
1.00<br />
,900<br />
,800<br />
,700<br />
,600<br />
,500<br />
,400<br />
,300<br />
,200<br />
Tansania<br />
Malawi<br />
Sierra Leone<br />
Nigeria<br />
Mali<br />
Kongo<br />
Niger<br />
Tadschikistan<br />
Vietnam<br />
Angola<br />
Georgien<br />
Indonesien China<br />
In<strong>die</strong>n<br />
Pakistan<br />
Simbabwe<br />
500 5.000<br />
Pro-Kopf-BIP (US-Dollar, KKP von 2001)<br />
50.000<br />
Anmerkung: Diese Grafik verwendet den <strong>Human</strong> Development Index (Index <strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung), indem sie <strong>die</strong> Bildungs- und<br />
Lebenserwartungskomponenten des HDI zusammenführt und das pro-Kopf-BIP dabei auslässt.<br />
Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
Das Pro-Kopf-Einkommen ist auch eng<br />
mit der nicht einkommensbezogenen Armut<br />
verknüpft. Manche Länder (beispielsweise<br />
Vietnam) verzeichnen für ihr Einkommensniveau<br />
einen recht guten Stand der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung, während andere Länder<br />
(beispielsweise Simbabwe) schlechter als<br />
solche mit einem ähnlichen Stand der<br />
wirtschaftlichen Entwicklung abschneiden<br />
(Grafik 3.2).<br />
Die engen Verknüpfungen zwischen wirtschaftlichem<br />
Wachstum und der Verringerung<br />
der Armut beruhen also auf politischen<br />
Entscheidungen und strukturellen Faktoren.<br />
Mehrere Länder mit einem jährlichen wirtschaftlichen<br />
Wachstum von mehr als 4 Prozent<br />
seit 1990 haben bei einigen nicht einkommensbezogenen<br />
Armutsdimensionen keine<br />
großen Fortschritte erzielt (<strong>die</strong> Dominikanische<br />
Republik, Mosambik). 1 Wirtschaftliches<br />
Wachstum kann gewiss Ressourcen zur Verbesserung<br />
einer Vielzahl von Ergebnissen liefern.<br />
Die politischen Entscheidungsträger<br />
dürfen <strong>die</strong> staatlichen Maßnahmen und <strong>die</strong> Investitionen<br />
der öffentlichen Hand jedoch<br />
nicht nur am Wachstum ausrichten, sondern<br />
müssen sich auch auf nicht wirtschaftliche Er-<br />
Ägypten<br />
Kuba<br />
Swasiland<br />
Russ.<br />
Föd.<br />
Japan<br />
Frankreich Ver. Königreich<br />
Korea, Rep. USA<br />
Botsuana<br />
Ver. Arab. Emirate<br />
Equatorial Guinea<br />
gebnisse konzentrieren. Aus <strong>die</strong>sem Grund<br />
wird im Millenniums-Entwicklungspakt für<br />
den Einsatz staatlicher Maßnahmen zur Verringerung<br />
der diversen Dimensionen nicht<br />
einkommensbezogener Armut plä<strong>die</strong>rt.<br />
VONMENSCHLICHER ENTWICKLUNG<br />
ZU WIRTSCHAFTLICHEM WACHSTUM –<br />
UND ZURÜCK<br />
Gute Bildung und gute Gesundheit haben einen<br />
intrinsischen Wert für das Wohlergehen<br />
von Menschen. Die beiden Bereiche sind zudem<br />
eng miteinander verknüpft. Bildung hilft<br />
<strong>die</strong> Gesundheit verbessern, und gute Gesundheit<br />
trägt zu besserer Bildung bei. Außerdem<br />
trägt Grundschulbildung zu wirtschaftlichem<br />
Wachstum bei und steigert das Einkommen<br />
armer Menschen. Gesundheitliche Verbesserungen<br />
erzeugen auch beträchtliche wirtschaftliche<br />
Renditen. 2<br />
Dies lässt sich anhand des durchschnittlichen<br />
Wachstums des Pro-Kopf-Einkommens<br />
in einer größeren Gruppe von Entwicklungsländern<br />
für den Zeitraum zwischen 1965 und<br />
1995 veranschaulichen. Die Länder wurden<br />
nach ihrem Einkommen und der Säuglings-<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 81<br />
Südafrika<br />
Luxemburg
GRAFIK 3.3<br />
Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu Wachstum – und zurück<br />
Fähigkeiten<br />
Arbeiter und Bauern<br />
Unternehmer<br />
Manager<br />
Produktion, Forschung,<br />
Entwicklung und Technologie<br />
Quelle: UNDP 1996.<br />
Beschäftigung<br />
Verhältnis von Produktion<br />
und Export<br />
Ausländische<br />
Kapitalguthaben<br />
Physisches<br />
Kapital<br />
Gesundheit und<br />
Bildung<br />
Soziales Kapital, NRO und Bürgerorganistionen<br />
Institutionen und Regierungsführung<br />
Wirtschaftwachstum<br />
Inländische<br />
Guthaben<br />
Ausgaben<br />
für soziale<br />
Prioritäten<br />
Regierungspolitik<br />
und<br />
Staatsausgaben<br />
Haushaltsausgaben<br />
für<br />
Grundbedürfnisse<br />
Haushaltsaktivitäten und<br />
Privatausgaben einschließlich<br />
sozialer Reproduktion<br />
Verteilung von privaten und öffentlichen Mitteln<br />
Beschäftigung<br />
Soziale<br />
Reproduktion<br />
sterblichkeitsrate im Jahr 1965 gruppiert. (Die<br />
Säuglingssterblichkeitsrate ist ein allgemeiner<br />
Indikator für <strong>die</strong> Gesamtkrankheitsbürde.) In<br />
Ländern, beginnend mit Pro-Kopf-Einkommen<br />
unter 750 US-Dollar (konstante US-<br />
Dollar, umgerechnet auf <strong>die</strong> Kaufkraftparität<br />
- KKP von 1990) und einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />
von mehr als 150 Todesfällen pro<br />
1.000 Lebendgeburten, wuchs das Einkommen<br />
jährlich um durchschnittlich 0,1 Prozent,<br />
während es in jenen mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />
zwischen 100 und 150 um durchschnittlich<br />
1,0 Prozent und in solchen mit einer<br />
Säuglingssterblichkeitsrate unter 100 Todesfällen<br />
um durchschnittlich 3,7 Prozent<br />
wuchs. Von den Ländern mit anfänglichen<br />
Einkommen von 750 bis 1.500 US-Dollar<br />
wuchsen jene mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />
von mehr als 150 jährlich um durch-<br />
schnittlich -0,7, jene zwischen 100 und 150 erzielten<br />
ein durchschnittliches jährliches<br />
Wachstum von 1,1 Prozent und jene unter 100<br />
ein durchschnittliches jährliches Wachstum<br />
von 3,4 Prozent. 3 Selbst nach Berücksichtigung<br />
des anfänglichen Einkommens waren<br />
Länder mit besseren Gesundheitsbedingungen<br />
danach systematisch erfolgreicher bei<br />
ihren Bemühungen, höheres Wachstum zu erreichen.<br />
Außerdem liefert wirtschaftliches<br />
Wachstum mehr Ressourcen für Investitionen<br />
in Bildung und Gesundheit. Es wurde bereits<br />
darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong>se Investitionen<br />
zu höherem Wachstum beitragen.<br />
Diese wechselseitige Verknüpfung zwischen<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung und wirtschaftlichem<br />
Wachstum verweist auf einen positiven<br />
Kreislauf, in dem gute <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung das wirtschaftliche Wachstum<br />
fördert und jenes wiederum <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung begünstigt (Grafik 3.3). Aber sie<br />
macht auch den Teufelskreis deutlich, in dem<br />
schlechte <strong>menschliche</strong> Entwicklung zu wirtschaftlichem<br />
Niedergang beiträgt, was wiederum<br />
zu einer weiteren Verschlechterung bei der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung führt. Viele Länder,<br />
insbesondere <strong>die</strong>jenigen mit höchster Priorität,<br />
werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
nur erreichen können, wenn sie aus dem<br />
Teufelskreis ausbrechen (oder aus der Armutsfalle,<br />
um ein eng verwandtes Konzept zu<br />
verwenden) und in einen positiven Kreislauf<br />
eintreten.<br />
Die Synergien zwischen den unterschiedlichen<br />
Aspekten der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
sind ebenfalls wichtig: Die Verbesserung von<br />
Gesundheit und Bildung erfordert entsprechende<br />
politische Maßnahmen in den Bereichen<br />
Schule, Familienplanung, Gesundheitsversorgung,<br />
Ernährung, Wasser- und Sanitärversorgung.<br />
Beispielsweise verbessert <strong>die</strong><br />
Bekämpfung von Durchfallerkrankungen und<br />
Masern nicht nur <strong>die</strong> Gesundheit, sondern<br />
verringert auch <strong>die</strong> Unterernährung. Unterernährung<br />
untergräbt in hohem Maße <strong>die</strong><br />
Fähigkeit eines Menschen, zu lernen und zu<br />
wachsen, und hat demzufolge wichtige Implikationen<br />
für Bildung und <strong>die</strong> Entstehung<br />
einer produktiven Erwerbsbevölkerung. Die<br />
Bekämpfung von Durchfallerkrankungen ist<br />
82 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
jedoch von verbesserter Wasser- und Sanitärversorgung<br />
abhängig – sowie von hygienischen<br />
Verhaltensweisen, <strong>die</strong> durch Bildung begünstigt<br />
werden.<br />
Vielen <strong>die</strong>ser Synergien liegen Aktivität<br />
und Gleichstellung zugrunde. Wenn arme<br />
Menschen durch bürgerliche und politische<br />
Rechte geschützten politischen Einfluss haben,<br />
können sie wirksamer politische Maßnahmen<br />
fordern, <strong>die</strong> soziale und wirtschaftliche<br />
Chancen mit sich bringen. 4 Ein solcher Einfluss<br />
ist besonders für Frauen wichtig, aber<br />
auch für ethnische Gruppen und Angehörige<br />
von Rassen, <strong>die</strong> diskriminiert werden. Die Förderung<br />
der Gleichstellung der Geschlechter<br />
und der Fähigkeiten von Frauen ist eine wichtige<br />
Voraussetzung, um <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />
Entwicklung voranzubringen und <strong>die</strong> Ziele zu<br />
erreichen (siehe Kapitel 4). 5<br />
Um <strong>die</strong> Ergänzungseffekte der grundlegenden<br />
sozialen Dienste möglichst umfassend<br />
zu nutzen, sollte <strong>die</strong> allgemeine Grundschulbildung,<br />
insbesondere für Mädchen, ein möglichst<br />
früh verfolgtes und wesentliches Ziel<br />
sein – in Verbindung mit hohen Investitionen<br />
in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung<br />
sowie Wasser- und Sanitärversorgung. 6<br />
Die meisten <strong>die</strong>ser Investitionen ergeben sich<br />
nicht automatisch als Nebenwirkung wirtschaftlichen<br />
Wachstums, sondern erfordern<br />
große Anstrengungen des öffentlichen Sektors.<br />
NEUERE MUSTER – UND PROBLEME –<br />
DES WELTWIRTSCHAFTSWACHSTUMS<br />
Von den 128 Ländern auf der Welt mit einer<br />
Bevölkerung von mindestens eine Million<br />
Menschen im Jahr 1990 und ausreichenden<br />
verfügbaren Daten verzeichneten im Zeitraum<br />
von 1980 bis 1998 76 ein positives Pro-Kopf-<br />
Wachstum ihrer Volkswirtschaft. In 52 war es<br />
jedoch negativ (siehe Feature 3.1, Tabelle 1).<br />
Länder mit großer Bevölkerung ten<strong>die</strong>rten zu<br />
Wachstum. Wenn wirtschaftliche Trends anhand<br />
der Anzahl von Menschen gemessen<br />
werden, wirken <strong>die</strong> Ergebnisse deshalb wesentlich<br />
besser. Heute leben grob gerechnet<br />
mehr als 4 Milliarden Menschen in Ländern,<br />
<strong>die</strong> im Zeitraum von 1980 bis 1998 im Durch-<br />
schnitt ein jährliches reales Pro-Kopf-BIP-<br />
Wachstum von mehr als 1,4 Prozent auswiesen.<br />
Dazu zählten auch China und In<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />
beiden bevölkerungsreichsten Länder. 7 Dieser<br />
Wert von 1,4 Prozent liefert eine grobe Schätzung<br />
für das wirtschaftliche Wachstum pro<br />
Kopf, das erforderlich ist, um <strong>die</strong> MEZ zur<br />
Einkommensarmut zu erreichen (siehe<br />
Kasten 3.1).<br />
Wirtschaftlicher Fortschritt garantiert jedoch<br />
nicht, dass Entwicklungsländer <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erreichen werden.<br />
Wachstum könnte einseitig Haushalten<br />
mit höherem Einkommen zugute kommen<br />
oder seine Dividenden in den Staatsfinanzen<br />
könnten nicht zu Gunsten der ärmsten Menschen<br />
investiert werden. Dennoch akkumulieren<br />
viele Entwicklungsländer Ressourcen, um<br />
Investitionen mit der Absicht vorzunehmen,<br />
<strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
Ungefähr 1,5 Milliarden Menschen leben<br />
in Entwicklungsländern, <strong>die</strong> im Zeitraum von<br />
1980 bis 1998 im Durchschnitt ein jährliches<br />
Pro-Kopf-Wachstum von weniger als 0,7 Prozent<br />
aufwiesen. Dazu zählen auch viele der<br />
ärmsten Länder. 8 Wenn <strong>die</strong>se Länder weiterhin<br />
stagnieren, werden sie nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ressourcen<br />
verfügen, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
Um insbesondere in Ländern mit höchster Priorität,<br />
<strong>die</strong> sich durch verbreitete Armut und<br />
geringes oder kein wirtschaftliches Wachstum<br />
auszeichnen (siehe Kapitel 2), Wege zu finden,<br />
damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können, muss<br />
man verstehen, warum solche Länder geringes<br />
oder kein Wachstum verzeichnen, während so<br />
viele andere rasch wachsen.<br />
Erfolg – oder Versagen – beim wirtschaftlichen<br />
Wachstum hängt eng damit zusammen,<br />
wie eine Volkswirtschaft in <strong>die</strong> globalen Märkte<br />
integriert ist. Manche Erscheinungsformen<br />
der Globalisierung begünstigen wirtschaftliches<br />
Wachstum, andere jedoch nicht. Erfolg<br />
oder Versagen ist weniger vom anfänglichen<br />
Einkommensniveau eines Landes als von seiner<br />
Exportstruktur abhängig. Wenn man <strong>die</strong><br />
Transformationsländer und <strong>die</strong> Erdöl exportierenden<br />
Länder bei den Berechnungen nicht<br />
berücksichtigt, betrug im Zeitraum von 1980<br />
bis 1998 das durchschnittliche jährliche<br />
Wachstum bei Ländern mit mittlerem Ein-<br />
Wenn arme Menschen<br />
durch bürgerliche und<br />
politische Rechte<br />
geschützten politischen<br />
Einfluss haben, können<br />
sie wirksamer politische<br />
Maßnahmen fordern, <strong>die</strong><br />
soziale und<br />
wirtschaftliche Chancen<br />
mit sich bringen<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 83
KASTEN 3.2<br />
Bangladesch – ein großes Binnenland mit Zugang zur Küste<br />
Seit der Gründung im Jahr 1971 hat sich Bangladesch<br />
zu einer Demokratie entwickelt und große<br />
Rückgänge der einkommensbezogenen und nicht<br />
einkommensbezogenen Armut erzielt. Zwischen<br />
1989 und 2000 sank <strong>die</strong> Einkommensarmut von 48<br />
auf 34 Prozent.<br />
Grundlegende sozialpolitische Maßnahmen zur<br />
Verbesserung von Gesundheit, Bildung, Leistungen<br />
im Bereich der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung<br />
halfen, das Bevölkerungswachstum<br />
zu senken und <strong>die</strong> Erwerbsbevölkerung zu verringern.<br />
Außerdem wird <strong>die</strong> Bevölkerung zunehmend<br />
alphabetisiert. Die durch <strong>die</strong> Exportoffensive erzielten<br />
positiven Veränderungen verstärkten <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
der Verbesserung des Bildungsstands<br />
der Bevölkerung.<br />
Eine wichtige Ursache für <strong>die</strong>sen Erfolg war<br />
das Wachstum der Industriegüterproduktion.<br />
Außerdem unterstützten staatliche Stellen den privaten<br />
Sektor durch Investitionen in Infrastruktur<br />
und Qualifizierung – entscheidende Voraussetzungen<br />
für den Anschub und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />
der Exportoffensive. Die Regierung konnte auch<br />
Source: World Bank <strong>2003</strong>i; Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association <strong>2003</strong>.<br />
kommen 1,3 Prozent, bei Ländern mit niedrigem<br />
Einkommen jedoch -0,1 Prozent. 9 Andererseits<br />
schnitten viele Länder mit niedrigem<br />
Einkommen einschließlich Chinas und In<strong>die</strong>ns<br />
außerordentlich gut ab.<br />
Die meisten erfolgreichen Länder mit<br />
niedrigem Einkommen konzentrierten sich auf<br />
den Export von Industriegütern (Feature 3.1).<br />
Von den Entwicklungsländern mit ausreichendem<br />
wirtschaftlichem Wachstum und verfügbaren<br />
Handelsdaten für den Zeitraum von<br />
1980 bis 1998 exportierten 1995 24 in erster<br />
Linie Industriegüter und 61 vorwiegend Rohstoffe<br />
außer Erdöl.10 Nur eines der Länder,<br />
<strong>die</strong> hauptsächlich Industriegüter exportierten,<br />
verzeichnete im Zeitraum von 1980 bis 1998<br />
kein wirtschaftliches Wachstum, verglichen<br />
mit 32 der Länder, <strong>die</strong> vornehmlich Rohstoffe<br />
exportierten.<br />
Wenn man <strong>die</strong> Verknüpfungen zwischen<br />
wirtschaftlichem Wachstum und Wirtschaftsstruktur<br />
berücksichtigt, kann man sich auf <strong>die</strong><br />
Probleme konzentrieren, mit denen <strong>die</strong> ärmsten<br />
Länder konfrontiert sind. Warum wurde<br />
China zu einem Exportland für Industriegüter,<br />
Mali beispielsweise dagegen nicht? War<br />
<strong>die</strong>s ausschließlich auf <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik<br />
<strong>die</strong> Stabilität wahren, <strong>die</strong> für eine Wachstumspolitik<br />
zu Gunsten der Armen so wichtig ist. Infolge<br />
<strong>die</strong>ser politischen Initiativen stiegen <strong>die</strong> Exporte<br />
der arbeitsintensiven bangladeschischen Bekleidungsindustrie<br />
zwischen 1991 und 2002 von 867<br />
Millionen auf 4,6 Milliarden US-Dollar (Bangladesh<br />
Garment Manufacturers and Exporters Association<br />
<strong>2003</strong>).<br />
Aber obwohl Bangladesch in den letzten 30<br />
Jahren beeindruckende Erfolge bei der Befreiung<br />
aus tiefer Armut erzielt und <strong>die</strong> Gesundheit von<br />
Müttern und Kindern verbessert hat, sind seine Erfahrungen<br />
möglicherweise nicht weltweit wiederholbar,<br />
weil es eine große Volkswirtschaft mit einer<br />
Bevölkerung von 133 Millionen Menschen ist.<br />
Außerdem ist Bangladesch trotz seiner Erfolge<br />
noch weit davon entfernt, mehrere der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen – einschließlich<br />
derjenigen zu Hunger und sanitärer Versorgung.<br />
Deshalb gilt <strong>die</strong> zentrale Empfehlung des Millenniums-Entwicklungspakts<br />
weiterhin: Um <strong>die</strong> Ziele in<br />
allen Sektoren zu erreichen, ist ein mehrgleisiger<br />
Ansatz erforderlich.<br />
zurückzuführen, oder spielten Strukturbedingungen<br />
eine Rolle? Und wenn Strukturbedingungen<br />
eine Rolle spielten, wie können <strong>die</strong> zugrunde<br />
liegenden Strukturen in Mali so verbessert<br />
werden, dass es ein erfolgreiches Exportland<br />
für Industriegüter werden kann?<br />
Bei Produkten jenseits herkömmlicher<br />
Rohstoffe international wettbewerbsfähig zu<br />
werden ist nicht einfach. In Mali sind <strong>die</strong> Renditen<br />
aus Investitionen im verarbeitenden Gewerbe<br />
nicht sehr hoch, und zwar nicht nur aus<br />
wirtschaftspolitischen Gründen. Das Land ist<br />
ein Binnenland und verzeichnet eine hohe Inzidenz<br />
von Malaria, Tuberkulose, HIV/AIDS<br />
und anderen Krankheiten. Fragile Böden und<br />
unbeständige Niederschläge <strong>über</strong> viele Jahrzehnte<br />
haben niedrige Nahrungsmittelproduktivität<br />
zur Folge gehabt. Wegen geringer<br />
Energieressourcen müssen fossile Energieträger<br />
importiert werden. Über<strong>die</strong>s ist der Inlandsmarkt<br />
auf Grund der kleinen Bevölkerung<br />
winzig. Für Investoren ist das Bildungsund<br />
Qualifikationsniveau in dem Land zu<br />
niedrig, um <strong>die</strong> Kosten zu rechtfertigen, <strong>die</strong><br />
durch den fehlenden Zugang zum Meer,<br />
schlechte Gesundheitsbedingungen, schlechten<br />
Ernährungsstand, winzige Inlandsmärkte<br />
84 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
und damit zusammenhängende Beschränkungen<br />
verursacht werden. Kurzum, Mali erreicht<br />
nicht <strong>die</strong> Mindeststandards, um außerhalb der<br />
herkömmlichen Sektoren viele in- oder ausländische<br />
Investoren anzuziehen.<br />
Damit in Mali – und in vielen anderen<br />
Ländern in einer ähnlichen Situation – <strong>die</strong><br />
Millenniums-Entwicklungsziele erreicht werden<br />
können, bedarf es daher Sonderinvestitionen<br />
in einer Vielzahl von Sektoren. Um <strong>die</strong> für<br />
private, marktorientierte Investitionen notwendigen<br />
Mindeststandards zu erreichen,<br />
sind bessere Gesundheit, Bildung, Wasserund<br />
Sanitärversorgung, Straßen, Häfen und<br />
Energieversorgung notwendig (Kasten 3.2<br />
verdeutlicht <strong>die</strong> Erfolge in Bangladesh). Mali<br />
könnte unter anderem erfolgreiches Exportland<br />
für Textilerzeugnisse, Touristenziel und<br />
Verarbeitungsland für tropische Agrarprodukte<br />
werden. Aber solche Aktivitäten entwickeln<br />
sich nur dann erfolgreich, wenn Gesundheits-,<br />
Bildungs- und andere entscheidende<br />
Mindeststandards erreicht werden. Weil<br />
das Land viel zu arm sind, um <strong>die</strong>se Investitionen<br />
aus eigener Kraft tätigen zu können, müssen<br />
Partnerländer <strong>die</strong> Anschubfinanzierung<br />
<strong>über</strong>nehmen.<br />
STRUKTURPROBLEME AUF GRUND<br />
UNGÜNSTIGER GEOGRAFIE, KLEINER<br />
MÄRKTE UND HOHER HANDELSKOSTEN<br />
Um zu verstehen, warum manche Länder<br />
höhere Hürden <strong>über</strong>winden müssen, um Mindeststandards<br />
für wirtschaftliches Wachstum<br />
zu erreichen, muss man zuerst <strong>die</strong> strukturbedingten<br />
Auswirkungen der physischen Geografie<br />
betrachten. Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />
Smith bereits vor mehr als 200 Jahren darlegte,<br />
hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines Landes, <strong>die</strong> für<br />
ein international wettbewerbsfähiges verarbeitendes<br />
Gewerbe erforderliche komplexe Arbeitsteilung<br />
dauerhaft zu leisten, von der<br />
„Größe des Marktes“ ab.<br />
DIE AUSWIRKUNGEN DER GEOGRAFIE<br />
AUF MÄRKTE, HANDEL UND WACHSTUM<br />
Es gibt zwei Möglichkeiten für ein Land, den<br />
Markt zu vergrößern. Die erste führt <strong>über</strong> eine<br />
große Bevölkerung: Länder mit einer kleinen<br />
Bevölkerung weisen im Allgemeinen kleine Inlandsmärkte<br />
auf. (Unter Ländern mit einer<br />
kleinen Bevölkerung werden hier solche mit<br />
weniger als 40 Millionen Menschen im Jahr<br />
1990 verstanden.) Die zweite ist durch kostengünstigen<br />
Handel mit den Weltmärkten unter<br />
Ausnutzung des Umstandes, dass <strong>die</strong> Geografie<br />
einen großen Einfluss auf <strong>die</strong> Handelskosten<br />
hat. Länder in der Nähe großer Märkte<br />
(für Mexiko <strong>die</strong> Vereinigten Staaten, für Polen<br />
<strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland) oder Küstenländer<br />
mit einfachem Zugang zu kostengünstigem<br />
Seetransport sind gegen<strong>über</strong> Binnenländern<br />
in großer Entfernung von wichtigen<br />
Märkten oder Seehäfen im Vorteil. (Unter<br />
Binnenländern werden hier Länder verstanden,<br />
deren Bevölkerung zu mehr als 75 Prozent<br />
in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer<br />
von der Küste lebt.)<br />
Im Zeitraum von 1980 bis 1998 erreichten<br />
Entwicklungsländer mit einer großen Bevölkerung,<br />
Küstenregionen oder beidem ein wesentlich<br />
höheres wirtschaftliches Wachstum<br />
als Länder mit einer kleinen Bevölkerung und<br />
Binnenregionen. Große Küstenländer wuchsen<br />
in 3 von 4 Fällen, und zwar pro Kopf um<br />
durchschnittlich 3,2 Prozent (siehe Feature<br />
3.1, Tabelle 2). Große Binnenländer wuchsen<br />
in 10 von 10 Fällen, und zwar um durchschnittlich<br />
2,5 Prozent. Und kleine Küstenländer<br />
wuchsen in 15 von 17 Fällen, und zwar um<br />
durchschnittlich 1,9 Prozent (siehe Feature<br />
3.1).<br />
Von 53 kleinen Binnenländern wuchsen<br />
jedoch nur 24. Außerdem war das durchschnittliche<br />
Pro-Kopf-Wachstum der Gruppe<br />
negativ.<br />
Obwohl es den Eindruck erwecken könnte,<br />
dass <strong>die</strong>se Daten durch Afrika südlich der<br />
Sahara verzerrt werden, weil der Teilkontinent<br />
mehr als 30 kleine Binnenländer umfasst, gilt<br />
das gleiche Muster für nicht afrikanische Länder:<br />
Von den 50 nicht afrikanischen Ländern<br />
in der Gruppe verzeichneten 27 von 30, <strong>die</strong><br />
groß, Küstenland oder beides sind, wirtschaftliches<br />
Wachstum, während <strong>die</strong>s nur für 11 von<br />
20 kleinen Binnenländern galt.<br />
Bei weiterer Betrachtung derselben Gruppe<br />
von Entwicklungsländern lässt sich feststel-<br />
Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />
Smith bereits vor mehr als<br />
200 Jahren darlegte,<br />
hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines<br />
Landes, <strong>die</strong> für ein<br />
international<br />
wettbewerbsfähiges<br />
verarbeitendes Gewerbe<br />
erforderliche komplexe<br />
Arbeitsteilung dauerhaft<br />
zu leisten, von der „Größe<br />
des Marktes“ ab<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 85
KASTEN 3.3<br />
Zu den Andenländern zählen Bolivien, Ecuador,<br />
Kolumbien, Peru und Venezuela. Von <strong>die</strong>sen<br />
sind Kolumbien, Ecuador, Bolivien und<br />
Peru mit ähnlichen strukturbedingten Beschränkungen<br />
und politischen Problemen konfrontiert.<br />
Diese Länder liegen bei den Indikatoren<br />
für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung im Mittelfeld,<br />
aber dennoch leidet <strong>die</strong> Region unter verfestigter<br />
Armut und Ungleichheit in hohem<br />
Maße. Bei Kaufkraftparität betrug im Jahr 2001<br />
das Pro-Kopf-BIP in Bolivien 2.424, in Ecuador<br />
3.202, in Peru 4.799 und in Kolumbien<br />
6.248 US-Dollar. Obwohl <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen<br />
in <strong>die</strong>sen vier Ländern also stark<br />
variieren, lebt immer noch mehr als ein Drittel<br />
der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar<br />
täglich. Obwohl Venezuela der sechstgrößte<br />
Erdölproduzent auf der Welt ist, ist das Land<br />
mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert. Das<br />
Pro-Kopf-BIP-Wachstum betrug in den letzten<br />
beiden Jahrzehnten im Durchschnitt -0,7 und -<br />
1,0 Prozent, und mehr als 23,5 Prozent der Bevölkerung<br />
leben von weniger als 1 US-Dollar<br />
täglich.<br />
Mehrere Strukturmerkmale können das<br />
Anhalten von wirtschaftlicher Stagnation und<br />
Armut in <strong>die</strong>sen Andenländern erklären helfen.<br />
• Ein erster seit langem bekannter Faktor ist<br />
das Andauern von Ungleichheit. Jedes Land hat<br />
einen Gini-Koeffizienten von mehr als 0,5. Diese<br />
Ungleichheit ist auf Grund ethnischer Spaltung<br />
besonders ausgeprägt. Ein wichtiges Element<br />
jeder Entwicklungspolitik für <strong>die</strong>se Länder,<br />
<strong>die</strong> Erfolg haben soll, muss <strong>die</strong> öffentliche<br />
Bereitstellung zentraler sozialer Dienste in den<br />
Bereichen Bildung, Gesundheit sowie Wasserund<br />
Sanitärversorgung sein, um <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />
<strong>die</strong>ser ausgeschlossenen Gruppen zu erweitern.<br />
• Ein zweiter und häufiger <strong>über</strong>sehener Strukturfaktor,<br />
der zu den Entwicklungsproblemen<br />
<strong>die</strong>ser Länder beiträgt, ist, dass in jedem von ihnen<br />
ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in<br />
hochgelegenen Binnenregionen lebt. Der Zu-<br />
len, dass etwa <strong>die</strong> Hälfte der Weltbevölkerung<br />
in großen Binnenländern lebt, <strong>die</strong> positives<br />
dauerhaftes Wachstum verzeichnet haben.<br />
Dazu zählen China und In<strong>die</strong>n. Dagegen leben<br />
etwa 420 Millionen Menschen in großen<br />
Küstenländern und 341 Millionen davon in<br />
stabil wachsenden Volkswirtschaften. (Die anderen<br />
77 Millionen leben auf den Philippinen.)<br />
Die meisten der 130 Millionen Men-<br />
Herausforderungen in der Andenregion<br />
gang zu den Weltmärkten ist deshalb für ihre<br />
Volkswirtschaften mit sehr hohen Transportkosten<br />
verbunden. Bolivien ist zwar das einzige<br />
Binnenland, aber auch in Ecuador und Peru<br />
lebt <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung weiter als 100<br />
Kilometer von der Küste entfernt. Ungefähr ein<br />
Viertel der Bevölkerung Kolumbiens lebt ebenfalls<br />
im Landesinneren.<br />
• Dieser fehlende Marktzugang trägt zu einem<br />
dritten Problem bei: Die Länder sind von<br />
natürlichen Ressourcen abhängig und deshalb<br />
großen Schwankungen der Rohstoffpreise ausgesetzt.<br />
Erdöl macht beispielsweise mehr als 80<br />
Prozent der Exporte Venezuelas aus. Mehr als<br />
<strong>die</strong> Hälfte der Exporte Ecuadors entfallen auf<br />
Erdöl (30 Prozent) und Bananen (21 Prozent),<br />
jedoch weniger als ein Viertel auf Industriegüter<br />
(23 Prozent). Bolivien ist ebenfalls noch<br />
weitgehend von Erdgas und Soja abhängig (45<br />
Prozent der Gesamtexporte), während Industriegüter<br />
nur einen kleinen Teil darstellen (14<br />
Prozent).<br />
• Ein viertes Problem beruht auf El Niño, einer<br />
zyklischen klimatischen Fluktuation der<br />
Temperatur und der Niederschlagsmenge mit<br />
großen Auswirkungen auf <strong>die</strong> Agrarproduktion.<br />
Um <strong>die</strong> Anfälligkeit für externe Schwankungen<br />
zu <strong>über</strong>winden, brauchen <strong>die</strong>se Länder eine aktive<br />
Infrastrukturpolitik, insbesondere für Häfen<br />
und Straßen, <strong>die</strong> ihnen Zugang zu den Weltmärkten<br />
verschafft. Ebenso notwendig ist eine<br />
aktive Industriepolitik als Beitrag zur Entwicklung<br />
eines breit gefächerten verarbeitenden Gewerbes<br />
für <strong>die</strong> Produktion von Exportgütern.<br />
• Fünftens sind <strong>die</strong>se Länder mit einer strukturbedingten<br />
Beschränkung konfrontiert, in der<br />
sich ihre anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />
widerspiegeln: Schulden<strong>über</strong>hang. Im<br />
Verlauf der letzten 20 Jahre wurden durch den<br />
Pariser Club für Bolivien, Ecuador und Peru<br />
mindestens fünf Umschuldungsabkommen mit<br />
Gläubigerländern vermittelt. Diese Schuldenprobleme<br />
erschwerten notwendige Investitionen<br />
im Inland, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Befähigun-<br />
Source: World Bank 1998b, 2002h, 2002i; UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa Economica Aplicada 2002.<br />
schen in kleinen Küstenländern leben in wachsenden<br />
Volkswirtschaften. Aber fast 420 Millionen<br />
Menschen leben in kleinen Binnenvolkswirtschaften,<br />
<strong>die</strong> nicht wachsen (Kasten<br />
3.3).<br />
Diese Zahlen bedeuten nicht, dass jeder in<br />
wachsenden Volkswirtschaften in den Genuss<br />
von mehr Wohlergehen kommt. Strukturbedingte<br />
Beschränkungen können innerhalb von<br />
gen hätten verbessern und das wirtschaftliche<br />
Wachstum hätten stimulieren können.<br />
Im Falle Venezuelas haben fehlende Exportdiversifikation<br />
und sinkende Produktivität<br />
zur wirtschaftlichen Stagnation beigetragen. In<br />
der jüngsten Zeit sind zu <strong>die</strong>sen Problemen politische<br />
Unruhen, zunehmende Ungleichheit<br />
und schlechte Wirtschaftsplanung hinzugekommen.<br />
Neben <strong>die</strong>sen strukturbedingten Schwierigkeiten<br />
gab es eine Wechselwirkung zwischen<br />
der sozialen, wirtschaftlichen und politischen<br />
Instabilität der Region und der Produktion von<br />
Koka-Blättern und Kokain, im Wesentlichen<br />
für <strong>die</strong> illegalen Märkte in den Vereinigten Staaten<br />
und Europa. Die Drogenindustrie hat zu einer<br />
Ausweitung des organisierten Verbrechens<br />
sowie von Korruption und anderen Übeln der<br />
öffentlichen Verwaltung geführt. Dies wiederum<br />
resultierte in einer Militarisierung der Gesellschaften<br />
und anhaltenden Bedrohungen des<br />
sozialen Friedens und der Demokratie.<br />
Aktuelle Schätzungen auf der Basis bisheriger<br />
Entwicklungen weisen darauf hin, dass nur<br />
Kolumbien annähernd in der Lage scheint, das<br />
Armutsziel umzusetzen. Für <strong>die</strong> anderen Länder<br />
wird sogar von einer zunehmenden Armut<br />
ausgegangen, weitgehend infolge der zunehmenden<br />
Ungleichheit, der wirtschaftlichen Stagnation<br />
oder beiden Gründen zusammen<br />
(UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa<br />
Economica Aplicada 2002).<br />
Trotz der Schwere <strong>die</strong>ser Kombination von<br />
Problemen können politische Maßnahmen ergriffen<br />
werden, um sie zu <strong>über</strong>winden. Straßen<br />
und Häfen können gebaut werden. Die Regierungen<br />
können in ausgeschlossene Gruppen investieren.<br />
Märkte können diversifiziert werden.<br />
Und Abkommen mit Gläubigern können neu<br />
verhandelt werden. Entscheidend ist, dass, wie<br />
im Millenniums-Entwicklungspakt dargelegt,<br />
alle <strong>die</strong>se Probleme im Rahmen eines Pakts zwischen<br />
dem einzelnen Land und seinen Partnern<br />
gleichzeitig angegangen werden.<br />
86 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Ländern bestehen, aber auch zwischen ihnen,<br />
und es können andere Erscheinungsformen<br />
von Ungleichheit existieren. In China und In<strong>die</strong>n<br />
gibt es weiterhin große „Inseln“ verfestigter<br />
Armut, auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Politik dort ihre Aufmerksamkeit<br />
richten muss (Kasten 3.4).<br />
KASTEN 3.4<br />
In China und In<strong>die</strong>n zusammengenommen<br />
lebt ein Drittel der Weltbevölkerung. Beide<br />
Länder haben im letzten Jahrzehnt enormes<br />
wirtschaftliches Wachstum erzielt. Ihre Erfolge<br />
bei der Steigerung des durchschnittlichen<br />
Wohlergehens implizieren wichtige Verbesserungen<br />
für einen großen Teil der Menschheit.<br />
Aber ihre Erfahrungen machen auch deutlich,<br />
wie wichtig es ist, <strong>über</strong> nationale Durchschnitte<br />
hinauszuschauen, um Unterschiede zwischen<br />
Ländern zu verstehen.<br />
Obwohl beide Länder rasches, anhaltendes<br />
wirtschaftliches Wachstum erzielt haben,<br />
waren ihre Fortschrittsraten durchaus unterschiedlich.<br />
Mit einem durchschnittlichen realen<br />
Pro-Kopf-Wachstum von 8 Prozent jährlich<br />
im letzten Jahrzehnt verzeichnete China<br />
den raschesten dauerhaften wirtschaftlichen<br />
Fortschritt in der Geschichte der Menschheit.<br />
Bei Kaufkraftparität (KKP) beträgt das Pro-<br />
Kopf-Einkommen dort jetzt 3.976 US-Dollar.<br />
Im gleichen Zeitraum wuchs das reale Pro-<br />
Kopf-Einkommen in In<strong>die</strong>n gleichmäßig, aber<br />
langsamer um durchschnittlich 4,4 Prozent auf<br />
2.358 US-Dollar im Jahr 2001. Parallel zum erfolgreichen<br />
wirtschaftlichen Wachstum verzeichneten<br />
beide Länder eine beträchtliche<br />
Verringerung der Armut. Nach Weltbank-<br />
Schätzungen sank der Anteil der Menschen,<br />
<strong>die</strong> von weniger als 1 US-Dollar pro Tag leben,<br />
in China zwischen 1990 und 2000 von 33 auf<br />
16 und in In<strong>die</strong>n zwischen 1993/94 und 2001<br />
von 42 auf 35 Prozent.<br />
Trotz beträchtlicher Unterschiede in Bezug<br />
auf Methodik, Aufbau und Auswahl der<br />
Bezugsgrößen liefern <strong>die</strong>se Berechnungen einen<br />
groben Überblick <strong>über</strong> <strong>die</strong> Armuts<strong>entwicklung</strong><br />
in beiden Ländern.<br />
Marktreformen<br />
Chinas außergewöhnliches Wachstum lässt<br />
sich zum Teil auf seine marktorientierten Reformen<br />
zurückführen. Diese begannen zudem<br />
bereits 1978 und damit deutlich früher als in<br />
In<strong>die</strong>n, wo ähnliche Reformen erst 1991 eingeleitet<br />
wurden. Diese Reformen ermöglichten es<br />
China, sich in einem phänomenalen Tempo in<br />
<strong>die</strong> Weltwirtschaft zu integrieren. Heute ist es<br />
In <strong>die</strong>sen Zahlen spiegelt sich auch kein<br />
hoher Wachstumsstandard wider, weil ein armes<br />
Land auch dann als wachsend eingestuft<br />
wird, wenn es im Zeitraum von 1980 bis 1998<br />
nur ein durchschnittliches jährliches Wachstum<br />
von 0,1 Prozent verzeichnete. Aber <strong>die</strong><br />
China und In<strong>die</strong>n – beeindruckendes Wachstum, wichtige Unterschiede<br />
unter den Entwicklungsländern der größte<br />
Empfänger ausländischer Direktinvestitionen.<br />
Zwischen 1978 und 2002 stiegen <strong>die</strong> jährlichen<br />
Investitionen von fast Null auf etwa 52 Milliarden<br />
US-Dollar (fast 5 Prozent des BIP). Die<br />
ausländischen Direktinvestitionen haben auch<br />
in In<strong>die</strong>n beträchtlich zugenommen, wenn<br />
auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Zwischen<br />
1991 und 2002 stiegen sie von 129 Millionen<br />
auf 4 Milliarden US-Dollar (weniger als<br />
1 Prozent des BIP).<br />
Robustes Exportwachstum hat zur wirtschaftlichen<br />
Leistung beider Länder beigetragen.<br />
Dabei nahm der Export von Industriegütern<br />
eine zunehmend vorherrschende Stellung<br />
ein. Aber auch in <strong>die</strong>sem Bereich war China erfolgreicher.<br />
Seine Exporte erreichten 2001 ein<br />
Volumen von 320 Milliarden US-Dollar, verglichen<br />
mit 35 Milliarden US-Dollar in In<strong>die</strong>n.<br />
Auf <strong>die</strong> Industriegüterexporte entfielen 53<br />
Prozent der chinesischen Gesamtexporte im<br />
Jahr 1981 und 90 Prozent im Jahr 2001; in In<strong>die</strong>n<br />
stieg <strong>die</strong>ser Anteil von 60 auf 77 Prozent.<br />
China war besonders erfolgreich beim Übergang<br />
von arbeitsintensiven zu technologieintensiven<br />
Exportgütern: Telekommunikationsausrüstung<br />
und Computer machen mittlerweile<br />
ein Viertel seiner Exporte aus.<br />
Soziale Investitionen<br />
Für dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum<br />
bedarf es Investitionen im Sozialbereich. In<br />
China belaufen sich <strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben<br />
für Bildung auf 2,3 Prozent des BIP und <strong>die</strong><br />
für Gesundheit auf etwa 2,1 Prozent des BIP.<br />
Die Ergebnisse für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
sind klar: 84 Prozent der Bevölkerung<br />
sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />
beträgt 32 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten<br />
und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate von Kindern<br />
unter fünf Jahren 40 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />
Im Gegensatz dazu lagen <strong>die</strong><br />
Ausgaben in In<strong>die</strong>n traditionell auf einem<br />
niedrigeren Niveau. Die Gesundheitsausgaben<br />
belaufen sich auf 1,3 Prozent des BIP (Zentralregierung<br />
und Regierungen der Bundesstaaten<br />
zusammengenommen). Die Bildungsausgaben<br />
stiegen beträchtlich von 0,8 Prozent des BIP<br />
im Jahr 1950 auf derzeit 3,2 Prozent, obwohl<br />
sie damit noch immer unter der Zielvorgabe<br />
der Regierung von 6 Prozent des BIP liegen.<br />
Trotz <strong>die</strong>ses Anstiegs bleiben <strong>die</strong> Indikatoren<br />
für <strong>menschliche</strong> Entwicklung für In<strong>die</strong>n wesentlich<br />
niedriger als für China. 65 Prozent der<br />
Bevölkerung sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />
beträgt 68 Todesfälle pro<br />
1.000 Lebendgeburten und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />
von Kindern unter fünf Jahren 96 Todesfälle<br />
pro 1.000 Lebendgeburten.<br />
Religiöse Vielfalt und andere<br />
Herausforderungen<br />
Es wäre irreführend, bei zwei Ländern mit einer<br />
so großen Bevölkerung und Fläche lediglich<br />
auf <strong>die</strong> nationalen Durchschnittswerte zu<br />
blicken. In Kapitel 2 wurde bereits darauf hingewiesen,<br />
dass in China das höchste wirtschaftliche<br />
Wachstum in den Küstenprovinzen verzeichnet<br />
wurde, während <strong>die</strong> geografisch abgelegenen<br />
Nordwestprovinzen ein wesentlich geringeres<br />
Wachstum aufwiesen. Auch in In<strong>die</strong>n<br />
gibt es große regionale Unterschiede. Im Zeitraum<br />
von 1992 bis 1997 schwankte das Pro-<br />
Kopf-Wirtschaftswachstum zwischen -0,2 Prozent<br />
in Bihar und 7,8 Prozent in Gujarat. Ähnliche<br />
Divergenzen ergeben sich bei anderen Indikatoren<br />
für <strong>menschliche</strong> Entwicklung wie jenen<br />
für Bildung und Gesundheit.<br />
Beide Länder sind noch mit Problemen<br />
wie der Ausbreitung von HIV/AIDS und anderer<br />
sexuell <strong>über</strong>tragener Krankheiten als Nebeneffekt<br />
der Zunahme der Arbeitsmigration<br />
und des internationalen Handels konfrontiert.<br />
Und beide stehen vor der Aufgabe, eine wissensbasierte<br />
Wirtschaft zu fördern, um bei steigender<br />
durchschnittlicher Qualifikation ein<br />
ständig hohes wirtschaftliches Wachstum aufrechtzuerhalten.<br />
Beide müssen sich auch darauf<br />
konzentrieren, <strong>die</strong> Wachstumsdividenden<br />
an Regionen, Gemeinschaften und ethnische<br />
Gruppe zu verteilen, <strong>die</strong> bislang kaum an dem<br />
neuen Wohlstand teilhatten. Schwerpunkt integrativer<br />
politischer Maßnahmen sollten Investitionen<br />
in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />
zur Förderung zukünftiger Entwicklung<br />
sein.<br />
Quelle: Woo und Bao <strong>2003</strong>; World Bank <strong>2003</strong>e, <strong>2003</strong>f, <strong>2003</strong>i und Berechnungen von Shaohua Chen, World Bank, und Angus Deaton, Princeton University; In<strong>die</strong>n <strong>2003</strong>; China <strong>2003</strong>; Bajpay <strong>2003</strong>; UNCTAD 2002b.<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 87
Die Erörterung der<br />
Geografie hier macht<br />
deutlich, dass politische<br />
Maßnahmen benötigt<br />
werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong><br />
Probleme jedes Landes<br />
zugeschnitten sind. Mit<br />
guten politischen<br />
Maßnahmen lassen sich<br />
selbst <strong>die</strong> Schwierigkeiten<br />
<strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> durch<br />
kleine Märkte – oder<br />
schlechte Böden oder<br />
Klimaschwankungen –<br />
verursacht werden<br />
Zahlen machen deutlich, welche Art von Ländern<br />
<strong>die</strong> größten Probleme haben werden, <strong>die</strong><br />
Ziele zu erreichen, und deshalb <strong>die</strong> meiste Unterstützung<br />
vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />
benötigen. Es sind kleine Binnenvolkswirtschaften.<br />
Sie ver<strong>die</strong>nen daher <strong>die</strong><br />
größte Aufmerksamkeit im Rahmen des Millenniums-Entwicklungspakts.<br />
Dies bedeutet<br />
jedoch nicht, dass einige große Länder mit bedeutenden<br />
Küstenregionen wie Pakistan vernachlässigt<br />
werden sollten. Sie stehen vor beträchtlichen<br />
Problemen in den Bereichen Armut<br />
und <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />
Einige zusätzliche Anmerkungen zur Geografie:<br />
• Geografie kann sowohl Segen als auch<br />
Fluch sein. Es ist kein Zufall, dass alle der<br />
Ende des 20. Jahrhunderts erfolgreichen ostasiatischen<br />
Länder Zugang zu Küsten und<br />
wichtigen Schifffahrtsrouten haben. Der Zugang<br />
zu großen Märkten kann helfen, den<br />
Nachteil einer kleinen Bevölkerung auszugleichen.<br />
• Natürliche Ressourcen – eine andere<br />
Erscheinungsform von Geografie – können<br />
einen großen Vorteil darstellen, wenn ihre<br />
finanziellen Dividenden klug eingesetzt<br />
werden. Das beste Beispiel bieten <strong>die</strong><br />
Diamantenfunde in Botsuana, wo <strong>die</strong> in<br />
Bildung und Gesundheit investierten Einnahmen<br />
einem recht kleinen Binnenland<br />
halfen, sein Pro-Kopf-Einkommen innerhalb<br />
von 25 Jahren zu vervierfachen (wenngleich<br />
<strong>die</strong>se Fortschritte in der jüngsten Zeit durch<br />
eine schwere HIV/AIDS Bürde erschwert<br />
wurden).<br />
• Die Marktgröße und <strong>die</strong> Küstenlage eines<br />
Landes sind nicht <strong>die</strong> einzigen geophysikalischen<br />
Merkmale, denen dringend Aufmerksamkeit<br />
gewidmet werden muss. Manche Regionen<br />
sind anfällig für Klimaschocks (wie El<br />
Niño), andere dagegen nicht. Manche Regionen<br />
sind anfällig für Naturkatastrophen (Erdbeben,<br />
Tropenstürme, Vulkanausbrüche,<br />
Überschwemmungen), andere dagegen nicht.<br />
Manche Regionen sind anfällig für umweltbedingte<br />
Krankheiten (Malaria), andere dagegen<br />
nicht. Manche Regionen leiden unter extremem<br />
Wassermangel, andere dagegen nicht.<br />
Alle <strong>die</strong>se geophysikalischen Beschränkungen<br />
können eine Volkswirtschaft schwer belasten<br />
– und erfordern <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Politik.<br />
GEOGRAFIE IST JEDOCH KEIN SCHICKSAL<br />
Die Geografie kann Probleme bereiten; sie definiert<br />
jedoch nicht das Schicksal eines Landes.<br />
Die Erörterung der Geografie hier macht<br />
deutlich, dass politische Maßnahmen benötigt<br />
werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong> Probleme jedes<br />
Landes zugeschnitten sind. Mit guten politischen<br />
Maßnahmen lassen sich selbst <strong>die</strong><br />
Schwierigkeiten <strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> durch kleine<br />
Märkte – oder schlechte Böden oder Klimaschwankungen<br />
– verursacht werden. In geografisch<br />
isolierten Ländern können bessere<br />
Straßen und Kommunikationswege viele entfernungsbedingten<br />
Nachteile ausgleichen.<br />
In Ländern mit einer kleinen Bevölkerung<br />
kann <strong>die</strong> Integration mit Nachbarländern <strong>die</strong><br />
erforderliche Marktgröße bewirken. Außerdem<br />
können reiche Länder ihre Märkte für<br />
Exporte aus kleinen Entwicklungsländern öffnen.<br />
Das war das Erfolgsrezept kleiner Länder<br />
oder Binnenländer in Westeuropa: <strong>die</strong> enge<br />
wirtschaftliche Integration der Europäischen<br />
Union.<br />
Wenn eine Volkswirtschaft durch schlechte<br />
Böden benachteiligt ist, müssen ihnen<br />
Nährstoffe zugeführt werden (durch Dünger,<br />
Leguminosen-Bäume, bessere Fruchtfolge<br />
und andere Mittel). Und Tropenkrankheiten<br />
können durch Maßnahmen wie mit Insektiziden<br />
imprägnierte Moskitonetze zur Bekämpfung<br />
von Malaria eingedämmt werden. Das<br />
Problem besteht nicht darin, dass geophysikalisch<br />
bedingte Hindernisse un<strong>über</strong>windbar<br />
sind. Das Problem ist, dass sie zu häufig <strong>über</strong>sehen<br />
werden – und es Geld kostet, ihnen entgegenzuwirken.<br />
GUTE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />
WIRTSCHAFTLICHES WACHSTUM UND<br />
MENSCHLICHE ENTWICKLUNG<br />
Ein erster Anlauf zu wirtschaftlichem Fortschritt<br />
ist oft <strong>die</strong> Steigerung der Produktivität<br />
von Kleinbauern. Diese kann erzielt werden,<br />
wenn Marktkräfte landwirtschaftliche Fort-<br />
88 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
schritte ermöglichen oder Regierungen in Forschung<br />
und Entwicklung investieren. Arme<br />
Bauernhaushalte produzieren häufig Nahrungsmittel<br />
für den eigenen Verbrauch, sodass<br />
nur wenig für den Markt übrig bleibt. Die<br />
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität<br />
– beispielsweise durch verbessertes Saatgut<br />
und Düngemittel wie während der „Grünen<br />
Revolution“ der siebziger Jahre – erhöht<br />
das Haushaltseinkommen und verbessert <strong>die</strong><br />
Ernährungssituation. Sie ermöglicht armen<br />
Haushalten auch, mehr in <strong>die</strong> Gesundheit und<br />
Bildung ihrer Kinder zu investieren. Viele <strong>die</strong>ser<br />
Kinder wandern später in urbane Gebiete<br />
ab, insbesondere weil der Nahrungsmittelbedarf<br />
jetzt von weniger (aber produktiveren)<br />
Bauern gedeckt werden kann.<br />
Im verarbeitenden Gewerbe beruht höhere<br />
Produktivität auf einem stabilen makroökonomischen<br />
Umfeld, wirksamen öffentlichen<br />
Institutionen und zuverlässiger physischer Infrastruktur.<br />
Wachsende Stadtbevölkerungen<br />
begünstigen ebenfalls ein größeres und produktiveres<br />
verarbeitendes Gewerbe. Außerdem<br />
erhält <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden<br />
Gewerbe oft einen wichtigen Schub<br />
durch Hochtechnologieimporte. In Ostasien<br />
stieg <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden Gewerbe,<br />
als einheimische Unternehmen Zulieferer<br />
multinationaler Konzerne wurde, indem<br />
sie <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen Konzernen bereitgestellten<br />
Technologien und Produktspezifikationen anwendeten.<br />
Zu den häufig anzutreffenden exportierten<br />
Industriegütern der frühen Phase<br />
zählen Spielzeug, Textilien, Schuhe, Elektronikbauteile,<br />
Automobilzubehör und Ähnliches.<br />
Steigende Einkommen bewirken, dass<br />
Haushalte mehr für Gesundheit und Bildung<br />
ausgeben. Sie investieren in sauberes Wasser,<br />
lassen ihre Kinder <strong>die</strong> Schule besuchen oder<br />
kaufen im Krankheitsfall Arzneimittel. Sie verbessern<br />
auch ihre Ernährung. Die Menschen<br />
können sich sicherere Häuser leisten: Sie kaufen<br />
Fliegengitter für Fenster, um Krankheiten<br />
<strong>über</strong>tragende Mücken draußen zu halten,<br />
oder Herde, <strong>die</strong> mit Propangas und nicht mit<br />
hochgradig <strong>die</strong> Umwelt belastendem Holz beheizt<br />
werden. Investitionen von Haushalten in<br />
Gesundheit und Bildung gehen oft mit öffent-<br />
lichen Investitionen in soziale Dienste einher.<br />
Parallel zu den Einkommen steigen <strong>die</strong> nationalen<br />
Sparquoten (der nach Haushalts- und<br />
Staatsausgaben übrig bleibende Teil des<br />
Volkseinkommens). Bei sehr niedrigen Einkommen<br />
sind Haushalte zu arm, um sparen zu<br />
können: Sie müssen alles ausgeben, was sie haben,<br />
um einfach nur <strong>über</strong>leben zu können.<br />
Der größte Teil der Ausgaben entfällt auf<br />
Nahrungsmittel, Unterkunft und Bekleidung<br />
– und im Krankheitsfall auf <strong>die</strong> medizinische<br />
Versorgung. Wenn <strong>die</strong> Einkommen <strong>über</strong> das<br />
Überlebensminimum ansteigen, können<br />
Haushalte es sich leisten, Geld für ihr zukünftiges<br />
Wohlergehen und ihre wirtschaftliche<br />
Absicherung zu sparen. Die nationalen Ersparnisse<br />
bedeuten einen weiteren Schub für<br />
das wirtschaftliche Wachstum, weil sie Investitionen<br />
durch <strong>die</strong> Privatwirtschaft und <strong>die</strong> Regierung<br />
ermöglichen. Solche Investitionen<br />
führen zu einer Zunahme des Sachkapitalstocks<br />
und des Infrastrukturbestands pro Person.<br />
Ein weiterer Schub für das wirtschaftliche<br />
Wachstum stellt sich ein, wenn <strong>die</strong> Fertilität<br />
infolge politischer Maßnahmen und steigender<br />
Haushaltseinkommen sinkt. Arme Haushalte<br />
mit vielen Kindern können selten ausreichend<br />
in <strong>die</strong> Gesundheit und <strong>die</strong> Bildung jedes<br />
Kindes investieren. Vielleicht erhält nur<br />
der älteste Sohn <strong>die</strong> Chance, mehr als ein paar<br />
Jahre <strong>die</strong> Schule zu besuchen. Aber wenn <strong>die</strong><br />
Fertilität sinkt, haben arme Familien vielleicht<br />
nur noch zwei statt früher sechs Kinder und<br />
können <strong>die</strong>sen eine gute Bildung ermöglichen.<br />
Auch verringert sich dann möglicherweise <strong>die</strong><br />
Ungleichbehandlung von Söhnen und Töchtern.<br />
Eine Volkswirtschaft, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong>ser Stufe<br />
angekommen ist, befindet sich auf einem stabilen,<br />
selbsttragenden Wachstumspfad. Nicht<br />
länger gehemmt durch <strong>die</strong> Subsistenzlandwirtschaft<br />
entfaltet sich <strong>die</strong> Dynamik für dauerhaftes<br />
wirtschaftliches Wachstum.<br />
Auf einer späteren Stufe zeigt sich ein anderer<br />
wichtiger Trend. Wenn sich der Bildungsstand<br />
verbessert und einheimische Unternehmen<br />
komplexere Güter produzieren<br />
und Dienstleistungen erbringen (oft unterstützt<br />
durch Investitionen, Know-how und<br />
Technologie, <strong>die</strong> von ausländischen Konzer-<br />
Wenn sich der<br />
Bildungsstand verbessert<br />
und einheimische<br />
Unternehmen komplexere<br />
Güter produzieren und<br />
Dienstleistungen<br />
erbringen, fangen<br />
einheimische<br />
Wissenschaftler und<br />
Ingenieure an, neue<br />
Produkte zu entwickeln<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 89
nen bereitgestellt werden), fangen einheimische<br />
Wissenschaftler und Ingenieure an, neue<br />
Produkte zu entwickeln. Die privaten Ausgaben<br />
für Forschung und Entwicklung steigen,<br />
ebenso <strong>die</strong> Staatsausgaben. Zusätzlich leisten<br />
Hochschulen vor Ort wichtige Beiträge zum<br />
wirtschaftlichen Wachstum, indem sie Wissenschaftler<br />
und Ingenieure ausbilden und in<br />
zunehmendem Maße Stätte von Forschung<br />
und Entwicklung werden.<br />
SCHWACHE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />
WIRTSCHAFTLICHER NIEDERGANG UND<br />
ARMUT<br />
Was geschieht – oder was fehlt – in Ländern,<br />
<strong>die</strong> es nicht schaffen, <strong>die</strong>se Art wirtschaftlichen<br />
Aufstiegs zu bewerkstelligen? Wie zuvor<br />
beginnen solche Volkswirtschaften arm und<br />
primär agrarisch mit begrenzter Industriegüterproduktion<br />
in urbanen Gebieten. Aber im<br />
Gegensatz zu wachsenden Volkswirtschaften<br />
ist <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität – und<br />
damit <strong>die</strong> Wirtschaft im ländlichen Raum –<br />
wegen erschöpfter Böden und Klimakatastrophen<br />
stagnierend oder rückläufig. Parallel<br />
zum Bevölkerungswachstum haben <strong>die</strong> Entwaldung<br />
und <strong>die</strong> Wasserknappheit zugenommen.<br />
Es wurden weder von öffentlicher noch<br />
von privater Seite neue Technologien eingeführt,<br />
um <strong>die</strong> Landwirtschaft voranzubringen.<br />
Bauern können nicht einmal ihre Produkte zu<br />
den Märkten bringen, weil <strong>die</strong> Regierungen es<br />
sich nicht leisten können, Straßen zu bauen<br />
oder instand zu halten.<br />
In <strong>die</strong>sen Ländern müssen Kinder in<br />
Agrarhaushalten bereits ab sehr frühem Alter<br />
arbeiten – beispielsweise oft mehrere Kilometer<br />
am Tag zurücklegen, um Wasser und<br />
Brennholz zu holen. Selbst wenn eine schulische<br />
Ausbildung möglich wäre, haben Kinder<br />
keine Zeit oder Energie für den Schulbesuch.<br />
Sie haben auch keinen Zugang zu der Art von<br />
Primärgesundheitsversorgung, <strong>die</strong> notwendig<br />
ist, um Malaria, Wurmparasiten und andere<br />
Leiden zu verhindern oder zu behandeln, weil<br />
sich ihre Familien keine Ärzte und Regierungen<br />
keine Arztgehälter oder benötigten Arzneimittel<br />
leisten können. Viele Kinder – vielleicht<br />
15 von jeweils 100 – sterben, bevor sie<br />
das fünfte Lebensjahr erreichen. Eine Folge<br />
ist, dass Eltern viele Kinder haben.<br />
Weiter verschlimmert wird <strong>die</strong> Situation<br />
durch niedrige Produktivität in urbanen Gebieten.<br />
Außerdem ist das verarbeitende Gewerbe<br />
vielleicht von den Weltmärkten abgeschnitten,<br />
weil es sich um ein Binnenland handelt<br />
und weitab von Häfen liegt oder weil sein<br />
Hauptexportgut auf der ganzen Welt Handelsschranken<br />
unterliegt. Vielleicht führt <strong>die</strong><br />
Straße von der Hauptstadt zum nächsten Hafen<br />
durch ein anderes Land, das den wirtschaftlichen<br />
Interessen seines landumschlossenen<br />
Nachbarn feindlich gegen<strong>über</strong>steht. Oder<br />
vielleicht ist das Küstenland schlecht geführt,<br />
so dass – selbst wenn ein Binnenland eine gut<br />
funktionierende Fernverkehrsstraße zur<br />
Grenze des Transitlandes baut – das Küstenland<br />
<strong>die</strong> Straße nicht den ganzen Weg bis zum<br />
Hafen weiterführt, instand hält und polizeilich<br />
kontrolliert.<br />
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass<br />
eine kleine Bevölkerung <strong>die</strong> Probleme vieler<br />
armer Binnenvolkswirtschaften vergrößert.<br />
Als eine Folge haben internationale Investoren<br />
nur geringes Interesse daran, vor Ort Produktionsstätten<br />
zu errichten, um <strong>die</strong> örtlichen<br />
Märkte zu beliefern. Wenn sie irgend etwas<br />
verkaufen, handelt es sich um Importgüter<br />
und nicht um Waren aus örtlicher Produktion.<br />
Unter solchen Umständen ist es unwahrscheinlich,<br />
dass das örtliche verarbeitende Gewerbe<br />
selbst bei hocheffizienter staatlicher Politik<br />
selbsttragendes Wachstum auslösen kann.<br />
Örtliche Produzenten können vielleicht einige<br />
grundlegende Artikel – Seife, verarbeitete Lebensmittel,<br />
Holzmöbel, Ziegelsteine und anderes<br />
Baumaterial, ein paar Chemikalien – an<br />
<strong>die</strong> örtlichen Märkte liefern, aber wenig sonst.<br />
Die Technologie ist einfach, und Unternehmen<br />
sind nicht wettbewerbsfähig genug, um<br />
auf den Weltmärkten zu verkaufen, insbesondere<br />
angesichts der hohen Kosten für den Warentransport<br />
zu Häfen (und der unerschwinglich<br />
hohen Kosten für den Lufttransport von<br />
Artikeln des Grundbedarfs). Ohne einen<br />
Wachstumsmotor im verarbeitenden Gewerbe<br />
ist es unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong>se Länder<br />
beginnen zu wachsen.<br />
90 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Selbst wenn der öffentliche Sektor seine<br />
Ressourcen optimal nutzt, sind solche Länder<br />
mit zahlreichen Engpässen konfrontiert, <strong>die</strong><br />
Wachstum verhindern:<br />
• Die Sparquote der Privathaushalte ist<br />
niedrig, wenn nicht sogar negativ.<br />
• Die Regierung wendet ihre Einnahmen<br />
größtenteils oder vollständig für <strong>die</strong> Bezahlung<br />
von Angestellten des öffentlichen Dienstes<br />
(Armee, Polizei, Lehrer, öffentliche Verwaltung)<br />
auf, so dass wenig oder gar nichts für<br />
Investitionen in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />
übrig bleibt.<br />
• Die landwirtschaftliche Produktivität<br />
bleibt gering, teils weil es wenig Einsatzmittel<br />
aus einheimischer Produktion wie Düngemittel<br />
gibt. Und wegen gravierender Transportprobleme<br />
ist <strong>die</strong> Einfuhr von Düngemitteln<br />
für <strong>die</strong> meisten Kleinbauern unerschwinglich<br />
teuer.<br />
• Die Fertilität bleibt hoch – eine Folge geringen<br />
Bildungsstands von Frauen und<br />
Mädchen, großer ländlicher Bevölkerung, hoher<br />
Kindersterblichkeitsrate sowie eines fehlenden<br />
Angebots in den Bereichen Familienplanung<br />
und reproduktive Gesundheit.<br />
• Die mütterliche Gesundheit wird beeinträchtigt,<br />
weil Frauen kaum Zugang zu Bildung<br />
und Gesundheitsversorgung haben, was<br />
auch negative Auswirkungen auf ihre Kinder<br />
hat. Die meisten Menschen bleiben in ländlichen<br />
Gebieten, weil sie für den Anbau von<br />
Kulturpflanzen für <strong>die</strong> Nahrungsmittelversorgung<br />
der rasch wachsenden Landesbevölkerung<br />
gebraucht werden. Daraus resultieren<br />
hohe Nahrungsmittelpreise für Bewohner urbaner<br />
Gebiete.<br />
• Angesichts steigender Bevölkerung im<br />
ländlichen Raum sinkt <strong>die</strong> Agrarfläche pro<br />
Landarbeiter und damit <strong>die</strong> Produktion pro<br />
Bauer. In Verbindung mit fehlender Gesundheitsversorgung<br />
verschlechtert <strong>die</strong>s <strong>die</strong> öffentliche<br />
Gesundheit, trägt zur Ausbreitung ansteckender<br />
Krankheiten (teils verursacht<br />
durch eine Schwächung des Immunsystems<br />
infolge Unterernährung) bei und verringert<br />
<strong>die</strong> Produktivität der Erwerbsbevölkerung.<br />
Kurzum, solche Länder stecken in einer<br />
Armutsfalle. Sie verfügen <strong>über</strong> unzureichende<br />
Ressourcen zur Überwindung strukturbeding-<br />
ter Hindernisse und können wichtige Mindeststandards<br />
in den Bereichen Gesundheit,<br />
Bildung und Infrastruktur nicht erreichen, <strong>die</strong><br />
eine Voraussetzung für selbsttragendes<br />
Wachstum sind. Viele der in Kapitel 2 benannten<br />
Länder mit höchster Priorität fallen<br />
in <strong>die</strong>se Kategorie. Gutes Regierungs- und<br />
Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen sowie<br />
eine kluge Wirtschaftspolitik sind Voraussetzungen,<br />
um der Armutsfalle zu entkommen,<br />
reichen aber nicht aus. In den meisten<br />
Fällen müssen auch enorme strukturbedingte<br />
Beschränkungen <strong>über</strong>wunden werden, um <strong>die</strong><br />
Mindeststandards für dauerhaftes Wachstum<br />
zu erreichen.<br />
Es sei explizit auf den Unterschied zwischen<br />
strukturbedingten Schwierigkeiten für<br />
das Erreichens der Mindeststandards für dauerhaftes<br />
Wachstum und durch das Regierungs-<br />
und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />
bedingte Schwierigkeiten für<br />
das Erreichen der Mindeststandards hingewiesen.<br />
Korrupte oder inkompetente Regierungen<br />
richten in vielen Ländern große Schäden<br />
an und verhindern <strong>die</strong> für wirtschaftliche<br />
Entwicklung notwendigen Investitionen. Ursache<br />
für <strong>die</strong>se Last können kleptokratische<br />
Politiker, schwache rechtliche Institutionen,<br />
korrupte Bürokraten oder politische oder bewaffnete<br />
Konflikte sein (siehe Kasten 3.5).<br />
DEN ARMUTSFALLENENTKOMMEN<br />
Was kann also für Länder getan werden, <strong>die</strong> in<br />
Armutsfallen stecken? Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />
<strong>die</strong>ses Berichts zielt auf der<br />
Grundlage klugen makroökonomischen Managements<br />
darauf ab, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
durch <strong>die</strong> Verknüpfung von sechs<br />
Bündeln politischer Maßnahmen zu fördern:<br />
• Investitionen in <strong>die</strong> Sozialsektoren.<br />
Wenn zusätzliche Gebermittel verfügbar sind,<br />
können in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />
in den Bereichen Gesundheit,<br />
Ernährung, Bildung sowie Wasser- und Sanitärversorgung<br />
große Fortschritte erzielt werden,<br />
weil <strong>die</strong> benötigten Interventionen gut<br />
bekannt und lang bewährt sind und <strong>die</strong><br />
Hauptinvestitionen vom öffentlichen Sektor<br />
mit finanzieller Unterstützung von Gebern<br />
Gutes Regierungs- und<br />
Verwaltungshandeln in<br />
Wirtschaftsfragen sowie<br />
eine kluge<br />
Wirtschaftspolitik sind<br />
Voraussetzungen, um der<br />
Armutsfalle zu<br />
entkommen, reichen aber<br />
nicht aus<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 91
KASTEN 3.5<br />
Bei jedem ernst gemeinten Versuch, eine erfolgreiche<br />
Kampagne zum Erreichen der Millenniums-<br />
Entwicklungsziele zu starten, muss den von Konflikten<br />
betroffenen Gebieten besondere Aufmerksamkeit<br />
gewidmet werden. In etwa 60 Ländern wurde in<br />
den neunziger Jahren ein gewaltsamer Konflikt ausgetragen.<br />
Abgesehen von den durch sie verursachten<br />
unmittelbaren Verlusten an Menschenleben<br />
können solche Konflikte Volkswirtschaften untergraben,<br />
Regierungen destabilisieren, <strong>die</strong> Infrastruktur<br />
schädigen, <strong>die</strong> Versorgung durch Sozial<strong>die</strong>nste<br />
unterbrechen und Massenfluchten auslösen. Mehr<br />
als 14 Millionen Menschen sind auf Grund von aktuellen<br />
Konflikten oder Konflikten in der jüngeren<br />
Vergangenheit von Hunger betroffen. In Konfliktgebieten<br />
können sich HIV/AIDS und andere Infektionskrankheiten<br />
oft ungebremst ausbreiten. In<br />
Afrika südlich der Sahara sind bei einigen Armeen<br />
mehr als <strong>die</strong> Hälfte aller Soldaten HIV-positiv. Weil<br />
in Kriegszonen <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung zusammenbricht<br />
und Frauen auf der Flucht Kinder zur<br />
Welt bringen, steigen <strong>die</strong> Mütter- und Säuglingssterblichkeitsraten<br />
dort häufig steil an.<br />
Eine Analyse der 25 am schlimmsten von Konflikten<br />
betroffenen Länder (zwischen 1960 und<br />
1995) ergibt beträchtliche Unterschiede hinsichtlich<br />
der Verluste an Menschenleben und der wirtschaftlichen<br />
Schäden auf Grund von Kriegen. Äthiopien,<br />
Liberia und Uganda wiesen in Konfliktzeiten beispielsweise<br />
wesentlich höhere Säuglingssterblichkeitsraten<br />
auf als in Friedenszeiten. Im Gegensatz<br />
dazu verzeichneten El Salvador, Guatemala und<br />
Mosambik selbst während des Krieges Raten, <strong>die</strong><br />
unter dem regionalen Durchschnitt lagen. Die Ergebnisse<br />
lassen darauf schließen, dass selbst<br />
während eines laufenden Konflikts politische Maßnahmen<br />
ergriffen werden können, um <strong>die</strong> Verluste<br />
an Menschenleben und <strong>die</strong> wirtschaftlichen Folgen<br />
zu verringern.<br />
Konfliktfolgen für Menschen verringern<br />
Angesichts der Heterogenität und der Komplexität<br />
vom Krieg betroffener Volkswirtschaften lassen sich<br />
nur schwer allgemeingültige politische Rezepte nennen.<br />
Zu den Kriegszielen kann zählen, bestimmte<br />
Regionen von lebenswichtigen Diensten abzuschneiden<br />
(Sudan). Ein Konflikt kann auch Regierungen<br />
empfindlich schwächen und sie der Fähigkeit<br />
berauben, <strong>über</strong>haupt noch Leistungen für irgendeine<br />
Gruppe zu erbringen (wie in Afghanistan,<br />
Sierra Leone und Somalia). Wenn <strong>die</strong> Regierung<br />
ohne andere tragende Strukturen vollständig zusammenbricht,<br />
so kann <strong>die</strong>s besonders gravierende Folgen<br />
für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft haben<br />
(Uganda). Ländern, <strong>die</strong> in der Lage waren, <strong>die</strong> Folgen<br />
für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft zu verringern<br />
und in einigen Fällen sogar Fortschritte in<br />
Richtung auf <strong>die</strong> Einhaltung von Entwicklungszielen<br />
zu machen, gelang <strong>die</strong>s nur, wenn alle Haushalte<br />
– auf beiden Seiten der Kampflinie – Zugang zu<br />
Nahrungsmitteln, Basisgesundheitsversorgung und<br />
Grundschulbildung hatten (Guatemala, Mosambik<br />
und Sri Lanka).<br />
Die ausreichende Finanzierung lebenswichtiger<br />
Dienste durch <strong>die</strong> öffentliche Hand kann häufig<br />
selbst dann aufrechterhalten werden, wenn <strong>die</strong> Militärausgaben<br />
kriegsbedingt steigen. Mosambik, Nicaragua<br />
und der Sudan steigerten <strong>die</strong> Sozialausga-<br />
Quelle: Stewart <strong>2003</strong>; Fitzgerald 2001.<br />
Die MEZ und Konfliktländer<br />
ben pro Kopf während ihrer Konfliktzeiten deutlich.<br />
Aber selbst wenn Kürzungen der Sozialausgaben<br />
notwendig sind, sollten <strong>die</strong>se nicht automatisch<br />
<strong>die</strong> Etats für <strong>die</strong> grundlegenden Sozial<strong>die</strong>nste betreffen.<br />
Selbst in Friedenszeiten entfällt auf <strong>die</strong>se<br />
Dienste nur ein Bruchteil der Gesamtsozialausgaben.<br />
Kürzungen der Sozialausgaben werden oft<br />
durch eine Verringerung der <strong>Human</strong>ressourcen verschärft.<br />
Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Lehrer<br />
und Ärzte Konfliktgebiete verlassen. Und <strong>die</strong> Kürzungen<br />
sind mit unvorhersehbaren Zusammenbrüchen<br />
der Mechanismen zur Erbringung von Leistungen<br />
verbunden. Deshalb werden flexible Ansätze<br />
für <strong>die</strong> Bereitstellung von Diensten benötigt, bei<br />
denen man sich auf verschiedene Akteure wie NRO<br />
und quasistaatliche Strukturen stützen sollte. Als in<br />
Mosambik Gebäude des Gesundheits- und Bildungswesens<br />
zu Kriegszielen wurden, experimentierte<br />
man dort mit mobilen Gesundheitsposten und<br />
mobilen Unterrichtsräumen. In El Salvador stellten<br />
beide Konfliktparteien bei drei unterschiedlichen<br />
Gelegenheiten erfolgreich <strong>die</strong> Kämpfe ein, damit<br />
Kinder geimpft werden konnten.<br />
Menschen in Konfliktgebieten sind besonders<br />
anfällig für schwere Unterernährung, weil während<br />
Konflikten <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion zurückgeht<br />
und normale Hilfsmaßnahmen unterbrochen<br />
werden müssen. Steigende Nahrungsmittelpreise<br />
sind eine enorme Bedrohung für <strong>die</strong> Ernährungssicherheit.<br />
Viele Industrieländer subventionierten<br />
und rationierten zu Zeiten, in denen sie in Kriege<br />
verwickelt waren, Nahrungsmittel, um drastische<br />
Preissteigerungen zu verhindern. Nicaragua vertraute<br />
ebenfalls auf <strong>die</strong>se Mechanismen, um <strong>die</strong><br />
Ernährungssituation von Menschen in Kriegsgebieten<br />
zu verbessern.<br />
In urbanen Gebieten sind solche Maßnahmen<br />
relativ leicht durchzuführen. Gemeinschaften in<br />
ländlichen Gebieten nutzt aber vielleicht eher Unterstützung<br />
für den Agrarsektor in Form von Lieferungen,<br />
Krediten und entlohnter Arbeit. Die Nahrungsmittelausgabe<br />
in Schulen und Gesundheitseinrichtungen<br />
kann den Zugang zu Hilfe ebenfalls verbessern,<br />
ohne <strong>die</strong> Menschen zu zwingen, sich in Lager<br />
zu begeben. Sie fördert zudem den Schulbesuch<br />
und verringert <strong>die</strong> Anreize für Kinder, Soldaten<br />
oder Diebe zu werden.<br />
Die wirtschaftlichen Folggeschäden<br />
von Konflikten begrenzen<br />
Die wirtschaftlichen Konfliktfolgen beeinträchtigen<br />
das <strong>menschliche</strong> Wohlergehen ebenfalls auf vielfältige<br />
Weise. Sie reichen von steigenden Nahrungsmittelkosten<br />
bis zu sinkenden Beschäftigungschancen.<br />
Länder, <strong>die</strong> zwischen 1960 und 1995 am härtesten<br />
von Konflikten betroffen waren, mußten im<br />
Vergleich zu Friedenszeiten alle enorme Rückschläge<br />
beim Wirtschaftswachstum hinnehmen sowie<br />
eine sinkende Exportgüterprouktion, sinkende<br />
Nachfrage und ein verringertes Staatseinkommen<br />
(als Anteil am Bruttoinlandsprodukt). Fast alle Länder<br />
mußten durch <strong>die</strong> enorme Steigerung der Militärausgaben<br />
und gleichzeitig sinkender Staatseinnahmen<br />
steigende Haushaltsdefizite und eine wachsende<br />
Schuldenspirale in Kauf nehmen. Dennoch<br />
konnten einige Länder <strong>die</strong>sen Trend abwenden<br />
oder sogar trotz Kriegen eine beeindruckende Wirt-<br />
schaftsleistung vorzeigen. Sri Lanka beispielsweise<br />
konnte trotz der Konflikte im Land ein Wirtschaftswachstum<br />
von 2 Prozent erzielen.<br />
Länder, <strong>die</strong> in laufende Konflikte verwickelt<br />
sind, sollten sich auf (mindestens) vier zentrale Politikbereiche<br />
konzentrieren:<br />
• Wegen des Zusammentreffens sinkender<br />
Steuereinnahmen mit drastisch steigenden Militärausgaben<br />
ist es in Ländern, <strong>die</strong> in einen Krieg verwickelt<br />
sind, schwierig, <strong>die</strong> Staatseinnahmen aufrechtzuerhalten.<br />
Die für <strong>die</strong> Einnahmenerhebung<br />
verwendeten institutionellen Strukturen müssen<br />
während des Krieges aufrechterhalten werden.<br />
Außerhalb sollten <strong>die</strong> Steuersätze aus der Zeit vor<br />
dem Krieg beibehalten werden, selbst wenn daneben<br />
zusätzliche Abgaben beispielsweise auf Luxuswaren<br />
und kriegsrelevante Güter erhoben werden.<br />
Regierungen könnten auch obligatorische Sparbriefe<br />
ausgeben und Nahrungsmittelhilfe verkaufen, um<br />
neue Einnahmequellen zu erschließen. Nigeria, Sri<br />
Lanka und dem Sudan gelang es in der Tat, in Konfliktzeiten<br />
das Einnahmeniveau (als prozentualer<br />
Anteil am BIP) aufrechtzuerhalten.<br />
• Weil eine drastisch steigende Inflation Unsicherheit<br />
erzeugt und im privaten Sektor zu Spekulation<br />
führt, muss eine galoppierende Inflation verhindert<br />
werden. Sie würde <strong>die</strong> Kontrolle der öffentlichen<br />
Haushalte und der Staatsfinanzen extrem erschweren.<br />
Die Preisfreigabe während Konflikten als<br />
Reaktion auf eine geringe Angebotselastizität ist<br />
eine Hauptursache für eine drastisch steigende Inflation.<br />
In Mosambik beispielsweise führte eine solche<br />
Freigabe zu einem enormen Anstieg der Preise<br />
für rationierte Waren wie Mais, Speiseöl und<br />
Zucker.<br />
• Weil rückläufige Devisenguthaben zu einem<br />
Produktionsrückgang beitragen, ist es wichtig, <strong>die</strong><br />
Devisenguthaben zu sichern. Einige Länder in<br />
Afrika südlich der Sahara erlitten verheerende Hungersnöte<br />
auf Grund einer Kombination von Konflikt,<br />
Produktionsrückgang und Dürre. Um <strong>die</strong> Produktion<br />
aufrechtzuerhalten, sollten sowohl nationale<br />
als auch internationale politische Maßnahmen<br />
darauf abzielen, produktive Importe zu finanzieren.<br />
Hierzu müssen Exportmärkte offen gehalten und<br />
unterstützt werden sowie solche Importe durch Finanzhilfe/Kredite<br />
erleichtert werden. Nationale politische<br />
Maßnahmen sollten auch sicherstellen, dass<br />
verfügbare Devisenguthaben verwendet werden,<br />
um lebenswichtige Güter wie Arzneimittel und Einsatzmittel<br />
für <strong>die</strong> Landwirtschaft zu kaufen. Importkontrollen<br />
wie Quoten und Zölle können genutzt<br />
werden, um zu gewährleisten, dass <strong>die</strong>s geschieht.<br />
• Es muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />
beibehalten werden. Konfliktbetroffene<br />
Länder stehen vor enormen Schwierigkeiten, unter<br />
Bedingungen unsicherer Exporteinnahmen und<br />
Entwicklungshilfezusagen <strong>die</strong> Zahlungsbilanz im<br />
Gleichgewicht zu halten. Mit politischen Maßnahmen<br />
muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />
beibehalten werden, um Exporte nicht zu erschweren.<br />
Angesichts der unvermeidlichen makroökonomischen<br />
Ungleichgewichte, <strong>die</strong> ein Krieg mit<br />
sich bringt, sollten Länder auch danach trachten,<br />
<strong>die</strong> nominalen Wechselkurse zu kontrollieren. In<br />
Angola beispielsweise stieg <strong>die</strong> Inflation zwischen<br />
1991 und 1992 von 160 auf 246 Prozent. Davon waren<br />
arme Angolaner am stärksten betroffen.<br />
92 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
getätigt werden können. Große Fortschritte in<br />
den Bereichen Gesundheit und Bildung sind<br />
notwendig, bevor <strong>die</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />
beträchtlich gesteigert werden können.<br />
• Investitionen zur Steigerung der landwirtschaftlichen<br />
Produktivität. Die landwirtschaftliche<br />
Produktivität kann durch <strong>die</strong> Einführung<br />
besserer Technologie (verbessertes<br />
Saatgut, Bodenbearbeitung und Fruchtfolgewechsel,<br />
Bodennährstoffmanagement, Schädlingsbekämpfung)<br />
und <strong>die</strong> Verbesserung der<br />
ländlichen Infrastruktur (Bewässerungsprojekte,<br />
Lagerungs- und Transporteinrichtungen,<br />
Straßenverbindungen von den Dörfern<br />
zu größeren Märkten) gesteigert werden. Zusätzlich<br />
kann sichere Bodennutzung <strong>die</strong> Rechte<br />
der Bauern schützen und sie ermutigen, in<br />
Bodenverbesserungen zu investieren, <strong>die</strong> langfristig<br />
<strong>die</strong> Produktivität steigern.<br />
• Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur. Ein<br />
angemessenes Niveau an Straßen, Energieversorgung,<br />
Häfen und Kommunikation zu erreichen,<br />
um <strong>die</strong> wirtschaftliche Diversifikation in<br />
nicht traditionelle Bereiche zu unterstützen,<br />
wird an einigen Standorten wie Küstenhafenstädten<br />
sehr einfach sein. Aber an anderen Orten<br />
wie Binnen- oder Gebirgsländern, <strong>die</strong> unter<br />
hohen Transportkosten leiden, wird es<br />
sehr viel schwerer sein.<br />
• Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />
zur Unterstützung privater Aktivitäten.<br />
Die erfolgreiche Entwicklung nicht traditioneller<br />
Aktivitäten erfordert häufig besondere<br />
industriepolitische Maßnahmen wie selektive,<br />
zeitlich begrenzte und klug ausgelegte<br />
Steuerbefreiungen, Freihandelszonen, Sonderwirtschaftszonen,Technologieparks,Investitionssteuergutschriften,<br />
Förderung von Wissenschaft<br />
und Technologie, zielgerichtete Forschungs-<br />
und Entwicklungsfinanzierung sowie<br />
<strong>die</strong> staatliche Bereitstellung von Infrastruktur<br />
und Flächen.<br />
• Die umfassende Betonung auf Gleichstellung<br />
in der Gesamtgesellschaft. Politische<br />
Institutionen müssen armen Menschen –<br />
insbesondere Frauen – ermöglichen, an Entscheidungen<br />
teilzuhaben, <strong>die</strong> ihr Leben betreffen,<br />
und sie vor willkürlichen und unverantwortlichen<br />
Handlungen von Regierungen<br />
und Verwaltungen sowie anderen Kräften<br />
schützen. Strategien zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
müssen daher<br />
Rechte von Frauen auf Bildung, Leistungen im<br />
Bereich der reproduktiven Gesundheit,<br />
Grundbesitz, Erwerbsbeteiligung und sichere<br />
Nutzung von Grund und Boden gewährleisten.<br />
Strategien müssen auch auf <strong>die</strong> Beseitigung<br />
aller anderen Formen von Diskriminierung<br />
einschließlich der Diskriminierung auf<br />
Grund von Rasse, Ethnizität oder geografischer<br />
Herkunft ausgerichtet sein.<br />
• Die Betonung auf ökologische Nachhaltigkeit<br />
und Stadtmanagement. Viele der<br />
ärmsten Orte auf der Welt liegen in Regionen<br />
mit enormen Klimaschwankungen und hoher<br />
Anfälligkeit, <strong>die</strong> ein solides ökologisches Management<br />
erfordern. Dazu zählen tropische<br />
und subtropische Regionen, <strong>die</strong> für durch das<br />
El-Niño-Phänomen verursachte Fluktuationen<br />
der Niederschlagsmenge und der Temperatur<br />
anfällig sind – Regionen, <strong>die</strong> auch mit<br />
den negativen Auswirkungen langfristiger Klimaänderungen<br />
konfrontiert sind. Eine andere<br />
ökologische Herausforderung ist <strong>die</strong> Steuerung<br />
und Bewältigung der raschen Urbanisierung<br />
durch sorgfältige Stadtplanung und hohe<br />
Investitionen der öffentlichen Hand.<br />
Diese politischen Maßnahmen können einen<br />
Aufstieg aus der Armut auslösen. Länder<br />
können beginnen, arbeitsintensive Waren<br />
(Textilien, Elektronikbauteile) für Auslandsmärkte<br />
zu liefern. Tourismus und EDV-<br />
Dienstleistungen (wie Dateneingabe und der<br />
Betrieb von Backoffice-Rechenzentren) können<br />
zu einem vergleichbaren Boom bei<br />
Dienstleistungsexporten führen. Dieses<br />
Wachstum bei nicht traditionellen Exporten<br />
kann <strong>die</strong> weiter oben beschriebenen kumulativen<br />
Wachstumsprozesse antreiben. Dazu<br />
zählen auch steigende Sparquoten, steigende<br />
Staatseinnahmen, zunehmende Urbanisierung,<br />
sinkende Fertilität und steigende landwirtschaftliche<br />
Produktivität (teils auf Grund<br />
von mehr Einsatzmitteln aus dem verarbeitenden<br />
Gewerbe).<br />
Um langfristiges Wachstum zu erreichen,<br />
müssen alle <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen unabhängig<br />
vom Stand der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
eines Landes gleichzeitig ergriffen<br />
werden. Die ärmsten Länder können sich <strong>die</strong>-<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 93
Stagnierende oder im<br />
Niedergang befindliche<br />
arme Länder können bis<br />
jenseits der<br />
grundlegenden<br />
Mindeststandards<br />
geschoben werden und<br />
selbsttragendes<br />
Wachstum erreichen,<br />
wenn sie genug Mittel<br />
erhalten, um in<br />
Gesundheit, Bildung und<br />
Basisinfrastruktur<br />
investieren zu können<br />
se Investitionen jedoch nicht aus eigenen Mitteln<br />
leisten. Für sie betont der Millenniums-<br />
Entwicklungspakt, dass Geber helfen sollten,<br />
<strong>die</strong> Kosten zu tragen. Dabei wird vorausgesetzt,<br />
dass <strong>die</strong> Länder mit niedrigem Einkommen<br />
ihren Teil der Abmachung einhalten, indem<br />
sie gutes Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />
in Wirtschaftsfragen fördern, <strong>die</strong><br />
Menschenrechte schützen sowie eine transparente<br />
und effiziente Politik verfolgen (siehe<br />
Kasten 3.6).<br />
Dahinter steckt <strong>die</strong> Vorstellung, dass stagnierende<br />
oder im Niedergang befindliche<br />
arme Länder bis jenseits der grundlegenden<br />
Mindeststandards geschoben werden und<br />
selbsttragendes Wachstum erreichen können,<br />
wenn sie genug Mittel erhalten, um in Gesundheit,<br />
Bildung und Basisinfrastruktur investieren<br />
zu können. Mittel aus dem Ausland<br />
werden benötigt, um den gesamten Wachstumsprozess<br />
zu finanzieren – nicht nur <strong>die</strong> Anschubfinanzierung.<br />
In den meisten Fällen<br />
kann selbsttragendes Wachstum innerhalb einer<br />
Generation erreicht werden.<br />
WACHSTUMSPOLITIK ZU<br />
GUNSTEN ARMER MENSCHEN<br />
In <strong>die</strong>sem Kapitel wurde herausgestellt, dass<br />
umfassende, multisektorale Strategien einschließlich<br />
politischer Maßnahmen zur Förderung<br />
von Industriegüterexporten erforderlich<br />
sind, um wirtschaftliches Wachstum zu erreichen.<br />
Angesichts der unterschiedlichen strukturbedingten<br />
Schranken, mit denen Länder<br />
konfrontiert sind, ist klar, dass jedes Land ein<br />
Bündel politischer Maßnahmen ergreifen<br />
muss, <strong>die</strong> vor dem Hintergrund seiner spezifischen<br />
Bedingungen Sinn machen (siehe den<br />
Sonderbeitrag von Nobelpreisträger Joseph<br />
Stiglitz). Dieser Abschnitt versucht Antworten<br />
auf zwei damit zusammenhängende Fragen zu<br />
geben. Ziel ist, sicherzustellen, dass das<br />
Wachstum armen Menschen zugute kommt.<br />
Erstens: Welche politischen Maßnahmen können<br />
<strong>die</strong> Zunahme arbeitsintensiver (im Gegensatz<br />
zu kapitalintensiven) Industriegüterexporte<br />
fördern? Solche Produkte können unmittelbar<br />
<strong>die</strong> Beschäftigungschancen armer<br />
Menschen verbessern und ihre Reallöhne stei-<br />
gern. Zweitens: Welche politischen Maßnahmen<br />
können höhere Einkommen auch für<br />
arme Menschen gewährleisten, <strong>die</strong> nicht unmittelbar<br />
im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt<br />
sind? Solche politischen Maßnahmen<br />
werden in Ländern mit niedrigem und mittlerem<br />
Einkommen mit „Inseln“ verfestigter Armut<br />
benötigt.<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR<br />
FÖRDERUNG ARBEITSINTENSIVER<br />
INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />
In den letzten 20 Jahren wurde in der <strong>entwicklung</strong>sbezogenen<br />
Theorie und Praxis zu oft<br />
marktorientiertes wirtschaftliches Wachstum<br />
mit wirtschaftsliberalem Verhalten verwechselt.<br />
Selbst wenn wirtschaftliches Wachstum<br />
auf Privateigentum und Marktkräften basiert,<br />
muss der Staat mit geeigneten politischen<br />
Maßnahmen effiziente und wettbewerbsfähige<br />
einheimische Industriezweige fördern. Die<br />
Entstehung eines Exportsektors für Industriegüter<br />
zu unterstützen kann beispielsweise<br />
schon den halben Sieg auf dem Weg zum Erreichen<br />
anhaltenden Wachstums bedeuten.<br />
Dies gilt insbesondere, wenn ein Land in der<br />
Vergangenheit bereits Rohstoffe exportiert<br />
hat.<br />
Ähnlich wichtig können politische Maßnahmen<br />
zur Förderung arbeitsintensiver statt<br />
kapitalintensiver Aktivitäten sein, weil sie Arbeitsplätze<br />
schaffen sowie langfristig <strong>die</strong> Produktivität<br />
und <strong>die</strong> Reallöhne steigern. Politische<br />
Maßnahmen haben lange eine wichtige<br />
Rolle bei der Förderung der industriellen Entwicklung<br />
gespielt, beispielsweise in den Volkswirtschaften<br />
der ostasiatischen „Tigerstaaten“<br />
seit den sechziger Jahren. Dies hing jedoch<br />
von einer Reihe von Umständen ab – insbesondere<br />
von disziplinierter institutioneller Kapazität<br />
in Regierungen und Verwaltungen.<br />
Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />
zu Gunsten der Armen sollten sich an einigen<br />
allgemeinen Richtlinien orientieren. Erstens<br />
sind, wie in <strong>die</strong>sem Kapitel gezeigt wurde,<br />
Industriegüterexporte eine wichtige Voraussetzung<br />
für langfristiges Wachstum. Zu<br />
<strong>die</strong>sem Zweck bedarf es makroökonomischer<br />
und handelspolitischer Maßnahmen zur Di-<br />
94 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 3.6<br />
Uganda hat im letzten Jahrzehnt sehr gute<br />
wirtschaftliche Fortschritte erzielt. Aber trotz<br />
eines realen Wachstums von durchschnittlich<br />
3,7 Prozent im Zeitraum von 1992 bis 1997<br />
weist das Land immer noch ein Pro-Kopf-Einkommen<br />
von lediglich 330 US-Dollar auf.<br />
Uganda ist ein kleines Binnenland, in dem<br />
80 Prozent der Erwerbsbevölkerung in der<br />
Landwirtschaft beschäftigt sind. 1997 wurden<br />
44 Prozent der Bevölkerung als arm eingestuft,<br />
<strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate betrug 83 Todesfälle<br />
pro 1.000 Lebendgeburten (im Jahr<br />
2000), <strong>die</strong> Müttersterblichkeitsrate 505 Todesfälle<br />
pro 100.000 Mütter und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />
von Kindern unter fünf Jahren 161<br />
Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />
1997 leistete Uganda mit der Aufstellung<br />
des Aktionsplans zur Beseitigung der Armut<br />
(Poverty Eradication Action Plan) Pionierarbeit<br />
im Bereich armutsorientierter Entwicklungsstrategien.<br />
Dieser Aktionsplan wurde<br />
2000 in Abstimmung mit der Weltbank und<br />
dem Internationalen Währungsfonds in einer<br />
<strong>über</strong>arbeiteten Fassung als Strategiedokument<br />
zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction<br />
Strategy Paper – PRSP) vorgelegt. In dem<br />
Dokument setzte Uganda vier Ziele:<br />
• bis 2017 <strong>die</strong> absolute Armut auf 10 Prozent<br />
der Bevölkerung verringern,<br />
• den Bildungsstand der Ugander erhöhen,<br />
• <strong>die</strong> Volksgesundheit verbessern,<br />
• armen Menschen Gehör verschaffen.<br />
Um <strong>die</strong>se Ziele zu erreichen, formulierte<br />
Quelle: Uganda 2002; IMF 2002a; World Bank 2000b.<br />
Was notwendig ist, damit der Millenniums-Entwicklungspakt in Uganda funktioniert<br />
versifizierung der wirtschaftlichen Strukturen.<br />
Eine <strong>über</strong>bewertete Währung, <strong>die</strong> Exporteuren<br />
schadet, kann <strong>die</strong> Möglichkeiten für Beschäftigungswachstum<br />
gravierend einschränken.<br />
Der Übergang zur Exportorientierung ist<br />
komplex (und wird an anderer Stelle umfassend<br />
erörtert). Aber insbesondere für kleine<br />
Volkswirtschaften setzen makroökonomische<br />
politische Maßnahmen eine Exportorientierung<br />
voraus. In China und der Republik<br />
Korea ging staatlicher Schutz der Inlandsmärkte<br />
mit Exportanreizen einher. Korea gewährte<br />
Exporteuren steuerliche Anreize und<br />
zollfreie Importe von Einsatzmitteln, was <strong>die</strong><br />
Rendite des in erwünschten Sektoren investierten<br />
Kapitals erhöhte.<br />
Zweitens werden in kapitalknappen<br />
Volkswirtschaften Finanzierungsanreize be-<br />
<strong>die</strong> Regierung Handlungskonzepte auf der<br />
Grundlage von vier Säulen, <strong>die</strong> sich in vielfacher<br />
Hinsicht mit den handlungsbezogenen<br />
Dimensionen im Millenniums-Entwicklungspakt<br />
decken. Dazu zählen: <strong>die</strong> Schaffung eines<br />
Rahmens für wirtschaftliche Entwicklung und<br />
den Umbau der Wirtschaft durch makroökonomische<br />
Stabilität, Konzentration auf strategische<br />
Exporte und Förderung des privaten<br />
Sektors. Hierfür wird Uganda wesentlich mehr<br />
ausländische Direktinvestitionen ins Land holen<br />
und seine Wirtschaft diversifizieren müssen.<br />
Weil es ein Binnenstaat ist und daraus<br />
hohe Transportkosten resultieren, sind <strong>die</strong>s<br />
schwierige Aufgaben.<br />
Die vierte Säule betrifft <strong>die</strong> Förderung<br />
guten Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />
in Wirtschaftsfragen und wirtschaftliche Sicherheit,<br />
einen Plan zur Modernisierung der<br />
Landwirtschaft, um unmittelbar <strong>die</strong> Fähigkeit<br />
armer Menschen zur Steigerung ihres<br />
Einkommens zu verbessern, und Maßnahmen<br />
zur Verbesserung von Gesundheit, Bildung<br />
sowie Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />
um unmittelbar <strong>die</strong> Lebensqualität armer<br />
Menschen zu erhöhen. Die entscheidende Frage<br />
ist jedoch, ob Uganda in der Lage sein wird,<br />
<strong>die</strong> Investitionen vorzunehmen, um <strong>die</strong>se<br />
Strategien umzusetzen und <strong>die</strong>se Ziele zu<br />
erreichen.<br />
Die Haushaltsplanung wird mit dem Strategiedokument<br />
zur Armutsbekämpfung in<br />
Übereinstimmung gebracht, und <strong>die</strong> Sozialaus-<br />
nötigt, um <strong>die</strong> Entstehung von Industriezweigen<br />
zu fördern. Eine Reihe politischer Maßnahmen<br />
wurde eingesetzt: gelenkte und subventionierte<br />
Kredite, Unterstützung ausgewählter<br />
Untersektoren, Exportsubventionen,<br />
Institutionen für den Technologieerwerb und<br />
eine Fülle anderer sektorspezifischer Interventionen.<br />
Mehrere südostasiatische Länder haben<br />
Exportkredite und steuerliche Anreize<br />
verwendet, um <strong>die</strong> Renditen von Exportinvestitionen<br />
zu erhöhen. Als relative Nachzügler<br />
spielten jedoch im Allgemeinen ausländische<br />
Direktinvestitionen bei ihnen – und bei China<br />
– eine größere Rolle bei der Förderung der<br />
Exportorientierung als bei den ostasiatischen<br />
Tigerstaaten.<br />
Drittens bedarf es zur Unterstützung solcher<br />
Maßnahmen einer kompetenten, profes-<br />
gaben werden um Mittel erhöht, <strong>die</strong> durch<br />
Schuldenerleichterungen frei werden. Nach einer<br />
Schätzung des ugandischen Economic Policy<br />
Research Center aus dem Jahr 2002 würde<br />
<strong>die</strong> Umsetzung der Pläne in dem Dokument im<br />
Jahr <strong>2003</strong> eine Haushaltslücke von 417 Millionen<br />
US-Dollar oder 6,4 Prozent des BIP verursachen.<br />
Diese Annahme basiert zudem auf einem<br />
recht niedrigen Schätzwert der Kosten für<br />
<strong>die</strong> Gesundheitsversorgung. Die Lücke wäre<br />
noch größer, wenn dar<strong>über</strong> hinaus <strong>die</strong> Kosten<br />
für das Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
wie Bereitstellung von Wasser- und<br />
Sanitärversorgung, Minderung des Hungers<br />
und Bereitstellung von Infrastruktur berücksichtigt<br />
würden.<br />
Diese Prognosen sind für <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft von großem Wert, weil sie<br />
einen Hinweis auf <strong>die</strong> notwendigen Zusatzausgaben<br />
auf der nationalen Ebene liefern.<br />
Die Ausgaben für HIV/AIDS müssen um 83<br />
Prozent, <strong>die</strong> Bildungsausgaben um 109 Prozent<br />
und <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben um 212<br />
Prozent gesteigert werden. Trotz größer Entschlossenheit<br />
und bester Planung auf der Länderebene<br />
werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
deshalb unerreichbar bleiben, wenn<br />
sie nicht durch wesentlich größere Mitteltransfers<br />
vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />
unterstützt werden. Diese Transfers<br />
bilden einen wichtigen Aspekt der Rolle<br />
reicher Länder im Millenniums-Entwicklungspakt.<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 95
In mehreren neueren ökonometrischen Untersuchungen<br />
wurde versucht, eine systematische<br />
Beziehung zwischen Globalisierung und Wachstum<br />
nachzuweisen – und zwischen Wachstum<br />
und Armutsminderung. Die Botschaft <strong>die</strong>ser Untersuchungen<br />
ist klar: Die Öffnung der Volkswirtschaft<br />
und <strong>die</strong> Liberalisierung ziehen Wachstum<br />
nach sich, und mit dem Wachstum geht <strong>die</strong><br />
Verringerung der Armut einher. Diese Forschungsarbeiten<br />
sollen <strong>die</strong> Angriffe gegen <strong>die</strong><br />
Globalisierung zum Schweigen bringen und –<br />
wenngleich der Begriff vermieden wird – der seit<br />
langem in Misskredit geratenen Trickle-down-<br />
Wirtschaftstheorie neues Leben einhauchen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Auffassung vertrat, dass „eine steigende Flut<br />
alle Boote anhebt“.<br />
Die Trickle-down-Wirtschaftstheorie geriet<br />
aus einem offensichtlichen Grund in Misskredit:<br />
Sie war nicht wahr. Manchmal hilft Wachstum armen<br />
Menschen, manchmal aber auch nicht. Einigen<br />
Messgrößen zufolge nahm in Lateinamerika<br />
<strong>die</strong> Armut in den neunziger Jahren zu. Dies galt<br />
sogar für viele Länder, <strong>die</strong> Wachstum verzeichneten.<br />
Es war nicht nur so, dass reiche Menschen<br />
unverhältnismäßig vom Wachstum profitierten –<br />
ihre Gewinne könnten zum Teil sogar auf Kosten<br />
armer Menschen gegangen sein.<br />
Bei <strong>die</strong>sen neueren Untersuchungen gibt es<br />
eine Reihe technischer Probleme. Das aufschlussreichste<br />
Problem besteht jedoch darin, dass darin<br />
<strong>die</strong> falschen Fragen gestellt wurden: Globalisierung<br />
und Wachstum sind endogen, das Ergebnis<br />
bestimmter politischer Maßnahmen. Es geht<br />
nicht darum, ob Wachstum gut oder schlecht ist,<br />
sondern ob bestimmte politische Maßnahmen –<br />
einschließlich solcher, <strong>die</strong> vielleicht zu engerer<br />
globaler Integration führen – zu Wachstum<br />
führen und ob <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen zu<br />
der Art von Wachstum führen, das das Wohlergehen<br />
armer Menschen verbessert. Ein Blick auf<br />
<strong>die</strong> erfolgreichsten Länder – beim Wachstum und<br />
bei der Armutsbekämpfung – zeigt, wie irreführend<br />
<strong>die</strong>se Untersuchungen sind.<br />
China und andere ostasiatische Länder haben<br />
sich nicht an den Washingtoner Konsens gehalten.<br />
Sie haben Zollschranken nur langsam abgebaut,<br />
und China hat seinen Kapitalverkehr immer<br />
noch nicht vollständig liberalisiert. Obwohl<br />
<strong>die</strong> ostasiatischen Länder „globalisiert“ haben,<br />
ergriffen sie gegen den Rat der internationalen<br />
ökonomischen Institutionen industrie- und handelspolitische<br />
Maßnahmen, um Exporte und den<br />
globalen Technologietransfer zu fördern. Am<br />
wichtigsten war vielleicht jedoch, dass im Gegensatz<br />
zum Washingtoner Konsens politische Maßnahmen<br />
zur Förderung der Gerechtigkeit ein expliziter<br />
Bestandteil ihrer Entwicklungsstrategien<br />
war. Das gleiche gilt möglicherweise für das<br />
SONDERBEITRAG<br />
Armut, Globalisierung und Wachstum: Ausblicke auf einige der statistischen Verknüpfungen<br />
erfolgreichste Land in Lateinamerika, Chile, das<br />
in der Zeit seines hohen Wachstums Anfang der<br />
1990er Jahre in der Tat eine Steuer auf kurzfristige<br />
Kapitalzuflüsse erhob.<br />
Die Politik steht nicht vor der Entscheidung,<br />
„Globalisierung ja oder nein“ oder „Wachstum ja<br />
oder nein“. In manchen Fällen geht es nicht einmal<br />
um „Liberalisierung ja oder nein“. Stattdessen<br />
muss sie beschließen, den Kapitalverkehr kurzfristig<br />
zu liberalisieren, und sich anschließend fragen,<br />
wie sie das am besten bewerkstelligt. Mit welchem<br />
Tempo soll der Handel liberalisiert werden,<br />
und welche politischen Maßnahmen sollten damit<br />
einhergehen? Gibt es Wachstumsstrategien zu<br />
Gunsten der Armen, <strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> Förderung des<br />
Wachstums hinaus mehr leisten, damit <strong>die</strong> Armut<br />
verringert werden kann? Und gibt es Wachstumsstrategien,<br />
<strong>die</strong> nicht nur das Wachstum fördern,<br />
sondern auch zu mehr Armut führen – Strategien,<br />
<strong>die</strong> gemieden werden sollten?<br />
Beispielsweise unterstützen keine Theorie<br />
und keine Belege <strong>die</strong> These, dass <strong>die</strong> Öffnung der<br />
Märkte für kurzfristige, spekulative Kapitalzuflüsse<br />
das wirtschaftliche Wachstum steigert. Es<br />
gibt jedoch zahlreiche Belege und Argumente<br />
dafür, dass sie <strong>die</strong> wirtschaftliche Instabilität vergrößern<br />
und dass wirtschaftliche Instabilität zu<br />
Unsicherheit und Armut beiträgt. Deshalb könnten<br />
solche Formen der Kapitalmarktliberalisierung<br />
auf manche Weise zu mehr "Globalisierung"<br />
führen. Sie führen jedoch nicht zu mehr<br />
Wachstum. Und selbst wenn das Wachstum geringfügig<br />
zunehmen würde, könnte <strong>die</strong>se Form<br />
insbesondere in Ländern ohne angemessene Netze<br />
der sozialen Sicherheit <strong>die</strong> Armut vergrößern.<br />
In ähnlicher Weise soll <strong>die</strong> Handelsliberalisierung<br />
Ressourcen aus geschützten Sektoren mit<br />
niedriger Produktivität in Exportsektoren mit hoher<br />
Produktivität verlagern. Aber was geschieht,<br />
wenn Exportmärkte in Bereichen mit komparativem<br />
Vorteil (wie für Agrarerzeugnisse) in der Praxis<br />
geschlossen sind oder <strong>die</strong> zur Schaffung der<br />
neuen Arbeitsplätze im Exportsektor benötigten<br />
Kredite nicht (oder nur zu exorbitanten Zinssätzen)<br />
verfügbar sind? Dann verlieren Arbeitnehmer<br />
ihre geschützten Arbeitsplätze in Sektoren<br />
mit niedriger Produktivität und werden arbeitslos.<br />
Das Wachstum wird nicht gesteigert, und <strong>die</strong><br />
Armut nimmt zu.<br />
Selbst häufig gepriesene Maßnahmen wie <strong>die</strong><br />
Tarifizierung haben sich als zweischneidiges<br />
Schwert erwiesen, weil sie <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
zusätzlichen Risiken ausgesetzt haben, für deren<br />
Bewältigung sie schlecht gerüstet sind. Zudem<br />
ist erneut nicht klar, ob <strong>die</strong> Tarifizierung zu<br />
rascherem Wachstum führt. Viel mehr Belege<br />
gibt es jedoch dafür, dass <strong>die</strong> höhere Variabilität<br />
<strong>die</strong> Armut vergrößert.<br />
Es gibt politische Maßnahmen, <strong>die</strong> auf lange<br />
Sicht vielleicht das Wachstum steigern und <strong>die</strong><br />
Armut verringern. Dazu zählt <strong>die</strong> Verbesserung<br />
der Bildungschancen für benachteiligte Gruppen,<br />
was Ländern ermöglicht, einen riesigen Bestand<br />
an zu wenig genutzten Befähigungen anzuzapfen.<br />
Aber <strong>die</strong> Erträge aus Investitionen in <strong>die</strong> Vorschulbildung<br />
heute werden sich erst in zwei Jahrzehnten<br />
oder noch später einstellen. Dies ist nicht<br />
<strong>die</strong> Art von Ergebnissen, <strong>die</strong> gewöhnlich in ökonometrischen<br />
Untersuchungen erscheinen.<br />
In <strong>die</strong>sen ökonometrischen Globalisierungsstu<strong>die</strong>n<br />
verbirgt sich unter der Oberfläche ein anderer<br />
Subtext: Weil <strong>die</strong> Globalisierung so positive<br />
Auswirkungen auf das Wachstum und <strong>die</strong> Armutsbekämpfung<br />
hatte, müssen ihre Kritiker irren.<br />
Aber <strong>die</strong>se Querschnittuntersuchungen können<br />
nicht <strong>die</strong> grundlegendste Kritik an der Globalisierung<br />
widerlegen, wie sie praktiziert wurde:<br />
dass sie unfair ist und ihre Vorteile unverhältnismäßig<br />
oft reichen Menschen zugute gekommen<br />
sind. Nach der letzten Verhandlungsrunde zum<br />
Welthandel, der Uruguay-Runde, wies eine Untersuchung<br />
der Weltbank nach, dass Afrika südlich<br />
der Sahara schlechter da stand als zuvor. Die<br />
asymmetrische Liberalisierung hatte globale Auswirkungen<br />
auf <strong>die</strong> Austauschrelationen. Den<br />
Globalisierungsstu<strong>die</strong>n zufolge musste Afrika<br />
dafür büßen, dass es nicht an der Globalisierung<br />
teilnahm. Das mag teilweise stimmen. Es ist jedoch<br />
auch wahr, dass <strong>die</strong> Art und Weise, wie <strong>die</strong><br />
Globalisierung gesteuert wurde, Afrika benachteiligt<br />
hat.<br />
Von daher waren <strong>die</strong>se ökonometrischen<br />
Untersuchungen zu Globalisierung, Wachstum<br />
und Armut ein irreführendes Ablenkungsmanöver.<br />
Sie lenkten <strong>die</strong> Debatte von den richtigen<br />
Fragen ab, <strong>über</strong> <strong>die</strong> diskutiert werden sollte:<br />
nach der Angemessenheit bestimmter politischer<br />
Maßnahmen für bestimmte Länder, nach den<br />
Möglichkeiten, <strong>die</strong> Globalisierung zu gestalten<br />
(und auch nach den Spielregeln) und nach internationalen<br />
ökonomischen Institutionen zur besseren<br />
Wachstumsförderung und Armutsbekämpfung<br />
in den Entwicklungsländern. Der Antiglobalisierungsbewegung<br />
wurde oft Gedankenlosigkeit<br />
vorgeworfen, wenn sie einfach fragte, ob <strong>die</strong> Globalisierung<br />
gut oder schlecht sei. Aber trotz all<br />
der scheinbaren Komplexität ihrer Statistiken<br />
sind <strong>die</strong> ökonometrischen Stu<strong>die</strong>n genauso schuldig.<br />
Joseph E. Stiglitz<br />
Nobelpreisträger für Wirtschaft, 2002<br />
96 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
sionellen, ausreichend unabhängigen staatlichen<br />
Bürokratie. Unsachgemäße Einmischung<br />
der Politik hat staatlichen Institutionen geschadet<br />
und in einigen Fällen zu Staatsversagen<br />
geführt. Die Reaktion sollte nicht sein,<br />
den Staat abzuschaffen. Die Wiederbelebung<br />
staatlicher Institutionen kann unabhängig davon,<br />
wie schwierig <strong>die</strong>s sein mag, eine entscheidende<br />
Voraussetzung zur Beseitigung<br />
von Wachstumsschranken sein, <strong>die</strong> durch das<br />
Regierungs- und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />
bedingt sind (siehe Feature 3.1).<br />
Die Beschäftigungspolitik für den öffentlichen<br />
Sektor ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang von<br />
Interesse. Der Staat kann kein „employer of<br />
last resort“ sein. In Ostasien bewirken recht<br />
hohe Gehälter im öffentlichen Dienst, insbesondere<br />
für Leitungsfunktionen, dass er für<br />
qualifizierte Kräfte attraktiv ist und bleibt.<br />
Diese technokratischen Gruppen sind relativ<br />
frei von politischen Zwängen, was zu klaren<br />
Entscheidungsprozessen beiträgt und Marktvertrauen<br />
schafft. Dies in richtige Bahnen zu<br />
lenken, war genauso wichtig wie jede politische<br />
Intervention, weil <strong>die</strong> „richtigen“ politischen<br />
Maßnahmen bei fehlender institutioneller<br />
Kohärenz widersinnige Effekte haben können.<br />
Viertens muss der öffentliche Sektor den<br />
privaten Sektor unterstützen und stärken, statt<br />
mit ihm zu konkurrieren. Öffentliche Organe<br />
können private Kapazität in mehrfacher Weise<br />
unterstützen. Japan, <strong>die</strong> Republik Korea, Malaysia<br />
und Thailand richteten formelle Beiräte<br />
ein, um <strong>die</strong> Informations- und Transaktionskosten<br />
privater Akteure zu verringern. Für <strong>die</strong><br />
Technologiepolitik wird eine neue Form von<br />
Beirat genutzt. In Costa Rica und Irland verbinden<br />
Technologie-Foresight-Programme<br />
und -Prozesse Ministerien, den privaten Sektor,<br />
internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen,<br />
um <strong>die</strong> Informations-<br />
und Transaktionskosten zu senken – und<br />
um Einvernehmen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verbesserung der<br />
nationalen technologischen Kapazität zu erzielen.<br />
Diese Organe können insbesondere für<br />
<strong>die</strong> Entwicklung kleiner und mittlerer exportorientierter<br />
Unternehmen von Bedeutung<br />
sein. Außerdem sollten Anstrengungen hin zu<br />
größerer sozialer Verantwortung und Trans-<br />
parenz von Unternehmen unternommen werden.<br />
Internationalen privaten Unternehmen<br />
kommt auch eine wichtige Rolle bei der Förderung<br />
der Kapitalbildung und der Entwicklung<br />
des privaten Sektors vor Ort zu. Dies hat<br />
erwünschte Auswirkungen auf <strong>die</strong> Entstehung<br />
zusätzlicher Arbeitsplätze in den lokalen Arbeitsmärkten.<br />
Schlussendlich kann Wachstum<br />
zu Gunsten der Armen durch ambitioniertere<br />
Partnerschaften zwischen dem privaten und<br />
dem öffentlichen Sektor, insbesondere beim<br />
Bau von Basisinfrastruktur und der Bereitstellung<br />
von Diensten in Entwicklungsregionen<br />
(beispielsweise Stromversorgung) erreicht<br />
werden.<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN AUSSERHALB<br />
DER INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />
Die vorgenannten Maßnahmen zur industriellen<br />
Entwicklung können helfen, den Wachstumsmotor<br />
einer Volkswirtschaft zu entwickeln.<br />
Aber viele arme Menschen, wenn<br />
nicht gar <strong>die</strong> meisten, arbeiten außerhalb der<br />
Industriegüterproduktion – insbesondere in<br />
den frühen Entwicklungssta<strong>die</strong>n. Genauso,<br />
wie Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />
ergriffen werden, bedarf es daher politischer<br />
Maßnahmen, um ihren Bedarf zu<br />
decken.<br />
Erstens braucht <strong>die</strong> Regierung ein wirksames<br />
Steuersystem, um genug Einnahmen zu<br />
erzielen, <strong>die</strong> sie in den Grundbedarf armer<br />
Menschen investieren kann. In den ärmsten<br />
Ländern erfordert <strong>die</strong>s nicht nur höhere<br />
Staatseinnahmen, <strong>die</strong> klug investiert werden,<br />
sondern auch mehr Finanzhilfe der Geber.<br />
Ein wirksames Steuersystem ist nicht gleichbedeutend<br />
mit höheren Steuern. Ein sinnvollerer<br />
Weg ist, relativ niedrige Sätze für <strong>die</strong> direkte<br />
Einkommensteuer einzuführen, dabei aber<br />
gleichzeitig auf <strong>die</strong> Steuerehrlichkeit zu pochen<br />
und Missbrauch sowie politisch motivierte<br />
Ausnahmeregelungen abzuschaffen. Ein<br />
großes Einnahmenproblem in vielen Ländern<br />
ist, dass reiche Menschen einfach keine direkten<br />
Steuern zahlen.<br />
Zweitens sollten Ländern mit vielen Bauern<br />
in <strong>die</strong> Steigerung der landwirtschaftlichen<br />
Produktivität und <strong>die</strong> Diversifizierung von<br />
Ein großes<br />
Einnahmenproblem in<br />
vielen Ländern ist, dass<br />
reiche Menschen einfach<br />
keine direkten Steuern<br />
zahlen<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 97
Feldfrüchten für Exportmärkte investieren.<br />
(In Kapitel 4 wird <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />
detaillierter analysiert.) Solche<br />
Bemühungen könnten <strong>die</strong> Entwicklung standortspezifischer<br />
Saat- und Bodennährstoffstrategien<br />
umfassen, um unter den örtlichen<br />
Gegebenheiten hohe Erträge zu erzielen. Regierungen<br />
können Exporteuren auch finanzielle<br />
Anreize und Vertriebsunterstützung bieten,<br />
um <strong>die</strong> zum Verkauf bestimmten Feldfrüchte<br />
zu diversifizieren. Sie könnten Bauern<br />
in Gebieten mit fragilen Märkten auch Mindestpreise<br />
garantieren. Thailand tat <strong>die</strong>s<br />
während des Übergangs von traditionellen<br />
Feldfrüchten zu ausgefalleneren Arten für den<br />
Export wie Spargel, der im Land nicht konsumiert<br />
wird.<br />
Drittens müssen politische Maßnahmen<br />
den Zugang armer Menschen zu wirtschaftlichen<br />
Aktiva sicherstellen. Ohne Aktiva können<br />
arme Menschen nicht an Märkten teilnehmen.<br />
Sie benötigen Grund und Boden, Finanzen<br />
und Qualifikationen – und öffentliches<br />
Handeln, um sie zu erwerben. Investitionen in<br />
<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung zur Erweiterung<br />
der sozialen Aufstiegschancen für alle ist eines<br />
der sechs Bündel politischer Maßnahmen, <strong>die</strong><br />
in Kapitel 4 erörtert werden. Wir konzentrieren<br />
uns hier auf Grund und Boden und Finanzen.<br />
Zugang zu Grund und Boden. Mehr als<br />
500 Millionen Menschen oder etwa 100 Millionen<br />
Haushalte in Entwicklungsländern fehlen<br />
Eigentums- oder Besitzrechte an dem<br />
Grund und Boden, den sie bestellen. Die meisten<br />
sind Pachtbauern, Landarbeiter oder<br />
frühere Kolchosenarbeiter. In <strong>die</strong>se Gruppe<br />
fallen auch Agrarhaushalte mit unsicheren<br />
Nutzungsrechten wie Slumbewohner oder Inhaber<br />
von Gewohnheits- oder <strong>über</strong>lieferten<br />
Rechten, <strong>die</strong> keine formellen Rechte an dem<br />
von ihnen besetzten Land haben.<br />
Fehlende formelle gesetzlich verbriefte<br />
Rechte an Grund und Boden schränken <strong>die</strong><br />
Fähigkeit <strong>die</strong>ser Menschen ein, Einkommen<br />
zu erzeugen und ihren Lebensunterhalt zu<br />
ver<strong>die</strong>nen, was das wirtschaftliche Wachstum<br />
untergräbt. Weil Grund und Boden ihre<br />
Haupterwerbsquelle ist und Sicherheit und<br />
gesellschaftlichen Status verleiht, würde <strong>die</strong><br />
Legalisierung ihrer Besitzrechte durch eine<br />
Agrarreform mehreren Zwecken <strong>die</strong>nen:<br />
• Die Schaffung <strong>über</strong>tragbarer Rechte an<br />
Grund und Boden mit bestimmbarem Marktwert<br />
macht Grund und Boden zu einem generations<strong>über</strong>greifenden<br />
Aktivposten.<br />
• Kleinere Betriebe sind pro Hektar oft produktiver<br />
als große, insbesondere wenn sie in<br />
Familienbesitz sind und von Familien bewirtschaftet<br />
werden. 11<br />
• Grundbesitzer haben einen Anreiz und<br />
<strong>die</strong> Fähigkeit, langfristige Kapitalinvestitionen<br />
zu tätigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />
unmittelbar steigern.<br />
• Der Zugang zu Grund und Boden verbessert<br />
<strong>die</strong> Ernährung von Haushalten – und erhöht<br />
bei manchen Agrarhaushalten das außerlandwirtschaftliche<br />
Einkommen.<br />
• Gesetzlich fest verbriefte Besitzrechte für<br />
Frauen, <strong>die</strong> oft <strong>die</strong> Nahrungsmittelerzeuger in<br />
einem Haushalt sind, führen zu gerechterer<br />
Einkommens- und Wohlfahrtsverteilung.<br />
• Sichere Rechte stärken das Umweltmanagement<br />
und erhöhen <strong>die</strong> Beteiligung der Gemeinschaft.<br />
Obwohl – wie viele Erfahrungen in den<br />
siebziger und achtziger Jahren gezeigt haben –<br />
Bodenreformen politisch umstritten und<br />
schwierig durchzuführen waren, sind sie auf<br />
Grund ihrer engen Verknüpfung mit der Gerechtigkeitsfrage<br />
in vielen Ländern wie Brasilien<br />
und China auf <strong>die</strong> politische Tagesordnung<br />
zurückgekehrt.<br />
Damit <strong>die</strong> meisten Menschen in den<br />
Genuss der Vorteile gesicherten Grundbesitzes<br />
kommen können, müssen solche Rechte<br />
auf einer breiten Basis gewährt werden,<br />
und zwar insbesondere weiblichen Mitgliedern<br />
von Agrarhaushalten. Außerdem sollten<br />
private Grundbesitzer, deren Boden umverteilt<br />
wird, angemessen entschädigt werden.<br />
Ebenso sollten Reformen im Bereich<br />
der gewohnheitsmäßigen Bodennutzungssysteme<br />
vorgenommen werden, damit Grundbesitzer<br />
mit <strong>über</strong>lieferten Rechten <strong>die</strong>se<br />
nicht verlieren. Die potenziellen Nutznießer<br />
sollten in <strong>die</strong> Planungen solcher Reformen<br />
einbezogen werden. Letzter Punkt: Die<br />
begleitenden Bestimmungen sollten <strong>die</strong> sichere<br />
Nutzung gewährleisten und <strong>die</strong> richtigen<br />
98 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Anreize beinhalten, damit <strong>die</strong> Übertragung<br />
von Grundbesitz oder Nutzungsrechten<br />
tatsächlich und nicht nur auf dem Papier<br />
erfolgt.<br />
Zugang zu Krediten. Mikrofinanzinstitutionen<br />
– sowohl Mikrokredit- als auch Mikrosparinstitutionen<br />
– bieten armen Menschen<br />
einen Weg, sich Kapital zu beschaffen und<br />
Kapital zu akkumulieren. Sie ermutigen Kreditnehmer,<br />
in produktive Aktivitäten zu<br />
investieren, und Sparer, Kapital zu akkumulieren<br />
und Zinsen zu ver<strong>die</strong>nen. Kreditnehmer<br />
können <strong>die</strong> Mittel auch verwenden,<br />
um Einkommensflüsse zu glätten und wirtschaftliche<br />
Entscheidungen <strong>über</strong> längere<br />
Zeiträume zu planen. Die Zahl der armen<br />
Menschen mit Zugang zu Mikrokreditprogrammen<br />
stieg von 7,6 Millionen im Jahr<br />
1997 auf 26,8 Millionen im Jahr 2001.<br />
21,0 Millionen davon waren Frauen, <strong>die</strong> auf<br />
<strong>die</strong>se Weise <strong>über</strong> Mittel verfügten, wirtschaftliche<br />
Entscheidungen treffen konnten und<br />
<strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> ihr Leben gewonnen haben.<br />
12 Manchen Schätzungen zufolge könnten<br />
jedes Jahr 5 Prozent der Teilnehmer an<br />
Mikrofinanzprogrammen ihre Familien aus<br />
der Armut befreien. 13<br />
Aus einem makroökonomischen Blickwinkel<br />
sind Mikrofinanzinstitutionen nützlich,<br />
um Kreditmittel für arme Menschen zu kanalisieren<br />
und entstehen zu lassen. Sie bleiben ein<br />
wichtiges politisches Instrument für <strong>die</strong> Verringerung<br />
der Armut im großen Maßstab. Ihr<br />
Erfolg hängt jedoch vom Programm, der teilnehmenden<br />
Gemeinschaft und der Unterstüt-<br />
zung durch Geber, der Gebietskörperschaft<br />
und der verwaltenden Behörde ab. Ihre Ausweitung<br />
hängt von makroökonomischer Stabilität,<br />
der Gesundheit, Absicherung und Wirksamkeit<br />
des Finanzsektors und (langfristig)<br />
von der Fähigkeit der Regierung ab, arme<br />
Menschen durch den Finanzsektor landesweit<br />
zu erreichen.<br />
* * *<br />
Dieses Kapitel beleuchtet <strong>die</strong> strukturbedingten<br />
Probleme, <strong>die</strong> das wirtschaftliche Wachstum<br />
in den Ländern mit höchster und hoher<br />
Priorität für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erschweren. Es bietet zudem praktische<br />
Ratschläge zur Überwindung <strong>die</strong>ser Probleme.<br />
Diese Länder müssen weit <strong>über</strong> Marktreformen<br />
hinausschauen, um <strong>die</strong> grundlegenden<br />
Herausforderungen auf Grund von weitverbreiteten<br />
Krankheiten, geografischer Isolation,<br />
schlechter Infrastruktur, geringem <strong>Human</strong>kapital<br />
und begrenzten Märkten bewältigen<br />
zu können. Es bedarf dort umfangreicher<br />
Investitionen der öffentlichen Hand, um <strong>die</strong><br />
grundlegenden Mindeststandards für Gesundheit,<br />
Bildung und andere Ergebnisse zu<br />
erreichen. Weil <strong>die</strong>se Länder zu arm sind, um<br />
<strong>die</strong>se Investitionen finanzieren zu können,<br />
müssen <strong>die</strong> reichen Länder ihre Zusagen im<br />
Zusammenhang mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
einhalten und helfen, zentrale<br />
Investitionen der öffentlichen Hand zu finanzieren,<br />
<strong>die</strong> langfristige Erfolge bei der wirtschaftlichen<br />
und <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
herbeiführen werden.<br />
Dieses Kapitel beleuchtet<br />
<strong>die</strong> strukturbedingten<br />
Probleme, <strong>die</strong> das<br />
wirtschaftliche Wachstum<br />
in den Ländern mit<br />
höchster und hoher<br />
Priorität für <strong>die</strong><br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele<br />
erschweren<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 99
Feature 3.1 Entwicklungsprobleme – aus dem Blickwinkel der Geografie<br />
Auf der ersten Karte sind <strong>die</strong> Länder auf der Welt in fünf<br />
Kategorien unterteilt. Die erste bilden <strong>die</strong> dunkelblau dargestellten<br />
Länder, <strong>die</strong> ein hohes Maß an wirtschaftlicher Innovation<br />
zeigen, gemessen anhand der Zahl der Patente pro<br />
eine Million Einwohner. Dabei handelt es sich im Allgemeinen<br />
um <strong>die</strong> Länder mit hohem Einkommen. Die zweite<br />
Gruppe bilden <strong>die</strong> mittelblau dargestellten Industriegüter<br />
exportierenden Entwicklungsländer. Dies sind <strong>die</strong> sich entwickelnden<br />
Volkswirtschaften, deren Exporte im Jahr 1995<br />
zu mindestens 50 Prozent auf das verarbeitende Gewerbe<br />
entfielen. Die dritte Gruppe bilden <strong>die</strong> blaugrau dargestellten<br />
Erdöl exportierenden Volkswirtschaften. Die vierte<br />
Gruppe bilden <strong>die</strong> grau dargestellten Transformationsländer<br />
und <strong>die</strong> fünfte Gruppe <strong>die</strong> auf der Karte schwarz dargestellten<br />
Entwicklungsländer, <strong>die</strong> andere Rohstoffe als Erdöl<br />
exportieren.<br />
Die zweite Karte veranschaulicht <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen<br />
Wachstums im Zeitraum von 1980 bis 1998. Dabei<br />
wird als Maß das konstante Pro-Kopf-BSP, umgerechnet auf<br />
Kaufkraftparitäten verwendet. Man beachte <strong>die</strong> bemerkenswerte<br />
Ähnlichkeit mit der ersten Karte. Die dunkelblau dargestellten<br />
Länder mit entweder einem hohen Maß an Innovation<br />
oder Industriegüterexporten wiesen im Allgemeinen<br />
Wachstum auf, während <strong>die</strong> andere Gruppe von Ländern<br />
(Erdöl exportierende Länder, Transformationsländer und<br />
Rohstoffe exportierende Länder) im Allgemeinen wirtschaftlichen<br />
Niedergang verzeichneten. Zu den wachsenden<br />
Volkswirtschaften zählen <strong>die</strong> Großregionen Nordamerika,<br />
Westeuropa, Ozeanien, Ostasien und Südasien. Die rückläufigen<br />
Länder finden sich vor allem in Afrika südlich der Sahara,<br />
der früheren Sowjetunion, im erdölreichen Nahen<br />
Osten und in Teilen von Lateinamerika, vor allem in den Anden<br />
und in Mittelamerika. Afrika südlich der Sahara ist <strong>die</strong><br />
Weltregion mit dem schlechtesten Ergebnis: Zwei Drittel<br />
der Länder und drei Viertel der Bevölkerung erlebten dort<br />
im Zeitraum von 1980 bis 1998 wirtschaftlichen Niedergang<br />
statt wirtschaftlichen Wachstums.<br />
Tabelle 1 schlüsselt <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen Wachstums<br />
nach der wirtschaftlichen Struktur des Landes auf.<br />
Wenn wir <strong>die</strong> Länder in <strong>die</strong>selben fünf Kategorien wie in<br />
Karte 1 einteilen, erkennen wir, dass sich <strong>die</strong> Hauptprobleme<br />
beim wirtschaftlichen Wachstum in drei Arten von<br />
Volkswirtschaften stellen: den sowjetischen (und postsowjetischen)<br />
Volkswirtschaften, <strong>die</strong> in den neunziger Jahren in<br />
den Übergang zur Marktwirtschaft eintraten, den Erdöl exportierenden<br />
Volkswirtschaften, <strong>die</strong> auf Grund ihres einzigen<br />
oder dominierenden Exportguts einen riesigen Kaufkraftverlust<br />
hinnehmen mussten, und den Rohstoffe exportierenden<br />
Entwicklungsländern. Die meisten der Rohstoffe<br />
exportierenden Länder liegen in Afrika südlich der Sahara,<br />
Lateinamerika und Zentralasien. Die Volkswirtschaften mit<br />
einem hohen Maß an Innovation und <strong>die</strong> Industriegüter exportierenden<br />
Länder unter den Entwicklungsländern haben<br />
im Großen und Ganzen wirtschaftliches Wachstum verzeichnet.<br />
KARTE 1<br />
Klassifikation der Länder nach ihrer wirtschaftlichen Struktur, 1995<br />
Technologische Innovationen, hoher Stand an Patenten<br />
Industriegüter exportierender Länder<br />
Erdöl exportierende Länder<br />
Transformationsländer<br />
Rohstoffe (außer Erdöl) exportierende Länder<br />
KARTE 2<br />
Klassifikation der Ländern nach durchschnittlicher jährlicher Pro-Kop-BIP<br />
Wachstumsrate, 1990<br />
KKP Dollars, 1980–98<br />
Pro-Kopf-BIP-Wachstumsrate<br />
größer als 2,5 Prozent<br />
kleiner als -2,5 Prozent<br />
zwischen 0 und 2,5 Prozent keine Daten<br />
zwischen -2,5 und 0 Prozent<br />
Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
TABELLE 1<br />
Wirtschaftswachstumsraten nach Ländergruppen, 1980-98<br />
Zahl der Länder mit Durchschnittliches Pro-Kopf-<br />
Gruppe wachsendendem Pro-Kopf-BIP BIP-Wachstum (in Prozent)<br />
Reiche Volkswirtschaften 18 von 18 1,7<br />
Transformationsländer 4 von 12 –1,7<br />
Erdöl exportierende Länder 2 von 13 –1,5<br />
Industriegüter exportierende Länder 23 von 24 2,7<br />
Rohstoffe exportierende Länder 29 von 61 –0,1<br />
Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />
Quelle: Maddison 2001; World Bank 2002j.<br />
100 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
TABELLE 2<br />
Wirtschaftswachstumsraten nach Bevölkerungsgröße und geografischer<br />
Lage, 1980-98<br />
Kleine Länder Große Länder<br />
Durchschnittliches Bevölkerung Bevölkerung<br />
jährliches in Ländern Durchschnittliches in Ländern<br />
Zahl der Pro-Kopf-BIP mit positivem Zahl jährliches mit positivem<br />
Länder mit Wachstum Wachstum Länder mit Pro-Kopf-BIP Wachstum<br />
Geografische wachsendem 2001, 2001 wachsendem Wachstum 2001<br />
Lage Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen) Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen)<br />
Binnenländer 24 von 53 –0.2 379 von 799 10 von 10 2.5 3,087 von 3,087<br />
Küstenländer 15 von 17 1.9 118 von 130 3 von 4 3.2 341 von 418<br />
Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />
Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
Tabelle 2 veranschaulicht Muster wirtschaftlichen Wachstums<br />
aus einem anderen Blickwinkel, dem der Geografie.<br />
Diese Tabelle zeigt <strong>die</strong> Wachstumsquoten für alle Entwicklungsländer,<br />
Transformationsländer und nicht Erdöl exportierenden<br />
Länder mit verfügbaren Daten. Die Länder sind<br />
darin nach der Größe ihrer Bevölkerung und der Konzentration<br />
der Bevölkerung nahe Seehandelsrouten unterteilt.<br />
„Kleine Länder“ sind solche mit einer Bevölkerung von weniger<br />
als 40 Millionen Menschen im Jahr 1990, „Binnenländer“<br />
solche, in denen mehr als 75 Prozent der Bevölkerung<br />
in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer von der<br />
Küste lebt. Die Daten machen deutlich, wie <strong>die</strong> Gruppen<br />
der Länder, <strong>die</strong> entweder groß oder Küstenländer sind, im<br />
Zeitraum von 1980 bis 1998 im Durchschnitt ein systematisches<br />
wirtschaftliches Pro-Kopf-Wachstum erzielten. Die<br />
Länder, <strong>die</strong> klein und Binnenländer sind, waren im selben<br />
Zeitraum in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich weniger<br />
erfolgreich.<br />
Weil 33 der 53 Länder, <strong>die</strong> als klein und als Binnenland<br />
eingestuft wurden, in Afrika liegen, sind <strong>die</strong> Ergebnisse<br />
für <strong>die</strong>sen Kontinent von besonderer Relevanz.<br />
Quelle: McArthur und Sachs 2002; World Bank 2002j, <strong>2003</strong>i; IMF 2002b;<br />
Maddison 2001.<br />
STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 101
KAPITEL 4<br />
Politische Maßnahmen zur<br />
Verbesserung der Gesundheit und<br />
Bildung der Bevölkerung<br />
Im Millenniums-Entwicklungspakt wird empfohlen,<br />
dass für Länder mit hoher und höchster<br />
Priorität Investitionen in den Bereichen<br />
Gesundheit und Bildung zu den allerersten<br />
politischen Maßnahmen zählen müssen, um<br />
aus der Armutsfalle wieder herauszufinden.<br />
Diese Investitionen tragen zum Wirtschaftswachstum<br />
bei, das sich wiederum auf <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung auswirkt (siehe Kapitel<br />
3). Bildung, Gesundheit, Ernährung sowie<br />
Wasser- und Sanitärversorgung ergänzen<br />
einander, da Investitionen in einem der Bereiche<br />
zu besseren Resultaten in den anderen Bereichen<br />
führen. Die wichtigste Botschaft <strong>die</strong>ses<br />
Kapitels lautet, dass <strong>die</strong> politischen Entscheidungsträger<br />
erkennen müssen, welche<br />
Synergien es zwischen den vielen Aspekten<br />
der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung gibt, wenn sie<br />
in <strong>die</strong> Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
investieren.<br />
Bildung wirkt sich auf alle Gebiete der<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung aus. Bildung ist<br />
mehr als nur eine Quelle von Wissen, sie fördert<br />
auch eine bessere Hygiene und führt zu<br />
einer häufigeren Nutzung von Dienstleistung<br />
im Gesundheitsbereich. Auch sauberes Wasser<br />
und eine angemessene sanitäre Versorgung<br />
sind entscheidend für den Gesundheitszustand.<br />
Da dadurch ansteckende Krankheiten<br />
reduziert werden, verbessert sich der Ernährungszustand<br />
der Kinder und ihre Lernfähigkeit<br />
wird gesteigert. Zusammengenommen<br />
tragen solche Maßnahmen zu einem<br />
Wandel im Gesundheitsbereich bei – größtes<br />
Krankheitsrisiko in einem Land wären dann<br />
nicht mehr ansteckende Krankheiten, sondern<br />
vor allem <strong>die</strong> chronischen Krankheiten.<br />
Durch den Wandel im Gesundheitsbereich<br />
wird sehr schnell ein Wandel im demografischen<br />
Bereich von hohen zu niedrigen<br />
Geburten- und Sterberaten möglich. Hinzu<br />
kommt, dass ein höheres Bildungsniveau in<br />
engem Zusammenhang zu einer besseren Familienplanung<br />
steht. Wenn mehr Kinder am<br />
Leben bleiben, reduzieren <strong>die</strong> Familien <strong>die</strong><br />
Zahl der Kinder, <strong>die</strong> sie bekommen. Die gewünschte<br />
Familiengröße wird kleiner, ein Prozess,<br />
der noch durch <strong>die</strong> freie Verfügbarkeit<br />
von Verhütungsmitteln unterstützt wird. So<br />
spielt im Laufe der Zeit eine niedrigere Säuglings-<br />
und Kindersterblichkeitsrate für ein Sinken<br />
der Fruchtbarkeitsraten eine entscheidende<br />
Rolle. 1 Eine solches Verständnis von Synergien<br />
bei sozialen Investionen ist für <strong>die</strong> Reduzierung<br />
von Hunger, Unterernährung, Krankheit<br />
und Analphabetismus – und auch für <strong>die</strong><br />
Förderung des <strong>menschliche</strong>n Entwicklungspotentials<br />
– von zentraler Bedeutung.<br />
Um den größtmöglichen Nutzen aus den<br />
Synergien bei den grundlegenden sozialen<br />
Dienstleistungen zu ziehen, ist es von entscheidender<br />
Bedeutung, schon zu einem sehr<br />
frühen Zeitpunkt den Schwerpunkt auf <strong>die</strong><br />
allgemeine Grundschulbildung zu legen, insbesondere<br />
für Mädchen. Dazu ist der Zugang<br />
zu einer wirklich funktionierenden Familienplanung,<br />
zu Wasser und zu sanitärer Versorgung<br />
erforderlich. Insofern sind <strong>die</strong>se Dienst-<br />
GRAFIK 4.1<br />
Mädchen mit Schulausbildung führen ein anderes Leben<br />
Auswir- Hat weniger Kinder, <strong>die</strong> Nimmt früher medizinische<br />
kungen in gleichmäßigeren Abstän- Hilfe für sich selbst und<br />
auf den den zur Welt kommen <strong>die</strong> Kinder in Anspruch<br />
Haushalt<br />
Erhöht <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit,<br />
dass<br />
<strong>die</strong> Kinder <strong>über</strong>leben;<br />
Übergang bei der<br />
Gesundheit<br />
Auswirkungen auf<br />
<strong>die</strong> Gesellschaft<br />
Quelle: Mehrotra und Jolly 2000.<br />
Ein Mädchen mit<br />
Schulausbildung<br />
heiratet später<br />
Versorgt und ernährt<br />
sich selbst und <strong>die</strong><br />
Kinder besser<br />
Reduziert <strong>die</strong> Gesamt- Verbessert <strong>die</strong> Lernchancen<br />
Fruchtbarkeit; demographischer und <strong>die</strong> Schulausbildung<br />
Übergang<br />
der Kinder<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 103
KASTEN 4.1<br />
Wenn das Potenzial der Frauen nicht ausgeschöpft<br />
und <strong>die</strong> Geschlechtergerechtigkeit<br />
nicht verbessert wird, können <strong>die</strong> anderen Millenniumsziele<br />
nicht erreicht werden. Den<br />
Handlungsspielraum von Frauen zu erweitern<br />
und ihnen Gehör zu verschaffen, ist unverzichtbar<br />
für <strong>die</strong> Entwicklung ihres Potenzials –<br />
und <strong>die</strong> Verbesserung ihrer Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten ist unverzichtbar, wenn man ihren<br />
Handlungsspielraum erweitern und ihnen<br />
Gehör verschaffen will. Obwohl Ausbildung<br />
das einzige offizielle Ziel ist („Beseitigung der<br />
Geschlechterunterschiede bei der Primar- und<br />
Sekundarschulbildung, möglichst bis 2005,<br />
und auf allen Bildungsebenen bis 2015“), das<br />
zur Bewertung des Fortschritts hinsichtlich des<br />
Ziels der Gleichberechtigung der Geschlechter<br />
herangezogen wird, haben sich verschiedene<br />
weitere Indikatoren zur Beurteilung der Fortschritte<br />
etabliert:<br />
• Das Verhältnis von Mädchen zu Jungen in<br />
der Grundschul-, weiterführenden Schul- und<br />
Hochschulausbildung<br />
• Das Verhältnis alphabetisierter weiblicher<br />
und männlicher 15–24 Jähriger.<br />
• Der Anteil von Frauen an bezahlten Arbeitsplätzen<br />
außerhalb der Landwirtschaft.<br />
• Der Anteil von Frauen in nationalen Parlamenten.<br />
Geschlechtergleichberechtigung in der<br />
Ausbildung hilft Frauen dabei, einen Arbeitsplatz<br />
außerhalb des eigenen Haushalts und politische<br />
Macht zu erlangen, was wiederum zu<br />
ihrem Handlungsspielraum in der Öffentlichkeit<br />
beiträgt. Aber Geschlechtergleichberechtigung<br />
muss sich auch auf den privaten Bereich<br />
erstrecken.<br />
Heute unterminiert <strong>die</strong> fehlende Gleichberechtigung<br />
das Potenzial der Frauen in Bildung<br />
und Gesundheit. Trotzdem werden einige<br />
Fortschritte erreicht, beispielsweise stieg<br />
von 1990 bis 2001 das Verhältnis alphabetisierter<br />
weiblicher und männlicher 15-24 Jähriger<br />
in Ländern mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
von 70 auf 81 Frauen pro 100 Männer,<br />
während es in Ländern mit mittlerer<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung nur von 91 auf 93<br />
leistungen integraler Bestandteil für das Erreichen<br />
aller Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
In <strong>die</strong>sem Kapitel wird auch dargelegt,<br />
dass <strong>die</strong> Gleichstellung der Geschlechter nicht<br />
nur ein Ziel um seiner selbst willen ist – es ist<br />
für das Erreichen aller anderen Ziele von zen-<br />
stieg. Das Geschlechterverhältnis im Primarbereich<br />
machte ebenfalls gewisse Fortschritte<br />
und stieg in den Entwicklungsländern zwischen<br />
1990 und 1999–2000 von 86 auf 92<br />
Mädchen pro 100 Jungen. Beim gegenwärtigen<br />
Fortschrittstempo wird <strong>die</strong> Gleichheit der Geschlechter<br />
nicht vor 2025 erreicht werden – 20<br />
Jahre nach dem Zieljahr der Millenniumsziele.<br />
Bei jungen Frauen (15–24 Jahre) in Entwicklungsländern<br />
liegt <strong>die</strong> Alphabetisierungsrate<br />
bei 60%, verglichen mit 80% für junge<br />
Männer. Zusätzlich leiden mehr Frauen an<br />
HIV/AIDS. Die Müttersterblichkeit ist ein<br />
weiterer Aspekt der Bürde der Frauen. Und<br />
trotz biologischer Gründe für eine höhere Lebenserwartung<br />
der Frauen gibt es in vielen<br />
Entwicklungsländern Millionen „fehlender“<br />
Frauen durch Ermordung von weiblichen<br />
Säuglingen, Abtreibungen aufgrund des Geschlechts<br />
oder systematischer lebenslänglicher<br />
Diskriminierung (was zu einer niedrigeren<br />
weiblichen Bevölkerung führt, mit 35–37 Millionen<br />
weniger Frauen in Südasien und 38–40<br />
Millionen in China).<br />
Ohne Maßnahmen zur Steigerung des Potenzials<br />
von Frauen in Gesundheit und Bildung<br />
werden sie nur begrenzte Aussichten auf<br />
Arbeitsplätze außerhalb des Haushalts und auf<br />
eigene, unabhängige Ver<strong>die</strong>nstmöglichkeiten<br />
haben. In den neunziger Jahren stagnierte in<br />
den Entwicklungsländern das Verhältnis von<br />
Frauen, <strong>die</strong> außerhalb der Landwirtschaft tätig<br />
waren, bei 40% des Anteils der Männer.<br />
Viele Herausforderungen beeinträchtigen<br />
<strong>die</strong> Gleichberechtigung der Geschlechter auf<br />
dem Arbeitsmarkt sowie bei der Partizipation<br />
in der Gemeinschaft und der Politik. In Entwicklungsländern<br />
sind <strong>die</strong> meisten armen Arbeiterinnen<br />
außerhalb der Landwirtschaft in<br />
informellen Arbeitsverhältnissen beschäftigt<br />
und erhalten niedrige, unregelmäßige Bezahlung.<br />
Weltweit beträgt der Frauenanteil bei<br />
den Parlamentssitzen gerade einmal in sieben<br />
Ländern mehr als 30%. Einer besseren politischen<br />
Vertretung muss oft durch Quoten<br />
nachgeholfen werden.<br />
Geschlechterbeziehungen werden großenteils<br />
durch soziale und kulturelle Verhältnisse<br />
traler Bedeutung. Anhand der Lebensläufe<br />
von Mädchen mit Schulbildung lassen sich <strong>die</strong><br />
Synergien zwischen den einzelnen Interventionen<br />
im sozialen Bereich gut verdeutlichen (siehe<br />
Grafik 4.1). Mädchen mit Schulbildung<br />
heiraten in der Regel später – insbesondere,<br />
Potenzial und Handlungsspielraum von Frauen – Schlüssel für das Erreichen der Millenniumsziele<br />
Quelle: Christiansen, Conway, und Poston <strong>2003</strong>; Drèze und Sen 2002; Landuyt 1998.<br />
bestimmt. Patriarchalische Werte aus der<br />
Kindheit beeinflussen <strong>die</strong> Einstellungen und<br />
Ansichten sowohl von Frauen als auch von<br />
Männern ihr ganzes Leben lang. Diese Werte<br />
manifestieren sich oft in Gesetzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Rechte und Ansprüche von Frauen beschränken<br />
– insbesondere wenn es um Ehe, Scheidung,<br />
Vergewaltigung, Gewalt und Erbschaftsrecht<br />
geht. Frauenrechtsbewegungen<br />
konzentrieren sich oft auf <strong>die</strong> Reform solcher<br />
Gesetze.<br />
Obwohl <strong>die</strong> Berufstätigkeit und <strong>die</strong> Ausbildung<br />
als grundlegende Strategien betrachtet<br />
werden, um den Handlungsspielraum von<br />
Frauen zu erweitern und ihnen mehr Gehör zu<br />
verschaffen, erfordert <strong>die</strong> Schaffung von mehr<br />
Handlungsspielraum nicht nur:<br />
• Anerkennung der Bedeutung von Ausbildung,<br />
sondern auch <strong>die</strong> Verbesserung ihrer Inhalte,<br />
Vermittlung und ihres Nutzens.<br />
• Schaffung von mehr Arbeitsplätzen für<br />
Frauen, sondern auch <strong>die</strong> Verbesserung ihrer<br />
Qualität und ihrer Bedingungen – einschließlich<br />
nachhaltiger Lebensweisen.<br />
• Erhöhung der zahlenmäßigen Repräsentanz<br />
von Frauen in Parlamenten, sondern<br />
auch bessere Sichtbarkeit von Frauen in hochrangigen<br />
Positionen mit Entscheidungskompetenz<br />
– von der lokalen bis zur nationalen<br />
Ebene.<br />
Das bedeutet, dass sowohl <strong>die</strong> praktischen<br />
Bedürfnisse (wie etwa <strong>die</strong> Verbesserung der<br />
Lebensverhältnisse, des Arbeitsplatzangebots,<br />
der Gesundheitsversorgung und des Angebots<br />
von sauberem Wasser) als auch <strong>die</strong> strategischen<br />
Bedürfnisse (den Frauen mehr Gehör<br />
verschaffen und ihren Handlungsspielraum<br />
durch geregelte Ansprüche auf Vermögen und<br />
gleichen Lohn, reproduktive Rechte und Freiheit<br />
vor Gewalt zu erweitern, damit sie ihre<br />
Rolle in der Familie und der Gesellschaft neu<br />
definieren können) politisch angegangen werden<br />
müssen, um Frauen mehr Macht zu geben.<br />
Diese Politik muss zudem noch durch Gesetze<br />
untermauert werden, <strong>die</strong> gleiche Rechte für<br />
Frauen und Männer garantieren - im privaten<br />
wie im öffentlichen Bereich, d.h. persönlich<br />
wie politisch.<br />
104 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 4.2<br />
Politische Erfahrungen aus Ländern mit ausgezeichneter Gesundheits- und Bildungsbilanz<br />
Es gibt kein global einheitliches Rezept, wie <strong>die</strong> Millenniumsziele am<br />
besten erreicht werden können, und keinen festgelegten Weg, wie<br />
man „auf Kurs“ kommt. Unterschiedliche nationale Ausgangsbedingungen<br />
erfordern, dass <strong>die</strong> Länder unterschiedliche Strategien<br />
entwickeln, um <strong>die</strong> international festgelegten Ziele für Gesundheit<br />
und Bildung zu erreichen. Aber es gibt jede Menge Erfolgsgeschichten.<br />
• In den 1980er Jahren machte Botsuana große Fortschritte bei Bildung<br />
und Gesundheit, <strong>die</strong> weit <strong>über</strong> <strong>die</strong> Erwartungen angesichts seines<br />
Einkommensniveaus hinausgingen.<br />
• Der indische Bundesstaat Kerala weist Gesundheitsindikatoren<br />
auf, <strong>die</strong> mit denen der USA vergleichbar sind – trotz eines um 99 Prozent<br />
niedrigeren Pro-Kopf-Einkommens und jährlichen Pro-Kopf-<br />
Gesundheitsausgaben von ganzen 28 US-Dollar.<br />
• Kubas Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur einen Bruchteil desjenigen<br />
der USA, dennoch weist das Land <strong>die</strong>selbe Säuglingssterblichkeitsrate<br />
auf und hat HIV/AIDS unter Kontrolle gehalten.<br />
Länder mit guten Leistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung<br />
zeigen den beachtlichen Fortschritt, der innerhalb einer Generation<br />
erreicht werden kann, und Ähnlichkeiten bei <strong>die</strong>sen Erfolgsbeispielen<br />
liefern nützliche Hinweise darauf, was funktioniert:<br />
• Die staatliche Haushaltspolitik war angemessen und gerecht.<br />
In Ländern mit guten Ergebnissen spiegelt sich der politische Wille<br />
nicht nur in den Haushaltstiteln für Gesundheit und Bildung wider,<br />
sondern auch in ihrer gerechten Verteilung. Die Ausgaben konzen-<br />
Source: Chen and Desai 2000; Mehrotra 2000; Drèze and Sen 1995.<br />
wenn sie eine weiterführende Schule besucht<br />
haben und sie einer bezahlten Arbeit außerhalb<br />
des Elternhauses nachgehen. Mädchen<br />
und Frauen mit Schulbildung haben auch weniger<br />
Kinder, nehmen schneller medizinische<br />
Hilfe für sich und ihre Kinder in Anspruch,<br />
sorgen besser für ihre Kinder und ernähren sie<br />
besser. 2 Ein solches Verhalten reduziert das<br />
Auftreten von Krankheiten und erhöht <strong>die</strong><br />
Wahrscheinlichkeit, dass <strong>die</strong> Kinder nicht vor<br />
dem fünften Lebensjahr sterben.<br />
Im Laufe der Zeit führt <strong>die</strong> Reduzierung<br />
der Kindersterblichkeit zu kleineren Familien<br />
und einer verstärkten Anwendung von Verhütungsmitteln<br />
– und damit wird <strong>die</strong> Fruchtbarkeit<br />
insgesamt gesenkt. Kleinere Haushalte ermöglichen<br />
auch eine bessere Betreuung der<br />
Kinder, und bei niedrigeren Fruchtbarkeitsraten<br />
sinkt <strong>die</strong> Zahl der Kinder in schulpflichtigem<br />
Alter. Auf <strong>die</strong>se Weise werden <strong>die</strong> Vorteile<br />
der Schulbildung von Mädchen von Generation<br />
zu Generation größer. Es ist auf der einen<br />
Seite wichtig, <strong>die</strong> Gesundheit der Frauen<br />
und ihr Bildungspotenzial auf <strong>die</strong>se Weise zu<br />
stärken, auf der anderen Seite sind auch Maß-<br />
trieren sich eher auf <strong>die</strong> medizinische Grundversorgung, statt auf<br />
weiterführende Gesundheits<strong>die</strong>nstleistungen und auf Grundschul-,<br />
statt auf höhere Bildung.<br />
• Bildungserrungenschaften gingen verbesserten Gesundheitsergebnissen<br />
voraus. Schon zu Beginn ihres Entwicklungsprozesses haben<br />
alle Länder mit guten Ergebnissen hohe Einschulungsraten für<br />
alle Kinder, insbesondere Mädchen, angestrebt. Die Ungleichheit der<br />
Geschlechter in der Bildung war daher von Anfang an niedriger, und<br />
<strong>die</strong> Geschlechterunterschiede wurden viel schneller reduziert als in<br />
Ländern mit schlechten Ergebnissen. In dem Maße, in dem Investitionen<br />
in <strong>die</strong> öffentliche Gesundheitsfürsorge stiegen, drückte sich<br />
das gute Bildungsniveau in hoher Nachfrage nach und effektiver Nutzung<br />
von Gesundheits<strong>die</strong>nsten aus.<br />
• Gebildete Frauen konnten Veränderungen vorantreiben. Ergebnisse<br />
bei der Gesundheit und Bildung von Kindern sind nicht nur<br />
das Ergebnis von angemessener Nahrungsmittelversorgung und Gesundheits<strong>die</strong>nsten,<br />
sondern auch von richtiger Kinderbetreuung. In<br />
<strong>die</strong>ser Hinsicht kommt den Fähigkeiten und Rollen von Frauen im<br />
Haushalt und in der Gesellschaft große Bedeutung zu. Wenn Frauen<br />
gebildet sind, Eigentumsrechte haben und frei sind, außerhalb des<br />
Haushalts zu arbeiten und ein eigenes Einkommen zu ver<strong>die</strong>nen, verbessert<br />
sich der Wohlstand des gesamten Haushalts (Drèze und Sen<br />
1995). In Ländern mit guten Ergebnissen erzielten Frauen nicht nur<br />
nahezu Gleichstand bei der Bildung, sondern auch ihre Partizipationsraten<br />
am Arbeitsmarkt außerhalb der Landwirtschaft waren hoch.<br />
nahmen erforderlich, um ihre Rolle in der Gesellschaft<br />
als Akteurinnen von Veränderung<br />
nachhaltig zu fördern (siehe Kasten 4.1).<br />
Fortschritte in der Vergangenheit zeigen,<br />
was möglich ist. In den vergangenen 50 Jahren<br />
erzielten <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />
Fortschritte in den Bereichen Gesundheit und<br />
Bildung, für <strong>die</strong> <strong>die</strong> reichen Länder fast 200<br />
Jahre brauchten. Etwa ein Dutzend Entwicklungsländer<br />
machten sogar besonders schnelle<br />
Fortschritte und erreichten soziale Indikatoren,<br />
<strong>die</strong> durchaus mit denen in reichen Ländern<br />
vergleichbar sind. Diese Länder können<br />
anderen Ländern politische Nachhilfe erteilen,<br />
wie man <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erreichen kann (siehe Kasten 4.2).<br />
Wer noch daran zweifelt, dass <strong>die</strong> Ziele in<br />
weniger als einer Generation erreicht werden<br />
können, sollte sich folgende Erfolge vor Augen<br />
führen. In Sri Lanka konnte <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />
zum Zeitpunkt der Geburt in nur<br />
sieben Jahren (1945-52) um 12 Jahre erhöht<br />
werden. 3 In China waren es in neun Jahren<br />
(1953–62) 13 Jahre. 4 Von 1960 bis 1980<br />
konnte Botsuana seine Bruttoeinschulungsra-<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 105
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele und<br />
Zielvorgaben<br />
Ziel 1: Beseitigung der<br />
extremen Armut und<br />
des Hungers<br />
Zielvorgabe 1: Zwischen<br />
1990 und 2015 den<br />
Anteil der Menschen<br />
halbieren, deren<br />
Einkommen weniger als<br />
1$ pro Tag beträgt<br />
Zielvorgabe 2: Zwischen<br />
1990 und 2015 den<br />
Anteil der Menschen<br />
halbieren, <strong>die</strong> Hunger<br />
leiden<br />
te in der Primarbildung von 40 Prozent auf<br />
91 Prozent mehr als verdoppeln. 5 Und in<br />
Simbabwe stieg <strong>die</strong> Bruttoeinschulungsrate,<br />
fünf Jahre nach der Unabhängigkeit von 75<br />
Prozent im Jahr 1960 auf 124 Prozent im Jahr<br />
1985. 6<br />
Einige Entwicklungsländer machten gewaltige<br />
wirtschaftliche und soziale Sprünge –<br />
und haben jetzt Hochleistungs-Ökonomien<br />
(Republik Korea, Malaysia und Mauritius). Sie<br />
erzielten soziale Fortschritte schon zu einem<br />
frühen Zeitpunkt ihres Entwicklungsprozesses,<br />
als <strong>die</strong> nationalen Einkommen noch niedrig<br />
waren – was auf eine bestimmte Abfolge<br />
bei den Investitionen hindeutet. In anderen<br />
erfolgreichen Ländern war das Wirtschaftswachstum<br />
langsamer und nicht so stetig. Und<br />
trotzdem zeigen einige <strong>die</strong>ser Länder, dass<br />
eine soziale Entwicklung auf hohem Niveau<br />
auch ohne eine blühende Wirtschaft möglich<br />
Wenn man von den bisherigen Erfolgen ausgeht,<br />
müsste das Ziel, den Anteil der hungernden<br />
Menschen bis 2015 um <strong>die</strong> Hälfte zu verringern,<br />
leicht zu erreichen sein. 1996 wurde<br />
auf dem Welternährungsgipfel ein ähnliches<br />
Ziel verabschiedet: <strong>die</strong> Anzahl der hungernden<br />
Menschen in den Entwicklungsländern<br />
auf 400 Millionen zu verringern. 7<br />
Seit den frühen 1970er Jahren hat sich <strong>die</strong><br />
Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern<br />
verdreifacht und mit dem Bevölkerungswachstum<br />
mehr als Schritt gehalten. 8<br />
Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> realen Preise der wichtigsten<br />
Getreideerzeugnisse um 76 Prozent gefallen<br />
sind. 9 Von 1980 bis 1995 stieg <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion<br />
pro Kopf der Bevölkerung<br />
in Asien um 27 Prozent und in Lateinamerika<br />
um 12 Prozent. In Afrika südlich der<br />
Sahara sank sie jedoch um 8 Prozent. 10 Die<br />
Anzahl der Hungernden ist zwar in Südasien<br />
am höchsten, sie sinkt jedoch – während in<br />
Afrika etwa ein Drittel der Bevölkerung unterernährt<br />
ist und <strong>die</strong> Zahl der Hungernden<br />
wächst. 11 Wenn alle Nahrungsmittel, <strong>die</strong> weltweit<br />
erzeugt werden, gerecht verteilt würden,<br />
könnte jeder Mensch 2.760 Kalorien am Tag<br />
ist, wenn <strong>die</strong> Regierung <strong>die</strong> richtigen Prioritäten<br />
setzt und <strong>die</strong> entsprechenden politischen<br />
Maßnahmen ergreift.<br />
In <strong>die</strong>sem Kapitel geht es darum, <strong>die</strong> richtigen<br />
politischen Prioritäten zu setzen – nämlich<br />
<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Länder mit guten Erfolgen<br />
gesetzt haben – um <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele zu erreichen. Die Ziele in<br />
den Bereichen Hunger, Bildung, Gesundheit<br />
und Wasser und sanitäre Versorgung werden<br />
der Reihe nach untersucht – nach dem Grad<br />
der Herausforderung, <strong>die</strong> sie darstellen, bis<br />
hin zu den Maßnahmen, <strong>die</strong> erforderlich sind,<br />
um sie zu erreichen. In dem Kapitel wird dann<br />
ein Aktionsplan vorgeschlagen, um das Niveau,<br />
<strong>die</strong> gerechte Verteilung und <strong>die</strong> Effizienz<br />
der öffentlichen Ausgaben für grundlegende<br />
Dienstleistungen – ebenso wie <strong>die</strong><br />
Quantität und Qualität der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
- zu verbessern.<br />
WIE KANN DAS ZIEL DER REDUZIERUNG DES HUNGERS ERREICHT WERDEN?<br />
konsumieren (Hunger ist so definiert, dass ein<br />
Mensch weniger als 1.960 Kalorien täglich zu<br />
sich nimmt). 12 Wenn man den Hunger<br />
bekämpfen will, muss man gewährleisten, dass<br />
<strong>die</strong> Menschen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ressourcen (insbesondere<br />
Einkommen) verfügen, <strong>die</strong> erforderlich<br />
sind, um Nahrungsmittel zu erwerben.<br />
Hunger ist mehr als nur das Fehlen verfügbarer<br />
Nahrung. Er ist auch ein Problem<br />
des nicht vorhandenen Rechts auf Nahrung<br />
und der Nichtversorgung mit damit in Zusammenhang<br />
stehenden grundlegenden Dienstleistungen<br />
(Gesundheitsversorgung, Bildung,<br />
sauberes Trinkwasser, angemessene sanitäre<br />
Versorgung). Im Unterschied zur Verfügbarkeit<br />
von Nahrung bedeutet das Recht auf<br />
Nahrung, was eine Person mit Einkommen<br />
verlangen und daher konsumieren kann, und<br />
nicht, was auf dem Markt verfügbar ist.<br />
DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />
Jeden Tag müssen 799 Millionen Menschen in<br />
den Entwicklungsländern Hunger leiden – das<br />
sind etwa 18 Prozent der Weltbevölkerung . 13<br />
In Südasien hungert eine von vier Personen<br />
106 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
und in Afrika südlich der Sahara sogar eine<br />
von drei Personen. 14 Die größte Anzahl hungernder<br />
Menschen, nämlich 233 Millionen, ist<br />
in In<strong>die</strong>n zu Hause, während in Afrika südlich<br />
der Sahara 183 Millionen leben, in China 119<br />
Millionen, im Rest von Ostasien und im Pazifik<br />
74 Millionen, in Lateinamerika 55 Millionen<br />
und in den arabischen Staaten 32 Millionen.<br />
15<br />
In den Jahren 1990–92 und 1998–2000<br />
sank der Anteil der hungernden Menschen in<br />
den Entwicklungsländern von 21 Prozent auf<br />
18 Prozent. 16 Der bei weitem größte Rückgang<br />
fand in China statt, obwohl auch in Südostasien<br />
ein beachtlicher Rückgang zu verzeichnen<br />
war. 17 Aufgrund des Bevölkerungswachstums<br />
sinkt <strong>die</strong> Zahl der hungernden Menschen jedoch<br />
nicht ganz so schnell. Weltweit sank <strong>die</strong><br />
Anzahl der hungernden Menschen von 1991<br />
bis 1999 um 20 Millionen. 18 Dieser Fortschritt<br />
war jedoch nur möglich, weil 80 Millionen<br />
Chinesen nicht mehr hungern mussten: in 25<br />
Entwicklungsländern nahm dagegen <strong>die</strong> Zahl<br />
der hungernden Menschen zu (siehe Grafik<br />
4.2). 19<br />
Das Ziel, den Hunger zu reduzieren, beinhaltet<br />
auch, <strong>die</strong> Unterernährung von Kindern<br />
zu verringern. Auf <strong>die</strong>sem Gebiet waren<br />
bei 10 von 33 Ländern, <strong>über</strong> <strong>die</strong> Daten vorlagen,<br />
Rückschläge zu verzeichnen, oder es gelang<br />
ihnen nicht, in den 1990er Jahren Verbesserungen<br />
zu erzielen. 20 Und da es <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Unterernährung von Kindern verlässlichere<br />
Daten gibt, sind solche Trends beunruhigend.<br />
21<br />
Mehr als drei Viertel der hungernden<br />
Menschen leben in ländlichen Gebieten der<br />
Entwicklungsländer. 22 Ungefähr <strong>die</strong> Hälfte<br />
lebt in kleinbäuerlichen Haushalten auf marginalen<br />
Böden, wo <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />
Produktion durch Umweltzerstörung bedroht<br />
ist. 23 Fast ein Drittel lebt in landlosen, nichtbäuerlichen<br />
Haushalten, wie beispielsweise<br />
<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> als Hirten, Fischer oder als<br />
Waldbauern beschäftigt sind. 24 Arme Fischer<br />
müssen jedoch mit ansehen, wie ihre Erträge<br />
beim Fischfang durch <strong>die</strong> kommerzielle Fischerei<br />
reduziert werden, und <strong>die</strong> Waldbauern<br />
verlieren ihre Rechte an Holzfällerfirmen,<br />
<strong>die</strong> mit Genehmigung der Regierung in <strong>die</strong><br />
Wälder vordringen. Hinzu kommt, dass <strong>die</strong><br />
Anzahl der Menschen ohne Landbesitz in den<br />
meisten ländlichen Gebieten aufgrund einer<br />
größeren Anbaudichte und ungerechter Landverteilung<br />
steigt. Der Anteil durchschnittlich<br />
pro Kopf verfügbaren Landes sank bei Bauern<br />
in den Entwicklungsländern von 3,6 Hektar<br />
im Jahr 1972 auf 0,26 Hektar im Jahr 1992 –<br />
und er wird vermutlich bis zum Jahr 2020 weiter<br />
sinken. 25<br />
Ein weiterer beunruhigender Trend ist,<br />
dass <strong>die</strong> Unterernährung auf <strong>die</strong> Städte <strong>über</strong>greift.<br />
26 Inzwischen beträgt der Anteil städtischer<br />
armer Menschen mehr als ein Fünftel<br />
der hungernden Menschen in den Entwicklungsländern.<br />
Dieser Anteil wird wahrscheinlich<br />
noch größer werden, weil <strong>die</strong> Bevölkerung<br />
in den Städten schneller wächst als auf dem<br />
Land. 27<br />
Jährlich sind in der Regel 5-10 Prozent der<br />
hungernden Menschen von Dürren, Seuchen,<br />
Überschwemmungen, Hurrikanen, extremen<br />
Stürmen oder gewaltsamen Konflikten betroffen.<br />
28 Von den 21 Ländern, in denen 2002 extreme<br />
Nahrungsmittelengpässe auftraten,<br />
wurden <strong>die</strong>se in 15 Ländern durch Kriege, zivile<br />
Konflikte oder Nachwirkungen früherer<br />
Konflikte ausgelöst. 29<br />
Wenn man das Millenniums-Entwicklungsziel<br />
der Reduzierung des Hungers erreichen<br />
will, ist eine bessere Nahrungsmittelverteilung<br />
und eine Steigerung der Produktion<br />
erforderlich. Zu den wichtigsten Prioritäten<br />
bei der Steigerung der Produktion gehören:<br />
• Den Schwerpunkt auf Technologien setzen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />
steigern. Wenn man <strong>die</strong>s tut, werden<br />
auch <strong>die</strong> Einkommen von Menschen steigen,<br />
<strong>die</strong> <strong>über</strong> nicht viel mehr verfügen als <strong>über</strong><br />
Landbesitz.<br />
• Mehr Mittel in <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
investieren. Viele arme Länder haben ihre<br />
Landwirtschaft vernachlässigt – ein Trend,<br />
der rückgängig gemacht werden muss.<br />
• Die Umweltzerstörung verhindern.<br />
Neue politische Maßnahmen und Technologien<br />
zur Steigerung der Produktivität müssen<br />
auch für den Schutz wichtiger Ökosysteme<br />
sorgen. Arme Menschen leiden am stärksten<br />
unter Umweltzerstörung, Armut führt<br />
GRAFIK 4.2<br />
Die Ernährungsunsicherheit<br />
nimmt zu<br />
Anzahl der Menschen, deren Ernährung<br />
nicht gesichert ist, in allen<br />
Entwicklungsländern ohne China<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 107<br />
800<br />
700 1997-99<br />
1990-92<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
WFS Ziel<br />
2015<br />
Anmerkung: WFS steht für Welternährungsgipfel<br />
Quelle: FAO 2001c.
Gerecht verteiltes Land<br />
verringert auch <strong>die</strong> Armut<br />
und verbessert <strong>die</strong><br />
Einkommensverteilung<br />
jedoch auch zu Umweltzerstörung. In den<br />
Entwicklungsländern ist meist <strong>die</strong> niedrige<br />
Produktivität der Grund für solche Zerstörungen,<br />
während in Europa und Nordamerika<br />
<strong>die</strong> hohe Produktivität dafür verantwortlich<br />
ist.<br />
• Die Ressourcen gerechter verteilen.<br />
Frauen, <strong>die</strong> fast alle Nahrungsmittel erzeugen,<br />
<strong>die</strong> in Afrika südlich der Sahara und in Asien<br />
konsumiert werden, müssen einen gesicherteren<br />
Zugang zu Landbesitz haben. Das gleiche<br />
gilt für Menschen ohne Landbesitz.<br />
• Der Erderwärmung entgegentreten und<br />
<strong>die</strong> Agrarzölle und –subventionen in den<br />
reichen Ländern reduzieren. Protektionistische<br />
Maßnahmen manipulieren <strong>die</strong> internationalen<br />
Märkte zum Nachteil der Bauern in den<br />
Entwicklungsländern. Die Erderwärmung<br />
kann inzwischen <strong>die</strong> klimatischen Bedingungen<br />
für Bauern, <strong>die</strong> von Regen abhängig sind,<br />
negativ beeinflussen.<br />
NAHRUNGSMITTELVORRÄTE FÜR EINE<br />
BESSERE VERTEILUNG UND VORBEUGUNG<br />
GEGEN PREISSCHWANKUNGEN<br />
Die Regierungen können Reserven der wichtigsten<br />
Verbrauchsgüter, insbesondere von<br />
Getreide, anlegen und <strong>die</strong>se auf den Markt<br />
bringen, wenn <strong>die</strong> Nahrungsmittelpreise unmäßig<br />
ansteigen – damit arme Menschen sie<br />
sich dann leisten können. Teil solcher Systeme<br />
könnte möglicherweise auch <strong>die</strong> öffentliche<br />
Verteilung der wichtigsten Verbrauchsgüter<br />
zu Preisen unter Marktniveau sein. In China<br />
und In<strong>die</strong>n gibt es eine lange Tradition<br />
der Nahrungsmittel-Reservehaltung, normalerweise<br />
auf staatliche Kosten.<br />
In<strong>die</strong>n hat seit den siebziger Jahren Nahrungsmittelvorräte<br />
angelegt und war dadurch<br />
in der Lage, einer Ausbreitung von Hungersnöten<br />
entgegenzuwirken. Diese Bemühungen<br />
wurden noch unterstützt durch <strong>die</strong> gesteigerte<br />
Weizen- und Reisproduktivität – ein Ergebnis<br />
der Grünen Revolution. Getreide und wichtige<br />
Verbrauchsgüter (Zucker, Öl zum Kochen)<br />
wurden dabei im Rahmen eines staatlichen<br />
Verteilungssystems zur Verfügung gestellt.<br />
Zusätzlich gewährleisten in Zeiten der Dürre<br />
„food for work“-Programme (Nahrungsmittel<br />
als Entlohnung für geleistete Arbeit) eine Versorgung<br />
auf Subsistenzniveau.<br />
Es ist sehr wichtig, dass Nahrungsmittel<br />
für arme Haushalte weiterhin erschwinglich<br />
bleiben, egal ob im Rahmen von staatlichen<br />
Verteilungssystemen oder Getreideabgaben<br />
an <strong>die</strong> Märkte (etwas, das <strong>die</strong> indische Regierung<br />
in den letzten Jahren nicht mehr getan<br />
hat). Ein Grund für <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />
armer Haushalte in Kerala, einem indischen<br />
Bundesstaat mit guten Ergebnissen (siehe Kasten<br />
4.3), ist, dass staatlich subventionierte Läden<br />
selbst in ländlichen Gebieten Getreide<br />
verteilen. 30 In anderen indischen Bundesstaaten<br />
findet <strong>die</strong> öffentliche Nahrungsmittelverteilung<br />
fast nur in städtischen Gebieten statt.<br />
In China werden Nahrungsmittelvorräte als<br />
Reserve auf kommunaler Ebene bereitgehalten.<br />
In Sri Lanka – einem weiteren Land mit<br />
hohem Niveau bei den sozialen Indikatoren –<br />
wurden Nahrungsmittelsubventionen seit der<br />
Unabhängigkeit im Jahr 1947 beibehalten.<br />
1979 wurden <strong>die</strong> Subventionen für <strong>die</strong> wichtigsten<br />
Verbrauchsgüter (Reis, Weizenmehl,<br />
Linsen, getrockneter Fisch, Milchpulver)<br />
durch ein Lebensmittelmarken-System ersetzt,<br />
mit dem 40 Prozent der Bevölkerung erreicht<br />
wurden.<br />
In Afrika wurden Nahrungsmittelvorräte<br />
nicht in dem Maße angelegt, wie man es bei<br />
der niedrigen Produktivität im Agrarbereich,<br />
den empfindlichen Böden und den häufigen<br />
Hungersnöten auf <strong>die</strong>sem Kontinent erwarten<br />
könnte. Ein Grund für <strong>die</strong> Hungersnot im<br />
südlichen Afrika im Jahr 2002 war, dass <strong>die</strong><br />
begrenzten Vorräte zur Neige gegangen waren;<br />
zum Teil deshalb, weil <strong>die</strong> Regierungen<br />
<strong>die</strong>se aufgrund finanzieller Schwierigkeiten<br />
nicht mehr aufrechterhalten konnten.<br />
Insbesondere für Binnenländer ist es wichtig,<br />
Reserven anzulegen, denn <strong>die</strong> Kosten für<br />
den Bau und <strong>die</strong> Verwaltung von Lagerhäusern<br />
sind gerechtfertigt, wenn dadurch Leben<br />
gerettet, Leiden abgewendet und Produktivität<br />
gewonnen werden können. In Ländern<br />
mit Häfen müssen <strong>die</strong> Kosten für das Anlegen<br />
von Vorräten gegen<strong>über</strong> dem Nutzen abgewogen<br />
werden. Sogar in Küstenländern können<br />
jedoch Reserven <strong>die</strong> negativen Auswirkungen<br />
108 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 4.3<br />
Der Auslaugung von Bodennährstoffen wird<br />
üblicherweise durch den Einsatz von Mineraldüngern<br />
entgegengewirkt. Aber Düngemittel<br />
kosten für den Endverbraucher in<br />
Afrika zwei- bis sechsmal so viel wie in Europa,<br />
Nordamerika und Asien. Allerdings ist es<br />
den Pflanzen egal, ob sie ihre Nitrate und<br />
Phosphate aus einem Sack Dünger oder aus<br />
verrottenden Blättern aufnehmen. Es kommt<br />
also darauf an, pflanzliche Nährstoffe in ausreichender<br />
Menge aufzufrischen, und ob <strong>die</strong>s<br />
durch Mineraldünger oder organische Materialien<br />
geschieht, hängt im wesentlichen vom<br />
Geldbeutel der Bauern ab.<br />
Am besten ist es, den Einsatz beider<br />
Nährstoffquellen in agronomisch vernünftiger<br />
Weise zu kombinieren. Das Sasakawa<br />
Global 2000-Netzwerk und andere Organisationen<br />
haben auf Tausenden afrikanischer<br />
Bauernhöfe gezeigt, dass Mineraldünger <strong>die</strong><br />
Ernten um das Doppelte bis Vierfache steigern<br />
können. Aber selbst Bauern, <strong>die</strong> sich zugekauften<br />
Dünger nicht leisten oder ihn nicht<br />
erhalten konnten, können durch alternative<br />
Ansätze zum Bodenaufbau und zur Nährstoffauffrischung<br />
langfristige Ertragssteigerungen<br />
erzielen:<br />
• Stickstoffbindende Baumbrachen. Leguminosenbäume<br />
werden gemeinsam mit jungen<br />
Maispflanzen gepflanzt, damit sie in Bra-<br />
fluktuierender Nahrungsmittelpreise abmildern.<br />
Bei politischen Konzepten für Afrika hat<br />
man aber eher in <strong>die</strong> entgegengesetzte Richtung<br />
gedrängt und argumentiert, dass sich <strong>die</strong><br />
Versorgung des Kontinents mit Lebensmitteln<br />
<strong>über</strong> den freien Markt regulieren sollte. Regierungen,<br />
<strong>die</strong> mit Haushaltsdefiziten konfrontiert<br />
sind, sollten keine Mittel für Subventionen<br />
von Düngemitteln, Erzeugerpreissubventionen<br />
oder billige Kredite bereitstellen. Ein<br />
neuer Weltbank<strong>bericht</strong> schlägt vor, dass afrikanische<br />
Agrarländer cash crops für den Export<br />
anbauen sollten – um Einkommen für <strong>die</strong><br />
armen Bauern zu schaffen und Devisen für<br />
Nahrungsmittelimporte zu erwirtschaften.<br />
Der Bericht gibt zwar zu, dass größere Ernteerträge<br />
einigen Bauern helfen würden, er<br />
kommt jedoch auch zu dem Schluss, dass viele<br />
so isoliert leben, dass sie nur das anbauen sollten,<br />
was sie für sich selbst benötigen, und das<br />
so billig wie möglich. 31<br />
Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit in Afrika südlich der Sahara<br />
chen während der Trockenzeiten wachsen.<br />
Sie erzeugen in 6–24 Monaten in den subhumiden<br />
tropischen Regionen im östlichen und<br />
südlichen Afrika 100–200 Kilogramm Stickstoff<br />
pro Hektar. Diese Brachen sind ökonomisch<br />
und ökologisch sinnvoll und passen<br />
gut in den Alltag der Bauern und ihren Arbeitsrhythmus<br />
– was auch kaum <strong>über</strong>raschen<br />
kann, da <strong>die</strong> Bauern <strong>die</strong>ses Verfahren mitentwickelt<br />
haben.<br />
• Einheimisches Gesteinsphosphat. Einheimische<br />
Gesteinsphosphatlagerstätten sind<br />
eine Alternative zu importierten Superphosphaten.<br />
Die milde Säure der meisten <strong>die</strong>ser<br />
Böden (pH 5–6) trägt zur langsamen Auslösung<br />
von Gesteinsphosphaten zu Düngezwecken<br />
<strong>über</strong> Jahre hinweg bei. Über einen<br />
Zeitraum von fünf Jahren kann ihre Verwendung<br />
Maisernten verdoppeln oder verdreifachen<br />
und 90 Prozent der Wirkung von<br />
Superphosphaten erzielen – zu weitaus geringeren<br />
Kosten.<br />
• Biomassen<strong>über</strong>tragung durch Blätter<br />
nährstoffakkumulierender Sträucher. Die<br />
Übertragung von Blätter-Biomasse des nährstoffanreichernden<br />
Strauches Tithonia diversifolia<br />
von Straßenrändern und Hecken in<br />
bewirtschaftete Felder bringt zusätzliche<br />
Nährstoffe und verdoppelt Maisernten regelmäßig<br />
ohne weiteren Düngerzusatz.<br />
UNGLEICHHEIT – UND WAS<br />
MAN DAGEGEN TUN KANN<br />
Der Zugang zu Nahrungsmitteln könnte stark<br />
verbessert werden, wenn <strong>die</strong> Regierungen<br />
Maßnahmen ergreifen würden, den schwächsten<br />
Bevölkerungsgruppen Besitz zu ermöglichen<br />
und ihr Einkommen zu steigern.<br />
MARGINALE BEVÖLKERUNGSGRUPPEN.<br />
Gemessen pro Einheit Landbesitz sind kleine<br />
Bauernhöfe produktiver als große. Eine gerechtere<br />
Landverteilung steigert daher <strong>die</strong><br />
landwirtschaftliche Effizienz und <strong>die</strong> Ernteerträge.<br />
In Piaui, in Brasilien, stiegen <strong>die</strong> Bodenerträge<br />
auf nicht bewässerten Feldern um 10-<br />
40 Prozent und auf bewässerten Feldern um<br />
30-70 Prozent, nachdem Land an Kleinbauern<br />
verteilt worden war. 32 Gerecht verteiltes Land<br />
verringert auch <strong>die</strong> Armut und verbessert <strong>die</strong><br />
Einkommensverteilung. In El Salvador konnte<br />
Zehntausende von Bauernfamilien in Kenia,<br />
Malawi, Mosambik, Tansania, Uganda,<br />
Sambia und Simbabwe nutzen <strong>die</strong>se Verfahren<br />
mit guten Ergebnissen. Verbesserte Bracheperioden<br />
sind <strong>die</strong> am häufigsten angewandten<br />
Methoden. Das Wissen wird unter<br />
Bauern, Dörfern und örtlichen Organisationen,<br />
aber auch durch nationale Forschungsund<br />
Anwendungsinstitute, Universitäten,<br />
nichtstaatliche Organisationen und Entwicklungsprojekte<br />
weitergegeben.<br />
Die Herausforderung ist nun, <strong>die</strong> Akzeptanz<br />
und Übernahme solcher Verfahren<br />
durch Abermillionen von Bauernfamilien zu<br />
beschleunigen. Die Haupthindernisse hierfür<br />
sind das unzureichende Angebot von qualitativ<br />
hochwertigem Baum-Keimplasma (Saatgut<br />
und Setzlinge) und von Gesteinsphosphat<br />
sowie unzureichendes Bewusstsein und<br />
Wissen <strong>über</strong> <strong>die</strong> technologischen Komponenten.<br />
Aber auf <strong>die</strong> zunehmende Anwendung<br />
<strong>die</strong>ser Verfahren kommt es an, da <strong>die</strong>s<br />
bedeutende Chancen auf drastisch und nachhaltig<br />
erhöhte Nahrungsmittelproduktion<br />
mit sich bringt – und damit den Hunger in einer<br />
Weise zurückdrängt, <strong>die</strong> auch noch <strong>die</strong><br />
natürlichen Ressourcengrundlagen verbessert.<br />
Quelle: Millennium Project Task Force 2 <strong>2003</strong>a.<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 109
Weniger als 1 von 10<br />
Bäuerinnen in In<strong>die</strong>n,<br />
Nepal und Thailand<br />
besitzen Land<br />
durch eine zehnprozentige Erhöhung des<br />
Landbesitzanteils der Bevölkerung, <strong>die</strong> das<br />
Land bebaute, das Pro-Kopf-Einkommen um<br />
4 Prozent gesteigert werden. Auf ganz ähnliche<br />
Weise konnte beobachtet werden, dass in<br />
den indischen Bundesstaaten, <strong>die</strong> eine Bodenreform<br />
durchführten, <strong>die</strong> Armut in den Jahren<br />
1958 bis 1992 schneller zurückging. 33<br />
Damit arme Menschen in natürliche Ressourcen<br />
investieren können, <strong>die</strong> sie brauchen,<br />
um <strong>die</strong> Produktivität zu steigern, müssen sie<br />
gesicherten Zugang zu <strong>die</strong>sen Ressourcen haben.<br />
In Thailand gibt es einen klaren Zusammenhang<br />
zwischen dem gesicherten Recht auf<br />
Landbesitz und dem Selbstvertrauen, eine<br />
nachhaltige Landwirtschaft zu praktizieren. 34<br />
Arme, hungernde Menschen profitieren<br />
ebenfalls von Ressourcen in Gemeinschaftsbesitz.<br />
In den letzten Jahren ist in Brasilien, Kamerun,<br />
Gambia, In<strong>die</strong>n, Nepal und Tansania<br />
öffentlicher Grund und Boden zur Nutzung<br />
beziehungsweise Mitnutzung durch indigene<br />
Gemeinschaften bereitgestellt worden. Auf<br />
vergleichbare Weise wurde <strong>die</strong> gemeinschaftliche<br />
Waldnutzung in Bolivien, Kolumbien,<br />
Indonesien, Mosambik, den Philippinen,<br />
Uganda und Sambia gestärkt. In China und<br />
Vietnam ist den Haushalten öffentlicher<br />
Waldbesitz <strong>über</strong>tragen worden. Die Anerkennung<br />
indigener Rechte und gemeinschaftlichen<br />
Besitzes - und der offenere Umgang mit<br />
öffentlichem Waldbesitz – eröffnen Möglichkeiten,<br />
das Leben von Millionen Waldbewohnern<br />
entscheidend zu verbessern. Das Recht<br />
armer Bevölkerungsgruppen auf Wasser muss<br />
ebenfalls anerkannt werden – und zwar nicht<br />
nur für Bedürfnisse des Haushalts, sondern<br />
auch für Bewässerung, Weiterverarbeitung<br />
von landwirtschaftlichen Produkten und für<br />
das Tränken von Vieh. 35<br />
FRAUEN<br />
Frauen erzeugen fast alle Nahrungsmittel, <strong>die</strong><br />
in Afrika südlich der Sahara und (in geringerem<br />
Ausmaß) in Asien konsumiert werden. Sie<br />
haben jedoch selten ein gesichertes Anrecht<br />
auf das Land, das sie bebauen. Weniger als 1<br />
von 10 Bäuerinnen in In<strong>die</strong>n, Nepal und Thailand<br />
besitzen Land. Ohne sicheren Besitztitel<br />
fehlt den Frauen <strong>die</strong> finanzielle Sicherheit, sie<br />
haben keinen Zugang zu Kredit und keine finanziellen<br />
Mittel, um in Produktivitätssteigerungen<br />
zu investieren – und <strong>die</strong> Gesundheit<br />
und Ernährung ihrer Familien wird dadurch<br />
beeinträchtigt. 36 In einigen Gegenden haben<br />
Frauen nur begrenzte Ansprüche auf Nahrungsmittel<br />
innerhalb des Haushalts – ein besonderes<br />
Problem für schwangere und stillende<br />
Frauen, <strong>die</strong> mehr Kalorien benötigen.<br />
DIE ARME STADTBEVÖLKERUNG<br />
In den meisten Städten gibt es Land, das zum<br />
Anbau genutzt werden kann – das informelle<br />
Sicherheitsnetz für viele arme Stadtbewohner,<br />
<strong>die</strong> Nahrungsmittel in Parks, auf Hausdächern,<br />
auf Feuchtflächen, Friedhöfen, in<br />
Containern, auf freien Grundstücken, auf Wegerechten<br />
und an <strong>die</strong> Eisenbahn angrenzenden<br />
Parzellen anbauen. Sie lassen auch ihr<br />
Vieh auf Hügeln, unbebauten Flächen und<br />
Wegerechten grasen. Diesen Einwohnern sollte<br />
das Recht, <strong>die</strong>se Böden zu nutzen, um sich<br />
zu ernähren, nicht verwehrt werden.<br />
MENSCHEN IN ERNÄHRUNGS-NOTLAGEN<br />
Kriegsflüchtlinge und Flüchtlinge vor Naturkatastrophen<br />
brauchen Nothilfe, um zu <strong>über</strong>leben.<br />
Die Reaktionen auf Ernährungs-Notlagen<br />
müssen viel schneller erfolgen, damit verhungernde<br />
Menschen viel schneller mit Nahrungsmitteln<br />
versorgt werden können.<br />
Frühwarnsysteme für politische Krisen, wie<br />
<strong>die</strong>jenigen für Umweltkatastrophen, wären<br />
eine große Hilfe, weil politische Krisen inzwischen<br />
zur Hauptursache für Hungersnöte geworden<br />
sind.<br />
Außerdem sollte ein permanenter Fonds<br />
eingerichtet werden, damit internationale Organisationen<br />
sofort auf Krisen reagieren können<br />
und nicht erst während sie zu helfen versuchen,<br />
Geldmittel einwerben müssen. Ein<br />
voll kapitalisierter Fonds würde das Welternährungsprogramm<br />
in <strong>die</strong> Lage versetzen,<br />
viel mehr strategische Planung für Nahrungsmittel-Nothilfelieferungen<br />
und Saatgut nach<br />
Hungersnöten sowie <strong>die</strong> Erholung des Viehbestands<br />
zu leisten. Die Ernährungs- und<br />
110 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten<br />
Nationen schätzt, dass es 5,2 Milliarden US-<br />
Dollar jährlich kosten würde, <strong>die</strong> 214 Millionen<br />
hungrigsten Menschen der Welt mit Nahrung<br />
zu versorgen. 37<br />
Wenn man den Nutzen der Ernährungssicherheit<br />
noch erweitern wollte, könnten <strong>die</strong><br />
Nahrungsmittel für solche Programme in den<br />
Entwicklungsländern eingekauft werden. Die<br />
internationale Finanzierung für Ernährung<br />
und Nahrungsmittel-Banken auf kommunaler<br />
Ebene könnte unter dem Dach des Welternährungsprogramms<br />
als internationale Bank<br />
organisiert werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />
weltweit gewährleistet. 38<br />
DIE PRODUKTIVITÄT STEIGERN<br />
Viele Technologien sind zur Steigerung der<br />
landwirtschaftlichen Produktivität und zur<br />
Reduzierung der Hungers entwickelt worden.<br />
Bei einigen Technologien zum Wohle der Armen<br />
wird der Schwerpunkt auf nachhaltige<br />
Produktivität gesetzt und darauf, dass sie für<br />
Frauen geeignet sind. Vielversprechende Management-Ansätze<br />
finden sich in den Bereichen<br />
Agroforstwirtschaft, Permakultur, Erhaltungs-Landwirtschaft,<br />
biologische Stickstoff-<br />
Fixierung, effiziente Wassernutzung, Geschlechtertrennung<br />
in der Viehwirtschaft, integriertes<br />
Schädlingsmanagement, integriertes<br />
Pflanzen-Nährstoffmanagement, integrierte<br />
Intensivlandwirtschaftssysteme sowie integriertes<br />
Boden- und Wassermanagement. 39<br />
Für viele afrikanische Bauern ist eine der<br />
dringendsten Notwendigkeiten <strong>die</strong> Verbesserung<br />
der Bodenqualität. Auf vielen Höfen<br />
können Düngemittel <strong>die</strong> Ernteerträge bei den<br />
Grundnahrungsmitteln verdoppeln oder sogar<br />
vervierfachen. 40 Selbst Bauern, <strong>die</strong> sich<br />
solche Mittel nicht leisten oder sie nicht bekommen<br />
können, haben viele Möglichkeiten,<br />
<strong>die</strong> Bodenfruchtbarkeit zu steigern, insbesondere<br />
in Afrika (siehe Kasten 4.4).<br />
Die staatliche Politik muss besonderen<br />
Wert darauf legen, <strong>die</strong> natürlichen Lebensgrundlagen<br />
wiederherzustellen. Seit 1996 sind<br />
in China 5 Millionen Hektar Ackerland mit<br />
niedrigen und mittleren Ernteerträgen rehabilitiert<br />
worden. In einigen indischen bäuerli-<br />
chen Gemeinschaften sind flächendeckend<br />
bessere Brachen und Bodendecker angewendet<br />
worden – 145 Systeme konnten identifiziert<br />
werden – angewendet von Bauern auf<br />
marginalen Böden, <strong>die</strong> gezwungen waren, ihre<br />
Brache-Perioden zu reduzieren. 41 Landwirtschaftliche<br />
Systeme können auch verbessert<br />
werden, wenn man Bauern, Fischer, Hirten<br />
und Förster für ihre Funktion beim Management<br />
der Ökosysteme entlohnt. In vielen Gebieten<br />
gibt es schon solche Systeme: in einer<br />
neueren Untersuchung fand man heraus, dass<br />
75 Ausgleichszahlungen für Kohlendioxid-<br />
Emissionen leisten, 72 für <strong>die</strong> Artenvielfalt<br />
und 61 für Dienstleistungen in Wassereinzugsgebieten.<br />
42<br />
Man kann durch Initiativen auch <strong>die</strong> nachhaltige<br />
Landwirtschaft in bäuerlichen Gemeinschaften<br />
fördern. Eine Stu<strong>die</strong> <strong>über</strong> 17<br />
afrikanische Länder ergab, dass 730.000 arme<br />
Haushalte in 45 Projekten nachhaltige Landwirtschaft<br />
praktizierten – <strong>die</strong> Definition bezog<br />
sich auf intensivierte Bodennutzung, diversifizierten<br />
Feldfruchtanbau und Viehhaltung,<br />
verstärkte Nutzung erneuerbarer Ressourcen<br />
und andere Kriterien. 43 In acht asiatischen<br />
Ländern konnten etwa 2,9 Millionen arme<br />
Haushalte, <strong>die</strong> nachhaltige Landwirtschaft<br />
praktizierten, <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion<br />
auf 4,9 Millionen Hektar steigern. 44 Diese Programme<br />
müssen in viel größerem Umfang betrieben<br />
werden und Millionen und Abermillionen<br />
von Haushalten miteinbeziehen.<br />
Bauern in Entwicklungsländern verfügen<br />
oft nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Straßen, Lagerhäuser, Elektrizität<br />
und Kommunikations-Verbindungen,<br />
<strong>die</strong> erforderlich wären, um sie näher an <strong>die</strong><br />
Märkte heranzubringen – sie sind dadurch<br />
stärker den Zwischenhändlern ausgeliefert,<br />
<strong>die</strong> hohe Preise für ihre Dienste verlangen<br />
oder den Monopol-Käufern, <strong>die</strong> ihre Einnahmen<br />
drücken. Leider wird der Landwirtschaft<br />
weltweit von den Regierungen, aber auch von<br />
den Gebern nur geringe Priorität eingeräumt.<br />
Viele Regierungen haben viel weniger in marginale<br />
Böden investiert als in günstiger gelegene<br />
landwirtschaftliche Gebiete. 45 In Afrika investieren<br />
<strong>die</strong> meisten Länder weniger als 5<br />
Prozent ihrer Haushalte in <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />
Entwicklung – <strong>die</strong>s obwohl 75 Prozent<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 111
KASTEN 4.4<br />
Landwirtschaftspolitik und Ernährungssicherung<br />
Wie <strong>die</strong> Interventionen der indischen Regierung<br />
auf den Getreidemärkten zeigen,<br />
kann <strong>die</strong> Politik für andere Gewinner –<br />
und Verlierer – bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />
sorgen.<br />
Die Mindestaufkaufpreise, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
staatliche Food Corporation of India festsetzt,<br />
wurden zur Preisstabilisierung und<br />
zur Unterstützung von Getreidebauern<br />
eingeführt und sind stattdessen viel<br />
schneller als <strong>die</strong> Inflation gestiegen. Dieses<br />
Ergebnis kann teilweise durch starke<br />
Agrarlobbies (besonders für Reis und<br />
Weizen) erklärt werden, ferner durch <strong>die</strong><br />
staatliche Politik, für <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />
Produktionskosten der Bauern aufzukommen.<br />
Die wirtschaftlichen Produktionskosten<br />
basieren auf den Materialkosten, auf<br />
Quelle: Kannan, Mahendra Dev und Sharma 2000; India 2002a.<br />
berechneten Werten für Ackerland und<br />
Arbeitskräfte sowie auf einem Bonus.<br />
Theoretisch beruhen <strong>die</strong> Preise im öffentlichenNahrungsmittel-Verteilungssystem<br />
auf den wirtschaftlichen Kosten (und<br />
damit auf den Mindestaufkaufpreisen).<br />
Aber <strong>die</strong> Marktpreise liegen unter den<br />
Preisen des Systems, was zu steigenden<br />
Nahrungsmittelvorräten in den Lagerhäusern<br />
der Regierung führt, obwohl In<strong>die</strong>n<br />
<strong>die</strong> weltweit höchste Zahl von Hungernden<br />
hat und fast <strong>die</strong> Hälfte der indischen<br />
Kinder unterernährt ist. Gegen <strong>die</strong> Agrarlobbies<br />
wirkt allerdings der Druck auf <strong>die</strong><br />
Politiker, den Wählern entgegenzukommen<br />
und dementsprechend <strong>die</strong> Preise des<br />
öffentlichen Nahrungsmittel-Verteilungssystems<br />
zu kontrollieren.<br />
ihrer Bürger (direkt oder indirekt) von der<br />
Landwirtschaft abhängig sind. 46<br />
Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />
Forschung stark unterfinanziert ist. Viele<br />
Länder mit niedrigem Einkommen geben<br />
dafür nur 0,5 Prozent ihres landwirtschaftlichen<br />
Bruttoinlandsprodukts aus – und fast der<br />
gesamte Betrag wird für Böden mit besserer<br />
Qualität und für den kommerziellen Anbau<br />
eingesetzt. 47 Wenn arme Bauern auf marginalen<br />
Böden von der landwirtschaftlichen Forschung<br />
profitieren sollen, muss <strong>die</strong>se Unterstützung<br />
für vielversprechende Initiativen wie<br />
Mehrfruchtanbausysteme, Ökolandbau, frühreifende<br />
Samensorten und kostengünstige<br />
Methoden der Bodenverbesserung bieten.<br />
Landwirtschaftliche Dienstleistungen,<br />
wenn <strong>über</strong>haupt verfügbar, werden hauptsächlich<br />
von Privatfirmen angeboten, <strong>die</strong> Leistungen<br />
verkaufen und Beratung anbieten, <strong>die</strong> oft<br />
falsch ist und fast immer unvollständig. Die<br />
landwirtschaftlichen Beratungs<strong>die</strong>nste der Regierungen<br />
setzen meist den Schwerpunkt auf<br />
<strong>die</strong> Verteilung von Saatgut und Düngemitteln<br />
und bieten oft Sorten und Rezepturen an, <strong>die</strong><br />
für <strong>die</strong> Bedingungen vor Ort ungeeignet sind.<br />
Bei der Zuweisung von Subventionen für<br />
Leistungen oder beim Kauf von Getreide,<br />
subventionieren <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />
Großproduzenten und –verarbeiter bezie-<br />
hungsweise gewähren ihnen privilegierten Zugang.<br />
Die Regeln für <strong>die</strong>se Mechanismen<br />
führen oft zu einer Marktverzerrung, belasten<br />
Kleinproduzenten in unfairer Weise, etablieren<br />
offizielle Monopol-Käufer und setzen eine<br />
extrem hohe Besteuerung und hohe Gebühren<br />
für Dienstleistungen fest. 48 Politische<br />
Maßnahmen der Regierungen, <strong>die</strong> Kleinproduzenten<br />
diskriminieren, sollten sofort<br />
zurückgenommen werden, und <strong>die</strong> staatliche<br />
Finanzierung von Subventionen sollte so reformiert<br />
werden, dass sie armen Bauern Unterstützung<br />
bietet (siehe Kasten 4.3).<br />
DIE INTERNATIONALE VERANTWORTUNG<br />
Die bilaterale öffentliche Entwicklungshilfe in<br />
den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft<br />
und Fischerei stieg zwischen 1971 und<br />
1990, aber sank im Anschluss daran wie auch<br />
<strong>die</strong> allgemeine öffentlich Entwicklungshilfe.<br />
Die multilaterale öffentliche Entwicklungshilfe<br />
stieg in den Jahren 1973-74 von 1,2 Milliarden<br />
US-Dollar jährlich auf 3,6 Milliarden US-<br />
Dollar jährlich in den Jahren 1982-83, sank<br />
aber in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten<br />
wieder auf einen jährlichen Stand von 1,4 Milliarden<br />
US-Dollar in den Jahren 1999-2000<br />
(US-Dollarkurs aus dem Jahr 2000). Der Anteil<br />
an den Gesamtkrediten der Weltbank für<br />
<strong>die</strong> Bereiche Land- und Forstwirtschaft sowie<br />
Fischerei reduzierte sich von 15 Prozent der<br />
Gesamtsumme im Jahr 1997 auf 10 Prozent<br />
im Jahr 1999. 49<br />
Um jedoch den Hunger in den Entwicklungsländern<br />
zu bekämpfen, sind nicht nur im<br />
Bereich Hilfe internationale Maßnahmen erforderlich,<br />
sondern auch bezüglich zweier anderer<br />
Probleme, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Zunahme der<br />
Nahrungsmittelproduktion und der kleinbäuerlichen<br />
Produktivität von entscheidender Bedeutung<br />
sind. Erstens behindern <strong>die</strong><br />
Agrarsubventionen in den reichen Ländern –<br />
sie beliefen sich im Jahr 2002 auf eine Gesamtsumme<br />
von 311 Milliarden US-Dollar – das<br />
landwirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern<br />
(siehe Kapitel 8).<br />
Zweitens führt <strong>die</strong> Erderwärmung, <strong>die</strong><br />
durch Treibhausgasemissionen verursacht<br />
wird, zu häufigeren extremen Wetterbedin-<br />
112 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
gungen – Überschwemmungen, Dürren,<br />
Schlammlawinen, Taifunen, Zyklonen –, und<br />
dadurch steigt <strong>die</strong> Zahl der Menschen, <strong>die</strong> in<br />
einen Nahrungsmittel-Notstand geraten. In<br />
den kommenden Jahrzehnten werden durch<br />
den Klimawandel wahrscheinlich <strong>die</strong> Niederschläge<br />
zwischen dem 30. nördlichen Breitengrad<br />
und dem 30. südlichen Breitengrad zunehmen.<br />
In manchen tropischen und subtropischen<br />
Gebieten wird sich <strong>die</strong> Niederschlagsmenge<br />
jedoch vermutlich verringern<br />
und stark schwanken, wodurch <strong>die</strong> Ernteerträge<br />
in Ländern, in denen schon jetzt<br />
Ernährungsunsicherheit herrscht, zurückgehen<br />
werden.<br />
WIE KÖNNEN DIE BILDUNGSZIELE ERREICHT WERDEN?<br />
In den 1990er Jahren stiegen <strong>die</strong> Einschulungsraten<br />
im Primarbereich <strong>über</strong>all auf<br />
der Welt, und in vielen Regionen geht ein hoher<br />
Prozentsatz der Kinder zur Schule. In<br />
Ostasien und dem Pazifik, in Mittel- und<br />
Osteuropa und in der Gemeinschaft unabhängiger<br />
Staaten (GUS) ebenso wie in Lateinamerika<br />
und der Karibik besuchen mehr<br />
als 90 Prozent der Kinder <strong>die</strong> Grundschule.<br />
In Südasien sind es 79 Prozent und in den<br />
arabischen Staaten 77 Prozent. In Afrika<br />
südlich der Sahara stiegen <strong>die</strong> Netto-Einschulungsraten<br />
im Primarbereich in den<br />
1990er Jahren um 3 Prozentpunkte, 50 trotzdem<br />
gehen weniger als 60 Prozent der Kinder<br />
zur Schule. 51<br />
DAS AUSMASS DES<br />
PROBLEMS<br />
In den Entwicklungsländern besuchen von<br />
den 680 Millionen Kindern im Grundschulalter<br />
115 Millionen keine Schule – drei Fünftel<br />
davon sind Mädchen. 52 In In<strong>die</strong>n gehen 40<br />
Millionen Kinder nicht zur Grundschule, das<br />
ist mehr als ein Drittel aller Kinder auf der<br />
Welt. 53<br />
Hinzu kommt, dass Einschulung noch<br />
nicht bedeutet, dass <strong>die</strong> Schule auch abgeschlossen<br />
wird. Nur etwas mehr als <strong>die</strong> Hälfte<br />
Die Niederschläge in Afrika sind seit 1968<br />
gesunken. Außerdem haben sich <strong>die</strong> Fluktuationen<br />
bei den Niederschlägen <strong>über</strong>all auf<br />
dem Kontinent ausgeweitet, was zu katastrophalen<br />
Überschwemmungen wie der geführt<br />
hat, <strong>die</strong> im März 2000 Mosambik verwüstet<br />
hat. Afrika südlich der Sahara ist für den Klimawandel<br />
besonders anfällig, weil <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
dort fast ausschließlich im Regenfeldbau<br />
betrieben wird – und weil <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
70 Prozent der Arbeitsplätze in der<br />
Region stellt und 35 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts<br />
erwirtschaftet. Durch <strong>die</strong> Erderwärmung<br />
wird Afrika noch stärker von<br />
Nahrungsmittelimporten abhängig werden.<br />
der Kinder, <strong>die</strong> eingeschult wurden, erreichen<br />
auch einen Schulabschluss – und in Afrika<br />
südlich der Sahara ist es nur ein Kind von dreien.<br />
54 Diese Versäumnisse spiegeln sich darin<br />
wieder, dass ein Viertel der Erwachsenen in<br />
den Entwicklungsländern nicht lesen und<br />
schreiben kann. 55 Und zwei Drittel der 879<br />
Millionen erwachsenen Analphabeten der<br />
Welt sind Frauen. 56<br />
Bei der Ausweitung der Grundschulbildung<br />
sehen sich <strong>die</strong> Entwicklungsländer drei<br />
zentralen Herausforderungen gegen<strong>über</strong>:<br />
• Begrenzte finanzielle Mittel. Im Vergleich<br />
zu reichen Ländern geben <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
auf allen Bildungsstufen viel<br />
weniger pro Schüler und als Anteil am BSP<br />
aus.<br />
• Ungleichheit. Wenn wenig Mittel ausgegeben<br />
werden können, sichert sich <strong>die</strong> reiche<br />
Bevölkerung oft einen viel größeren Anteil davon<br />
– und <strong>die</strong> arme Bevölkerung profitiert<br />
nicht in gleichem Maße.<br />
• Ineffizienz. Ineffiziente Mittelverwendung<br />
bedeutet, dass ein hoher Anteil der ständigen<br />
Ausgaben für Lehrergehälter aufgewendet<br />
wird und nur wenig für Lehrmaterial<br />
übrig bleibt. Hinzu kommt, dass ein qualitativ<br />
schlechter Unterricht bedeutet, dass <strong>die</strong><br />
Schüler nicht so viel lernen wie sie eigentlich<br />
lernen könnten.<br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele und<br />
Zielvorgaben<br />
Ziel 2: Verwirklichung der<br />
allgemeinen Primarschulbildung<br />
Zielvorgabe 3: Bis zum<br />
Jahr 2015 sicherstellen,<br />
dass Kinder in der<br />
ganzen Welt, Jungen wie<br />
Mädchen, eine<br />
Primarschulbildung<br />
vollständig abschließen<br />
können<br />
Ziel 3: Förderung der<br />
Gleichheit der<br />
Geschlechter und<br />
Ermächtigung der<br />
Frau<br />
Zielvorgabe 4: Das<br />
Geschlechtergefälle in<br />
der Primar- und Sekundarschulbildungbeseitigen,<br />
vorzugsweise bis<br />
2005, und auf allen<br />
Bildungsebenen bis<br />
spätestens 2015<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 113
KASTEN 4.5<br />
Was können Entwicklungsländer tun, um<br />
<strong>die</strong> Ausgaben für Bildung, insbesondere<br />
für Grundbildung zu erhöhen? Eine Möglichkeit<br />
sind Einschnitte bei den Ausgaben<br />
für andere Prioritäten (wie zum Beispiel<br />
das Militär). Die Verteidigungsausgaben<br />
gingen in den 1990er Jahren weltweit<br />
zurück – außer in Lateinamerika und<br />
Südasien. Zwischen 1991 und 2000 stiegen<br />
<strong>die</strong> Verteidigungsausgaben in Südasien<br />
um 59 Prozent.<br />
In Afrika südlich der Sahara gingen<br />
<strong>die</strong> Verteidigungsausgaben in den 1990er<br />
Jahren zurück, von 9,3 Milliarden US-<br />
Dollar Anfang der 1990er Jahre auf 7,1<br />
Milliarden US-Dollar im Jahr 1996. Doch<br />
in den Jahren 1999 und 2000 stiegen sie<br />
wieder steil an, auf durchschnittlich 9,8<br />
Milliarden US-Dollar. In <strong>die</strong>sem plötzlichen<br />
Anstieg sind nicht <strong>die</strong> gesamten Verteidigungsausgaben<br />
in der Region erfasst.<br />
Die Daten geben lediglich <strong>die</strong> offiziellen<br />
Zahlen wider. Im Jahr 2001 gab Angola,<br />
einer der größten Empfänger beim Transfer<br />
wichtiger konventioneller Waffen, 3,1<br />
Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für<br />
das Militär aus— im Vergleich zu 2,7 Pro-<br />
Quelle: SIPRI 2002b.<br />
Verteidigungsausgaben oder Bildung?<br />
Die Inkonsistenz des Regierungshandelns<br />
zent für den Bildungsbereich. Sierra Leone<br />
gibt 3,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts<br />
für das Militär und 1,0 Prozent<br />
für <strong>die</strong> Bildung aus.<br />
Alle Regierungen wichtiger waffenexportierender<br />
Länder haben sich den Millenniums-Entwicklungszielen<br />
verpflichtet.<br />
Also können <strong>die</strong> Regierungen der reichen<br />
Länder zu einer Verschiebung in <strong>die</strong>ser<br />
Ausgabenstruktur beitragen, indem sie<br />
ihre Waffenexporte einer Überprüfung<br />
unterziehen. Die G-8 gehören zu den zehn<br />
größten Lieferanten konventioneller Waffen.<br />
Die Waffenexporte aus den Vereinigten<br />
Staaten (49,2 Milliarden US-Dollar),<br />
der Russischen Föderation (15,6 Milliarden<br />
US-Dollar), Frankreich (10,8 Milliarden<br />
US-Dollar), dem Vereinigten Königreich<br />
(7,0 Milliarden US-Dollar), Deutschland<br />
(5,6 Milliarden US-Dollar), Italien<br />
(1,7 Milliarden US-Dollar) und Kanada<br />
(0,7 Milliarden US-Dollar) machen 85<br />
Prozent des Weltvolumens aus. Ohne Reformen<br />
auf Seiten der Exporteure wie<br />
auch der Empfänger scheinen <strong>die</strong> Verpflichtungen<br />
auf <strong>die</strong> Ziele auf beiden Seiten<br />
fragwürdig.<br />
BEGRENZTE FINANZMITTEL –<br />
UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />
Die Regierungen spielen in den Ökonomien<br />
von Ländern mit einem hohen Niveau<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung eine viel wichtigere<br />
Rolle als in Ländern mit mittlerem oder niedrigem<br />
Niveau. Im Jahr 1999 lag der Mittelwert<br />
bei den öffentlichen Ausgaben in Ländern mit<br />
hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung bei 35 Prozent<br />
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) –<br />
während er in Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung bei 25 Prozent lag und bei<br />
Ländern mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
bei 21 Prozent.<br />
SCHLECHT AUSGESTATTETE<br />
BILDUNGSHAUSHALTE<br />
In reichen Ländern werden selten weniger als<br />
4 Prozent des BIP für das staatliche Bildungswesen<br />
ausgegeben. In Ländern mit hoher<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung liegen <strong>die</strong> mittleren<br />
Ausgaben für das öffentliche Bildungswesen<br />
bei 4,8 Prozent des BIP, im Vergleich zu<br />
4,2 Prozent in Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung und 2,8 Prozent in Ländern<br />
mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />
Außerdem bedeuten niedrigere Einkommen,<br />
dass <strong>die</strong> Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung<br />
in den armen Ländern viel geringer sind als in<br />
den reichen.<br />
Wenn man bei den öffentlichen Ausgaben<br />
anderen Bereichen als der Bildung und Gesundheit<br />
höhere Priorität einräumt, leiden<br />
darunter <strong>die</strong> Ausgaben im sozialen Bereich.<br />
Der Schulden<strong>die</strong>nst ist in vielen Ländern mit<br />
niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung eine<br />
wichtige Komponente der öffentlichen Ausgaben,<br />
bei der es keinen Ermessensspielraum<br />
gibt (siehe Kapitel 8). Aber auch <strong>die</strong> Ausgaben<br />
im militärischen Bereich – Ausgaben, <strong>die</strong> im<br />
Ermessen der Länder liegen – können sich negativ<br />
auf <strong>die</strong> Ausgaben im Bildungsbereich<br />
auswirken (siehe Kasten 4.5).<br />
In den Jahren 1975–97 wiesen <strong>die</strong> einzelnen<br />
Regionen der Entwicklungsländer unterschiedliche<br />
Muster beim Schulbesuch und bei<br />
den ständigen Ausgaben für <strong>die</strong> Grundschulbildung<br />
auf. 57 In Südasien, Westasien und in<br />
Afrika südlich der Sahara verdoppelte sich <strong>die</strong><br />
Anzahl der Schüler fast, während <strong>die</strong> ständigen<br />
Ausgaben (US-Dollarkurs von 1995) nur<br />
geringfügig anstiegen. 58 In Ostasien und in Lateinamerika<br />
und der Karibik dagegen blieb <strong>die</strong><br />
Anzahl der Schüler gleich, während <strong>die</strong> ständigen<br />
Ausgaben rasch anstiegen. Einige Regionen<br />
investierten anscheinend in Quantität<br />
(mehr Schüler) und andere in Qualität (höhere<br />
Ausgaben pro Schüler). Wenn <strong>die</strong> Qualität<br />
sich auch in der Gruppe der erstgenannten<br />
Regionen verbessern soll, werden mehr Mittel<br />
benötigt.<br />
In einigen Untersuchungen wird argumentiert,<br />
dass <strong>die</strong> Höhe der staatlichen Ausgaben<br />
für <strong>die</strong> erzielten Bildungsresultate nicht wichtig<br />
ist. 59 Das ist nicht korrekt. Es stimmt zwar,<br />
dass ein effizienter Einsatz der Mittel entscheidend<br />
für das Erzielen der erwünschten Ergebnisse<br />
ist, <strong>die</strong> Höhe der Ausgaben ist jedoch<br />
auch wichtig. 60 Jedwede zusätzlichen Mittel<br />
könnte man grundsätzlich dazu nutzen, mehr<br />
114 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Lehrer einzustellen. Wenn man von einer Zahl<br />
von 26 Millionen Grundschullehrern in den<br />
Entwicklungsländern im Jahr 2000 ausgeht,<br />
bewegt sich <strong>die</strong> geschätzte Anzahl der bis 2015<br />
benötigten zusätzlichen Lehrer zwischen 15<br />
und 35 Millionen – davon mehr als 3 Millionen<br />
in Afrika südlich der Sahara, mehr als 1<br />
Million allein in Nigeria.<br />
DIE FINANZIERUNGSLÜCKE<br />
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen,<br />
UNICEF, schätzt, dass es zusätzliche 9 Milliarden<br />
US-Dollar jährlich kosten würde, wenn<br />
man bis 2015 das Ziel des allgemeinen Grundschulzugangs<br />
(nicht den Grundschulabschluss,<br />
das zweite Millenniums-Entwicklungsziel)<br />
in den Entwicklungsländern und<br />
den Transformationsländern erreichen will. 61<br />
Diese Schätzung beinhaltet sowohl zusätzliche<br />
erforderliche Kapitalkosten als auch <strong>die</strong> Notwendigkeit,<br />
<strong>die</strong> Schulqualität zu verbessern –<br />
und ist mehr als viermal so hoch wie das, was<br />
<strong>die</strong> Geber derzeit ausgeben, und viel höher als<br />
<strong>die</strong> derzeitigen Regierungsausgaben. Die Ausgaben<br />
für Bildung sind in stark verschuldeten<br />
armen Ländern besonders niedrig. Eine andere<br />
Schätzung, <strong>die</strong> von einer ganzen Palette von<br />
Szenarien ausgeht, liegt sogar noch höher. 62<br />
WER WIRD DIE RECHNUNG BEZAHLEN?<br />
Es ist unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
durch das Wirtschaftswachstum<br />
ausreichende Mittel erwirtschaften werden,<br />
um bis 2015 das Ziel des allgemeinen Grundschulabschlusses<br />
zu erreichen. In Afrika müsste<br />
das Wirtschaftswachstum jährlich höher<br />
als 8 Prozent liegen, um <strong>die</strong> erforderlichen<br />
Mittel zur Verfügung zu stellen – ein sehr unwahrscheinliches<br />
Ergebnis. 63 Daher ist eine<br />
viel stärkere Unterstützung durch <strong>die</strong> Geber<br />
erforderlich. 64<br />
Die Hilfe der Geberländer im Bildungsbereich<br />
ist jedoch unzureichend: Im Jahr 2000<br />
betrug sie insgesamt 4,1 Milliarden US-Dollar,<br />
wovon nur 1,5 Milliarden US-Dollar für <strong>die</strong><br />
Grundschulbildung bestimmt waren. In den<br />
1990er Jahren sank <strong>die</strong> bilaterale Hilfe im Bildungsbereich<br />
von 5,0 Milliarden US-Dollar<br />
auf 3,5 Milliarden und sank damit auf gerade<br />
einmal 7 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
– ein vorher unerreichter Tiefstand.<br />
65 Nur Frankreich, Deutschland, Japan,<br />
Großbritannien und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten<br />
geben einen nennenswerten Anteil ihrer Hilfe<br />
für Bildung aus. Die Lücke zwischen der Rhetorik<br />
der Geberländer und der Realität muss<br />
dringend geschlossen werden.<br />
Zwischen 1996 und 1998 gaben multilaterale<br />
Institutionen im Schnitt 954 Millionen<br />
US-Dollar jährlich für bildungsgebundene öffentliche<br />
Entwicklungshilfe. 66 Die Summe<br />
ging in den darauf folgenden Jahren 1999-<br />
2001 auf 799 Millionen US-Dollar zurück. Die<br />
Verpflichtungen für <strong>die</strong> Grundbildung betrugen<br />
in den Jahren 1996-1998 402 Millionen<br />
US-Dollar jährlich und sanken rapide auf 222<br />
Millionen US-Dollar pro Jahr im Zeitraum<br />
von 1999-2001. Das Programm Bildung für<br />
alle (Education for all Fast-Track Initiative)<br />
könnte <strong>die</strong> Mittel für einige Länder wieder erhöhen.<br />
UNGLEICHHEIT –<br />
UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />
Wer profitiert von den öffentlichen Ausgaben<br />
für Grundschul-, weiterführende und höhere<br />
Bildung: <strong>die</strong> arme oder <strong>die</strong> nicht arme Bevölkerung?<br />
In den meisten Ländern profitieren<br />
<strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung von<br />
weniger als 20 Prozent der öffentlichen Ausgaben<br />
im Bildungsbereich – und in einigen Ländern<br />
von noch weniger. 67 Die reichsten 20<br />
Prozent dagegen sichern sich wesentlich mehr<br />
als 20 Prozent. Es gibt aber auch Ausnahmen<br />
– so zum Beispiel in Kolumbien, Costa Rica<br />
und insbesondere Chile – wo ein großer Anteil<br />
der öffentlichen Ausgaben für Grundschulbildung<br />
den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung<br />
zugute kommt. Nicht zufällig haben alle<br />
drei Länder beeindruckende Fortschritte in<br />
Richtung auf den allgemeinen Grundschulzugang<br />
gemacht.<br />
Länder, <strong>die</strong> im Bildungsbereich gute Leistungen<br />
aufweisen können, investieren mehr<br />
Mittel in <strong>die</strong> Grundschulbildung (im Durchschnitt<br />
1,7 Prozent des BIP) als Länder, <strong>die</strong><br />
nur durchschnittliche Leistungen erbringen<br />
In Afrika müsste das<br />
Wirtschaftswachstum<br />
jährlich höher als 8<br />
Prozent liegen, um <strong>die</strong><br />
erforderlichen Mittel zur<br />
Verfügung zu stellen – ein<br />
sehr unwahrscheinliches<br />
Ergebnis<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 115
In Malawi stiegen <strong>die</strong><br />
Einschulungsquoten<br />
drastisch, nachdem 1994<br />
Schulgebühren und<br />
Uniformen abgeschafft<br />
wurden<br />
(1,4 Prozent). Länder mit hohem Leistungsniveau<br />
geben auch mehr für Grundschulbildung<br />
im Verhältnis zu ihrem Pro-Kopf-Einkommen<br />
aus. Und sie veranschlagen einen geringeren<br />
Anteil ihres Bildungshaushalts für Hochschulbildung.<br />
Trotz Verbesserungen in den 1990er Jahren<br />
geben <strong>die</strong> Länder mit den niedrigsten Raten<br />
beim Grundschulbesuch mehr pro<br />
Schüler für <strong>die</strong> höhere Bildung aus als für <strong>die</strong><br />
Grundschulbildung. 68 Je niedriger <strong>die</strong> Raten<br />
beim Grundschulbesuch tatsächlich sind,<br />
umso größer ist der Unterschied bei den Ausgaben.<br />
69 Solche Länder müssen sich auf <strong>die</strong><br />
Grundschulbildung konzentrieren und nicht<br />
mehr Geld für <strong>die</strong> Hochschulausbildung ausgeben.<br />
Für <strong>die</strong> Hochschulbildung sind jedoch<br />
ebenfalls zusätzliche Mittel erforderlich, wenn<br />
<strong>die</strong> Länder Kapazitäten aufbauen wollen, um<br />
in der Weltwirtschaft wettbewerbsfähig zu<br />
sein – jedoch nicht auf Kosten der Grundschulbildung.<br />
Die Bildungshaushalte insgesamt<br />
müssen besser ausgestattet werden.<br />
DEN SCHLECHTEN ZUGANG DER ARMEN<br />
BEVÖLKERUNG ZUR GRUNDSCHULE<br />
VERBESSERN<br />
Die Bildungsausgaben fallen bei den ärmsten<br />
Familien stärker ins Gewicht, weil sie einen<br />
größeren Anteil des ohnehin begrenzten<br />
Haushaltsbudgets verschlingen. 70 In einer beachtlichen<br />
Ansammlung von Literatur wird<br />
argumentiert, dass Schulabbrüche und Kinderarbeit<br />
reduziert werden können, indem <strong>die</strong><br />
direkten und indirekten Kosten des Schulbesuchs<br />
gesenkt werden. 71 In Bhutan, Burkina<br />
Faso und Uganda stellen hohe Schulbesuchskosten<br />
pro Schüler – <strong>die</strong> zwischen 10 und 20<br />
Prozent des Pro-Kopf-Einkommens liegen –<br />
ein Hindernis für den Grundschulbesuch dar,<br />
während in Myanmar und Vietnam niedrige<br />
Kosten zu einer höheren Einschulungsrate<br />
beitragen (siehe Grafik 4.3). 72<br />
Uniformen verursachen für <strong>die</strong> Eltern oft<br />
<strong>die</strong> höchsten Kosten. In acht indischen Bundesstaaten<br />
– in denen zusammen zwei Drittel<br />
der nicht zur Schule gehenden Kinder In<strong>die</strong>ns<br />
leben – gehören Uniformen zu den höchsten<br />
Bildungskostenfaktoren, <strong>die</strong> aus eigener Ta-<br />
sche bezahlt werden müssen. 73 Eine politische<br />
Option ist es daher, das Tragen von Uniformen<br />
nicht mehr zur Pflicht zu machen und<br />
Schulleitungen und Eltern-Lehrer-Vereinigungen<br />
dar<strong>über</strong> entscheiden zu lassen, ob sie<br />
verlangt werden sollen.<br />
Schulgebühren werden seit langem heftig<br />
umstritten, und in den 1980er und frühen<br />
1990er Jahren haben internationale Finanzinstitutionen<br />
gemischte Signale hierzu ausgesandt.<br />
Aber Anfang und Mitte der 1990er Jahre<br />
äußerte sich <strong>die</strong> Weltbank, nach scharfer<br />
Kritik an den Konsequenzen für den Grundschulbesuch,<br />
zwar spät, aber dafür um so<br />
deutlicher gegen Gebühren für den Grundschulbesuch.<br />
74 Wiederum zeigen Länder mit<br />
guten Ergebnissen den Weg. Um bereits in einer<br />
frühzeitigen Entwicklungsphase den allgemeinen<br />
Grundschulbesuch und –abschluss sicherzustellen,<br />
verzichteten sie im wesentlichen<br />
auf direkte Schulgebühren – und hielten auch<br />
<strong>die</strong> indirekten Kosten niedrig.<br />
Es gibt also gute Gründe, <strong>die</strong> von den Eltern<br />
direkt zu bezahlenden Kosten für den<br />
Schulbesuch zu senken. Sri Lanka schaffte<br />
Schulgebühren 1945 ab und begann in den<br />
fünfziger Jahren, kostenlose Schulbücher und<br />
Schulmittagessen und 1991 kostenlose Schuluniformen<br />
bereitzustellen. Botsuana erhöhte<br />
<strong>die</strong> Einschulungsraten deutlich, als es im Jahr<br />
1973 <strong>die</strong> Schulgebühren um <strong>die</strong> Hälfte reduzierte<br />
und sie 1980 ganz abschaffte. 75 Auch in<br />
Malawi stiegen <strong>die</strong> Einschulungsquoten drastisch,<br />
nachdem 1994 Schulgebühren und<br />
Uniformen abgeschafft wurden.<br />
BEENDIGUNG DER DISKRIMINIERUNG<br />
VON MÄDCHEN<br />
Geschlechterunterschiede bei Einschulungsund<br />
Schulabbruchraten sind in Südasien und<br />
Afrika südlich der Sahara am größten. Wie<br />
können dann Geschlechterunterschiede in der<br />
Schule bis 2005 beseitigt werden – also in gerade<br />
einmal zwei Jahren – wie das <strong>die</strong> Millenniums-Ziele<br />
vorsehen? Länder, <strong>die</strong> solche Unterschiede<br />
beseitigt haben, lehren uns folgendes:<br />
76<br />
• Mädchen in <strong>die</strong> Schule zu bekommen und<br />
dort zu halten erfordert, dass <strong>die</strong> Schulen in<br />
116 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
ihrer Nähe sind. Die kartografische Erfassung<br />
von Schulen kann <strong>die</strong> am schlechtesten versorgten<br />
Gebiete aufzeigen, und damit <strong>die</strong> Einrichtung<br />
von mehrklassigen Schulen in entlegenen<br />
Gebieten erleichtern.<br />
• Wenn <strong>die</strong> von den Eltern aus eigener Tasche<br />
zu bezahlenden Kosten für den Schulbesuch<br />
gesenkt werden, hält <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Eltern davon<br />
ab, sich zwischen Mädchen und Jungen zu<br />
entscheiden, wenn es darum geht, ob Kinder<br />
zur Schule gehen sollen – und in Zeiten sinkender<br />
Haushaltseinkommen kann verhindert<br />
werden, dass Kinder <strong>die</strong> Schule abbrechen.<br />
• Flexible Stundenpläne ermöglichen<br />
Mädchen mit Aufgaben im Haushalt und bei<br />
der Kinderbetreuung den Schulbesuch. 77<br />
• Lehrerinnen stellen für Mädchen auch<br />
Rollenmodelle dar – und geben Eltern ein Gefühl<br />
der Sicherheit für ihre Töchter. 78<br />
INEFFIZIENZ – UND WASMAN<br />
DAGEGEN TUN KANN<br />
Effizienz bedeutet, bessere Ergebnisse mit<br />
demselben Einsatz von Ressourcen zu erzielen<br />
– und eine Politik zu machen, <strong>die</strong> zum Lernen<br />
beiträgt statt es zu behindern.<br />
INEFFIZIENZ IN DER UMSETZUNG<br />
Ein großes Problem in nahezu allen Entwicklungsländern<br />
ist das Sitzenbleiben. Dies trägt<br />
zu höheren Schulabbruchraten bei und zu einer<br />
bedeutenden Ressourcenverschwendung.<br />
Länder mit einer guten Bilanz in der Grundschulbildung<br />
haben sich <strong>die</strong>ser Ineffizienz angenommen.<br />
Costa Rica halbierte Klassenwiederholungen,<br />
indem automatische Versetzungen<br />
in den 1960er Jahren eingeführt wurden.<br />
Malaysia und Zimbabwe haben ebenfalls automatische<br />
Versetzungen eingeführt. 79 Um ein<br />
gewisses Niveau aufrechtzuerhalten, sollten<br />
automatische Versetzungen jedoch von gewissen<br />
Mindestvoraussetzungen begleitet werden,<br />
insbesondere hinsichtlich der Materialausstattung<br />
in den Klassenzimmern und der<br />
Lehrerausbildung.<br />
Kinder in der angemessenen Sprache zu<br />
unterrichten verbesserte ebenfalls <strong>die</strong> Bil-<br />
dungsergebnisse, wie man an den Ländern mit<br />
guten Ergebnissen sieht. In allen <strong>die</strong>sen Ländern<br />
wurde für den Unterricht an der Grundschule<br />
<strong>die</strong> Muttersprache verwendet. Die<br />
Schüler lernen schneller lesen, wenn sie in der<br />
Sprache unterrichtet werden, <strong>die</strong> ihnen vertraut<br />
ist und können dann auch eine zweite<br />
Sprache schneller lernen.<br />
Dies ist eine wichtige Schlussfolgerung<br />
beispielsweise für das frankophone Afrika, wo<br />
in den meisten Ländern Französisch als Unterrichtssprache<br />
auf allen Ebenen verwendet<br />
wird. 80 Diese schulischen Erfahrungen führten<br />
nur zu Entfremdung und trugen schwerlich<br />
dazu bei, das Lernen zu erleichtern.<br />
Schulspeisungsprogramme tragen ebenfalls<br />
dazu bei, Kinder in <strong>die</strong> Schulen zu bekommen<br />
und dort auch zu behalten. Einer der<br />
Faktoren hinter den steigenden Einschulungsraten<br />
in In<strong>die</strong>n in der zweiten Hälfte der<br />
1990er Jahre war ein Mittagsmahlzeit-Programm<br />
in allen Bundesstaaten.<br />
FINANZIELLE INEFFIZIENZ<br />
Etwa 55 Entwicklungsländer haben niedrige<br />
Grundschul-Einschulungsraten und benötigen<br />
neue Gebäude und Einrichtungen, um allgemeine<br />
Grundschulbildung zu erreichen. 81<br />
Aber solche Kapitalinvestitionen sind auch oft<br />
ineffizient, und der Einsatz staatlicher Bauunternehmen<br />
und großer privater Auftragnehmer<br />
führt oft zu inflationären Kosten. 82<br />
Wie können <strong>die</strong> Baukosten für Schulen<br />
niedrig gehalten werden? Eine Möglichkeit<br />
GRAFIK 4.3<br />
Hohe Haushaltskosten führen zu niedrigeren Einschulungsquoten<br />
im Primarschulbereich<br />
Prozent<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Myanmar<br />
Private Kosten<br />
pro Schüler/in<br />
als Anteil am Pro-Kopf-<br />
Einkommen<br />
Burkina Faso<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 117<br />
Vietnam<br />
Quelle: Mehrotra und Delamonica 1998.<br />
Uganda<br />
Bhutan<br />
Nettoeinschulungsquote
In den OECD-Ländern ist<br />
das höchste Gehalt bei<br />
Lehrern durchschnittlich<br />
1,4 mal so hoch wie das<br />
niedrigste, während <strong>die</strong><br />
Bandbreite in<br />
Entwicklungsländern sich<br />
zwischen 1,0 und 2,5<br />
bewegt<br />
ist, lokale statt importierte Baumaterialien zu<br />
verwenden – ein Ansatz, den Kamerun und<br />
Niger fördern, um <strong>die</strong> Effizienz zu steigern. 83<br />
Seit 1994 werden in In<strong>die</strong>n nicht nur lokale<br />
Baumaterialien und Konstruktionstechniken<br />
verwendet, sondern auch Bauunternehmer<br />
vor Ort beauftragt, damit sich <strong>die</strong> Kosten des<br />
dortigen District Primary Education Programmes<br />
in Grenzen halten.<br />
Das Management der ständigen Kosten –<br />
für ein besseres Gleichgewicht zwischen den<br />
Gehaltskosten und den nicht-gehaltsbezogenen<br />
Kosten – ist <strong>die</strong> bei weitem entmutigendste<br />
finanzielle Herausforderung für Länder<br />
mit niedrigen Einschulungsraten. Die Lohnkosten<br />
für Lehrer und Verwaltungspersonal<br />
machen oft 90 Prozent oder mehr der ständigen<br />
Kosten im Grundschulbereich aus, nichtgehaltsbezogene<br />
Kosten werden dadurch<br />
zurückgedrängt und es bleibt wenig Geld für<br />
andere Leistungen wie zum Beispiel Lehrmaterial<br />
übrig. 84 Länder mit guten Erfolgen – wie<br />
zum Beispiel Botsuana, Kuba, Sri Lanka – haben<br />
<strong>die</strong>ses Problem erkannt und geben einen<br />
angemessenen Betrag für Lehrmaterialien<br />
aus. 85<br />
Begrenzte Haushaltsmittel erschweren es<br />
den Ländern ebenfalls, mehr Lehrer einzustellen,<br />
was für <strong>die</strong> allgemeine Grundschulbildung<br />
von grundlegender Bedeutung ist. Eine<br />
Erhöhung der Gehälter kann zwar nützlich<br />
sein, aber ebenso eine Veränderung der Gehaltsstruktur<br />
– wodurch vielleicht sogar <strong>die</strong><br />
Kosten gesenkt werden können. Eine Option<br />
ist, <strong>die</strong> Kluft zwischen den niedrigsten und<br />
höchsten Lehrergehältern zu verringern. In<br />
den OECD-Ländern ist das höchste Gehalt<br />
bei Lehrern durchschnittlich 1,4 mal so hoch<br />
wie das niedrigste, während <strong>die</strong> Bandbreite in<br />
Entwicklungsländern sich zwischen 1,0 und<br />
2,5 bewegt. 86 Die Organisation der Vereinten<br />
Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur<br />
(United Nations Educational, Scientific<br />
and Cultural Organization – UNESCO) und<br />
<strong>die</strong> Internationale Arbeitsorganisation (International<br />
Labour Organization – ILO) haben<br />
empfohlen, dass ein Lehrer erst nach 10-15<br />
Jahren das Höchstgehalt erhalten sollte. 87 Eine<br />
weitere Option ist, <strong>die</strong> Lehrergehälter nicht<br />
mehr mit einer Hochschulausbildung zu kop-<br />
peln, ein Ansatz, der in Südafrika ausprobiert<br />
wird. 88<br />
Eine bessere zeitliche Auslastung und ein<br />
besserer Einsatz der Lehrer könnte ebenfalls<br />
viel dazu beitragen, <strong>die</strong> Lehrerkosten zu regulieren.<br />
In Botsuana hat man einen Versuch<br />
gestartet, <strong>die</strong> Lehrer besser zu bezahlen, wenn<br />
sie doppelte Unterrichtsstunden gaben – und<br />
dadurch <strong>die</strong> Anzahl der unterrichteten<br />
Schüler bei einer geringen Steigerung der Gehaltskosten<br />
verdoppelt. Auch Investitionen in<br />
Informationstechnologie, um „Scheinlehrer“<br />
und falsche Gehaltszahlungen auszumerzen,<br />
zahlen sich verhältnismäßig schnell aus, wie<br />
<strong>die</strong> nationalen statistischen Inforationssysteme<br />
zu Bildung (National Education Statistical<br />
Information Systems) in mehreren Ländern<br />
in Afrika südlich der Sahara zeigen.<br />
Gehälter, <strong>die</strong> von der Inflation aufgefressen<br />
werden, können sich auch negativ auf <strong>die</strong><br />
Moral der Lehrer auswirken, da sie dadurch<br />
gezwungen sind, noch einen zweiten Job anzunehmen.<br />
Die Abwesenheit von Lehrern, ein<br />
großes Problem in Südasien und Afrika, kann<br />
teilweise dadurch verhindert werden, dass<br />
man Lehrer aus den Stadtvierteln rekrutiert, in<br />
denen sie auch unterrichten sollen. In Indonesien<br />
und Thailand, <strong>die</strong> schon sehr früh <strong>die</strong> allgemeine<br />
Grundschulbildung umgesetzt haben,<br />
wurden Lehrer üblicherweise vor Ort rekrutiert<br />
und angestellt. Die Lehrergehälter<br />
sind jedoch oft ein Grund für <strong>die</strong> Abwesenheit<br />
des Personals vom Arbeitsplatz.<br />
In vielen Ländern mit mittlerem Einkommen<br />
hat sich <strong>die</strong> Situation für <strong>die</strong> Lehrer positiv<br />
entwickelt – insbesondere in China, Mauritius,<br />
Thailand und Uruguay, wo <strong>die</strong> Regierungen<br />
tatsächlich <strong>die</strong> Lehrergehälter erhöhen<br />
konnten. In vielen Ländern mit niedrigem Einkommen<br />
sind <strong>die</strong> Lehrergehälter jedoch allmählich<br />
immer stärker zusammengeschrumpft,<br />
so zum Beispiel in Kambodscha, der Zentralafrikanischen<br />
Republik, Kirgisistan, Madagaskar,<br />
Moldavien, Myanmar, Sierra Leone und<br />
Sambia. In solchen Ländern wird es zunehmend<br />
schwieriger, <strong>die</strong> Moral der Lehrer<br />
ohne höhere Löhne aufrechtzuerhalten. Einige<br />
<strong>die</strong>ser Länder müssen auch wesentlich mehr<br />
Lehrer einstellen, wenn sie das Millenniums-Entwicklungsziel<br />
der allgemeinen<br />
118 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Grundschulbildung erreichen wollen. Für solche<br />
Länder ist <strong>die</strong> Hilfe der Geberländer zumindest<br />
für einen begrenzten Zeitraum entscheidend,<br />
damit sie <strong>die</strong> ständigen Kosten bezahlen<br />
können.<br />
Bei einem letzten Punkt zur Steigerung<br />
der finanziellen Effizienz geht es um <strong>die</strong> öffentliche<br />
Entwicklungshilfe im Bildungsbereich.<br />
Bei <strong>die</strong>ser Hilfe geht es vorrangig um<br />
Ausstattung, Ausbildung in Übersee und technische<br />
Hilfe. Etwa 60–80 Prozent der Hilfe im<br />
Bildungsbereich werden in den Empfängerländern<br />
ausgegeben, der Rest in den Geberländern<br />
– für <strong>die</strong> Bildung und Ausbildung von<br />
Staatsbürgern aus den Entwicklungsländern<br />
und für Berater und Ausbilder aus den reichen<br />
Ländern. 89 Die Mittel werden auf <strong>die</strong>se Weise<br />
nicht wirklich effizient eingesetzt. Technische<br />
Hilfe kann <strong>die</strong> Institutionen vor Ort unterminieren,<br />
insbesondere wenn <strong>die</strong> Bildungsbehörden<br />
schließlich durch den Zustrom von<br />
Beratern, <strong>die</strong> zu ausgeklügelte Systeme durchsetzen<br />
wollen, <strong>über</strong>fordert sind. Von 1994 bis<br />
1997 wurden in Äthiopien 66 Untersuchungen<br />
<strong>über</strong> das Bildungssystem durchgeführt,<br />
<strong>die</strong> Hälfte davon wurde von bilateralen Hilfsorganisationen<br />
finanziert – sie waren jedoch<br />
relativ nutzlos. 90<br />
WIE KÖNNEN DIE ZIELE IM GESUNDHEITSBEREICH ERREICHT WERDEN?<br />
Die Tatsache, dass es für viele Entwicklungsländer<br />
kaum Daten <strong>über</strong> Trends gibt, macht es<br />
schwierig einzuschätzen, wie hoch <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />
ist, das Millenniums-Entwicklungsziel<br />
der Reduzierung der Müttersterblichkeit<br />
um drei Viertel bis zum Jahr 2015 zu<br />
erreichen. Viele Experten glauben jedoch,<br />
dass <strong>die</strong> jetzt schon hohe Müttersterblichkeitsrate<br />
– ein eklatantes Versagen der Entwicklungsbemühungen<br />
– in vielen Ländern weiter<br />
steigt. Am dringlichsten ist <strong>die</strong> Situation in<br />
Afrika südlich der Sahara, wo <strong>die</strong> Hälfte aller<br />
Todesfälle durch Müttersterblichkeit in den<br />
Entwicklungsländern auftritt – dort stirbt <strong>die</strong><br />
Mutter des Kindes bei 1 von 100 Lebendgeburten.<br />
Wegen fehlender Daten können auch <strong>die</strong><br />
Fortschritte im Hinblick auf das Ziel, bis 2015<br />
<strong>die</strong> Ausbreitung von HIV/AIDS zum Stillstand<br />
und zum Rückgang zu bringen, nicht gemessen<br />
werden. Fortschritte sind jedoch möglich<br />
– wie zum Beispiel in Brasilien, Senegal,<br />
Thailand (siehe Kasten 4.6), Uganda und Sambia.<br />
Bei den messbaren Zielen im Gesundheitsbereich<br />
ist <strong>die</strong> Welt weiter von der Umsetzung<br />
des Ziels für <strong>die</strong> Kindersterblichkeit – eine Reduzierung<br />
um zwei Drittel bis 2015 – entfernt<br />
als bei irgendeinem anderen Ziel. Hier liegen<br />
<strong>die</strong> Länder mit der höchsten Priorität in Afrika<br />
südlich der Sahara und in Südasien. In<br />
Südasien sind Fortschritte zu verzeichnen. Die<br />
Kindersterblichkeitsrate ist dort in den 1990er<br />
Jahren von 12,6 Prozent auf etwa 10,0 Prozent<br />
gesunken. Afrika südlich der Sahara liegt jedoch<br />
weit zurück: dort erreichen 17 Prozent<br />
der Kinder nicht das sechste Lebensjahr.<br />
Wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt,<br />
wird <strong>die</strong> Region auch in den nächsten 150 Jahren<br />
das Ziel für <strong>die</strong> Kindersterblichkeit nicht<br />
erreichen. 91<br />
DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />
Täglich sterben mehr als 30.000 Kinder weltweit<br />
aufgrund von Ursachen, <strong>die</strong> verhindert<br />
werden könnten – Austrocknung, Hunger,<br />
Krankheiten. 92 In Sierra Leone, einem Land<br />
mit höchster Prioritätsstufe, sterben 18 Prozent<br />
der Kinder noch vor Vollendung ihres ersten<br />
Lebensjahres.<br />
Jedes Jahr sterben mehr als 500.000 Frauen<br />
durch Schwangerschaft und Geburt – eine<br />
Frau in jeder Minute am Tag. Das Risiko für<br />
eine schwangere Frau während der Schwangerschaft<br />
oder der Niederkunft in Afrika südlich<br />
der Sahara zu sterben ist 100mal eher als<br />
in einem OECD-Land mit hohem Einkommen.<br />
93<br />
42 Millionen Menschen weltweit leben mit<br />
HIV/AIDS. Außerdem haben durch <strong>die</strong><br />
Krankheit 13 Millionen Kinder <strong>die</strong> Mutter<br />
oder beide Elternteile verloren. 94 Durch Tuberkulose,<br />
<strong>die</strong> andere weit verbreitete Infekti-<br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele und<br />
Zielvorgaben<br />
Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit<br />
Zielvorgabe 5: Zwischen<br />
1990 und 2015 <strong>die</strong><br />
Sterblichkeitsrate von<br />
Kindern unter fünf<br />
Jahren um zwei Drittel<br />
senke<br />
Ziel 5: Verbesserung der<br />
Gesundheit von<br />
Müttern<br />
Zielvorgabe 6: Zwischen<br />
1990 und 2015 <strong>die</strong><br />
Müttersterblichkeitsrate<br />
um drei Viertel senken<br />
Ziel 6: Bekämpfung von<br />
HIV/AIDS, Malaria<br />
und anderen Krankheiten<br />
Zielvorgabe 7: Bis 2015<br />
<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS zum Stillstand<br />
bringen und allmählich<br />
umkehren<br />
Zielvorgabe 8: Bis 2015<br />
<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
Malaria und anderen<br />
schweren Krankheiten<br />
zum Stillstand bringen<br />
und allmählich<br />
umkehren<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 119
KASTEN 4.6<br />
Thailands Präventionsprogramm ist eine der<br />
wenigen erfolgreichen Antworten auf<br />
HIV/AIDS in Entwicklungsländern. Nachdem<br />
<strong>die</strong> Zahl der HIV-Neuinfektionen in Thailand<br />
Anfang der 1990er Jahre einen Höhepunkt erreicht<br />
hatte, ist sie dann um <strong>über</strong> 80 Prozent<br />
gefallen. Wie war das möglich?<br />
Politischer Wille<br />
In Thailand wurde AIDS zum ersten Mal im<br />
Jahr 1984 diagnostiziert. Im Jahr 1987 führte<br />
<strong>die</strong> Regierung ein nationales Programm zu<br />
AIDS-Prävention und Kontrolle (National<br />
AIDS Prevention und Control Program -<br />
NAPCP) ein, mit dem Premierminister als<br />
Vorsitzendem. Der politische Wille wurde<br />
durch finanzielles Engagement ergänzt. Zwischen<br />
1987 und 1991 stiegen <strong>die</strong> Ausgaben der<br />
Regierung und der Geber sprunghaft an, von<br />
684.000 auf zehn Millionen US-Dollar. Im Jahr<br />
1997 hatten <strong>die</strong> staatlichen Ausgaben für Programme<br />
zur Kontrolle von AIDS ein Niveau<br />
von 82 Millionen US-Dollar pro Jahr erreicht.<br />
Zusammenarbeit mehrerer Akteure<br />
Viele Beteiligte, von Patienten <strong>über</strong> Privatärzte<br />
bis hin zu buddhistischen Mönchen, arbeiten<br />
in der Planung und Umsetzung der AIDS-Programme<br />
mit der thailändischen Regierung zusammen.<br />
Zum Beispiel bieten 150 Gruppen<br />
von Menschen mit HIV/AIDS Unterstützung<br />
für andere Patienten an und vertreten ihre Interessen.<br />
Die thailändische NRO-Koalition zu<br />
AIDS koordiniert <strong>die</strong> AIDS-Aktivitäten der<br />
Nichtregierungsorganisationen. Die Regierung<br />
hat ein innovatives Programm entwickelt, dass<br />
unter dem Titel „Die Anfälligkeit von<br />
Mädchen verringern“ Stipen<strong>die</strong>n an junge<br />
Thailands Erfolge beim Verhindern der Ausbreitung von HIV/AIDS<br />
Frauen vergibt, damit sie weiter zur Schule gehen<br />
können. Ziel <strong>die</strong>ser Stipen<strong>die</strong>n ist es, <strong>die</strong><br />
Mädchen davon abzuhalten, Prostituierte zu<br />
werden.<br />
Auf besonders gefährdete<br />
Gruppen abzielen<br />
Im Jahr 1989 fand man heraus, dass 44 Prozent<br />
der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Chiang<br />
Mai HIV-positiv waren. Statt zu bestreiten,<br />
dass es <strong>die</strong> Prostitution gibt, konzentrierte<br />
sich <strong>die</strong> thailändische Regierung darauf, <strong>die</strong><br />
Anzahl der Bordellbesuche von Männern zu<br />
verringern und bei den Sexarbeitern und –arbeiterinnen<br />
<strong>die</strong> Verwendung von Kondomen<br />
zu fördern. Im Jahr 1991 wurde ein Programm<br />
zur Förderung der 100-prozentigen Verwendung<br />
von Kondomen auf den Weg gebracht,<br />
das pro Jahr 31 Millionen Kondome an besonders<br />
gefährdete Gruppen verteilte. Weitere<br />
600 Millionen Kondome pro Jahr wurden von<br />
Kliniken abgegeben.<br />
Diese Maßnahmen führten zu enormen<br />
Ergebnissen: Von 1988 bis 1992 stieg <strong>die</strong> Verwendung<br />
von Kondomen in Bordellen von 14<br />
auf 90 Prozent. Außerdem sank <strong>die</strong> durchschnittliche<br />
Anzahl von Männern, <strong>die</strong> solche<br />
Etablissements besuchten je Bordell von 4,0<br />
auf 1,5 pro Tag. Dies führte dazu, dass <strong>die</strong><br />
HIV-Prävalenz unter Sexarbeiterinnen und<br />
–arbeitern von 50 Prozent im Jahr 1991 auf<br />
weniger als zehn Prozent im Jahr 2001 zurückging.<br />
Bildungskampagnen<br />
Das Programm zur 100-prozentigen Verwendung<br />
von Kondomen war von einer nationalen<br />
Informations- und Öffentlichkeitskampagne<br />
onskrankheit <strong>die</strong> zum Tod von Erwachsenen<br />
führt, sterben bis zu 2 Millionen Menschen im<br />
Jahr. 95 Malaria tötet 1 Million Menschen jährlich,<br />
und ohne wirksame Gegenmaßnahmen<br />
könnte sich <strong>die</strong> Zahl der Fälle in den nächsten<br />
20 Jahren verdoppeln. 96<br />
Von vielen Krankheiten ist <strong>die</strong> arme Landbevölkerung<br />
viel stärker betroffen als <strong>die</strong><br />
Stadtbewohner. Bei akuten Atemwegsinfektionen,<br />
einer häufige Todesursache bei Kindern,<br />
werden in den Entwicklungsländern weniger<br />
als <strong>die</strong> Hälfte der Kinder auf dem Land<br />
medizinisch behandelt. 97<br />
Viele <strong>die</strong>ser Todesfälle können leicht verhindert<br />
werden (siehe Kasten 4.7). Moskito-<br />
begleitet. Überall wurden Informationen <strong>über</strong><br />
AIDS zugänglich gemacht – von Reklameflächen<br />
<strong>über</strong> Zerealien-Kartons bis hin zum<br />
Fernsehen. Stündlich liefen einminütige Radio-<br />
und Fernsehspots zur AIDS-Sensibilisierung.<br />
Botschaften halfen so, das mit einer<br />
HIV-Infektion verbundene Stigma zu zerstreuen.<br />
Überwachung und Evaluierung<br />
Drei Überwachungssysteme sammeln Informationen<br />
zu HIV und sexuell <strong>über</strong>tragbaren Infektionskrankheiten.<br />
Diese Informationen<br />
werden dazu verwendet, Veränderungen bei<br />
der Verteilung der HIV-Neuinfektionen zu<br />
verfolgen, und sie <strong>die</strong>nen politischen Entscheidungsträgern<br />
als Anhaltspunkte bei der Entwicklung<br />
von Kontrollmaßnahmen.<br />
Internationale Unterstützung<br />
Thailand hat für seine AIDS-Programme<br />
reichlich internationale finanzielle und technische<br />
Unterstützung erhalten. Das Gemeinsame<br />
Programm der Vereinten Nationen gegen<br />
HIV/AIDS (United Nations Joint Programme<br />
for HIV/AIDS - UNAIDS) hat zum Beispiel<br />
aktiv Mittel akquiriert, Programme evaluiert<br />
und HIV/AIDS-Patienten geholfen. Im<br />
Bereich der bilateralen Kooperation gibt es<br />
Partnerschaften mit der US-amerikanischen<br />
Organisation für internationale Entwicklung<br />
USAID (US Agency for International Development),<br />
der Europäischen Union und der<br />
australischen Organisation für internationale<br />
Entwicklung AusAID (Australian Agency for<br />
International Development).<br />
Quelle: Avert.org <strong>2003</strong>; Kongsin et al. 1998;<br />
Forster-Rothbart et al. 2002.<br />
netze um <strong>die</strong> Betten, preisgünstige Antibiotika,<br />
ausgebildete Geburtshelfer und eine<br />
grundlegende Hygiene- und Gesundheitsausbildung<br />
sind keine hochtechnisierten Lösungen.<br />
Wie jedoch im Bildungsbereich sind solche<br />
Lösungen aus tieferliegenden systemischen<br />
Gründen tragischerweise für Millionen<br />
armer Menschen nicht erreichbar:<br />
• Begrenzte Mittel. Die Regierungen geben<br />
für <strong>die</strong> Gesundheit insgesamt nicht genug aus<br />
und sie geben für <strong>die</strong> medizinische Grundversorgung<br />
sogar noch weniger aus.<br />
• Ungleichheit. Die Gesundheitssysteme<br />
im ländlichen Raum verfügen nicht <strong>über</strong> ausreichendes<br />
Personal beziehungsweise ausrei-<br />
120 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 4.7<br />
Ziel 4: Die Sterblichkeitsrate von Kindern<br />
unter 5 Jahren um zwei Drittel senken<br />
Um das Millenniums-Entwicklungsziel 4 – <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />
von Kindern unter fünf Jahren von 1990 bis<br />
2015 um zwei Drittel zu senken – zu erreichen, muss gegen<br />
<strong>die</strong> Hauptursachen der Kindersterblichkeit vorgegangen<br />
werden. Die Maßnahmen der technischen Hilfe<br />
müssen sich auf <strong>die</strong> Unterernährung und auf ansteckende<br />
und durch Parasiten <strong>über</strong>tragene Krankheiten und<br />
Immunisierungen konzentrieren und von einem leistungsfähigeren<br />
gesundheitlichen Grundversorgungssystem<br />
umgesetzt werden.<br />
Unterernährung. Auf ein niedriges Geburtsgewicht<br />
folgt oft eine Unterernährung des Kindes. Sie<br />
hängt direkt mit der Gesundheit der Mutter vor und<br />
während der Schwangerschaft zusammen. Auch lässt<br />
sich <strong>die</strong> Gesundheit von Müttern und ihren Kindern erheblich<br />
verbessern, wenn man den Zugang zu Leistungen<br />
im Bereich der reproduktiven Gesundheitsversorgung<br />
ausweitet und eine ausreichende Ernährung sicherstellt.<br />
Wenn Säuglinge in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten<br />
ausschließlich gestillt werden, hat das sehr<br />
positive Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand.<br />
Wenn <strong>die</strong> Mutter jedoch HIV-positiv ist, sollte ein Ersatz<br />
für <strong>die</strong> Muttermilch gefunden werden. Als ersten<br />
Schritt sollten <strong>die</strong> Länder den internationalen Kodex<br />
zum Marketing von Substitutionserzeugnissen für Muttermilch<br />
(International Code of Marketing of Breastmilk<br />
Substitutes, verbreitet durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten<br />
Nationen UNICEF) umgehend in nationales<br />
Recht umsetzen.<br />
Die Gesundheit von Kindern kann durch einen<br />
Mangel an Vitaminen und Spurenelementen (Vitamin A,<br />
Eisen, Zink und Jod) extrem beeinträchtigt werden.<br />
Eine Möglichkeit, das Problem anzugehen, sind Nahrungszusätze<br />
(wie zum Beispiel Jod-Zusätze im Salz). Vitamin<br />
A-Mangel lässt sich reduzieren, indem man einfach<br />
zwei Kapseln hochdosiertes Vitamin A verabreicht.<br />
In Ländern ohne funktionierendes Gesundheitssystem<br />
sollten Vitaminzusätze <strong>über</strong> Kampagnen verteilt werden,<br />
ähnlich wie bei Massenimpfkampagnen. Durch solche<br />
Maßnahmen gelang es im Jahr 1999 den am wenigsten<br />
entwickelten Ländern, eine Versorgung mit Nahrungszusätzen<br />
von 80 Prozent zu erreichen.<br />
Ansteckende und durch Parasiten <strong>über</strong>tragene<br />
Krankheiten. Es wird erwartet, dass sich in den am<br />
schlimmsten betroffenen Gebieten <strong>die</strong> HIV/AIDS-bedingte<br />
Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren bis<br />
zum Jahr 2010 mehr als verdoppeln wird. In vielen Ländern<br />
ist <strong>die</strong> Bekämpfung von HIV/AIDS – und <strong>die</strong> ausdrückliche<br />
Berücksichtigung von spezifischen Problemen<br />
der Frauen und Kinder— eine der obersten Entwicklungsprioritäten<br />
(siehe Kasten 4.1). Unterdessen<br />
sterben jedes Jahr mehr als 400.000 Kinder an Malaria –<br />
was <strong>die</strong>se Krankheit in vielen Ländern zu einer weiteren<br />
Priorität macht.<br />
Zwar sind in den 1990er Jahren weniger Kinder<br />
unter fünf Jahren an Durchfall gestorben, doch <strong>die</strong><br />
Krankheit fordert bei Kindern weiterhin viele Opfer.<br />
Ob <strong>die</strong> Zahlen weiter zurückgehen, wird davon abhängen,<br />
ob <strong>die</strong> Familien Durchfallerkrankungen zu Hause<br />
behandeln können (durch verstärkte Flüssigkeitszufuhr<br />
und indem sie erkrankten Kindern weiter zu Essen geben)<br />
und ob sie, wenn erforderlich, Gesundheits<strong>die</strong>nste<br />
in Anspruch nehmen. Wie in <strong>die</strong>sem Kapitel ausgeführt,<br />
wird auch <strong>die</strong> Ausweitung des Zugangs zu sauberem<br />
Wasser und sanitären Einrichtungen dazu beitragen,<br />
Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen<br />
dass nicht mehr so viele Durchfallerkrankungen auftreten.<br />
Schließlich sind fast 20 Prozent aller Todesfälle bei<br />
Kindern in Entwicklungsländern auf akute Atemwegsinfektionen<br />
zurückzuführen. Doch <strong>die</strong> meisten <strong>die</strong>ser Infektionen<br />
ließen sich leicht verhindern. Daten aus 42<br />
Ländern zeigen, dass nur bei der Hälfte der Kinder mit<br />
solchen Infektionen medizinische Hilfe in Anspruch genommen<br />
wird. In Westafrika liegt ihr Anteil bei nur einem<br />
Fünftel. Wie in <strong>die</strong>sem Kapitel ausgeführt, ist ein<br />
funktionierendes Gesundheitssystem, dass <strong>die</strong> Zahl der<br />
Stellen, wo medizinische Hilfe geleistet wird, in unterversorgten<br />
Gebieten erhöht, eine entscheidende Voraussetzung,<br />
um gegen <strong>die</strong>se Todesursache vorzugehen.<br />
Immunisierungen. Nachdem Immunisierungen in<br />
Südasien <strong>über</strong> viele Jahre zugenommen hatten, stagnieren<br />
sie auf dem Niveau von 1990, und in Afrika südlich<br />
der Sahara sind sie zurückgegangen. Doch wie <strong>die</strong> in regelmäßigen<br />
Abständen durchgeführten staatlichen Kampagnen<br />
gegen Kinderlähmung zeigen, ist es möglich, einen<br />
höheren Immunisierungsgrad zu erreichen. Zwischen<br />
1998 und 2000 wurde durch <strong>die</strong> Kampagne <strong>die</strong><br />
Zahl der neuen Polio-Fälle um 99 Prozent reduziert. Zu<br />
den Maßnahmen der Kampagne gehörten breite Bildungs-<br />
und Öffentlichkeitskampagnen und bessere Routine-Immunisierungen<br />
sowie eine bessere Überwachung.<br />
Ziel 5: Die Müttersterblichkeit um drei Viertel<br />
senken<br />
Jedes Jahr sterben rund 500.000 Frauen weltweit an<br />
Komplikationen während einer Schwangerschaft oder<br />
Geburt. Dreißig Mal mehr Frauen leiden unter Verletzungen,<br />
Infektionen oder anderen Komplikationen, <strong>die</strong><br />
mit einer Schwangerschaft in Zusammenhang stehen.<br />
Um das Millenniums-Entwicklungsziel 5 – <strong>die</strong> Müttersterblichkeitsrate<br />
von 1990 bis 2015 um drei Viertel zu<br />
senken – zu erreichen, müssen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
den Zugang zu qualifizierter Geburtshilfe, zur Notfallversorgung<br />
bei Entbindungen und zur Versorgung im<br />
Bereich reproduktive Gesundheit ausweiten, indem sie<br />
<strong>die</strong>se Dienste in einem funktionierenden Gesundheitsund<br />
Überweisungssystem zusammenfassen. Die Länder<br />
müssen sich auch den breiteren sozialen Problemen widmen,<br />
<strong>die</strong> Frauen davon abhalten, gesundheitliche Versorgung<br />
in Anspruch zu nehmen.<br />
Qualifizierte Geburtshilfe. Bei weniger als der<br />
Hälfte aller Geburten in Entwicklungsländern sind ausgebildete<br />
Geburtshelferinnen anwesend. Um <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />
zu reduzieren, muss <strong>die</strong> Zahl der qualifizierten<br />
Hebammen und Geburtshelfer wesentlich erhöht<br />
werden, insbesondere in Gegenden, <strong>die</strong> durch das<br />
Gesundheitssystem nicht ausreichend versorgt sind. Medizinisches<br />
Fachpersonal kann auf zwei Arten helfen,<br />
<strong>die</strong> Müttersterblichkeit zu senken. Erstens durch ein sicheres<br />
und hygienisches Vorgehen bei Routinegeburten<br />
und <strong>die</strong> Überweisung komplizierter Geburten an Kliniken<br />
und Krankenhäuser. Zweitens, indem <strong>die</strong> Wehen<br />
während des Geburtsvorgangs aktiv kontrolliert werden<br />
—wodurch potentiell nach der Geburt auftretende Blutungen<br />
verringert werden können. Dies erfordert eine<br />
spezielle Ausbildung, <strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verteilung von Utensilien-Sets<br />
für sichere Geburt („safe birthing kits“) hinausgeht.<br />
Ausgebildete Geburtshelferinnen und –helfer<br />
müssen in der Lage sein, zu erkennen, wenn Komplikationen<br />
eintreten, sie müssen notwendige Eingriffe vornehmen,<br />
mit der Behandlung beginnen und, wenn nötig,<br />
<strong>die</strong> Überweisung von Mutter und Kind an einen Notfall<strong>die</strong>nst<br />
<strong>über</strong>wachen.<br />
Notfallversorgung bei Entbindungen. Selbst unter<br />
günstigsten Umständen kommt es bei mehr als zehn<br />
Prozent aller schwangeren Frauen zu potentiell tödlichen<br />
Komplikationen. Um <strong>die</strong> Müttersterblichkeit zu<br />
senken, müssen ausgebildete Geburtshelferinnen und<br />
–helfer in der Lage sein, komplizierte Geburten an Entbindungsnotfall<strong>die</strong>nste<br />
zu <strong>über</strong>weisen. In Entwicklungsländern<br />
fehlt es in großem Umfang an Einrichtungen zur<br />
Notfallversorgung bei Entbindungen. Mehr als 80 Prozent<br />
aller Geburten finden in Gegenden ohne derartige<br />
Einrichtungen statt. Daher müssen sich <strong>die</strong> Länder dem<br />
ersten Indikator der Vereinten Nationen in <strong>die</strong>sem Bereich<br />
verpflichten: <strong>über</strong> je eine solche Einrichtung pro<br />
500.000 Menschen zu verfügen.<br />
Versorgung im Bereich reproduktive Gesundheit.<br />
Den Zugang zu Verhütungsmitteln zu erhöhen,<br />
kann <strong>die</strong> Müttersterblichkeit wesentlich senken, indem<br />
einfach <strong>die</strong> Zahl der Schwangerschaften pro Frau reduziert<br />
wird – und damit das Risiko der damit zusammenhängenden<br />
Komplikationen. Wenn der ungedeckte Bedarf<br />
an Verhütungsmitteln gedeckt würde und Frauen<br />
nur <strong>die</strong> Anzahl der Schwangerschaften in den Abständen<br />
hätten, in denen sie es wollen, würde <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />
um 20 bis 35 Prozent sinken. Hinzu kommen<br />
<strong>die</strong> unsicheren Abtreibungen, <strong>die</strong> von Anbietern<br />
ohne entsprechende Ausbildung bzw. unter unhygienischen<br />
Bedingungen vorgenommen werden. An solchen<br />
Abtreibungen sterben schätzungsweise 78.000 Frauen<br />
pro Jahr. Sie machen rund 13 Prozent aller Todesfälle<br />
von Müttern aus. Ziel 5 zu erreichen erfordert <strong>die</strong> rasche<br />
Ausweitung des Zugangs zu reproduktiver Gesundheitsversorgung.<br />
Ziel 6: Die Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS stoppen<br />
Im Jahr 2002 starben 3,1 Millionen Menschen an AIDS.<br />
Weitere 42 Millionen Menschen sind mit HIV/AIDS infiziert.<br />
AIDS ist eine der lähmendsten Geißeln der jüngeren<br />
Geschichte. Die Krankheit hat jedes Land getroffen<br />
und hat in vielen Länder Afrikas südlich der Sahara<br />
verheerende Auswirkungen. Wenn <strong>die</strong>s auch beängstigend<br />
ist, so kann doch bei der ersten Zielvorgabe von<br />
Millenniums-Entwicklungsziel 6 – den Ausbreitungstrend<br />
der Krankheit bis 2015 umzukehren – auf <strong>über</strong><br />
zwanzig Jahre erfolgreiche Prävention und Behandlungsmaßnahmen<br />
zurückgegriffen werden. Ferner verabschiedete<br />
<strong>die</strong> Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />
im Jahr 2001 eine eindeutige Erklärung zum<br />
Schweregrad der Epidemie und betonte <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
entscheidender Maßnahmen als politische Wegweiser.<br />
Der Umgang mit HIV/AIDS erfordert eine starke<br />
Führung, um der Trägheit der Institutionen zu begegnen<br />
und um sich den sozialen Themen zu widmen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Epidemie vorantreiben. Dazu gehören Stigmatisierung,<br />
Diskriminierung und ungleiche Machtverhältnisse<br />
zwischen Männern und Frauen. Der Frauenanteil der<br />
Menschen, <strong>die</strong> mit HIV/AIDS leben, ist stetig gestiegen,<br />
von 41 Prozent im Jahr 1997 auf 50 Prozent Ende 2002.<br />
Im südlichen Afrika ist <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass<br />
eine junge Frau HIV-positiv ist, vier- bis sechsmal<br />
größer, als bei Männern der gleichen Altersgruppe. In<br />
Präventions- und Behandlungsprogrammen muss ausdrücklich<br />
auf <strong>die</strong> Bedingungen eingegangen werden, <strong>die</strong><br />
einige Gruppen anfälliger für eine Infektion machen,<br />
und auf <strong>die</strong> es zurückzuführen ist, dass <strong>die</strong>se Gruppen<br />
Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 121
KASTEN 4.7 (Fortsetzung)<br />
mit geringerer Wahrscheinlichkeit medizinische Hilfe in<br />
Anspruch nehmen.<br />
Eine starke Führung auf Gemeinde-Ebene kann<br />
dazu beitragen, vor Ort akzeptable Maßnahmen zu entwickeln,<br />
zum Beispiel durch Diskussionen <strong>über</strong> das Verhalten<br />
und <strong>die</strong> Werte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS begünstigen.<br />
Eine starke Führung ist auch nötig, um mit dem<br />
Problem desorganisierter, <strong>über</strong>lasteter und stark unterfinanzierter<br />
Gesundheitssysteme umzugehen, um multisektorale<br />
Antworten auf <strong>die</strong> Epidemie zu fördern, um in<br />
wirkungsvolle Präventionstechniken (wie Kondome und<br />
Einweg-Spritzen) zu investieren und um durch <strong>die</strong> bessere<br />
Ausbildung von Mitarbeitern im Gesundheitswesen<br />
und auf Gemeinde-Ebene <strong>die</strong> Kapazitäten zu erhöhen.<br />
Solche Maßnahmen werden durch Entwicklungsländer-<br />
Kooperationen zur HIV/AIDS-Kontrolle unterstützt.<br />
Thailand stellt Kambodscha seine Expertise zur Verfügung,<br />
ebenso wie Brasilien seinen Nachbarländern.<br />
Um <strong>die</strong> Ausbreitung der Krankheit einzudämmen,<br />
müssen außerdem <strong>die</strong> Präventionsanstrengungen intensiviert<br />
werden. Zwar werden sich Kontrollprogramme<br />
entsprechend den lokalen Bedürfnissen unterscheiden,<br />
doch es stehen viele wirksame Maßnahmen zur Verfügung<br />
(siehe Kasten 4.6). Wirkungsvolle Prävention hat<br />
viele Länder in <strong>die</strong> Lage versetzt, bei der Senkung der<br />
Infektionsraten bemerkenswerte Fortschritte zu machen.<br />
Auch <strong>die</strong> Ausweitung der Behandlung wird breit<br />
unterstützt – insbesondere durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO), <strong>die</strong> anti-retrovirale Medikamente<br />
auf ihre Liste unentbehrlicher Arzneimittel gesetzt hat.<br />
Auch hat <strong>die</strong> WHO Richtlinien veröffentlicht, wie <strong>die</strong><br />
Krankheit behandelt werden sollte, wenn nur begrenzte<br />
Mittel vorhanden sind. Doch es gibt wesentliche Beschränkungen<br />
beim Ausbau <strong>die</strong>ser Programme. Der<br />
Zeitrahmen für <strong>die</strong> Ausweitung der Behandlung sollte<br />
ehrgeizig, aber realistisch sein. Die Einbeziehung verschiedener<br />
Gruppen in <strong>die</strong> Planung und Umsetzung von<br />
Behandlungsprogrammen hat in Brasilien, Thailand und<br />
Uganda Erfolge gezeigt.<br />
Schwache Gesundheitssysteme bedeuten ernste<br />
Beschränkungen bei der Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten.<br />
Um sicherzustellen, dass sich Patienten<br />
an <strong>die</strong> Behandlungsanweisungen halten, und um <strong>die</strong><br />
Arzneimittelresistenz zu <strong>über</strong>wachen, wird mehr gut<br />
ausgebildetes medizinisches Fachpersonal gebraucht sowie<br />
neue Verteil- und Lagerungssysteme für Arzneimittel<br />
und mehr Kliniken und Laboratorien in Gebieten<br />
mit hohen Infektionsraten.<br />
Ziel 6: Die Ausbreitung von Malaria und anderen<br />
schweren Krankheiten stoppen<br />
Malaria und Tuberkulose gehören zu den Infektionskrankheiten,<br />
<strong>die</strong> insbesondere in Entwicklungsländern<br />
eine der Haupttodesursachen bei Erwachsenen darstellen.<br />
Um <strong>die</strong> zweite Zielvorgabe von Millenniums-Entwicklungsziel<br />
6 – den Ausbreitungstrend von Malaria<br />
und anderen schweren Krankheiten bis 2015 umzukehren<br />
– zu erreichen, muss jedes Entwicklungsland <strong>die</strong><br />
Krankheiten identifizieren, <strong>die</strong> seiner Bevölkerung den<br />
größten Schaden zufügen, und damit umgehen.<br />
Malaria. Jedes Jahr infizieren sich 500 Millionen<br />
Menschen – fast zehn Prozent der Weltbevölkerung –<br />
mit Malaria, und <strong>über</strong> eine Million sterben daran. Viele<br />
Forscher befürchten, dass sich <strong>die</strong> Situation aufgrund<br />
von Umweltveränderungen, Unruhen unter der Zivilbe-<br />
Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen<br />
völkerung, Bevölkerungswachstum, ausgedehntem Reisen<br />
und der zunehmenden Resistenz gegen Medikamente<br />
und Insektizide sogar noch verschlechtern könnte.<br />
Aber es gibt neue Ansätze zur Malariakontrolle, und das<br />
wachsende internationale Bewusstsein hat zu einer Erhöhung<br />
der Mittel für Forschung und Kontrollmaßnahmen<br />
geführt. Doch den Ausbreitungstrend der Malaria<br />
umzukehren erfordert dauerhafte politische und finanzielle<br />
Verpflichtungen, um erfolgreiche Programme auszuweiten<br />
und in <strong>die</strong> Forschung zu investieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen<br />
Bemühungen großen Auftrieb verleihen würde.<br />
Da <strong>die</strong> Malariafälle regional sehr ungleich verteilt<br />
sind, müssen Kontrollprogramme an <strong>die</strong> Bedürfnisse vor<br />
Ort angepasst sein. Eine Reihe von Maßnahmen kann in<br />
lokale Strategien integriert werden:<br />
• Moskitonetze, <strong>die</strong> mit Insektiziden behandelt sind,<br />
an Menschen in Gebieten mit hohem Risiko zu verteilen<br />
und sicherzustellen, dass <strong>die</strong>se Netze jedes Jahr neu behandelt<br />
werden;<br />
• Gesundheitshelfer auf Gemeinde-Ebene darin auszubilden,<br />
Malaria zu diagnostizieren und zu behandeln,<br />
indem einfache Diagnose-Instrumente und abgepackte<br />
Behandlungssets zur Verfügung gestellt werden;<br />
• sicherzustellen, dass Säuglinge und schwangere<br />
Frauen präventiv behandelt werden, als Bestandteil von<br />
Routine-Immunisierungen und vorgeburtlicher Versorgung<br />
(wenngleich letztere ein funktionierendes Gesundheitssystem<br />
voraussetzt);<br />
• eine Kombination von Anti-Malariamitteln zur Verfügung<br />
zu stellen, um <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zu verringern,<br />
dass sich <strong>die</strong> Parasiten als resistent erweisen;<br />
• neue Methoden einzusetzen, um <strong>die</strong> Arbeit der Gesundheits<strong>die</strong>nste<br />
zu erleichtern, indem man <strong>die</strong> Bevölkerungsverteilung,<br />
<strong>die</strong> Gesundheitseinrichtungen und <strong>die</strong><br />
Transportnetze kartiert. Es stehen auch Instrumente zur<br />
Verfügung, um Malaria-Epidemien vorauszusagen – was<br />
dazu beiträgt, Kontrollmaßnahmen in epidemiegefährdeten<br />
Gebieten zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten und<br />
sie effektiver zu machen.<br />
• Es ist auch dringend erforderlich, <strong>die</strong> Forschung<br />
nach neuen Medikamenten und Impfstoffen auszuweiten,<br />
denn <strong>die</strong> Resistenz gegen <strong>die</strong> zurzeit eingesetzten<br />
Mittel untergräbt ihre Wirksamkeit. Kooperationen zwischen<br />
öffentlichen und privaten Trägern, wie zum Beispiel<br />
das Medicines for Malaria Venture, haben Wissenschaftler,<br />
finanzielle Mittel und Führungsfähigkeiten<br />
zusammengeführt, um <strong>die</strong> Entwicklung neuer Medikamente<br />
zu beschleunigen. Schließlich müssen <strong>die</strong> Kapazitäten<br />
der Gesundheitssysteme bedeutend erweitert<br />
werden, um sicherzustellen, dass existierende und neu<br />
aufkommende Behandlungsmethoden wirkungsvoll eingesetzt<br />
werden.<br />
Tuberkulose. Fünfzig Jahre nach der Einführung<br />
einer wirksamen Chemotherapie sterben noch immer<br />
fast zwei Millionen Menschen pro Jahr an Tuberkulose.<br />
Dies macht <strong>die</strong> Tuberkulose neben AIDS zu der Infektionskrankheit,<br />
an der weltweit <strong>die</strong> meisten Erwachsenen<br />
sterben, und sie fordert eine zunehmende Zahl von Todesopfern.<br />
Von 1997 bis 1999 stieg <strong>die</strong> Zahl der neuen<br />
Tuberkulose-Fälle von 8,0 auf 8,4 Millionen. Wenn <strong>die</strong>ser<br />
Trend anhält, wird <strong>die</strong> Tuberkulose bis <strong>über</strong> das Jahr<br />
2015 hinaus zu den Haupttodesursachen bei Erwachsenen<br />
zählen.<br />
Es ist jedoch möglich, <strong>die</strong>sen Trend umzukehren.<br />
Die im Jahr 2000 gegründete Partnerschaftsinitiative<br />
Stop TB hat bemerkenswerte Fortschritte bei der Formulierung<br />
eines Plans gemacht, <strong>die</strong> Ausbreitung der Tuberkulose<br />
zum Stillstand zu bringen. Dieser Plan umfas-<br />
Quelle: Millennium Project Task Force 5 <strong>2003</strong>a, S. 2; Millennium Project Task Force 4 <strong>2003</strong>; Weiss 2002; WHO <strong>2003</strong>; Forster-Rothbart et al. 2002.<br />
st auch den vollständigen finanziellen Bedarf, um <strong>die</strong> internationalen<br />
Zielvorgaben zu erreichen. In <strong>die</strong>sem Rahmen<br />
wird dazu aufgerufen, <strong>die</strong> Kurzzeitbehandlung unter<br />
Direktbeobachtung DOTS (directly observed therapy<br />
short-course) zu verbreiten, anzupassen und zu verbessern.<br />
DOTS ist ein bemerkenswert wirkungsvolles<br />
Programm, in dem <strong>die</strong> Gesundheitshelferinnen und<br />
–helfer während der Überwachung des Behandlungsablaufs<br />
ihren Patienten eng verbunden sind.<br />
Eine solche Therapie auszuweiten, erfordert <strong>die</strong><br />
Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Tuberkulose-<br />
Kontrollprogrammen sowie des Gesundheitssystems<br />
insgesamt, in viererlei Hinsicht:<br />
• Erhöhung der politischen Unterstützung für <strong>die</strong><br />
Ausweitung von DOTS.<br />
• Erhöhung der finanziellen Unterstützung für <strong>die</strong><br />
Ausweitung von DOTS.<br />
• Verbesserung der Kapazitäten der Gesundheitssysteme<br />
zur Ausweitung von DOTS.<br />
• Anhaltende Beschaffung von Nachschub an qualitativ<br />
hochwertiger Arzneimitteln zur Ausweitung von<br />
DOTS.<br />
Die Anpassung von DOTS, um mit dem Problem<br />
der Resistenz gegen Arzneimittel umzugehen, wird beinhalten,<br />
zu einer „DOTS plus“-Therapie zu gelangen –<br />
dem Grundstein beim Umgang mit Tuberkulose-Erregern,<br />
<strong>die</strong> gegen mehrere Arzneimittel resistent sind.<br />
DOTS plus erfordert <strong>die</strong> strenge Überwachung des Therapieplans.<br />
In der Russischen Föderation sind <strong>die</strong> Tuberkulosefälle<br />
von 1990 bis 1996 um <strong>über</strong> 300 Prozent<br />
angestiegen, und ein erheblicher Teil der Fälle erwies<br />
sich als arzneimittelresistent.. Es gibt einen dringenden<br />
Bedarf an klinischer, epidemiologischer und operationaler<br />
Forschung, um <strong>die</strong> wirksamsten Ansätze zur Umsetzung<br />
von DOTS plus herauszufinden.<br />
Durch <strong>die</strong> zunehmende Anzahl von Tuberkulosefällen,<br />
<strong>die</strong> mit HIV/AIDS in Zusammenhang stehen,<br />
entsteht ein enormer Druck auf <strong>die</strong> Kontrollprogramme<br />
gegen Tuberkulose – ein Druck, der durch den Mangel<br />
an ausgebildetem Gesundheitspersonal, durch zu wenig<br />
Labor-Ressourcen und fehlenden Nachschub an Arzneimitteln<br />
noch verschärft wird. Die Einführung gemeinsamer<br />
Programme gegen Tuberkulose und HIV/AIDS<br />
würde Überlappungen bei den beiden Epidemien<br />
berücksichtigen. Aber sie würde auch eine wesentliche<br />
Neugestaltung und eine größere Reichweite von Organisationen<br />
auf nationaler und kommunaler Ebene erfordern.<br />
Schließlich ließe sich DOTS auch verbessern, indem<br />
man in folgenden Bereichen <strong>die</strong> Forschungstätigkeiten<br />
ausweitet:<br />
• Neue Diagnose-Instrumente, um akute Tuberkulose-Fälle<br />
schneller, leichter und sicherer erkennen zu<br />
können;<br />
• bessere Arzneimittel zur Vereinfachung des Behandlungsablaufs<br />
und zur Verbesserung der Maßnahmen<br />
bei Resistenzen der Tuberkuloseerreger gegen<br />
mehrere Arzneimittel und bei latenten Infektionen;<br />
• einen besseren Impfstoff.<br />
Ein Schritt in Richtung einer Verbesserung von<br />
DOTS war <strong>die</strong> Gründung eines globalen Bündnisses für<br />
<strong>die</strong> Entwicklung von Arzneimitteln gegen Tuberkulose<br />
(Global Alliance for Tuberculosis Drug Development),<br />
<strong>die</strong> solche Forschungsvorhaben voranbringen<br />
soll.<br />
122 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
chende Mittel speziell für Frauen und Kinder.<br />
• Ineffizienz. Vertikale Programme für spezielle<br />
Krankheiten sind nicht in <strong>die</strong> allgemeinen<br />
Gesundheitssysteme integriert.<br />
Genau an <strong>die</strong>sem Punkt treten <strong>die</strong> Verbindungen<br />
zwischen Gesundheit, Bildung und<br />
Einkommen am klarsten zutage, denn es sind<br />
<strong>die</strong> Armen, <strong>die</strong> keinen Zugang zu Wasser und<br />
sanitärer Versorgung haben, <strong>die</strong> sich keine<br />
Medikamente leisten können und <strong>die</strong> nicht<br />
<strong>über</strong> HIV-Vorsorge und Familienplanung informiert<br />
werden.<br />
Frauen tragen dabei ein größeres Risiko<br />
als Männer. Weltweit sind etwa <strong>die</strong> Hälfte der<br />
von HIV/AIDS betroffenen Erwachsenen<br />
Frauen. Bei jungen Frauen ist der Anteil jedoch<br />
weit höher und wird sich wahrscheinlich<br />
noch verschlimmern. In vielen karibischen<br />
Ländern sind <strong>die</strong> Mehrheit der neuen HIV-Infizierten<br />
Frauen. Und in vielen afrikanischen<br />
Ländern sind von den 15-24Jährigen sechsmal<br />
mehr Frauen HIV-infiziert als Männer. 98<br />
Arme Frauen sind besonders anfällig für<br />
HIV - aufgrund ihres schlechten Ernährungszustands,<br />
ihrer begrenzten Bildung und ihrer<br />
eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt,<br />
und wegen ihres niedrigen sozialen Status<br />
und dem daraus resultierenden Unvermögen,<br />
sicheren Sex zu verlangen. Und wenn sie<br />
sich erst angesteckt haben, vermeiden Frauen<br />
eher, Hilfe in Anspruch zu nehmen beziehungsweise<br />
verschieben <strong>die</strong>s auf einen späteren<br />
Zeitpunkt aufgrund von geschlechtsbedingten<br />
Zwängen wie zum Beispiel häusliche<br />
Pflichten und Fahrt- und Behandlungskosten.<br />
Auch <strong>die</strong> Autonomie ist ein Problem: in Südasien<br />
entscheiden oft <strong>die</strong> Männer dar<strong>über</strong>, ob<br />
<strong>die</strong> Frauen sich einer medizinischen Behandlung<br />
unterziehen sollen. 99<br />
BEGRENZTE FINANZMITTEL –<br />
UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />
Jedes OECD-Land mit hohem Einkommen<br />
gibt mindestens 5 Prozent seines BIP für <strong>die</strong><br />
öffentliche Gesundheitsversorgung aus. Nur<br />
wenige Entwicklungsländer erreichen jedoch<br />
<strong>die</strong>sen Prozentsatz – und in den meisten ist es<br />
weniger als <strong>die</strong> Hälfte davon. (Costa Rica – ein<br />
Land ohne Militär, das in den Bereichen Gesundheit<br />
und Bildung gute Erfolge aufzuweisen<br />
hat – ist hier eine seltene Ausnahme.) In<br />
Ländern mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
lagen <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben im Jahr 2000<br />
bei 5.2 Prozent des BIP – während sie in Ländern<br />
mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
bei 2.7 Prozent lagen und in Ländern mit<br />
niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung bei 2.1<br />
Prozent. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf<br />
der Bevölkerung sind in den meisten Entwicklungsländern<br />
sehr niedrig: im Jahr 2000 lag<br />
der Durchschnitt bei 1.061 US-Dollar in Ländern<br />
mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung,<br />
194 US-Dollar in Ländern mit mittlerer<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung – und gerade einmal<br />
bei 38 US-Dollar in Ländern mit niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung (in Kaufkraftparitäten).<br />
100<br />
Die Kommission für Makroökonomie und<br />
Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation<br />
(World Health Organization – WHO)<br />
hat empfohlen, <strong>die</strong> Geberhilfe und <strong>die</strong> Eigenausgaben<br />
der jeweiligen Sataaten für Gesundheitssysteme<br />
in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />
erheblich zu erhöhen. Die Kommission<br />
geht davon aus, dass eine Erhöhung der<br />
Geberzuschüsse für Gesundheit auf 35 Millionen<br />
US-Dollar jährlich bis 2015 (von 5 Millionen<br />
im Jahr 2001) bei einer entsprechenden<br />
Investition in <strong>die</strong> hochprioritären Bereiche<br />
(Infektionskrankheiten, Mangelernährung,<br />
Schwangerschaftskomplikationen) zusammen<br />
mit höheren Gesundheitsausgaben in den jeweiligen<br />
Ländern 8 Millionen Menschenleben<br />
im Jahr retten könnte und einen wirtschaftlichen<br />
Zuwachs von 360 Milliarden US-Dollar<br />
bringen könnte.<br />
Die meisten Entwicklungsländer, <strong>die</strong> sich<br />
wirtschaftlichen Stabilisierungsprogrammen<br />
oder Anpassungsprogrammen unterwerfen,<br />
haben keine Möglichkeit, ihre Gesundheitsausgaben<br />
zu erhöhen, ohne <strong>die</strong> Einnahmen aus<br />
anderen Quellen zu erhöhen. Insbesondere<br />
hochverschuldete arme Länder haben keinen<br />
fiskalischen Spielraum, ihre Sozialausgaben zu<br />
erhöhen. Soziale Grund<strong>die</strong>nste machen jedoch<br />
nicht einmal <strong>die</strong> Hälfte der Staatsausgaben<br />
für Gesundheit und Bildung in solchen<br />
Ländern aus. 101 (Die Rolle des Privatsektors<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 123
GRAFIK 4.4<br />
Ein großer Teil der<br />
Entwicklungshilfe im<br />
Gesundheitsbereich geht in<br />
<strong>die</strong> Grundversorgung<br />
Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich von<br />
Mitgliedern des Entwicklungsausschusses<br />
der OECD<br />
Allgemeine Gesundheitsversorgung,<br />
Aus- und Fortbildung,<br />
22,7%<br />
Forschung, Politk und<br />
Verwaltung<br />
36,9%<br />
40,4%<br />
Gesundheitliche Grundversorgung,<br />
Infrastruktur und<br />
Kontrolle von Infektionskrankheiten<br />
Familienplanung, reproduktive<br />
Gesundheit, Bevölkerungspolitik<br />
und Verwaltung<br />
Quelle: OECD, Development Assistance<br />
Committee <strong>2003</strong>a.<br />
im Gesundheitswesen wird in Kapitel 5 beschrieben.)<br />
Was können Regierungen angesichts<br />
schwerwiegender Haushaltsbeschränkungen<br />
tun? Eine Quelle für zusätzliche Mittel ist <strong>die</strong><br />
öffentliche Entwicklungshilfe, und für das Gesundheitswesen<br />
sind <strong>die</strong> Entwicklungshilfeleistungen<br />
gestiegen – mit Zusagen von durchschnittlich<br />
3,6 Milliarden US-Dollar in den<br />
Jahren 1999–2001, gegen<strong>über</strong> 3,3 Milliarden<br />
in den Jahren 1996–98. Dennoch macht <strong>die</strong><br />
Entwicklungshilfe für Gesundheit ganze 0,01<br />
US-Dollar pro 100 US-Dollar BIP der Entwicklungshilfe<br />
leistenden Geberländer aus –<br />
zuwenig, um auch nur <strong>die</strong> gesundheitlichen<br />
Grundbedürfnisse der Entwicklungsländer<br />
abdecken zu können.<br />
In den Jahren 1996–98 stellten multilaterale<br />
Institutionen durchschnittlich 872 Millionen<br />
US-Dollar jährlich an Entwicklungshilfe<br />
im Zusammenhang mit Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />
bereit, in den Jahren 1999–2001 ging <strong>die</strong>ser<br />
Betrag jedoch auf 673 Millionen US-Dollar<br />
jährlich zurück. 102 Zusagen für gesundheitliche<br />
Grundversorgung lagen in den Jahren<br />
1996–98 jedoch bei 264 Millionen US-Dollar<br />
jährlich und blieben in den Jahren 1999–2001<br />
weitgehend auf demselben Niveau (249 Millionen<br />
US-Dollar jährlich).<br />
Ende der 1990er Jahre gingen 37 Prozent<br />
der Hilfe im Gesundheitsbereich von Mitgliedsländern<br />
des OECD-Entwicklungshilfeausschusses<br />
in <strong>die</strong> Grundversorgung, 23<br />
Prozent in <strong>die</strong> allgemeine Gesundheitsversorgung<br />
und der Rest in <strong>die</strong> reproduktive Gesundheitsvorsorge<br />
(siehe Grafik 4.4). Dementsprechend<br />
konzentriert sich im Gegensatz<br />
zum Bildungsbereich <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
für Gesundheit auf Grund<strong>die</strong>nste – gut für <strong>die</strong><br />
Ziele. In den 1990er Jahren stieg <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
für reproduktive Gesundheit von<br />
572 Millionen US-Dollar auf 897 Millionen<br />
US-Dollar jährlich. 103<br />
UNGLEICHHEIT – UND WASMAN<br />
DAGEGEN TUN KANN<br />
Wie sollten gering ausgestattete Gesundheitsbudgets<br />
zwischen Dienstleistungen und Nutzern<br />
aufgeteilt werden? Das ist <strong>die</strong> zentrale<br />
Frage für <strong>die</strong> Gerechtigkeit, denn <strong>die</strong> armen<br />
Menschen sind derzeit <strong>die</strong> Verlierer. Eine<br />
kürzlich in den Entwicklungsländern durchgeführte<br />
Untersuchung kam zu dem Schluss,<br />
dass in jedem Fall <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der<br />
Bevölkerung von weniger als 20 Prozent der<br />
Ausgaben für öffentliche Gesundheit profitieren.<br />
Sie bekommen auch weniger als <strong>die</strong> reichsten<br />
20 Prozent (zu denen in vielen Ländern<br />
auch ein großer Teil der Mittelklasse zählt). 104<br />
Die Ausgaben für <strong>die</strong> medizinische<br />
Grundversorgung sind jedoch gerechter verteilt<br />
als <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben insgesamt.<br />
In einigen Ländern nutzen arme Menschen<br />
<strong>die</strong> grundlegenden Gesundheits<strong>die</strong>nste in wesentlich<br />
größerem Ausmaß. In Kenia werden<br />
22 Prozent der Ausgaben der Regierung für<br />
<strong>die</strong> medizinische Grundversorgung für <strong>die</strong><br />
ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung ausgegeben,<br />
im Vergleich zu 14 Prozent der Gesundheitsausgaben<br />
insgesamt. In Chile – einem<br />
Land mit einem hohen Gesundheitsstandard –<br />
gehen 30 Prozent der Ausgaben für <strong>die</strong> medizinische<br />
Grundversorgung an <strong>die</strong> ärmsten 20<br />
Prozent. Und in Costa Rica, einem weiteren<br />
Land mit hohem Standard, erhalten <strong>die</strong> ärmsten<br />
20 Prozent der Bevölkerung 43 Prozent.<br />
105 Wenn also <strong>die</strong> arme Bevölkerung profitieren<br />
soll, müssen mehr Mittel in <strong>die</strong> medizinische<br />
Grundversorgung fließen.<br />
Eine gerechtere Ausgabenverteilung spiegelt<br />
sich stark bei den gesundheitlichen Resultaten<br />
wieder. In Ländern, in denen weniger als<br />
70 von 1.000 Kindern vor Vollendung ihres<br />
fünften Lebensjahres sterben, erhalten <strong>die</strong><br />
ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung mehr als<br />
25 Prozent der öffentlichen Ausgaben für <strong>die</strong><br />
medizinische Grundversorgung – während in<br />
Ländern mit Kindersterblichkeitsraten <strong>über</strong><br />
140 <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent weniger als 15<br />
Prozent erhalten. Außerdem liegt in Ländern<br />
mit hohen Kindersterblichkeitsraten <strong>die</strong> Krankenhausnutzer-Rate<br />
bei den ärmsten 20 Prozent<br />
der Bevölkerung bei weniger als 10 Prozent<br />
- bei den reichsten 20 Prozent liegt sie bei<br />
etwa 40 Prozent. 106<br />
Wenn nur begrenzte Mittel zur Verfügung<br />
stehen, müssen weniger entwickelte ländliche<br />
Gebiete <strong>die</strong> größten Kürzungen beim medizinischen<br />
Personal hinnehmen. Außerdem sind<br />
124 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
normalerweise Bemühungen, medizinisches<br />
Personal in unterversorgten Gebieten einzusetzen,<br />
nicht sonderlich erfolgreich. In Kambodscha<br />
leben 85 Prozent der Bevölkerung in<br />
ländlichen Gebieten, nur 13 Prozent des Gesundheitspersonals<br />
der Regierung sind jedoch<br />
dort angesiedelt. In Angola leben 65 Prozent<br />
der Bevölkerung auf dem Land und nur 15<br />
Prozent des medizinischen Personals der Regierung<br />
arbeiten in <strong>die</strong>sen Gegenden. 107 In<br />
Nepal sind auf dem Land nur 20 Prozent der<br />
Arztposten besetzt, im Vergleich zu 96 Prozent<br />
in den Städten. 108<br />
Verschiedene Maßnahmen können ergriffen<br />
werden, um das Ungleichgewicht bei der<br />
gesundheitlichen Versorgung zu beheben:<br />
• Die Anzahl der Krankenschwestern,<br />
Krankenpfleger und des Gesundheitspersonals<br />
auf kommunaler Ebene muss erhöht<br />
werden. Krankenschwestern, ausgebildete<br />
Geburtshelfer und kommunales Gesundheitspersonal<br />
sind <strong>die</strong> Gliedmaßen des Gesundheitssystems,<br />
weil durch sie <strong>die</strong> Breitenwirkung<br />
ermöglicht wird, <strong>die</strong> für erfolgreiche<br />
Dienstleistungen im reproduktiven Gesundheitsbereich<br />
entscheidend ist. So kommen beispielsweise<br />
in Ländern mit guten Erfolgen – in<br />
denen <strong>die</strong> Lebenserwartung hoch ist und <strong>die</strong><br />
Sterblichkeitsraten bei Unter-Fünfjährigen im<br />
Vergleich zum Durchschnitt in den Entwicklungsländern<br />
niedrig sind – in der Regel mehr<br />
Krankenschwestern auf einen Arzt. Dies zeigt<br />
der Vergleich von Simbabwe (9,5 Krankenschwestern<br />
pro Arzt im Jahr 1990) und Thailand<br />
(4 im Jahr 1990) mit In<strong>die</strong>n (1,5 in den<br />
späten 1980er Jahren) und Bangladesch (1 im<br />
Jahr 1990). Neuere Daten bestätigen <strong>die</strong>se Beobachtung.<br />
109<br />
• Dienstverträge müssen abgeschlossen<br />
werden, damit das medizinische Personal<br />
eine bestimmte Anzahl von Jahren im öffentlichen<br />
Dienst bleibt. Solche Verträge,<br />
<strong>die</strong> in Lateinamerika üblich sind, wurden inzwischen<br />
auch auf den Philippinen und in<br />
Tansania eingeführt. In den siebziger Jahren<br />
verlangte Malaysia, ein weiteres Land mit guten<br />
Erfolgen, von allen Ärzten mit einem medizinischen<br />
Abschluss, dass sie drei Jahre lang<br />
im Gesundheits<strong>die</strong>nst der Regierung arbeiteten<br />
– wodurch <strong>die</strong> Regierung Ärzte in ländli-<br />
che Gebiete schicken konnte, <strong>die</strong> sie bisher<br />
gemieden hatten. Außerdem wurde durch<br />
politische Maßnahmen sichergestellt, dass <strong>die</strong><br />
ärmsten Bevölkerungsgruppen einen größeren<br />
Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben<br />
erhielten als <strong>die</strong> Mittel- und Oberschichten.<br />
110<br />
• Die Geberländer müssen Unterstützung<br />
bei den ständigen Ausgaben leisten. Die<br />
Weltgesundheitsorganisation hat ein Paket<br />
grundlegender Gesundheits<strong>die</strong>nstleistungen<br />
für <strong>die</strong> Entwicklungsländer empfohlen, das<br />
das öffentliche Gesundheitswesen und <strong>die</strong> stationäre<br />
Behandlung in Krankenhäusern mit<br />
einschließt. Dieses Paket kann jedoch nur mit<br />
mehr Personal angeboten werden, weshalb <strong>die</strong><br />
Geberländer einen Teil der ständigen Personalkosten<br />
<strong>über</strong>nehmen sollten.<br />
INEFFIZIENZ – UND WASMAN<br />
DAGEGEN TUN KANN<br />
Wenn <strong>die</strong> Leistungen der Gesundheitssysteme<br />
nicht verbessert werden, könnten sämtliche<br />
zusätzlichen Mittel sich als Verschwendung<br />
erweisen.<br />
SICH AUF DIE WICHTIGSTEN<br />
MASSNAHMEN KONZENTRIEREN<br />
Regierungen, denen es an Geld fehlte, haben<br />
bisher versucht, <strong>die</strong> Gesundheitsvorsorge zu<br />
rationalisieren, indem sie <strong>die</strong> Budgets insgesamt<br />
eingeschränkt haben – und nicht, indem<br />
sie Mittel für spezielle Krankheiten bereitgestellt<br />
haben. Ein anderer Ansatz wäre, <strong>die</strong> Mittel<br />
auf Grundlage der wichtigsten Maßnahmen<br />
zu rationalisieren. In Mexiko hat man<br />
<strong>die</strong>sen Ansatz gewählt, und in Bangladesch,<br />
Kolumbien und Sambia hat man gerade damit<br />
begonnen. 111<br />
EINEN INTEGRIERTEN ANSATZWÄHLEN<br />
Mit den Pocken- und Malaria-Ausrottungskampagnen<br />
der sechziger Jahre begann ein<br />
Trend zu von den Geberländern vorangetriebenen,<br />
krankheitsspezifischen vertikalen Programmen,<br />
<strong>die</strong> den Gesundheitssystemen der<br />
Entwicklungsländer aufgezwungen wurden.<br />
Seit den 1980er Jahren – als unzählige Strukturanpassungsprogramme<br />
aufgelegt wurden,<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 125
und insbesondere seit der Kampagne von<br />
Weltgesundheitsorganisation und UNICEF<br />
(United Nations Children’s Fund)zur Förderung<br />
der weltweiten Impfung von Kindern<br />
(1985-90) – haben <strong>die</strong> Geber das Gewicht<br />
noch mehr auf solche Bemühungen verlagert.<br />
Und seit dem verstärkten Auftreten von Tuberkulose,<br />
Malaria und HIV/AIDS ist <strong>die</strong>ser<br />
Trend noch weiter verstärkt worden.<br />
Solche Programme bergen Risiken. Auf<br />
<strong>die</strong>sen Gebieten werden Mittel auf Kosten des<br />
allgemeinen Gesundheitssystems konzentriert.<br />
Das kann dazu führen, dass Bemühungen zur<br />
öffentlichen Gesundheitsvorsorge außerhalb<br />
solcher vertikaler Strukturen zum Scheitern<br />
verurteilt sind. Und sogar vertikale Programme,<br />
deren Aufrechterhaltung teuer ist, können<br />
bedroht sein, wenn <strong>die</strong> Finanzierung durch <strong>die</strong><br />
Geber eingestellt wird. Vertikale Programme<br />
sind wahrscheinlich nur bezahlbar und sinnvoll<br />
bei Krankheiten, bei denen <strong>die</strong> berechtigte<br />
Hoffnung besteht, dass sie in absehbarer Zeit<br />
ausgerottet werden können.<br />
Krankheitsspezifische Programme sollten<br />
in <strong>die</strong> allgemeinen Strukturen des Gesund-<br />
KASTEN 4.8<br />
Integration vertikaler Programme in funktionierende<br />
Gesundheitssysteme<br />
Wo krankheitsspezifische Programme in<br />
eine funktionierende Struktur des Gesundheitswesens<br />
integriert werden, ist –<br />
wie das indische Tuberkulose-Programm<br />
zeigt, – <strong>die</strong> Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
hoch. Über 200.000 Gesundheitshelfer<br />
wurden ausgebildet. Rund 436 Millionen<br />
Menschen (mehr als 40 Prozent der Bevölkerung)<br />
haben Zugang zu Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />
und 200.000 Menschen konnte<br />
das Leben gerettet werden, was indirekte<br />
Einsparungen von <strong>über</strong> 400 Millionen US-<br />
Dollar bedeutet – mehr als das achtfache<br />
der Kosten für <strong>die</strong> Umsetzung des Programms.<br />
Beim Einsatz der Kurzzeitbehandlung<br />
unter Direktbeobachtung DOTS (directly<br />
observed therapy short-course) nutzt In<strong>die</strong>n<br />
für sein Programm <strong>die</strong> existierenden<br />
Strukturen im Gesundheitswesen, ergänzt<br />
aber <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Rahmen durchgeführten<br />
Maßnahmen durch zusätzliche Ressourcen<br />
und Medikamente und durch zusätzliches<br />
Personal. Diagnose und Be-<br />
Quelle: Khatri und Frieden 2002, S. 1420–25.<br />
handlung sind für <strong>die</strong> Patienten kostenfrei.<br />
Wenn <strong>die</strong> Entscheidung getroffen wurde,<br />
in einem Distrikt ein Programm gegen Tuberkulose<br />
einzuführen, gründet <strong>die</strong> Gesundheitsbehörde<br />
eine Gesellschaft, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Mitarbeiter einer Tuberkulose-Einheit<br />
einstellt, welche 500.000 Menschen versorgt.<br />
Die Zentralregierung bildet <strong>die</strong> Ärzte<br />
aus und stellt <strong>die</strong> Labortechniker ein.<br />
Strategie, Arzneimittel und Mikroskope<br />
liefert <strong>die</strong> Zentralregierung, mit finanzieller<br />
Hilfe der Weltbank und bilateraler Geber.<br />
Es gibt mehrere Ebenen der Unterstützung,<br />
der Überwachung und Kontrolle.<br />
Mitarbeiter der Regierung und der<br />
Weltgesundheitsorganisation (WHO) machen<br />
Besuche vor Ort. Von der WHO angestellte<br />
Berater mit Mobiltelefon und Internet-Zugang<br />
unterstützen <strong>die</strong> Tuberkulose-Einheiten.<br />
Die Regierung erstattet<br />
vierteljährlich detaillierte Rückmeldungen<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Leistungen jedes Bundesstaates<br />
und jedes Distrikts.<br />
heitswesens integriert werden, wie das erfolgreiche<br />
Tuberkulose-Programm in In<strong>die</strong>n zeigt<br />
(siehe Kasten 4.8). Auch bei den Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />
für Mütter und Kinder wird der Ruf<br />
nach Integration laut: in vielen Ländern wurde<br />
in der grundlegenden Gesundheitsversorgung<br />
der Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Familienplanung gelegt,<br />
wodurch <strong>die</strong>se anderen Dienstleistungen<br />
ausgeschlossen wurden. Damit weitere Fälle<br />
von Müttersterblichkeit vermieden werden<br />
können, muss <strong>die</strong> Versorgung während der<br />
Schwangerschaft und insbesondere während<br />
der Entbindung mit verlässlichen Systemen<br />
gekoppelt werden, <strong>die</strong> eine qualifizierte Behandlung<br />
bei Entbindungs-Notfällen gewährleisten.<br />
DIE WICHTIGSTEN MEDIKAMENTE MÜSSEN<br />
IN DEN KRANKENHÄUSERN ANGEBOTEN<br />
WERDEN, DAMIT DIE PATIENTEN DORTHIN<br />
GEHEN<br />
Eine äußerst unangemessene Versorgung mit<br />
Medikamenten ist eine Grund dafür, dass öffentliche<br />
Gesundheitssysteme nicht mehr<br />
funktionsfähig sind. Wenn Patienten keine<br />
Medikamente für Therapien bekommen, gibt<br />
es für sie kaum einen Anreiz, öffentliche Gesundheitsvorsorge<br />
in Anspruch zu nehmen.<br />
Dadurch lässt <strong>die</strong> Nachfrage nach medizinischen<br />
Dienstleistungen nach, und ausgebildetes<br />
medizinisches Personal und Krankenpfleger<br />
erscheinen nicht mehr zur Arbeit.<br />
In In<strong>die</strong>n funktionieren <strong>die</strong> Gesundheitseinrichtungen<br />
in vier südlichen Bundesstaaten<br />
– Andhra Pradesh, Karnataka, Kerala, Tamil<br />
Nadu – besser, weil im Rahmen des medizinischen<br />
Grundversorgungs-Netzwerks auch<br />
Medikamente ausgegeben werden, wodurch<br />
<strong>die</strong> Patienten einen Grund haben, <strong>die</strong> Einrichtungen<br />
zu besuchen. In anderen Ländern<br />
könnte <strong>die</strong> Ausgabe wichtiger Medikamente<br />
durch dezentralisierte Einrichtungen dazu<br />
beitragen, <strong>die</strong> medizinischen Grundversorgungssysteme<br />
wiederzubeleben. Wenn auch<br />
Behandlungsmöglichkeiten angeboten würden,<br />
würde dadurch das Netz der Vorsorge<strong>die</strong>nste<br />
ebenfalls erweitert.<br />
In Ländern mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
hat fast <strong>die</strong> gesamte Bevölkerung<br />
126 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 4.9<br />
Unentbehrliche Arzneimittel für alle garantieren – Erfolge in Bhutan<br />
Bhutan, ein kleines Königreich in Asien ohne Zugang<br />
zum Meer, zeigt, wie durch eine kohärente nationale<br />
Arzneimittelpolitik — unterstützt durch gemeinschaftliche<br />
internationale Hilfe — bei der Bereitstellung<br />
unentbehrlicher Arzneimittel beeindruckende<br />
Ergebnisse erzielt werden können. Bis<br />
1986 war das Arzneimittelangebot im öffentlichen<br />
Gesundheitswesen in Bhutan chaotisch: mangelnde<br />
Verfügbarkeit, unberechenbare Qualität, irrationale<br />
Verordnungen und hohe Kosten. Dann begann das<br />
Land mit einem Programm zur Bereitstellung unentbehrlicher<br />
Arzneimittel (essential drugs programme),<br />
mit umfassender technischer und finanzieller<br />
Hilfe der Weltgesundheitsorganisation und aus<br />
Geberländern. Im Jahr 1987 wurden eine umfassende<br />
nationale Arzneimittelstrategie und <strong>die</strong> zur Umsetzung<br />
nötige Gesetzgebung verabschiedet. Zu den<br />
Schlüsselkomponenten des Programms gehören:<br />
• Nationale Beschaffungs- und Verteilungseinrichtungen;<br />
• Qualitätssicherung durch sorgfältige Auswahl<br />
der Lieferanten und durch Produkttests;<br />
• rationalere Verordnungen durch <strong>die</strong> Entwicklung<br />
von Richtlinien zur Standardbehandlung und<br />
bessere Ausbildung und Kontrolle von Fachleuten<br />
im Pharma-Bereich;<br />
Quelle: Stapleton 2000, S. 2.<br />
Zugang zu den wichtigsten Medikamenten.<br />
In Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
gibt es eine große Bandbreite: in<br />
China haben 80-94 Prozent der Bevölkerung<br />
Zugang (je nach Region), in In<strong>die</strong>n 0-49 Prozent.<br />
In den meisten Ländern mit niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung ist der Zugang gering<br />
(definiert durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />
als Wert von 50-79 Prozent).<br />
Bhutan ist zwar ein Land mit niedriger<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, hat es jedoch geschafft,<br />
80-94 Prozent seiner Bevölkerung mit<br />
den wichtigsten Medikamenten zu versorgen<br />
(siehe Kasten 4.9).<br />
• Abfallreduktion und Effizienzerhöhung durch<br />
Workshops für Lagerverwalter zur ordnungsgemäßen<br />
Lagerung und Verwaltung von Arzneimitteln;<br />
• kostenfreie staatliche Bereitstellung unentbehrlicher<br />
Arzneimittel und Impfstoffe.<br />
Seit 1993 wird das Programm von bhutanischem<br />
Personal durchgeführt, mit minimaler Hilfe internationaler<br />
Experten. Zu den Ergebnissen zählen:<br />
• der Zugang zu qualitativ hochwertigen unentbehrlichen<br />
Arzneimitteln für mehr als 90 Prozent<br />
der Bevölkerung, wobei 90 Prozent der wichtigsten<br />
unentbehrlichen Arzneimittel erhältlich sind;<br />
• ein Rückgang der Fehlerquote in der buchhalterischen<br />
Erfassung der Verordnungen, von 76 Prozent<br />
im Jahr 1989 auf 14 Prozent im Jahr 1997;<br />
• weniger Abfall: nur 0,75 Prozent des Arzneimittel-Budget<br />
werden für Medikamente ausgegeben,<br />
deren Verfallsdatum erreicht ist, bevor sie verwendet<br />
werden;<br />
• sehr viel niedrigere Preise, <strong>die</strong> durch das Programm<br />
zur Bereitstellung unentbehrlicher Arzneimittel<br />
bezahlt werden. Über <strong>die</strong>ses Programm werden<br />
85 bis 90 Prozent aller Arzneimittel beschafft.<br />
Die Preise sind auf rund <strong>die</strong> Hälfte der durchschnittlichen<br />
internationalen Preise gesunken.<br />
Viele Länder mit niedrigem Einkommen<br />
werden zinsvergünstigte Finanzierung von<br />
den Geberländern benötigen, damit sie <strong>die</strong><br />
Bevölkerung mit den wichtigsten Medikamenten<br />
versorgen können. In Ländern mit guten<br />
Erfolgen werden <strong>die</strong> wichtigsten Medikamente<br />
in öffentlichen Gesundheitszentren ausgegeben<br />
– wodurch <strong>die</strong> lokale Nachfrage nach<br />
anderen Dienstleistungen <strong>die</strong>ser Zentren gefördert<br />
wird. Durch ein gesteigertes Interesse<br />
der Nutznießer am öffentlichen Gesundheitssystem<br />
wird auch <strong>die</strong> Kontrolle des öffentlichen<br />
Gesundheitspersonals durch eine Überprüfung<br />
seitens der Kommunen verbessert.<br />
WIE KÖNNEN DIE ZIELE IM BEREICH WASSER UND SANITÄRE VERSORGUNG<br />
ERREICHT WERDEN?<br />
Zugang zu sauberem Wasser und angemessener<br />
sanitärer Versorgung ist entscheidend zum<br />
Überleben. Wasser ist für <strong>die</strong> Umwelt, <strong>die</strong><br />
Ernährungssicherheit und eine nachhaltige<br />
Entwicklung von entscheidender Bedeutung.<br />
Und eine angemessene sanitäre Versorgung<br />
kann ebenfalls <strong>über</strong> Leben und Tod entscheiden.<br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele und<br />
Zielvorgaben<br />
Ziel 7: Sicherung der ökologischenNachhaltigkeit<br />
Zielvorgabe 9: Die<br />
Grundsätze der<br />
nachhaltigen<br />
Entwicklung in<br />
einzelstaatliche Politiken<br />
und Programme<br />
einbauen und den<br />
Verlust von<br />
Umweltressourcen<br />
umkehren<br />
Zielvorgabe 10: Bis 2015<br />
den Anteil der Menschen<br />
um <strong>die</strong> Hälfte senken,<br />
<strong>die</strong> keinen nachhaltigen<br />
Zugang zu sauberem<br />
Trinkwasser haben<br />
Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />
eine erhebliche<br />
Verbesserung der<br />
Lebensbedingungen von<br />
mindestens 100<br />
Millionen<br />
Slumbewohnern<br />
herbeiführen<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 127
GRAFIK 4.5<br />
In vielen städtischen<br />
Haushalten fehlt es an<br />
Trinkwasser und<br />
Sanitärversorgung<br />
Anteil städtischer Haushalte<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Wasseranschluss<br />
im Haus oder Hof<br />
Anschluss an<br />
<strong>die</strong> Abwasserkanalisation<br />
Afrika<br />
Asien<br />
Lateinamerika und<br />
<strong>die</strong> Karibik<br />
Ozeanien<br />
Fehlender<br />
Zugang<br />
Quelle: WHO, UNICEF und WSSCC 2000.<br />
DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />
Im Jahr 2000 hatten mindestens 1,1 Milliarde<br />
Menschen weltweit – etwa einer von fünf<br />
Menschen – keinen Zugang zu sauberem Wasser.<br />
112 Zweimal so viele (2,4 Milliarden Menschen)<br />
hatten keinen Zugang zu einer verbesserten<br />
sanitären Versorgung. 113 In Asien leben<br />
65 Prozent der Menschen, <strong>die</strong> keinen Zugang<br />
zu sauberem Wasser hat, und in Afrika 28<br />
Prozent. Bei der sanitären Versorgung sind es<br />
in Asien 80 Prozent der unversorgten Bevölkerung<br />
und in Afrika 13 Prozent. 114<br />
In den 1990er Jahren gab es einige positive<br />
Entwicklungen: etwa 438 Millionen Menschen<br />
in den Entwicklungsländern bekamen Zugang<br />
zu sauberem Wasser und etwa 542 Millionen in<br />
städtischen Gebieten erhielten Zugang zu einer<br />
angemessenen sanitären Versorgung. 115 Durch<br />
das rasche Bevölkerungswachstum stieg <strong>die</strong> Anzahl<br />
der Stadtbewohner ohne Zugang zu sauberem<br />
Wasser jedoch um fast 62 Millionen. 116<br />
In den größeren europäischen und nordamerikanischen<br />
Städten sind mehr als 90 Prozent<br />
der Haushalte an Wasserleitungen und<br />
Abwassersysteme angeschlossen. Im Rest der<br />
Welt ist <strong>die</strong> Situation jedoch völlig anders.<br />
Wenn man unter angemessener sanitärer Versorgung<br />
eine Toilette versteht, <strong>die</strong> an eine Abwasserleitung<br />
angeschlossen ist, dann herrscht<br />
<strong>über</strong>all in den Entwicklungsländern starker<br />
Mangel an angemessener sanitärer Versorgung<br />
– sogar in den großen Städten. Und das<br />
sanitäre Versorgungsnetz ist in jeder Region<br />
noch viel schlechter als das Wasserversorgungsnetz<br />
(siehe Grafik 4.5).<br />
In den 1990er Jahren war <strong>die</strong> Anzahl der<br />
Kinder, <strong>die</strong> an Durchfallerkrankungen starben<br />
– ein Ergebnis unsauberen Wassers und<br />
fehlender sanitärer Einrichtungen – größer als<br />
<strong>die</strong> Zahl der Menschen, <strong>die</strong> seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg bei bewaffneten Konflikten starben.<br />
117 Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> Hälfte der<br />
Krankenhausbetten weltweit mit Patienten<br />
belegt ist, <strong>die</strong> an Krankheiten leiden, <strong>die</strong><br />
durch Wasser <strong>über</strong>tragen werden. Das bedeutet,<br />
dass teuere medizinische Dienstleistungen<br />
zur Behandlung von Krankheiten in Anspruch<br />
genommen werden, <strong>die</strong> leicht hätten verhindert<br />
werden können.<br />
In Südasien haben nur 37 Prozent der Bevölkerung<br />
Zugang zu angemessener sanitärer<br />
Versorgung. Etwa 1,4 Millionen Menschen in<br />
der Region verrichten ihre Notdurft immer<br />
noch irgendwo in der Landschaft oder benutzen<br />
unhygienische Eimer-Latrinen. 118 In Afrika<br />
südlich der Sahara ist sauberes Wasser das<br />
dringlichste Problem, da dar<strong>über</strong> nur 57 Prozent<br />
der Bevölkerung verfügen 119 – ein Durchschnittswert,<br />
hinter dem sich noch eine große<br />
Kluft zwischen städtischen und ländlichen<br />
Gebieten verbirgt. 120<br />
Arme Menschen auf dem Land leiden stärker<br />
darunter, wenn sie kein sauberes Wasser<br />
haben, denn sie sind in der Regel von den Ressourcen<br />
Boden und Wasser abhängig, um<br />
ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die arme<br />
Stadtbevölkerung leidet stärker unter einer<br />
unangemessenen sanitären Versorgung, <strong>die</strong><br />
sich durch <strong>die</strong> <strong>über</strong>völkerten Städte noch<br />
schlimmer auswirkt.<br />
Wie bei den anderen Millenniums-Entwicklungszielen<br />
muss auch bei der Verbesserung<br />
des Zugangs zu sauberem Wasser und<br />
sanitärer Versorgung mehr Augenmerk auf<br />
<strong>die</strong> Ungleichheit der Geschlechter gerichtet<br />
werden. Afrikanische Frauen und Mädchen<br />
verbringen drei Stunden täglich mit Wasserholen<br />
und verbrauchen dabei mehr als ein<br />
Drittel ihrer Kalorienaufnahme. Solche Haushaltspflichten<br />
hindern viele Mädchen am<br />
Schulbesuch – und wenn sie doch eine Schule<br />
besuchen, untergräbt ihr Energieverbrauch<br />
für das Erledigen haushaltlicher Pflichten<br />
sehr stark ihre schulischen Leistungen. Hinzu<br />
kommt, dass, wenn andere Familienmitglieder<br />
krank werden, oft aufgrund von Krankheiten,<br />
<strong>die</strong> in Zusammenhang mit Wasser- oder fehlender<br />
sanitärer Versorgung stehen, <strong>die</strong><br />
Mädchen viel eher zu Hause bleiben müssen,<br />
um für sie zu sorgen. Und wenn in den Schulen<br />
Wasser benötigt wird, werden <strong>die</strong><br />
Mädchen geschickt, um es zu holen, und sie<br />
haben dann weniger Zeit zum Lernen und<br />
Spielen.<br />
Die politischen Prioritäten für das Erreichen<br />
der Ziele im Bereich Wasser und sanitäre<br />
Versorgung sind folgende:<br />
• Mehr finanzielle Mittel. Preisgünstige<br />
Technologien zur Verbesserung des Zugangs<br />
128 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
zu sauberem Wasser und sanitärer Versorgung<br />
für Haushalte und Kommunen sind<br />
durchaus verfügbar. Angesichts der knappen<br />
Kassen der Regierungen ist <strong>die</strong> Installierung<br />
und Wartung einer Abwasserentsorgungs-Infrastruktur<br />
jedoch extrem teuer.<br />
• Gerechtere Verteilung. Die arme Bevölkerung<br />
kann sich <strong>die</strong> Kosten für Wasser und<br />
sanitäre Versorgung oft nicht leisten, weil <strong>die</strong><br />
reicheren Nutzer nicht genug bezahlen. Und<br />
in armen Haushalten leiden Mädchen und<br />
Frauen stärker unter einem erschwerten Zugang<br />
zu Wasser und sanitärer Versorgung.<br />
• Verbesserte, angemessene Wartung. Zu<br />
oft werden Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssysteme<br />
von den Regierungen<br />
schlecht gewartet und entsprechen nicht den<br />
örtlichen Erfordernissen.<br />
• Begrenzung der Umweltschäden. Für<br />
eine nachhaltige Wasserversorgung ist eine rationelle<br />
Wassernutzung erforderlich – insbesondere<br />
in der Landwirtschaft.<br />
ANGEMESSENE TECHNOLOGIEN<br />
FÜR EINE EFFIZIENTE NUTZUNG<br />
Bei der Wasserversorgung umfassen Technologien<br />
auf niedrigem technischen und kostengünstigen<br />
Niveau Haushalts-Anschlüsse, öffentliche<br />
Steigrohre, Bohrlöcher, Regenwassersammel-Becken<br />
und geschützte Quellen<br />
und Brunnen. Diese Technologien sind bei<br />
weitem besser als alternative Lösungen wie<br />
zum Beispiel in Flaschen abgefülltes Wasser,<br />
Wasserversorgung <strong>über</strong> Tanklastzüge und ungeschützte<br />
Quellen und Brunnen. Einige <strong>die</strong>ser<br />
Alternativen sind unhygienisch, während<br />
andere ungeeignet sind, weil sie nicht in ausreichenden<br />
Mengen gewährleistet werden<br />
können.<br />
Bei der sanitären Versorgung ist es dringend<br />
erforderlich, Technologien anzubieten,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen auch benutzen wollen,<br />
denn Entscheidungen <strong>über</strong> sanitäre Einrichtungen<br />
werden auf Haushaltsebene getroffen.<br />
Man muss <strong>die</strong> Haushalte nicht von den Vorzügen<br />
eines Brunnens oder einer Steigleitung<br />
<strong>über</strong>zeugen. Es ist aber eventuell erforderlich,<br />
sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> Vorzüge direkt verfügbarer<br />
sanitärer Einrichtungen zu informieren und<br />
KASTEN 4.10<br />
In In<strong>die</strong>n geschieht ein großer Teil der Defäkation<br />
noch immer im Freien. Doch <strong>die</strong><br />
Pionierarbeit der Nichtregierungsorganisation<br />
Sulabh International hat gezeigt,<br />
dass <strong>menschliche</strong> Fäkalien auf erschwingliche<br />
und gesellschaftlich akzeptable Weise<br />
entsorgt werden können. Der Ansatz von<br />
Sulabh basiert auf Partnerschaften mit<br />
Kommunalverwaltungen, unterstützt<br />
durch <strong>die</strong> Beteiligung der Gemeinschaften.<br />
Die Umweltqualität in ländlichen und<br />
städtischen Slums, <strong>die</strong> von Armen bewohnt<br />
werden, hat sich dadurch wesentlich<br />
verbessert.<br />
Die von Sulabh angebotene Lösung<br />
ist eine kostengünstige Toilette mit Wassereimerspülung,<br />
Geruchsverschluss und<br />
Sickergruben zur Entsorgung <strong>menschliche</strong>r<br />
Fäkalien vor Ort. Die Technologie ist<br />
für <strong>die</strong> Armen erschwinglich, denn es gibt<br />
Designs für verschiedene Einkommensniveaus.<br />
Die Spülung erfordert nur zwei<br />
Liter Wasser, im Vergleich zu den zehn<br />
Litern, <strong>die</strong> andere Toiletten verbrauchen.<br />
Außerdem ist das System nie außer Betrieb,<br />
denn es gibt zwei Sickergruben, so<br />
dass eine immer benutzt werden kann,<br />
während <strong>die</strong> andere gereinigt wird. Die<br />
Latrine kann mit vor Ort verfügbaren Materialien<br />
gebaut werden und ist leicht in<br />
Quelle: WSSCC 2002, <strong>2003</strong>.<br />
Erschwingliche Sanitärversorgung in In<strong>die</strong>n<br />
ihnen eine angemessene Hygiene-Aufklärung<br />
zu bieten. Die beste Möglichkeit, <strong>die</strong>s zu tun,<br />
ist mittels Produkten, <strong>die</strong> den Ansprüchen<br />
der Verbraucher im Hinblick auf Preis und<br />
Qualität gerecht werden (siehe Kasten 4.10).<br />
Angemessene Technologien sind zum Beispiel<br />
Druckspülungs-Latrinen, einfache<br />
Plumpsklos, Plumpsklos mit Lüftung und<br />
Verbindungen zu septischen Tanks oder geschlossenen<br />
öffentliche Abwasserleitungen.<br />
In ländlichen Gegenden ist mitunter <strong>die</strong> Abfallbeseitigung<br />
mittels Kompostierung angemessen.<br />
Arme Kommunen können sich solche<br />
Technologien leisten, und sie sind leicht<br />
zu handhaben und zu warten. In der Vergangenheit<br />
handelten Regierungen oft von<br />
oben herab und installierten Handpumpen,<br />
Tiefbrunnen und sogar Plumpsklos mit<br />
Lüftung, ohne darauf Rücksicht zu nehmen,<br />
ob dafür <strong>über</strong>haupt Akzeptanz in der Bevöl-<br />
Stand zu halten. Auch hat sie ein hohes<br />
Verbesserungspotential, denn sie kann<br />
leicht an ein Abwassersystem angeschlossen<br />
werden, wenn in der betreffenden Gegend<br />
eines gebaut wird.<br />
Seit 1970 wurden in Häusern mehr<br />
als eine Million solcher Einheiten gebaut.<br />
Außerdem wurden 5.500 solcher Einheiten<br />
in öffentlichen kostenpflichtigen<br />
Toiletten installiert, wo rund um <strong>die</strong><br />
Uhr ein Betreuer angestellt ist, der Seife<br />
zum Händewaschen ausgibt. Die öffentlichen<br />
Toiletten sind auch mit Duschmöglichkeiten<br />
und Möglichkeiten zum Wäschewaschen<br />
ausgestattet. Die Benutzung<br />
ist für Kinder, Behinderte und Arme kostenlos.<br />
So sind mehr als zehn Millionen<br />
Menschen mit verbesserten kostengünstigen<br />
sanitären Einrichtungen versorgt<br />
worden, und es wurden 50.000 Stellen<br />
geschaffen.<br />
Mit Haus-zu-Haus-Kampagnen bietet<br />
Sulabh auch freie Gesundheitserziehung<br />
für Millionen von Menschen an. Die Organisation<br />
bildet Einheimische darin aus,<br />
selbst mehr Latrinen zu bauen, und sie hat<br />
dabei geholfen, in Slums und anderen Gebieten<br />
gebührenpflichtige Gemeinschaftstoiletten<br />
zu bauen und in Stand zu<br />
halten.<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 129
KASTEN 4.11<br />
Als im Jahr 1994 in Südafrika eine neue<br />
demokratische Regierung an <strong>die</strong> Macht<br />
kam, hatten mehr als 15 Millionen Südafrikaner<br />
keinen Zugang zu 25 Litern sauberem<br />
Wasser am Tag in einer Entfernung<br />
von höchstens 200 Metern von ihrem Zuhause.<br />
Bis 2001 war <strong>die</strong>se Zahl auf sieben<br />
Millionen gesunken. Wie war das möglich?<br />
• Eine entscheidende Voraussetzung<br />
war <strong>die</strong> politische Unterstützung von<br />
höchster Ebene. Südafrikas Verfassung garantiert<br />
– als ein Menschenrecht – den Zugang<br />
zur Grundversorgung mit Wasser<br />
und eine Umwelt, <strong>die</strong> nicht gesundheitsgefährdend<br />
ist. Darauf folgte eine kürzlich<br />
verabschiedete politische Richtlinie, welche<br />
<strong>die</strong> kostenfreie Grundversorgung mit<br />
Wasser sicherstellen soll. Jedem Haushalt<br />
werden <strong>die</strong> ersten 6.000 Liter Wasser im<br />
Monat kostenfrei geliefert.<br />
• Klare Gesetze und Richtlinien haben<br />
<strong>die</strong> Rolle der Wasserbehörden und der<br />
Versorger geklärt. Außerdem haben nationale<br />
Standards und eine ähnliche Gesetzgebung<br />
geholfen, <strong>die</strong> Wasserqualität und<br />
<strong>die</strong> Gebührenstrukturen zu regulieren.<br />
• Von der neuen Regierung wurde<br />
schnell ein umfassendes Infrastruktur-Programm<br />
durchgeführt, um <strong>die</strong> Gebiete mit<br />
Quelle: Millennium Project Task Force <strong>2003</strong>; WSP 2002b.<br />
Südafrika und das „Recht“ auf Wasser<br />
dem größten Bedarf zu versorgen. Dieses<br />
Programm profitierte von einer beträchtlichen<br />
finanziellen Ausstattung mit staatlichen<br />
Mitteln und von der Unterstützung<br />
verschiedener Akteure, darunter Nichtregierungsorganisationen,Privatunternehmen<br />
und Basisgruppen.<br />
• Die Übertragung von Verantwortlichkeiten<br />
auf <strong>die</strong> lokale Ebene gibt den Kommunalverwaltungen<br />
mehr Kontrolle <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Projekte und ermöglicht <strong>die</strong> bessere<br />
Anpassung an <strong>die</strong> Bedürfnisse vor Ort.<br />
Trotz <strong>die</strong>ser Erfolge steht Südafrika<br />
immer noch vor Hindernissen bei der Aufrechterhaltung<br />
und Ausweitung des Zugangs<br />
zur Grundversorgung mit Wasser. Es<br />
wird weiterhin politisches und finanzielles<br />
Engagement nötig sein, um anhaltende Erfolge<br />
sicherzustellen. Die Tragfähigkeit der<br />
Strategie, <strong>die</strong> Grundversorgung mit Wasser<br />
kostenfrei zur Verfügung zu stellen, hängt<br />
zum Beispiel stark von den Staatseinnahmen<br />
ab sowie von der Anzahl der vorhandenen<br />
reichen Haushalte zur Quersubventionierung<br />
der ärmeren Haushalte. Außerdem<br />
waren <strong>die</strong> Erfahrungen mit der Beteiligung<br />
des Privatsektors gemischt, so dass<br />
ungewiss ist, welchen Umfang seine Rolle<br />
bei der zukünftigen Bereitstellung von Versorgungsleistungen<br />
haben wird.<br />
kerung besteht. Daraus folgte, dass <strong>die</strong><br />
Kommunen generell <strong>die</strong> Wartung vernachlässigten<br />
oder darauf vertrauten, dass <strong>die</strong> Regierung<br />
sich darum kümmerte. Wenn jedoch <strong>die</strong><br />
Kommunen – insbesondere <strong>die</strong> Frauen – bei<br />
der Einrichtung und Finanzierung von Örtlichkeiten<br />
mit einbezogen und in der Wartung<br />
ausgebildet werden, fördert <strong>die</strong>s <strong>die</strong> eigenverantwortliche<br />
Übernahme und <strong>die</strong><br />
Nachhaltigkeit.<br />
Viele Stadtverwaltungen wollen nicht gern<br />
in grundlegende sanitäre Versorgung investieren<br />
ohne <strong>die</strong> dar<strong>über</strong> hinausgehenden Herausforderungen<br />
der Drainage und der Entsorgung<br />
von festen Abfällen ebenfalls anzugehen.<br />
In den Entwicklungsländern wird das Abwasser<br />
in den Städten in der Regel nicht aufbereitet,<br />
bevor es wieder in <strong>die</strong> Umwelt entsorgt<br />
wird. Eine Abwasseraufbereitung ist jedoch<br />
wesentlich teurer als einfach nur für Zugang<br />
zu sauberem Wasser und sanitärer Versor-<br />
gung der Haushalte zu sorgen. Es ist daher erforderlich,<br />
Forschung <strong>über</strong> umsetzbare, bezahlbare<br />
Ansätze im Hinblick auf ein Gesamtangebot<br />
sanitärer Dienstleistungen zu betreiben.<br />
Es ist vielleicht auch nötig, als ersten<br />
Schritt zu einer Verbesserung der sanitären<br />
Versorgung eine stärkere Umweltverschmutzung<br />
zu akzeptieren. In Europa und Nordamerika<br />
beispielsweise ging eine Verbesserung<br />
der sanitären Versorgung der Haushalte anfangs<br />
auf Kosten der Flüsse und Wasserwege,<br />
<strong>die</strong> verschmutzt wurden.<br />
BEGRENZTE FINANZIELLE MITTEL –<br />
UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />
In den Entwicklungsländern finanziert der öffentliche<br />
Sektor in dem jeweiligen Land 65-70<br />
Prozent der Wasserversorgungs-Infrastruktur,<br />
Geber finanzieren 10-15 Prozent, internationale<br />
private Unternehmen 10-15 Prozent und<br />
der Privatsektor des Landes 5 Prozent. 121 In<br />
90 Prozent der Entwicklungsländer werden<br />
<strong>die</strong> Dienstleistungen im Bereich Wasser- und<br />
sanitäre Versorgung vom öffentlichen Sektor<br />
<strong>über</strong>nommen. Die Finanzierung erfolgt <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> Nutzer, <strong>die</strong> ihre Rechnungen an <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />
bezahlen – <strong>die</strong> normalerweise<br />
<strong>die</strong> Dienstleistungen anbieten – <strong>die</strong> Einnahmen<br />
decken jedoch normalerweise nur einen<br />
Teil der Kapital- und ständigen Kosten der<br />
Wasserversorgungs-Infrastruktur und der<br />
Dienstleistungen. Die Finanzierungslücke<br />
wird durch Steuereinnahmen und Geberfinanzierung<br />
geschlossen. Mit politischem Engagement<br />
und Geld kann der Zugang zu sauberem<br />
Wasser verbessert werden – wie man in<br />
Südafrika in den 1990er Jahren sehen konnte<br />
(siehe Kasten 4.11).<br />
Viele Entwicklungsländer haben mit der<br />
Bezahlung für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgungs-Infrastruktur<br />
zu kämpfen, da <strong>die</strong> Finanzierung<br />
aus den Einnahmen für <strong>die</strong> Versorgungs<strong>die</strong>nstleistungen<br />
sehr unzuverlässig<br />
ist. 122 Unangemessene Gebühren sind ein<br />
großes Problem. Wenn <strong>die</strong> grundlegende Infrastruktur<br />
jedoch fehlt, können bei den Wasseranschlüssen<br />
und der sanitären Versorgung<br />
der Haushalte keine Fortschritte erzielt wer-<br />
130 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
den. Und ohne Hauptsammler und Kläranlagen<br />
fließt das Abwasser normalerweise in offene<br />
Bäche und Drainage-Kanäle – und stellt dadurch<br />
ein Gesundheitsrisiko dar beziehungsweise<br />
schädigt <strong>die</strong> Umwelt.<br />
Die internationalen Privatinvestitionen in<br />
Wasserversorgungs-Dienstleistungen sind,<br />
nachdem sie 1996-99 auf einem Höhepunkt<br />
angekommen waren, wieder rückläufig, anscheinend,<br />
weil <strong>die</strong> Gewinne zu gering sind. 123<br />
Hinzu kommt, dass bei Wasserversorgungs-<br />
Projekten höhere Anfangsinvestitionen erforderlich<br />
sind als bei Elektrizität, Telekommunikation<br />
und Erdgas. Währungsabwertungen –<br />
wie in der jüngsten Wirtschaftskrise in Argentinien<br />
– sind ebenfalls kein Anreiz zu Investitionen.<br />
In den 1990er Jahren wurden im Jahr<br />
durchschnittlich 3 Milliarden US-Dollar der<br />
öffentlichen Entwicklungshilfe für Wasserund<br />
Sanitärversorgungsprojekte bereitgestellt.<br />
1996–98 lagen <strong>die</strong>se Mittel bei 3,5 Milliarden<br />
US-Dollar jährlich, 1999–2001 sanken sie jedoch<br />
auf 3,1 Milliarden US-Dollar jährlich.<br />
Der Anteil für Wasser- und Sanitärversorgung<br />
an der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
war in den 1990er Jahren relativ stabil, nämlich<br />
6 Prozent der bilateralen und 4-5 Prozent<br />
der multilateralen Hilfe. Durch Kredite zu<br />
Marktbedingungen vor allem der Weltbank<br />
kamen noch 1,0-1,5 Milliarden jährlich hinzu.<br />
Japan leistete hier den bei weitem größten Beitrag.<br />
124<br />
Drei Viertel der Hilfe im Wasserbereich<br />
flossen in den Jahren 1997-2001 in <strong>die</strong> Wasser-<br />
und Sanitärversorgung. Der größte Anteil<br />
der Hilfe für Wasser und Sanitärversorgung<br />
fließt in große Systeme. 125 Die Zahl der Projekte,<br />
<strong>die</strong> sich auf preisgünstige Technologien<br />
stützen und damit <strong>die</strong> besten Aussichten für<br />
eine bessere Versorgung der armen Bevölkerung<br />
bieten – Handpumpen, schwerkraftausnutzende<br />
Systeme, Regenwasser-Sammelbecken,<br />
Latrinen – ist nur sehr gering. 126 Die<br />
Zusammensetzung der Hilfe für Wasser- und<br />
Sanitärversorgung muss daher verändert werden.<br />
Die Hälfte der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
im Wasserbereich wird von zehn<br />
Ländern geleistet, und nur ein Geber allein –<br />
Japan – leistet ein Drittel <strong>die</strong>ser Hilfe. 127 Noch<br />
schlechter ist, dass nur 12 Prozent der öffentlichen<br />
Entwicklungshilfe im Wasserbereich an<br />
Länder ging, in denen weniger als 60 Prozent<br />
der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser<br />
haben. 128<br />
UNGLEICHHEIT – UND WAS<br />
MAN DAGEGEN TUN KANN<br />
Um einen Teil der Finanzierungslücke für das<br />
Erreichen der Ziele im Wasser- und Sanitärversorgungsbereich<br />
zu schließen, müssen Kosten<br />
reduziert und <strong>die</strong> Einnahmen von den<br />
Nutzern erhöht werden. Um Kosten zu reduzieren,<br />
müssen <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />
das Management verbessern – dafür sollte es<br />
mehr Unterstützung seitens der Geberländer<br />
und Austausch unter den Entwicklungsländern<br />
geben.<br />
Im Hinblick auf <strong>die</strong> Einnahmen rechnen<br />
<strong>die</strong> Kommunalverwaltungen üblicherweise<br />
<strong>die</strong> Kapitalkosten bei ihren politischen Maßnahmen<br />
zur Kostendeckung nicht mit – und<br />
decken dadurch nur teilweise <strong>die</strong> laufenden<br />
Kosten. Es wurde der Vorschlag gemacht,<br />
dass „im Wasser- und Sanitärversorgungsbereich<br />
<strong>die</strong> volle Kostendeckung durch <strong>die</strong> Nutzer<br />
das langfristige Idealziel ist“. 129 Bei einer<br />
solchen Strategie würden <strong>die</strong> städtischen<br />
Nutzer <strong>die</strong> vollen Kosten für Investitionen<br />
zahlen, während <strong>die</strong> Nutzer am Stadtrand<br />
und <strong>die</strong> Nutzer auf dem Land nicht zu den<br />
Kapitalkosten beitragen würden. Die Betriebs-<br />
und Wartungskosten würden von den<br />
städtischen Nutzern voll bezahlt, Nutzer am<br />
Stadtrand würden ebenfalls voll bezahlen,<br />
wenn möglich, und <strong>die</strong> Nutzer auf dem Land<br />
würden einen Teil der laufenden Kosten zahlen.<br />
Ein solcher Ansatz wäre jedoch unfair. Da<br />
der soziale Nutzen durch sauberes Wasser<br />
und angemessene sanitäre Versorgung bei<br />
weitem <strong>die</strong> Kosten <strong>über</strong>steigt, spricht vieles<br />
für eine Preispolitik, <strong>die</strong> den weitergehenden<br />
Nutzen für alle durch beispielsweise <strong>die</strong> Reduzierung<br />
des Auftretens von Durchfällen wiederspiegelt.<br />
Das impliziert, dass <strong>die</strong>jenigen mit<br />
einem direkten Haushaltsanschluss auch <strong>die</strong><br />
vollen Kosten zahlen sollten. Derzeit sind sie<br />
<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> unter Kostenniveau zahlen –<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 131
und so <strong>die</strong> höchsten Subventionen erhalten.<br />
Wenn sie den vollen Preis bezahlen müssten,<br />
könnten dadurch Einnahmen für den Bereich<br />
insgesamt geschaffen werden, und es wäre<br />
möglich, <strong>über</strong>greifend <strong>die</strong>jenigen zu subventionieren,<br />
<strong>die</strong> nicht <strong>über</strong> sauberes Wasser oder<br />
sanitäre Einrichtungen verfügen oder nicht so<br />
viel bezahlen können. Solche <strong>über</strong>greifenden<br />
Subventionen wären auch möglich, wenn den<br />
industriellen und landwirtschaftlichen Nutzern<br />
höhere Kosten in Rechnung gestellt würden.<br />
Je nach Armutsniveau sollte in den städtischen<br />
Randgebieten und auf dem Land nur<br />
ein Teil der laufenden Kosten kostendeckend<br />
erhoben werden. In vielen Gegenden bezahlt<br />
<strong>die</strong> arme Bevölkerung extrem hohe Preise an<br />
Wasserverkäufer. Eine Form der Kostendeckung<br />
ist oft wünschenswert, weniger, um<br />
Finanzmittel zu erwirtschaften als vielmehr,<br />
um eine effiziente Nutzung zu gewährleisten.<br />
Die Kommunen sollten dazu ermutigt werden,<br />
Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, damit<br />
eine zügige Installation von Handpumpen und<br />
öffentlichen Toiletten gewährleistet werden<br />
kann.<br />
Wie schwierig ist es für arme Menschen,<br />
<strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgungs-Infrastruktur<br />
aufzubringen? Dazu ein<br />
Beispiel aus Bolivien und einige Kostenschätzungen<br />
für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgung<br />
aus einem Projekt in El Alto:<br />
• Durchschnittliches monatliches Einkommen:<br />
122 US-Dollar (0,80 US-Dollar pro<br />
Kopf pro Tag).<br />
• Anschlusskosten: 229 US-Dollar für traditionelles<br />
Wasser, 276 US-Dollar für sanitäre<br />
Versorgung (ausschließlich Sammel-Infrastruktur).<br />
• Anschlusskosten für <strong>die</strong> technischen Anlagen<br />
in Wohnblocks, an denen <strong>die</strong> Kommunen<br />
beteiligt sind: 139 US-Dollar für<br />
Wasser, 172 US-Dollar für sanitäre Versorgung.<br />
130<br />
Wichtige zusätzliche Kosten für arme<br />
Haushalte entstehen durch den Bau eines Badezimmers<br />
oder einer ähnlichen Einrichtung<br />
innerhalb des Hauses, einschließlich einer<br />
Toilette. In El Alto beliefen sich <strong>die</strong>se Kosten<br />
auf durchschnittlich 400 US-Dollar plus 16<br />
Tage Arbeit. Diese Kosten werden normalerweise<br />
bei den Kostenaufstellungen für Wasser-<br />
und sanitäre Versorgung nicht berücksichtigt.<br />
Selbst wenn Kleinkredite zur Verfügung<br />
standen, waren <strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> meisten<br />
armen Menschen zu hoch. Nach einer<br />
Aufklärung <strong>über</strong> Hygienefragen stieg <strong>die</strong><br />
Nachfrage nach Toiletten jedoch um das Doppelte.<br />
Wenn arme Menschen mit Zahlungsproblemen<br />
zu kämpfen haben, sollte ihnen durch<br />
Kreditprogramme geholfen werden. Die Grameen<br />
Bank in Bangladesch hat den Kredit für<br />
Wasser- und Sanitärversorgung auf Gruppenbasis<br />
auf Jahre hinaus verlängert.<br />
Die Frauen sind mit mehr Problemen in<br />
Bezug auf <strong>die</strong> Arbeitslast, Privatsphäre, Sicherheit<br />
und Hygiene konfrontiert als Jungen<br />
oder Männer – und sie haben daher ein größeres<br />
Interesse an einer Verbesserung der sanitären<br />
Versorgung. Sie besitzen jedoch oft<br />
weniger finanzielle Mittel, daher ist es wichtig,<br />
<strong>die</strong> Männer zu <strong>über</strong>zeugen, dass Verbesserungen<br />
bei der sanitären Versorgung <strong>die</strong>s auch<br />
wert sind. Die Verbesserungen sollten auch<br />
für von Frauen geführte Haushalte, <strong>die</strong> oft<br />
weniger Geld und weniger Arbeitskraftressourcen<br />
haben als Haushalte mit einem Mann<br />
und einer Frau, finanziell tragbar sein. Da<br />
Frauen vermutlich eher wissen, welche Typen<br />
und Räumlichkeiten sich für <strong>die</strong> Nutzung<br />
durch Frauen und Kinder eignen, sollten<br />
Männer und Frauen sich gemeinsam informieren<br />
und Entscheidungen gemeinsam treffen.<br />
Frauen erweisen sich auch als verlässlicher<br />
bei der Wartung der Anlagen, wie zum Beispiel<br />
Handpumpen – teilweise deshalb, weil<br />
sie gewöhnlich dafür zuständig sind, Wasser<br />
für <strong>die</strong> Familie zu holen. Sie sollten daher dazu<br />
ermutigt werden, den Maurer- oder Klempnerberuf<br />
zu ergreifen, denn sie würden sich<br />
wohler dabei fühlen, einer anderen Frau zu<br />
zeigen, an welcher Stelle in einem Haus sie<br />
eine Latrine bauen sollte, als wenn sie es einem<br />
Mann zeigen müssten. Und wenn sie einen Arbeitsplatz<br />
im Wartungsbereich haben, werden<br />
sie vermutlich nicht so schnell aus der Kommune<br />
wegziehen, um anderswo Arbeit zu suchen.<br />
132 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
ÜBERGREIFENDE PRIORITÄTEN<br />
Die Diskussion hat sich bisher auf <strong>die</strong> politischen<br />
Prioritäten in den einzelnen Bereichen<br />
konzentriert. Sie verlagert sich jetzt auf themen<strong>über</strong>greifende<br />
politische Prioritäten, <strong>die</strong><br />
ziel<strong>über</strong>greifend für alle Ländergruppen gelten.<br />
DAS NIVEAU, DIE EFFIZIENZ UND DIE<br />
GERECHTE VERTEILUNG DER ÖFFENTLICHEN<br />
AUSGABEN FÜR GRUNDLEGENDE<br />
DIENSTLEISTUNGEN VERBESSERN<br />
In den meisten reichen Ländern beträgt<br />
<strong>die</strong> Staatsquote mehr als 40 Prozent des BIP–<br />
in den meisten Entwicklungsländern weniger<br />
als 20 Prozent. Man erwartet, dass mit zunehmender<br />
Entwicklung <strong>die</strong> Staatsquote wächst.<br />
Die ungeheuren Herausforderungen, den<br />
Hunger zu reduzieren, Todesfälle zu verhindern<br />
und <strong>die</strong> Alphabetisierung voranzutreiben,<br />
machen eine große Steigerung der öffentlichen<br />
Ausgaben erforderlich.<br />
Es ist jedoch schwierig, in Ländern mit<br />
niedrigem Einkommen, wo <strong>die</strong> Steuereinnahmen<br />
in der Regel weniger als 15 Prozent des<br />
BIP ausmachen, multisektorale Maßnahmen<br />
durchzusetzen. Und für <strong>die</strong> Umsetzung der<br />
Millenniums-Entwicklungsziele werden bedeutende<br />
zusätzliche Mittel benötigt, <strong>die</strong> mit<br />
hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein durch<br />
das Wirtschaftswachstum der armen Länder<br />
aufgebracht werden können (siehe Kapitel 3).<br />
Deren finanzielle Ressourcen werden durch<br />
<strong>die</strong> Schuldenrückzahlungen sehr stark eingeschränkt<br />
(siehe Kapitel 3 und 8). Und <strong>die</strong> Verwendung<br />
dessen, was übrig bleibt, ist viel zu<br />
sehr auf <strong>die</strong> Landesverteidigung ausgerichtet<br />
(siehe Kasten 4.5). Es wird nicht genug in <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft investiert – weniger als 5 Prozent<br />
der Haushaltsmittel in Afrika – oder in<br />
Gesundheit und Bildung.<br />
Innerhalb der sozialen Dienstleistungen,<br />
insbesondere in den Bereichen Gesundheit<br />
und Bildung wurden Mittelzuweisungen tendenziell<br />
zum Nachteil von Dienstleistungen<br />
für medizinische Grundversorgung und<br />
Grundschulbildung vorgenommen. Ob <strong>die</strong><br />
Regierungen wieder mehr für <strong>die</strong> grundlegen-<br />
den Dienstleistungen ausgeben können, damit<br />
sie <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreichen,<br />
hängt einerseits davon ab, ob es ihnen<br />
gelingt, Mittel aus dem Verteidigungshaushalt<br />
oder Schulden<strong>die</strong>nst abzuziehen, andererseits<br />
davon, ob sie mehr Einkommen im Inland erwirtschaften<br />
können. Die Erfüllung der Aufgaben<br />
wird wesentlich einfacher, wenn <strong>die</strong> Regierungseinnahmen<br />
steigen, weil dann ein<br />
größerer Ermessensspielraum für <strong>die</strong> Ausgaben<br />
pro Individuum existiert.<br />
Das Problem, vor dem viele Regierungen<br />
in den Entwicklungsländern stehen, ist, dass<br />
sie durch große Haushaltsdefizite gezwungen<br />
sind, makroökonomische Stabilisierung und<br />
Anpassung vorzunehmen. Seit den frühen<br />
1980er Jahren jedoch haben sich <strong>die</strong> Strukturanpassungsmaßnahmen<br />
darauf konzentriert,<br />
<strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben zu reduzieren,<br />
um <strong>die</strong> Defizite abzubauen – statt Steuerund<br />
andere Einnahmen zu mobilisieren. In einer<br />
kürzlich durchgeführten externen Untersuchung<br />
der Erweiterten Strukturanpassungsfazilitäts-Programme<br />
(Extended Structural<br />
Adjustment Facility) des Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF) kam eine Gruppe unabhängiger<br />
Experten zu dem Schluss, dass <strong>die</strong><br />
Grenzen für öffentliche Ausgaben oft zu eng<br />
gesetzt worden sind, was nachteilige Auswirkungen<br />
auf das <strong>Human</strong>kapital und das<br />
Wachstum hatte. Bei den politischen Konditionen,<br />
<strong>die</strong> mit der Reaktion des IWF auf <strong>die</strong><br />
1997 begonnene ostasiatische Wirtschaftskrise<br />
verbunden waren, war <strong>die</strong>s erneut der Fall –<br />
<strong>die</strong> Konditionen wurden erst nach einer weitverbreiteten<br />
Kritik des IWF wegen <strong>die</strong>ser und<br />
anderer Maßnahmen etwas gelockert. 131<br />
In einer weiteren kürzlich durchgeführten<br />
Untersuchung wird nachgewiesen, dass bei<br />
sämtlichen von mehr als einem Dutzend Ländern<br />
<strong>die</strong> realen öffentlichen Ausgaben pro<br />
Kopf der Bevölkerung für grundlegende soziale<br />
Dienstleistungen (medizinische Grundversorgung,<br />
grundlegende Bildung und Wasserund<br />
Sanitärversorgung) nur zurückgingen,<br />
wenn <strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben als Teil des<br />
BIP sanken. 132 Mit anderen Worten, wenn <strong>die</strong><br />
öffentlichen Ausgaben stagnieren oder sinken,<br />
Innerhalb der sozialen<br />
Dienstleistungen,<br />
insbesondere in den<br />
Bereichen Gesundheit und<br />
Bildung wurden<br />
Mittelzuweisungen<br />
tendenziell zum Nachteil<br />
von Dienstleistungen für<br />
medizinische<br />
Grundversorgung und<br />
Grundschulbildung<br />
vorgenommen<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 133
Wenn <strong>die</strong> öffentlichen<br />
Ausgaben stagnieren oder<br />
sinken, ist es für<br />
Regierungen politisch<br />
nahezu unmöglich, mehr<br />
Mittel für soziale<br />
Dienstleistungen zur<br />
Verfügung zu stellen –<br />
insbesondere für soziale<br />
Grund<strong>die</strong>nste – ohne den<br />
Zorn der wohlhabenderen<br />
Bevölkerung auf sich zu<br />
ziehen<br />
ist es für Regierungen politisch nahezu unmöglich,<br />
mehr Mittel für soziale Dienstleistungen<br />
zur Verfügung zu stellen – insbesondere für soziale<br />
Grund<strong>die</strong>nste – ohne den Zorn der wohlhabenderen<br />
Bevölkerung auf sich zu ziehen.<br />
Es könnte noch viel mehr getan werden,<br />
um <strong>die</strong> Steuererhebung zu stärken, damit<br />
Steuerflucht und Steuervermeidung verhindert<br />
werden können. Und es könnte auch<br />
noch viel mehr getan werden, um <strong>die</strong> steuerliche<br />
Basis zu stärken, indem man das Steuernetz<br />
vergrößert, damit man <strong>die</strong>jenigen erreichen<br />
kann, <strong>die</strong> jetzt noch daraus entkommen.<br />
Die internationalen Finanzinstitutionen sollten<br />
viel ernster nehmen, dass <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />
technische Unterstützung bei<br />
der Steuerverwaltung und –erhebung benötigen,<br />
insbesondere <strong>die</strong>jenigen in Afrika südlich<br />
der Sahara und in Lateinamerika.<br />
Die Aussichten für eine Verbesserung der<br />
Ausgabeneffizienz (durch eine bessere Verfügbarkeit<br />
von Textbüchern in den Schulen,<br />
von Medikamenten in öffentlichen Krankenhäusern<br />
und so weiter) und für mehr Gerechtigkeit<br />
bei den Ausgaben für soziale Dienstleistungen<br />
wären viel erfreulicher, wenn <strong>die</strong> Ausgaben<br />
auch steigen würden. Wie bereits festgestellt,<br />
wirken sich <strong>die</strong> Ausgaben im Gesundheitsbereich<br />
– selbst in Ländern mit stagnierendem<br />
Einkommen – stark auf <strong>die</strong> gesundheitlichen<br />
Resultate aus. Das gleiche gilt für<br />
<strong>die</strong> Ausgaben im Bildungsbereich: sie führen<br />
zu besseren Ergebnissen. 133<br />
DIE QUANTITÄT UND QUALITÄT DER HILFE<br />
FÜR GRUNDLEGENDE DIENSTLEISTUNGEN<br />
VERBESSERN<br />
Wenn man <strong>die</strong> Ziele erreichen will, muss man<br />
den Millenniums-Entwicklungspakt streng<br />
befolgen. Für <strong>die</strong> ärmsten Länder mit dem<br />
niedrigsten Einkommen wird ein bedeutender<br />
Teil der zusätzlichen Mittel, <strong>die</strong> für soziale Investitionen<br />
benötigt werden, aus externen<br />
Quellen kommen müssen. Für stark verschuldete<br />
arme Ländern aus der Schuldenstreichung<br />
– und das noch viel stärker als bisher.<br />
Und für alle Länder mit niedrigem Einkommen<br />
aus einer weiteren Erhöhung der öffentlichen<br />
Entwicklungshilfe.<br />
Wie hat <strong>die</strong> öffentliche Entwicklungshilfe<br />
darauf reagiert? Der Gesamtanteil für <strong>die</strong> soziale<br />
Grundversorgung (medizinische Grundversorgung,<br />
grundlegende Bildung und Wasser-<br />
und Sanitärversorgung) lag nie höher als<br />
10 Prozent, obwohl gegen Ende der 1990er<br />
Jahre eine Steigerung bei den bilateralen Mittelzuflüssen<br />
zu verzeichnen war. Die multilateralen<br />
Beiträge beliefen sich auf ein Drittel der<br />
öffentlichen Entwicklungshilfe, einschließlich<br />
UN-Organisationen, Weltbank und Regionalbanken.<br />
Die öffentliche Entwicklungshilfe für<br />
kleine Wasser- und Sanitärversorgungsprojekte<br />
in ländlichen Gebieten ist unzureichend.<br />
Die Öffentliche Entwicklungshilfe für<br />
grundlegende Dienstleistungen muss erhöht<br />
werden. Geberländer, <strong>die</strong> sich <strong>über</strong> <strong>die</strong> Austauschbarkeit<br />
der finanziellen Mittel der Regierungen<br />
der Empfängerländer Sorgen machen,<br />
sollten bedenken, dass, selbst wenn <strong>die</strong><br />
Regierungen Mittel teilweise in anderen Bereichen<br />
einsetzen, sie dennoch <strong>die</strong> öffentlichen<br />
Ausgaben steigern. 134<br />
SEKTORALE PROGRAMME VERBESSERN.<br />
Von projektorientierten zu sektoralen Ansätzen<br />
zu kommen ist ein entscheidender Schritt<br />
vorwärts. Ein sektoraler Ansatz vermeidet <strong>die</strong><br />
Schwächen des projektbezogenen Ansatzes:<br />
schwache Verbindungen zu anderen Sektoren,<br />
geografische Isolation, fehlende Identifikation<br />
und an Bedingungen gebundene Hilfe.<br />
Von einem solchen Ansatz kann auch erwartet<br />
werden, dass ein integriertes Programm entwickelt<br />
wird, das politische Zielsetzungen, einen<br />
allgemeinen politischen Rahmen, einen<br />
Investitionsplan, einen Ausgabenplan und finanzielle<br />
Vorgaben für <strong>die</strong> Regierungen und<br />
Geber formuliert.<br />
Dahinter steckt der Gedanke, dass sektorbezogene<br />
Programme Teil des gesamten politischen<br />
Umfelds werden sollten – anstatt nationale<br />
Strukturen zu umgehen wie es <strong>die</strong> Projektfinanzierung<br />
tut. Solche Programme könnten<br />
auch klare finanzielle Zusagen seitens der<br />
Geber gewährleisten, was eine Verbesserung<br />
gegen<strong>über</strong> unvorhersehbaren Mittelflüssen in<br />
bestimmte Projekte wäre. Hier handelt es sich<br />
zwar um einen sehr komplexen Versuch, weil<br />
134 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
<strong>die</strong> Programme eine effektive sektorale Politik<br />
im Land selbt voraussetzen, aber zumindest<br />
werden <strong>die</strong> Empfänger miteinbezogen.<br />
Es hat allerdings Probleme mit dem sektoralen<br />
Ansatz gegeben, und in vielen Fällen hat<br />
ein „Poolen“ von Ressourcen noch nicht stattgefunden.<br />
Erstens vergehen Jahre bis der Ansatz<br />
wirklich entwickelt und in ein Abschlussstadium<br />
gebracht ist. Man schätzt, dass ein<br />
Planungszyklus für einen sektoralen Ansatz<br />
sich im Durchschnitt <strong>über</strong> fünf bis sieben Jahre<br />
erstreckt.<br />
Zweitens bleibt <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit<br />
(mit nicht-einheimischem technischen<br />
Personal), <strong>die</strong> beim Projekt-Ansatz vorherrschend<br />
ist, auch bei Sektorprogrammen<br />
ein Problem. Es wäre nützlich, einmal <strong>die</strong> fiktiven<br />
Kosten an Zeit und Finanzmitteln zu<br />
evaluieren, <strong>die</strong> für eine Geber-finanzierte Ausbildung<br />
anfallen würden.<br />
Drittens verhindern <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />
gesetzgeberischen Zwänge in den Geberländern<br />
<strong>über</strong> Ausgaben, rigide und unterschiedliche<br />
Verfahren für <strong>die</strong> Mittelzuweisung und<br />
Berichtserfordernisse und unzureichende Kapazitäten<br />
in den Empfängerländern, dass <strong>die</strong><br />
Maßnahmen wirklich aufeinander abgestimmt<br />
werden. Die Regierung kann nicht <strong>die</strong> Federführung<br />
<strong>über</strong>nehmen, wenn <strong>die</strong> Projektträger,<br />
<strong>die</strong> von den Gebern mit der Durchführung<br />
beauftragt sind, und <strong>über</strong> <strong>die</strong> das zuständige<br />
Ministerium keine Kontrolle hat, weiter existieren.<br />
In Sambia sind <strong>die</strong> Geber <strong>über</strong>eingekommen,<br />
<strong>die</strong> zweite Tranche ihrer Hilfe nur freizugeben,<br />
wenn <strong>die</strong> Regierung mindestens 20<br />
Prozent ihres Haushalts für Bildung ausgegeben<br />
hat. 135 Außerdem haben alle beteiligten<br />
externen Organisationen ihre finanziellen Mittelflüsse<br />
an bestimmte Programme gebunden.<br />
Tatsächlich ist <strong>die</strong> Bindung von Mitteln an bestimmte<br />
Elemente sektorbezogener Ansätze<br />
weitverbreitet und hängt oft von der Bewertung<br />
der politischen Führung vor Ort durch<br />
<strong>die</strong> Geber und vom Engagement in bestimmten<br />
Gebieten ab.<br />
Die Geber sind sich einiger <strong>die</strong>ser Probleme<br />
bewusst. Die Erklärung von Rom <strong>über</strong><br />
Harmonisierung vom Februar <strong>2003</strong> ruft <strong>die</strong><br />
Geber auf, sich darauf zu verpflichten, „finan-<br />
zielle Unterstützung für den Haushalt, für einzelne<br />
Sektoren oder für <strong>die</strong> Handelsbilanz zur<br />
Verfügung zu stellen, wenn das Mandat des<br />
Gebers <strong>die</strong>s zulässt, und wenn angemessene<br />
politische und treuhänderische Vereinbarungen<br />
getroffen wurden“. 136<br />
EINIGE LAUFENDE KOSTEN DECKEN<br />
Die meisten Geber waren bisher bereit, Investitionskosten<br />
zu finanzieren (Bau von Krankenhäusern),<br />
waren jedoch nicht bereit, laufende<br />
Kosten zu finanzieren (Arztgehälter).<br />
Diese Haltung ändert sich gerade – wenn <strong>die</strong><br />
Ziele jedoch erreicht werden sollen, müssen<br />
<strong>die</strong> Geber auf <strong>die</strong>sem Gebiet noch flexibler<br />
werden als in der Vergangenheit. Die Regierungen<br />
sind oft nicht in der Lage, multilaterale<br />
Mittel für Kapitalkosten zu absorbieren,<br />
wenn sie, wie es oft verlangt wird, nachweisen<br />
müssen, dass sie für <strong>die</strong>se Kapitalausgaben<br />
Mittel in gleicher Höhe aufbringen müssen,<br />
um <strong>die</strong> laufenden Kosten der entstehenden Infrastruktur<br />
zu decken.<br />
In der Zwischenzeit werden <strong>die</strong> Geber einige<br />
der laufenden Kosten, insbesondere für<br />
nicht gehaltsbezogene Zwecke auf Gebieten,<br />
<strong>die</strong> mit den Zielen in Zusammenhang stehen,<br />
für stark verschuldete arme Länder <strong>über</strong>nehmen<br />
müssen – sofern <strong>die</strong>se Länder auch finanzielle<br />
Einnahmen aus eigenen Quellen vorweisen<br />
können. In Fällen mit sehr starken finanziellen<br />
Schwierigkeiten werden <strong>die</strong> Geber eventuell<br />
dazu bereit sein müssen, sogar <strong>die</strong> Gehaltskosten<br />
der Lehrer an Schulen, der Krankenpfleger<br />
oder ausgebildeten Geburtshelfer<br />
für eine Übergangszeit zu <strong>über</strong>nehmen, bis<br />
der finanzielle Spielraum für <strong>die</strong> Regierung geschaffen<br />
werden kann, <strong>die</strong>se ständigen Kosten<br />
auf nachhaltiger Basis in Eigenregie zu tragen.<br />
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG<br />
AUF TECHNOLOGIEN FÜR DIE ARME<br />
BEVÖLKERUNG AUSRICHTEN<br />
In einigen Bereichen sind <strong>die</strong> fehlenden Forschungsmittel<br />
ein ernstes Problem. So wird<br />
zum Beispiel 90 Prozent der Medikamentenforschung<br />
weltweit <strong>über</strong> Krankheiten betrieben,<br />
<strong>die</strong> nur 10 Prozent der Krankheitslast in<br />
In einigen Bereichen sind<br />
<strong>die</strong> fehlenden<br />
Forschungsmittel ein<br />
ernstes Problem<br />
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 135
den Entwicklungsländern ausmachen. Es<br />
müssen daher internationale Anstrengungen<br />
mobilisiert werden, um dem Bedarf an Arzneimitteln<br />
bei Tropenkrankheiten gerecht zu<br />
werden. Ein eindeutiger Fall ist <strong>die</strong> rasche<br />
Entwicklung und Erprobung eines Impfstoffes<br />
gegen HIV/AIDS. Die Internationale Initiative<br />
für einen AIDS-Impfstoff (International<br />
AIDS Vaccine Initiative) geht auf <strong>die</strong>sem<br />
Gebiet mit großen Schritten voran und versucht,<br />
Impfstoffe zu entwickeln, <strong>die</strong> speziell<br />
bei den Arten von AIDS-Viren wirken, <strong>die</strong> in<br />
den verschiedenen Regionen der Entwicklungsländer<br />
vorkommen. Man hofft, bald mit<br />
der Erprobung von Impfstoffen in Uganda beginnen<br />
zu können - gegen <strong>die</strong> Art Virus, <strong>die</strong> in<br />
<strong>die</strong>sem Teil von Afrika vorkommt, 2004 will<br />
man in In<strong>die</strong>n beginnen. Viele andere Forschungsbereiche<br />
werden jedoch weiterhin vernachlässigt.<br />
In vielen anderen Gebieten, <strong>die</strong> für das<br />
Erreichen der Ziele relevant sind, besteht das<br />
Problem, dass bereits existierende Technologien<br />
nicht weiterverbreitet werden. Die landwirtschaftlichen<br />
Erträge in Afrika südlich der<br />
Sahara beispielsweise sind stark durch <strong>die</strong><br />
niedrige Produktivität beeinträchtigt worden<br />
und <strong>die</strong>s obwohl Hochertragssorten bei Mais,<br />
Reis und Weizen verfügbar sind. Gleichzeitig<br />
sind jedoch keine Hochertragssorten für <strong>die</strong><br />
Getreidearten entwickelt worden, <strong>die</strong> von der<br />
armen Bevölkerung am häufigsten konsumiert<br />
werden, wie zum Beispiel Sorghum und Hirse.<br />
Die geringe kommerzielle Verfügbarkeit<br />
und <strong>die</strong> hohen Preise von anorganischem<br />
Dünger sind ein Teil des Problems. Ein weiterer<br />
Teil des Problems ist der eingeschränkte<br />
Einsatz von organischem Dünger, obwohl er<br />
sehr einfach aus Ressourcen vor Ort hergestellt<br />
werden kann. Der Einsatz von organischem<br />
Dünger würde <strong>die</strong> Produktivität steigern<br />
und den ökologisch nachhaltigen Anbau<br />
in einer Region fördern, in der <strong>die</strong> ohnehin<br />
schon geringen landwirtschaftlichen Erträge<br />
durch <strong>die</strong> Umweltzerstörung noch stärker reduziert<br />
werden.<br />
Ein weiteres Beispiel ist <strong>die</strong> geringe Verbreitung<br />
imprägnierter (oder ganz normaler)<br />
Moskitonetze, um <strong>die</strong> Malaria unter Kontrolle<br />
zu bekommen. Auf ähnliche Weise können<br />
Todesfälle durch Vergiftung in Innenräumen,<br />
verursacht durch den Rauch von Kochstellen,<br />
leicht vermieden werden, wenn man <strong>die</strong> kommerzielle<br />
Produktion rauchfreier Öfen ausweitet.<br />
Für eine solche kommerzielle Produktion<br />
wären natürlich angemessene Subventionen<br />
erforderlich, noch verstärkt durch eine<br />
Informationskampagne, mit der man <strong>die</strong> arme<br />
Bevölkerung in abgelegenen Gebieten erreichen<br />
könnte. Durch <strong>die</strong> Sulabh-Latrine kann<br />
eine umweltfreundliche sanitäre Versorgung<br />
in den am dichtesten bevölkerten städtischen<br />
Gebieten gefördert werden. Damit es jedoch<br />
dazu kommt, muss sie von den internationalen<br />
Organisationen als geeignetes Modell für einen<br />
weitverbreiteten Einsatz in den Entwicklungsländern<br />
anerkannt und <strong>über</strong>nommen<br />
werden.<br />
136 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KAPITEL 5<br />
Private Finanzierung und Bereitstellung von<br />
Gesundheit, Bildung und Wasser<br />
Aus einer Reihe von Gründen sind es häufig<br />
<strong>die</strong> Regierungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sozialen Basis<strong>die</strong>nste<br />
– gesundheitliche Grundversorgung, Primarschulbildung,<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
– finanzieren und bereitstellen.<br />
Ein Grund ist, dass es sich bei solchen Dienstleistungen<br />
um öffentliche Güter handelt. Ihr<br />
Marktpreis allein würde ihren intrinsischen<br />
Wert und ihren sozialen Nutzen nicht erfassen.<br />
Grundbildung nützt nicht nur dem Einzelnen,<br />
der etwas lernt, sie nützt auch allen<br />
Mitgliedern der Gesellschaft, indem sie das<br />
Gesundheits- und Hygieneverhalten verbessert<br />
und <strong>die</strong> Produktivität der Arbeitskräfte<br />
erhöht.<br />
Ein zweiter Grund für <strong>die</strong> Finanzierung<br />
durch <strong>die</strong> öffentliche Hand ist, dass sichergestellt<br />
werden soll, dass <strong>die</strong> soziale Grundversorgung<br />
für alle gleichermaßen zugänglich ist.<br />
Den Armen stehen <strong>die</strong>se Dienstleistungen in<br />
der Regel nicht zur Verfügung, und wenn sie<br />
dafür zahlen müssen, würden sie sie vielleicht<br />
nicht nutzen – was es schwierig machen würde,<br />
der Armut zu entkommen.<br />
Hinzu kommt, dass der Staat bei der Bereitstellung<br />
<strong>die</strong>ser Dienstleistungen oft eine<br />
dominante Rolle spielt. Eine Bereitstellung<br />
durch viele (öffentliche oder private) Versorger<br />
kann zu Doppelungen und höheren Kosten<br />
führen. Außerdem ist der Zugang zur sozialen<br />
Grundversorgung ein elementares Menschenrecht<br />
– verankert im Internationalen<br />
Pakt <strong>über</strong> wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />
Rechte – und <strong>die</strong> Regierungen sind verpflichtet<br />
sicherzustellen, dass <strong>die</strong>se Dienstleistungen<br />
ihrer Bevölkerung zur Verfügung stehen.<br />
Das Engagement der Regierungen für <strong>die</strong><br />
Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen<br />
und <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
spiegelt <strong>die</strong>se Verpflichtung wieder.<br />
Doch <strong>die</strong> Bereitstellung sozialer Dienstleistungen<br />
durch den Staat ist nicht immer <strong>die</strong><br />
beste Lösung, wenn <strong>die</strong> Institutionen schwach<br />
sind und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht bezüglich<br />
der Verwendung öffentlicher Mittel gering ist<br />
– wie es in Entwicklungsländern oft der Fall<br />
ist. (In Kapitel 7 wird beschrieben, wie <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />
von Regierungen für <strong>die</strong><br />
Verwendung öffentlicher Mittel für soziale<br />
Dienstleistungen besser eingefordert werden<br />
können.)<br />
In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts<br />
waren in den reichen Ländern <strong>die</strong><br />
privaten Versorger in der Gesundheitsversorgung,<br />
im Bildungswesen und im Bereich der<br />
Wasserversorgung in der Mehrheit. Doch <strong>die</strong>se<br />
Dienstleistungen waren beschränkt. In der<br />
zweiten Hälfte des Jahrhunderts begann <strong>die</strong><br />
Finanzierung und Bereitstellung durch <strong>die</strong> öffentliche<br />
Hand zu <strong>über</strong>wiegen. Tatsächlich<br />
wurden <strong>die</strong>se Dienstleistungen in Kanada,<br />
Westeuropa und den Vereinigten Staaten erst<br />
dann allgemein zugänglich, als <strong>die</strong> Regierungen<br />
eingriffen – in den letzten 25 Jahren des<br />
19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />
In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg gab es in armen Ländern im Gesundheits-<br />
und Bildungsbereich sowohl den<br />
wachsenden öffentlichen Sektor als auch private<br />
Versorger. Doch in den 1980er und besonders<br />
ab den 1990er Jahren nahm <strong>die</strong> Bereitstellung<br />
durch private Versorger rapide zu.<br />
So wie staatseigene Betriebe in produktiven<br />
Sektoren privatisiert wurden, wenn sie Verluste<br />
machten (sowohl in der Industrie als auch<br />
im Dienstleistungssektor), so wurde der gleiche<br />
Trend auch bei den sozialen Dienstleistungen<br />
gefördert.<br />
Die Erfahrungen der reichen Länder legen<br />
nahe, dass <strong>die</strong> Reihenfolge bei den sozialen<br />
Dienstleistungen zunächst <strong>die</strong> umfassende Bereitstellung<br />
durch den Staat, gefolgt von gezielteren<br />
Eingriffen und dann Kooperationen<br />
Gesundheitsversorgung,<br />
Bildung und<br />
Wasserversorgung<br />
wurden in Kanada,<br />
Westeuropa und den USA<br />
erst dann allgemein<br />
zugänglich, als <strong>die</strong><br />
Regierungen eingriffen<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 137
öffentlicher und privater Träger (public-private<br />
partnerships) sein sollte, um <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Märkte zu be<strong>die</strong>nen – abhängig von der<br />
Art der Dienstleistungen in den verschiedenen<br />
Sektoren.<br />
WARUM HAT DIE BEREITSTELLUNG DURCH<br />
PRIVATE VERSORGER IN DEN ARMEN<br />
LÄNDERN ZUGENOMMEN?<br />
In den Entwicklungsländern wurde <strong>die</strong> wachsende<br />
Bedeutung des privaten Sektors im Gesundheits-<br />
und Bildungswesen sowie der Privatisierungsschub<br />
bei der Wasserversorgung<br />
und den Krankenhausleistungen durch drei<br />
Faktoren vorangetrieben: durch fehlende öffentliche<br />
Mittel, durch <strong>die</strong> schlechte Qualität<br />
der staatlichen Versorgung und durch den<br />
Druck, <strong>die</strong> Wirtschaft zu liberalisieren.<br />
FEHLENDE ÖFFENTLICHE MITTEL<br />
Ohne finanzielle Mittel – ob einheimische Ressourcen<br />
oder ausländische Hilfe – können viele<br />
Regierungen armer Länder soziale Dienstleistungen<br />
nicht effektiv bereitstellen oder<br />
große Infrastrukturinvestitionen finanzieren.<br />
Eine Privatisierungspolitik wird oft in Hinblick<br />
darauf verfolgt, Einnahmen zu erzielen,<br />
doch am meisten lohnt es sich für Regierungen,<br />
ihre Subventionen für verlustreiche staatliche<br />
Unternehmen abzubauen.<br />
In einigen Fällen, wie zum Beispiel bei der<br />
einheimischen Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
(und bei der Bewässerung und Energieversorgung),<br />
wird der Mangel an staatlichen<br />
Mitteln durch verzerrte Gebührenstrukturen<br />
noch verschärft. Bei staatlichen Betrieben<br />
sind <strong>die</strong> Gebühren of zu niedrig, um <strong>die</strong><br />
Kosten zu decken, und wenn <strong>die</strong> Nutzer ihre<br />
Gebühren nicht zahlen, wird oft dar<strong>über</strong> hinweggesehen.<br />
Dieser Ansatz subventioniert im<br />
Wesentlichen <strong>die</strong> Reichen – während <strong>die</strong> Armen<br />
unter mangelndem Zugang leiden. Bei<br />
wachsender städtischer Bevölkerung können<br />
außerdem <strong>die</strong> finanziell ausgebluteten Kommunalverwaltungen<br />
das Leistungsangebot<br />
nicht ausweiten, um auch <strong>die</strong> Armen mit zu<br />
versorgen. In der Folge sinkt in den Mittelklasse-Gegenden<br />
<strong>die</strong> Qualität und Quantität<br />
der Trinkwasserversorgung, und <strong>die</strong> Armenviertel<br />
erreicht sie erst gar nicht.<br />
SCHLECHTE QUALITÄT ÖFFENTLICHER<br />
VERSORGUNGSLEISTUNGEN<br />
In vielen Ländern hängen <strong>die</strong> in der Vergangenheit<br />
schwachen öffentlichen Versorgungsleistungen<br />
mit dem Mangel an Ressourcen zusammen.<br />
Es wimmelt von Fällen, in denen Regierungen<br />
es versäumt haben, ihre Bürger, insbesondere<br />
<strong>die</strong> Armen, mit sozialen Basis<strong>die</strong>nstleistungen<br />
bzw. mit Dienstleistungen<br />
von guter Qualität zu versorgen.<br />
In In<strong>die</strong>n und Pakistan nannten arme<br />
Haushalte das häufige oder längere Fehlen<br />
von Lehrkräften in staatlichen Schulen als<br />
Hauptgrund, warum sie sich für Privatschulen<br />
entschieden. 1 Schlecht bezahlte Ärzte im öffentlichen<br />
Sektor bessern ihr Einkommen häufig<br />
auf, indem sie Medikamente verkaufen, <strong>die</strong><br />
eigentlich kostenlos abzugeben sind. 2 Folglich<br />
sind <strong>die</strong> Armen (und Nicht-Armen) gezwungen,<br />
private Anbieter in Anspruch zu nehmen,<br />
denn sie sind leichter zugänglich und geben in<br />
ihrer Sprechstunde oft Medikamente ab (im<br />
Gegensatz zu Regierungseinrichtungen, wo<br />
Medikamente nicht immer erhältlich sind).<br />
Um mehr und besseren Zugang zu Trinkwasser<br />
zu haben, müssen <strong>die</strong> Armen dafür oft<br />
Wucherpreise an Kleinhändler zahlen, <strong>die</strong> private<br />
Tankwagen betreiben. Die meisten Einwohner<br />
in den Städten Südasiens bekommen<br />
nur wenige Stunden am Stück Wasser, und<br />
das nicht jeden Tag. 3 Strom bekommen sie für<br />
ein paar mehr Stunden am Tag, doch <strong>die</strong><br />
Stromausfälle nehmen in der heißesten Zeit<br />
des Sommers zu – wenn <strong>die</strong> Temperaturen auf<br />
48 Grad Celsius steigen können.<br />
DRUCK, DIE WIRTSCHAFT<br />
ZU LIBERALISIEREN<br />
Der dritte Anstoß für <strong>die</strong> Bereitstellung durch<br />
private Anbieter kommt durch <strong>die</strong> Geberpolitik,<br />
<strong>die</strong> Wirtschaftsliberalisierungen und freie<br />
Märkte befürwortet, um Wachstum und Entwicklung<br />
voranzubringen. In dem Schritt, <strong>die</strong><br />
Rolle der Privatwirtschaft auszuweiten, wird<br />
mit den sozialen Dienstleistungen Neuland be-<br />
138 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
treten. In den 1990er Jahren unterstützten viele<br />
Geber <strong>die</strong> Ausweitung der privaten Bereitstellung<br />
und Finanzierung auf <strong>die</strong> soziale Versorgung,<br />
insbesondere <strong>die</strong> städtische Wasserversorgung.<br />
Auch das Allgemeine Abkommen<br />
<strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen der<br />
Welthandelsorganisation fördert den Einstieg<br />
der Privatwirtschaft in <strong>die</strong> sozialen Dienstleistungen<br />
(siehe Kasten 5.1).<br />
GESUNDHEIT<br />
In vielen Entwicklungsländern – in Lateinamerika,<br />
Südasien und Südostasien – gibt es<br />
eine kapitalkräftige, prosperierende Privatwirtschaft.<br />
Hinzu kommt, dass ein großer Teil<br />
der Gesundheitsausgaben in allen Regionen in<br />
den Privatsektor fließt. 4 In Ländern mit niedrigem<br />
Einkommen wird mehr als <strong>die</strong> Hälfte<br />
der gesundheitlichen Basisversorgung von privaten<br />
Dienstleistern bereitgestellt. 5 In Asien<br />
und Lateinamerika ist ein bedeutender Teil<br />
der Krankenhäuser und Gesundheitseinrich-<br />
KASTEN 5.1<br />
Das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel<br />
mit Dienstleistungen (General Agreement on<br />
Trade in Services-GATS) legt <strong>die</strong> rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen für den internationalen<br />
Handel mit Dienstleistungen fest, sowohl durch<br />
allgemeine Handelsregeln als auch durch spezifische<br />
nationale Verpflichtungen bezüglich des<br />
Zugangs zu inländischen Märkten. Viele Kritiker<br />
haben gefragt, ob das GATS weit genug darin<br />
geht, <strong>die</strong> Fähigkeit der Länder zu schützen,<br />
selbst zu entscheiden, wie soziale Dienstleistungen<br />
am besten bereitzustellen sind. Dazu gehört<br />
auch, den Umfang zu bestimmen, in dem ausländische<br />
Anbieter daran beteiligt sein sollen.<br />
Einerseits bietet das Abkommen den Regierungen<br />
beträchtlichen Ermessensspielraum<br />
bei der Entscheidung, wie, wann und ob<br />
Dienstleistungen für den internationalen Handel<br />
geöffnet werden sollen. Kein Land ist verpflichtet,<br />
irgendeinen spezifischen Sektor der<br />
ausländischen Konkurrenz zu öffnen, und <strong>die</strong><br />
Länder können Bedingungen in Bezug auf <strong>die</strong><br />
Art und das Tempo einer solchen Liberalisierung<br />
festlegen. Die Regierungen können auch,<br />
bei angemessener Kompensation, bestehende<br />
Liberalisierungsverpflichtungen aussetzen oder<br />
modifizieren. Außerdem beinhaltet das Ab-<br />
tungen in privaten Händen, wenngleich Vorbeugemaßnahmen<br />
hauptsächlich in der Verantwortung<br />
des öffentlichen Sektors liegen. 6<br />
Seit Lateinamerika in den 1990er Jahren<br />
das Management seines Gesundheitssektors<br />
für internationale Firmen öffnete, hat es dort<br />
mehr als in irgendeiner anderen Entwicklungsländerregion<br />
eine enorme Verlagerung<br />
hin zur privaten Gesundheitsversorgung gegeben.<br />
Mehrere multinationale Kapitalgesellschaften<br />
(Aetna, CIGNA, Prudential, American<br />
Insurance Group – alle mit Sitz in den<br />
USA) bieten in Lateinamerika Krankenversicherungen<br />
und Gesundheits<strong>die</strong>nste an. Und<br />
sie beabsichtigen Verwaltungsaufgaben für <strong>die</strong><br />
öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wahrzunehmen<br />
und sich den Zugang zu Mitteln der<br />
Sozialkassen für den Bereich der medizinischen<br />
Versorgung zu sichern. Diese Unternehmen<br />
investieren, indem sie:<br />
• bestehende Unternehmen kaufen, <strong>die</strong><br />
Schadensversicherungen oder im Voraus zu<br />
bezahlende Gesundheitspläne verkaufen;<br />
Soziale Dienste und das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen (GATS)<br />
kommen eine Ausnahmeregelung bezüglich<br />
„hoheitlicher Gewalt“, in der <strong>die</strong> Dienstleistungen,<br />
<strong>die</strong> unter das GATS fallen, definiert sind<br />
als „jede Art von Dienstleistung in jedem Sektor<br />
mit Ausnahme solcher Dienstleistungen, <strong>die</strong><br />
in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht<br />
werden“. Schließlich können <strong>die</strong> Länder sich<br />
auch auf allgemeine Ausnahmen zum Schutz<br />
des öffentlichen Interesses berufen, wozu auch<br />
<strong>die</strong> nationale Sicherheit und <strong>die</strong> öffentliche<br />
Gesundheit gehören.<br />
Andererseits verpflichtet das GATS seine<br />
Mitglieder auf „aufeinanderfolgende Verhandlungsrunden<br />
… um schrittweise einen höheren<br />
Stand der Liberalisierung zu erreichen“. Die<br />
Länder werden unter zunehmenden Druck geraten,<br />
neue Dienstleistungsbereiche zu liberalisieren.<br />
Was noch beunruhigender ist: In dem<br />
Abkommen nicht definierte Begriffe könnten<br />
<strong>die</strong> oben genannten Sicherheitsklauseln unwirksam<br />
machen.<br />
Die Ausnahmeregelung für in Ausübung<br />
hoheitlicher Gewalt erbrachte Dienstleistungen<br />
gilt nur für Dienstleistungen, <strong>die</strong> weder zu kommerziellen<br />
Zwecken noch im Wettbewerb mit<br />
einem oder mehreren Dienstleistungserbringern<br />
erbracht werden. Die Bereitstellung sozialer<br />
Quelle: Mehrotra und Delamonica (noch nicht veröffentlicht); Save the Children 2001, Canadian Centre for Policy Alternatives <strong>2003</strong>, UNHCHR <strong>2003</strong>; WTO <strong>2003</strong><br />
Dienstleistungen erfolgt jedoch selten exklusiv<br />
durch Regierungen, sondern durch eine sich<br />
entwickelnde Mischung öffentlicher und privater<br />
Akteure, <strong>die</strong> um Kunden konkurrieren. Und<br />
der genaue Umfang der Dienstleistungen, <strong>die</strong><br />
den Ausschlusskriterien entsprechen, ist noch<br />
immer unklar. Wenn <strong>die</strong> Gesetzgebung der Regierung<br />
zur Sicherung der gerechten und effizienten<br />
Bereitstellung <strong>die</strong>ser Dienstleistungen<br />
nicht unter das Ausschlusskriterium fällt, könnte<br />
sie möglicherweise mit dem GATS in Konflikt<br />
geraten. Exklusiv angebotene staatliche<br />
Hilfen für Nichtregierungsorganisationen, <strong>die</strong><br />
Schulen und Kliniken in unterversorgten Gegenden<br />
betreiben, könnten bedroht sein, wenn<br />
eine Regierung ihren Gesundheits- und Bildungssektor<br />
liberalisieren und <strong>die</strong>se Marktbedingungen<br />
nicht offiziell registrieren würde.<br />
Das GATS könnte gestärkt werden, indem<br />
man <strong>die</strong> Ausnahmeregelung bezüglich der hoheitlichen<br />
Regierungsgewalt abschafft oder indem<br />
man den Text so neu formuliert, dass sichergestellt<br />
wird, dass Dienstleistungen, <strong>die</strong> in<br />
der „Ausübung hoheitlicher Gewalt“ erbracht<br />
werden, entsprechend ihrer Funktion verstanden<br />
werden, und nicht entsprechend ihrer Art<br />
der Bereitstellung.<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 139
Die vermeintlichen<br />
Vorteile aus der<br />
Privatisierung der sozialen<br />
Versorgung sind schwer<br />
zu fassen, <strong>die</strong> Beweise für<br />
<strong>die</strong> Effizienz und <strong>die</strong><br />
Qualitätsstandards im<br />
privaten verglichen mit<br />
dem öffentlichen Sektor<br />
sind nicht schlüssig<br />
• sich mit anderen Unternehmen zu Joint<br />
Ventures zusammenschließen;<br />
• sich dazu bereit erklären, <strong>die</strong> Verwaltung<br />
der Sozialversicherung und der öffentlichen<br />
Gesundheitseinrichtungen zu <strong>über</strong>nehmen. 7<br />
Rund 270 Millionen Lateinamerikaner –<br />
60 Prozent der Bevölkerung – erhalten Barauszahlungen<br />
und gesundheitliche Versorgungsleistungen<br />
aus den Sozialversicherungskassen.<br />
Die Dienstleistungen werden oft von<br />
Angestellten <strong>die</strong>ser Kassen erbracht. In Argentinien<br />
und Chile ist <strong>die</strong> Durchdringung<br />
der Sozialversicherungskassen durch multinationale<br />
Kapitalgesellschaften am stärksten<br />
vorangeschritten, aber auch in Brasilien<br />
nimmt sie zu, und in Ecuador hat sie begonnen.<br />
8<br />
AUSWIRKUNGEN DER ANWENDUNG<br />
BETRIEBLICHER MANAGEMENTPRINZIPIEN AUF<br />
DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG<br />
Alle Bürgerinnen und Bürger sollten Zugang<br />
zu gesundheitlicher Grundversorgung haben.<br />
Und eine Bereitstellung durch private Anbieter<br />
kann helfen, unterschiedliche Erfordernisse<br />
zu erfüllen. Aber wird <strong>die</strong> Frage nach Gerechtigkeit<br />
dabei ignoriert?<br />
Lateinamerika hat sich bei der Bereitstellung<br />
von Gesundheits<strong>die</strong>nsten lange auf <strong>die</strong><br />
öffentlichen Sozialversicherungskassen verlassen.<br />
Doch in den 1990er Jahren wurde dann<br />
ausländischen Krankenversicherungsunternehmen<br />
angeboten, das Management vieler<br />
Kassen zu <strong>über</strong>nehmen. Daraus folgte, dass<br />
mehr finanzielle Mittel dafür eingesetzt werden,<br />
höhere Verwaltungskosten zu decken<br />
und Erträge für <strong>die</strong> Investoren zu erwirtschaften.<br />
Dadurch sanken der Zugang für<br />
schwächere Gruppen und <strong>die</strong> Ausgaben für<br />
Krankenhausleistungen. Ende der 1990er Jahre<br />
entschieden sich in Chile rund ein Viertel<br />
der Patienten aus dem privaten Gesundheitswesen<br />
für <strong>die</strong> Versorgung in staatlichen Kliniken.<br />
Als Hauptgrund dafür gaben sie <strong>die</strong> hohe<br />
Selbstbeteiligung an, <strong>die</strong> im privaten Gesundheitswesen<br />
verlangt werde. 9<br />
In Argentinien sehen sich öffentliche<br />
Krankenhäuser, <strong>die</strong> nicht dazu <strong>über</strong>gegangen<br />
sind, betriebliche Managementprinzipien auf<br />
<strong>die</strong> medizinische Versorgung anzuwenden, einem<br />
Ansturm von Patienten gegen<strong>über</strong>, für<br />
<strong>die</strong> privatisierte Sozialversicherungskassen <strong>die</strong><br />
Kosten <strong>über</strong>nehmen. Diese Patienten mussten<br />
auf öffentliche Krankenhäuser ausweichen,<br />
weil sie sich <strong>die</strong> Zuzahlungen nicht leisten<br />
können oder weil Privatärzte sie gar nicht erst<br />
haben vorsprechen lassen (weil <strong>die</strong> Sozialversicherungskassen<br />
deren Honorare nicht zahlen).<br />
Argentiniens und Brasiliens staatliche<br />
Krankenhäuser sind nun auf Kostenerstattungen<br />
sowohl aus den Sozialversicherungskassen<br />
als auch aus Privatversicherungen und durch<br />
Selbstbeteiligungen angewiesen. Um in staatlichen<br />
Institutionen kostenfrei behandelt zu<br />
werden, müssen arme Patienten langatmige<br />
Überprüfungen ihrer Bedürftigkeit <strong>über</strong> sich<br />
ergehen lassen – mit Ablehnungsquoten von<br />
durchschnittlich 30–40 Prozent in einigen<br />
Krankenhäusern. 10 Und weil private Krankenversicherungen<br />
gesündere Patienten anziehen,<br />
werden kränkere Patienten in den öffentlichen<br />
Sektor abgeschoben. Dieses Zwei-Klassen-System<br />
unterhöhlt <strong>die</strong> Verteilung von Gesundheitsrisiken<br />
und untergräbt <strong>die</strong> Quersubventionierung<br />
zwischen gesünderen und<br />
schwächeren Gruppen.<br />
ANGEMESSENHEIT DER GESUNDHEITS-<br />
VERSORGUNG UND REGULIERUNG<br />
Die vermeintlichen Vorteile aus der Privatisierung<br />
der sozialen Versorgung sind schwer<br />
zu fassen, <strong>die</strong> Beweise für <strong>die</strong> Effizienz und<br />
<strong>die</strong> Qualitätsstandards im privaten verglichen<br />
mit dem öffentlichen Sektor sind nicht<br />
schlüssig. 11 Mittlerweile gibt es zahlreiche<br />
Beispiele für Marktversagen bei der privaten<br />
Versorgung.<br />
Krankenhausleistungen und Medikamente<br />
sind im wesentlichen private Güter, und es<br />
gibt viele Hinweise darauf, dass <strong>die</strong> Märkte in<br />
ihrem Fall versagen. Beschränkte Regulierungskapazitäten<br />
verschärfen das Problem.<br />
Zum Beispiel ist <strong>die</strong> Überversorgung im privaten<br />
Gesundheitswesen in vielen Entwicklungsländern<br />
ein großes Problem. In Brasilien<br />
sind Kaiserschnitte bei Privatpatienten sehr<br />
viel häufiger, weil <strong>die</strong> Ärzte an Operationen<br />
140 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
mehr ver<strong>die</strong>nen als an normalen Geburten. 12<br />
In Mumbai, In<strong>die</strong>n, lassen sich private Anbieter<br />
auf unnötige Überweisungen und Tests<br />
ein– wobei der Überweisende einen Anteil an<br />
den Gebühren desjenigen bekommt, an den<br />
er den Patienten <strong>über</strong>wiesen hat. 13 Im Gegensatz<br />
dazu stellen in Kanada und den USA, wo<br />
<strong>die</strong> meisten und in Europa, wo viele Ärzte Privatärzte<br />
sind, strenge Berufsrichtlinien sicher,<br />
dass es nicht zu einer Überversorgungskrise<br />
kommt.<br />
In Entwicklungsländern <strong>über</strong>behandeln<br />
auch private Apotheker, für <strong>die</strong> es keine<br />
Richtlinien gibt, Krankheiten oder verschreiben<br />
unnötig teure Medikamente. Solch<br />
unangebrachter Einsatz von Medikamenten<br />
führt zu gefährlichen Behandlungspraktiken,<br />
höheren Kosten bei der Gesundheitsversorgung<br />
und einer zunehmenden Arzneimittelresistenz.<br />
In armen Ländern machen<br />
Medikamente 30–50 Prozent der Ausgaben<br />
im Gesundheitswesen aus, im Vergleich<br />
zu 15 Prozent in reichen Ländern. 14 Wer<br />
sich eine professionelle Behandlung nicht<br />
leisten kann, muss in <strong>die</strong> Apotheke gehen,<br />
<strong>die</strong> oft keine Verordnungsrichtlinien beachtet<br />
– insbesondere in China, Südasien und<br />
Teilen Afrikas. In In<strong>die</strong>n entfallen mehr<br />
als <strong>die</strong> Hälfte der direkten Ausgaben im<br />
Gesundheitsbereich und fast drei Viertel<br />
der Ausgaben für stationäre Behandlungen<br />
auf Arzneimittel und Konsultationsgebühren.<br />
15<br />
KOSTEN<br />
In vielen Entwicklungsländern steigen <strong>die</strong><br />
Kosten, und <strong>die</strong> Technologien konzentrieren<br />
sich im privaten Gesundheitswesen. Thailands<br />
privater Gesundheitssektor hat in einigen<br />
Bereichen genauso viel oder mehr Hochtechnologie-Ausstattung<br />
wie der private Gesundheitssektor<br />
in den meisten europäischen<br />
Ländern, und das obwohl Thailands Pro-<br />
Kopf-Einkommen sehr viel niedriger ist und<br />
<strong>die</strong> Krankheitsbelastung eine ganz andere<br />
ist. 16<br />
Seit Beginn der Wirtschaftreformen haben<br />
sich in China durch <strong>die</strong> Schwerpunktverschiebung<br />
weg von präventiven, hin zu kura-<br />
tiven Gesundheits<strong>die</strong>nsten <strong>die</strong> Verkaufszahlen<br />
von Arzneimitteln wesentlich erhöht.<br />
Ausländer haben landesweit in rund 1.500<br />
Unternehmen zur Arzneimittelherstellung investiert.<br />
17 Das Ergebnis des begrenzten Zugangs<br />
zu professioneller Versorgung und einer<br />
aggressiven Arzneimittelproduktion in einem<br />
unregulierten Markt ist der irrationale<br />
Einsatz von Medikamenten – insbesondere<br />
unter den Armen. 1993 machten Arzneimittel<br />
52 Prozent der Gesundheitsausgaben Chinas<br />
aus, im Vergleich zu 15–40 Prozent in den<br />
meisten Entwicklungsländern. 18 In einigen<br />
ländlichen Gegenden Chinas geben Bauern<br />
das zwei- bis fünffache ihres durchschnittlichen<br />
täglichen Pro-Kopf-Einkommens für<br />
eine gewöhnliche verordnete Medizin aus.<br />
Abgesehen davon, dass das <strong>über</strong>mäßige, unangemessene<br />
Verschreiben von Medikamenten<br />
in ländlichen Gegenden zu unnötig hohen<br />
Kosten im Gesundheitswesen beiträgt, setzt<br />
es Patienten auch dem Risiko ineffektiver Behandlung<br />
und schädlicher Nebenwirkungen<br />
aus. 19<br />
Wie bereits festgestellt, haben in Lateinamerika<br />
private Krankenversicherungen <strong>die</strong><br />
Verwaltung staatlicher Gesundheitsinstitutionen<br />
<strong>über</strong>nommen – und leiten finanzielle<br />
Mittel für Krankhausleistungen um, um <strong>die</strong><br />
höheren Verwaltungskosten zu decken. Um<br />
Patienten mit privater Versicherung und Sozialversicherungsplänen<br />
anzuziehen, haben<br />
staatliche Krankenhäuser in Buenos Aires,<br />
Argentinien, Management-Firmen angeheuert,<br />
<strong>die</strong> einen festen Prozentsatz der Rechnungen<br />
erhalten, was <strong>die</strong> Verwaltungskosten<br />
auf 20 Prozent der Gesundheitsausgaben erhöht.<br />
20 In Chile machen <strong>die</strong> Verwaltungsund<br />
Werbekosten rund 19 Prozent der Ausgaben<br />
der auf betrieblichen Managementprinzipien<br />
basierenden medizinischen Versorgung<br />
aus. 21<br />
BRAIN-DRAIN<br />
In Entwicklungsländern zieht das Wachstum<br />
des privaten Gesundheitswesens oft dringend<br />
benötigte <strong>Human</strong>ressourcen von schwachen<br />
staatlichen Systemen ab – wie in Thailand in<br />
den 1980er und 1990er Jahren. 22 Die staatli-<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 141
Von armen Haushalten zu<br />
verlangen, dass sie für<br />
Schulbildung zahlen, ist<br />
für <strong>die</strong> Erreichung<br />
allgemeiner<br />
Primarschulbildung nicht<br />
förderlich. Deshalb ist es<br />
unwahrscheinlich, dass<br />
<strong>die</strong>s dazu beiträgt, <strong>die</strong><br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziele zu<br />
erreichen<br />
chen Kliniken müssen sich dann mit weniger<br />
gut ausgebildeten Ärzten um <strong>die</strong> schwächsten<br />
Gruppen kümmern – um <strong>die</strong> Armen, <strong>die</strong> Alten<br />
und <strong>die</strong> Behinderten.<br />
BILDUNG<br />
In den meisten OECD-Ländern gehen rund<br />
10 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf<br />
private Primarschulen (<strong>die</strong> unabhängig oder<br />
auch von der Regierung abhängig sein können).<br />
Dieser Anteil ist in Entwicklungsländern<br />
tendenziell höher. In Lateinamerika beträgt<br />
der Anteil der Privatschulen mehr als 14 Prozent<br />
aller Schulbesuche in der Primarstufe,<br />
wenn auch in Costa Rica mit seinen guten Leistungen<br />
der Anteil bei nur sieben Prozent<br />
liegt. 23 Von 22 Ländern in Afrika südlich der<br />
Sahara, für <strong>die</strong> Daten vorliegen, liegt in zehn<br />
Ländern der Anteil der Privatschulen bei zehn<br />
bis 40 Prozent – in den restlichen zwölf Ländern<br />
bei weniger als zehn Prozent. 24 In In<strong>die</strong>n<br />
ist der Anteil der Privatschulen in den Bundesstaaten<br />
am höchsten, wo <strong>die</strong> Einschulungsquoten<br />
im Primarschulbereich am niedrigsten<br />
sind (Bihar, Uttar Pradesh). Das deutet darauf<br />
hin, dass der private Sektor für einen leistungsschwachen<br />
öffentlichen Sektor der Ausweg<br />
ist. 25<br />
In vielen (wenn auch nicht in den meisten)<br />
Entwicklungsländern steigt mit dem Bildungsniveau<br />
auch <strong>die</strong> Einschulungsquote im privaten<br />
Sektor. 26 Doch für eine große Anzahl von<br />
Ländern in allen Regionen der Welt fehlen aktuelle<br />
Daten zu Einschulungsquoten in allen<br />
Stufen der Privatschulen– weshalb <strong>die</strong>ser Bereich<br />
<strong>die</strong> Aufmerksamkeit von Regierungen<br />
und Gebern ver<strong>die</strong>nt.<br />
Drei Punkte sind entscheidend, wenn es<br />
um <strong>die</strong> private Finanzierung und Bereitstellung<br />
von Bildung geht. Der erste Punkt betrifft<br />
<strong>die</strong> Nachfrage. Hohe Haushaltskosten<br />
beeinträchtigen den allgemeinen Zugang zu<br />
Grundbildung. Die beiden anderen Punkte<br />
beziehen sich auf das Angebot, das einen Einfluss<br />
auf Gerechtigkeit und Effizienz hat. Zum<br />
einen geht es um <strong>die</strong> relative Leistung staatlicher<br />
und privater Schulen, zum anderen um<br />
<strong>die</strong> staatlichen Subventionen für private Schulen.<br />
HOHE GEBÜHREN, NIEDRIGERE<br />
EINSCHULUNGSQUOTEN<br />
Von armen Haushalten zu verlangen, dass sie<br />
für (private oder öffentliche) Schulbildung<br />
zahlen, ist für <strong>die</strong> Erreichung allgemeiner Primarschulbildung<br />
nicht förderlich. Deshalb ist<br />
es unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong>s dazu beiträgt,<br />
<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen.<br />
In Ghana können sich zwei Drittel der<br />
ländlichen Familien nicht leisten, ihre Kinder<br />
durchgehend zur Schule zu schicken, und für<br />
drei Viertel der Straßenkinder in der Hauptstadt<br />
Accra war der Hauptgrund, warum sie<br />
<strong>die</strong> Schule abbrachen, dass sie nicht in der<br />
Lage waren, ihre Schulgebühren zu bezahlen.<br />
27 Wo immer in Afrika <strong>die</strong> Schulgebühren<br />
abgeschafft wurden, sind <strong>die</strong> Kinder in <strong>die</strong><br />
Schulen geströmt.<br />
QUALITÄTSFRAGEN<br />
Viele Befürworter privater Schulbildung behaupten,<br />
dass <strong>die</strong> Privatschulen leistungsfähiger<br />
seien als <strong>die</strong> staatlichen, dass sie schon von sich<br />
aus einer größeren Rechenschaftspflicht unterliegen<br />
und den Schülerinnen und Schülern helfen<br />
würden, bessere kognitive Fähigkeiten zu<br />
entwickeln und sich für ihre eigene Ausbildung<br />
stärker verantwortlich zu fühlen. 28 Es gibt jedoch<br />
wenig Beweise, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Behauptungen<br />
erhärten. 29 Privatschulen sind nicht grundsätzlich<br />
leistungsfähiger als staatliche Schulen, <strong>die</strong><br />
<strong>über</strong> vergleichbare Mittel verfügen. In Peru<br />
schneiden Schülerinnen und Schüler privater<br />
Primarschulen besser ab, als <strong>die</strong>jenigen in staatlichen<br />
Schulen – aber sie bezahlen auch bis zu<br />
zehnmal mehr für ihre Ausbildung. 30<br />
In Brasilien sind beim Leistungsstand in<br />
Mathematik und Sprachen <strong>die</strong> Schülerinnen<br />
und Schüler privater Schulen in gleichem Umfang<br />
im Vorteil, wie in verschiedenen OECD-<br />
Ländern (Griechenland, Irland, Spanien). 31<br />
Doch <strong>die</strong>ser Vorteil hängt mit den Schülerinnen<br />
und Schülern zusammen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Schultypen besuchen. In jedem der untersuchten<br />
Länder kommen <strong>die</strong> Schülerinnen<br />
und Schüler privater Sekundarschulen aus reicheren<br />
Haushalten, als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> auf<br />
staatliche Schulen gehen.<br />
142 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
STAATLICHE FINANZIERUNG VON<br />
PRIVATSCHULEN – POTENTIELLE<br />
NACHTEILE UND NUTZEN<br />
Die Hauptbegründung für <strong>die</strong> Unterstützung<br />
durch <strong>die</strong> Regierung ist, dass <strong>die</strong> Privatschulbildung<br />
<strong>die</strong> große Nachfrage nach Bildung<br />
decken würde. Doch in den meisten Fällen<br />
reagiert <strong>die</strong> gebührenpflichtige private Schulbildung<br />
auf eine andere, und nicht auf eine<br />
<strong>über</strong>schüssige Nachfrage – insbesondere in<br />
Ländern mit niedrigem Einkommen, wo arme<br />
Haushalte kaum in der Lage sind, selbst <strong>die</strong><br />
staatlichen Schulgebühren zu bezahlen. Die<br />
Unterstützung der Regierung für den privaten<br />
Bildungsbereich kann somit ungerecht sein,<br />
wenn sie nicht gezielt auf arme Haushalte abstellt.<br />
In OECD-Ländern macht <strong>die</strong> direkte<br />
Unterstützung privater Primar- und Sekundarschulbildung<br />
durchschnittlich rund 10 Prozent<br />
der Regierungsausgaben für den Bildungsbereich<br />
aus. Im Gegensatz dazu werden<br />
in In<strong>die</strong>n private Institutionen mit fast einem<br />
Drittel der direkten Ausgaben für den Bildungsbereich<br />
unterstützt – und doch leben in<br />
<strong>die</strong>sem Land mehr als ein Drittel aller Kinder<br />
der Welt, <strong>die</strong> im Primarschulalter sind und<br />
nicht zur Schule gehen. 32 In Indonesien sind<br />
<strong>die</strong> meisten ländlichen Privatschulen von<br />
staatlichen Subventionen genauso abhängig<br />
wie <strong>die</strong> staatlichen Schulen. 33<br />
Viele Entwicklungsländer–Regierungen<br />
zahlen auch <strong>die</strong> Gehälter von Privatschullehrern<br />
und machen <strong>die</strong> Lehrkräfte damit weniger<br />
rechenschaftspflichtig gegen<strong>über</strong> Eltern<br />
und Direktoren. 34 Solche Subventionen belasten<br />
<strong>die</strong> ohnehin schon schwachen staatlichen<br />
Systeme noch mehr, <strong>die</strong> nun mit weniger<br />
<strong>menschliche</strong>n und finanziellen Ressourcen <strong>die</strong><br />
Versorgung der schwächsten Gruppen sicherstellen<br />
müssen.<br />
In einer Untersuchung von 16 Entwicklungsländern<br />
stellte sich heraus, dass in den<br />
Ländern, wo <strong>die</strong> Einschulungsquote in der<br />
oberen Sekundarstufe in Privatschulen am<br />
höchsten ist, <strong>die</strong> Gesamteinschulungsquote in<br />
der gleichen Stufe am niedrigsten ist (In<strong>die</strong>n,<br />
Indonesien, Simbabwe). 35 Doch in China, Jamaika,<br />
Malaysia und Thailand – wo <strong>die</strong> Einschulungsquoten<br />
relativ hoch sind – gehen<br />
<strong>über</strong> 90 Prozent der direkten Bildungsausgaben<br />
an staatliche Schulen.<br />
DAFÜR SORGEN, DASS DIE PRIVATE<br />
BEREITSTELLUNG FÜR DIE ARMEN<br />
FUNKTIONIERT<br />
Trotz ihrer potentiellen Nachteile kann <strong>die</strong> Finanzierung<br />
von Privatschulen durch den Staat<br />
unter bestimmten Umständen helfen – insbesondere<br />
wenn Regierungen Probleme haben,<br />
<strong>die</strong> vollen Kosten der Maßnahmen zu tragen,<br />
<strong>die</strong> erforderlich sind, um <strong>die</strong> allgemeine Primarschulbildung<br />
zu erreichen (den Bau von<br />
Schulen, <strong>die</strong> Zahlung der Gehälter der Lehrkräfte).<br />
In einigen Ländern hat ein Mangel an<br />
staatlichen Schulen zur Ausbreitung von Privatschulen<br />
geführt. Um sicherzustellen, dass<br />
Kinder aus armen Familien, <strong>die</strong> nicht in der<br />
Lage sind, Schulgebühren zu zahlen, auf Privatschulen<br />
gehen können, könnte der Staat<br />
ihre Schulbildung <strong>über</strong> Gutscheine finanzieren.<br />
Zum Beispiel hat Kolumbien als Reaktion<br />
auf einen Mangel an staatlichen Sekundarschulen<br />
ein Gutschein-System eingeführt.<br />
Dieser Ansatz der staatlichen Finanzierung<br />
privater Schulbildung kann dem Staat helfen,<br />
das Schulwesen kostengünstiger auszubauen.<br />
Denn <strong>die</strong> einzigen Kosten, <strong>die</strong> der Staat <strong>über</strong>nimmt,<br />
sind <strong>die</strong> Gutscheine. Dies ist nicht<br />
ganz das gleiche, wie ein Gutschein-System,<br />
dass es Familien ermöglicht, ihre Kinder in <strong>die</strong><br />
Schule ihrer Wahl einzuschulen, sei sie nun<br />
staatlich oder privat. Um uneingeplante Vorteile<br />
für <strong>die</strong> Mittelklasse, <strong>die</strong> üblicherweise <strong>die</strong><br />
private Schulbildung nachfragt, zu verhindern,<br />
sollten <strong>die</strong> Gutscheine auf arme Familien<br />
beschränkt bleiben – wie es zum Beispiel in<br />
Bangladesch, Chile, Kolumbien, Puerto Rico<br />
und dem Vereinigten Königreich der Fall ist. 36<br />
TRINKWASSER- UND SANITÄRVERSORGUNG<br />
Nur rund fünf Prozent der Weltbevölkerung<br />
(etwa 300 Millionen Menschen) beziehen ihr<br />
Wasser von privaten Unternehmen. Der größte<br />
Teil der Privatisierung im Bereich der<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung geschah<br />
im Zuge von Kooperationen öffentlicher und<br />
In einer Untersuchung von<br />
16 Entwicklungsländern<br />
stellte sich heraus, dass in<br />
den Ländern, wo <strong>die</strong><br />
Einschulungsquote in der<br />
oberen Sekundarstufe in<br />
Privatschulen am<br />
höchsten ist, <strong>die</strong><br />
Gesamteinschulungsquote<br />
in der gleichen Stufe am<br />
niedrigsten ist (In<strong>die</strong>n,<br />
Indonesien, Simbabwe)<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 143
Die Zahl der<br />
Kooperationen<br />
öffentlicher und privater<br />
Träger (public-private<br />
partnerships) ist von fast<br />
null Anfang der 1990er<br />
Jahre auf heute mehr als<br />
2.350 gestiegen. Ihre<br />
Leistungen im Bereich der<br />
Trinkwasser- und<br />
Sanitärversorgung waren<br />
jedoch sehr<br />
unterschiedlich<br />
privater Träger (public-private partnerships)<br />
in städtischen Regionen, und in den 1990er<br />
Jahren fast vollständig in Ländern mit hohem<br />
Verstädterungsgrad (siehe Tabelle 5.1).<br />
Es ist unwahrscheinlich, dass Privatunternehmen<br />
daran Interesse haben könnten, in<br />
Ländern mit niedrigem Einkommen Wasserversorgungs<strong>die</strong>nstleistungen<br />
in ländlichen Gegenden<br />
bereitzustellen – denn ländliche Gegenden<br />
gelten in der Regel als nicht profitabel.<br />
Im Bereich Sanitärversorgung werden auch im<br />
Rahmen von Kooperationen öffentlicher und<br />
privater Träger (public-private partnerships)<br />
<strong>die</strong> Armen zuweilen als unprofitabel angesehen.<br />
Diese Tendenz spiegelt sich darin wieder,<br />
dass einige private Wasserunternehmen Wege<br />
gefunden haben, selbst in städtischen Gegenden<br />
<strong>die</strong> Armen von der Versorgung auszuschließen.<br />
In Cartagena, Kolumbien, wurde<br />
eine große Barackensiedlung nicht mit Wasser<br />
versorgt, weil sie nach Ansicht des Unternehmens<br />
außerhalb des Stadtgebiets lag. 37 Zudem<br />
wurden in einigen Ländern <strong>die</strong> Wasseranschlüsse<br />
nur noch beschränkt ausgebaut. In<br />
Dakar, Senegal, hatten 1994 etwa 80 Prozent<br />
der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser.<br />
Vier Jahre nachdem <strong>die</strong> Versorgung<br />
privatisiert wurde, hatten nur wenig mehr,<br />
nämlich 82 Prozent Zugang. 38<br />
In Ländern mit niedrigem Einkommen ist<br />
das Engagement der internationalen Privatwirtschaft<br />
in der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
städtischer Regionen nach wie vor beschränkt.<br />
Selbst in Ländern mit mittlerem Einkommen,<br />
wo der größte Teil der Bevölkerung<br />
in Städten lebt, lassen sich internationale Privatunternehmen<br />
vom Ausmaß der nötigen Investitionen<br />
abschrecken. Eine dauerhafte Versorgung<br />
lässt sich am besten durch <strong>die</strong> Anstrengungen<br />
lokaler Gemeinschaften und (privater<br />
und staatlicher) Firmen erreichen. Die<br />
Kapazitäten dazu aufzubauen, ist eine wichtige<br />
Aufgabe des Staates.<br />
UNTERSCHIEDLICHE LEISTUNGEN,<br />
UNSICHERE FINANZIERUNG<br />
Die Zahl der Kooperationen öffentlicher und<br />
privater Träger (public-private partnerships)<br />
ist von fast null Anfang der 1990er Jahre auf<br />
TABELLE 5.1<br />
Investitionen in Projekte zur Trinkwasserund<br />
Sanitärversorgung mit Beteiligung<br />
der Privatwirtschaft in verschiedenen<br />
Ländern, 1990-94 und 1995 -2000<br />
(Millionen Dollar)<br />
Land 1990–94 1995–2000<br />
Argentinien 4.075 4.173<br />
Brasilien 3 2.891<br />
Chile 128 3.720<br />
Indonesien 4 883<br />
Malaysia 3.977 1.116<br />
Mali 0 697<br />
Mexiko 295 277<br />
Philippinen k.A. 5.820<br />
Rumänien k.A. 1.025<br />
Südafrika k.A. 209<br />
Tschechische Rep. 16 37<br />
Quelle: World Bank 2002j.<br />
heute mehr als 2.350 gestiegen. Ihre Leistungen<br />
im Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
waren jedoch sehr unterschiedlich.<br />
Eines der Hauptargumente für <strong>die</strong> Privatisierung<br />
ist, dass dadurch neues Kapital bereitgestellt<br />
wird, und dass öffentliche und private<br />
Trägern in Kooperationen <strong>die</strong> Möglichkeit haben,<br />
zusätzliche Mittel für <strong>die</strong> Grundversorgung<br />
zu mobilisieren. Doch nachdem <strong>die</strong> internationale<br />
private Finanzierung der Trinkwasser-<br />
und Sanitärversorgung 1996 ihren<br />
Höhepunkt erreicht hat, ist sie wieder zurückgegangen.<br />
Und es ist zu erwarten, dass <strong>die</strong>ser<br />
Rückgang sich fortsetzen wird. 39<br />
VERSORGUNGSGEBÜHREN<br />
Die Zurückhaltung des Privatsektors bei der<br />
Finanzierung weniger profitabler Investitionen<br />
in armen ländlichen Gegenden ist zum<br />
Nachteil der Nutzer. Doch oft geschieht <strong>die</strong>s<br />
auch bei Kooperationen öffentlicher und privater<br />
Träger, sogar direkter – durch Gebühren,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen <strong>über</strong>proportional stark<br />
treffen. Es muss aber berücksichtigt werden,<br />
dass <strong>die</strong>sen Gebühren <strong>die</strong> noch höheren Preise<br />
gegen<strong>über</strong>stehen, welche <strong>die</strong> Armen vorher<br />
für das Wasser bezahlten, das sie von Kleinhändlern<br />
bezogen.<br />
Kooperationen zwischen öffentlichen und<br />
privaten Trägern stützen sich auf <strong>die</strong> Annahme,<br />
dass <strong>die</strong> Kunden für Dienstleistungen bezahlen.<br />
Die Privatisierung der Trinkwasserund<br />
Sanitärversorgung hat zu sehr viel höheren<br />
Gebühren geführt, zuweilen von einem<br />
144 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 5.2<br />
Die Privatisierung der Wasserversorgung hat<br />
häufig zu höheren Gebühren geführt, <strong>die</strong> sich<br />
arme Haushalte in der Regel nicht leisten können.<br />
Unter einigen staatlichen Systemen kamen<br />
<strong>die</strong> Haushalte in den Genuss niedriger Wasserrechnungen,<br />
<strong>die</strong> weit unter dem lagen, was<br />
nötig gewesen wäre, um <strong>die</strong> Kosten zu decken,<br />
und wenn Rechnungen nicht bezahlt wurden,<br />
wurde in der Regel dar<strong>über</strong> hinweggesehen.<br />
Diese Vorgehensweise ist nicht wünschenswert,<br />
denn staatliche Unternehmen mit ihren<br />
fast leeren Kassen subventionieren im Grunde<br />
sowohl Reiche als auch Arme. Doch wenn ein<br />
Sprung von außergewöhnlich niedrigen auf<br />
unangemessen hohe Wasserrechnungen von<br />
einem Tag auf den anderen vollzogen wird, hat<br />
<strong>die</strong>s für arme Haushalte ebenfalls verheerende<br />
Konsequenzen.<br />
Südafrika<br />
Südafrika hat unglaubliche Fortschritte dabei<br />
gemacht, seine Bevölkerung mit Wasser zu versorgen,<br />
wenn auch das Management der Gebührenstrukturen<br />
noch immer eine Herausforderung<br />
ist. Im August 2000 brach jedoch in der<br />
Provinz KwaZulu-Natal eine Cholera-Epidemie<br />
aus – <strong>die</strong> fast 14.000 Menschen infizierte<br />
und mehr als 250 Menschenleben forderte. Die<br />
Epidemie brach aus, nachdem Kommunalbehörden<br />
<strong>die</strong> Wasserversorgung für Menschen<br />
in einer halblegalen Siedlung gekappt hatten,<br />
<strong>die</strong> sich <strong>die</strong> neuen Nutzungsgebühren nicht leisten<br />
konnten. Der Minister für Wasser und<br />
Quellen: : ICIJ <strong>2003</strong>c; Lobina 2000; Sidley 2001, S. 71.<br />
Tag auf den anderen, und manchmal mit verheerenden<br />
Folgen (siehe Kasten 5.2). Wenn<br />
Erfolg auch höhere Gebühren voraussetzt, so<br />
haben doch staatliche Wasserunternehmen<br />
gezeigt, dass es möglich ist, <strong>die</strong> zusätzlichen<br />
Einnahmen dafür zu nutzen, <strong>die</strong> Dienstleistungen<br />
zu verbessern und <strong>die</strong> Versorgung auszuweiten.<br />
PRIVATE BEREITSTELLUNG MIT<br />
POSITIVEN AUSWIRKUNGEN<br />
Nicht jede Privatisierung der Trinkwasserund<br />
Sanitärversorgung war ein Misserfolg. In<br />
Afrika südlich der Sahara haben zum Beispiel<br />
Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten<br />
Trägern <strong>die</strong> Wasserqualität verbessert. 40<br />
Im Allgemeinen hängt der Erfolg der Privati-<br />
Nutzungsgebühren in Südafrika und Bolivien<br />
Forstwirtschaft hat zugegeben, dass <strong>die</strong> Politik<br />
der Kostendeckung <strong>die</strong> Cholera-Epidemie verschärft<br />
hätte, indem Haushalte gezwungen<br />
wurden, alternative Wasserquellen zu suchen.<br />
In der Vorbereitung auf <strong>die</strong> Privatisierung<br />
der Wasserversorgung änderte Südafrika seine<br />
Politik, <strong>die</strong> Gebühren niedrig zu halten und<br />
<strong>über</strong> Zahlungsausfälle hinwegzusehen. Doch<br />
<strong>die</strong>se Trendwende geschah von einem Tag auf<br />
den anderen – und ohne gleichzeitige Maßnahmen<br />
zur Verringerung der finanziellen Belastungen<br />
der Armen.<br />
Bolivien<br />
Anfang 2000 brachen in Cochabamba, Bolivien,<br />
Proteste aus. Sie waren vor allem eine Reaktion<br />
auf <strong>die</strong> Verdreifachung und Vervierfachung<br />
der Wasserkosten der Haushalte. Dieser<br />
Preissprung kam nur einige Wochen nachdem<br />
Aguas del Tunari, ein Privatunternehmen mit<br />
Sitz in London, das städtische Wassersystem<br />
<strong>über</strong>nommen hatte. Die Proteste legten <strong>die</strong><br />
Stadt vier Tage lang wirkungsvoll lahm. Und<br />
als sich <strong>die</strong> Proteste auf ganz Bolivien ausbreiteten,<br />
wurden 50 Personen festgenommen und<br />
Dutzende verletzt. Sechs Menschen starben<br />
durch <strong>die</strong> Gewalt.<br />
Viele Experten sind sich einig, dass der<br />
deutliche Anstieg der Wassergebühren auf ein<br />
teures Bauprojekt zurückzuführen war, für<br />
dessen Kosten <strong>die</strong> Haushalte gezwungen wurden,<br />
direkt zu bezahlen. Das Misicuni-Projekt,<br />
eines der komplexesten Bauvorhaben in Süd-<br />
sierung der Wasserversorgung in hohem<br />
Maße von Regulierungsmaßnahmen durch <strong>die</strong><br />
Regierung, vom Interesse der Investoren und<br />
vom Ausgangszustand des betroffenen Unternehmens<br />
ab. 41 Länder, in denen <strong>die</strong> Versorgung<br />
vor der Privatisierung annehmbar war,<br />
bleiben oft auch danach auf gutem Niveau.<br />
Wo <strong>die</strong> Armen von der Privatisierung der<br />
Wasserversorgung profitiert haben, ist <strong>die</strong>s<br />
dem entsprechenden politischen Willen zu<br />
verdanken. In Bolivien wurden <strong>die</strong> Konzessionen<br />
für <strong>die</strong> Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
in La Paz und El Alto an den Bewerber<br />
vergeben, der versprach, in armen Bezirken<br />
<strong>die</strong> meisten Neuanschlüsse einzurichten. Der<br />
siegreiche Bewerber wurde dann verpflichtet,<br />
im Laufe von fünf Jahren 72.000 Familien an<br />
<strong>die</strong> Versorgung mit Leitungswasser und<br />
amerika, beinhaltet den Bau eines Damms für<br />
130 Million US-Dollar, eines Wasserkraftwerks<br />
und eines 20 Kilometer langen Stollens<br />
für 70 Millionen US-Dollar, durch den Wasser<br />
vom Misicuni-Fluss nach Cochabamba transportiert<br />
werden soll.<br />
Nutzungsgebühren bergen <strong>die</strong> große Gefahr,<br />
dass sie zur Verarmung der Nutzer beitragen<br />
können und Menschen davon abhalten<br />
können, dringend benötigte Dienstleistungen<br />
in Anspruch zu nehmen. Wenn <strong>die</strong> Nutzungsgebühren<br />
für <strong>die</strong> soziale Grundversorgung erhöht<br />
werden müssen, müssen <strong>die</strong> Regierungen<br />
sicherstellen, dass sie auf <strong>die</strong> Nutzer abgestimmt<br />
sind. Als erstes sollten Regierungen<br />
ihren Bürgerinnen und Bürgern gegen<strong>über</strong> offen<br />
dar<strong>über</strong> sein, warum <strong>die</strong> Erhöhungen nötig<br />
sind. Es sollte <strong>die</strong>sbezüglich eine klare Kommunikation<br />
zwischen Dienstleistern und Nutzern<br />
stattfinden. Zweitens sollten Regierungen<br />
<strong>die</strong> Gebühren strategisch so festlegen, dass <strong>die</strong><br />
reicheren Haushalte <strong>die</strong> ärmeren subventionieren<br />
können. Auch sollten weitere Wege gesucht<br />
werden, <strong>die</strong> Armen zu subventionieren.<br />
Zum Beispiel baten viele Aktivisten in Südafrika<br />
darum, dass <strong>die</strong> Regierung 50 Liter Wasser<br />
am Tag kostenfrei an arme Haushalte abgeben<br />
solle – das Minimum der Weltgesundheitsorganisation<br />
zur Aufrechterhaltung von Gesundheit<br />
und Hygiene. Drittens sollten Erhöhungen<br />
von Wasserrechnungen stufenweise eingeführt<br />
werden, und nicht von einem Tag auf den anderen.<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 145
38.000 Familien an <strong>die</strong> Abwasserentsorgung<br />
anzuschließen.<br />
Regierungen haben nicht nur private Anbieter<br />
vertraglich verpflichtet, <strong>die</strong> Versorgung<br />
auszuweiten, sie nutzen dazu auch <strong>die</strong> Einnahmen<br />
aus der Privatisierung. Anbieter, <strong>die</strong> arme<br />
Bezirke versorgen, bekommen finanzielle Anreize,<br />
wie zum Beispiel Investitionshilfen, angeboten.<br />
Außerdem können hohe Gebühren,<br />
<strong>die</strong> tendenziell mit einer Privatisierung verbunden<br />
sind, durch Subventionen für <strong>die</strong> Armen<br />
wieder ausgeglichen werden. In Chile<br />
wurde mit Hilfe staatlicher Subventionen sichergestellt,<br />
dass kein Haushalt mehr als fünf<br />
Prozent seines Einkommens für Wasser ausgeben<br />
muss. 42<br />
VIELVERSPRECHENDE ANSÄTZE<br />
Staatliche Programme waren bei der Bereitstellung<br />
der sozialen Grundversorgung für<br />
alle Bürgerinnen und Bürger in vielen Fällen<br />
erfolgreich. Privatisierungen dürfen also nicht<br />
als <strong>die</strong> einzige Möglichkeit zur Reform<br />
schlecht gemanagter öffentlicher Dienstleistungen<br />
angesehen werden.<br />
SICH AUF WIRKSAME STAATLICHE<br />
SYSTEME VERLASSEN<br />
Durch viele Maßnahmen im sozialen Sektor<br />
werden öffentliche Güter bereitgestellt. Aber<br />
<strong>die</strong> Aktivitäten in <strong>die</strong>sem Bereich bringen<br />
auch viele Außenbezüge mit sich, <strong>die</strong> es erfordern,<br />
dass der Staat sich einmischt, um <strong>die</strong> allgemeine<br />
Grundversorgung zu sichern. Bei<br />
dem aktuellen Privatisierungsschub im Bereich<br />
der sozialen Grundversorgung werden<br />
<strong>die</strong> Erfahrungen der reichen Länder – sowie<br />
vieler Entwicklungsländer heute – nicht<br />
berücksichtigt. Diese Länder verließen sich<br />
bei ihrer Entwicklung in der Vergangenheit<br />
auf staatliche Systeme, um soziale Grundversorgung<br />
der meisten (wenn nicht aller) ihrer<br />
Menschen bereitzustellen. Private Akteure<br />
spielten nur eine sehr beschränkte Rolle.<br />
Vielen der Entwicklungsländer, <strong>die</strong> heute<br />
gut abschneiden, war es in einem frühen Stadium<br />
ihrer Entwicklung gelungen, <strong>die</strong> Gesundheitsindikatoren<br />
zu verbessern – indem<br />
sie eine allgemeine Gesundheitsversorgung<br />
bereitstellten, <strong>die</strong> aus staatlichen Einnahmen<br />
finanziert wurde. In vielen Ländern (zum Beispiel<br />
in Botsuana, Costa Rica und Simbabwe)<br />
stiegen wohlhabendere Bürger aus <strong>die</strong>sem System<br />
aus, indem sie eine private Krankenversicherung<br />
abschlossen. 43 Oder wo es keine Privatversicherungen<br />
gab (zum Beispiel in Sri<br />
Lanka und in Kerala, In<strong>die</strong>n) bezahlten sie <strong>die</strong><br />
privaten Anbieter direkt. 44 Doch für <strong>die</strong> meisten<br />
Menschen in <strong>die</strong>sen Ländern war der verbesserte<br />
Gesundheitszustand das Ergebnis allgemeiner<br />
und erschwinglicher Versorgung –<br />
finanziert durch staatliche Einnahmen und<br />
durch <strong>die</strong> Umverteilung von Ressourcen auf<br />
der unteren Ebene des Gesundheitssystems<br />
wirksam umgesetzt. 45<br />
Die Entwicklungsländer, <strong>die</strong> gut abschneiden,<br />
haben auch frühzeitig in ihrer Entwicklung,<br />
als ihr Einkommen niedriger war, begonnen,<br />
das Ziel der allgemeinen Primarschulbildung<br />
zu verfolgen. In den Ländern, deren<br />
Analphabetenquoten 1980 unter denen ihrer<br />
Nachbarländer lagen, war auch der Anteil der<br />
Schülerinnen und Schüler, <strong>die</strong> in den vorangegangenen<br />
15 Jahren Privatschulen besucht<br />
hatten, geringer. In Südasien zum Beispiel lag<br />
der Alphabetisierungsgrad in Sri Lanka 1980<br />
bei 85 Prozent – während der Durchschnitt in<br />
der Region mit 38 Prozent außerordentlich<br />
niedrig war. 46 Und der Anteil der Schülerinnen<br />
und Schüler in der privaten Primar- und<br />
Sekundarschulbildung war in den 15 Jahren<br />
zuvor in Sri Lanka niedrig gewesen.<br />
Im Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
gibt es genügend Hinweise auf<br />
staatliche Unternehmen, <strong>die</strong> ineffizient, <strong>über</strong>dimensioniert<br />
und korrupt sind. Doch es gibt<br />
auch erfolgreiche staatliche Systeme, <strong>die</strong> von<br />
den Befürwortern der Privatisierung weitgehend<br />
ignoriert werden. So hat Chile es zum<br />
Beispiel bis 1990 geschafft, 97 Prozent seiner<br />
städtischen Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser<br />
und 80 Prozent mit sanitären Einrichtungen<br />
zu versorgen. Und in Bogota, Kolumbien,<br />
war <strong>die</strong> kommunale Wasserversorgung<br />
von Privatisierung bedroht, doch nach einer<br />
kompletten Reform konnte <strong>die</strong> Reichweite der<br />
Wasserversorgung sogar ausgedehnt werden<br />
(siehe Kasten 5.3).<br />
146 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
In Debrecen, Ungarn, hatte Mitte der<br />
1990er Jahre das staatlich gemanagte Wasserunternehmen<br />
einen hohen Investitionsbedarf.<br />
Es wurden Anläufe unternommen, mit der<br />
Versorgung erst ein multinationales Wasserunternehmen<br />
zu beauftragen, dann ein anderes<br />
– doch beide Versuche schlugen fehl. Im<br />
Jahr 1995 entschied der Stadtrat, dass einheimische<br />
Wasser-Manager das Fachwissen hätten,<br />
<strong>die</strong> Arbeit selbst auszuführen. Ein neues<br />
einheimisches staatliches Unternehmen tätigte<br />
<strong>die</strong> nötigen Investitionen zu sehr viel niedrigeren<br />
Kosten, als von den Privatunternehmen<br />
angeboten worden waren, zum Teil indem bei<br />
der Beschaffung auf lokale Zulieferer statt auf<br />
Importe zurückgegriffen wurde. Im Ergebnis<br />
liegen <strong>die</strong> Preise um 75 Prozent niedriger als<br />
von den Privatunternehmen vorausgesagt.<br />
ERHÖHUNG DER LEISTUNGSFÄHIGKEIT<br />
DES STAATES<br />
In Entwicklungsländern müssen <strong>die</strong> Regulierungskapazitäten<br />
ausgebaut werden, so dass<br />
KASTEN 5.3<br />
Die Maßnahmen der chilenischen Regierung im<br />
Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
zeigen, dass das staatliche Management solcher Systeme<br />
erfolgreich sein kann. 1990 hatten 97 Prozent<br />
der städtischen Bevölkerung Chiles Zugang zu sauberem<br />
Trinkwasser, und 80 Prozent hatten Zugang<br />
zu sanitären Einrichtungen. Die Eckpfeiler von Chiles<br />
Erfolg:<br />
• Trennung von zentraler Regulierung und regionalem<br />
Betrieb.<br />
• Erhöhung der Investitionen in <strong>die</strong>sem Sektor.<br />
• Entwicklung eines Systems zur objektiven Gebührenfestsetzung.<br />
• Einführung von Anreizen zur Steigerung der Effizienz.<br />
Zwischen 1988 und 1990 führten <strong>die</strong> chilenischen<br />
Behörden ein neues System zur objektiven<br />
Gebührenfestsetzung ein — was zur Wiederbelebung<br />
<strong>die</strong>ses Wirtschaftszweiges grundlegend war.<br />
Die Regulierungsbehörde legte anhand eines effizienten<br />
Modellversorgers eine Gebührenobergrenze<br />
fest, und jegliche Meinungsunterschiede zwischen<br />
dem Unternehmen, dass <strong>die</strong> Konzession hat, und<br />
der Regulierungsbehörde sollten durch eine Dreiparteien-Expertenkommission<br />
gelöst werden. Die<br />
Reform erlaubte <strong>die</strong> schrittweise Gebührenanpas-<br />
<strong>die</strong> öffentliche und private Versorgung bei allen<br />
Dienstleistungen und Nutzern funktioniert.<br />
Eine wesentliche Politikempfehlung ist,<br />
<strong>die</strong> staatlichen Mitarbeiter zu behalten. Dies<br />
bedeutet nicht notwendigerweise, dass <strong>die</strong> reichen<br />
Länder mehr technische Hilfe oder Zusammenarbeit<br />
bereitstellen sollen. Es bedeutet,<br />
dass sie den Transfer von Fähigkeiten und<br />
den Austausch von Erfahrungen unter den armen<br />
Ländern bezahlen sollen.<br />
Im Gesundheitswesen gibt es sowohl bei<br />
privatisierten Unternehmen als auch bei bestehenden<br />
privaten Dienstleistungen Regulierungsbedarf,<br />
sowohl in Hinblick auf den Verbraucherschutz<br />
als auch auf <strong>die</strong> Eindämmung<br />
der Kosten. In Entwicklungsländern sind <strong>die</strong><br />
Informationssysteme der meisten Gesundheitsministerien<br />
extrem schwach. Dies untergräbt<br />
ihre Fähigkeit (oder ist vielleicht ein<br />
Hinweis auf ihre mangelnde Bereitschaft<br />
dazu), <strong>die</strong> privaten Anbieter Vorschriften zu<br />
unterwerfen. Trotz weitverbreiteter privater<br />
Bereitstellung und hoher privater Ausgaben<br />
Erfolgreiche staatlich betriebene Wasserversorgungssysteme<br />
Quelle: ICIJ <strong>2003</strong>; Mehrotra und Delamonica (noch nicht veröffentlicht).<br />
sung an ein neues, höheres Niveau. Die objektive<br />
Gebührenfestsetzung war einer der Hauptfaktoren,<br />
<strong>die</strong> seit 1990 zum erfolgreichen Management der<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung beigetragen<br />
haben.<br />
Der private Sektor spielte im Bereich der Trinkwasser-<br />
und Sanitärversorgung in Chile eine Rolle,<br />
aber <strong>die</strong>se Rolle war beschränkt und durch <strong>die</strong> Zentralregierung<br />
streng reguliert. Es kam zu einem starken<br />
Anstieg der Auslagerung vieler Aktivitäten<br />
außer Haus durch alle Unternehmen, einschließlich<br />
des Betriebs, des Managements und der Kapitalinvestitionen<br />
ganzer Systeme sowie der Instandhaltung<br />
aller Bereiche der Versorgungsnetze, der Ablesung<br />
von Zählern und der Rechnungsstellung.<br />
Durch <strong>die</strong> Auslagerung wurde <strong>die</strong> Anzahl der pro<br />
Anschluss benötigten Arbeitskräfte reduziert. Und<br />
im Jahr 1995 lag der Durchschnitt der nicht erfassten<br />
Wassermenge bei 31 Prozent, sehr viel weniger<br />
als der lateinamerikanische Durchschnitt von 40–60<br />
Prozent.<br />
In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá<br />
wurde <strong>die</strong> Privatisierung Ende der 1990er Jahre verworfen.<br />
Die Stadt lehnte Geld von der Weltbank ab<br />
und machte sein Wasserwerk zu den erfolgreichsten<br />
in ganz Kolumbien.<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 147
ist es in Südasien alles andere als gelungen,<br />
durch Regulierung <strong>die</strong> Qualität der Versorgung<br />
für <strong>die</strong> meisten Nutzer der von Privatunternehmen<br />
angebotenen Dienstleistungen sicherzustellen.<br />
47<br />
Klinische Gesundheits<strong>die</strong>nste zu regulieren<br />
erfordert zum Beispiel, mit der Ausbreitung<br />
privater Anbieter umzugehen – <strong>die</strong> oft<br />
nicht ausgebildet sind, keine Lizenz haben<br />
und keinen Vorschriften unterworfen sind.<br />
Regierungen müssen <strong>die</strong>se Akteure unter den<br />
Einfluss des Staates bringen, was Lizenzen erfordert<br />
sowie regelmäßige Aus- und Fortbildung,<br />
um den Wissensstand und <strong>die</strong> Fähigkeiten<br />
zu verbessern. Durch Aus- und Fortbildung<br />
konnten in Kenia mehr Anti-Malaria-<br />
Mittel zur Verfügung gestellt und in Mexiko<br />
das Management akuter Atemwegsinfektionen<br />
und Durchfallerkrankungen verbessert werden.<br />
48 Außerdem hat <strong>die</strong> Rural Medical Association<br />
of West Bengal eine Liste der Weltgesundheitsorganisation<br />
(World Health Organization<br />
– WHO) von 40 lebenswichtigen<br />
Arzneimitteln <strong>über</strong>nommen, deren Einsatz <strong>die</strong><br />
WHO ihren Mitgliedern empfiehlt. Ärzte<br />
dazu zu bringen, den Einsatz <strong>die</strong>ser Arzneimittel<br />
einzuschränken, wird <strong>die</strong> Qualität und<br />
Kontrolle verbessern. Andere Maßnahmen<br />
zur Regulierung der Anbieter beinhalten <strong>die</strong><br />
Entwicklung einer Gesetzgebung zum Verbraucherschutz,<br />
<strong>die</strong> Förderung einer beruflichen<br />
Ethik und nicht-finanzielle Anreize, wie<br />
zum Beispiel höheres Prestige.<br />
Mit Hilfe von Zulassungen können Verbraucher<br />
dar<strong>über</strong> informiert werden, welche<br />
privaten Anbieter medizinischer Dienstleistungen<br />
registriert sind. Von einem berufsspezifischen<br />
Gremium, dass nicht registrierten<br />
Anbietern eine Zulassung sowie Aus- und<br />
Fortbildungen anbietet, würden sowohl <strong>die</strong><br />
Anbieter als auch <strong>die</strong> Öffentlichkeit profitieren.<br />
Es würde auf dem Wunsch der Anbieter<br />
nach sozialer Anerkennung und Prestige aufbauen.<br />
Und es würde helfen, durch Öffentlichkeitskampagnen<br />
den Einsatz lebenswichtiger<br />
Arzneimittel zu fördern.<br />
Auch <strong>die</strong> Verbesserung des Verbraucherverhaltens<br />
ist wichtig für <strong>die</strong> Regulierung der<br />
Gesundheitsversorgung. Dazu kann gehören,<br />
das Wissen der Verbraucher zu verbessern<br />
oder Subventionen anzubieten, um qualitativ<br />
hochwertige Dienste erschwinglicher zu machen.<br />
Regierungen können auch Institutionen<br />
schaffen, <strong>die</strong> es den Verbrauchern ermöglichen,<br />
private Anbieter in Regress zu nehmen,<br />
wenn sie eine schlechte Versorgung anbieten.<br />
Die Regulierung des Bildungs- und des<br />
Wassersektors ist oft gleichermaßen schwach.<br />
Bei der Wasserprivatisierung spielen staatliche<br />
Wasserbehörden oft <strong>die</strong> Rolle einer Kontrollbehörde.<br />
Doch internationale private Anbieter<br />
halten sich selten an ihre Vereinbarungen<br />
mit den Regierungen der Gastländer (siehe<br />
Kasten 5.4). 49 Es ist viel mehr internationale<br />
Unterstützung nötig, um <strong>die</strong> Regulierungskapazitäten<br />
in <strong>die</strong>sen und anderen Infrastrukturbereichen<br />
auszubauen, wenn der<br />
private Sektor mehr tun soll, damit <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
erreicht werden<br />
können.<br />
EINBEZIEHUNG VON<br />
NICHTREGIERUNGSORGANISATIONEN<br />
Die Bereitstellung sozialer Dienstleistungen<br />
durch Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />
wird als Mittelweg zwischen der Bereitstellung<br />
durch den Markt und der staatlichen Versorgung<br />
angesehen. Für einige Experten stellt<br />
<strong>die</strong>s eine Begründung dafür dar, <strong>die</strong> Rolle zivilgesellschaftlicher<br />
Organisationen bei der<br />
Bereitstellung <strong>die</strong>ser Dienstleistungen auszuweiten.<br />
Nichtregierungsorganisationen sind<br />
oft recht erfolgreich, wenn es darum geht, <strong>die</strong><br />
Lücken zu füllen, <strong>die</strong> das öffentliche System<br />
hinterlassen hat (wie zum Beispiel im Falle der<br />
Primarschulen, <strong>die</strong> vom Bangladesh Rural<br />
Advancement Committee eingerichtet wurden).<br />
Nichtregierungsorganisationen sind<br />
auch hilfreich, insbesondere für <strong>die</strong> Armen,<br />
wenn es darum geht, Gemeinschaftsbelange<br />
zu artikulieren, um Institutionen dazu zu bewegen,<br />
bessere Leistungen zu erbringen. Bei<br />
der Trinkwasser- und Sanitärversorgung werden<br />
ländliche Gegenden bislang am besten<br />
durch Nutzerkomitees versorgt, <strong>die</strong> von<br />
Nichtregierungsorganisationen unterstützt<br />
werden. Doch Nichtregierungsorganisationen<br />
sollten <strong>die</strong> Maßnahmen des Staates nur ergänzen,<br />
nicht ersetzen.<br />
148 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Nichtregierungsorganisationen gehen<br />
auch Partnerschaften mit Regierungen, Unternehmen<br />
und Organisationen der Zivilgesellschaft<br />
ein. Wenn private Firmen den Zuschlag<br />
für langfristige Konzessionen im Bereich der<br />
städtischen Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
bekommen, werden sie in der Regel vertraglich<br />
verpflichtet, <strong>die</strong> Reichweite der Versorgung<br />
merklich auszuweiten. Dieser Verpflichtung<br />
nachzukommen, könnte Fähigkeiten<br />
und Ressourcen erfordern, <strong>die</strong> außerhalb<br />
der Möglichkeiten privater, insbesondere ausländischer<br />
Firmen liegen. NRO-Partner können<br />
helfen, das Verständnis einer Firma für<br />
ihre armen Kunden zu verbessern (Ausbau<br />
der Kundenbasis, Verbesserung der Projektgestaltung).<br />
So lassen sich auch <strong>die</strong> Kosten für<br />
Kapital, Betrieb und Instandhaltung senken,<br />
wie im Falle der Wasserkonzessionen in La<br />
Paz und El Alto, Bolivien. Nichtregierungsorganisationen<br />
können auch Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen<br />
mehr Glaubwürdigkeit<br />
und Reichweite verleihen. Das französische<br />
Wasserunternehmen Vivendi initiierte<br />
eine Partnerschaft mit einer NRO in deren<br />
Projekt in KwaZulu-Natal, um <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />
armer Gemeinschaften in Südafrika besser<br />
verstehen zu lernen. 50<br />
Indem sie Druck ausüben und sich engagieren,<br />
schaffen Nichtregierungsorganisationen<br />
neue Aufgaben für Unternehmen. Ein<br />
Kontinuum von Protest und Partnerschaften<br />
zwischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen<br />
schafft neue Möglichkeiten der<br />
Kontrolle der globalen Geschäftswelt – Regulierung<br />
durch <strong>die</strong> Bürgerschaft. 51<br />
IDENTIFIZIERUNG BESSERER WEGE ZUR<br />
FINANZIERUNG VON DIENSTLEISTUNGEN<br />
Neben der Erhöhung der Steuereinnahmen<br />
der Regierung gibt es Verbesserungsmöglichkeiten<br />
bei den Tarifen und Gebühren für<br />
Dienstleistungen, um sie zweckmäßiger und<br />
gerechter zu machen. Wenn es um ihre Gesundheit<br />
geht, können plötzliche, hohe Barausgaben<br />
Patienten in <strong>die</strong> Armut (oder noch weiter<br />
in <strong>die</strong> Armut) treiben. Untersuchungen aus<br />
60 Ländern zeigen, dass bei armen Bevölkerungsgruppen<br />
der Anteil der Haushalte, deren<br />
KASTEN 5.4<br />
Der Großraum Manila und Buenos Aires: Unterschiedliche<br />
Erfahrungen mit der Privatisierung der Wasserversorgung<br />
Manila<br />
Im Jahr 1995 erklärten <strong>die</strong> Philippinen<br />
den Wasser-Notstand. Die öffentlichen<br />
Wasserversorger hatten 3,6 Millionen<br />
Menschen nicht an <strong>die</strong> Wasserversorgung<br />
angeschlossen. Und für <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong><br />
Wasseranschlüsse hatten, gab es häufig<br />
Unregelmäßigkeiten bei der Versorgung.<br />
Im Jahr 1997 bekamen zwei private<br />
Wasserunternehmen <strong>die</strong> Konzessionen,<br />
das Wassersystem von Manila zu <strong>über</strong>nehmen.<br />
Das Stadtgebiet wurde dabei in eine<br />
östliche und eine westliche Zone aufgeteilt.<br />
Innerhalb von fünf Jahren hatten <strong>die</strong><br />
Unternehmen rund zwei Millionen Menschen<br />
mehr an das Versorgungsnetz angeschlossen,<br />
und <strong>die</strong> Versorgung hatte sich<br />
bedeutend verbessert. In <strong>die</strong>sem Zeitraum<br />
verdreifachte sich <strong>die</strong> Anzahl der Neuanschlüsse<br />
von 17.040 pro Jahr (vor der Privatisierung)<br />
auf 53.921 (danach).<br />
Doch sechs Jahre nach der Privatisierung<br />
haben <strong>die</strong> Wasserunternehmen ihre<br />
Zielvorgaben nicht erreicht — und bitten<br />
sogar darum, ihre Konzessionen wieder<br />
abtreten zu dürfen. Bis zum Jahr 2001 hatte<br />
eines der beiden Unternehmen 85 Prozent<br />
der Bevölkerung in seinem Gebiet mit<br />
Wasser versorgt, und damit etwas weniger<br />
als <strong>die</strong> geplanten 87 Prozent, während das<br />
andere Unternehmen seine Zielvorgabe<br />
<strong>über</strong>traf. Doch um <strong>die</strong> Berechnung <strong>die</strong>ser<br />
Zahlen gibt es zahlreiche Diskussionen,<br />
was möglicherweise dazu führen könnte,<br />
dass <strong>die</strong> gemeldeten Erfolgsquoten gesenkt<br />
werden. Zwar stellte das eine der privaten<br />
Wasserunternehmen keinen Rückgang<br />
der Anzahl der lecken Rohre und der<br />
Fälle von Wasser<strong>die</strong>bstahl fest, doch das<br />
andere verzeichnete steigende Zahlen. Bis<br />
zum Januar <strong>2003</strong> waren in beiden Zonen<br />
<strong>die</strong> Wassergebühren auf das Zwei- bis<br />
Fünffache der Gebühren von 1997 gestiegen.<br />
Im Jahr 2000 ergab eine Befragung<br />
der Einwohner von 100 Bezirken ein ge-<br />
Quelle: ICIJ <strong>2003</strong>b; Galiani, Gertler und Schargrodsky 2002; ICIJ <strong>2003</strong>d.<br />
Gesundheitsausgaben hoch sind, größer ist. 52<br />
Angesichts fehlender öffentlicher Finanzmittel<br />
können Vorauszahlungssysteme – <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
hohen Gesundheitskosten in Grenzen halten,<br />
indem sie <strong>die</strong> Risiken auf eine Gruppe von<br />
Personen aufteilen – helfen, mit dem Problem<br />
umzugehen. Solche Systeme haben nicht nur<br />
mischtes Bild bei der Wahrnehmung der<br />
Privatisierung. 33 Prozent der Befragten<br />
bemerkten, dass <strong>die</strong> Versorgung besser geworden<br />
sei, 55 Prozent bemerkten keine<br />
Veränderung und 12 Prozent stellten eine<br />
Verschlechterung fest.<br />
Buenos Aires<br />
Im Jahr 1993 privatisierte <strong>die</strong> argentinische<br />
Regierung <strong>die</strong> Wasserwerke von Buenos<br />
Aires. Daraufhin nahmen <strong>die</strong> Qualität<br />
und der Ausbau der Versorgung zu.<br />
Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen<br />
rund eine Million neue Nutzer an das<br />
Wassersystem angeschlossen, und im ersten<br />
Jahr senkte es <strong>die</strong> Gebühren um 27<br />
Prozent. Aber <strong>die</strong>se Senkung machte lediglich<br />
<strong>die</strong> starken Gebührenerhöhungen<br />
rückgängig, welche vor der Privatisierung<br />
von den Wasserwerken eingeführt worden<br />
waren. In den darauffolgenden Jahren erhöhte<br />
das Unternehmen mehrfach <strong>die</strong><br />
Wassergebühren, und 1996 kam es in Buenos<br />
Aires zu Protesten gegen <strong>die</strong> hohen<br />
Wasserrechnungen.<br />
Außerdem wurde 1997 durch eine<br />
staatliche Untersuchung herausgefunden,<br />
dass das Unternehmen nur rund ein Drittel<br />
der Pumpstationen und der unterirdischen<br />
Leitungen gebaut hatte, <strong>die</strong> es versprochen<br />
hatte bis dahin fertig zu stellen.<br />
Die Investitionen in <strong>die</strong> Abwassernetze<br />
beliefen sich auf insgesamt nur 9,4 Millionen<br />
US-Dollar — ein Fünftel der zugesagten<br />
Beträge. Nach aktuellen Schätzungen<br />
sieht das Bild jedoch anders aus, wenn<br />
man das gesamte Land betrachtet. In der<br />
zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben in<br />
Stadtbezirken mit privat gemanagter Wasserversorgung<br />
<strong>die</strong> Systeme besser funktioniert<br />
als in Bezirken mit staatlichen Betrieben,<br />
insbesondere in armen Gegenden.<br />
Das hat dazu beigetragen, dass <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />
schneller gesenkt werden<br />
konnte.<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 149
geholfen, arme Haushalte vor katastrophalen<br />
Gesundheitskosten zu schützen, sie haben<br />
KASTEN 5.5<br />
Die Bamako-Initiative: Zusammenlegung kommunaler<br />
Mittel für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung<br />
Die Bamako-Initiative ist eine Initiative, in<br />
der <strong>die</strong> Gemeinschaft ihre Ressourcen zusammenlegt,<br />
um <strong>die</strong> lokale Gesundheitsversorgung<br />
zu finanzieren. Die Initiative<br />
ist in unterschiedlichem Umfang in mehr<br />
als 40 Ländern mit niedrigem Einkommen<br />
umgesetzt worden, wobei <strong>die</strong> Hälfte davon<br />
in Afrika südlich der Sahara liegen. Die Initiative<br />
hat nicht nur Haushalte vor katastrophal<br />
hohen Gesundheitskosten bewahrt,<br />
sondern hat auch Gemeinschaften<br />
organisiert, um dabei zu helfen <strong>die</strong> lokale<br />
öffentliche Gesundheitsversorgung leistungsfähiger<br />
zu machen und aufrecht zu<br />
erhalten. Diese Gemeinschaften steuern finanzielle<br />
Mittel zur Finanzierung lokaler<br />
Kliniken bei und haben eine Stimme im<br />
Management der Dienstleistungen.<br />
Die der Initiative zu Grunde liegende<br />
Strategie ist es, <strong>die</strong> öffentlichen Gesundheitssysteme<br />
zu revitalisieren, indem <strong>die</strong><br />
Entscheidungsstrukturen von der nationalen<br />
Ebene dezentral auf <strong>die</strong> Distrikt-Ebene<br />
verlagert werden. Ein Mindestpaket an unverzichtbaren<br />
Dienstleistungen soll durch<br />
gesundheitliche Grundversorgungseinheiten<br />
bereitgestellt werden. Die Finanzierung<br />
erfolgt durch <strong>die</strong> Gemeinschaft, und<br />
<strong>die</strong> Gemeinschaft ist auch am Management<br />
beteiligt. Ziel ist es, <strong>die</strong> Dienstleistungen<br />
zu verbessern, indem ein ausreichendes<br />
Einkommen erwirtschaftet wird,<br />
um einige der lokalen Betriebskosten zu<br />
decken, wie zum Beispiel <strong>die</strong> Versorgung<br />
mit unentbehrlichen Arzneimitteln, <strong>die</strong><br />
Gehälter einiger unterstützender Mitarbeiter<br />
oder Anreize für <strong>die</strong> Mitarbeiter im<br />
Gesundheitsbereich. Die Mittel aus der<br />
Gemeinschaftsfinanzierung fließen nicht<br />
in <strong>die</strong> zentrale Finanzkasse, sondern bleiben<br />
in der Gemeinschaft und werden<br />
durch sie kontrolliert, durch ein auf lokaler<br />
Ebene gewähltes Gesundheitskomitee.<br />
Aus reinen Empfängern gesundheitlicher<br />
Versorgung werden aktive Partner, deren<br />
Stimme zählt.<br />
Nach zehn Jahren Umsetzung der Initiative<br />
hat <strong>die</strong> Gemeinschaftsaktion in den<br />
meisten ländlichen Gesundheitszentren in<br />
Benin und Guinea fast <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung<br />
in <strong>die</strong> Lage versetzt, <strong>die</strong>se Dien-<br />
Quelle: Mehrotra und Delamonica in (noch nicht veröffentlicht).<br />
ste regelmäßig zu nutzen. Es konnte dadurch<br />
auch der Grad an Immunisierungen<br />
angehoben und fast auf dem Niveau der<br />
für das Jahr 2000 festgelegten "Gesundheit<br />
für alle"-Zielvorgaben gehalten werden.<br />
Es wird in einigen Fällen als <strong>die</strong> erschwinglichste<br />
Option für <strong>die</strong> Ärmsten der<br />
Armen gesehen, geringe Gebühren von<br />
den Nutzern zu erheben, <strong>die</strong> sonst teurere<br />
Alternativen in Anspruch nehmen müssen<br />
— wenngleich nicht unbedingt geklärt ist,<br />
ob es Schutzmechanismen für mittellose<br />
Mitglieder der Gemeinschaft gibt.<br />
Ein großer Teil der Erfolge bestand<br />
darin, dass sichergestellt wurde, dass erschwingliche<br />
unentbehrliche Arzneimittel<br />
in den Gesundheitszentren ohne weiteres<br />
zur Verfügung stehen, unter dem prüfenden<br />
Blick der Komitees. Ein weiterer Faktor<br />
ist das Verhalten der Mitarbeiter im<br />
Gesundheitswesen — traditionell ein<br />
Grund für <strong>die</strong> Menschen, insbesondere<br />
Frauen, Gesundheits<strong>die</strong>nste nicht zu nutzen.<br />
Auch hier gab es Verbesserungen.<br />
Diese Erfahrung legt nahe, dass bei<br />
mangelnder staatlicher Finanzierung der<br />
Gesundheitsversorgung <strong>die</strong> Zusammenlegung<br />
von Ressourcen der Gemeinschaft<br />
und einige Vorauszahlungen durch <strong>die</strong> Armen<br />
ein fairer und effizienter Mechanismus<br />
zur Bereitstellung von Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />
für <strong>die</strong> Armen ist. In Gesundheitssystemen,<br />
in denen <strong>die</strong> Menschen für<br />
viele der Kosten der Gesundheitsleistungen<br />
aus eigener Tasche aufkommen müssen,<br />
ist der Zugang auf <strong>die</strong>jenigen beschränkt,<br />
<strong>die</strong> es sich leisten können zu bezahlen.<br />
Die Ärmsten werden dabei sehr<br />
wahrscheinlich ausgeschlossen. Die Fairness<br />
beim Schutz vor finanziellen Risiken<br />
erfordert also <strong>die</strong> größtmögliche Trennung<br />
von Beiträgen und Nutzung. Es gibt<br />
einen Konsens bezüglich der zentralen<br />
Rolle der staatlichen Finanzierung der öffentlichen<br />
Gesundheit. Doch für <strong>die</strong> persönliche<br />
Gesundheitsversorgung ist es<br />
nicht <strong>die</strong> öffentlich-private Dichotomie,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Leistung eines Gesundheitssystems<br />
am meisten bestimmt, sondern der Unterschied<br />
zwischen Vorauszahlungen und<br />
Barausgaben.<br />
auch geholfen, Gemeinschaften zu organisieren,<br />
um kommunale Gesundheitssysteme zu<br />
stützen ( siehe Kasten 5.5).<br />
In den meisten Entwicklungsländern gibt<br />
es im staatlichen Schulwesen auf der höheren<br />
Bildungsebene Spielraum für eine sehr viel<br />
umfassendere Kostendeckung. In den 1990er<br />
Jahren erhöhten Afrika und In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Kostendeckung<br />
der staatlichen Universitäten. 53<br />
Dennoch ist das Potenzial bei weitem noch<br />
nicht ausgeschöpft. Eine höhere Bildung bietet<br />
enorme private Vorteile, und <strong>die</strong> meisten,<br />
<strong>die</strong> dazu Zugang haben, sind nicht arm. Es<br />
gibt also Spielraum für sehr viel umfassendere<br />
Kostendeckung (kombiniert mit Ausnahmen<br />
für <strong>die</strong> Armen).<br />
In Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
ist <strong>die</strong> strategische Gebührenfestsetzung<br />
(bei der <strong>die</strong> Nutzungsgebühren mit<br />
höherem Nutzungsgrad steigen) verbunden<br />
mit gezielten Subventionen ein guter Weg, um<br />
mehr Menschen mit Wasser zu versorgen. Dabei<br />
spielt es keine Rolle, ob es sich um einen<br />
öffentlichen oder einen privaten Anbieter handelt.<br />
Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist höher,<br />
wenn man sich dabei an geographischen Kriterien<br />
orientiert (und auf Orte abzielt, wo <strong>die</strong><br />
Armen leben), als wenn man nach dem Einkommen<br />
geht.<br />
MIT DEN RISIKEN DER<br />
PRIVATISIERUNG UMGEHEN<br />
Internationale Institutionen, <strong>die</strong> sich für <strong>die</strong><br />
Privatisierung sozialer Dienstleistungen einsetzen,<br />
müssen vorher sehr viel mehr Unterstützung<br />
anbieten, um Regulierungskapazitäten<br />
aufzubauen. Die Weltbank verfolgt einige Initiativen<br />
in <strong>die</strong>sem Bereich, wie zum Beispiel<br />
das Internationale Forum zur Regulierung öffentlicher<br />
Versorgungsbetriebe (International<br />
Forum for Utility Regulation), das 1996 als<br />
<strong>über</strong>geordnete Struktur für Lern- und Vernetzungsinitiativen<br />
für Regulierungsbehörden der<br />
öffentlichen Versorgungsbetriebe geschaffen<br />
wurde. Doch <strong>die</strong> internationalen Organisationen<br />
sollten mehr tun, als nur Beratung anzubieten.<br />
Sie sollten auch Besuche von Mitarbeitern<br />
solcher Regulierungsbehörden aus Entwicklungsländern<br />
in anderen Länder ermögli-<br />
150 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
chen, <strong>die</strong> mehr Erfahrungen in der Regulierung<br />
des Privatsektors haben. Es besteht auch ein<br />
Bedarf, Muster-Klauseln für Kooperationen<br />
zwischen öffentlichen und privaten Trägern im<br />
Wasserbereich zu erarbeiten. Solche Klauseln<br />
würden auf den Erkenntnissen aufbauen, <strong>die</strong> in<br />
<strong>die</strong>sem Kapitel vorgestellt wurden, so dass in<br />
zukünftigen Verträgen <strong>die</strong> Fallstricke der Vergangenheit<br />
vermieden werden können.<br />
Im Wasserbereich sind alle Einnahmen in<br />
einheimischer Währung. Auslandskredite zu<br />
be<strong>die</strong>nen beinhaltet daher ein Wechselkursrisiko<br />
sowohl für Schuldner als auch für Investoren.<br />
Dies wurde nach den Währungsabwertungen<br />
in Argentinien, Indonesien und den Philippinen<br />
zum Problem. Es wurde Druck auf <strong>die</strong><br />
Tochtergesellschaften im Wasserbereich ausgeübt,<br />
<strong>die</strong> Wassergebühren der Verbraucher<br />
anzuheben, um <strong>die</strong> Kredite zu be<strong>die</strong>nen. Deshalb<br />
sollten zentrale Regierungsbehörden <strong>die</strong><br />
Kommunalverwaltungen, <strong>die</strong> in der Regel für<br />
<strong>die</strong> Wasserversorgung verantwortlich sind,<br />
dazu anhalten, einheimische Kredite bei nationalen<br />
Entwicklungsbanken aufzunehmen.<br />
Allzu oft wird angenommen, dass <strong>die</strong> Beteiligung<br />
des Privatsektors im Wasserbereich <strong>die</strong><br />
Beteiligung multinationaler ausländischer Unternehmen<br />
bedeutet. In vielen Städten in Entwicklungsländern<br />
versorgen Kleinanbieter bedeutende<br />
Teile der Bevölkerung: in Delhi, In<strong>die</strong>n,<br />
sechs Prozent, in Dhaka, Bangladesch,<br />
zehn Prozent, in Ho Chi Minh Stadt, Vietnam,<br />
19 Prozent und in Jakarta/Indonesien 44 Prozent.<br />
54<br />
In allen Sektoren sollten Regulierungskapazitäten<br />
aufgebaut werden, bevor privatisiert<br />
wird. Sonst kann es passieren, dass der Privatsektor<br />
lediglich auf eine andere Nachfrage, nicht<br />
auf eine zusätzliche Nachfrage reagiert, sei es<br />
im Bildungswesen, in der klinischen Gesundheitsversorgung<br />
oder bei der Trinkwasser- und<br />
Sanitärversorgung. Mit besseren Informationen<br />
<strong>über</strong> den Privatsektor und leistungsfähigeren<br />
Regulierungskapazitäten kann der Staat sicherstellen,<br />
dass der Privatsektor bei der Bereitstellung<br />
und Finanzierung der sozialen<br />
Grundversorgung eine komplementäre Rolle<br />
spielt.<br />
PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 151
KAPITEL 6<br />
Staatliche Maßnahmen zur Sicherung der<br />
ökologischen Nachhaltigkeit<br />
Zur Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />
– das siebte Millenniums-Entwicklungsziel<br />
– müssen nachhaltige Entwicklungsmuster<br />
erreicht und <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit natürlicher<br />
Ökosysteme für zukünftige Generationen<br />
bewahrt werden. Beide Aufgaben erfordern<br />
eine Vielzahl politischer Maßnahmen zur Beseitigung<br />
von Umweltschäden und zur Verbesserung<br />
des Ökosystem-Managements. Das<br />
Problem hat zwei Dimensionen: <strong>die</strong> Verringerung<br />
der natürlichen Ressourcenknappheit<br />
der Armen und <strong>die</strong> Beseitigung von Umweltschäden<br />
als Folge des hohen Konsums der<br />
Reichen.<br />
Viele Umweltprobleme entstehen durch<br />
<strong>die</strong> Produktions- und Konsummuster der<br />
Nicht-Armen, insbesondere in den reichen<br />
Ländern. Die reichen Länder verbrauchen<br />
eine große Menge fossiler Brennstoffe und erschöpfen<br />
viele Fischgründe. Damit schädigen<br />
sie <strong>die</strong> globale Umwelt. Sie verwenden auch<br />
tropische Harthölzer in großen Mengen und<br />
Produkte gefährdeter Arten.<br />
Um <strong>die</strong> Nachhaltigkeit der Erde und ihrer<br />
Ressourcen einschließlich der Aussichten der<br />
armen Länder auf Entwicklung zu gewährleisten,<br />
müssen <strong>die</strong>se schädlichen Produktionsund<br />
Konsummuster geändert werden. Systeme<br />
zur Energieerzeugung müssen wesentlich<br />
weniger Treibhausgase freisetzen. Fischgründe<br />
müssen entsprechend ihrer ökologischer<br />
Tragfähigkeit statt in einem hochgradig subventionierten<br />
allgemeinen Wettbewerb bewirtschaftet<br />
werden. Und internationale Spielregeln<br />
müssen den <strong>über</strong>mäßigen Verbrauch<br />
eindämmen, der Ökosysteme und bestimmte<br />
Pflanzen- und Tierarten bedroht. Mit klugen<br />
politischen Maßnahmen und neuen Technologien<br />
können <strong>die</strong> Kosten <strong>die</strong>ser Veränderungen<br />
gleichwohl relativ niedrig gehalten werden.<br />
Gleichzeitig beruhen viele Umweltprobleme<br />
aber auch auf Armut. Sie tragen zu einer<br />
Abwärtsspirale bei, in der Armut den Zustand<br />
der Umwelt noch weiter verschlechtert, und<br />
Schädigungen der Umwelt wiederum <strong>die</strong> Armut<br />
verschärfen. Beispielsweise gibt es in armen<br />
ländlichen Gebieten enge Zusammenhänge<br />
zwischen hoher Säuglingssterblichkeit, hoher<br />
Fruchtbarkeit, starkem Bevölkerungswachstum<br />
und umfangreicher Entwaldung, zum Beispiel<br />
wenn Bauern Tropenwälder fällen, um Brennholz<br />
und neue Anbauflächen zu gewinnen.<br />
Angesichts <strong>die</strong>ser Kausalkette können politische<br />
Maßnahmen zur Verringerung der<br />
Kindersterblichkeit der Umwelt nutzen, indem<br />
sie das Bevölkerungswachstum reduzieren<br />
und den demographischen Druck auf fragile<br />
Ökosysteme verringern. Es gibt zahlreiche<br />
weitere Beispiele dafür, dass Armut zur Schädigung<br />
der Umwelt beiträgt.<br />
Armutsbekämpfung kann deshalb eine<br />
wichtige Rolle beim Umweltschutz spielen.<br />
Von der Verschlechterung der Umweltbedingungen<br />
– einschließlich der Erschöpfung<br />
natürlicher Ressourcen und der Verschlechterung<br />
des Zustands von Ökosystemen und<br />
ihren Leistungen – sind <strong>die</strong> Armen am stärksten<br />
betroffen. Und wenn arme Menschen <strong>die</strong><br />
Umwelt schädigen, geschieht <strong>die</strong>s häufig, weil<br />
reiche Eliten ihnen ihre Rechte auf natürliche<br />
Ressourcen verwehren. In vielen Fällen werden<br />
<strong>die</strong> Armen beispielsweise auf Grenzertragsböden<br />
abgedrängt, <strong>die</strong> anfälliger für Umweltschäden<br />
sind. 1<br />
Weltweit leben 900 Millionen Menschen<br />
in ländlichen Gebieten in absoluter Armut.<br />
Hinsichtlich ihres Lebensunterhalts sind sie<br />
weitgehend auf den Verbrauch und den Verkauf<br />
von Naturprodukten angewiesen. In<br />
Tansania erwirtschaften <strong>die</strong> Armen bis zu<br />
50 Prozent ihres Geldeinkommens durch den<br />
Verkauf von Produkten des Waldes wie Holzkohle,<br />
Honig, Brennholz und wild wachsende<br />
Früchte. 2 Die am wenigsten entwickelten Län-<br />
Ziel 7: Sicherung der<br />
ökologischen<br />
Nachhaltigkeit<br />
Zielvorgabe 9: Die Grundsätze<br />
der nachhaltigen Entwicklung<br />
in einzelstaatliche Politiken<br />
und Programme einbauen<br />
und den Verlust von Umweltressourcen<br />
umkehren<br />
Zielvorgabe 10: Bis 2015 den<br />
Anteil der Menschen um <strong>die</strong><br />
Hälfte senken, <strong>die</strong> keinen<br />
nachhaltigen Zugang zu hygienischem<br />
Trinkwasser haben<br />
Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />
eine erhebliche Verbesserung<br />
der Lebensbedingungen von<br />
mindestens 100 Millionen<br />
Slumbewohnern herbeiführen<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 153
KASTEN 6.1<br />
Wie globale Klimaveränderungen <strong>die</strong><br />
Entwicklungsländer bedrohen<br />
Globale Klimaveränderungen dürften <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />
Disparitäten zwischen reichen und<br />
armen Ländern vergrößern. Dies dürfte insbesondere<br />
für einen Temperaturanstieg gelten. Die geschätzten<br />
Schäden für arme Länder spiegeln teilweise<br />
ihre schwächeren Anpassungskapazitäten<br />
wider. Deshalb ist der Klimawandel ein wichtiges<br />
Entwicklungsthema.<br />
Der Klimawandel kann zu weitreichenden,<br />
möglicherweise irreversiblen Veränderungen von<br />
Umweltsystemen mit globalen und kontinentalen<br />
Auswirkungen führen. Obwohl <strong>über</strong> <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />
und <strong>die</strong> Reichweite <strong>die</strong>ser Auswirkungen<br />
wenig bekannt ist, werden sie beträchtlich<br />
sein und müssen deshalb bei der Entwicklung politischer<br />
Handlungskonzepte berücksichtigt werden.<br />
Zu den potenziellen Auswirkungen zählen:<br />
• Geringere Ernteerträge in den meisten tropischen<br />
und subtropischen Regionen und größere<br />
Schwankungen der landwirtschaftlichen Produktivität<br />
infolge extremer Wetterbedingungen (Dürren<br />
und Überschwemmungen).<br />
• Größere Schwankungen der Niederschlagsmenge<br />
während des Sommer-Monsuns in Asien,<br />
<strong>die</strong> zu einer geringeren Nahrungsmittelproduktion<br />
und einer Zunahme des Hungers führen könnten.<br />
• Schlechtere Verfügbarkeit von Wasser in vielen<br />
Regionen mit Wasserknappheit, insbesondere<br />
in subtropischen Regionen. Bessere Verfügbarkeit<br />
von Wasser in einigen Regionen mit Wasserknappheit,<br />
beispielsweise in Teilen Südostasiens.<br />
• Stärkere Zerstörung von Korallenriffen und<br />
Küstenökosystemen sowie Veränderungen von<br />
durch <strong>die</strong> Meere beeinflussten Wettermustern.<br />
• Anstieg des Meeresspiegels. Bei einem teilweise<br />
durch <strong>die</strong> globale Erwärmung bedingten Anstieg<br />
des Meeresspiegels um einen Meter könnten<br />
zwölf Prozent der Fläche von Ägypten, auf denen<br />
sieben Millionen Menschen leben, verschwinden.<br />
Bei einem Anstieg des Meeresspiegels könnten<br />
mehrere kleine Inselstaaten wie <strong>die</strong> Malediven<br />
und Tuvalu unbewohnbar und große Teile anderer<br />
Länder <strong>über</strong>flutet werden.<br />
• Zunehmende Gefährdung durch Krankheiten,<br />
bei denen <strong>die</strong> Infektion durch Überträger (Malaria,<br />
Dengue-Fieber) oder durch Wasser (Cholera)<br />
erfolgt.<br />
Quelle: IPCC 2001a, b; UNDP 1998.<br />
der sind am stärksten von der Landwirtschaft<br />
und von natürlichen Ressourcen abhängig.<br />
Wenn Entwicklungsländer sich in Bezug auf<br />
Exporteinnahmen jedoch auf Primärprodukte<br />
– aus der Agrar- und Forstwirtschaft, dem Abbau<br />
von Bodenschätzen, der Fischerei – stüt-<br />
zen, setzen sie sich den Risiken der Ressourcenerschöpfung<br />
und sich verschlechternder<br />
Austauschverhältnisse im Außenhandel aus.<br />
Die Beziehung zwischen Armut und Umweltressourcen<br />
hat auch eine starke geschlechtsspezifische<br />
Dimension. Arme Frauen<br />
und Mädchen leiden unverhältnismäßig stark<br />
unter der Verschlechterung des Zustands der<br />
Umwelt, weil häufig sie dafür verantwortlich<br />
sind, Brennmaterial und Futter zu sammeln<br />
und Wasser zu holen. In vielen Ländern müssen<br />
Frauen und Mädchen in ländlichen Gebieten<br />
auf Grund der fortschreitenden Entwaldung<br />
zum Sammeln von Brennholz immer<br />
größere Entfernungen zurückzulegen und immer<br />
mehr Zeit und Energie aufwenden. In<br />
Afrika brauchen sie allein zum Wasserholen<br />
bis zu drei Stunden täglich und verbrauchen<br />
dabei mehr als ein Drittel ihrer täglich aufgenommenen<br />
Menge an Nahrung. 3<br />
Die Armen leiden gewöhnlich am stärksten<br />
unter Luft- und Wasserverschmutzung.<br />
Sie wenden einen größeren Teil ihres Haushaltseinkommens<br />
für Energie auf, aber <strong>die</strong><br />
Leistungen, <strong>die</strong> sie erhalten, sind oft qualitativ<br />
minderwertig – beispielsweise Biomassebrennstoffe,<br />
<strong>die</strong> in ineffizienten, zur Umweltverschmutzung<br />
beitragenden Öfen verbrannt<br />
werden, oder Petroleumlampen, <strong>die</strong> mehr pro<br />
Einheit Beleuchtungsstärke kosten als Lampen,<br />
<strong>die</strong> <strong>über</strong> ein Stromnetz versorgt werden.<br />
Die Armen sind auch am anfälligsten für<br />
Umweltkatastrophen und -belastungen einschließlich<br />
Überschwemmungen, anhaltender<br />
Dürren und der sich abzeichnenden Auswirkungen<br />
globaler Klimaveränderungen (Kasten<br />
6.1). Zudem sind sie am wenigsten im Stande,<br />
solche Katastrophen und Belastungen zu<br />
bewältigen. Die Armen in ländlichen Trockengebieten<br />
in In<strong>die</strong>n bestreiten normalerweise<br />
etwa 20 Prozent ihres Einkommens aus Produkten<br />
wie wild wachsenden Früchten oder<br />
Honig, <strong>die</strong> mit der biologischen Vielfalt zusammenhängen.<br />
In Dürreperioden steigt der Anteil<br />
<strong>die</strong>ser Produkte auf mehr als 40 Prozent, weil<br />
angebaute Feldfrüchte ausfallen. 4<br />
Die ökologische Nachhaltigkeit zu vernachlässigen<br />
kann zu kurzfristigen wirtschaftlichen<br />
Vorteilen führen. Es kann jedoch den<br />
Armen schaden und auf lange Sicht <strong>die</strong> Ar-<br />
154 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
mutsbekämpfung untergraben. 5 Der enge Zusammenhang<br />
zwischen Armut und Umwelt<br />
macht es notwendig, das Augenmerk auf den<br />
Bedarf der Menschen zu richten, <strong>die</strong> für ihren<br />
Lebensunterhalt auf natürliche Ressourcen<br />
und Umweltleistungen angewiesen sind.<br />
Theoretisch und in der Praxis sollte UmweltmanagementErwerbsmöglichkeitenschaffen,<br />
<strong>die</strong> Eigentums- und Nutzungsrechte der<br />
Menschen stärken und ihre Teilhabe an politischen<br />
Entscheidungsprozessen fördern.<br />
Der Zusammenhang zwischen Armut und<br />
Umwelt gilt auch umgekehrt. Die Armen sind<br />
oft der Mittel und Rechte beraubt, um mit verbesserter<br />
Wasseraufbereitung und Sanitärversorgung,<br />
saubereren Energietechnologien und<br />
so weiter in <strong>die</strong> nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen<br />
investieren zu können. Den<br />
Armen fehlen auch <strong>die</strong> finanziellen Mittel, um<br />
in Substitute für Umweltleistungen investieren<br />
zu können.<br />
Immer weiter zunehmender Konsum schadet<br />
der Umwelt durch Schadstoffe – Emissionen<br />
und Abfälle. Die zunehmende Erschöpfung<br />
und Degradation erneuerbarer Ressourcen<br />
untergräbt ebenfalls <strong>die</strong> Möglichkeiten,<br />
daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten. In<br />
den letzten 50 Jahren haben sich <strong>die</strong> Kohlendioxidemissionen<br />
vervierfacht, wobei ein<br />
großer Teil des Zuwachses in den reichen Ländern<br />
anfiel. 1999 belief sich in den OECD-<br />
Ländern mit hohem Einkommen der Kohlendioxidausstoß<br />
auf mehr als 12 metrische Tonnen<br />
pro Kopf – verglichen mit 0,2 Tonnen in<br />
den am wenigsten entwickelten Ländern.<br />
Weil reiche Länder in höherem Maße zur<br />
globalen Verschlechterung des Zustands der<br />
Umwelt beitragen und <strong>über</strong> größere finanzielle<br />
sowie technologische Ressourcen verfügen,<br />
fällt ihnen ein großer Teil der Verantwortung<br />
zu, sich Umweltbelangen zu widmen. Die reichen<br />
Länder müssen auch den armen Ländern<br />
helfen, eine ökologisch nachhaltige Entwicklung<br />
zu verfolgen. Um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen, sind politische<br />
Maßnahmen erforderlich, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Komplementarität<br />
zwischen nachhaltiger Entwicklung<br />
und Umweltmanagement berücksichtigen und<br />
<strong>die</strong> Tradeoffs minimieren. Die ökologische<br />
Nachhaltigkeit sicherzustellen ist zweifelsohne<br />
TABELLE 6.1<br />
Warum das Erreichen des Umweltziels so wichtig für <strong>die</strong> anderen Ziele ist<br />
Ziel Zusammenhang mit der Umwelt<br />
1. Beseitigung der extremen Armut Der Lebensunterhalt und <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />
und des Hungers der Armen hängen oft von den Gütern und Leistungen<br />
von Ökosystemen ab. Die Armen haben<br />
gewöhnlich unsichere Rechte an Umweltressourcen<br />
und unzureichenden Zugang zu Märkten, Entscheidungsprozessen<br />
und Umweltinformationen.<br />
Dies beschränkt ihre Fähigkeit, <strong>die</strong> Umwelt zu<br />
schützen sowie ihren Lebensunterhalt und ihr<br />
Wohlergehen zu verbessern. Der mangelnde Zugang<br />
zu Energieversorgung beschränkt zudem <strong>die</strong><br />
Möglichkeiten für produktive Aktivitäten, insbesondere<br />
in ländlichen Gebieten.<br />
2. Verwirklichung der allgemeinen Die Zeit, <strong>die</strong> damit verbracht wird, Wasser und<br />
Primarschulbildung Brennholz zu sammeln, verringert <strong>die</strong> für den<br />
Schulbesuch verfügbare Zeit. Außerdem halten<br />
fehlende Energie-, Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />
in ländlichen Gebieten qualifizierte Lehrer<br />
davon ab, Stellen in armen Dörfern anzunehmen.<br />
3. Förderung der Gleichstellung der Weil Frauen und Mädchen Wasser holen und<br />
Geschlechter und Ermächtigung Brennmaterial sammeln müssen, sind sie einer<br />
der Frau besonderen Belastung ausgesetzt. Dies verringert<br />
ihre Chancen auf Bildung, Alphabetisierung sowie<br />
Einkommen schaffende Aktivitäten und <strong>die</strong> Zeit,<br />
<strong>die</strong> sie dafür aufwenden können. Frauen haben<br />
oft ungleiche Rechte an und unsicheren Zugang<br />
zu Grund und Boden und anderen natürlichen<br />
Ressourcen. Dies beschränkt ihre Möglichkeiten<br />
und ihren Zugang zu anderen produktiven Aktiva.<br />
4. Senkung der Kindersterblichkeit Durch unsauberes Wasser und unzureichende Sanitärversorgung<br />
bedingte Krankheiten (wie Diarrhöe)<br />
und durch Umweltverschmutzung bedingte<br />
Infektionen der Atemwege zählen zu den Haupttodesursachen<br />
bei Kindern unter fünf Jahren. Der<br />
Mangel an Brennmaterial zum Abkochen von<br />
Wasser trägt ebenfalls zu vermeidbaren durch<br />
Wasser <strong>über</strong>tragenen Krankheiten bei.<br />
5. Verbesserung der Gesundheit von Verschmutzte Raumluft einzuatmen und schwere<br />
Müttern Wasser- und Brennholzlasten zu tragen schadet<br />
der Gesundheit von Frauen und kann ihre Gebärfähigkeit<br />
beeinträchtigen, was das Risiko von<br />
Schwangerschaftskomplikationen erhöht. Fehlende<br />
Energieversorgung für Beleuchtung und Kühlung<br />
sowie unzureichende Sanitärversorgung untergraben<br />
insbesondere in ländlichen Gebieten <strong>die</strong><br />
Gesundheitsversorgung.<br />
6. Bekämpfung wichtiger Krankheiten Bis zu 20 Prozent der Krankheitsbelastungen in<br />
Entwicklungsländern können auf umweltbedingte<br />
Risikofaktoren zurückgehen (wie bei Malaria und<br />
parasitären Infektionen). Präventivmaßnahmen zur<br />
Verringerung solcher Gefahren sind genauso<br />
wichtig wie <strong>die</strong> Behandlung – und oft kostengünstiger.<br />
Neue aus der biologischen Vielfalt gewonnene<br />
Arzneimittel bieten Aussichten auf <strong>die</strong> erfolgreiche<br />
Bekämpfung wichtiger Krankheiten.<br />
8. Aufbau einer weltweiten Viele globale Umweltprobleme – Klimaverände-<br />
Entwicklungspartnerschaft rungen, Verlust der Artenvielfalt, Erschöpfung der<br />
weltweiten Fischgründe – können nur durch Partnerschaften<br />
zwischen reichen und armen Ländern<br />
gelöst werden. Außerdem können Investitionen<br />
mit dem Ziel der Ausbeutung natürlicher Ressourcen<br />
in armen Ländern <strong>die</strong> Gefahr der Übernutzung<br />
von Umweltkapital stark erhöhen.<br />
Quelle: Auf der Grundlage von UNDP; DFID; World Bank.<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 155
eine Voraussetzung, um <strong>die</strong> anderen Ziele erreichen<br />
zu können (Tabelle 6.1).<br />
UMWELTRESSOURCEN<br />
Ökosysteme und natürliche Ressourcen sind für<br />
viele produktive Aktivitäten von grundlegender<br />
Bedeutung. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag<br />
zur Weltwirtschaft. Ende der 1990er Jahre<br />
bestritt <strong>die</strong> Landwirtschaft fast ein Viertel des<br />
Bruttoinlandsprodukts von Ländern mit niedrigem<br />
Einkommen. 6 Anfang der 1990er Jahre trugen<br />
forstwirtschaftliche Produkte 400 Milliarden<br />
US-Dollar zur Weltwirtschaft bei, und der<br />
Fischfang hatte im Jahr 2000 ein Exportvolumen<br />
von 55 Milliarden US-Dollar. 7<br />
Knappe natürliche Ressourcen und Belastungen<br />
von Ökosystemen zwingen armen Gemeinschaften<br />
oft ungewollte Tradeoffs auf.<br />
Eine Gemeinschaft kann mehr Nahrungsmittel<br />
erzeugen, indem sie Wald in Ackerland<br />
umwandelt. Dabei kann sie jedoch Umweltleistungen<br />
des Waldes in den Bereichen Nutzholz,<br />
biologische Vielfalt, Trinkwasser, Hochwasserregulierung<br />
und Schutz vor Trockenheiten<br />
einbüßen.<br />
NAHRUNGSMITTEL<br />
Menschen sind für ihr Wohlergehen auf natürliche<br />
Ressourcen und Umweltleistungen angewiesen,<br />
<strong>die</strong> ihnen helfen, Nahrungsmittel zu<br />
erzeugen. Menschen sind von Böden für den<br />
Anbau von Kulturpflanzen abhängig, von<br />
Weiden für <strong>die</strong> Viehzucht sowie von Binnengewässern<br />
und Meeren für den Fischfang. Ein<br />
großer Teil <strong>die</strong>ser Produktivität beruht auf genetischen<br />
Ressourcen. Über den Zeitraum von<br />
Jahrhunderten haben <strong>die</strong> Bauern einen lebenswichtigen<br />
Bestand an Wissen und Produktivität<br />
hervorgebracht, indem sie Vieh züchteten<br />
sowie Pflanzensorten selektierten, aufbewahrten<br />
und vermehrten. Die Vielfalt an genetischen<br />
Ressourcen ermöglicht den Bauern, sich<br />
an Umweltveränderungen anzupassen, indem<br />
sie neue Vieh- und Pflanzensorten züchten,<br />
<strong>die</strong> besser auf <strong>die</strong> neuen Bedingungen eingestellt<br />
sind. In Zeiten des Mangels bietet <strong>die</strong><br />
biologische Vielfalt der Wildnis ebenfalls<br />
Nahrungsmittel-Alternativen.<br />
WASSER<br />
Das Missmanagement und <strong>die</strong> Degradation<br />
natürlicher Ressourcen bedrohen <strong>die</strong> lebenswichtige<br />
Versorgung mit Wasser. Dies untergräbt<br />
das wirtschaftliche Wachstum, das <strong>menschliche</strong><br />
Wohlergehen und <strong>die</strong> Widerstandskraft<br />
der Umwelt. Etwa 1,7 Milliarden Menschen<br />
– ein Drittel der Bevölkerung der Entwicklungsländer<br />
– leben in Ländern mit so genanntem<br />
„Wasserstress“ (definiert alsLänder, in<br />
denen jedes Jahr mehr als 20 Prozent des erneuerbaren<br />
Süßwasservorrats entnommen werden).<br />
Wenn <strong>die</strong> aktuellen Trends anhalten, könnte<br />
<strong>die</strong>se Zahl bis zum Jahr 2025 auf 5,0 Milliarden<br />
Menschen steigen. 8 Der begrenzte Zugang zu<br />
Wasser schwächt <strong>die</strong> Entwicklungsaussichten<br />
vieler Länder, und Dispute <strong>über</strong> <strong>die</strong> Wassernutzung<br />
und -verteilung sind eine verbreitete<br />
Ursache internationaler Konflikte.<br />
ENERGIE<br />
Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keinen<br />
Zugang zu Strom und den damit verbundenen<br />
Leistungen wie Beleuchtung, Kühlung,<br />
Telekommunikation und mechanischer Antriebskraft.<br />
9 Diese Leistungen sind wichtige<br />
Voraussetzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen<br />
sowie für <strong>die</strong> Schaffung produktiver<br />
Erwerbsmöglichkeiten.<br />
In den ärmsten Ländern werden mehr als<br />
80 Prozent der Energie aus traditionellen<br />
Quellen wie Dung, Ernteabfällen und Brennholz<br />
erzeugt. 10 Ineffiziente Öfen und Heiztechnologien<br />
zwingen <strong>die</strong> Menschen häufig,<br />
traditionelle Brennmaterialien in einer Menge<br />
zu sammeln, <strong>die</strong> <strong>die</strong> natürliche Regeneration<br />
<strong>die</strong>ser Ressourcen <strong>über</strong>steigt, was eine Verschlechterung<br />
der Bodenqualität zur Folge<br />
hat. Wenn man mit solchen Brennmaterialien<br />
kocht, kann das dazu führen, dass extrem<br />
große Mengen gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe<br />
sowohl in <strong>die</strong> Raum- als auch in<br />
<strong>die</strong> Außenluft freigesetzt werden. Zu den Lösungen<br />
für solche Probleme gehört auch, Veränderungen<br />
der Muster des Energieverbrauchs<br />
in den reichen Ländern mit dem Einsatz<br />
kostengünstiger emissionsarmer Technologien<br />
in Entwicklungsländern zu verbinden.<br />
156 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Das Transportwesen ist der energieintensivste<br />
Sektor. Es stellt eine zentrale Herausforderung<br />
für nachhaltigen Energieverbrauch dar.<br />
Die Regierungen sollten Verbrauchern und Erzeugern<br />
Anreize bieten, auf effizientere Fahrzeuge<br />
umzusteigen und Ressourcen nachhaltiger<br />
zu nutzen. Eine wichtige Rolle kann der<br />
Benzinpreis spielen (der entscheidend von den<br />
darauf erhobenen Steuern abhängt). Die Benzinpreise<br />
in Kanada und den Vereinigten Staaten<br />
gehören zu den niedrigsten in OECD-Ländern<br />
und – was nicht verwundert – <strong>die</strong>se beiden<br />
Länder haben auch den höchsten Pro-<br />
Kopf-Verbrauch. Österreich und Japan zählen<br />
zu den Ländern mit den höchsten Benzinpreisen<br />
und einem Pro-Kopf-Verbrauch von einem<br />
Viertel des amerikanischen und einem Drittel<br />
des kanadischen Verbrauchs (Grafik 6.1). In<br />
In<strong>die</strong>n kostet Benzin (zum Devisenmarktkurs)<br />
viermal so viel wie in den Vereinigten Staaten.<br />
LEBENSUNTERHALT<br />
Durch natürliche Ressourcen und Umweltleistungen<br />
bestreiten viele Menschen unmittelbar<br />
ihren Lebensunterhalt. Dies gilt insbesondere<br />
für <strong>die</strong> Armen in ländlichen Gebieten, <strong>die</strong> am<br />
stärksten betroffen sind, wenn <strong>die</strong> Umwelt geschädigt<br />
oder der Zugang zu Umweltkapital<br />
eingeschränkt oder verwehrt wird. Wenn <strong>die</strong><br />
Gesundheit und <strong>die</strong> Produktivität der Umwelt<br />
erhalten werden, bieten natürliche Ressourcen<br />
und Umweltleistungen Freiräume bei der Entscheidung<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Art des Lebenserwerbs sowie<br />
Potenzial für Diversifizierung. Vielfalt ist<br />
wichtig, weil <strong>die</strong> Armen bei sich ändernden Bedingungen<br />
im Stande sein müssen, ihre Nutzung<br />
von natürlichen Ressourcen und Umweltleistungen<br />
zu diversifizieren. 11<br />
REAKTIONEN DER POLITIK<br />
Um mit dem Mangel der Armen an natürlichen<br />
Ressourcen umzugehen und <strong>die</strong> Umweltschäden<br />
infolge des zu hohen Konsums in den<br />
reichen Ländern zu beseitigen, sind politische<br />
Maßnahmen erforderlich. Dabei müssen <strong>die</strong><br />
Vielfalt der natürlichen Umwelt, <strong>die</strong> mannigfachen<br />
und unterschiedlichen Ursachen von<br />
Umweltschäden sowie <strong>die</strong> komplexen Zusam-<br />
Grafik 6.1<br />
In OECD-Ländern hängt ein höherer Benzinverbrauch mit<br />
niedrigeren Preisen zusammen, 2001<br />
Benzinverkaufspreis (in US-Dollar pro Liter) Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch (in Kilogramm)<br />
0,90 0,60 0,30 0<br />
0 300 600 900 1.200<br />
Vereinigte<br />
Staaten<br />
Kanada<br />
Quelle: IEA und OECD <strong>2003</strong>.<br />
Australien<br />
Schweiz<br />
Schweden<br />
Deutschland<br />
Österreich<br />
menhänge zwischen Armut und der Umwelt<br />
berücksichtigt werden. Außerdem sollten <strong>die</strong><br />
Erkenntnisse aus früheren Anstrengungen zur<br />
Verbesserung des Umweltmanagements genutzt<br />
werden.<br />
• Umweltmanagement kann nicht separat<br />
von anderen Entwicklungsbelangen behandelt<br />
werden. Um signifikante, dauerhafte Ergebnisse<br />
zu erzielen, muss es mit Bemühungen<br />
verknüpft werden, <strong>die</strong> darauf abzielen, <strong>die</strong> Armut<br />
zu mindern und nachhaltige Entwicklung<br />
zu erreichen. Die Verbesserung des Umweltmanagements<br />
zu Gunsten der Armen erfordert<br />
sektoren<strong>über</strong>greifende politische und<br />
institutionelle Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>über</strong>wiegend<br />
außerhalb der Kontrolle von Umweltinstitutionen<br />
liegen. Dazu zählen Veränderungen<br />
des Regierungs- und Verwaltungshandelns,<br />
wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen<br />
im eigenen Land und Maßnahmen<br />
der internationalen Gemeinschaft und der reichen<br />
Länder. 12<br />
• Eine erfolgreiche Umweltpolitik darf <strong>die</strong><br />
Armen nicht als Teil des Problems verstehen,<br />
sondern muss in ihnen einen Teil der Lösung<br />
erkennen (Kästen 6.2 und 6.3).<br />
• Umweltprobleme müssen als Teil des<br />
Wachstumsprozesses aktiv bewältigt werden.<br />
Mit Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt<br />
kann nicht gewartet werden, bis durch<br />
steigende Einkommen mehr Mittel für den<br />
Umweltschutz verfügbar werden.<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 157<br />
Japan
KASTEN 6.2<br />
Das Leben von Slumbewohnern verbessern<br />
Schätzungsweise ein Drittel der Stadtbewohner in Entwicklungsländern leben in Slums.<br />
Sie leiden unter Enge, schlechten Wohnbedingungen und unzureichendem Zugang zu<br />
Trinkwasser- und Sanitärversorgung. Eine hohe Krankheits- und Säuglingssterblichkeitsrate<br />
ist <strong>die</strong> Folge.<br />
Das rasche Wachstum der Städte lässt darauf schließen, dass sich <strong>die</strong> Probleme der<br />
Slumbewohner in den Großstädten verschlimmern werden, <strong>die</strong> ohnehin schon anfällig<br />
dafür sind. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass zwischen 2000 und 2010 85<br />
Prozent des Wachstums der Weltbevölkerung in Städten stattfinden werden, und zwar<br />
fast vollständig in Afrika, Asien und Lateinamerika. In den am wenigsten entwickelten<br />
Ländern und in Afrika südlich der Sahara lebten im Jahr 2001 mehr als 70 Prozent der<br />
Stadtbewohner in Slums. Ohne substanzielle Gegenmaßnahmen wird <strong>die</strong>se Zahl steigen.<br />
Das Millenniums-Entwicklungsziel 7 fordert, bis 2020 eine erhebliche Verbesserung<br />
der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern herbeizuführen.<br />
Traditionell haben <strong>die</strong> Geber dem Bedarf von Stadtbewohnern weniger Aufmerksamkeit<br />
gewidmet. Aber angesichts der zunehmenden Dringlichkeit, das rasche Wachstum der<br />
Städte zu steuern, beginnt sich <strong>die</strong>s zu ändern.<br />
Obwohl Großstädte häufig mit Umweltzerstörung in Verbindung gebracht werden,<br />
bietet ihre hohe Bevölkerungsdichte Chancen, wichtige Infrastruktur zu schaffen, wie Abwasserkanäle,<br />
Nahverkehrs<strong>die</strong>nste und Gesundheits<strong>die</strong>nste, und <strong>die</strong>s zu niedrigeren Pro-<br />
Kopf-Kosten als in ländlichen Gebieten. Ein städtisches Umfeld bietet auch bessere Chancen<br />
dafür, dass <strong>die</strong> Regierungen stärker auf den Bedarf der Menschen eingehen und dar<strong>über</strong><br />
Rechenschaft ablegen. Die Erfolge von Vereinigungen von Slumbewohnern auf der<br />
ganzen Welt, beispielsweise im indischen Mumbai oder im kenianischen Nairobi, legen den<br />
Schluss nahe, dass <strong>die</strong> höhere Bevölkerungsdichte und <strong>die</strong> größere Nähe zu den politischen<br />
Entscheidungsträgern armen Stadtbewohnern ermöglichen, sich Gehör zu verschaffen.<br />
Gesamt-, Stadt- und Slumbevölkerung, Mitte 2001<br />
Gesamt- Anteil der Anteil der Slumbewohner<br />
bevölkerung städtischen Slumbewohner in Städten<br />
Bevölkerung an der städtischen<br />
Bevölkerung<br />
Region (in Milliarden) (in Prozent (in Prozent) (in 1.000)<br />
Welt 6,1 47,7 31,6 923.986<br />
Reiche Regionen 1,2 75,5 6,0 54.068<br />
Entwicklungsregionen 4,9 40,9 43,0 869.918<br />
Nordafrika 0,2 52,0 28.2 21.355<br />
Afrika südlich der Sahara 0,7 34,6 71,9 166.208<br />
Lateinamerika und Karibik 0,5 75,8 31,9 127.567<br />
Ostasien und Ozeanien 1,4 39,0 36,3 194.323<br />
Süd- und Zentralasien 1,5 30,0 58,0 262.354<br />
Südostasien 0,5 38,3 28,0 56.781<br />
Westasien 0,2 64,9 33,1 41.331<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS 0,4 62,9 9,6 24.831<br />
Schätzungen des African Population and Health Research Center, in Zusammenarbeit mit UN-HABITAT.<br />
Quelle: UN-HABITAT 2002; UN 2002i.<br />
Sechs politische Prinzipien sollten <strong>die</strong><br />
Richtschnur für umweltpolitische Maßnahmen<br />
darstellen:<br />
• Die Leistungsfähigkeit der Institutionen<br />
muss erhöht und das Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />
verbessert werden.<br />
• Die ökologische Nachhaltigkeit muss Teil<br />
aller sektorpolitischen Maßnahmen sein.<br />
• Die Märkte müssen verbessert und umweltschädliche<br />
Subventionen abgeschafft werden.<br />
• Die internationalen Mechanismen für das<br />
Umweltmanagement müssen gestärkt werden.<br />
• Es muss in Wissenschaft und Technologien<br />
zu Gunsten der Umwelt investiert werden.<br />
• Die Bemühungen zur Erhaltung wichtiger<br />
Ökosysteme müssen verstärkt werden.<br />
DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT DER INSTITUTIONEN<br />
ERHÖHEN UND DAS REGIERUNGS- UND<br />
VERWALTUNGSHANDELN VERBESSERN<br />
Viele Umweltprobleme gründen auf institutionellen<br />
Mängeln und schlechtem Regierungsund<br />
Verwaltungshandeln. Drei Arten von institutionellen<br />
Mängeln sind für das Umweltmanagement<br />
von besonderer Bedeutung: unzureichende<br />
Eigentums- und Nutzungsrechte,<br />
unzureichende Informationen und Möglichkeiten<br />
der Teilhabe an Entscheidungsprozessen<br />
für lokale Interessengruppen sowie eine<br />
schwache Überwachung und Durchsetzung<br />
von Umweltschutznormen (Kasten 6.4).<br />
Auf der internationalen Ebene sind <strong>die</strong><br />
Bemühungen zur Entwicklung fairer, wirksamer<br />
Systeme zur Bewirtschaftung der globalen<br />
Ressourcen wie der Ozeane und zum Klimamanagement<br />
ein Zeichen für institutionelle<br />
Probleme und Probleme des Regierungs- und<br />
Verwaltungshandelns. Auf der nationalen<br />
Ebene sind schwache Eigentums- und Nutzungsrechte<br />
eine verbreitete Ursache von Umweltproblemen<br />
wie Entwaldung, Überweidung<br />
und Überfischung. Die Verwaltung des<br />
offenen Zugangs zu einer Allmende ist schwierig,<br />
weil sich <strong>die</strong> Entscheidungen von Individuen<br />
und Unternehmen an privaten Vor- und<br />
Nachteilen orientieren – und deshalb das<br />
Wohlergehen der Umwelt und der Gemeinschaft<br />
beeinträchtigen können.<br />
Um reagieren zu können, müssen <strong>die</strong><br />
Menschen vor Ort <strong>die</strong> Vollmacht für <strong>die</strong> Bewirtschaftung<br />
der Umweltsysteme haben, von<br />
denen ihr Lebensunterhalt abhängt. Wie?<br />
Einen Teil bildet <strong>die</strong> Klärung der gesamten<br />
Eigentums- und Nutzungsrechte an Allmen-<br />
158 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
den. Hierzu kann es erforderlich sein, Prinzipien<br />
und Institutionen zu ändern, <strong>die</strong> den Zugang<br />
zu Grund und Boden und natürlichen<br />
Ressourcen regeln. Ein anderer Teil betrifft<br />
<strong>die</strong> Stärkung der Eigentumsrechte von Frauen,<br />
weil Frauen im Allgemeinen für ihren Lebensunterhalt<br />
in einem höheren Maß auf Umweltressourcen<br />
angewiesen sind.<br />
Dezentralisierung kann das umweltbezogene<br />
Regierungs- und Verwaltungshandeln verbessern<br />
(siehe Kapitel 7). Sie sollte jedoch mit<br />
Bemühungen einhergehen, in der Gemeinschaft<br />
Kapazitäten zur Bewirtschaftung von<br />
Umweltressourcen aufzubauen und Einfluss<br />
auf <strong>die</strong> Planung und <strong>die</strong> Politik zu nehmen. Besonders<br />
wichtig ist, dass <strong>die</strong> Rechte von Randgruppen<br />
und indigenen Gruppen geachtet werden,<br />
<strong>die</strong> häufig einen Großteil ihres Einkommens<br />
aus natürlichen Ressourcen bestreiten.<br />
In vielen Entwicklungsländern werden<br />
natürliche Ressourcen durch Korruption geplündert.<br />
Davon profitieren einflussreiche Eliten<br />
auf Kosten der Armen, <strong>die</strong> auf solche Ressourcen<br />
angewiesen sind. Um <strong>die</strong> Korruption<br />
zu bekämpfen, muss das Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />
durch bessere Durchsetzung,<br />
strengere Strafen und größere Beteiligung der<br />
Gemeinschaft verbessert werden. In mehreren<br />
Ländern beurteilen <strong>die</strong> Bürger, wie gut Regierungen<br />
und Verwaltungen den Zugang zu den<br />
<strong>die</strong> Umwelt betreffenden Entscheidungsprozessen<br />
ermöglichen, und <strong>über</strong>wachen regelmäßig<br />
das umweltbezogene Regierungs- und<br />
Verwaltungshandeln. Beide Maßnahmen dürften<br />
weitere Fortschritte erleichtern. 13<br />
DIE ÖKOLOGISCHE NACHHALTIGKEIT IN<br />
ALLE SEKTORPOLITISCHEN MASSNAHMEN<br />
INTEGRIEREN<br />
Die meisten sektorpolitischen Maßnahmen<br />
haben auch Einfluss auf <strong>die</strong> Umwelt. Zu oft<br />
bleiben jedoch ökologische Erwägungen bei<br />
Beratungen <strong>über</strong> politische Handlungskonzepte<br />
unberücksichtigt. Mehr wissenschaftliche<br />
Beratung kann sicherstellen, dass das Verständnis<br />
der natürlichen Prozesse auf allen<br />
Ebenen Eingang in <strong>die</strong> politischen Prozesse<br />
findet. Wirtschaftliche Analysen mit Bewertungen<br />
des Umweltkapitals sollten bei Bera-<br />
KASTEN 6.3<br />
Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung am Naturschutz<br />
in Guanacaste, Costa Rica<br />
Seit Beginn der Arbeiten im Jahr 1985 gilt<br />
das Naturschutzgebiet Guanacaste (Area<br />
de Conservación Guanacaste – ACG) in<br />
Costa Rica als Beispiel für ein neues<br />
Schutzmodell. Es zeichnet sich durch dezentralisierte<br />
Entscheidungsprozesse aus,<br />
durch <strong>die</strong> Entschlossenheit, aus der Wildnis<br />
einen produktiven Vermögenswert zu<br />
machen, und durch das Ziel, den Naturschutz<br />
ökologisch nachhaltig zu gestalten.<br />
Das ACG wurde von der Organisation der<br />
Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft,<br />
Kultur und Kommunikation<br />
(UNESCO) zu einer Stätte des Weltnaturerbes<br />
erklärt. Das Schutzgebiet umfasst<br />
zwei Prozent des Staatsgebiets von Costa<br />
Rica und beherbergt mehr als 235.000 Arten<br />
– 65 Prozent der biologischen Vielfalt<br />
des Landes.<br />
Durch einen lokalen Beirat ist <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />
an Entscheidungen beteiligt,<br />
<strong>die</strong> das Schutzgebiet betreffen. Es ist<br />
einer der größten Arbeitgeber in der Region<br />
und beschäftigt nur costa-ricanische<br />
Staatsangehörige. In <strong>die</strong> Entwicklung des<br />
Schutzgebiets wurden mehr als 45 Millio-<br />
Quelle: Janzen 2000, S. 122–132; UNDP 2001a.<br />
nen US-Dollar investiert, und sein Jahresetat<br />
von 1,5 Millionen US-Dollar wird unmittelbar<br />
in dem Gebiet und den angrenzenden<br />
Städten ausgegeben. Ortsansässige<br />
Unternehmen profitieren vom Besucherstrom.<br />
Außerdem <strong>die</strong>nt das ACG als gute<br />
Basis für <strong>die</strong> angewandte Forschung, <strong>die</strong><br />
vom Nationalen Institut für biologische<br />
Vielfalt durchgeführt wird: Durch <strong>die</strong> Sanierung<br />
des Ökosystems des Waldes wird<br />
der Lebensraum vergrößert, der für <strong>die</strong><br />
Suche nach profitablen natürlichen Chemikalien<br />
zur Verfügung steht. Andere<br />
Umweltleistungen des ACG umfassen den<br />
Ökotourismus, <strong>die</strong> Wassererzeugung und<br />
<strong>die</strong> Speicherung von Kohlenstoff.<br />
Die wichtigsten Einsichten, <strong>die</strong> Guanacaste<br />
bietet, sind, dass das Management<br />
von Schutzgebieten vollständig auf<br />
der lokalen Ebene erfolgen muss und dass<br />
<strong>die</strong> Ressourcen geeignet sein müssen, um<br />
<strong>die</strong> Nachhaltigkeit <strong>die</strong>ser Gebiete zu gewährleisten.<br />
Das ACG verwaltet und entwickelt<br />
zwei Prozent des Landes ohne<br />
nennenswerte Kosten für <strong>die</strong> costa-ricanischen<br />
Steuerzahler.<br />
KASTEN 6.4<br />
Förderung von Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt – ein kreatives<br />
Steuerbeispiel aus Brasilien<br />
1992 führten <strong>die</strong> meisten brasilianischen<br />
Bundesstaaten eine Öko-Mehrwertsteuer<br />
(Imposto sobre Circulação de Mercadorias<br />
e Serviços Ecológico – ICMS-E) ein.<br />
Eine Abgabe auf Waren, Dienstleistungen,<br />
Energie und Kommunikation ist <strong>die</strong> größte<br />
Einnahmequelle in Brasilien. Ein Viertel<br />
der Einnahmen aus der Steuer geht an <strong>die</strong><br />
Kommunen, wobei <strong>die</strong> Zuweisungen an<br />
<strong>die</strong> einzelnen Kommunen auf ihrem Abschneiden<br />
bei diversen Umweltindikatoren<br />
beruhen. Die Bundesstaaten Paraná<br />
und Minas Gerais verteilen <strong>die</strong> Einnahmen<br />
beispielsweise auf der Grundlage des<br />
Flächenanteils der Schutzgebiete in jeder<br />
Kommune, gewichtet nach einem Naturschutzfaktor,<br />
bezogen auf den Schutz jedes<br />
Gebiets.<br />
Die ICMS-E sollte <strong>die</strong> Kommunen<br />
Source: May and others 2002.<br />
mit großen Schutzgebieten für Einnahmenausfälle<br />
entschädigen. Steuereinnahmen<br />
werden oft für den Unterhalt von Naturparks<br />
und Reservaten einschließlich der<br />
Beschaffung der Arbeitsgeräte und der<br />
Personalkosten verwendet.<br />
In einigen Bundesstaaten scheint <strong>die</strong><br />
Steuer zu einer beträchtlichen Zunahme<br />
der Anzahl und der Größe der Schutzgebiete<br />
geführt zu haben. Im Bundesstaat<br />
Paraná wurden zwischen 1991 und 2000<br />
mehr als eine Million Hektar neu als<br />
Schutzgebiete ausgewiesen – was eine Zunahme<br />
der unter Schutz gestellten Fläche<br />
von 165 Prozent bedeutet. Auch in Minas<br />
Gerais wurde sie im Zeitraum von 1995<br />
bis 2000 um mehr als eine Million Hektar<br />
ausgedehnt – ein Zuwachs von 62 Prozent.<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 159
tungen <strong>über</strong> politische Maßnahmen in allen<br />
Bereichen ebenfalls berücksichtigt werden.<br />
Sektorpolitische Maßnahmen mit beträchtlichen<br />
Auswirkungen auf <strong>die</strong> Umwelt sollten rigorosen<br />
Umweltverträglichkeitsprüfungen unterzogen<br />
werden. Außerdem sollten der Umweltschutz<br />
und das Umweltmanagement in<br />
Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung<br />
(Poverty Reduction Strategy Papers – PRSP)<br />
sowie in nationalen Entwicklungs- und Sektorstrategien<br />
explizit berücksichtigt werden. Nationale<br />
Regierungen, multilaterale Organisationen<br />
und bilaterale Hilfsorganisationen müssen<br />
Umweltverträglichkeitsprüfungen systematisch<br />
in ihre politischen Handlungskonzepte und<br />
Programme integrieren.<br />
Sozialpolitische Maßnahmen im Hinblick<br />
auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele haben<br />
auch Auswirkungen auf <strong>die</strong> Umweltqualität<br />
(siehe Kapitel 4). Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung, insbesondere in <strong>die</strong> Bildung<br />
von Frauen und Mädchen, bieten vielfältigen<br />
ökologischen Nutzen einschließlich eines<br />
verringerten Bevölkerungsdrucks. Deshalb<br />
muss bei umweltpolitischen Maßnahmen<br />
<strong>die</strong> geschlechtsspezifische Dimension des Zusammenhangs<br />
zwischen Armut und der Umwelt<br />
berücksichtigt werden, und sie muss in<br />
<strong>die</strong> Formulierung, Umsetzung und Überwachung<br />
von Strategien zur Armutsbekämpfung<br />
und damit zusammenhängenden politischen<br />
Reformen eingebunden werden.<br />
Rahmenbedingungen wie nationale Nachhaltigkeitsstrategien<br />
sollten unter Berücksichtigung<br />
der spezifischen Ressourcen und Belange<br />
eines Landes Leitlinien für <strong>die</strong> Bewirtschaftung<br />
natürlicher Ressourcen liefern. Viele nationale<br />
Umweltaktionspläne vernachlässigen<br />
deren Auswirkungen auf andere Sektoren und<br />
auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der Armen. Zur Verbesserung<br />
umweltpolitischer Entscheidungsprozesse<br />
sollten in solchen Pläne <strong>die</strong>se Belange – und<br />
ihr Beitrag zur Erreichung der Ziele – explizit<br />
berücksichtigt werden.<br />
DIE MÄRKTE VERBESSERN UND UMWELT-<br />
SCHÄDLICHE SUBVENTIONEN ABSCHAFFEN<br />
Die normalen Marktprozesse treiben private<br />
Gewinne und Sozialkosten auseinander, weil<br />
produktive Aktivitäten den wirtschaftlichen<br />
Akteuren häufig privaten Nutzen einbringen,<br />
der Gesellschaft aber Kosten auferlegen. Um<br />
private und staatliche Anreize mit der Notwendigkeit<br />
des Umweltschutzes in Einklang<br />
zu bringen, können deshalb Regulierungsmaßnahmen<br />
oder <strong>die</strong> Erhebung korrigierender<br />
Steuern erforderlich sein.<br />
Besonders schädlich sind staatliche Maßnahmen<br />
wie direkte oder versteckte Subventionen,<br />
<strong>die</strong> falsche Signale setzen, indem sie zu unangemessenen<br />
Preisen für Umweltressourcen<br />
führen. Der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen<br />
ist oft wesentlich kostengünstiger als<br />
<strong>die</strong> unmittelbare Regulierung wirtschaftlicher<br />
Aktivitäten. Umweltkosten in Marktpreisen zu<br />
berücksichtigen – durch Umweltabgaben und<br />
andere marktorientierte Maßnahmen – fördert<br />
umweltverträgliches Verhalten und <strong>die</strong> nachhaltige<br />
Nutzung natürlicher Ressourcen.<br />
Der Preis von Wasser zur Bewässerung ist<br />
ein wichtiges Beispiel. Obwohl das Wasser in<br />
vielen Ländern knapper wird, wird es gewöhnlich<br />
fast umsonst an <strong>die</strong> Verbraucher abgegeben.<br />
Dieser Ansatz fördert Verschwendung,<br />
erhöht <strong>die</strong> Durchnässung und Versalzung<br />
der Böden und führt dazu, dass <strong>die</strong> Bauern<br />
nicht in wassersparende Techniken investieren.<br />
Zu den umweltschädlichen Maßnahmen<br />
zählen auch Subventionen, <strong>die</strong> in großem<br />
Stil <strong>die</strong> kommerzielle Fischerei und Forstwirtschaft<br />
sowie den <strong>über</strong>mäßigen Einsatz landwirtschaftlicher<br />
Chemikalien wie Düngemittel<br />
und Pestizide fördern (Kästen 6.5 und 6.6).<br />
Den Spitzenplatz auf der Liste der schädlichen<br />
Subventionen halten jedoch Subventionen<br />
des Verbrauchs fossiler Brennstoffe.<br />
Weltweit <strong>über</strong>steigt ihr Umfang den der gesamten<br />
Entwicklungshilfe aus allen Quellen. 14<br />
Es herrscht zunehmend Einigkeit dar<strong>über</strong>,<br />
dass Energiesubventionen primär dazu <strong>die</strong>nen<br />
sollten, den Zugang zu Technologie, <strong>die</strong> Entwicklung<br />
und Verbreitung saubererer Brennstoffe<br />
sowie <strong>die</strong> Verbesserung der Endverbrauchseffizienz<br />
zu fördern – nicht jedoch den<br />
Verbrauch. Wie <strong>die</strong> Erfahrungen in einigen<br />
europäischen Ländern gezeigt haben, können<br />
angemessene Preise fossiler Brennstoffe ein<br />
wirksamer Anreiz sein, erneuerbare Energien<br />
stärker zu nutzen. Von den niedrigeren Ko-<br />
160 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
sten pro Einheit bei Technologien, <strong>die</strong> erneuerbare<br />
Energien nutzen, profitieren sowohl<br />
<strong>die</strong> reichen Länder als auch Entwicklungsländer,<br />
<strong>die</strong> ihre Einführung in Erwägung ziehen.<br />
Bei politischen Maßnahmen sollten auch<br />
<strong>die</strong> Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten<br />
auf <strong>die</strong> Umweltressourcen erfasst werden. In<br />
Volkseinkommensrechnungen (wie der Berechnung<br />
des BIP) sollte unterschieden werden<br />
zwischen Einkommen aus der nachhaltigen<br />
Nutzung natürlicher Ressourcen (nachhaltige<br />
Land- und Forstwirtschaft) und Einkommen<br />
aus Aktivitäten, <strong>die</strong> den Naturkapitalstock verringern<br />
(Abbau von Bodenschätzen oder Erdölförderung).<br />
Darin sollten auch <strong>die</strong> Auswirkungen<br />
wirtschaftlicher Aktivitäten auf <strong>die</strong><br />
Umweltqualität und <strong>die</strong> Produktivität, wie beispielsweise<br />
<strong>die</strong> Verschlechterung der Bodenoder<br />
Wasserqualität, berücksichtigt werden.<br />
Solche „ökologisierten“ volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnungen stellen Umweltprobleme<br />
in einen Kontext, den Wirtschaftsministerien<br />
verstehen. Sie ermutigen auch Entscheidungsträger<br />
in Finanz- Planungs- und<br />
Fachministerien, der Verschlechterung des<br />
Zustands der Umwelt mehr Aufmerksamkeit<br />
zu widmen. Wenn man <strong>die</strong> Kosten von Umweltschäden<br />
und der Erschöpfung natürlicher<br />
Ressourcen erfasst, sinkt <strong>die</strong> Nettosparquote<br />
in Afrika südlich der Sahara für <strong>die</strong> meisten<br />
Jahre zwischen 1976 und 2000 vom positiven<br />
in den negativen Bereich.<br />
DIE INTERNATIONALEN MECHANISMEN FÜR<br />
DAS UMWELTMANAGEMENT STÄRKEN<br />
Umweltschäden machen selten an Staatsgrenzen<br />
halt, während der Wirkungskreis vieler<br />
umweltpolitischer Maßnahmen und Institutionen<br />
dort endet. Grenz<strong>über</strong>greifende Wassereinzugsgebiete,<br />
Fischgründe, Umweltverschmutzung<br />
und Klimaveränderungen sind<br />
Aufgaben für <strong>die</strong> Umweltpolitik, <strong>die</strong> von den<br />
Ländern gemeinsam bewältigt werden müssen.<br />
Denn das, was ein Land tut, hat Auswirkungen<br />
auf das Wohlergehen anderer. Die ungleiche<br />
Verteilung des Nutzens von Umweltleistungen<br />
und <strong>die</strong> innerstaatliche und zwischenstaatliche<br />
Aufteilung der Kosten ihrer Verwaltung erschweren<br />
das Problem zusätzlich.<br />
KASTEN 6.5<br />
Die Fischgründe der Welt – durch Subventionen zerstört<br />
Weltweit werden durch uneingeschränkten,<br />
mit technisch fortschrittlichen Methoden<br />
durchgeführten Fischfang <strong>die</strong> Fischbestände<br />
erschöpft. Schauplatz der Überfischung sind<br />
Asien, Teile Afrikas und Lateinamerikas sowie<br />
viele kleine Inselstaaten, wobei <strong>die</strong> Überfischung<br />
durch <strong>die</strong> Einheimischen oft durch<br />
Fangflotten aus reichen Ländern verschärft<br />
wird. Nach Angaben der Ernährungs- und<br />
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten<br />
Nationen (FAO) werden mehr als ein Viertel<br />
der weltweiten Fischgründe <strong>über</strong>fischt oder<br />
erschöpft.<br />
Die weltweiten Subventionen des Fischfangs<br />
belaufen sich nach konservativen<br />
Schätzungen auf zehn bis 15 Milliarden US-<br />
Dollar jährlich. Dies entspricht etwa einem<br />
Viertel des Jahresvolumens des Fischhandels<br />
in Höhe von 56 Milliarden US-Dollar. Diese<br />
Kredite, Steueranreize und Direktzahlungen<br />
unterstützen vielfach in großer Entfernung<br />
eingesetzte Fangflotten, <strong>die</strong> im Verhältnis zu<br />
den verfügbaren Fischbeständen zu groß<br />
sind. Die Vereinigten Staaten zahlen etwa<br />
400.000 US-Dollar pro Boot, um ihren Fischern<br />
zu helfen, im Südpazifik Thunfisch zu<br />
fangen. 1996 wendete <strong>die</strong> Europäische Union<br />
252 Millionen US-Dollar – ein Drittel ihres<br />
Fischereihaushalts – für Abkommen auf,<br />
um ihren Flotten Zugang zu Fischgründen in<br />
entfernten Gewässern zu verschaffen. Die<br />
Europäische Union gibt auch weiterhin mehr<br />
für schädliche Subventionen aus, beispielsweise<br />
für den Bau neuer Boote oder <strong>die</strong> Modernisierung<br />
alter Boote (1,2 Milliarden Euro<br />
aus dem EU-Haushalt und aus nationalen<br />
Haushalten für den Zeitraum 2000 und<br />
2006), als für Bemühungen zur Verringerung<br />
der Fischerei (1,1 Milliarden Euro). Der<br />
Weltbank zufolge haben nur fünf Prozent<br />
der Fischereisubventionen ein positives Umweltziel.<br />
Die meisten führen zur Verringerung<br />
der Fischbestände und schaden den<br />
Ökosystemen der Meere.<br />
Quelle: Institute for European Environmental Policy 2002; WWF 1998; IFPRI 2001; Milazzo 1998.<br />
KASTEN 6.6<br />
1998 verpflichteten sich <strong>die</strong> in der Gruppe<br />
der G-8 zusammengeschlossenen Länder<br />
(Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada,<br />
<strong>die</strong> Russische Föderation, das Vereinigte<br />
Königreich und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten)<br />
dem Schutz der Wälder <strong>die</strong>ser Welt. Einige<br />
G-8-Mitglieder subventionieren jedoch<br />
weiterhin <strong>die</strong> Holzindustrie. Damit untergraben<br />
sie den Waldschutz und beschleunigen<br />
den Verlust von Wäldern.<br />
Zu den am meisten verbreiteten Subventionen<br />
zählen niedrige Gebühren für Holz<br />
verarbeitende Unternehmen, <strong>die</strong> alte, urwaldähnliche<br />
(„old growth“) Wälder auf öffentlichem<br />
Grund und Boden abholzen, Steuerabschreibungen<br />
für Holz verarbeitende Unternehmen,<br />
Bau von Straßen durch den Staat<br />
zum Zweck des Holzeinschlags und kostenfrei<br />
für <strong>die</strong> Unternehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Straßen nutzen,<br />
sowie direkte Zuschüsse für Holz verarbeitende<br />
Unternehmen, beispielsweise zu den<br />
Planungskosten. Japan, Kanada und <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten zahlen unter den G-8-Ländern<br />
<strong>die</strong> höchsten Subventionen. Unter den<br />
europäischen Mitgliedern ist Frankreich das<br />
einzige Land mit Direktinvestitionen in Holz<br />
verarbeitende Unternehmen.<br />
Die Subventionen Kanadas belaufen<br />
sich auf zwei bis 2,7 Milliarden US-Dollar<br />
Quelle: Sizer 2000; Myers und Kent 1998.<br />
Abholzung der Wälder – mit Subventionen<br />
jährlich. Japan subventioniert Sägewerke,<br />
<strong>die</strong> importierte Stämme aus urwaldähnlichen<br />
Wäldern in Kanada, Sibirien und anderen<br />
Regionen verarbeiten. Dar<strong>über</strong> hinaus<br />
unterstützen <strong>die</strong> japanischen Exportförderungsagenturen<br />
Programme, <strong>die</strong> in Australien,<br />
Indonesien und anderen Ländern urwaldähnliche<br />
Wälder zerstören und traditionellen<br />
Gemeinschaften schaden. In den<br />
Vereinigten Staaten kosteten zwischen 1992<br />
und 1997 Holzverkaufsprogramme in nationalen<br />
Wäldern <strong>die</strong> Steuerzahler insgesamt<br />
mehr als zwei Milliarden US-Dollar.<br />
Frankreich baut Straßen und tätigt damit zusammenhängende<br />
Investitionen in <strong>die</strong><br />
Holzindustrie in ökologisch empfindlichen<br />
Gebieten Zentralafrikas. Zahlreiche Stu<strong>die</strong>n<br />
haben gezeigt, dass solche Straßenbaumaßnahmen<br />
schwerwiegende Schäden der<br />
tropischen Primärwälder in der Region nach<br />
sich ziehen. In den Wäldern in der Russischen<br />
Föderation ist der illegale Holzeinschlag<br />
in großem Maßstab verbreitet. Auf<br />
solche Aktivitäten keine Steuern und Lizenzgebühren<br />
zu erheben ist eine Form von<br />
Subvention, <strong>die</strong> nur dadurch ein wenig relativiert<br />
wird, dass wirtschaftliche Aktivitäten<br />
in <strong>die</strong>sem Land mit hohen Risiken verbunden<br />
sind.<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 161
KASTEN 6.7<br />
Mehrere internationale Umweltabkommen<br />
haben <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
eines globalen Umweltmanagements<br />
gelenkt. Die Umsetzung <strong>die</strong>ser Abkommen<br />
könnte jedoch verbessert werden. Der<br />
Bedarf der Armen sollte stärker in den Vordergrund<br />
gerückt werden, insbesondere was<br />
das Erreichen der Ziele angeht. Es muss auch<br />
mehr getan werden, um <strong>die</strong> Kapazitäten der<br />
Entwicklungsländer zur Umsetzung <strong>die</strong>ser<br />
Abkommen und zu ihrer Einbindung in natio-<br />
Politische Reaktionen auf den Klimawandel<br />
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
spricht vieles ausdrücklich dafür, sofort zu<br />
handeln, um <strong>die</strong> Treibhausgasemissionen<br />
zu reduzieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong> globale Erwärmung<br />
verursachen. Das Kyoto-Protokoll von<br />
1997 bürdet den größten Teil <strong>die</strong>ser Aufgabe<br />
den reichen Ländern auf, weil in <strong>die</strong>sen<br />
Ländern zwar nur 16 Prozent der<br />
Weltbevölkerung leben, sie jedoch für 51<br />
Prozent <strong>die</strong>ser Emissionen verantwortlich<br />
sind.<br />
In dem Protokoll werden <strong>die</strong> reichen<br />
Länder aufgefordert, <strong>die</strong> Kohlendioxidemissionen<br />
bis 2008/2012 um mindestens<br />
fünf Prozent zu verringern, ausgehend von<br />
ihrem Niveau von 1990. Die Befürworter<br />
des Protokolls betrachten <strong>die</strong>se Verringerung<br />
als einen wichtigen Schritt zur Abschwächung<br />
der Folgen des Klimawandels.<br />
Die Gegner kritisieren <strong>die</strong> unnötig hohen<br />
Umsetzungskosten – da der Emissionshandel<br />
Beschränkungen unterliegt – und <strong>die</strong><br />
fehlenden Begrenzungen der Emissionen<br />
in armen Ländern. Ein weiterer Kritikpunkt<br />
ist, dass das Protokoll selbst bei<br />
vollständiger Umsetzung bis zum Jahr 2100<br />
nur zu einer Verringerung der globalen<br />
Durchschnittstemperatur um weniger als<br />
0,15 Grad Celsius führen würde.<br />
Die Vereinigten Staaten, <strong>die</strong> für ein<br />
Viertel der globalen Emissionen von Treibhausgasen<br />
verantwortlich sind, haben <strong>die</strong><br />
Ratifizierung des Protokolls verweigert.<br />
Ohne US-amerikanische Beteiligung kann<br />
wahrscheinlich kein internationales Abkommen<br />
<strong>die</strong> Bedrohung der globalen Erwärmung<br />
deutlich verringern. Es bedarf jedoch<br />
der internationalen Zusammenarbeit,<br />
um dem Privatsektor, den Verbrauchern<br />
und den Regierungen Anreize zu bieten,<br />
<strong>die</strong> Treibhausgasemissionen zu verringern.<br />
Um <strong>die</strong> Akzeptanz des Protokolls zu<br />
erhöhen, sollte mehr Aufmerksamkeit darauf<br />
verwendet werden, <strong>die</strong> Kosten der<br />
Bekämpfung des Klimawandels zu minimieren.<br />
Es wäre auch wichtig, den Mechanismus<br />
für umweltverträgliche Entwicklung<br />
(Clean Development Mechanism) zu<br />
nutzen, der es erlaubt, durch innovative<br />
internationale Handelssysteme <strong>die</strong> Kohlenstoffemissionen<br />
zu verringern.<br />
Dar<strong>über</strong> hinaus eröffnen sich auch<br />
jenseits der Bestimmungen des Kyoto-Protokolls<br />
Möglichkeiten für langfristige Verringerungen<br />
der Treibhausgasemissionen<br />
in reichen und armen Ländern:<br />
• Die Entwicklung sauberer Energietechnologien<br />
(Solar- oder Windenergie,<br />
Brennstoffzellen, Wasserkraft, geothermische<br />
Energie), <strong>die</strong> wenig oder gar kein<br />
Kohlendioxid freisetzen. Um <strong>die</strong>se Technologien<br />
unter Kostenaspekten wettbewerbsfähig<br />
zu machen, muss der Staat<br />
mehr in <strong>die</strong> Forschung und Entwicklung<br />
investieren und <strong>die</strong> Subventionen fossiler<br />
Brennstoffe abbauen.<br />
• Entwicklung sicherer und wirtschaftlicher<br />
Technologien für <strong>die</strong> Kohlenstoffspeicherung,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Freisetzung von<br />
Kohlendioxid in <strong>die</strong> Atmosphäre verhindern.<br />
Zu den vielversprechenden Beispielen<br />
zählen natürliche Kohlenstoffsenken<br />
wie Wälder, <strong>die</strong> Versenkung von Kohlenstoff<br />
in der Tiefsee oder in Bergwerken sowie<br />
<strong>die</strong> chemische Bindung von Kohlendioxid<br />
in Form thermodynamisch stabiler<br />
Metallkarbonate.<br />
• Verbesserung der Energieeffizienz<br />
durch effizientere Fahrzeuge, Elektrogeräte,<br />
Lampen und Industriemotoren sowie<br />
durch verringerte Leitungsverluste bei der<br />
Übertragung elektrischer Energie.<br />
Quelle: UN 1997; Nordhaus und Boyer 1999, S. 93–130; World Bank <strong>2003</strong>i; Baumert et al. 2002.<br />
nale politische Handlungskonzepte aufzubauen.<br />
Möglicherweise sind neue institutionelle<br />
Mechanismen zur Koordination nationaler<br />
politischer Maßnahmen als Reaktion auf regionale<br />
und globale Umweltprobleme erforderlich.<br />
Für ein länder<strong>über</strong>greifendes Umweltmanagement<br />
muss <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
gestärkt werden. Die Länder entlang des<br />
Rheins zeigen, wie bei der Verwaltung eines<br />
internationalen Wassereinzugsgebiets Kosten<br />
und Nutzen geteilt werden können.<br />
Zwischenstaatliche Prozesse sind im Allgemeinen<br />
schwierig zu organisieren und nur<br />
langsam umzusetzen. Sie sind jedoch der einzige<br />
realistische Weg, um mit grenz<strong>über</strong>greifender<br />
Umweltverschmutzung und der Verschlechterung<br />
des Zustands von Ökosystemen<br />
umzugehen. Internationale Abkommen könnten<br />
<strong>die</strong> Belastungen gerecht verteilen und sicherstellen,<br />
dass der Nutzen eines besseren<br />
Umweltmanagements den Menschen vor Ort<br />
zukommt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> unmittelbaren Kosten des<br />
Schutzes von Umweltressourcen tragen, und<br />
denen Chancen entgehen. Das Montrealer<br />
Protokoll – das internationale Abkommen<br />
zum Schutz der Ozonschicht – war ein durchschlagender<br />
Erfolg der globalen Umweltpolitik.<br />
Seine Umsetzung wurde allerdings dadurch<br />
begünstigt, dass kostengünstige Alternativen<br />
zu Substanzen, <strong>die</strong> zur Zerstörung der<br />
Ozonschicht führen, zur Verfügung stehen. So<br />
waren weniger umfangreiche Verhandlungen<br />
zur Kosten- und Nutzenteilung zwischen den<br />
reichen und den armen Ländern erforderlich.<br />
Die reichen Länder erzeugen den Großteil<br />
der Emissionen, <strong>die</strong> zur globalen Erwärmung<br />
führen. Ihre Auswirkungen sind jedoch <strong>über</strong>all<br />
auf der Welt spürbar. Bislang waren <strong>die</strong><br />
Fortschritte bei der Begrenzung <strong>die</strong>ser Emissionen<br />
allerdings uneinheitlich (Kasten 6.7).<br />
IN WISSENSCHAFT UND TECHNOLOGIEN ZU<br />
GUNSTEN DER UMWELT INVESTIEREN<br />
Mit den verfügbaren Technologien lässt sich<br />
kostengünstig sehr viel gegen komplexe Umweltprobleme<br />
unternehmen. Es müssen jedoch<br />
Mittel und Wege gefunden werden, <strong>die</strong>se<br />
Technologien den Menschen zur Verfü-<br />
162 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
gung zu stellen, <strong>die</strong> sie am meisten benötigen.<br />
In vielen armen Ländern werden hierzu <strong>die</strong> institutionellen<br />
Kapazitäten für <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
im Technologie-Bereich signifikant gestärkt<br />
werden müssen.<br />
Um <strong>die</strong> Technologien für <strong>die</strong> Bekämpfung<br />
von Umweltproblemen zu verbessern, ist eine<br />
drastische Umorientierung der Forschungsund<br />
Entwicklungspolitik nötig. In den reichen<br />
Ländern sind <strong>die</strong> öffentlichen Investitionen in<br />
<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung im Energiebereich<br />
– auch zu erneuerbaren Energien – in den<br />
letzten zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen.<br />
15 Angesichts der Notwendigkeit, auf Klimaveränderungen<br />
zu reagieren, sind höhere Investitionen<br />
erforderlich, um <strong>die</strong> Märkte für<br />
Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien<br />
zu erweitern und <strong>die</strong> Kosten pro Einheit<br />
zu senken. Dies würde den reichen Ländern<br />
nutzen und den armen Ländern ermöglichen,<br />
<strong>die</strong> gleichen Lösungen einzuführen.<br />
Das wissenschaftliche Verständnis der Natur<br />
ist beträchtlich, aber bemerkenswert Vieles<br />
bleibt weiterhin unbekannt. Noch gibt es keinen<br />
Mechanismus zur Überwachung großer<br />
Ökosysteme und ihrer Fähigkeit, benötigte Güter<br />
und Leistungen dauerhaft bereitzustellen.<br />
Um große Ökosysteme wie Küstenlebensräume,<br />
große Wassereinzugsgebiete und Feuchtgebiete<br />
systematisch <strong>über</strong>wachen zu können, sollte<br />
ein Lebensbeobachtungssystem („Life Observatory“)<br />
eingerichtet werden. Es könnte bereits<br />
bestehende Systeme wie das Globale Terrestrische<br />
Beobachtungssystem, das Globale<br />
Klimabeobachtungssystem und das Globale<br />
Meeresbeobachtungssystem ergänzen.<br />
Das Lebensbeobachtungssystem sollte auf<br />
der Millenniums-Bewertung der Ökosysteme<br />
(Millennium Ecosystem Assessment) aufbauen,<br />
einer vierjährigen Bestandsaufnahme des<br />
besten verfügbaren Wissens <strong>über</strong> <strong>die</strong> weltweiten<br />
Ökosysteme und <strong>die</strong> von ihnen erbrachten<br />
Leistungen, an der sich mehr als 1.500 Wissenschaftler<br />
beteiligen. Das Lebensbeobachtungssystem<br />
würde sicherstellen, dass <strong>die</strong>se Analysen<br />
ständig aktualisiert werden, um <strong>die</strong> langfristigen<br />
Auswirkungen <strong>menschliche</strong>r Aktivitäten<br />
auf bestimmte Ökosysteme zu erfassen.<br />
Um Maßnahmen entwickeln zu können,<br />
benötigen politische Entscheidungsträger zu-<br />
verlässige wissenschaftliche Vorhersagen bezüglich<br />
der von Menschen verursachten Umweltveränderungen.<br />
Umweltindikatoren, <strong>die</strong> es<br />
ermöglichen, Veränderungen der Umwelt präzise<br />
zu verfolgen, sollten entwickelt und in nationale<br />
politische Handlungskonzepte eingebunden<br />
werden. Bei Langzeitplanungen sollten<br />
<strong>die</strong> prognostizierten Veränderungen des Klimas<br />
und bestimmter Ökosysteme berücksichtigt<br />
werden, um beurteilen zu können, wie <strong>die</strong>se<br />
Trends <strong>die</strong> Fortschritte und den Bedarf im<br />
Entwicklungsbereich beeinflussen werden.<br />
DIE BEMÜHUNGEN ZUR ERHALTUNG<br />
WICHTIGER ÖKOSYSTEME VERSTÄRKEN<br />
Die Ausweisung von Naturschutzgebieten ist<br />
oft der beste Weg, um <strong>die</strong> Artenvielfalt und<br />
wichtige Ökosysteme zu erhalten. Mehr als<br />
60 Prozent der terrestrisch lebenden Arten<br />
finden sich in 25 Ökoregionen auf einer<br />
Fläche von knapp mehr als einem Prozent der<br />
Erdoberfläche. Diese Regionen mit großer<br />
biologischer Vielfalt sind extrem großen Gefahren<br />
ausgesetzt, <strong>die</strong> bereits einen Verlust<br />
von 70 Prozent der ursprünglichen Vegetation<br />
verursacht haben. 16<br />
Für <strong>die</strong> Regierungen der Welt, für Wissenschaftler<br />
und andere wichtige Interessengruppen<br />
liegt <strong>die</strong> größte Chance zur Erhaltung der<br />
biologischen Vielfalt darin, Prioritäten festzulegen<br />
und bei gemeinsamen Zielen zusammenzuarbeiten.<br />
Die Schutzbemühungen sind dann<br />
am wirksamsten, wenn Experten aus einem<br />
breiten Spektrum an Fachgebieten sie in<br />
Rücksprache mit der Bevölkerung vor Ort<br />
entwickeln.<br />
Mit gut bewirtschafteten Schutzgebieten<br />
lassen sich beträchtliche Einnahmen aus dem<br />
Tourismus und durch innovative Finanzmechanismen<br />
wie Zahlungen für <strong>die</strong> Leistungen<br />
von Ökosystemen erzielen. Die Menschen vor<br />
Ort, insbesondere <strong>die</strong> Armen, sollten als Teil<br />
der Lösung betrachtet werden – nicht als Teil<br />
des Problems. Menschen, <strong>die</strong> für ihren Lebensunterhalt<br />
auf Schutzgebiete angewiesen sind,<br />
müssen aus ihnen Nutzen ziehen und haben<br />
ein Interesse an ihrem dauerhaften Erfolg. Andernfalls<br />
werden solche Schutzbemühungen<br />
nicht tragfähig sein.<br />
Mit den verfügbaren<br />
Technologien lässt sich<br />
kostengünstig sehr viel<br />
gegen komplexe<br />
Umweltprobleme<br />
unternehmen<br />
STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 163
KAPITEL 7<br />
Unterstützung für <strong>die</strong> Ziele an der Basis<br />
mobilisieren<br />
Männer und Frauen haben das Recht, in<br />
Würde und Freiheit – von Hunger und der<br />
Furcht vor Gewalt, Unterdrückung oder<br />
Ungerechtigkeit – ihr Leben zu leben und<br />
ihre Kinder zu erziehen. Diese Rechte werden<br />
am besten durch eine demokratische<br />
und partizipatorische Staatsführung auf<br />
Grundlage des Willens des Volkes gewährleistet<br />
—Millenniums-Erklärung der<br />
Vereinten Nationen, S. 2<br />
Für <strong>die</strong> Umsetzung der Politiken und Interventionen,<br />
<strong>die</strong> erforderlich sind, um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen, ist das<br />
Engagement aller politischen Führungskräfte<br />
erforderlich. Jedoch sind dazu auch <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />
des politischen Drucks, eine<br />
breite Unterstützung in der Bevölkerung und<br />
Mechanismen für ein effektives Erbringen von<br />
Dienstleistungen vonnöten. Für eine solche<br />
Mobilisierung der Bevölkerung und ein partizipatorisches<br />
Engagement der Bürger ist ein offener<br />
demokratischer Staat von entscheidender<br />
Bedeutung, der <strong>die</strong> bürgerlichen und politischen<br />
Rechte garantiert, damit <strong>die</strong> arme Bevölkerung<br />
Druck auf <strong>die</strong> politischen Führungskräfte<br />
ausüben kann, ihren Bekenntnissen zu<br />
den Zielen auch Taten folgen zu lassen.<br />
Bei seiner Ernennung zum Präsidenten hat<br />
Luiz Inacio „Lula“ da Silva in Brasilien feierlich<br />
gelobt, bis zum Jahr 2005 mit seiner<br />
„Fome Zero“ (Kein Hunger mehr)-Politik den<br />
Hunger zu beseitigen. 1 Diese Art politische<br />
Dynamik, Unterstützung und Mobilisierung<br />
ist für <strong>die</strong> Ziele von entscheidender Bedeutung<br />
und <strong>die</strong> brasilianische Initiative wird weit<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Halbierung des Anteils der hungernden<br />
Bevölkerung (Ziel 1) hinaus gehen. Eine<br />
solche Mobilisierung auf der Grundlage der<br />
Ziele sollte <strong>über</strong>all ermutigt und unterstützt<br />
werden. Die politischen Führungskräfte soll-<br />
ten in der Lage sein, <strong>die</strong> Ziele für eine Strukturierung<br />
ihrer politischen Plattformen und<br />
Kampagnenmanifeste zu benutzen, und <strong>die</strong><br />
Wählerschaft sollte <strong>die</strong> Leistungen ihrer politischen<br />
Führer daran messen können, inwieweit<br />
Fortschritte im Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele zu<br />
verzeichnen sind.<br />
In vielen Ländern werden schon entsprechende<br />
Anstrengungen unternommen:<br />
• In Kambodscha und Niger haben <strong>die</strong> politischen<br />
Führer politische Plattformen und<br />
Programme formuliert, in <strong>die</strong> mehrere Anliegen<br />
aus dem Umfeld der Millenniumsziele mit<br />
aufgenommen wurden.<br />
• In Chile wird <strong>die</strong> öffentliche Debatte um<br />
<strong>die</strong> Ziele vorangetrieben, und sie spielen in<br />
den parlamentarischen Diskussionen eine zentrale<br />
Rolle.<br />
• In Paraguay ist es traditionell üblich, <strong>die</strong><br />
Kommunen bei der Prioritätensetzung in Bezug<br />
auf Entwicklungsfragen zu beteiligen, das<br />
beinhaltet auch <strong>die</strong> Schulung von kommunalen<br />
Führungskräften.<br />
• Albanien hat für das Follow-Up zu seinem<br />
Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Umsetzung der Ziele eine<br />
Strategie entwickelt, <strong>die</strong> auch regionale Lobbyveranstaltungen<br />
vorsieht, und plant, ein Forum<br />
für zivilgesellschaftliche Organisationen<br />
einzurichten.<br />
• Polen hat vor, <strong>die</strong> Bemühungen zur Armutsbekämpfung<br />
und zum Umweltschutz in<br />
seine nationale Strategie zur Erreichung der<br />
Ziele zu integrieren.<br />
• Kenia fördert Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen<br />
Organisationen zur Umsetzung<br />
der Ziele. Die Ziele werden auch bei einem nationalen<br />
Treffen von Akteuren, <strong>die</strong> an der Ausarbeitung<br />
der kenianischen Armutsbekämpfungsstrategie<br />
(Poverty Reduction Strategy<br />
Paper - PRSP) beteiligt sind, eine Rolle spielen.<br />
• Der nationale Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung 2002 in Sambia legt den<br />
Es besteht das Risiko,<br />
dass <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele von<br />
Interessengruppen<br />
unterminiert werden, <strong>die</strong><br />
Widerstand gegen eine<br />
Politik leisten, <strong>die</strong> darauf<br />
abzielt, <strong>die</strong> ärmsten, am<br />
äußersten Rand ihrer<br />
Gesellschaft lebenden<br />
Mitglieder wieder mit<br />
Ressourcen auszustatten<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 165
Ob <strong>die</strong> Ziele umgesetzt<br />
werden können, hängt<br />
zum Teil vom politischen<br />
Umfeld vor Ort ab –<br />
davon, ob es für <strong>die</strong><br />
Bürger gangbare Wege<br />
gibt, an der politischen<br />
Entscheidungsfindung<br />
mitzuwirken, sei es durch<br />
formelle demokratische<br />
Strukturen oder durch<br />
direkte Mobilisierung und<br />
gemeinsame Aktivitäten<br />
Schwerpunkt auf Armut und Hunger und<br />
sorgt dafür, dass <strong>die</strong>se Themen in <strong>die</strong> öffentlichen<br />
und politischen Debatten einfließen. 2<br />
Es besteht das Risiko, dass <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
von Interessengruppen<br />
unterminiert werden, <strong>die</strong> Widerstand gegen<br />
eine Politik leisten, <strong>die</strong> darauf abzielt, <strong>die</strong><br />
ärmsten, am äußersten Rand ihrer Gesellschaft<br />
lebenden Mitglieder wieder mit Ressourcen<br />
auszustatten. Es ist eher <strong>die</strong> Regel als<br />
<strong>die</strong> Ausnahme, dass in städtischen Gebieten<br />
mehr Schulen und Krankenhäuser gebaut<br />
werden als in armen Dörfern auf dem Land<br />
und dass arme Bevölkerungsgruppen oft<br />
mehr für Wasser bezahlen als reiche (siehe<br />
Kapitel 4).<br />
Es ist ebenfalls oft der Fall, dass eine Prioritätensetzung<br />
zugunsten der Armen – wie beispielsweise<br />
in den Bereichen gesundheitliche<br />
Grundversorgung und Bildung – politisch wenig<br />
Beachtung findet. Je ausgeprägter <strong>die</strong> Ungleichheit<br />
in einer Gesellschaft ist, desto unwahrscheinlicher<br />
ist es, dass in solch einer Gesellschaft<br />
dauerhafte politische Unterstützung<br />
für <strong>die</strong> Ziele mobilisiert werden kann, denn<br />
<strong>die</strong> politische Macht liegt üblicherweise in den<br />
Händen weniger und ist teilweise deckungsgleich<br />
mit wirtschaftlichem Reichtum und sozialer<br />
Dominanz. In ungleichen Gesellschaften<br />
ist es auch viel unwahrscheinlicher, dass <strong>die</strong><br />
ärmsten Bevölkerungsschichten von Fortschritten<br />
bei der Umsetzung der Ziele unter<br />
Federführung der Eliten profitieren. Zudem<br />
können trotz Fortschritten auf gesamtnationaler<br />
Ebene weiterhin große Teile der Bevölkerung<br />
von den Erfolgen ausgeschlossen bleiben,<br />
wie beispielsweise in Brasilien, China, In<strong>die</strong>n<br />
und anderswo (siehe Kapitel 2).<br />
Wenn man solche Ungleichheiten beseitigen<br />
will, muss politischer Druck ausgeübt<br />
werden, und <strong>die</strong> Bevölkerung muss Forderungen<br />
an <strong>die</strong> Entscheidungsträger stellen. Aber<br />
selbst wenn Ressourcen neu verteilt werden<br />
und der politische Druck Erfolg hat, besteht<br />
auch noch das Risiko, dass keine Mechanismen<br />
für eine effektive Umsetzung geschaffen<br />
werden. Die grundlegenden öffentlichen<br />
Dienstleistungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Befriedigung der<br />
Bedürfnisse der ärmsten Menschen am wichtigsten<br />
sind – Gesundheitsstationen, Schulen,<br />
Handpumpen, Steigrohre für Wasserleitungen<br />
oder Brunnen – werden üblicherweise von<br />
Bürokraten und Regierungsangestellten verwaltet,<br />
<strong>die</strong> innerhalb der vertikalen Hierarchie<br />
der staatlichen Ministerien nur ihren Vorgesetzten<br />
gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig sind.<br />
Diese Bürokraten und Regierungsangestellten<br />
haben den Kommunen oder Wohnbezirken<br />
gegen<strong>über</strong>, für <strong>die</strong> sie zuständig sind, selten<br />
ein Gefühl der Rechenschaftspflicht oder der<br />
Zugehörigkeit. Wenn sie dagegen von den vor<br />
Ort gewählten Kommunalbehörden zur Verantwortung<br />
gezogen werden könnten, würden<br />
<strong>die</strong> Dienstleistungen mit größter Wahrscheinlichkeit<br />
effektiver erbracht. Effektives und<br />
verantwortliches Verhalten kann durch Anreize<br />
und Tadel vor Ort gefördert werden.<br />
Die Millenniums-Entwicklungsziele sind<br />
politische Verpflichtungen auf nationaler Ebene,<br />
mit denen gewöhnliche Bürger ihre Politiker<br />
wirksam zur Rechenschaft ziehen können.<br />
Die Ziele sind faszinierend, denn in ihnen<br />
kommen <strong>die</strong> Träume der einfachen Bevölkerung<br />
zum Ausdruck: eine Schule in der Nähe<br />
zu haben, mit Lehrern, <strong>die</strong> auch tatsächlich<br />
zur Arbeit erscheinen, und mit Büchern und<br />
Stiften für <strong>die</strong> Schüler. Wenigstens eine Handpumpe<br />
zu besitzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen mit sauberem<br />
Trinkwasser versorgt und <strong>die</strong> für Frauen<br />
und Kinder problemlos zu Fuß zu erreichen<br />
ist. Eine Gesundheitsstation vor Ort zu<br />
haben, <strong>die</strong> <strong>über</strong> eine Ausstattung mit Medikamenten<br />
verfügt und an der ein Arzt und eine<br />
Krankenschwester arbeiten.<br />
Um das Potenzial der Ziele wirklich zu<br />
nutzen, müssen sich arme Menschen jedoch<br />
organisieren und gemeinsame Aktivitäten ergreifen.<br />
Das ist nicht einfach, denn arme Menschen<br />
sind in der Regel nicht so gut organisiert<br />
oder in der Lage, ihre Anliegen zu artikulieren.<br />
Sie erhalten nicht so einfach Zugang zu öffentlichen<br />
Dienstleistungen und Rechtsschutz, haben<br />
selten Verbindungen zu einflussreichen<br />
Personen und sind am ehesten von wirtschaftlichen<br />
Einbrüchen betroffen.<br />
Ob <strong>die</strong> Ziele umgesetzt werden können,<br />
hängt zum Teil vom politischen Umfeld vor<br />
Ort ab – davon, ob es für <strong>die</strong> Bürger gangbare<br />
Wege gibt, an der politischen Entscheidungsfindung<br />
mitzuwirken, sei es durch formelle de-<br />
166 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 7.1<br />
Madhya Pradesh und Rajasthan – Bildungspolitik mit Resultaten<br />
Madhya Pradesh und Rajasthan – zwei der ärmsten<br />
Staaten In<strong>die</strong>ns mit den verheerendsten sozialen Indikatoren<br />
des Landes – haben ihr Schulwesen für<br />
Arme umgewandelt. Wie kam das?<br />
Im Jahr 1994 war Madhya Pradesh das erste<br />
Bundesland in In<strong>die</strong>n, das das wieder neu geschaffene<br />
kommunale Verwaltungssystem – <strong>die</strong> panchayati<br />
raj-Institutionen – einführte. Die politische<br />
Führung der panchayat machte gemeinsam mit der<br />
Landesregierung <strong>die</strong> Grundschulbildung zu einem<br />
zentralen Anliegen. Von 1991 bis 2001 konnte Madhya<br />
Pradesh seine Alphabetisierungsrate um 20 Prozentpunkte<br />
(von 44 Prozent auf 64 Prozent) steigern.<br />
Die Alphabetisierungsraten in Rajasthan stiegen<br />
auf ganz ähnliche Weise um 22 Prozentpunkte<br />
(von 39 Prozent auf 61 Prozent). Eindeutig waren<br />
damit zwei Regierungen auf dem richtigen Weg.<br />
In Rajasthan wurden <strong>die</strong> Erfolge bei der Verbesserung<br />
der Alphabetisierung auf ganz ähnliche<br />
Weise durch das Shiksha Karmi-Projekt im Jahr<br />
1987 und das Lok Jumbish-Projekt 1992 enorm<br />
vorangetrieben. Diese Projekte stießen landesweite<br />
Prozesse an, <strong>die</strong> zur Einführung von Dorf-Bildungsräten<br />
führten, in denen alle Gruppen der Dorfbevölkerung,<br />
einschließlich der Frauen und der meisten<br />
Kasten vertreten waren. Diese Räte fällten Beschlüsse<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Einrichtung kommunaler Schulen,<br />
<strong>die</strong> Überprüfung der Leistungen von Lehrern und<br />
Schülern und warben auch finanzielle Mittel dafür<br />
ein.<br />
In Madhya Pradesh zeigten partizipatorisch angelegte<br />
Untersuchungen auf Dorf- und panchayat-<br />
Ebene, <strong>die</strong> von der Lok Sampark Abhiyan (Public<br />
Interaction Campaign) durchgeführt wurden, dass<br />
es anders als dem Anschein nach in früher von Lehrern<br />
vorgelegten Unterlagen keine hohen Schulabbrecherraten<br />
gab. Stattdessen wurde deutlich, dass<br />
bereits <strong>die</strong> Einschulungsraten äußerst niedrig waren.<br />
Dies hatte unterschiedliche Ursachen, nicht zuletzt<br />
das Problem des Zugangs zu Schulen.<br />
Die Politik reagierte darauf mit der Einführung<br />
eines Programms, das allen Siedlungen – und nicht<br />
nur allen Dörfern – <strong>die</strong> Einrichtung einer Grundschule<br />
garantierte. Dieses Bildungs-Garantie-Programm<br />
sieht vor, dass <strong>die</strong> Landesregierung innerhalb<br />
von 90 Tagen das Gehalt eines Lehrers auf unterster<br />
Gehaltsstufe zur Verfügung stellen muss,<br />
Quelle: Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht), Institute of Development Stu<strong>die</strong>s <strong>2003</strong>.<br />
mokratische Strukturen oder durch direkte<br />
Mobilisierung und gemeinsame Aktivitäten<br />
(Kasten 7.1). Die politischen Prozesse, <strong>die</strong> für<br />
arme Menschen am wichtigsten sind, finden<br />
auf lokaler Ebene statt, denn dort haben <strong>die</strong><br />
Menschen <strong>die</strong> besten Chancen, <strong>die</strong> Regierungen<br />
zur Verantwortung zu ziehen.<br />
wenn <strong>die</strong> Eltern von 40 Kindern in einer Siedlung<br />
(25 in einem Stammesgebiet) eine Schule für ihre<br />
Kinder brauchen. Der Dorf-panchayat kann dafür<br />
den Lehrer aus der Dorfgemeinschaft rekrutieren<br />
und anstellen. Er muss auch Räumlichkeiten bereit<br />
stellen, in denen Lehrer <strong>die</strong> Kinder unterrichten<br />
können.<br />
Während in den 50 Jahren seit der Unabhängigkeit<br />
in Madhya Pradesh 80.000 Schulen als Bestandteil<br />
des regulären Grundschulbildungssystems<br />
der Regierung eröffnet worden waren, wurden in<br />
den drei Jahren nach der Verkündung des Programms<br />
(im Januar 1997) 30.000 neue Schulen eingerichtet.<br />
Besonders wichtig dabei ist, dass das Programm<br />
zu einer enormen Steigerung der Einschulung<br />
bei Kindern aus der Stammesbevölkerung geführt<br />
hat – genau <strong>die</strong> Kinder, deren Einschulungsraten<br />
innerhalb der anfälligsten Bevölkerungsgruppen<br />
am niedrigsten waren. Es führte auch zu einem<br />
<strong>über</strong>proportionalen Zuwachs bei der Einschulung<br />
von Mädchen.<br />
Aus dem Bildungs-Garantie-Programm können<br />
Lehren für ähnliche Situationen <strong>über</strong>all auf der<br />
Welt gezogen werden. Die Forderung der Kommunen<br />
nach Schulen löste das Handeln der Regierung<br />
aus. Während <strong>die</strong> Landesregierungen <strong>die</strong> Lehrer bezahlen<br />
und ausbilden, schlägt <strong>die</strong> Kommune geeignete<br />
Personen aus der Dorfgemeinschaft vor und<br />
stellt <strong>die</strong> Räumlichkeiten für den Unterricht zur<br />
Verfügung. Der Erfolg des Programms zeigt, dass<br />
selbst bei stark begrenzten finanziellen Mitteln eine<br />
Veränderung der Politik und innovative partizipatorische<br />
Prozesse mit Rechenschaftspflicht Verbesserungen<br />
für <strong>die</strong> arme Bevölkerung mit sich bringen.<br />
Das Programm war so erfolgreich, dass eine nationale<br />
Kampagne "Bildung für Alle" in Angriff genommen<br />
wurde. Ein entscheidender Faktor wurde<br />
in <strong>die</strong>sem nationalen Plan jedoch <strong>über</strong>sehen: Die 90-<br />
Tage-Grenze, innerhalb derer sicher gestellt werden<br />
sollte, <strong>die</strong> Gehälter der Lehrer zu bezahlen. Durch<br />
<strong>die</strong>se Änderung in der Projektplanung entfiel <strong>die</strong><br />
Verpflichtung der Regierung zur Zahlung innerhalb<br />
eines klar definierten Zeitrahmens, und der nationale<br />
Plan kam – absehbar – zum Stillstand. Um einen<br />
Projektanstatz erfolgreich nachzuahmen, müssen<br />
alle seine Erfolgsvoraussetzungen <strong>über</strong>nommen<br />
werden.<br />
Die großen politischen Reformen der letzten<br />
Jahrzehnte haben solche Ergebnisse realisierbarer<br />
gemacht. In den achtziger und neunziger<br />
Jahren war bei der Verbreitung der Demokratie<br />
weltweit eine enorme Steigerung zu<br />
verzeichnen. Etwa 81 Länder – 29 in Afrika<br />
südlich der Sahara, 23 in Europa, 14 in Lat-<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 167
Wo Dezentralisierung<br />
funktioniert, hat es<br />
beeindruckende Erfolge<br />
gegeben<br />
einamerika, 10 in Asien und 5 in den arabischen<br />
Staaten – unternahmen Schritte in Richtung<br />
Demokratisierung. 3 Im Zuge <strong>die</strong>ser politischen<br />
Veränderungen wurde auch eine stärkere<br />
Dezentralisierung eingeleitet und neue<br />
soziale Bewegungen entstanden, <strong>die</strong> den Bürgern<br />
neue Möglichkeiten zu kollektiven Aktivitäten<br />
boten. In <strong>die</strong>sem Kapitel werden <strong>die</strong>se<br />
beiden politischen Entwicklungen untersucht,<br />
um daraus Schlüsse für politische Reformen<br />
und für soziale Aktivitäten zu ziehen, aus denen<br />
<strong>die</strong> erforderliche politische Dynamik entsteht,<br />
um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
zu erreichen.<br />
DEZENTRALISIERUNG – IHRE<br />
ENTSTEHUNG, IHRE ROLLE, IHRE<br />
POLITISCHEN ERFORDERNISSE<br />
In den letzten Jahren hat ein breites Spektrum<br />
von Ländern – Transformations- und Entwicklungsländer,<br />
solvente und insolvente, autoritäre<br />
und demokratische, mit linken oder<br />
rechten Regierungen oder Regierungen der<br />
politischen Mitte – mit Dezentralisierungsmaßnahmen<br />
begonnen. Seit den frühen achtziger<br />
Jahren sind entsprechende Reformen in<br />
Regimen eingeführt worden, <strong>die</strong> von Monarchien<br />
<strong>über</strong> Militärdiktaturen und von Einparteiensystemen<br />
bis hin zu Mehrparteiendemokratien<br />
reichen.<br />
Dezentralisierung setzt eine Zentralregierung<br />
voraus, <strong>die</strong> einen Teil ihrer politischen<br />
Autorität auf lokale Einheiten <strong>über</strong>trägt und,<br />
was das Entscheidende ist, einen Teil ihrer<br />
Ressourcen und administrativen Verantwortlichkeiten.<br />
Diese lokalen Einheiten sind dann<br />
für einige grundlegende öffentliche Dienstleistungen<br />
und Funktionen zuständig. In mehr<br />
als 60 Ländern sind zu <strong>die</strong>sem Zweck kommunale<br />
Räte mit einer ganzen Reihe von Zuständigkeiten<br />
geschaffen worden. 4 Und in Lateinamerika<br />
werden jetzt, mit Ausnahme einiger<br />
weniger kleiner Länder, fast alle legislativen<br />
und exekutiven Behörden in 13 000 kommunalen<br />
Verwaltungseinheiten gewählt. 5<br />
Es wird gemeinhin angenommen, dass Dezentralisierung<br />
<strong>die</strong> Beteiligung der Bevölkerung<br />
bei der politischen Entscheidungsfindung<br />
stärkt, weil dadurch <strong>die</strong> Regierung den<br />
Menschen nähergebracht wird – sie wird zugänglicher<br />
und erfährt mehr <strong>über</strong> <strong>die</strong> lokalen<br />
Gegebenheiten und geht daher mehr auf <strong>die</strong><br />
Wünsche der Bevölkerung ein. Gibt es für <strong>die</strong>se<br />
Annahme aber tatsächlich Beweise? Und<br />
was noch wichtiger ist, trägt <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
von Autorität und Ressourcen dazu bei,<br />
Fortschritte bei der Agenda im Interesse der<br />
armen Bevölkerung zu erzielen?<br />
WARUM IST DEZENTRALISIERUNG<br />
NOTWENDIG?<br />
Dort wo <strong>die</strong> Dezentralisierung funktioniert<br />
hat (und das ist eine beachtliche Leistung) –<br />
wie in Teilen von Botsuana, Brasilien, Kolumbien,<br />
Jordanien, Südafrika und vielen Staaten<br />
in In<strong>die</strong>n (Karnataka, Kerala, Madhya Pradesh,<br />
Rajasthan, West Bengalen) – hat es beeindruckende<br />
Erfolge gegeben, so zum Beispiel:<br />
• Schnellere Reaktionen auf lokale Bedürfnisse.<br />
Die Kommunalbehörden handeln<br />
in der Regel eher auf Grundlage von Interessen<br />
und Bedingungen vor Ort und müssen<br />
nicht mehr auf eine Genehmigung von höherer<br />
Ebene warten, bevor sie handeln können.<br />
Die Dezentralisierung gibt auch den Frauen<br />
Gelegenheit, auf lokaler Ebene mitzuwirken<br />
und ermöglicht daher einen Ansatz der Politikformulierung<br />
und –umsetzung, bei dem geschlechtsspezifische<br />
Fragestellungen mehr<br />
Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, dass<br />
Gesundheitsprogramme der Regierung eher<br />
angenommen werden, da Berater vor Ort besser<br />
als Bürokraten in der Lage sind, den Sinn<br />
<strong>die</strong>ser Programme so zu erklären, dass ihn <strong>die</strong><br />
Bevölkerung vor Ort auch versteht – was entscheidend<br />
zum Erfolg der gesundheitsbezogenen<br />
Millenniums-Entwicklungsziele beiträgt.<br />
• Mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz<br />
und weniger Korruption. Da durch Dezentralisierung<br />
in der Regel <strong>die</strong> Transparenz<br />
gefördert wird, sinken oftmals in Ländern, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Dezentralisierung vorantreiben, <strong>die</strong> Geldsummen,<br />
<strong>die</strong> durch Korruption von Entwicklungsprogrammen<br />
abgezweigt werden. Eine<br />
neuere Stu<strong>die</strong> in 55 Ländern ergab, dass <strong>die</strong><br />
Dezentralisierung der Regierungsausgaben<br />
eng mit einer Reduzierung der Korruption in<br />
168 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
der Bürokratie und einem gesunkenen Profitstreben<br />
in der Privatwirtschaft verknüpft ist –<br />
so bleiben mehr Mittel übrig, <strong>die</strong> für grundlegende<br />
Dienstleistungen für arme Menschen<br />
ausgegeben werden können. 6<br />
• Besseres Erbringen von Dienstleistungen.<br />
Dezentralisierung sorgt oft für eine<br />
Verringerung der Dienstabwesenheit von<br />
Regierungsangestellten in kommunalen Schulen<br />
und Gesundheitsstationen, denn gewählte<br />
kommunale Vertreter, bei denen sich <strong>die</strong><br />
Wählerschaft beschwert, können für Disziplin<br />
sorgen. Auf <strong>die</strong>se Weise trägt eine Reduzierung<br />
der Dienstabwesenheit zur kostenneutralen<br />
Verbesserung der grundlegenden<br />
Dienstleistungen bei – was für das Erreichen<br />
der Ziele im Bereich Gesundheit und Bildung<br />
von entscheidender Bedeutung ist. 7 Eine stärkere<br />
Rechenschaftspflicht ermutigt auch <strong>die</strong><br />
Menschen vor Ort, <strong>die</strong> Umsetzung von Programmen<br />
aufmerksam zu verfolgen und zu<br />
protestieren, wenn Regierungsangestellte<br />
schlechte Leistungen erbringen.<br />
• Besserer Informationsfluss. Die Dezentralisierung<br />
sorgt dafür, dass Regierungsangestellte<br />
rechtzeitig vor möglichen Katastrophen<br />
– Ausbruch von Krankheiten, Überschwemmungen,<br />
Dürren – gewarnt sind und ermöglicht<br />
es den mit entsprechenden Befugnissen<br />
ausgestatteten kommunalen Behörden,<br />
schnelle Gegenmaßnahmen zu ergreifen.<br />
• Mehr nachhaltige Projekte. Die Dezentralisierung<br />
sorgt für mehr Nachhaltigkeit bei<br />
Entwicklungsprojekten, denn <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />
ist größer, dass <strong>die</strong> Menschen<br />
vor Ort bei ihrer Entwicklung, Umsetzung<br />
und Überprüfung miteinbezogen sind (siehe<br />
Kapitel 4). 8 Hinzu kommt, dass ein Haushaltsund<br />
Buchhaltungsansatz, der <strong>die</strong> Beteiligung<br />
der Betroffenen bei der Entscheidungsfindung<br />
einschließt, <strong>die</strong> Effizienz und Transparenz<br />
fördert und dazu beiträgt, dass geschlechtsspezifische<br />
Belange in Projekten stärker<br />
berücksichtigt werden.<br />
• Bessere Mittel zur Konfliktlösung.<br />
Wenn einzelne Regionen und Gebiete mehr<br />
Macht erhalten, trägt <strong>die</strong>s dazu bei, <strong>die</strong> nationale<br />
Einheit zu fördern und Konflikte zu lösen<br />
wie beispielsweise in Äthiopien und Ruanda.<br />
In Namibia und Südafrika wurde durch <strong>die</strong><br />
Dezentralisierung versucht, Ungleichheiten<br />
zwischen den einzelnen Regionen wieder auszugleichen.<br />
9 Eine Umverteilung von Ressourcen<br />
gewährleistete eine gerechtere Verteilung<br />
nationaler Finanzmittel an Regionen, <strong>die</strong><br />
früher von den herrschenden Gruppen im<br />
Zentrum vernachlässigt worden waren. Dadurch<br />
wurde auch eine Debatte und ein erneutes<br />
Verhandeln <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zuweisung nationaler<br />
Finanzmittel – eine Quelle langjähriger<br />
Konflikte zwischen den Regionen und ethnischen<br />
Gruppen – ermöglicht.<br />
• Mehr Elan und Motivation bei den Betroffenen<br />
vor Ort. Durch Dezentralisierung<br />
werden <strong>die</strong> Menschen vor Ort ermutigt, Lösungen<br />
für ihre Alltagsprobleme zu finden –<br />
kreative Ideen entstehen, und <strong>die</strong> in zentralisierten,<br />
hierarchischen Systemen auftretende<br />
Arbeitsbelastung wird reduziert. 10<br />
• Erweiterte Möglichkeiten der politischen<br />
Vertretung. Dezentralisierung verschafft<br />
den Menschen viel stärker Gehör bei<br />
öffentlichen politischen Entscheidungen, <strong>die</strong><br />
ihr Leben betreffen. Insbesondere hat sie <strong>die</strong><br />
politische Vertretung von Frauen gestärkt<br />
(wie z.B. in In<strong>die</strong>n, wo ein Drittel der Ratssitze<br />
im panchayat, d.h. auf der lokalen Ebene,<br />
für Frauen reserviert sind 11 ). Das Gleiche gilt<br />
für bisher marginalisierte ethnische Gruppen<br />
(wie beispielsweise <strong>die</strong> Quechua and Aymara-<br />
Bevölkerung in Bolivien, <strong>die</strong> Kalingas und<br />
Gaddangs auf den Philippinen und ethnische<br />
Gruppen auf dem Lande wie <strong>die</strong> Songhai und<br />
Dogon in Mali). 12<br />
Durch Dezentralisierung lässt sich <strong>die</strong> Bereitstellung<br />
sozialer Dienstleistungen besonders<br />
vorteilhaft verändern. Die Beteiligung der<br />
Kommunen bei der Entscheidungsfindung<br />
wird erleichtert und kann dazu beitragen, faire<br />
Lösungen für Probleme zu finden, <strong>die</strong> mit<br />
der Kostenverteilung für das Erbringen der<br />
Dienstleistungen in Verbindung stehen. In<br />
vielen Fällen, in denen <strong>die</strong> Regierungen beispielsweise<br />
nicht in der Lage waren, für Schulen<br />
zu sorgen, konnten <strong>die</strong> Kommunen Mittel<br />
und Arbeitskraft aufbringen, um <strong>die</strong> Schulen<br />
zu bauen, während <strong>die</strong> Lehrergehälter in der<br />
Regel vom Staat bezahlt wurden (siehe Kapitel<br />
5). In ähnlicher Weise hat <strong>die</strong> Bamako-Initiative<br />
<strong>die</strong> Versorgung weit abgelegener ländlicher<br />
Die Dezentralisierung<br />
sorgt dafür, dass<br />
Regierungsangestellte<br />
rechtzeitig vor möglichen<br />
Katastrophen – Ausbruch<br />
von Krankheiten,<br />
Überschwemmungen,<br />
Dürren – gewarnt sind<br />
und ermöglicht es den mit<br />
entsprechenden<br />
Befugnissen<br />
ausgestatteten<br />
kommunalen Behörden,<br />
schnelle<br />
Gegenmaßnahmen zu<br />
ergreifen<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 169
KASTEN 7.2<br />
Beiderseitiges Bestehen auf <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht – seitens der<br />
Kommunalverwaltung und der Zivilgesellschaft - verbessern <strong>die</strong> Regierungsführung<br />
im brasilianischen Bundesstaat Ceará<br />
1987 führte <strong>die</strong> neu gewählte Landesregierung angesichts<br />
sinkender Finanztransfers seitens der Bundesregierung<br />
und angesichts eines Personalkostenanteils<br />
von 87 Prozent der Staatseinnahmen einige innovative<br />
Maßnahmen durch. Sie versuchte, Probleme<br />
beim Erbringen von Dienstleistungen durch ein<br />
Bündnis mit Arbeitern und Bevölkerungsgruppen<br />
vor Ort zu <strong>über</strong>winden. Die Initiativen setzten <strong>die</strong><br />
Kommunalverwaltungen von oben und von unten<br />
unter Druck, damit <strong>die</strong>se ihre Leistungen auf Gebieten<br />
wie öffentliches Gesundheitswesen, Ausbildung<br />
im Agrarbereich, Hilfsmaßnahmen bei Dürren<br />
und Aufbau von Infrastruktur (wie zum Beispiel<br />
Schulen) verbesserten.<br />
Die Regierung reduzierte 1991 ihre Personalkosten<br />
auf 45 Prozent und rief Programme zur Gesundheitsvorsorge<br />
und zur öffentlichen Beschaffung<br />
von informellen Anbietern ins Leben ebenso wie ein<br />
großes Programm zur Arbeitsbeschaffung in Notfällen<br />
für Arbeiter, <strong>die</strong> aus dem Dienst der Regierung<br />
entlassen worden waren. Das Land stellte an der Basis<br />
tätige Arbeitskräfte ein, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Dienstleistungen<br />
erbringen sollten und motivierte sie, indem sie<br />
<strong>über</strong> ihre Arbeit <strong>bericht</strong>ete und ihnen viel offizielle<br />
Anerkennung für ihre Dienstleistungen zuteil wer-<br />
Quelle: Fuentes und Niimi 2002, pp. 123-33; Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht).<br />
Gebiete in Mali mit den notwendigsten Arzneimitteln<br />
sichergestellt und dabei mitgeholfen,<br />
arme Mitglieder in den jeweiligen Kommunen<br />
zu identifizieren, <strong>die</strong> bestimmte Kosten<br />
nicht bezahlen können.<br />
Dezentralisierte Einheiten sind beim Erbringen<br />
von Dienstleistungen effizienter als für<br />
einzelne Sektoren zuständige Ministerien mit<br />
hierarchischer Struktur, da <strong>die</strong> Planung und<br />
Partizipation vor Ort eine stärkere Verbindung<br />
zwischen den einzelnen Interventionen in den<br />
Bereichen Gesundheit, Wasser- und sanitäre<br />
Versorgung und bei anderen Dienstleistungen<br />
gewährleistet (siehe Kapitel 4). Auf Krisen vor<br />
Ort kann schneller reagiert werden, weil durch<br />
das dezentralisierte System <strong>die</strong> Kommunikation<br />
erheblich verbessert wird. Im Dhar-Distrikt<br />
im indischen Madhya Pradesh ermöglichte es<br />
ein kommunales Internet-Projekt, Gyandoot,<br />
das im Januar 2000 begonnen wurde, extrem<br />
zeitnah auf eine Frühwarnung per e-mail zu<br />
reagieren und dadurch das Ausbrechen einer<br />
Viehseuche zu verhindern. 13<br />
den ließ. Dies trug ihr noch größerem Respekt von<br />
seiten der Arbeitskräfte bei.<br />
Gleichzeitig wurde <strong>die</strong> Bevölkerung dadurch<br />
ermutigt, hohe Erwartungen an das Programm zu<br />
stellen und <strong>die</strong> Arbeitskräfte für ihre Leistungen zur<br />
Rechenschaft zu ziehen. Die Bevölkerung wurde<br />
auch dar<strong>über</strong> informiert, auf welche Dienstleistungen<br />
sie Anspruch habe, um Druck auf <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />
ausüben zu können, wenn <strong>die</strong>se<br />
Dienstleistungen nicht erfolgten. Diese öffentliche<br />
Kampagne trug dazu bei, Bevölkerungsgruppen,<br />
wenn nötig mit technischer Unterstützung, zu kollektivem<br />
Handeln zu mobilisieren.<br />
In den Jahren von 1997 bis 2001 konnte <strong>die</strong><br />
Landesregierung eine eindrucksvolle Verbesserung<br />
der Gesundheitsindikatoren erzielen. Die Säuglingssterblichkeit<br />
sank um mehr als ein Drittel, von 40<br />
auf 26 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Der<br />
Impfschutz nahm um mehr als ein Drittel zu, dabei<br />
stieg <strong>die</strong> Anzahl der voll geimpften Kinder von 67<br />
auf 91 Prozent. Die Rate der in den ersten vier Lebensmonaten<br />
ausschließlich gestillten Säuglinge<br />
stieg von 46 auf 61 Prozent und das Auftreten von<br />
Unterernährung bei Kindern wurde von 14 Prozent<br />
auf 7 Prozent halbiert.<br />
Durch <strong>die</strong> Dezentralisierung wird auch <strong>die</strong><br />
Umsetzung und Überprüfung des Erbringens<br />
von Dienstleistungen verbessert – und eine<br />
Reaktion auf schlechte Leistungen beschleunigt.<br />
Weltweit haben stärkere Transparenz<br />
und verbesserte Überwachung dazu geführt,<br />
dass sowohl das Ausmaß der Korruption als<br />
auch der Veruntreuungen insgesamt geringer<br />
geworden ist. Die politische Macht ist nicht<br />
mehr allein in den Händen der nationalen Eliten<br />
konzentriert. Das bedeutet, dass alle beim<br />
Staat Beschäftigten – seien es gewählte kommunale<br />
Vertreter, Beamte oder Dienstleistungspersonal<br />
wie Krankenschwestern, Lehrer<br />
oder Wasseringenieure – nicht nur den<br />
mächtigsten Teilen der Gesellschaft, sondern<br />
auch den ärmsten Bürgern gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig<br />
sind (Kasten 7.2). Solche Verhältnisse<br />
sind von entscheidender Bedeutung,<br />
wenn politische Interventionen für <strong>die</strong> Ziele<br />
geplant werden.<br />
Derzeit werden viele Dezentralisierungsversuche<br />
unternommen. Ihre Auswirkungen<br />
170 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 7.3<br />
Die Dezentralisierung trägt dazu bei, mehr Gleichheit in Kerala durchzusetzen<br />
Die Kerala People’s Campaign, <strong>die</strong> 1996 begann,<br />
wurde durch <strong>die</strong> Entscheidung der Landesregierung<br />
ausgelöst, 35-40 Prozent der staatlichen Planungsmittel<br />
an Dorf- und Kommunalgremien umzuwidmen.<br />
In den ersten beiden Jahren führte <strong>die</strong><br />
Kampagne zum Bau von 98.494 Häusern, 240.307<br />
Sanitärlatrinen, 17.489 öffentlichen Wasserzapfstellen<br />
und 50.162 Brunnen – insgesamt weit mehr als<br />
in den vorangegangenen Jahren.<br />
Die Kampagne mobilisierte Freiwillige vor Ort,<br />
vor allem aus der Bewegung Kerala Sastra Sahitya<br />
Parishad (Wissenschaft im Dienste der Bevölkerung)<br />
und pensionierte Experten, <strong>die</strong> Unterstützung<br />
bei der technischen und finanziellen Beurteilung der<br />
Projekte leisten konnten, so zum Beispiel Ingenieure,<br />
Ärzte, Professoren und andere Berufsgruppen.<br />
Die Freiwilligen gingen von Ort zu Ort, bewerteten<br />
<strong>die</strong> Bedürfnisse und Mittel der Einwohner und sammelten<br />
Informationen, <strong>die</strong> dann als Hintergrundinformation<br />
an <strong>die</strong> panchayat (auf Dorf-, Häuserblock<br />
und Bezirksebene gewählte Räte), an städtische Entwicklungs<strong>bericht</strong>e<br />
und an andere designierte Entwicklungsprojekte<br />
weitergegeben werden konnten.<br />
Quelle: Franke und Chasin 2000. Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht).<br />
insgesamt müssen zwar noch untersucht werden,<br />
erste Anzeichen sind jedoch schon sehr<br />
vielversprechend. 14 Die Einrichtung von gewählten<br />
Kommunalverwaltungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />
sozialen Dienstleistungen zuständig sind, gewährleistet,<br />
dass <strong>die</strong>se Behörden den politischen<br />
Führungskräften vor Ort und den Bürgern<br />
gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig sind<br />
(Kasten 7.3).<br />
Wenn für Dezentralisierungsinitiativen geeignete<br />
Institutionen und Ressourcen zur Verfügung<br />
stehen, können <strong>die</strong>se Initiativen Druck<br />
seitens der Zivilgesellschaft und engagierter<br />
Bürger mobilisieren. Nicht nur <strong>die</strong> armen und<br />
ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen sondern<br />
auch <strong>die</strong> Regierungen können von solchen Reformen<br />
sehr profitieren. Da durch solche Reformen<br />
viele der Probleme angegangen werden,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Armut mit sich bringt, tragen sie<br />
dazu bei, <strong>die</strong> Legitimität und Popularität von<br />
Regierungen zu steigern, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Reformen<br />
einführen.<br />
Für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele ist<br />
Dezentralisierung besonders entscheidend,<br />
denn viele sind von der effektiven Umsetzung<br />
grundlegender Dienstleistungen abhängig. Für<br />
Sie boten Ausbildungskurse in Projektplanung, -<br />
durchführung und -<strong>über</strong>prüfung an.<br />
Durch <strong>die</strong> partizipative Beratung und Planung<br />
vor Ort konnten <strong>die</strong> Ressourcen für <strong>die</strong> Projekte<br />
aufgrund von Material- und Arbeitskraftspenden<br />
um 10 Prozent gesteigert werden – zudem konnte<br />
man auf <strong>die</strong>se Weise den vorgesehenen Kasten und<br />
Stammesbevölkerungen (beides historisch unterdrückte<br />
soziale Gruppen) einen höheren Anteil an<br />
Projektmitteln zukommen lassen. Mehr als 30 Prozent<br />
der Projektmittel waren dafür vorgesehen, Unterkünfte<br />
für <strong>die</strong>se Gruppen zu schaffen.<br />
Aufgrund der vorgesehenen Frauenkomponente<br />
waren 10 Prozent eines jeden Projekthaushalts für<br />
Projekte vorgesehen, von denen Frauen profitieren<br />
sollten – im Gemüseanbau, in Nähkooperativen, zur<br />
Mobilisierung von anganwadi (Vorschulpersonal)<br />
und bei der Einrichtung von kommunalen Frauenzentren.<br />
Durch <strong>die</strong> Einführung neuer Programme<br />
für Gesundheitsversorgung und Bildung im öffentlichen<br />
Sektor hat es auch entscheidende Verbesserungen<br />
in den Bereichen Alphabetisierung und Gesundheit<br />
gegeben.<br />
<strong>die</strong> Ziele 2-7 beispielsweise hängt das Erreichen<br />
von Resultaten von besseren Dienstleistungen<br />
und aktivem Engagement der Hauptbetroffenen<br />
ab.<br />
VORAUSSETZUNGEN FÜR EINE<br />
EFFEKTIVE DEZENTRALISIERUNG<br />
Dezentralisierung ist in der Regel erfolgreich,<br />
wenn es eine politisch stabile, solvente Zentralregierung<br />
gibt, <strong>die</strong> zur Abgabe von Verantwortlichkeiten<br />
und Ressourcen entschlossen<br />
ist, wenn <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen <strong>die</strong>se<br />
Verantwortlichkeiten auch <strong>über</strong>nehmen können<br />
und wenn <strong>die</strong> arme Bevölkerung und eine<br />
gut organisierte Zivilgesellschaft effektiv daran<br />
beteiligt werden. Diese Bedingungen<br />
führen normalerweise zu einer bürgernahen<br />
Politik und entsprechenden Dienstleistungen,<br />
steigendem Wachstum, mehr Gleichheit und<br />
<strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />
Die Existenz eines funktionierenden Staates,<br />
leistungsfähiger Kommunalverwaltungen<br />
und einer aktiven Zivilgesellschaft allein garantiert<br />
jedoch noch keine erfolgreiche Dezentralisierung.<br />
Entscheidend sind <strong>die</strong> Beziehun-<br />
Für <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele ist<br />
Dezentralisierung<br />
besonders entscheidend,<br />
denn viele sind von der<br />
effektiven Umsetzung<br />
grundlegender<br />
Dienstleistungen<br />
abhängig<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 171
Ohne finanzielle<br />
Dezentralisierung sind<br />
jedoch alle<br />
Dezentralisierungsbemühungen<br />
zum<br />
Scheitern verurteilt<br />
gen zwischen <strong>die</strong>sen drei Ebenen: Um effektive<br />
und angemessene politische Maßnahmen<br />
zu gewährleisten, müssen <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />
Druck von beiden Seiten spüren,<br />
von oben (damit sie der Staatsregierung gegen<strong>über</strong><br />
Rechenschaft ablegen) und von unten<br />
(damit sie <strong>die</strong> Dienstleistungen für <strong>die</strong> Bürger<br />
vor Ort erbringen). Zu einer erfolgreichen Dezentralisierung<br />
gehört daher mehr als nur bestimmte<br />
politische Reformen – auch <strong>die</strong> Schaffung<br />
einer Dynamik in drei Richtungen, zwischen<br />
den Kommunalverwaltungen, der Zivilgesellschaft<br />
und einer aktiven Zentralregierung,<br />
ist erforderlich. 15<br />
Dezentralisierungs-Bemühungen sind<br />
stark von der Größe eines Landes, der Bevölkerung,<br />
Geschichte, dem politischen Klima<br />
und der geographischen und ethnischen Vielfalt<br />
abhängig. Diese Unterschiede verlangen<br />
auch unterschiedliche Regelungen zwischen<br />
den zentralen und regionalen Ebenen, was<br />
auch <strong>die</strong> Dezentralisierung und das Delegieren<br />
von Aufgaben beinhaltet. 16 Die bisherigen<br />
Erfahrungen mit der Dezentralisierung betonen<br />
<strong>die</strong> Wichtigkeit einiger weniger zentraler<br />
Prinzipien, insbesondere in Zusammenhang<br />
mit:<br />
• Den Funtionen, <strong>die</strong> dezentralisiert werden<br />
sollen – <strong>die</strong> sorgfältig ausgewählt werden<br />
müssen.<br />
• Den finanziellen Mitteln, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Kommunalverwaltungen in <strong>die</strong> Lage versetzt<br />
werden, Dienstleistungen zu erbringen – <strong>die</strong><br />
in den Dezentralisierungsplänen berücksichtigt<br />
werden müssen.<br />
Zum einen erfordern viele Funktionen mit<br />
nationaler Bedeutung standardisierte einheitliche<br />
Vorgaben durch eine Zentralbehörde.<br />
Beispiele hierfür sind Verteidigungs- und<br />
Außenpolitik, Währungsregulierung und <strong>die</strong><br />
Aufrechterhaltung nationaler Standards für<br />
<strong>die</strong> Grundschulbildung und für Impfkampagnen<br />
und andere Maßnahmen im Bereich öffentliche<br />
Gesundheit. Größer dimensionierte<br />
Aufgaben mit einem hohen Finanzvolumen<br />
und solche, <strong>die</strong> eine stärkere Regulierung erfordern<br />
(wie Ausbildung, Aufsicht, technische<br />
Unterstützung und kapitalintensive Einrichtungen),<br />
sollten am besten der Zentralregierung<br />
<strong>über</strong>tragen werden. Die Demokratische<br />
Volksrepublik Laos beispielsweise hat damit<br />
experimentiert, das Geldwechseln in den einzelnen<br />
Regionen zu dezentralisieren – was zu<br />
unterschiedlichsten Wechselkursen führte<br />
und ungeheuere administrative und finanzielle<br />
Schwierigkeiten mit sich brachte. 17<br />
Zweitens birgt <strong>die</strong> Übertragung von Entscheidungsbefugnissen<br />
an <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />
das Risiko, zu einer leeren Geste zu<br />
verkommen, wenn sie nicht durch ausreichende<br />
finanzielle Mittel, administrative Kapazität<br />
und Mechanismen, <strong>die</strong>se Behörden zur Rechenschaft<br />
ziehen zu können, abgesichert ist.<br />
Die Dorf- und Stadträte wären durchaus in<br />
der Lage einige finanzielle Ressourcen selber<br />
einzubringen – <strong>die</strong>s setzt jedoch voraus, dass<br />
sie auch dazu ermächtigt werden, was bisher<br />
selten geschieht. Ein großer Teil der erforderlichen<br />
finanziellen Mittel muss den lokalen<br />
Behörden jedoch von höherer Stelle <strong>über</strong>tragen<br />
werden. Dafür sind nicht unbedingt neue<br />
Ausgaben erforderlich, sondern eher <strong>die</strong><br />
Übertragung der Kontrolle <strong>über</strong> bereits vorhandene<br />
Ausgaben. Die Übertragung von<br />
Ausgabenkompetenzen birgt nicht das Risiko<br />
finanzieller Verantwortungslosigkeit, wie oftmals<br />
unterstellt wird. Auch werden <strong>die</strong> Räte<br />
dadurch nicht hoffnungslos von <strong>über</strong>geordneten<br />
Behörden abhängig, wie gerne behauptet<br />
wird – solange <strong>die</strong> Räte auch gewisse Befugnisse<br />
haben, zu entscheiden wofür sie <strong>die</strong> Mittel<br />
ausgeben.<br />
Die meisten Zentralregierungen haben jedoch<br />
bisher keine angemessenen finanziellen<br />
Mittel für <strong>die</strong> Erbringung von kommunalen<br />
Dienstleistungen an <strong>die</strong> Behörden vor Ort<br />
<strong>über</strong>tragen. Dies liegt teilweise daran, weil sie<br />
aus bestimmten Sektoren wie zum Beispiel der<br />
Forstwirtschaft oder dem Bergbau beträchtliche<br />
Steuereinnahmen erzielen und <strong>die</strong> Kontrolle<br />
dar<strong>über</strong> behalten möchten statt sie an<br />
<strong>die</strong> Kommunalräte oder Kommunen abzugeben.<br />
18 Ohne finanzielle Dezentralisierung sind<br />
jedoch alle Dezentralisierungsbemühungen<br />
zum Scheitern verurteilt.<br />
Dezentralisierung kann aber auch Vetternwirtschaft<br />
begünstigen – dabei spielt es keine<br />
Rolle, ob <strong>die</strong>s von politischen Parteien oder lokalen<br />
Eliten betrieben wird oder nur ein undemokratisches<br />
Umfeld widerspiegelt. Ein zu ge-<br />
172 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
inges oder unzuverlässiges finanzielles Engagement<br />
seitens der nationalen Regierungen,<br />
das noch mit politischer Manipulation und der<br />
Begünstigung spezieller Regionen und Wählergruppen<br />
einhergeht, hat katastrophale Folgen.<br />
Solche Mängel stellen <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
in Bangladesch, Côte d’Ivoire, Ghana,<br />
Kenia und Nigeria vor ernste Herausforderungen.<br />
Einigen Mythen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />
für erfolgreiche Initiativen muss entgegengetreten<br />
werden. So wird bisweilen behauptet,<br />
dass Dezentralisierung ohne Landreform zum<br />
Scheitern verurteilt ist. 19 Doch Erfahrungen im<br />
indischen Karnataka und anderswo zeigen,<br />
dass dem nicht so ist. Andere wiederum meinen,<br />
dass marktwirtschaftliche Orientierung<br />
und <strong>die</strong> Existenz einer unternehmerischen<br />
Mittelklasse für <strong>die</strong> Dezentralisierung von entscheidender<br />
Bedeutung sind. 20 Auch <strong>die</strong>s so<br />
nicht haltbar: Es hat ermutigende Initiativen<br />
in Ländern wie beispielsweise Mosambik gegeben,<br />
wo bisher keine ausgeprägte Mittelklasse<br />
existiert. 21<br />
Für eine erfolgreiche Dezentralisierung<br />
sind <strong>die</strong> folgenden drei Elemente unverzichtbar:<br />
• Leistungsfähigkeit des Staates<br />
• Mit Befugnissen ausgestattete, engagierte<br />
und kompetente Kommunalverwaltungen.<br />
• Engagierte, informierte, organisierte Bürger<br />
und Zivilgesellschaften<br />
Leistungsfähigkeit des Staates. Wenn eine<br />
Zentralregierung auf effektive Art und<br />
Weise Befugnisse an Kommunalverwaltungen<br />
<strong>über</strong>tragen will, muss sie vor allem selbst erst<br />
einmal Macht haben. Dezentralisierung erfordert<br />
eine Koordination der verschiedenen<br />
Ebenen der Regierung und mehr - und nicht<br />
weniger - Regulierung, damit Transparenz,<br />
Rechenschaftspflicht und Vertretung grundsätzlich<br />
gewährleistet sind. Der Staat muss <strong>die</strong><br />
Aufsicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />
führen, regulierend eingreifen und wenn nötig<br />
sanktionieren, damit <strong>die</strong> armen Menschen<br />
tatsächlich von den politischen Reformen profitieren.<br />
Der Staat muss auch angemessene finanzielle<br />
Mittel zur Unterstützung der Dezentralisierung<br />
aufbringen. Wenn ein schwacher<br />
Staat Dezentralisierungsversuche unternimmt,<br />
entstehen Probleme. In der Ukraine beispielsweise<br />
war es für <strong>die</strong> schwache und instabile<br />
Regierung eine Herausforderung angesichts<br />
stark gesunkener finanzieller Mittel und bei<br />
nur geringem oder fehlendem zivilgesellschaftlichen<br />
Engagement auf kommunalener<br />
Ebene dafür zu sorgen, dass <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />
funktionstüchtig blieben. 22 Andere<br />
Länder der früheren Sowjetunion, sahen<br />
sich bei ihren Dezentralisierungsversuchen<br />
mit ähnlichen Problemen konfrontiert.<br />
Bei der Dezentralisierung geht es um das<br />
Potenzial und nicht um das Versagen des Staates.<br />
Wenn ein schwacher Staat Macht <strong>über</strong>trägt,<br />
trifft er in den allermeisten Fällen einfach<br />
nur Vereinbarungen mit den kommunalen<br />
Eliten statt demokratische Spielräume zu<br />
erweitern – und schafft dadurch etwas, das als<br />
dezentralisierter Despotismus bezeichnet<br />
wird. 23 So beispielsweise in Afrika südlich der<br />
Sahara, wo zentralisierte Regime versucht haben,<br />
ländliche Gebiete unter ihre Kontrolle zu<br />
bringen, indem sie ihre eigenen Leute auf<br />
kommunaler Ebene eingesetzt haben – also<br />
das genaue Gegenteil von Beteiligung an der<br />
politischen Macht und Förderung der Rechenschaftspflicht<br />
auf kommunaler Ebene. 24<br />
Solche Maßnahmen haben nicht zu den erwünschten<br />
Resultaten für <strong>die</strong> Entwicklung geführt.<br />
Auch <strong>die</strong> Dezentralisierung in Papua-<br />
Neuguinea hat der Bevölkerung vor Ort nicht<br />
mehr Gehör verschafft. Es ging dort eher darum,<br />
ein Auseinanderbrechen des Landes zu<br />
verhindern, das durch sezessionistische Bewegungen<br />
unter Druck stand. Die Dezentralisierungsbemühungen<br />
des Landes wurden durch<br />
das Fehlen einer starken Staatsregierung, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> territoriale Integrität hätte gewährleisten<br />
können, unterminiert. Unter solchen Umständen<br />
können Reformen nicht <strong>die</strong> erhofften Resultate<br />
bringen.<br />
Engagierte, kompetente Kommunalverwaltungen<br />
mit entsprechenden Machtbefugnissen.<br />
Die Zuständigkeit für das Erbringen<br />
von sozialen Dienstleistungen muss an <strong>die</strong><br />
Kommunalverwaltungen abgegeben werden<br />
und zwar durch gesetzgeberische oder verfassungsmäßige<br />
Maßnahmen, durch <strong>die</strong> auch <strong>die</strong><br />
Kontrolle <strong>über</strong> <strong>die</strong> Funktionen ebenso wie<br />
Wenn eine<br />
Zentralregierung auf<br />
effektive Art und Weise<br />
Befugnisse an<br />
Kommunalverwaltungen<br />
<strong>über</strong>tragen will, muss sie<br />
vor allem selbst erst<br />
einmal Macht haben<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 173
Dort, wo <strong>die</strong><br />
Zivilgesellschaft<br />
Rechenschaft und<br />
Maßnahmen von den<br />
Kommunalverwaltungen<br />
verlangt hat, war <strong>die</strong><br />
Dezentralisierung<br />
effektiver<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Funktionäre <strong>über</strong>tragen wird. Die<br />
Funktionäre können ihre Funktionen jedoch<br />
nur mit angemessener finanzieller Ausstattung<br />
ausüben. Ob <strong>die</strong> Dezentralisierung dann<br />
den Interessen der armen Bevölkerung <strong>die</strong>nt,<br />
hängt davon ab, ob <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />
<strong>die</strong> soziale Gerechtigkeit fördern und sich<br />
für eine Mobilisierung im Interesse der Armen<br />
und eine entsprechende Politik einsetzen. 25<br />
Im brasilianischen Ceará und im indischen<br />
Kerala engagierten sich <strong>die</strong> staatlichen Behörden<br />
sehr stark für eine Reduzierung der Armut<br />
und waren bereit, es mit den Eliten vor Ort<br />
aufzunehmen, wenn <strong>die</strong>se sich den entsprechenden<br />
Bemühungen widersetzten. In Ceará<br />
beispielsweise wurde das Ländliche Entwicklungsprogramm<br />
für den Nordosten (Northeast<br />
Rural Development Programme) von<br />
den Kommunalverwaltungen durchgeführt,<br />
wobei man erfolgreich lokale Patronagesysteme<br />
umgehen konnte.<br />
Engagierte, informierte und organisierte<br />
Bürger und Zivilgesellschaften. Damit <strong>die</strong><br />
Kommunalbehörden auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der<br />
Bevölkerung eingehen können, müssen <strong>die</strong>se<br />
beiden Gruppen in einem ständigen Kommunikationsverhältnis<br />
zueinander stehen. Eine<br />
gut entwickelte, gut informierte Zivilgesellschaft,<br />
<strong>die</strong> in der Lage ist, <strong>die</strong> Ansichten der<br />
Gemeinschaft zusammenzutragen und zu artikulieren,<br />
ist daher unverzichtbar.<br />
In Mosambik verdoppelten engagierte<br />
Kommunalbehörden, <strong>die</strong> mit einem dezentralisierten<br />
Ansatz arbeiteten, das Personal im Gesundheitswesen<br />
und konzentrierten sich auf<br />
den Außen<strong>die</strong>nst, damit der Impfschutz und<br />
<strong>die</strong> Schwangerenberatung um 80 Prozent verbessert<br />
werden konnten. 26 Die Regierung versucht,<br />
Engpässe bei den Kapazitäten zu beseitigen,<br />
indem sie Partner und Auftrags<strong>die</strong>nste aus<br />
einer breiten Palette von öffentlichen Einrichtungen,<br />
Nichtregierungsorganisationen und<br />
privaten Anbietern auf allen Ebenen engagiert.<br />
Im indischen Bundesland West Bengalen<br />
erhielten <strong>die</strong> Kommunalbehörden weit früher<br />
mehr Macht, lange bevor <strong>die</strong> nationale Regierung<br />
von allen Landesregierungen verlangte,<br />
kommunale Behörden (panchayats) einzurichten<br />
und mit Machtbefugnissen auszustatten.<br />
In den achtziger Jahren ging dort <strong>die</strong> Armut<br />
stark zurück. 27 Im Zuge der Operation Barga<br />
trugen <strong>die</strong> panchayats zu einer Verbesserung<br />
der Agrartechnologie und zu einer Reform der<br />
Landverpachtung bei. Sie halfen auch bei der<br />
Registrierung von 1,4 Millionen Pächtern. Seit<br />
den späten achtziger Jahren hat Mazdoor Kisan<br />
Shakti Sangathan (MKSS, eine Interessenvertretung<br />
für Arbeiter und Bauern) in Rajasthan,<br />
In<strong>die</strong>n, Kampagnen für das Recht auf Information<br />
durchgeführt. MKSS organisiert öffentliche<br />
Anhörungen, bei denen offizielle Informationen<br />
– detaillierte Berichte, <strong>die</strong> auf<br />
den offiziellen Ausgabebelegen beruhen –<br />
sorgfältig untersucht und auf ihre Richtigkeit<br />
<strong>über</strong>prüft werden. MKSS nutzt <strong>die</strong>se ‘social<br />
audits’, um das Funktionieren von Demokratie<br />
auf der fassbarsten, unmittelbarsten Ebene,<br />
nämlich der Dorfebene, zu fördern.<br />
In den Philippinen wird <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
nach Maßgabe des Local Government<br />
Code von 1991 durchgeführt. Darin sind zusätzliche<br />
Funktionen für Gremien, <strong>die</strong> auf<br />
kommunaler Ebene gewählt werden, und eine<br />
breite Partizipation der Bevölkerung vorgesehen.<br />
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben<br />
sich auf kommunaler Ebene aktiv für eine<br />
öffentliche Rechenschaftspflicht eingesetzt. 28<br />
Die Herausforderung bestand darin, lokale<br />
Eliten davon abzuhalten, den Prozess zu<br />
ihrem eigenen Vorteil zu instrumentalisieren.<br />
Das Scheitern einiger Dezentralisierungsinitiativen<br />
offenbart das Fehlen öffentlichen<br />
Bewusstseins und das Nichtvorhandensein einer<br />
Beteiligungskultur. Dort, wo <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />
Rechenschaft und Maßnahmen von<br />
den Kommunalverwaltungen verlangt hat, war<br />
<strong>die</strong> Dezentralisierung effektiver.<br />
Es ist eine komplexe Herausforderung zu<br />
gewährleisten, dass <strong>die</strong> drei Akteure – staatliche<br />
Behörden, Kommunalbehörden und Zivilgesellschaft<br />
– tatsächlich zusammenarbeiten,<br />
um das Leben der armen Bevölkerung zu<br />
verbessern. Es gibt bei der Dezentralisierung<br />
in der Tat keinerlei Automatismus zum Nutzen<br />
der Armen (Kasten 7.4). Herrschende<br />
Gruppen und eng eingegrenzte Interessen<br />
können den Prozess für ihre Zwecke missbrauchen.<br />
In Bangladesch, Côte d’Ivoire,<br />
Ghana, Kenia, Mexiko, Nigeria, Papua-Neuguinea<br />
und Uganda hat <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />
174 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 7.4<br />
Trägt Dezentralisierung zur Armutsreduzierung bei?<br />
Ergebniss<br />
Partizipation der Armen oder Auswirkungen auf <strong>die</strong> soziale und<br />
Region / Land Berücksichtigung ihrer Belange wirtschaftliche Armut<br />
Bangladesh Schlecht: Partizipation etwas verbessert, Sehr schlecht in allen Bereichen, unterjedoch<br />
sehr negative Ergebnisse bei der miniert durch Korruption und politische<br />
Vertretung der Armen, Belange der<br />
Armen kaum berücksichtigt<br />
Vetternwirtschaft<br />
Brasilien Wenig Belege, vermutlich jedoch Gute Ergebnisse bei Gleichheit und<br />
schlecht,da Patronagesysteme unter <strong>menschliche</strong>r Entwicklung in besonderen<br />
mächtigen Bürgermeistern und Gebieten, wo Landes- und Bundespro-<br />
Gouverneuren immer noch programme mit Dezentralisierung kombivorherrschend<br />
ist niert wurden; bei räumlich gerechter<br />
Verteilung im allgemeinen schlecht<br />
Chile Keine Belege vorhanden Gemischt: Gute Ergebnisse bei Wachstum<br />
und Gleichheit durch klare Zielsetzung,<br />
Belege bei <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung und Gleichheit jedoch umstritten;<br />
deutet auf negatives Ergebnis hin<br />
Kolumbien Recht gut: keine eindeutigen Belege für Recht gut: wenig Belange für mehr Wachs-<br />
Partizipation/Vertretung der Armen, tum oder Gleichheit, jedoch gute Ergebjedoch<br />
bessere Berücksichtigung ihrer nisse bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
Belange und räumlich gerechteren Verteilung<br />
Côte d’Ivoire Schlecht: geringe Partizipation und Räumlich gerechtere Verteilung vermutlich<br />
Vertretung, Belange der Armen kaum durch Mittelzuweisungen der Regierung<br />
berücksichtigt an ländliche Gebiete verbessert<br />
Ghana Gemischt: Partizipation der armen Die wenigen vorhandenen Belege deuten<br />
Bevölkerung und kommunaler Gruppen darauf hin, dass <strong>die</strong> eingesetzten Mittel<br />
verbessert; gleichzeitig nur begrenzt zu unbedeutend waren um viel zu bewir-<br />
Verbesserungen bei der Vertretung, kaum ken; evtl. räumlich gerechtere Verteilung<br />
Berücksichtigung der Belange der Armen durch Mittelzuweisungen seitens der<br />
Regierung<br />
Karnataka, Recht gut: bessere Vertretung, jedoch wenig Neutral: trug kaum zu mehr Wachstum im<br />
India effektive Partizipation der Armen und Sinne der armen Bevölkerung oder zu<br />
geringe Berücksichtigung ihrer Belange mehr Gleichheit bei; <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />
und räumlich gerechtere Verteilung<br />
profitierten indirekt von Mittelzuweisungen<br />
und Entwicklungsprogrammen<br />
Kenia Sehr schlecht: politisch motiviertes Einige Auswirkungen auf räumlich<br />
Dekonzentrations-Programm gerechtere Verteilung durch politisch<br />
motivierte Umverteilung<br />
Mexiko Belege liegen nicht vor, man kann jedoch Schlecht trotz bedeutender Mittelzuweiannehmen,<br />
dass sich an dem parteien- sungen seitens der Zentralregierung;<br />
dominierten Patronage-System wenig Gleichheit, räumlich gerechtere Verteilung<br />
geändert hat und <strong>menschliche</strong> Entwicklung durch<br />
politische Vetternwirtschaft unterminiert<br />
Nigeria Sehr gering: Partizipation und Vertretung Schlecht: schlechte Bilanz bei Gleichheit und<br />
auf sehr niedrigem Niveau, sehr schlechte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung; räumlich gerechtere<br />
Bilanz bei der Berücksichtigung der Verteilung ist Gegenstand politischer Manipu-<br />
Belange der Armen und fehlende<br />
Rechenschaftspflicht<br />
und einer Bevorzung städtischer Gebiete<br />
Philippinen Gemischt: Vertretung und Partizipation<br />
durch Organisationen der Bevölkerung und<br />
Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />
verbessert, Belege für Berücksichtigung der<br />
Belange der Armen jedoch umstritten und<br />
lokale Eliten immer noch sehr mächtig<br />
Keine Belege vorhanden<br />
West Bengalen, Gut: verbesserte Partizipation und Vertretung, Gut: Positiv für Wachstum, Gleichheit, mensch-<br />
In<strong>die</strong>n stärkere Berücksichtigung der Belange der liche Entwicklung; keine Belege für räumlich<br />
Armen gerechtere Verteilung<br />
Quelle: Übernommen aus Crook und Sturfa Sverrisson 2001 (noch unveröffentlicht).<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 175
In Bolivien hat <strong>die</strong><br />
Dezentralisierung auch<br />
<strong>die</strong> Partizipation indigener<br />
Völker, insbesondere der<br />
Quechua- und Aymara-<br />
Bevölkerung, gestärkt<br />
weder zu mehr Partizipation, noch zu besseren<br />
Ergebnissen für <strong>die</strong> arme Bevölkerung auf<br />
sozialer und wirtschaftlicher Ebene geführt.<br />
Ugandas ehrgeiziges, aber finanziell schlecht<br />
ausgestattetes und zentral gesteuertes Dezentralisierungsprogramm<br />
ist aufgrund seines<br />
zu zentralistischen technokratischen Ansatzes<br />
und der Vetternwirtschaft vor Ort gescheitert.<br />
SOZIALE BEWEGUNGEN UND INNOVATIVE<br />
ANSÄTZE BEI DER PARTIZIPATION DER<br />
BEVÖLKERUNG<br />
Direkte kollektive Aktionen stellen für <strong>die</strong> Bevölkerung<br />
und insbesondere <strong>die</strong> Armen eine<br />
weitere Möglichkeit dar, <strong>die</strong> Entscheidungsfindung<br />
zu beeinflussen und <strong>die</strong> Behörden zur<br />
Rechenschaft zu ziehen. Soziale Bewegungen<br />
haben dafür gesorgt, dass Ausgrenzung und<br />
Armut auf <strong>die</strong> politische Tagesordnung gesetzt<br />
wurden. Sie sind dort am aktivsten, wo<br />
vor kurzem erst politische Freiheiten erkämpft<br />
werden konnten – oder noch erkämpft werden<br />
müssen. Sie protestieren nicht nur auf der<br />
Straße, sondern verlangen Veränderungen bei<br />
den politischen Entscheidungsprozessen. Der<br />
Dezentralisierungsprozess hat neue Möglichkeiten<br />
des Bürgerengagements auf kommunaler<br />
Ebene geschaffen, und das hat zu einer erheblichen<br />
Verstärkung der Aktivitäten auf<br />
kommunaler Ebene geführt.<br />
DER KAMPF FÜR BESSERE<br />
LEBENSBEDINGUNGEN IN BOGOTA,<br />
KOLUMBIEN<br />
Seit Jahrzehnten organisieren und mobilisieren<br />
<strong>die</strong> Einwohner von Bogotá in Kolumbien<br />
– insbesondere in armen Stadtbezirken - Unterstützung,<br />
um <strong>die</strong> Lebensqualität in der<br />
Stadt zu verbessern und <strong>die</strong> Gewalt zu reduzieren.<br />
Diese Bemühungen haben zu einigen<br />
beeindruckenden Ergebnissen geführt. Die<br />
Einwohner konnten 1988 erstmals ihren Bürgermeister<br />
wählen. Im Jahr 1994 wählten sie<br />
mit Antanus Mockus den ersten unabhängigen<br />
Bürgermeister und beendeten so <strong>die</strong> Dominanz<br />
der liberalen und konservativen Parteien<br />
in der Stadt. Der Aufstieg von Mockus<br />
war vor allem das Ergebnis von Organisations-<br />
bemühungen in armen Stadtteilen. Seine<br />
Stadtverwaltung erarbeitete einen Entwicklungsplan,<br />
der darauf basierte, „eine neue<br />
Stadt zu konstruieren”. Die darauf folgende<br />
Stadtverwaltung von Enrique Peñalosa – einem<br />
weiteren Unabhängigen – setzte einen<br />
Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Entwicklung öffentlicher<br />
Flächen wie beispielsweise Parks, Plätze, Bürgersteige<br />
und Fahrradwege.<br />
Solche Bemühungen haben <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />
in Bogotá spürbar verbessert. Die<br />
Zahl der Verkehrstoten ist von einem Spitzenwert<br />
von 1.387 im Jahr 1995 auf 745 im Jahr<br />
2001 gesunken. Die Zahl der Tötungsdelikte<br />
ist sogar noch stärker gesunken, nämlich von<br />
einem Spitzenwert von 4.452 im Jahr 1993 auf<br />
2.000 im Jahr 2001. Am erstaunlichsten war<br />
vermutlich das Ergebnis einer freiwilligen<br />
Steuerkampagne, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Einnahmen<br />
der Stadt im selben Zeitraum um 500.000 US-<br />
Dollar stiegen. 29 In einer kürzlich von der kolumbischen<br />
Nationalen Planungsbehörde vorgelegten<br />
Stu<strong>die</strong> <strong>über</strong> politische, finanzielle<br />
und administrative Indikatoren wurde Bogotá<br />
von allen kolumbischen Kommunen am höchsten<br />
eingestuft. 30<br />
FÖRDERUNG EINER DEMOKRATISCHEN<br />
KULTUR IN BOLIVIEN<br />
Das System der Volksbeteiligung in Bolivien<br />
ist ein Beispiel für den jüngsten Trend zur Dezentralisierung<br />
im Verwaltungs- und Finanzbereich<br />
in Entwicklungsländern. 31 Das 1992<br />
verabschiedete Gesetz zur Beteiligung der Bevölkerung<br />
gewährleistet, dass bei der Dezentralisierung<br />
<strong>die</strong> Mitwirkung der Zivilgesellschaft<br />
vor Ort und der Basisorganisationen bei<br />
der kommunalen Planung und der Überwachung<br />
der Entwicklungsprojekte berücksichtigt<br />
wird.<br />
Die Herausforderungen, mit denen sich<br />
<strong>die</strong> zivilgesellschaftlichen Organisationen vor<br />
Ort konfrontiert sahen, machten einen solchen<br />
Ansatz erforderlich. Er spiegelt auch <strong>die</strong><br />
lange Tradition der kommunalen Beteiligung<br />
in Bolivien wider, sowohl in den indigenen<br />
Kulturen als auch bei den Arbeiter- und Bergarbeitergewerkschaften.<br />
Im Gesetz zur Beteiligung<br />
der Bevölkerung wird das Land in 314<br />
176 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Kommunen aufgeteilt, <strong>die</strong> entsprechend ihres<br />
Bevölkerungsanteils staatliche Mittel für Projekte<br />
erhalten.<br />
Diese Umverteilungen hatten zwar unterschiedliche<br />
Folgen für <strong>die</strong> Reduzierung der<br />
Armut, sie bewirkten jedoch eine Reduzierung<br />
der räumlichen Ungleichheit, indem sie Mittel<br />
für Regionen – wie beispielsweise abgelegene<br />
ländliche Gebiete - bereitstellten, <strong>die</strong> vorher<br />
vernachlässigt worden waren. Die Dezentralisierung<br />
hat auch <strong>die</strong> Partizipation indigener<br />
Völker, insbesondere der Quechua- und Aymara-Bevölkerung<br />
gestärkt. Eine der wichtigsten<br />
Auswirkungen des neuen Systems ist <strong>die</strong><br />
Förderung einer demokratischen Kultur, <strong>die</strong><br />
alle miteinbezieht.<br />
BEWUSSTSEIN FÜR HIV/AIDS IN<br />
THAILAND WECKEN<br />
Seit den frühen neunziger Jahren hat <strong>die</strong> Population<br />
and Community Development Association<br />
(Vereinigung für Bevölkerung und<br />
Kommunale Entwicklung) in Thailand, eine<br />
Nichtregierungsorganisation (NRO), deren<br />
Schwerpunkt ursprünglich auf Familienplanung<br />
lag, ungeheuere Anstrengungen unternommen,<br />
um das Bewusstsein <strong>über</strong> HIV/<br />
AIDS zu stärken. Sie trug dazu bei, obligatorische<br />
Informationssendungen im Radio und im<br />
Fernsehen zu fördern, <strong>die</strong> jede Stunde 30 Sekunden<br />
lang ausgestrahlt wurden. Sie war<br />
auch an der Einführung eines nationalen<br />
AIDS-Aufklärungsprogramms beteiligt. Zudem<br />
hat sie auch „Kondom-Nächte“ und<br />
„Miss Anti-AIDS Schönheitsparaden“ in den<br />
am stärksten frequentierten Sex-Bezirken von<br />
Bangkok durchgeführt und damit <strong>die</strong> Möglichkeit<br />
zur Aufklärung von besonders gefährdeten<br />
Bevölkerungsgruppen – nämlich Prostituierten<br />
und ihren Kunden – und zur Verteilung<br />
von Kondomen geschaffen.<br />
Diese Bemühungen haben dazu beigetragen,<br />
<strong>die</strong> Zahl der HIV-Neuerkrankungen<br />
zu senken und dadurch deutlich gemacht,<br />
wie wichtig <strong>die</strong> Mobilisierung vor Ort ist.<br />
Bewusstseinsbildung, Förderung des Gebrauchs<br />
von Verhütungsmitteln, Förderung<br />
der Partizipation und Unterstützung vor Ort<br />
sind daher <strong>die</strong> entscheidenden Elemente,<br />
wenn man das Millenniums-Entwicklungsziel<br />
erreichen will, <strong>die</strong> Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS, von Malaria und anderen ansteckenden<br />
Krankheiten allmählich einzudämmen.<br />
BERÜCKSICHTIGUNG GESCHLECHTS-<br />
SPEZIFISCHER BELANGE BEI DER<br />
HAUSHALTSPOLITIK IN SÜDAFRIKA<br />
1995 wurde <strong>die</strong> South African Women’s Budget<br />
Initiative (Südafrikanische Frauen Budget<br />
Initiative) von der Gender and Economic Policy<br />
Group (Frauen und Wirtschaftspolitik<br />
Gruppe) des Haushaltsausschusses des Parlaments<br />
und von zwei politikbezogenen NRO,<br />
deren Schwerpunkt auf Forschung und Lobbyarbeit<br />
lag, gegründet. Durch <strong>die</strong> Vernetzung<br />
von Forschern und Parlamentariern<br />
konnte <strong>die</strong> Forschung sicher sein, eine Lobby<br />
im Parlament zu erhalten – während <strong>die</strong> Parlamentarier<br />
eine solide Basis für ihre Politik erhielten.<br />
Durch <strong>die</strong>ses nicht allein an Wirtschaftlichkeit<br />
ausgerichtete Vorgehen wurde<br />
ein interdisziplinärer Ansatz gefördert, der<br />
Fragestellungen mit einbezog, <strong>die</strong> bei einer<br />
konventionellen ökonomischen Analyse nicht<br />
berücksichtigt werden. Diese fehlende<br />
Berücksichtigung hatte oft zu einer Politik geführt,<br />
<strong>die</strong> geschlechtsspezifische Fragestellungen<br />
<strong>über</strong>sah. Die Initiative hat <strong>die</strong>se Vernachlässigung<br />
geschlechtsspezifischer Aspekte<br />
ebenso dokumentiert wie das wachsende Problem<br />
von HIV/AIDS.<br />
Diese Arbeit wurde noch ausgeweitet, als<br />
das Gender Advocacy Programme, eine Frauen-NRO,<br />
in der westlichen Kap-Provinz im<br />
Jahr 2000 Untersuchungen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Haushaltszuweisungen<br />
im Zusammenhang mit dem<br />
Gesetz zu häuslicher Gewalt (Domestic Violence<br />
Act) aus dem Jahr 1998 durchführte. Mit<br />
Unterstützung der Provinzregierung wurden<br />
<strong>die</strong> Haushaltszuweisungen in den einzelnen<br />
für <strong>die</strong> Umsetzung des Gesetzes zuständigen<br />
Abteilungen (Justiz, Sicherheit, Wohlfahrt)<br />
untersucht. Solche Initiativen sind zwar noch<br />
zu neu, um <strong>die</strong> Politik zu beeinflussen, trotzdem<br />
sind sie ein Schritt hin zu einer Stärkung<br />
der Partizipation und leisten einen Beitrag zur<br />
politischen Entscheidungsfindung. 32<br />
Bewusstseinsbildung,<br />
Förderung des Gebrauchs<br />
von Verhütungsmitteln,<br />
Förderung der<br />
Partizipation und<br />
Unterstützung vor Ort<br />
sind <strong>die</strong> entscheidenden<br />
Elemente, wenn man<br />
das Millenniums-<br />
Entwicklungsziel<br />
erreichen will, <strong>die</strong><br />
Ausbreitung von<br />
HIV/AIDS allmählich<br />
einzudämmen<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 177
Das Experiment von Porto<br />
Alegre ist so erfolgreich<br />
gewesen, dass es von<br />
vielen anderen<br />
brasilianischen Städten,<br />
darunter São Paulo,<br />
Santos, Belo Horizonte,<br />
Campinas und Vitoria,<br />
aber auch von anderen<br />
lateinamerikanischen<br />
Ländern <strong>über</strong>nommen<br />
wurde<br />
Eine solche Politikformulierung und<br />
entsprechende Haushaltsmaßnahmen haben<br />
große Bedeutung für <strong>die</strong> Ziele, insbesondere<br />
<strong>die</strong> Ziele in den Bereichen Hunger, Bildung,<br />
Ermächtigung der Frauen, Kindersterblichkeit,<br />
Müttergesundheit und HIV/AIDS und<br />
andere Krankheiten. Wenn man für bestimmte<br />
Zielgruppen der Bevölkerung grundlegende<br />
Dienstleistungen erbringt, führt <strong>die</strong>s zu<br />
positiven Effekten. Das Gleiche gilt für<br />
Dienstleistungen. <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Bedürfnisse von<br />
anfälligen Bevölkerungsgruppen zugeschnitten<br />
sind.<br />
BETEILIGUNGSHAUSHALTE IN<br />
PORTO ALEGRE, BRASILIEN<br />
In Porto Alegre im brasilianischen Rio Grande<br />
do Sul, führte <strong>die</strong> Arbeiterpartei 1988 eine Politik<br />
zur Förderung der Beteiligungshaushalte<br />
ein und wurde danach durch ihre Wahlerfolge<br />
1992 und 1996 bestätigt. 33 Die vorher auf bestimmte<br />
Interessengruppen zugeschnittene<br />
Haushaltspolitik wurde in ein auf dem Dialog<br />
mit den Bürgern aufbauendes System mit voller<br />
Rechenschaftspflicht umgewandelt, das sich<br />
an den Bedürfnissen der Einwohnerschaft orientiert.<br />
Das System hat einige gute Ergebnisse gebracht.<br />
34 Die Beteiligung der Bürger bei der<br />
Vorbereitung und kritischen Bewertung der<br />
öffentlichen politischen Maßnahmen hat auf<br />
eindrucksvolle Weise zugenommen. Der Anteil<br />
der städtischen Bevölkerung mit Zugang<br />
zu Wasser stieg von 49 Prozent im Jahr 1989<br />
auf 98 Prozent im Jahr 1996. 35 Im gleichen<br />
Zeitraum verdoppelte sich <strong>die</strong> Anzahl der<br />
Kinder, <strong>die</strong> eine Grundschule oder weiterführende<br />
Schule besuchten.<br />
All <strong>die</strong>s wurde durch eine 48prozentige<br />
Erhöhung des kommunalen Steueraufkommens<br />
parallel zu <strong>die</strong>sen Maßnahmen ermöglicht.<br />
Die kommunalen Mittel wurden umverteilt,<br />
um Betriebe in armen Stadtgebieten zu<br />
unterstützen. Das Transportwesen ist bis in<br />
<strong>die</strong> Außenbezirke ausgedehnt worden. Die<br />
Qualität und Reichweite öffentlicher Arbeiten<br />
und Dienstleistungen – wie zum Beispiel das<br />
Pflastern von Straßen, Wohnungsbau- und<br />
städtische Entwicklungsprojekte – sind ver-<br />
bessert worden. Viele Slums sind zu städtischen<br />
Wohngebieten geworden, <strong>die</strong> Hälfte<br />
der bisher ungepflasterten Straßen konnte inzwischen<br />
gepflastert werden und <strong>die</strong> Korruption<br />
wurde reduziert.<br />
Das hohe Niveau zivilgesellschaftlichen<br />
Engagements und <strong>die</strong> geänderte Haltung der<br />
politischen Behörden haben sich als entscheidender<br />
Vorteil für Beratungen und Konsensbildung<br />
erwiesen. Vertreter der 16 Verwaltungsbezirke<br />
der Stadt kommen zweimal im<br />
Jahr zu Plenarversammlungen zusammen, um<br />
Haushaltsfragen zu klären. Diese Treffen werden<br />
von der Kommunalverwaltung und den<br />
kommunalen Delegierten gemeinsam koordiniert.<br />
Zu den Teilnehmern zählen leitende<br />
städtische Angestellte, Verwaltungsbeamte,<br />
Vertreter von Stadtteilvereinigungen, Jugendund<br />
Gesundheitsklubs sowie weitere interessierte<br />
Einwohner.<br />
Die jährliche Versammlung der 16 Bezirke<br />
im März <strong>über</strong>prüft den Haushalt des vorangegangenen<br />
Jahres und wählt Vertreter, <strong>die</strong><br />
in den folgenden drei Monaten an wöchentlichen<br />
Treffen teilnehmen und dort <strong>die</strong> Ausgabenprioritäten<br />
des Bezirks für das kommende<br />
Jahr erarbeiten. In <strong>die</strong>sen drei Monaten,<br />
in denen <strong>die</strong> Vorbereitung der zweiten Bezirksversammlung<br />
stattfindet, werden auch<br />
Beratungen vor Ort in den Stadtteilen <strong>über</strong><br />
Themen wie Transportwesen, Abwasser,<br />
Flächennutzungsplanung, Kinder- und Altentagesstätten<br />
und Gesundheitsfürsorge<br />
durchgeführt, <strong>über</strong> deren Ergebnisse auf der<br />
zweiten Versammlung <strong>bericht</strong>et wird. Auf<br />
der zweiten Versammlung werden auch zwei<br />
Delegierte und ihre Stellvertreter gewählt, <strong>die</strong><br />
den Bezirk im gesamtstädtischen Rat des Beteiligungshaushalts<br />
vertreten, der fünf Monate<br />
lang den städtischen Haushalt unter<br />
Berücksichtigung der Prioritäten der Bezirke<br />
ausarbeitet.<br />
Der Rat setzt sich zusammen aus den Bezirksdelegierten,<br />
gewählten Vertretern und<br />
Delegierten zu bestimmten Themen aus den<br />
Reihen der kommunalen Arbeitergewerkschaft,<br />
dem Dachverband der Stadtteilvereinigungen<br />
und der zentralen Kommunalbehörden.<br />
Dieses Gremium trifft sich von Juli bis<br />
September jede Woche, um einen städtischen<br />
178 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Haushalt auszuarbeiten, der dann dem Bürgermeister<br />
vorgelegt wird. Jedes Jahr am 30.<br />
September wird der jährliche städtische Haushaltsentwurf<br />
eingereicht, den der Bürgermeister<br />
so akzeptieren oder durch sein Veto an<br />
den Rat zurückverweisen kann. Der Rat kann<br />
als Reaktion darauf den Haushalt abändern,<br />
oder mit einer Zweidrittel-Mehrheit das Veto<br />
des Bürgermeisters <strong>über</strong>stimmen.<br />
Der Beteiligungshaushalt ist sehr populär<br />
geworden. Mehr als 100.000 Menschen (8<br />
Prozent der erwachsenen Bevölkerung) haben<br />
an der 1996er-Runde der Bezirksversammlungen<br />
und an den verschiedenen in der Zwischenzeit<br />
stattgefundenen Treffen teilgenommen.<br />
36 Die Arbeit verschiedener zivilgesellschaftlicher<br />
Organisationen erhält <strong>die</strong> Dynamik<br />
in der Bevölkerung durch Unterstützung<br />
bei den verschiedenen Treffen, durch Bewusstseinsbildung,<br />
Lobbyarbeit und Forschungsprojekte<br />
im Hinblick auf gemeinsame kommunale<br />
Zielsetzungen aufrecht.<br />
Das Experiment von Porto Alegre ist so<br />
erfolgreich gewesen, dass es von vielen anderen<br />
brasilianischen Städten, darunter São<br />
Paulo, Santos, Belo Horizonte, Campinas<br />
und Vitoria, aber auch von anderen lateinamerikanischen<br />
Ländern <strong>über</strong>nommen wurde.<br />
Aus <strong>die</strong>sen Erfahrungen lassen sich wichtige<br />
Lehren für <strong>die</strong> Ausarbeitung von Strategien<br />
zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
ziehen, insbesondere für <strong>die</strong><br />
Ziele, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Verbesserung der Lebensqualität<br />
für Slumbewohner und <strong>die</strong> Sicherung<br />
eines dauerhaften Zugangs zu sauberem<br />
Trinkwasser und verbesserter sanitärer Versorgung<br />
abzielen.<br />
* * *<br />
Bei den hier behandelten Beispielen für Dezentralisierung<br />
und Mobilisierung vor Ort<br />
liegt der Schwerpunkt auf der Umverteilung<br />
öffentlicher Ausgaben, insbesondere für soziale<br />
Dienstleistungen. Andere zentrale Fragen<br />
des Zugangs zu ökonomischen Chancen und<br />
Produktionskapital werden dabei nicht behandelt.<br />
Es ist sehr viel unwahrscheinlicher,<br />
dass bei <strong>die</strong>sen Fragen effektiv politischer<br />
Druck im Hinblick auf staatliche Maßnahmen<br />
ausgeübt werden kann, <strong>die</strong> zu mehr Wachstum<br />
beitragen und das Einkommen armer<br />
Haushalte steigern, wie zum Beispiel Steuerreformen,<br />
Umverteilung von Kapital und <strong>die</strong><br />
Förderung von Investitionen in beschäftigungsschaffenden<br />
Industrien.<br />
Das heißt jedoch nicht, dass solche<br />
Bemühungen nur in geringem Umfang und<br />
mit wenig Ehrgeiz betrieben werden. Es gibt<br />
andere verfassungsmäßige und rechtliche Verpflichtungen,<br />
<strong>die</strong> in der Verantwortung der<br />
Regierungen liegen und wo <strong>die</strong> soziale Mobilisierung<br />
eine Rolle spielen kann: Bei der Beseitigung<br />
der Armut, der Schaffung von Arbeitsplätzen,<br />
der Verringerung der Ungleichheit<br />
und der stetig zunehmenden Verwirklichung<br />
und Einhaltung der Menschenrechte. Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />
werfen noch einmal<br />
ein Schlaglicht auf <strong>die</strong>se Ziele, <strong>die</strong> der eigentliche<br />
Schwerpunkt der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
sind. Auch der Weg, auf dem man<br />
<strong>die</strong>se Ziele erreichen kann, spielt eine Rolle<br />
und, wie schon in der Millenniums-Erklärung<br />
formuliert, sind demokratische und partizipatorische<br />
Regierungsformen dafür am besten<br />
ausgestattet.<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 179
KAPITEL 8<br />
Handlungskonzepte statt Almosen:<br />
Was <strong>die</strong> reichen Länder tun können, um <strong>die</strong><br />
Ziele erreichen zu helfen<br />
In <strong>die</strong>sem Kapitel wird <strong>die</strong> Rolle der reichen<br />
Länder im internationalen Pakt zum Erreichen<br />
der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
untersucht. Der Pakt setzt bei der globalen<br />
Entschlossenheit zur Armutsbekämpfung an,<br />
indem er auf der gegenseitigen Verantwortung<br />
der armen und der reichen Länder aufbaut.<br />
Die armen Länder müssen ihre Staats- und Regierungsführung<br />
verbessern, um Mittel zu mobilisieren<br />
und sie wirksamer und gerechter<br />
einzusetzen. Die reichen Länder müssen <strong>die</strong><br />
Entwicklungshilfe, <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen,<br />
den Marktzugang und den Technologietransfer<br />
ausweiten.<br />
Die Millenniums-Erklärung der Vereinten<br />
Nationen und der Konsens von Monterrey<br />
(das Ergebnis der Internationalen Konferenz<br />
<strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung vom März<br />
2002 in Monterrey, Mexiko) stellen klar, dass<br />
<strong>die</strong> armen Länder <strong>die</strong> Hauptverantwortlichen<br />
sind, was das Erreichen der Ziele 1 bis 7 angeht.<br />
Aber <strong>die</strong>se internationalen Vereinbarungen<br />
spiegeln auch einen neuen Ansatz wider.<br />
Die reichen Länder gründen ihre Unterstützung<br />
für <strong>die</strong> armen Länder stärker auf deren<br />
Leistungen, als dass sie ihnen einen Anspruch<br />
darauf zubilligen. Danach werden <strong>die</strong> reichen<br />
Länder <strong>die</strong> Hilfe für genau <strong>die</strong> armen Länder<br />
erhöhen, <strong>die</strong> ehrliche Anstrengungen unternehmen,<br />
einheimische Ressourcen zu mobilisieren,<br />
politische Reformen durchzuführen,<br />
<strong>die</strong> Institutionen zu stärken sowie <strong>die</strong> Korruption<br />
und andere Aspekte zu bekämpfen, auf<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Schwäche ihres Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />
zurückzuführen ist.<br />
Die von den reichen Ländern in der Millenniums-Erklärung<br />
gemachten Zusagen sind<br />
in Ziel 8 ausformuliert (siehe Kasten 8.1). Diese<br />
Verpflichtungen sind seitdem in verschiedenen<br />
Foren wiederholt bekräftigt worden:<br />
• Im Konsens von Monterrey wurde <strong>die</strong><br />
Notwendigkeit einer signifikanten Erhöhung<br />
der Entwicklungshilfe anerkannt. Die Geberländer<br />
wurden aufgefordert, konkrete<br />
Anstrengungen zu unternehmen, um bei<br />
der Entwicklungshilfe <strong>die</strong> 1970 festgelegte<br />
Zielvorgabe von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
zu erreichen und nachdrücklich<br />
Schuldenerleichterungen für Länder anzustreben,<br />
<strong>die</strong> Maßnahmen zur Stärkung<br />
des Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />
ergreifen.<br />
• In der Ministererklärung von Doha zum<br />
Abschluss der Konferenz der Welthandelsorganisation<br />
(World Trade Organization –<br />
WTO) im Jahre 2001 wurden <strong>die</strong> Armutsbekämpfungsziele<br />
erneut bekräftigt und es<br />
wurde zugesagt, <strong>die</strong> Interessen der armen<br />
Länder zum zentralen Gegenstand der<br />
zukünftigen Arbeit der Handelsminister zu<br />
machen. Außerdem verpflichteten sich <strong>die</strong> Minister<br />
gegen<strong>über</strong> den am wenigsten entwickelten<br />
Ländern dem Ziel des zoll- und quotenfreien<br />
Marktzugangs für Produkte aus <strong>die</strong>sen<br />
Ländern.<br />
• Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung,<br />
der im September 2002 in Johannesburg<br />
in Südafrika stattfand, bekräftigte erneut <strong>die</strong><br />
Notwendigkeit, <strong>die</strong> Entwicklungshilfe auszuweiten.<br />
Er forderte <strong>die</strong> Geber auf, auf <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />
von 0,7 Prozent hinzuarbeiten und<br />
<strong>die</strong> nicht tragbare Schuldenlast von Ländern<br />
zu verringern, <strong>die</strong> sich nachweislich bemühen,<br />
ihre Staats- und Regierungsführung zu verbessern.<br />
Zudem wurden <strong>die</strong> WTO-Mitglieder<br />
aufgefordert, ihre Zusagen hinsichtlich des<br />
Marktzugangs zu erfüllen.<br />
Wenn Ziel 8 vernachlässigt wird, ist es<br />
schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />
<strong>die</strong> Ziele 1 bis 7 erreichen können. Dieser Bericht<br />
zeigt auf, was getan werden muss, um <strong>die</strong><br />
Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen der<br />
Ziele zu beschleunigen. Dazu zählen: Mittel<br />
für Sozialausgaben in ausreichendem Umfang<br />
KASTEN 8.1<br />
Millenniums-<br />
Entwicklungsziel 8<br />
Alle 189 Mitgliedstaaten der Vereinten<br />
Nationen haben sich verpflichtet,<br />
bis 2015:<br />
• ein offenes, regelgestütztes, berechenbares<br />
und nichtdiskriminierendes<br />
Handels- und Finanzsystem<br />
weiterzuentwickeln. Dies umfasst<br />
<strong>die</strong> Verpflichtung auf eine gute Regierungs-<br />
und Verwaltungsführung,<br />
<strong>die</strong> Entwicklung und <strong>die</strong> Armutsminderung<br />
sowohl auf nationaler<br />
als auch auf internationaler Ebene.<br />
• den besonderen Bedürfnissen<br />
der am wenigsten entwickelten Länder<br />
Rechnung zu tragen. Dies umfasst<br />
einen zoll- und quotenfreien<br />
Zugang für <strong>die</strong> Exportgüter der am<br />
wenigsten entwickelten Länder, ein<br />
verstärktes Schuldenerleichterungsprogramm<br />
für <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />
armen Länder und <strong>die</strong> Streichung<br />
der bilateralen öffentlichen<br />
Schulden sowie <strong>die</strong> Gewährung<br />
großzügigerer öffentlicher Entwicklungshilfe<br />
für Länder, <strong>die</strong> zur Armutsminderung<br />
entschlossen sind.<br />
• den besonderen Bedürfnissen<br />
der Binnen- und kleinen Insel<strong>entwicklung</strong>sländer<br />
Rechnung zu tragen.<br />
• <strong>die</strong> Schuldenprobleme der Entwicklungsländer<br />
durch Maßnahmen<br />
auf nationaler und internationaler<br />
Ebene umfassend anzugehen<br />
und so <strong>die</strong> Schulden langfristig tragbar<br />
werden zu lassen.<br />
• in Zusammenarbeit mit den<br />
Entwicklungsländern Strategien zur<br />
Beschaffung menschenwürdiger<br />
und produktiver Arbeit für junge<br />
Menschen zu erarbeiten und umzusetzen.<br />
• in Zusammenarbeit mit den<br />
Pharmaunternehmen erschwingliche<br />
unentbehrliche Arzneimittel in<br />
den Entwicklungsländern verfügbar<br />
zu machen.<br />
• in Zusammenarbeit mit dem<br />
Privatsektor dafür zu sorgen, dass<br />
<strong>die</strong> Vorteile der neuen Technologien,<br />
insbesondere der Informationsund<br />
Kommunikationstechnologien,<br />
genutzt werden können.<br />
Quelle: UN <strong>2003</strong>b.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 181
Jährliche Verbraucherausgaben<br />
für Tabak<br />
204 Milliarden US-Dollar<br />
GRAFIK 8.1<br />
Entwicklungshilfe –<br />
wie groß ist der Bedarf,<br />
wie viel wird gegeben?<br />
Konstante US-Dollar von 2000<br />
Bedarf:<br />
mindestens zusätzliche<br />
50 Millionen US-Dollar<br />
57,6 54,0<br />
Milliarden Milliarden<br />
US-Dollar US-Dollar<br />
1990<br />
2001<br />
2002<br />
0,33% 0,22% 0,23%<br />
Anteil am Bruttosozialprodukt<br />
der Geberländer<br />
Zugesagt:<br />
16<br />
Milliarden<br />
US-Dollar<br />
bis 2006<br />
56,6<br />
Milliarden<br />
US-Dollar<br />
Quelle: Gesamtbedarf: World Bank und IMF 2001;<br />
Gesamt<strong>entwicklung</strong>shilfe: OECD, Development<br />
Assistance Committee <strong>2003</strong>c; Economist 2001.<br />
GRAFIK 8.2<br />
Rückläufige öffentliche<br />
Entwicklungshilfe (ODA)<br />
Index, 1990=100<br />
1990–2001<br />
AM WENIGSTEN ENTWICKELTE LÄNDER<br />
1990<br />
100<br />
90<br />
Netto Auszahlungen<br />
80<br />
an öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe<br />
Anteil der öffentlichen<br />
70<br />
Entwicklungshilfe am<br />
BIP<br />
Öffentliche<br />
60<br />
Entwicklungshilfe<br />
pro Kopf<br />
AFRIKA SÜDLICH DER SAHARA<br />
1990<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
2001<br />
2001<br />
Netto Auszahlungen<br />
an öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe<br />
Öffentliche<br />
Entwicklungshilfe<br />
pro Kopf<br />
Anteil der öffentlichen<br />
Entwicklungshilfe am<br />
BIP<br />
Quelle: OECD, Development Assistance<br />
Committee <strong>2003</strong>a.<br />
bereitzustellen, <strong>die</strong> zerfallende Gesundheitsinfrastruktur<br />
wiederherzustellen, mehr Lehrerinnen<br />
einzustellen, um Mädchen zum Schulbesuch<br />
zu ermutigen, <strong>die</strong> Ungerechtigkeiten<br />
bei den öffentlichen Ausgaben für <strong>die</strong> Wasserversorgung<br />
zu beseitigen, <strong>die</strong> Rechte von Frauen<br />
an Grund und Boden zu sichern, in <strong>die</strong><br />
Agrarforschung zu investieren, neue Exportmärkte<br />
zu erschließen, eine Vielzahl weiterer<br />
praxisorientierter Schritte zu unternehmen,<br />
um politische Handlungskonzepte zu verändern,<br />
Institutionen zu verbessern und <strong>die</strong> Investitionen<br />
zu erhöhen.<br />
Die Regierungen der armen Länder müssen<br />
<strong>die</strong> Initiative ergreifen, um <strong>die</strong>se Schritte<br />
zu unternehmen; sie dürfen dabei jedoch nicht<br />
auf sich allein gestellt bleiben. Im Millenniums-Entwicklungspakt<br />
wird dargelegt, dass<br />
<strong>die</strong> Länder mit hoher und höchster Priorität,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> größten Hürden zu <strong>über</strong>winden haben,<br />
große Zuflüsse an Gebermitteln benötigen<br />
werden, um wesentlich stärker als bisher in<br />
Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, Wasserversorgung,<br />
Sanitärversorgung und zentrale<br />
Infrastruktur zu investieren. Sie können nicht<br />
warten, bis durch wirtschaftliches Wachstum<br />
genügend Rücklagen im Inland gebildet wur-<br />
KASTEN 8.2<br />
Dass <strong>die</strong> reichen Länder 0,7 Prozent ihres<br />
Bruttosozialprodukts (BSP) für <strong>die</strong> globale Entwicklung<br />
bereitstellen sollten, wurde zum ersten<br />
Mal 1969 im Report on International Development<br />
vorgeschlagen, der unter der Leitung des<br />
früheren kanadischen Premierministers Lester<br />
Pearson erstellt wurde. Diese Zahl wird weithin als<br />
Referenzzielvorgabe für <strong>die</strong> öffentliche Entwicklungshilfe<br />
akzeptiert. Nachdem sie 1970 von der<br />
UN-Vollversammlung bekräftigt worden war, wurde<br />
sie Bestandteil der internationalen Entwicklungsstrategie<br />
für das darauf folgende Jahrzehnt.<br />
Neuere Entwicklungen <strong>die</strong>sbezüglich sind unter<br />
anderem <strong>die</strong> folgenden:<br />
• In der Millenniums-Erklärung werden reiche<br />
Länder aufgefordert, „großzügigere Entwicklungshilfe“<br />
zu gewähren.<br />
• Im Konsens von Monterrey werden „entwickelte<br />
Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s bislang unterlassen haben“, aufgefordert,<br />
„konkrete Anstrengungen zu unternehmen,<br />
um <strong>die</strong> Zielvorgabe von 0,7 Prozent des BSP als öf-<br />
Quelle: UN 2002e.<br />
den und <strong>die</strong> Haushaltseinkommen steigen. Es<br />
ist im Gegenteil so, dass <strong>die</strong>se Schlüsselinvestitionen<br />
<strong>die</strong> Grundlage für wirtschaftliches<br />
Wachstum schaffen.<br />
Außerdem sind <strong>die</strong> armen Länder Beschränkungen<br />
ausgesetzt, <strong>die</strong> nur durch Veränderungen<br />
der Politik der reichen Länder<br />
verringert werden können. Im internationalen<br />
Handel stehen sie häufig vor Barrieren. Zudem<br />
ist ihr Handlungsspielraum durch <strong>die</strong><br />
enormen Auslandsschulden eingeengt, <strong>die</strong> sie<br />
von früheren Regierungen <strong>über</strong>nommen haben.<br />
Und aufgrund ihrer Defizite im Technologie-Bereich<br />
sind globale Ressourcen und<br />
Know-how erforderlich, um ihre Probleme in<br />
den Bereichen Gesundheit, Kommunikation<br />
und Energie zu lösen.<br />
MEHR UND WIRKSAMERE<br />
ENTWICKLUNGSHILFE<br />
Der Umfang der zum Erreichen der Ziele<br />
benötigten zusätzlichen externen Finanzierung<br />
ist schwer zu schätzen. Denn erstens sind<br />
dazu Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kosten erforderlich,<br />
<strong>die</strong> von Land zu Land enorm schwanken,<br />
und zweitens müssen <strong>die</strong> Aussichten für <strong>die</strong><br />
Öffentliche Entwicklungshilfe: Die Zielvorgabe von 0,7 Prozent<br />
fentliche Entwicklungshilfe (ODA) für Entwicklungsländer<br />
und von 0,15 bis 0,20 Prozent für <strong>die</strong><br />
am wenigsten entwickelten Länder zu erreichen“.<br />
• Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />
wurden „entwickelte Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s bislang<br />
unterlassen haben“, ebenfalls aufgefordert, „konkrete<br />
Anstrengungen zu unternehmen, um <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />
von 0,7 Prozent des BSP als öffentliche<br />
Entwicklungshilfe für Entwicklungsländer zu erreichen<br />
und ihre Zusagen <strong>über</strong> solche Hilfe für <strong>die</strong> am<br />
wenigsten entwickelten Länder tatsächlich umzusetzen“.<br />
Wenn <strong>die</strong> Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />
der OECD (<strong>die</strong> 23 größten Geber weltweit)<br />
tatsächlich öffentliche Entwicklungshilfe im<br />
Umfang von 0,7 Prozent ihres BSP leisten würden,<br />
entspräche <strong>die</strong>s einem Volumen von 165 Milliarden<br />
US-Dollar jährlich. Dies wäre dreimal so viel wie<br />
derzeit und läge deutlich <strong>über</strong> den aktuellen Schätzungen<br />
für den Bedarf zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
182 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
TABELLE 8.1<br />
Nettozahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe nach Empfängerregion,<br />
1990 und 2001<br />
(Konstante US-Dollar von 2000)<br />
Pro Kopf in Empfängeregionen Anteil am BIP<br />
Region 1990 2001 1990 2001<br />
Alle Entwicklungsländer 15 10 1,61 0,81<br />
Am wenigsten entwickelte Länder 33 20 12,92 8,45<br />
Arabische Staaten 59 18 2,85 1,00<br />
Ostasien und Pazifikraum5 4 0,77 0,32<br />
Lateinamerika und Karibik 13 12 0,48 0,32<br />
Südasien 6 4 1,18 0,84<br />
Afrika südlicher der Sahara 34 21 6,13 4,55<br />
Welt 14 10 1,28 0,77<br />
Quelle: OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>a.<br />
Mobilisierung inländischer Ressourcen bekannt<br />
sein, <strong>die</strong> von zukünftigem Wachstum<br />
und Reformen abhängen. In diversen Stu<strong>die</strong>n<br />
wurden Einschätzungen vorgenommen, nach<br />
denen <strong>die</strong> Hilfe aus dem Ausland um 40 bis<br />
100 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigen<br />
muss. Ein häufig zitierter konservativer<br />
Schätzwert ist der der Zedillo-Kommission<br />
der Vereinten Nationen. 1 Danach sind zusätzliche<br />
50 Milliarden US-Dollar nötig. Diese<br />
Zahl stimmt mit der Schätzung der Weltbank<br />
<strong>über</strong>ein. 2 Dies würde fast eine Verdoppelung<br />
der öffentlichen Entwicklungshilfe von den 23<br />
Mitgliedern des Entwicklungshilfeausschusses<br />
(Development Assistance Committee –<br />
DAC) der OECD erfordern, wodurch der Gesamtumfang<br />
auf etwa 0,43 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
<strong>die</strong>ser Länder steigen würde.<br />
Sie blieben damit allerdings immer noch unter<br />
der seit 1970 geltenden 0,7-Prozent-Marke<br />
(siehe Kasten 8.2, Grafik 8.1).<br />
Diese Zahlen mögen riesig erscheinen,<br />
sind jedoch nicht weit von der Situation vor<br />
1990 entfernt. Die öffentliche Entwicklungshilfe<br />
war rückläufig und sank zwischen 1990<br />
und 2001 von 0,33 auf 0,22 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts der Geberländer. Doch<br />
zu <strong>die</strong>sem Rückgang kam es hauptsächlich Anfang<br />
und Mitte der 1990er Jahre. Gegen Ende<br />
des Jahrzehnts hatte <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
wieder beträchtlich zugenommen. Aktuelle<br />
Daten zeigen, dass <strong>die</strong>ser Trend anhält. Die öffentliche<br />
Entwicklungshilfe stieg zwischen<br />
2001 und 2002 um fünf Prozent. Dennoch reichen<br />
<strong>die</strong>se Mittel bei weitem noch nicht aus,<br />
um das zu erreichen, was nötig ist – insbesondere<br />
um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
Der Rückgang in den 1990er Jahren hat<br />
<strong>die</strong> Länder und Regionen mit dem größten Bedarf<br />
am härtesten getroffen. Beispielsweise<br />
sank in Afrika südlich der Sahara und in Südasien<br />
in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
pro Kopf um <strong>die</strong> Hälfte (Tabelle 8.1; Grafiken<br />
8.2 und 8.3). Seit der Verabschiedung der<br />
Millenniums-Erklärung im Jahr 2000 hat sich<br />
<strong>die</strong> Umkehr <strong>die</strong>ses Abwärtstrends fortgesetzt.<br />
Es wurde angekündigt, dass <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
bis zum Jahr 2006 um etwa 16 Milliarden<br />
US-Dollar jährlich ansteigen solle, auf 0,26<br />
Prozent des Bruttosozialprodukts der Geberländer.<br />
3 Obwohl <strong>die</strong>s ein guter Anfang ist,<br />
reicht es nicht aus, um den Bedarf zu decken.<br />
Um <strong>die</strong> finanziellen Mittel zu erhöhen, wurden<br />
innovative Methoden zur Mittelbeschaffung<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Kapitalmärkte vorgeschlagen<br />
(siehe Kasten 8.3).<br />
Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
gezielt Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> am wenigsten<br />
entwickelten Länder vorsehen, waren<br />
<strong>die</strong>se Länder nicht völlig von den Mittelkürzungen<br />
verschont geblieben. Von den 49 am<br />
wenigsten entwickelten Ländern erhalten 31<br />
Länder heute weniger Entwicklungshilfe als<br />
im Jahr 1990 (8,5 Prozent ihres durchschnittlichen<br />
BIP heute im Vergleich zu 12,9 Prozent<br />
damals). 4<br />
Seit Anfang der 1990er Jahre haben sich<br />
Verfechter der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />
dafür eingesetzt, dass <strong>die</strong> Sozialausgaben auf<br />
mindestens 20 Prozent der nationalen und der<br />
Entwicklungshilfeetats angehoben werden.<br />
Aber <strong>die</strong> Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> soziale<br />
Grundversorgung, <strong>die</strong> entscheidend ist, um<br />
<strong>die</strong> Ziele in den Bereichen Gesundheit, Bil-<br />
GRAFIK 8.3<br />
Netto-Auszahlungen<br />
an öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe<br />
Konstante US-Dollar von 2000<br />
Keiner bestimmten<br />
Region zugwiesen<br />
Afrika südlich der<br />
Sahara<br />
Arabische Staaten<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
sowie GUS<br />
1990 2001<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 183<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Südasien<br />
Lateinamerika und<br />
Karibik<br />
Ostasien und<br />
Pazifikraum<br />
Quelle: OECD, Development Assistance<br />
Committee <strong>2003</strong>a.
KASTEN 8.3<br />
Zusagen seit Monterrey<br />
Auf der Internationalen Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />
in Monterrey, Mexiko,<br />
im Jahr 2002 verständigte sich <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft auf einen einheitlichen, auf<br />
Prinzipien gestützten Entwicklungsansatz und<br />
auf <strong>die</strong> erste Erhöhung der Mittel für Entwicklungshilfe<br />
seit 20 Jahren, um zusätzliche 16<br />
Milliarden US-Dollar jährlich bis zum Jahr<br />
2006 (einschließlich der Zusagen, <strong>die</strong> seit der<br />
Konferenz gemacht wurden).<br />
Die Vereinigten Staaten werden <strong>die</strong><br />
öffentliche Entwicklungshilfe bis 2006 auf<br />
15 Milliarden US-Dollar jährlich erhöhen<br />
und damit fast verdoppeln. Die Europäische<br />
Union wird <strong>die</strong> Entwicklungshilfe bis 2006 auf<br />
0,39 Prozent des BSP erhöhen, was pro Jahr<br />
etwa elf Milliarden US-Dollar mehr bedeutet.<br />
Was <strong>die</strong> sonstigen einzelnen Mitgliedstaaten<br />
betrifft:<br />
• Belgien sagte zu, bis 2010 0,7 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Deutschland sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Finnland sagte zu, bis 2007 0,4 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Frankreich sagte zu, bis 2007 0,5 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
dung, Hunger sowie Wasser- und Sanitärversorgung<br />
zu erreichen, liegt weiterhin bei weniger<br />
als 15 Prozent der Mittelzuweisungen der<br />
bilateralen Geber. Sie ist steigt jedoch an, und<br />
Irland, Luxemburg, <strong>die</strong> Niederlande, Österreich,<br />
das Vereinigte Königreich und <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten haben <strong>die</strong> 20-Prozent-Marke<br />
erreicht.<br />
ENTWICKLUNGSHILFE WIRKSAMER MACHEN<br />
Die Erhöhung der Entwicklungshilfe wird<br />
nicht ausreichen. In einer neueren Weltbank-<br />
Stu<strong>die</strong> findet sich <strong>die</strong> Feststellung, dass <strong>die</strong><br />
Entwicklungshilfe zu unterschiedlichen Zeiten<br />
und an unterschiedlichen Orten „höchst wirkungsvoll,<br />
vollkommen unwirksam und alles<br />
Mögliche dazwischen“ war. 5 Die Entwicklungshilfe<br />
trug zu vielen der spektakulären<br />
Entwicklungserfolge der vergangenen Jahrzehnte<br />
bei - in Indonesien und der Republik<br />
Korea in den 1970er Jahren, in Bolivien und<br />
Neue Finanzierung für <strong>die</strong> Ziele<br />
• Griechenland sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Irland sagte zu, bis 2007 0,7 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Italien sagte zu, bis 2005 0,33 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Luxemburg sagte zu, bis 2005 1,0 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Die Niederlande sagten zu, bis 2005 1,0 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Österreich sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Portugal sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />
des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Schweden versprach, auf das Ziel von 1,0<br />
Prozent des Bruttosozialprodukts bis 2006<br />
hinzuarbeiten.<br />
• Spanien sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />
• Das Vereinigte Königreich erklärte sich bereit,<br />
bis 2005/2006 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
zu erreichen.<br />
Andere Geber haben ebenfalls wichtige<br />
Zusagen gemacht. Kanada erklärte sich bereit,<br />
<strong>die</strong> Entwicklungshilfe um acht Prozent oder<br />
etwa 1,7 Milliarden US-Dollar jährlich zu erhöhen,<br />
was den Anteil an seinem Bruttosozialprodukt<br />
bis 2010 auf 0,28 Prozent anheben<br />
Quelle: UN 2002a; United Kingdom, Her Majesty's Treasury <strong>2003</strong>; OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>d.<br />
Ghana in den 1980er Jahren sowie in Uganda<br />
und Vietnam in den 1990er Jahren. Internationale<br />
Programme trieben <strong>die</strong> „Grüne Revolution“<br />
und Maßnahmen zur Bekämpfung der<br />
Flussblindheit voran und ermöglichten <strong>die</strong><br />
Ausweitung von Immunisierungskampagnen<br />
gegen Kinderkrankheiten. Aber ein zu großer<br />
Anteil der Entwicklungshilfe floss in Länder<br />
mit grassierender Korruption und fehlgeleiteten<br />
politischen Strategien - Bedingungen, unter<br />
denen Entwicklungshilfemittel nur vergeudet<br />
werden können.<br />
Was sollte getan werden, um sicherzustellen,<br />
dass <strong>die</strong> Entwicklungshilfe mehr Wirkung<br />
zeigt, insbesondere hinsichtlich der Beschleunigung<br />
der Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen<br />
der Ziele? Drei Themen beherrschten<br />
<strong>die</strong> aktuellen Analysen: eine bessere Staatsund<br />
Regierungsführung, mehr Eigenverantwortung<br />
und eine bessere Entwicklungshilfepraxis.<br />
Diese drei Bereiche sind entscheidend<br />
für <strong>die</strong> Prinzipien einer stärkeren Partner-<br />
würde. Norwegen erklärte sich bereit, <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
von 0,92 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
bis 2005 auf 1,0 Prozent zu erhöhen,<br />
was einer jährlichen Anhebung um 250<br />
Millionen US-Dollar entspräche. Die Schweiz<br />
erklärte sich bereit, bis 2010 <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
auf 0,37 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
zu erhöhen. Und Australien erklärte sich<br />
zu einer realen Erhöhung um drei Prozent im<br />
Zeitraum 2002 bis <strong>2003</strong> bereit.<br />
Ein Vorschlag für einen neuen<br />
Finanzierungsmechanismus<br />
Das Vereinigte Königreich hat vorgeschlagen,<br />
einen neuen Mechanismus – eine Internationale<br />
Finanzfazilität – zu schaffen, um vorhersehbare,<br />
stabile Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> Investitionen<br />
zu leisten, <strong>die</strong> zum Erreichen der Ziele<br />
bis 2015 nötig sind. Durch <strong>die</strong>se temporäre Fazilität<br />
würden innerhalb des Zeitraums bis<br />
2015 Mittel beschafft werden. Die Geber würden<br />
langfristige Zusagen <strong>über</strong> jährliche Zahlungen<br />
an <strong>die</strong> Fazilität machen, durch <strong>die</strong> dann<br />
Mittel beschafft würden, indem Anleihen an<br />
den internationalen Kapitalmärkten aufgenommen<br />
würden. So könnten Ressourcen jetzt<br />
verfügbar gemacht werden, wo sie benötigt<br />
werden.<br />
184 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
schaft, <strong>die</strong> aus den Konferenzen von Monterrey<br />
und Johannesburg hervorgegangen sind.<br />
Die Staats- und Regierungsführung – <strong>die</strong><br />
politischen Handlungskonzepte und Institutionen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Interaktionen zwischen einzelnen<br />
Personen und Gruppen in der Gesellschaft regulieren<br />
– gilt als ein Teil des Fundaments für<br />
dauerhaftes Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />
Deshalb machen viele Geber ihre<br />
Unterstützung von Bemühungen zur Verbesserung<br />
der Staats- und Regierungsführung abhängig<br />
– und helfen dabei, im Wesentlichen<br />
durch technische Zusammenarbeit. Die Korruption<br />
zu bekämpfen, eine solide Wirtschaftspolitik<br />
zu verfolgen und effiziente, rechenschaftspflichtige<br />
Systeme für <strong>die</strong> Verwendung<br />
öffentlicher Mittel einzurichten, trägt entscheidend<br />
dazu bei, sicherzustellen, dass externe<br />
Mittel nicht vergeudet werden. Rechtsstaatlichkeit,<br />
eine verlässliche Vertragsdurchsetzung<br />
und starke staatliche Regulierungsinstitutionen<br />
sind wichtig, damit eine Marktwirtschaft funktionieren<br />
kann. Dies sind wichtige Elemente einer<br />
guten Wirtschaftspolitik.<br />
Andere Dimensionen der Staats- und Regierungsführung<br />
sind aber ebenfalls von Bedeutung.<br />
Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung 2002 wird argumentiert, dass<br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung eine demokratische<br />
Staats- und Regierungsführung erfordert, <strong>die</strong><br />
auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der Armen eingeht. Eine<br />
demokratische Staats- und Regierungsführung<br />
erfordert mehr als politische Handlungskonzepte<br />
und Institutionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Effizienz der<br />
öffentlichen Dienste gewährleisten. Es erfordert<br />
faire Institutionen und Regeln sowie Entscheidungsprozesse,<br />
<strong>die</strong> den Menschen ein<br />
Mitspracherecht einräumen und es ihnen ermöglichen,<br />
<strong>die</strong> Behörden zur Rechenschaft zu<br />
ziehen. Politische Institutionen, <strong>die</strong> den Menschen<br />
Gehör verschaffen und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />
von Regierungen und Verwaltungen<br />
erhöhen, sind daher wichtig, um <strong>die</strong><br />
Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen der<br />
Ziele zu beschleunigen. Eine Agenda zu Gunsten<br />
der Armen könnte allerdings dem starken<br />
Eigeninteresse von Eliten zuwiderlaufen (siehe<br />
Kapitel 7).<br />
Viele Länder haben Programme zur Unterstützung<br />
einer demokratischen Staats- und<br />
Regierungsführung durchgeführt. In Afrika<br />
wurde eine große länder<strong>über</strong>greifende Initiative<br />
auf den Weg gebracht, <strong>die</strong> Neue Partnerschaft<br />
für Afrikas Entwicklung (New Partnership<br />
for Africa’s Development -<br />
NEPAD). Die Staats- und Regierungsführung<br />
spielt darin eine wichtige Rolle. Und viele Geber<br />
haben <strong>die</strong> Unterstützung der Staats- und<br />
Regierungsführung zu einer ihrer Prioritäten<br />
erhoben.<br />
Bei dem zweiten Thema, Eigenverantwortung,<br />
geht es darum, dass <strong>die</strong> Länder selber<br />
Regie führen. Eine Erfahrung aus den 1990er<br />
Jahre ist, dass politische Reformen nicht<br />
durchgeführt werden, wenn sie nicht tief in<br />
ein nationales Engagement eingebettet sind,<br />
das von allen Interessengruppen in einem<br />
Land getragen wird. Diese Erfahrung untermauert<br />
<strong>die</strong> Ergebnisse von Untersuchungen<br />
zur Staats- und Regierungsführung, <strong>die</strong> besagen,<br />
dass Partizipation eine Rolle spielt. Der<br />
Prozess – wie Entscheidungen getroffen werden<br />
– ist von Bedeutung. Aber Eigenverantwortung<br />
ist schwer zu erreichen, wenn Kapazitäten<br />
und Macht ungleich verteilt sind. Den<br />
meisten armen Ländern fehlen nicht nur <strong>die</strong> finanziellen<br />
Mittel, sondern auch <strong>die</strong> institutionellen<br />
und personellen Kapazitäten, um <strong>die</strong><br />
Entwicklung voranzutreiben und zu steuern.<br />
Hilfsorganisationen klagen häufig <strong>über</strong> institutionelle<br />
Schwächen in Empfängerländern,<br />
<strong>die</strong> sie quasi „zwingen“ würden, <strong>die</strong> Planung<br />
<strong>entwicklung</strong>sbezogener Maßnahmen selbst zu<br />
<strong>über</strong>nehmen. Diese Asymmetrie hat jedoch<br />
unerwünschte Auswirkungen auf <strong>die</strong> Eigenverantwortung.<br />
Eine wichtige Herausforderung,<br />
um Entwicklungshilfe wirkungsvoller zu<br />
machen, besteht darin, Mechanismen zu finden,<br />
durch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe so geleistet<br />
werden kann, dass <strong>die</strong> Belastungen für <strong>die</strong><br />
Empfängerländer möglichst gering sind.<br />
Das letzte Thema – gebundene Entwicklungshilfe<br />
und Koordinierung unter den Gebern<br />
– ist seit langem im Gespräch, wenn darum<br />
geht, Entwicklungshilfe wirkungsvoller zu<br />
machen. Gebundene Entwicklungshilfe ist für<br />
<strong>die</strong> Empfängerländer nachteilig, weil sie ihre<br />
Möglichkeiten beschneidet, <strong>die</strong> Mittel so wirtschaftlich<br />
wie möglich einzusetzen. In einer<br />
aktuellen Weltbank-Stu<strong>die</strong> wird geschätzt,<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 185
Eine mangelnde<br />
Koordinierung unter den<br />
Gebern kann <strong>die</strong><br />
Prioritäten der Empfänger<br />
untergraben. Dies<br />
bedeutet eine große<br />
Belastung für<br />
Empfängerländer, in<br />
denen <strong>die</strong> öffentlichen<br />
Dienste bereits <strong>über</strong>lastet<br />
sind.<br />
dass <strong>die</strong> gebundene Entwicklungshilfe 25 Prozent<br />
weniger wirkungsvoll ist, als <strong>die</strong> ungebundene<br />
Entwicklungshilfe. 6 Die Mitglieder<br />
des Entwicklungshilfeausschusses der OECD<br />
haben sich darauf verständigt, <strong>die</strong> gebundene<br />
Entwicklungshilfe zu verringern (und dar<strong>über</strong><br />
Bericht zu erstatten) – und sie ist auf rund ein<br />
Fünftel der gesamten Hilfe <strong>die</strong>ser Länder gesunken.<br />
Doch in einigen Länder ist sie nach<br />
wie vor hoch: So entfallen darauf mehr als 50<br />
Prozent der nicht-technischen Entwicklungszusammenarbeit<br />
aus Griechenland, Italien<br />
und Kanada, während vier Länder (Irland,<br />
Luxemburg, Österreich und <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten) dazu keine Zahlen veröffentlichen.<br />
Eine mangelnde Koordinierung unter den<br />
Gebern kann <strong>die</strong> Prioritäten der Empfänger<br />
untergraben. Dies bedeutet eine große Belastung<br />
für Empfängerländer, in denen <strong>die</strong> öffentlichen<br />
Dienste bereits <strong>über</strong>lastet sind. Minister<br />
empfangen Dutzende von Geberdelegationen,<br />
und ihre Mitarbeiter verbringen<br />
enorm viel Zeit damit, auf den verschiedenen<br />
Stufen des Hilfeprojektprozesses von der Vorbereitung<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Verhandlungen bis zur<br />
Realisierung Dokumente zu verfassen. Staatsbe<strong>die</strong>nstete,<br />
<strong>die</strong> eigentlich politische Maßnahmen<br />
planen und Programme durchführen<br />
sollten, verbringen stattdessen ihre Zeit damit,<br />
Geberdelegationen zu empfangen und Berichte<br />
an <strong>die</strong> Geber zu verfassen. Im Februar <strong>2003</strong><br />
trafen sich <strong>die</strong> Leiter bilateraler Geberorganisationen<br />
und multilateraler Institutionen in einem<br />
hochrangigen Forum, um <strong>die</strong>se Themen<br />
zu erörtern. Die auf der Konferenz verabschiedete<br />
Römische Erklärung zur Harmonisierung<br />
(Rome Declaration on Harmonization) belegt,<br />
dass man entschlossen ist, an der beschriebenen<br />
Situation etwas zu ändern. 7<br />
WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />
Um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu können, sind wesentlich<br />
ehrgeizigere Hilfsprogramme erforderlich,<br />
um ressourcenbedingte, politische<br />
und institutionelle Beschränkungen in Angriff<br />
zu nehmen. Wie im Millenniums-Entwicklungspakt<br />
betont wird, muss sich Entwicklungshilfe<br />
auf <strong>die</strong> ärmsten Länder konzentrieren.<br />
Massive Zuflüsse von finanziellen und<br />
technischen Ressourcen können jedoch Verzerrungen<br />
verursachen, schwache nationale<br />
Programme <strong>über</strong>fordern und zu Ressourcenabhängigkeit<br />
führen.<br />
Um solche Resultate zu vermeiden, müssen<br />
externe Ressourcen in Programme und<br />
Prozesse eingebettet sein, <strong>die</strong> in nationaler Eigenverantwortung<br />
durchgeführt werden.<br />
Hierzu müssen <strong>die</strong> Ziele und <strong>die</strong> zugehörigen<br />
Zielvorgaben bei den nationalen Haushalts-,<br />
Programm- und Planungsprozessen auf der<br />
lokalen, sektoralen und nationalen Ebene<br />
berücksichtigt werden, bei denen Finanzierungsmöglichkeiten<br />
aus dem Ausland geprüft<br />
werden. Es müssen <strong>die</strong> Lücken eingeschätzt<br />
werden, <strong>die</strong> zwischen den derzeitig verfügbaren<br />
und den zum Erreichen der Ziele erforderlichen<br />
externen Ressourcen klaffen, sowie zwischen<br />
den derzeitigen eigenen politischen<br />
Handlungskonzepten und den zum Erreichen<br />
der Ziele erforderlichen politischen Reformen.<br />
Die meisten Länder mit hoher und höchster<br />
Priorität verwenden bereits Strategiedokumente<br />
zur Armutsbekämpfung als Grundlage<br />
für Vereinbarungen mit ausländischen<br />
Partnern. Wie im Pakt vorgeschlagen, sollten<br />
<strong>die</strong>se Dokumente eine Einschätzung dessen<br />
liefern, was zum Erreichen der Ziele erforderlich<br />
ist. Derzeit werden in den Dokumenten<br />
<strong>die</strong> Zielvorgaben auf der Grundlage dessen<br />
festgelegt, was angesichts der verfügbaren<br />
Ressourcen sowie der vorhandenen Institutionen<br />
und politischen Strategien realistisch erreicht<br />
werden kann. Stattdessen müssen aber<br />
<strong>die</strong> Lücken zwischen den jetzt verfügbaren<br />
und den zum Erreichen der Ziele benötigten<br />
Ressourcen ermittelt werden. Gleiches gilt für<br />
<strong>die</strong> Schwächen in punkto Kapazitäten sowie<br />
Staats- und Regierungsführung, <strong>die</strong> durch politische<br />
und institutionelle Reformen <strong>über</strong>wunden<br />
werden müssen. Wie <strong>die</strong>se Lücken<br />
gefüllt werden sollen, und wie <strong>die</strong> Entscheidungen<br />
dar<strong>über</strong> in <strong>die</strong> Strategiedokumente<br />
zur Armutsbekämpfung eingebunden werden<br />
sollen, wird mit den einzelnen Ländern ausgehandelt<br />
werden müssen.<br />
Koordinierung und Dialog auf der lokalen<br />
Ebene können ebenfalls den Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Prioritäten zwischen den Gebern und den Regierungen<br />
der Entwicklungsländer stärken.<br />
186 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Die Erfahrungen in Tansania sind ein Beispiel<br />
für <strong>die</strong> erfolgreiche lokale Koordinierung der<br />
Entwicklungshilfe auf der Grundlage von<br />
Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung<br />
(siehe Kasten 8.4).<br />
Finanzielle Mittel für <strong>die</strong> Ziele könnten<br />
auch <strong>über</strong> unterfinanzierte multilaterale Programme<br />
geleitet werden, wie den Globalen<br />
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose<br />
und Malaria (GFATM), <strong>die</strong> Beratungsgruppe<br />
für internationale Agrarforschung (CGI-<br />
AR) oder den Integrierten Rahmenplan für<br />
handelsbezogene technische Hilfe zum Aufbau<br />
<strong>menschliche</strong>r und institutioneller Kapazitäten<br />
(Integrated Framework for Capacity<br />
Development in Trade).<br />
Entwicklungshilfe selektiv leisten: <strong>die</strong><br />
Die tansanische Regierung und ihre Partner der<br />
Entwicklungszusammenarbeit verfolgen zwei einander<br />
ergänzende Ansätze zur verbesserten Koordinierung<br />
der Entwicklungshilfe. Die Armutsbekämpfungsstrategie<br />
des Landes beschreibt ein schlüssiges<br />
strategisches Programm zur nationalen Entwicklung.<br />
Es wird durch <strong>die</strong> Tanzania Assistance Strategy<br />
(TAS) ergänzt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Rolle der Partner beschreibt.<br />
Das Ergebnis ist ein von der Regierung geführter<br />
Prozess mit breiter Unterstützung, durch den <strong>die</strong><br />
Auslandshilfe koordiniert wird. Der Weg dorthin<br />
war jedoch nicht einfach. Als 1995 <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />
und strukturellen Reformen in Tansania, einem<br />
der größten Empfängerländer von Entwicklungshilfe,<br />
ins Straucheln gerieten, kamen bei den<br />
Partnern ernsthafte Zweifel an der Staats- und Regierungsführung<br />
und Verantwortlichkeit auf. Daraufhin<br />
<strong>über</strong>prüften <strong>die</strong> Partner ihr Verhältnis zu<br />
Tansania und beschäftigten sich, wohl zum ersten<br />
Mal, mit ihrer eigenen Entwicklungshilfepraxis. Sie<br />
begannen konstruktiver mit der Regierung zusammenzuarbeiten<br />
und vermieden Konditionalität, zu<br />
Gunsten stärkerer nationaler Eigenverantwortung,<br />
und unternahmen konzertierte Anstrengungen zum<br />
Aufbau von Kapazitäten. In einer unabhängigen<br />
Untersuchung der Entwicklungspartnerschaft wurde<br />
herausgefunden, dass sich das Verhältnis sehr<br />
verbessert hatte. Daraus ergab sich eine solidere Basis<br />
für eine nachhaltige Minderung der Armut.<br />
Die Tanzania Assistance Strategy beschreibt<br />
<strong>die</strong> Prioritäten der Regierung zum Aufbau von Kapazitäten<br />
durch <strong>die</strong> Nutzung nationaler statt paralleler<br />
Systeme zum Management von Entwicklungshil-<br />
Leistungen der Empfängerländern ins Verhältnis<br />
zu ihrem Bedarf setzen. Um <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
wirksamer zu machen, gehen<br />
<strong>die</strong> Geber zunehmend zu einer an politischen<br />
Kriterien orientierten Auswahl der Empfänger<br />
<strong>über</strong>. Die Geber, <strong>die</strong> auf der Konferenz in<br />
Monterrey im Jahr 2002 Zusagen gemacht haben,<br />
stellten klar, dass sie mehr Ressourcen in<br />
<strong>die</strong> Länder leiten werden, <strong>die</strong> zeigen, dass sie<br />
energisch gegen <strong>die</strong> Armut vorgehen, indem<br />
sie politische Maßnahmen zu Gunsten der Armen<br />
einleiten, Schritte zur Verbesserung der<br />
Staats- und Regierungsführung ergreifen und<br />
einige Ergebnisse erzielen, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> richtige<br />
Richtung gehen – statt lediglich Absichten<br />
und Erwartungen kundzutun. Ohne eine solide<br />
Wirtschaftspolitik ist es wahrscheinlich,<br />
KASTEN 8.4<br />
Erfolgreiche Partnerschaften unter Führung der Regierung in Tansania<br />
Quelle: Hendra und Courtnadge <strong>2003</strong>.<br />
fe. Sie ermutigt auch <strong>die</strong> Entwicklungspartner, Mittel<br />
auf einer zuverlässigeren Grundlage als zuvor zur<br />
Verfügung zu stellen. Ein solches Vorgehen würde<br />
<strong>die</strong> Planung erleichtern, aufgrund der besseren Koordinierung<br />
<strong>die</strong> Wirkung von Entwicklungshilfe erhöhen,<br />
der Nachhaltigkeit <strong>die</strong>nen sowie <strong>die</strong> Kontrolle<br />
und Rechenschaftslegung verbessern.<br />
Führung des Prozesses durch <strong>die</strong> Regierung –<br />
ergänzt durch Reformen des Finanzmanagements,<br />
der Gebietskörperschaften und des öffentlichen<br />
Dienstes – bedeutet, dass <strong>die</strong> Armutsbekämpfungsstrategie<br />
zum <strong>über</strong>spannenden Rahmen für <strong>die</strong> Politik<br />
des Landes geworden ist. Sektor- und themenbezogene<br />
Programme sind in <strong>die</strong> Strategie eingebettet,<br />
und der Dialog zwischen der Regierung und den<br />
Partnern konzentriert sich auf ihre Umsetzung. Das<br />
nachdrückliche Engagement der Regierung für <strong>die</strong><br />
Armutsbekämpfung hat sichergestellt, dass <strong>die</strong> Strategie<br />
zur Richtschnur für den Staatshaushalt und<br />
alle Fachprogramme geworden ist. Außerdem gewährleistet<br />
ein innovatives umfassendes Armuts<strong>über</strong>wachungssystem<br />
eine ständige Rückkoppelung<br />
zwischen der Zuweisung von in- und ausländischen<br />
Mitteln und den Ergebnissen in Bezug auf <strong>die</strong> Armut.<br />
Der tansanische Entwicklungshilfeausschuss<br />
trägt erheblich dazu bei, Einvernehmen unter allen<br />
Partnern herbeizuführen. Die in dem Land gewonnenen<br />
positiven Erfahrungen zeigen vieles auf, das<br />
anderenorts Nachahmung finden könnte, wenn es<br />
mit soliden politischen Handlungskonzepten, der<br />
veranschaulichten nationalen Eigenverantwortung<br />
und konzertierten Anstrengungen zum Aufbau einheimischer<br />
Kapazitäten kombiniert wird.<br />
Es müssen <strong>die</strong> Lücken<br />
eingeschätzt werden, <strong>die</strong><br />
zwischen den derzeitig<br />
verfügbaren und den zum<br />
Erreichen der Ziele<br />
erforderlichen externen<br />
Ressourcen klaffen, sowie<br />
zwischen den derzeitigen<br />
eigenen politischen<br />
Handlungskonzepten und<br />
den zum Erreichen der<br />
Ziele erforderlichen<br />
politischen Reformen<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 187
Auszahlungen von<br />
Entwicklungshilfe auf der<br />
Grundlage politischer<br />
Kriterien werden Ländern<br />
mit guten politischen<br />
Handlungskonzepten und<br />
starken Institutionen<br />
helfen. Länder mit<br />
schlechten politischen<br />
Handlungskonzepten und<br />
schwachen Institutionen<br />
werden jedoch auf der<br />
Strecke bleiben<br />
dass große Mittelzuflüsse verschwendet werden.<br />
Und ohne eine demokratisches Staatsund<br />
Regierungsführung, <strong>die</strong> den Menschen<br />
Mitspracherechte einräumt, werden Entwicklungsbemühungen<br />
<strong>die</strong> Armen nicht dazu befähigen,<br />
in höherem Maße selbst <strong>über</strong> ihr<br />
Schicksal zu bestimmen.<br />
Entwicklungshilfe, <strong>die</strong> ohne solche Vorbedingungen<br />
geleistet wird und <strong>die</strong> mehr von Interessen<br />
geleitet ist, als dass sie sich an den Zielen<br />
der Nachhaltigkeit und der Armutsbekämpfung<br />
orientiert, kann wenig bewirken.<br />
Aber wenn aufgrund selektiver Auswahl keine<br />
Hilfe geleistet wird, können <strong>die</strong> Millenniums-<br />
Entwicklungsziele nicht erreicht werden. Auszahlungen<br />
von Entwicklungshilfe auf der<br />
Grundlage politischer Kriterien werden Ländern<br />
mit guten politischen Handlungskonzepten<br />
und starken Institutionen helfen. Länder<br />
mit schlechten politischen Handlungskonzepten<br />
und schwachen Institutionen werden jedoch<br />
auf der Strecke bleiben. Solche Länder<br />
brauchen nicht nur finanzielle Mittel, sondern<br />
auch Unterstützung in Form von technischer<br />
Zusammenarbeit, um ihre politischen Handlungskonzepte<br />
und ihre institutionellen Kapazitäten<br />
verbessern zu können. Dazu sind keine<br />
umfangreichen Mittel erforderlich, aber es ist<br />
ein wichtiger Teil der Hilfe von außen und<br />
muss ebenfalls richtig gemacht werden. Darauf<br />
wird im Folgenden eingegangen.<br />
Die politischen Handlungskonzepte und<br />
<strong>die</strong> institutionellen Kapazitäten verbessern.<br />
In vielen Ländern ist <strong>die</strong> Verbesserung der politischen<br />
Handlungskonzepte und der Institutionen<br />
– <strong>die</strong> Reform der Staats- und Regierungsführung<br />
– der Bereich, in dem sie <strong>die</strong><br />
meiste Unterstützung von außen benötigen.<br />
Diese Unterstützung sollte ein Schwerpunkt<br />
der Entwicklungshilfe sein. Allerdings sollte<br />
dafür nicht ein <strong>über</strong>ragender Teil der bereitgestellten<br />
finanziellen Mittel aufgewendet<br />
werden. Geld ist dazu nicht erforderlich, sondern<br />
vielmehr technische Zusammenarbeit<br />
zum Aufbau von Kapazitäten.<br />
Die Bilanz der technischen Zusammenarbeit<br />
ergibt jedoch ein gemischtes Bild. Sie hat<br />
sich als viel wirkungsvoller herausgestellt,<br />
wenn es darum ging, <strong>die</strong> Arbeit selbst zu erledigen,<br />
als wenn es um den Aufbau einheimi-<br />
scher Kapazitäten ging. Viele Evaluierungen<br />
zeigen, dass mit dem Ende der Unterstützung<br />
aus dem Ausland auch <strong>die</strong> Projektaktivitäten<br />
eingestellt werden und <strong>die</strong> bereits geschaffenen<br />
Kapazitäten wieder verloren gehen. Seit<br />
<strong>über</strong> einem Jahrzehnt diskutieren Geber und<br />
Empfänger <strong>über</strong> <strong>die</strong> zu Grunde liegenden Beschränkungen<br />
bei der Schaffung von Kapazitäten<br />
und suchen nach wirkungsvolleren Ansätzen.<br />
Beispielsweise kann der herkömmliche<br />
Ansatz der Entsendung ausländischer Berater<br />
für <strong>die</strong> Schulung von Einheimischen das<br />
Selbstvertrauen der einheimischen Mitarbeiter<br />
untergraben. Die eigenen Mitarbeiter ins<br />
Ausland zu schicken, damit sie dort einen akademischen<br />
Grad erwerben, kann dagegen zu<br />
einer zunehmenden Abwanderung von Fachkräften<br />
führen.<br />
Anfang der 1990er Jahre verabschiedete<br />
der Entwicklungshilfeausschuss der OECD<br />
neue Prinzipien für <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit.<br />
8 Sie wurden jedoch nie vollständig<br />
angewendet, obwohl sie bis heute gültig sind.<br />
In neueren Arbeiten von UNDP wird ein neues<br />
Paradigma gefordert, und neue Prinzipien<br />
für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten. Darin<br />
muss anerkannt werden, dass Kapazitäten für<br />
<strong>die</strong> Entwicklung genauso wichtig sind wie<br />
wirtschaftspolitische Maßnahmen, dass Kapazitäten<br />
nicht nur eine individuelle, sondern<br />
auch eine institutionelle und gesellschaftliche<br />
Dimension haben und dass Wissen nicht<br />
transferiert werden kann, sondern erworben<br />
werden muss. Der neue Ansatz fordert auch<br />
ein neues Vorgehen für eine erfolgreiche<br />
Schaffung von Kapazitäten (siehe Kasten 8.5).<br />
Entwicklungshilfe für Länder in Konflikt-<br />
oder Postkonfliktsituationen. Gewaltsame<br />
politische Konflikte sind ein großes Hindernis<br />
für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />
Etwa 60 Länder befinden sich derzeit in solchen<br />
Konflikten oder versuchen gerade, sich<br />
davon zu erholen. Viele <strong>die</strong>ser Länder sind<br />
Länder mit hoher oder höchster Priorität. Es<br />
ist wichtig, dass <strong>die</strong> Geber <strong>die</strong>sen Ländern<br />
helfen, ihre Krisen zu <strong>über</strong>winden, indem sie<br />
sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> humanitäre Hilfe hinaus unterstützen<br />
und anschließend Entwicklungshilfe<br />
leisten. Manche Geber weigern sich, solche<br />
Länder zu unterstützen, weil Ressourcen zur<br />
188 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 8.5<br />
Refokussierung der technischen Zusammenarbeit auf <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />
Die Bedeutung der Eigenverantwortung eines<br />
Landes und der nationalen Kapazitäten wird<br />
seit langem anerkannt. Die technische Zusammenarbeit<br />
konzentriert sich jedoch häufig auf<br />
praktische Aspekte statt auf <strong>die</strong> Schaffung von<br />
Kapazitäten. Zehn Prinzipien bieten nationalen<br />
Interessengruppen und ausländischen<br />
Partnern Ausgangspunkte für <strong>die</strong> Suche nach<br />
vielversprechenden Ansätzen für <strong>die</strong> Schaffung<br />
von Kapazitäten:<br />
• Die Dauerhaftigkeit von Ergebnissen<br />
sollte das Denken und Handeln in punkto<br />
Kapazitäten leiten. Die Schaffung von Kapazitäten<br />
ist ein Kernelement von Entwicklung.<br />
Bei allen Maßnahmen sollte geprüft werden,<br />
ob sie <strong>die</strong>sem Ziel <strong>die</strong>nen.<br />
• Nichts <strong>über</strong>stürzen. Die Schaffung von<br />
Kapazitäten ist ein langfristiger Prozess, der<br />
sich nicht für Leistungsdruck, schnelle Lösungen<br />
und kurzfristige Resultate eignet. Das Engagement<br />
zur Schaffung von Kapazitäten setzt<br />
eine zuverlässige langfristige Planung voraus.<br />
• Globale Suche, lokaler Wissenserwerb.<br />
Es gibt keine fertigen Lösungen: Die Schaffung<br />
von Kapazitäten ist ein Lernprozess. Lernen ist<br />
ein freiwilliges Unterfangen, das echtes Engagement<br />
und Interesse voraussetzt. Wissen<br />
kann nicht transferiert, sondern muss erworben<br />
werden.<br />
Finanzierung von Kriegszwecken abgezweigt<br />
werden könnten. Die Belege zeigen jedoch,<br />
dass <strong>die</strong> Verweigerung der Hilfe für solche<br />
Länder das <strong>menschliche</strong> Leiden vergrößert<br />
und das Ende von Konflikten nicht schneller<br />
herbeiführt. 9 Die Geber sollten sich natürlich<br />
<strong>über</strong> den möglichen Missbrauch von Entwicklungshilfe<br />
im Klaren sein. Dies ist beispielsweise<br />
der Fall, wenn Hilfsgüter gestohlen werden<br />
oder <strong>die</strong> Entwicklungshilfe für politische<br />
Zwecke oder für <strong>die</strong> anhaltende Terrorisierung<br />
der Bevölkerung missbraucht wird.<br />
Die Autorität des Staates zu stützen ist<br />
ebenfalls von entscheidender Bedeutung,<br />
denn wenn der Staat zusammenbricht, kollabiert<br />
auch <strong>die</strong> Wirtschaft, was das <strong>menschliche</strong><br />
Wohlergehen untergräbt. Viele Länder<br />
haben in Konflikten in bemerkenswerter Weise<br />
unentbehrliche Dienstleistungen weiterhin<br />
bereitstellen können oder sie sogar noch verbessert<br />
und dabei signifikante Fortschritte in<br />
der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung erzielt. Dies<br />
gilt beispielsweise für Guatemala, Nicaragua<br />
• Vorhandene Kapazitäten nutzen, statt<br />
neue zu schaffen. Dies impliziert, primär auf<br />
das im eigenen Land vorhandene Know-how<br />
zu setzen, nationale Institutionen zu stärken<br />
sowie das soziale und kulturelle Kapital zu<br />
schützen.<br />
• Beiträge aus dem Ausland mit nationalen<br />
Prioritäten, Prozessen und Systemen verknüpfen.<br />
Beiträge aus dem Ausland müssen<br />
dem nationalen Bedarf entsprechen sowie <strong>die</strong><br />
nationalen Bedürfnisse und Möglichkeiten<br />
berücksichtigen. Nationale Systeme, <strong>die</strong> nicht<br />
leistungsfähig genug sind, dürfen nicht umgangen,<br />
sondern müssen reformiert und verbessert<br />
werden.<br />
• Anreize für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />
geben. Verzerrungen bei der Beschäftigung<br />
im öffentlichen Sektor stellen große Hindernisse<br />
für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />
dar. Auf andere Ziele gerichtete Motive und<br />
widersinnige Anreize müssen an dem Ziel ausgerichtet<br />
gebracht werden, Kapazitäten aufzubauen.<br />
• Einstellungen und Machtunterschiede in<br />
Frage stellen. Die Schaffung von Kapazitäten<br />
ist nicht machtneutral, und etablierte Interessen<br />
in Frage zu stellen ist schwierig. Einen offenen<br />
Dialog einzuleiten und zu einer kollektiven<br />
Kultur der Transparenz <strong>über</strong>zugehen sind<br />
und Sri Lanka (siehe Kapitel 3). Entscheidend<br />
dafür war häufig der Einsatz von Nichtregierungsorganisationen<br />
(NRO), örtlichen Gemeinschaften<br />
und ausländischen humanitären<br />
Organisationen, denen es weiterhin gelang,<br />
hilfsbedürftige Menschen zu erreichen.<br />
Die Entwicklungshilfepraxis verbessern.<br />
Wichtige Prinzipien für <strong>die</strong> Entwicklungshilfepraxis<br />
von Gebern und Empfängern, <strong>die</strong> sicherstellen<br />
können, dass <strong>die</strong> Hilfe den Armen<br />
zugute kommt, wurden jüngst von dem früheren<br />
bolivianischen Staatspräsidenten Jorge<br />
Quiroga entsprechend der englischen Anfangsbuchstaben<br />
unter den Akronymen Herr<br />
„DUCCA“ und Herr „LIPPO“ zusammengefasst.<br />
Für <strong>die</strong> Geberländer – Herr DUCCA:<br />
• Dezentralisierte Entscheidungsprozesse<br />
(„Decentralised decision-making“). Ein<br />
großer Teil der Entscheidungsprozesse der<br />
Geber ist nach wie vor in den Hauptstädten<br />
der Geberländer zentralisiert, wo Entscheidungen<br />
auf der Grundlage von Annahmen<br />
Voraussetzungen, um <strong>die</strong>se Schwierigkeiten zu<br />
<strong>über</strong>winden.<br />
• Das Engagement auch unter schwierigen<br />
Bedingungen aufrechterhalten. Je schwächer<br />
<strong>die</strong> vorhandenen Kapazitäten sind, desto<br />
größer ist der Bedarf. Schwache Kapazitäten<br />
sind kein Grund, um sich zurückzuziehen oder<br />
um fremde Interessen durchzusetzen. Die<br />
Menschen sollten nicht für unverantwortliches<br />
Regierungs- und Verwaltungshandeln büßen<br />
müssen.<br />
• Den letztendlichen Empfängern gegen<strong>über</strong><br />
Rechenschaft ablegen. Selbst wenn Regierungen<br />
nicht auf den Bedarf ihrer Bevölkerung<br />
eingehen, müssen Partner aus dem Ausland<br />
den letztendlichen Empfängern gegen<strong>über</strong> Rechenschaft<br />
ablegen und mithelfen, dass <strong>die</strong> nationalen<br />
Behörden ihrer Verantwortung gerecht<br />
werden. Ansätze müssen mit den Betroffenen<br />
im Empfängerland erörtert und ausgehandelt<br />
werden.<br />
• Werte respektieren und <strong>die</strong> Selbstachtung<br />
fördern. Menschen fremde Werte aufzuzwingen<br />
kann das Selbstvertrauen untergraben.<br />
Selbstachtung ist eine Voraussetzung für<br />
Eigenverantwortung und Ermächtigung.<br />
Quelle: Lopes und Thieson <strong>2003</strong>.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 189
<strong>über</strong> Beschränkungen und Prioritäten vor Ort<br />
getroffen werden – zu Fragen wie Wasser- und<br />
Sanitärversorgung oder Schulen, <strong>die</strong> entscheidend<br />
für das Erreichen der Ziele sind. Die Dezentralisierung<br />
der Entscheidungsprozesse<br />
der Geber auf <strong>die</strong> nationale Ebene stärkt <strong>die</strong><br />
Rolle der Empfänger und erhöht ihre Eigenverantwortung.<br />
• Ungebundene Entwicklungshilfe („Untied<br />
aid“). Die gebundene Entwicklungshilfe<br />
ist für <strong>die</strong> Empfänger kostspielig. Die Aufhebung<br />
der Bindung würde ihnen mehr Möglichkeiten<br />
einräumen. Die Entwicklungshilfe<br />
wäre zudem konzessionärer und weniger anfällig<br />
für Korruption.<br />
• Konzessionäre Entwicklungshilfe<br />
(„Concessional aid“). Die Entwicklungshilfe<br />
für <strong>die</strong> meisten Länder mit hoher oder höchster<br />
Priorität, insbesondere solche, <strong>die</strong> zu den<br />
hochverschuldeten oder den am wenigsten<br />
entwickelten Ländern zählen, sollte in Form<br />
von Zuschüssen erfolgen, weil neue Kredite<br />
ihre bereits jetzt nicht tragbare Schuldenlast<br />
nur weiter erhöhen würden.<br />
• Koordinierung von Geberprojekten und<br />
–programmen („Coordination of donor projects<br />
and programmes“). Eine bessere Koordinierung<br />
unter den Gebern würde <strong>die</strong> administrative<br />
Belastung der Regierungen armer<br />
Länder verringern und den Regierungen helfen,<br />
Leistungen der Geber mit nationalen Prioritäten<br />
in Einklang zu bringen. Aktuelle Erfahrungen<br />
belegen den Wert sektorweiter<br />
Programme für Gesundheitssysteme (siehe<br />
Kapitel 4). Die Geber müssen auch <strong>die</strong> regelmäßig<br />
wiederkehrenden Kosten finanzieren,<br />
<strong>die</strong> häufig zu kritischen Engpässen führen.<br />
• Rechenschaftspflicht gegen<strong>über</strong> der Öffentlichkeit<br />
auf der Grundlage von Programmergebnissen<br />
(„Accountability to the<br />
public based on programme results“). Alle<br />
Entwicklungshilfemechanismen sollten rechenschaftspflichtig<br />
sein. Aber <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />
in den Entwicklungshilfebeziehungen<br />
ist häufig einseitig und betont <strong>die</strong> juristische<br />
Verantwortung der Empfänger gegen<strong>über</strong><br />
den Gebern sowie der Geber gegen<strong>über</strong><br />
den Steuerzahlern. Ein anderer Aspekt ist<br />
jedoch noch wichtiger: <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />
gegen<strong>über</strong> den Nutznießern. Dabei<br />
kommt es nicht auf <strong>die</strong> Höhe der ausgegebenen<br />
Mittel, sondern auf <strong>die</strong> Ergebnisse an.<br />
Für <strong>die</strong> Empfängerländer – Herr LIPPO:<br />
• Gebietskörperschaften und Dezentralisierung<br />
(„Local government and decentralization“).<br />
Gebietskörperschaften, <strong>die</strong> engeren<br />
Kontakt zu den Menschen haben und eher<br />
bereit sind, auf sie einzugehen, können in hohem<br />
Maße dazu beitragen, <strong>die</strong> Ausweitung des<br />
Gesundheits- und Bildungswesens sowie anderer<br />
wichtiger Dienste voranzutreiben –<br />
wenn <strong>die</strong> richtigen Voraussetzungen geschaffen<br />
wurden (siehe Kapitel 7).<br />
• Institutionelle Reformen zur Bekämpfung<br />
der Korruption und zur Förderung einer<br />
demokratischen Staats- und Regierungsführung<br />
(„Institutional reform to combat<br />
corruption and promote democratic governance“).<br />
Die Bekämpfung der Korruption erfordert<br />
starke Institutionen. Demokratische<br />
Institutionen verschaffen den Menschen ein<br />
Mitspracherecht und machen Entscheidungsträger<br />
gegen<strong>über</strong> der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig.<br />
• Beteiligung der Öffentlichkeit an Entwicklungsaktivitäten<br />
(„Popular participation<br />
in development activities“). Eine größere<br />
Partizipation führt im Allgemeinen zu besseren<br />
Entwicklungsresultaten, insbesondere für<br />
arme Menschen.<br />
• Gestaffelte und gerechtere Zuweisung<br />
von Ressourcen („Progressive, more equitable<br />
assignment of resources“). In den meisten<br />
Fällen werden Ressourcen ungerecht zugewiesen,<br />
so dass eine Anpassung erforderlich ist.<br />
• Überwachung durch <strong>die</strong> Zivilgesellschaft,<br />
Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen<br />
(„Oversight by civil society,<br />
individuals and NGOs“). Eine aufmerksame<br />
Bürgerschaft ist eine wichtige Voraussetzung,<br />
um sicherzustellen, dass öffentliche<br />
Institutionen und Entscheidungsträger ihrer<br />
Rechenschaftspflicht genügen.<br />
SCHULDENERLEICHTERUNGEN –<br />
SCHNELLER UND UMFASSENDER<br />
Viele Länder mit hoher oder höchster Priorität<br />
sind extrem hoch verschuldet. Zwei Drittel<br />
von ihnen (31 von 59) haben Anspruch auf<br />
190 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Schuldenerleichterungen im Rahmen der Initiative<br />
zu Gunsten der hochverschuldeten armen<br />
Länder (heavily indebted poor countries<br />
– HIPC). (Nur elf von 42 HIPC zählen<br />
nicht zu den Ländern mit hoher oder höchster<br />
Priorität.) Schuldenerleichterungen sind ein<br />
wichtiger Beitrag zum Erreichen der Ziele. Sie<br />
werden helfen, <strong>die</strong>se Länder auf einen nachhaltigen<br />
Entwicklungsweg zu führen, und Ressourcen<br />
freisetzen, <strong>die</strong> zur Finanzierung der<br />
im Millenniums-Entwicklungspakt aufgeführten<br />
zusätzlichen Sozialausgaben und anderen<br />
vorrangigen Investitionen verwendet werden<br />
könnten.<br />
ZUSAGEN ZUR SCHULDENERLEICHTERUNG<br />
EINHALTEN<br />
Seit Mitte der 1990er Jahre haben <strong>die</strong> Geberländer<br />
sich verpflichtet, etwas gegen <strong>die</strong><br />
Schuldenkrise in den armen Ländern zu unternehmen<br />
und sicherzustellen, dass kein<br />
Land eine Schuldenlast zu tragen hat, <strong>die</strong> es<br />
nicht bewältigen kann (Grafik 8.4). 1996 stell-<br />
KASTEN 8.6<br />
Die 1996 vom internationalen Währungsfonds<br />
(IWF) und der Weltbank lancierte und von<br />
180 Regierungen unterstützte HIPC-Initiative<br />
für <strong>die</strong> hochverschuldeten armen Länder (heavily<br />
indebted poor countries – HIPC) verfolgt<br />
zwei Ziele: Erstens sollen bestimmte Länder<br />
mit niedrigem Einkommen von ihrer nicht<br />
tragbaren Schuldenlast gegen<strong>über</strong> Gebern befreit<br />
werden. Zweitens sollen Reformen und<br />
zweckmäßige politische Maßnahmen zu Gunsten<br />
von Wachstum, <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
und Armutsbekämpfung gefördert werden.<br />
Im 1999 beschlossenen erweiterten HIPC-<br />
Rahmen (Enhanced HIPC Initiative oder<br />
HIPC II) wurden <strong>die</strong> Kriterien für <strong>die</strong> Berücksichtigung<br />
weiter gefasst und <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />
ausgeweitet. Um teilnahmeberechtigt<br />
zu werden, muss ein Land Anspruch<br />
auf hochgradig konzessionäre Unterstützung<br />
wie von der Internationalen Entwicklungsorganisation<br />
der Weltbank oder der Armutsbekämpfungs-<br />
und Wachstumsfazilität des<br />
IWF haben. Zusätzlich muss selbst nach Ausschöpfung<br />
der herkömmlichen Schuldener-<br />
Quelle: World Bank <strong>2003</strong>c; IMF und IDA <strong>2003</strong>; Birdsall, Williamson und Deese 2002.<br />
ten <strong>die</strong> Geber <strong>die</strong> HIPC-Initiative vor, um <strong>die</strong><br />
Schuldenlast zu verringern und Mittel für <strong>die</strong><br />
Armutsbekämpfung freizusetzen (Kasten 8.6).<br />
Ein Anlass für <strong>die</strong>se beispiellose Initiative war<br />
Druck von Seiten der Erlassjahrkampagne Jubilee<br />
2000, einer weltweiten Aktionskampagne<br />
für Schuldenerleichterungen. Die Aktivisten<br />
argumentierten <strong>über</strong>zeugend, dass <strong>die</strong><br />
Schulden der Entwicklungsländer bei finanziell<br />
gut ausgestatteten Institutionen wie dem<br />
Internationalen Währungsfonds (IWF) oder<br />
der Weltbank sowie bei den Regierungen der<br />
reichen Länder eine ungerechte Belastung der<br />
Armen darstellten, <strong>die</strong> Schulden be<strong>die</strong>nen<br />
müssten, <strong>die</strong> in vielen Fällen von längst abgelösten<br />
korrupten Staatsführern gemacht<br />
worden waren. Sie machten deutlich, dass <strong>die</strong>se<br />
Schulden den staatlichen Haushalten knappe<br />
Mittel entzögen und wenig Finanzierungsspielraum<br />
für Gesundheitsversorgung, Schulen<br />
und Trinkwasserversorgung übrig ließen.<br />
Die Geberländer hatten einen weiteren<br />
Grund, einen Teil der Schulden zu erlassen.<br />
Sie waren mit ihren Krediten in <strong>die</strong> Defensive<br />
Was ist <strong>die</strong> HIPC-Initiative?<br />
leichterungsmechanismen <strong>die</strong> Schuldenlast des<br />
Landes nicht tragbar sein. Es muss zudem eine<br />
positive Bilanz bei der Umsetzung von Strategien<br />
zur Armutsbekämpfung und bei der<br />
Schaffung von Grundlagen für dauerhaftes<br />
wirtschaftliches Wachstum vorweisen können.<br />
Die Schuldenerleichterungen erfolgen in<br />
zwei Stufen:<br />
• Nachdem ein Land <strong>die</strong> Einhaltung eines<br />
IWF-Programms und Fortschritte bei der Erarbeitung<br />
einer nationalen Armutsstrategie unter<br />
Beweis gestellt hat, wird ihm zum Entscheidungszeitpunkt<br />
der Schulden<strong>die</strong>nst erleichtert.<br />
• Nach Zustimmung der Weltbank und des<br />
IWF zu seinem Strategiedokument zur Armutsbekämpfung<br />
wird dem Land zum Umsetzungszeitpunkt<br />
<strong>die</strong> Schuldenlast erleichtert.<br />
Das Land hat Anspruch auf Schuldenerleichterungen<br />
in Höhe von mindestens 90 Prozent<br />
von bilateralen und multilateralen Gläubigern,<br />
um zu einer tragbaren Schuldenlast zu kommen.<br />
Von den 42 an der Initiative teilnehmenden<br />
Ländern liegen 34 in Afrika südlich der Sa-<br />
GRAFIK 8.4<br />
Die Ärmsten: gefangen<br />
zwischen rückläufiger<br />
Entwicklungshilfe und<br />
gleichbleibendem<br />
Schuldenstand<br />
Anteil am BIP in den am wenigsten<br />
entwickelten Ländern, 1990–2001<br />
HIPC 4,1%–2,5%<br />
1998–2001<br />
Quelle: Berechnungen des Büros für den<br />
Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der<br />
Grundlage von Daten in OECD, Development<br />
Assistance Committee <strong>2003</strong>a sowie Daten zum<br />
Schulden<strong>die</strong>nst in World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 191<br />
11,9%<br />
Öffentliche<br />
Entwicklungshilfe<br />
an <strong>die</strong> am wenigsten<br />
entwickelten Länder<br />
7,5%<br />
3,1%<br />
Schulden<strong>die</strong>nst<br />
2,9%<br />
hara. Keines <strong>die</strong>ser Länder wies 2001 ein Pro-<br />
Kopf-Einkommen von mehr als 1.500 US-<br />
Dollar (Kaufkraftparität) auf, und alle haben<br />
einen niedrigen Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />
Zwischen 1990 und 2001 verzeichneten<br />
<strong>die</strong> HIPC ein durchschnittliches jährliches<br />
Wachstum von gerade einmal 0,5 Prozent.<br />
Die HIPC sind seit mindestens 20 Jahren<br />
<strong>über</strong>schuldet: Im Vergleich zu anderen armen<br />
Ländern war bei ihnen das Verhältnis von<br />
Schulden zu Exporten bereits in den 1980er<br />
Jahren hoch. Gleichzeitig haben <strong>die</strong> HIPC in<br />
beträchtlichem Maße öffentliche Entwicklungshilfe<br />
erhalten. Die Nettotransfers an<br />
öffentlicher Entwicklungshilfe beliefen sich<br />
in den 1990er Jahren im Durchschnitt auf<br />
etwa zehn Prozent ihres BSP, verglichen mit<br />
etwa zwei Prozent, <strong>die</strong> <strong>die</strong> armen Länder<br />
insgesamt im Durchschnitt erhielten. Bislang<br />
haben 16 HIPC den Entscheidungszeitpunkt<br />
und acht den Umsetzungszeitpunkt erreicht<br />
(Benin, Bolivien, Burkina Faso, Mali,<br />
Mauretanien, Mosambik, Tansania und<br />
Uganda).
GRAFIK 8.5<br />
In zehn Ländern, <strong>die</strong><br />
Schuldenerleichterungen im<br />
Rahmen der HIPC-Initiative<br />
erhalten haben, verlagern<br />
sich <strong>die</strong> Ausgaben vom<br />
Schulden<strong>die</strong>nst zur<br />
Förderung der <strong>menschliche</strong>n<br />
Entwicklung<br />
Milliarden US-Dollar<br />
Ausgaben für Bildung<br />
2,0<br />
und Gesundheit<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
Schulden<strong>die</strong>nst<br />
1998 2000 2002<br />
Quelle: OECD, Development Assistance<br />
Committee <strong>2003</strong>a.<br />
geraten – endlose Runden von Umschuldungsverhandlungen<br />
sowie neue Zuschüsse<br />
und Kredite, um armen Ländern zu helfen,<br />
alte Kredite zurückzuzahlen, kaum eine sinnvolle<br />
Verwendung neuer Finanzhilfe. 10<br />
Bis Anfang <strong>2003</strong> hat <strong>die</strong> HIPC-Initiative<br />
26 Ländern genutzt. 11 Acht Länder haben<br />
ihren Umsetzungszeitpunkt (completion<br />
point) erreicht, was bedeutet, dass der Forderungsverzicht<br />
für einen Teil ihrer Schuldenlast<br />
wirksam ist. Weitere 18 Länder haben den<br />
Entscheidungszeitpunkt (decision point) erreicht,<br />
ab dem <strong>die</strong> Entlastung vom Schulden<strong>die</strong>nst<br />
beginnt, sich positiv auszuwirken. Für<br />
<strong>die</strong>se Länder sank der Schulden<strong>die</strong>nst zwischen<br />
1998 und 2001 von 3,7 auf 2,2 Milliarden<br />
US-Dollar, beziehungsweise von 17,5 Prozent<br />
der Exporte im Jahr 1998 auf 9,8 Prozent<br />
im Jahr 2001. Verglichen mit dem Zeitraum<br />
1998-99 werden <strong>die</strong> Schulden<strong>die</strong>nstleistungen<br />
im Zeitraum von 2001 bis 2005 um etwa ein<br />
Drittel oder 1,2 Milliarden US-Dollar jährlich<br />
niedriger liegen.<br />
Regierungen in <strong>die</strong>sen 26 Ländern verwenden<br />
ihre Einsparungen aus dem Schulden<strong>die</strong>nst,<br />
um <strong>die</strong> Ausgaben für Bildung und Gesundheitsversorgung<br />
zu erhöhen. Etwa 40<br />
Prozent <strong>die</strong>ser Mittel fließen in das Bildungswesen<br />
und 25 Prozent in das Gesundheitswesen.<br />
Uganda hat den allgemeinen Primarschulbesuch<br />
fast erreicht. Mali, Mosambik und der<br />
Senegal planen, mit den Mitteln aus dem<br />
Schuldenerlass ihre Ausgaben für <strong>die</strong><br />
HIV/AIDS-Prävention zu erhöhen. 12 Eine<br />
weitere Untersuchung zehn afrikanischer Länder,<br />
<strong>die</strong> ihren Zeitpunkt der Entscheidung erreicht<br />
haben, zeigt einen deutlichen Anstieg<br />
der Sozialausgaben (Siehe Grafik 8.5). 13<br />
Dennoch war <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />
weder schnell noch umfassend genug, und<br />
sie betraf zu wenige Länder. Nach dem ursprünglichen<br />
Zeitplan der HIPC-Initiative<br />
sollten bis jetzt nicht acht, sondern 19 Länder<br />
ihren Umsetzungszeitpunkt erreicht haben.<br />
Damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden, sind zusätzliche<br />
Mittel erforderlich: mindestens 50 Milliarden<br />
US-Dollar zusätzlich zu den Mitteln, <strong>die</strong><br />
im Inland mobilisiert werden können. Mehr<br />
Schuldenerleichterungen können helfen, <strong>die</strong>se<br />
Lücke zu schließen.<br />
Es wird auch befürchtet, dass <strong>die</strong> HIPC-<br />
Initiative nicht genügen wird, damit <strong>die</strong> Länder<br />
der Schuldenfalle entkommen können.<br />
Von den acht Ländern, <strong>die</strong> den Umsetzungszeitpunkt<br />
erreicht haben, sind zwei bereits<br />
wieder bei einem Verhältnis des Netto- Istwerts<br />
der Schulden zu den Exporterlösen von<br />
mehr als 150 Prozent angelangt. Dies ist <strong>die</strong><br />
Schwelle, <strong>die</strong> von der Initiative als tragbar eingestuft<br />
wurde. Die ursprünglichen IWF- und<br />
Weltbank-Prognosen der Schuldentragfähigkeit<br />
wurden während eines wirtschaftlichen<br />
Booms berechnet. Diese Analyse stützte sich<br />
auf drei Annahmen, <strong>die</strong> sich seitdem als zu optimistisch<br />
erwiesen haben:<br />
• Die Exporte würden zunehmen. Im<br />
kommenden Jahrzehnt müsste das Exportwachstum<br />
fast doppelt so hoch sein wie in den<br />
1990er Jahren, wenn <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />
armen Länder in <strong>die</strong> Lage versetzt werden sollen,<br />
ihre Schulden zu be<strong>die</strong>nen. Hierzu müssten<br />
sich <strong>die</strong> Austauschverhältnisse im Außenhandel<br />
zu Gunsten <strong>die</strong>ser Länder um 0,5 Prozent<br />
jährlich verbessern, obwohl sie sich in<br />
den 1990er Jahren um 0,7 Prozent jährlich<br />
verschlechterten.<br />
• Die Kreditaufnahme würde abnehmen.<br />
Es wird prognostiziert, dass <strong>die</strong> jährliche Neukreditaufnahme<br />
von 9,5 auf 5,5 Prozent des<br />
Bruttosozialprodukts (BSP) sinken und <strong>die</strong><br />
Zuschüsse sich verdoppeln werden. Einige<br />
hochverschuldete arme Länder nehmen jedoch<br />
bereits Kredite zu Zinssätzen auf, <strong>die</strong><br />
<strong>über</strong> den erwarteten liegen.<br />
• Krisen und Katastrophen würden sich<br />
nicht so stark auswirken. Doch <strong>die</strong> meisten<br />
hochverschuldeten armen Länder sind anfällig<br />
für Dürren, Überschwemmungen, zivile Konflikte<br />
und fallende Rohstoffpreise. 14<br />
WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />
Die HIPC-Initiative hat nicht bewirkt, dass<br />
<strong>die</strong> Schuldenlast für genügend Länder tragbar<br />
geworden ist. Sie muss erweitert werden, insbesondere<br />
angesichts des größeren Finanzbedarfs<br />
im Zusammenhang mit den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />
Um den armen Ländern<br />
zu helfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, sind<br />
Schuldenerleichterungen für <strong>die</strong> Geber ein ef-<br />
192 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
fizienteres Mittel als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe,<br />
weil Schuldenerleichterungen mehr Flexibilität<br />
bei der Mittelverwendung ermöglichen.<br />
Schuldenerleichterungen können gezielt bedürftigen<br />
Ländern gewährt werden. Da <strong>die</strong><br />
Mittel nicht gebunden sind, können sie Budgethilfe<br />
bieten, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> im Rahmen von<br />
Strategien zur Armutsbekämpfung definierten<br />
nationalen Prioritäten aufgewendet werden<br />
kann.<br />
Die Verknüpfungen mit den Zielen stärken.<br />
Wie im Millenniums-Entwicklungspakt<br />
empfohlen, sollte der Finanzbedarf zum Erreichen<br />
der Ziele in den Strategiedokumenten<br />
zur Armutsbekämpfung explizit eingeschätzt<br />
werden. Einschätzungen der Schuldentragfähigkeit<br />
durch <strong>die</strong> Weltbank und den IWF<br />
sollten sich nicht bloß auf <strong>die</strong> Fähigkeit erstrecken,<br />
den Schulden<strong>die</strong>nst zu leisten, sondern<br />
auf <strong>die</strong> Freisetzung von ausreichend Mitteln<br />
zum Erreichen der Ziele ausgedehnt werden.<br />
Die Entwicklungshilfe erhöhen. Die Kapazitäten<br />
eines Landes, seine Schulden zu be<strong>die</strong>nen,<br />
sollten im Verhältnis zu seinem Bedarf<br />
bewertet werden, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Für<br />
viele Länder wird <strong>die</strong>s einen vollständigen<br />
Schuldenerlass erfordern. Das im Rahmen der<br />
HIPC-Initiative als Maß für <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit<br />
verwendete Verhältnis der Schulden<br />
zu den Exporterlösen hat mit dem Bedarf der<br />
Armen wenig zu tun. Wenn Gläubigerländer<br />
und Geber verhindern wollen, dass Mittel, <strong>die</strong><br />
für Investitionen in <strong>die</strong> soziale Grundversorgung<br />
gebraucht werden, zur Schuldentilgung<br />
eingesetzt werden, wird vorgeschlagen, als ein<br />
Maß für <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit das Verhältnis<br />
zwischen Schulden<strong>die</strong>nst und BSP zu<br />
verwenden. Die reichen Länder könnten <strong>die</strong><br />
Schuldenerleichterungen ausweiten, bis der<br />
Schulden<strong>die</strong>nst unter zwei Prozent des BIP<br />
liegt. (Die meisten HIPC nehmen Steuern in<br />
Höhe von etwa 20 Prozent des BSP ein, und<br />
10 Prozent der Steuereinnahmen wären ein<br />
zumutbarer Anteil für den Schulden<strong>die</strong>nst.) 15<br />
Besseren Schutz vor Krisen und Katastrophen<br />
bieten. Die hochverschuldeten armen<br />
Länder sind besonders anfällig für Naturkatastrophen<br />
und einen Preisverfall der Rohstoffe,<br />
<strong>die</strong> sie exportieren. Ein innovativer<br />
Vorschlag geht dahin, eine Fazilität für Notfälle<br />
einzurichten. Danach würde der Schulden<strong>die</strong>nst<br />
mit externen Mitteln finanziert, wenn<br />
infolge einer Krise oder Katastrophe der<br />
Schulden<strong>die</strong>nst auf <strong>über</strong> zwei Prozent des<br />
BSP steigt. 16<br />
Andere Ideen <strong>über</strong> <strong>die</strong> aktuellen HIPC-<br />
Mechanismen hinaus ver<strong>die</strong>nen ebenfalls Beachtung.<br />
Jubilee Research, ein Nachfolgeprogramm<br />
zu Jubilee 2000, hat ein Umschuldungsprogramm<br />
für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />
vorgeschlagen. Im Rahmen<br />
<strong>die</strong>ses Programms würde durch ein unabhängiges<br />
Gremium oder Gericht von Fall zu Fall<br />
<strong>über</strong> den Antrag souveräner Schuldner auf<br />
Gläubigerschutz entschieden. Dieser Ansatz<br />
hat den Vorteil, dass dem Gläubiger im gleichen<br />
Maße <strong>die</strong> Beweispflicht auferlegt wird<br />
wie dem Schuldner (Kasten 8.7). Er könnte jedoch<br />
<strong>die</strong> unbeabsichtigte Konsequenz haben,<br />
dass Mittel von Hilfsprogrammen der Gläubiger<br />
umgeleitet werden. Im Gegensatz zur<br />
HIPC-Initiative fehlt dem Programm auch ein<br />
Mechanismus, um sicherzustellen, dass freigesetzte<br />
Mittel zur Armutsbekämpfung eingesetzt<br />
werden.<br />
HANDEL – MARKTÖFFNUNG UND<br />
SUBVENTIONSABBAU<br />
Ein Grund für das Schuldenproblem ist, dass<br />
<strong>die</strong> meisten HIPC wie andere arme Länder in<br />
hohem Maße von Rohstoffexporten abhängig<br />
sind und <strong>die</strong> Rohstoffpreise drastisch gesunken<br />
sind. Von solchen Exporten abhängige<br />
Länder können mit dem Wachstum der Weltwirtschaft<br />
nicht mithalten (siehe Kapitel 3). 17<br />
Obwohl Entwicklungshilfe und Schuldenerleichterungen<br />
eine entscheidende Rolle in den<br />
Bemühungen spielen, viele Entwicklungsländer<br />
auf den richtigen Kurs zu bringen, stellen<br />
sie keine dauerhaften Lösungen dar.<br />
HANDELSSTRUKTUREN VERÄNDERN<br />
Um in der Weltwirtschaft konkurrieren und<br />
erfolgreich sein zu können, müssen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
ihre Entwicklung selbst vorantreiben.<br />
Sie müssen bei ihren Exportprodukten<br />
wettbewerbsfähig werden und in an-<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 193
KASTEN 8.7<br />
Seit 1995 hat <strong>die</strong> Bewegung Jubilee 2000<br />
sich für <strong>die</strong> Lösung internationaler Schuldenkrisen<br />
eingesetzt. Jubilee Research, das<br />
Nachfolgeprogramm der Bewegung, hat<br />
einen radikalen neuen Ansatz vorgeschlagen,<br />
der auf drei Prinzipien beruhen würde.<br />
Bei der Lösung von Schuldenkrisen<br />
Gerechtigkeit und Vernunft walten<br />
lassen<br />
Keine Partei in einer Schuldenkrise würde<br />
im Gericht, in dem <strong>über</strong> Schuldtitel staatlicher<br />
Kreditnehmer verhandelt wird, als<br />
Ankläger, Richter oder Geschworener auftreten<br />
können.<br />
Die Verantwortung sowohl von<br />
Schuldnern als auch von Gläubigern für<br />
<strong>die</strong> Krise anerkennen<br />
Bei den gegenwärtig angewendeten Verfahren<br />
stehen <strong>die</strong> Schuldner stärker im<br />
Obligo. Bei allen Vorschlägen zur Verteilung<br />
der Verluste würden <strong>die</strong> Interessen<br />
der Gläubiger, aber auch <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
des Schutzes der Menschenrechte und<br />
der Würde der Bevölkerung des Schuldnerlandes<br />
berücksichtigt werden.<br />
Einen offenen, rechenschaftspflichtigen,<br />
transparenten Prozess<br />
gewährleisten<br />
Es geht um Aktiva und Verbindlichkeiten<br />
der öffentlichen Hand, nicht von Privatpersonen.<br />
Es sollte anerkannt werden,<br />
dass es in jeder Schuldenkrise drei Parteien<br />
gibt: den Schuldner, <strong>die</strong> Gläubiger und<br />
<strong>die</strong> Steuerzahler. Entsprechend sollten alle<br />
Quelle: Pettifor und Greenhill <strong>2003</strong>.<br />
Ein Vorschlag zur Umschuldung, damit <strong>die</strong> Ziele<br />
erreicht werden können<br />
drei an der Lösung der Krise beteiligt sein.<br />
Wie in Kapitel 9 des amerikanischen Konkursgesetzes<br />
festgelegt, würden betroffene<br />
Bürger ein verbrieftes Mitspracherecht bei<br />
der Lösung einer Krise haben. Transparenz<br />
und Rechenschaftslegung <strong>die</strong>ser Art<br />
würden helfen, zukünftige Krisen zu verhindern.<br />
Die Regierung des Schuldnerlandes<br />
würde den Prozess einleiten, indem sie bei<br />
den Vereinten Nationen Rahmenbedingungen<br />
für ein unabhängiges, transparentes,<br />
rechenschaftspflichtiges Schiedsverfahren<br />
beantragt. Die Begründung hierfür<br />
würde darauf lauten, dass <strong>die</strong> Schulden<strong>die</strong>nstzahlungen<br />
<strong>die</strong> Ausgaben für <strong>die</strong><br />
grundlegenden Menschenrechte abwürgen<br />
würden, was das Land daran hindern<br />
würde, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />
In der nächsten Phase würde ein unabhängiges<br />
Schiedsgericht eingerichtet<br />
werden, dessen Mitglieder in gleicher Zahl<br />
vom Schuldnerland und den Gläubigern<br />
benannt würden. Diese Mitglieder würden<br />
einen neutralen Richter oder Vorsitzenden<br />
wählen. Um beurteilen zu können, wie viele<br />
Schulden erlassen werden sollten, würde<br />
das Schiedsgericht eine vollständige<br />
Einschätzung des Mittelumfangs benötigen,<br />
den das Land braucht, um <strong>die</strong> Ziele<br />
zu erreichen.<br />
Die Vereinten Nationen müssten sicherstellen,<br />
dass das Verfahren sowohl für<br />
den Schuldner als auch für <strong>die</strong> Gläubiger<br />
transparent, unabhängig und fair verläuft<br />
und dass <strong>die</strong> dadurch freigesetzten Mittel<br />
zum Erreichen der Ziele eingesetzt werden.<br />
dere Produktkategorien diversifizieren. Länder<br />
mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
konnten ihre Exporte in der Vergangenheit jedoch<br />
nur langsam ausweiten oder diversifizieren<br />
(Siehe Tabelle 8.2).<br />
Die heutigen hart umkämpften Weltmärkte<br />
machen <strong>die</strong> Exportdiversifikation für Länder<br />
mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
schwierig. Durch <strong>die</strong> Marktöffnung sind <strong>die</strong><br />
Anforderungen an Kapital-, Technologie- und<br />
<strong>Human</strong>ressourcen gestiegen. Internationale<br />
Rohstoffeinkäufer fordern von Lieferanten in<br />
Entwicklungsländern einen hohen Grad an<br />
TABELLE 8.2<br />
Handel: Die Chancen nutzen –<br />
oder nicht<br />
Exporte von Waren,<br />
Dienstleistungen und<br />
Einkommen<br />
(Milliarden US-Dollar von 1995)<br />
1990 2001<br />
Hohe <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung<br />
Mittlere <strong>menschliche</strong><br />
3.959 7.602<br />
Entwicklung<br />
Niedirge <strong>menschliche</strong><br />
780 1.599<br />
Entwicklung 41 61<br />
Quelle: : Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu Exporten sowie zum BIP-<br />
Deflator in World Bank <strong>2003</strong>i.<br />
Zuverlässigkeit und Qualität. Durch <strong>die</strong>se<br />
Trends steigt <strong>die</strong> Bedeutung von Wissen,<br />
Qualifikationen und Flexibilität. Sie erhöhen<br />
auch den Druck auf <strong>die</strong> ärmsten Länder, <strong>die</strong><br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> geringsten Fertigkeiten, Ersparnisse<br />
und Kapazitäten verfügen, um sich an ein veränderndes<br />
Umfeld anzupassen. 18<br />
Raschere Fortschritte beim Erreichen der<br />
Millenniums-Entwicklungsziele – insbesondere<br />
in den Bereichen Bildung und Gesundheit –<br />
werden den Ländern helfen, ihre Exportsektoren<br />
zu stärken. Gesunde Menschen mit einem<br />
hohen Bildungsstand machen <strong>die</strong> Erwerbsbevölkerung<br />
anpassungsfähiger und <strong>die</strong><br />
Volkswirtschaft produktiver. Dadurch ändern<br />
sich <strong>die</strong> Handelsstrukturen: von Rohstoffexporten<br />
zu stärker verarbeiteten Produkten,<br />
von einfachen Industriegütern zu Gütern, deren<br />
Produktion besser qualifizierte Arbeitskräfte<br />
erfordert. 19<br />
WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />
Die reichen Länder haben enorm viele Möglichkeiten,<br />
durch den Abbau von Zöllen und<br />
Subventionen den Marktzugang zu erweitern<br />
und Importe aus armen Ländern zu begünstigen.<br />
Trotz einiger wichtiger Initiativen in der<br />
jüngsten Zeit unterliegen <strong>die</strong> in den ärmsten<br />
Ländern hergestellten Produkte durch <strong>die</strong><br />
Handelspolitik weiterhin Diskriminierungen,<br />
vor allem Agrarerzeugnisse und Textilien. Die<br />
armen Länder erwarteten von der Uruguay-<br />
Runde zum Welthandel (1986 bis 1994) vor allem,<br />
dass <strong>die</strong> reichen Länder ihre Märkte für<br />
<strong>die</strong>se beiden Produktkategorien öffnen würden.<br />
Die Ergebnisse waren jedoch größtenteils<br />
194 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
TABELLE 8.3<br />
Zölle und Zollsenkungen in ausgewählten Ländern und Ländergruppen nach der<br />
Uruguay-Runde<br />
(in Prozent)<br />
Europäische Union Vereinigte Staaten Arme Länder Reiche Länder<br />
Produktkategorie Zoll Senkung Zoll Senkung Zoll Senkung Zoll Senkung<br />
Argrarerzeugnisse a 15,7 –5,9 10,8 –1,5 17,4 –43,0 26,9 –26,9<br />
Textilien 8,7 –2,0 14,8 –2,0 21,2 –8,5 8,4 –2,6<br />
Metalle 1,0 –3,3 1,1 –3,8 10,8 –9,5 0,9 –3,4<br />
Chemikalien 3,8 –3,3 2,5 –4,9 12,4 –9,7 2,2 –3,7<br />
a. Ohne Fisch. Einschließlich der Zolläquivalente nichttarifärer Hemmnisse<br />
Quelle: Finger und Harrison 1996.<br />
enttäuschend. In den meisten reichen Ländern<br />
wird mit einem breiten Spektrum an Instrumenten<br />
weiterhin in außerordentlich hohem<br />
Maß Protektionismus betrieben: 20<br />
Zölle. Die meisten reichen Länder erheben<br />
höhere Zölle auf Agrarerzeugnisse und<br />
einfache Industriegüter, also genau auf <strong>die</strong><br />
Waren, <strong>die</strong> Entwicklungsländer produzieren<br />
und exportieren können. Im Bereich der<br />
Landwirtschaft sind <strong>die</strong> in Entwicklungsländern<br />
produzierten kostengünstigen landwirtschaftlichen<br />
Erzeugnisse durch <strong>die</strong> Zölle der<br />
OECD-Länder in hohem Maße benachteiligt<br />
(Tabelle 8.3). Die Zölle auf Industriegüter aus<br />
Entwicklungsländern bleiben ebenfalls hoch.<br />
In den 1990er Jahren beliefen sich <strong>die</strong> Zölle<br />
der OECD auf Industriegüter aus Entwicklungsländer<br />
im Durchschnitt auf 3,4 Prozent<br />
und waren damit mehr als viermal höher als<br />
<strong>die</strong> durchschnittlichen Zölle von 0,8 Prozent<br />
auf Industriegüter aus der OECD. Bangladesch<br />
exportiert jährlich Waren im Wert von<br />
2,4 Milliarden US-Dollar in <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten und zahlt 14 Prozent Zoll, während<br />
Frankreich Waren im Wert von 30 Milliarden<br />
US-Dollar exportiert und etwa ein Prozent<br />
Zoll zahlt. 21 Die Uruguay-Runde unterließ es<br />
zudem, <strong>die</strong> Spitzenzölle (Zölle von mehr als 15<br />
Prozent) auf viele Exporte aus Entwicklungsländern<br />
abzuschaffen: 60 Prozent der Importe<br />
aus Entwicklungsländern in <strong>die</strong> EU, Japan,<br />
Kanada und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten unterlagen<br />
Spitzenzöllen. 22<br />
Die ärmsten Länder sind auch mit steigenden<br />
Abgaben bei zunehmendem Verarbeitungsgrad<br />
(tariff escalation) konfrontiert, d.h.<br />
höheren Zöllen, wenn sie versuchen, ihre Exporte<br />
zu verarbeiten, statt einfach Primärprodukte<br />
zu exportieren. Beispiele für <strong>die</strong>se „Ent-<br />
wicklungssteuer“ sind fünf Prozent Zoll auf<br />
Kaffeebohnen, aber 15 Prozent auf gemahlenen<br />
Kaffee in Neuseeland 23 und 0,1 Prozent<br />
Zoll auf Rohtextilien, aber 8,6 Prozent auf fertig<br />
verarbeitete Textilien in Japan. 24<br />
Quoten. Importquoten sind eine noch extremere<br />
Form der gleichen Politik. Anstatt lediglich<br />
<strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit von Produkten<br />
aus Entwicklungsländern zu verringern,<br />
verhindern Quoten, dass solche Produkte<br />
<strong>über</strong> eine bestimmte Menge hinaus <strong>über</strong>haupt<br />
am Wettbewerb teilnehmen können. Die<br />
OECD-Länder unterwerfen Importe einem<br />
breiten Spektrum von Quoten, insbesondere<br />
für Bekleidung und Schuhe – arbeitsintensive<br />
Produkte, bei denen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />
einen komparativen Vorteil hätten. Bis 2005<br />
sollten <strong>die</strong> Quoten für Bekleidung und Textilien<br />
auslaufen. Aber im Jahr 2002 galten Quoten<br />
immer noch für <strong>die</strong> meisten Bekleidungsprodukte,<br />
<strong>die</strong> bereits Ende der 1980er Jahre<br />
Quoten unterlagen. Dieser mangelnde Fortschritt<br />
lässt Zweifel an der Bereitschaft der<br />
OECD-Länder aufkommen, ihre Zusagen für<br />
das Jahr 2005 wirklich einzuhalten.<br />
Exportsubventionen. Ein anderes Mittel<br />
reicher Länder, <strong>die</strong> Spielregeln für den Handel<br />
zu ihren Gunsten zu beeinflussen, scheint<br />
auf den ersten Blick wenig mit Handel zu tun<br />
zu haben. In unterschiedlichem Maße zahlen<br />
reiche Länder Subventionen an ihre einheimischen<br />
Nahrungsmittelproduzenten. Diese<br />
Subventionen sind mit insgesamt 311 Milliarden<br />
US-Dollar so hoch, dass sie Einfluss auf<br />
<strong>die</strong> Weltmarktpreise für Agrarprodukte haben<br />
und arme Länder unmittelbar schädigen<br />
(Kasten 8.8). Von der EU subventionierte Exporte<br />
haben zum Niedergang der Milchwirtschaft<br />
in Brasilien und Jamaika sowie der<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 195
GRAFIK 8.6<br />
Mehr Entwicklungshilfe für<br />
Kühe und Baumwolle als für<br />
Menschen (im Jahr 2000)<br />
913 US-$<br />
pro Kuh<br />
Jährliche Milchsubventionen<br />
in der Europäischen<br />
Union<br />
2.700 US-$<br />
pro Kuh<br />
Jährliche Milchsubventionen<br />
in Japan<br />
10,7<br />
Millionen<br />
US-$ pro<br />
Tag für<br />
Baumwolle<br />
490 US-$<br />
pro Kopf<br />
Durchschnittseinkommen<br />
in Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
490 US-$<br />
pro Kopf<br />
Durchschnittseinkommen<br />
in Afrika<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
8 US-$<br />
pro Einwohner<br />
in<br />
Afrika südl.<br />
der Sahara<br />
Jährliche<br />
Entwicklungshilfe<br />
der<br />
Europäischen<br />
Union an <strong>die</strong><br />
Länder Afrikas<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
1,47 US-$<br />
pro Einwohner<br />
in<br />
Afrika südl.<br />
der Sahara<br />
Jährliche Ent-<br />
wicklungshilfe<br />
Japans an <strong>die</strong><br />
Länder Afrikas<br />
südlich der<br />
Sahara<br />
3,1<br />
Millionen<br />
US-$ pro Tag<br />
Subventionierung Entwicklungshilfe<br />
von Erzeugern in den der Vereinigten<br />
Vereinigten Staaten Staaten an <strong>die</strong><br />
Länder Afrikas<br />
südlich der Sahara<br />
Quelle: Birdsall und Clemens <strong>2003</strong>b.<br />
KASTEN 8.8<br />
Der große internationale Wirkungsbereich im eigenen Land gezahlter Subventionen<br />
Subventionen der reichen Länder an ihre Bauern<br />
machen deren Betriebe rentabler, ermutigen zu Produktionssteigerungen<br />
und senken <strong>die</strong> Erzeugerpreise.<br />
Das Resultat sind billige Agrarprodukte in riesigen<br />
Mengen.<br />
Wer sind <strong>die</strong> Gewinner und Verlierer? Einheimische<br />
Erzeuger profitieren zweifellos durch höhere<br />
Gewinne. Aber einheimische Konsumenten verlieren<br />
eindeutig. Sie zahlen weniger für Nahrungsmittel,<br />
aber mehr Steuern, um <strong>die</strong> Subventionen zu finanzieren<br />
– und der negative Effekt <strong>über</strong>wiegt den<br />
positiven. Außerdem begünstigen <strong>die</strong> Subventionen<br />
primär <strong>die</strong> großen Erzeuger. Schätzungen der Europäischen<br />
Union zufolge fließt ohne Berücksichtigung<br />
Griechenlands <strong>die</strong> Hälfte aller Subventionen<br />
an gerade einmal fünf Prozent der Betriebe.<br />
Die Wirkung reicht jedoch <strong>über</strong> <strong>die</strong> nationalen<br />
Grenzen hinaus. Erzeuger in armen Ländern müssen<br />
mit subventionierten Erzeugern in reichen<br />
Ländern konkurrieren. Oft können sie ihre Erzeugnisse<br />
nicht in reiche Länder exportieren, weil<br />
ihre unsubventionierten Preise nicht mit den unter<br />
den Marktpreisen liegenden Preisen konkurrieren<br />
können, zu denen <strong>die</strong> Bauern in reichen Ländern<br />
anbieten. (Dies gilt für Zucker in den Vereinigten<br />
Staaten.) Möglicherweise können sie ihre Erzeugnisse<br />
nicht einmal im eigenen Land verkaufen, weil<br />
<strong>die</strong> durch Subventionen herbeigeführte Überproduktion<br />
von Agrarerzeugnissen in den reichen<br />
Ländern zu Überschüssen führt, <strong>die</strong> zu Preisen in<br />
arme Länder exportiert werden, <strong>die</strong> kein einheimischer<br />
Erzeuger unterbieten kann. (Dies gilt für<br />
Milch aus Europa.)<br />
Quelle: Cline 2002.<br />
Zuckerindustrie in Südafrika beigetragen. 25<br />
Westafrikanische Baumwollproduzenten haben<br />
<strong>die</strong> Effizienz ihres Baumwollsektors gesteigert<br />
und sind mit ihren Produktionskosten<br />
wettbewerbsfähig geworden. Aber sie<br />
können nicht mit den subventionierten Bauern<br />
in den reichen Ländern konkurrieren<br />
(Kasten 8.9). Die Pro-Kopf-Subventionen der<br />
OECD für Kühe und Baumwolle sind in der<br />
Tat wesentlich höher als <strong>die</strong> Pro-Kopf-Entwicklungshilfe<br />
der OECD für Afrika südlich<br />
der Sahara (Grafik 8.6). Die jährlichen<br />
Agrarsubventionen in reichen Ländern <strong>über</strong>steigen<br />
das Volkseinkommen aller Länder in<br />
Afrika südlich der Sahara beträchtlich (Siehe<br />
Grafik 8.7).<br />
Auf der Konferenz der Welthandelsorganisation<br />
(World Trade Organization –<br />
Wie ist es mit den Auswirkungen für <strong>die</strong> Konsumenten<br />
in armen Ländern? Ohne weitere Verzerrungen<br />
sollten Subventionen in reichen Ländern <strong>die</strong><br />
Preise, <strong>die</strong> sie für gehandelte Nahrungsmittel zahlen<br />
müssen, nach unten treiben, was ein Vorteil wäre.<br />
Aber in vielen armen Länder ist ein großer Teil der<br />
Konsumenten auch Erzeuger von Agrarprodukten.<br />
Diese Menschen sind in doppelter Weise von Subventionen<br />
in reichen Ländern betroffen: Die Nahrungsmittel,<br />
<strong>die</strong> sie kaufen, sind billiger, aber wegen<br />
der niedrigeren Preise für <strong>die</strong> von ihnen erzeugten<br />
Nahrungsmittel ist ihr Einkommen geringer.<br />
Ob Subventionen in armen Ländern zu mehr<br />
oder weniger Armut führen, hängt also davon ab,<br />
wie viele arme Menschen in <strong>die</strong>sen Ländern ihren<br />
Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln<br />
ver<strong>die</strong>nen. Eine neuere Untersuchung kam<br />
zu dem Ergebnis, dass der Abbau von Subventionen<br />
armen Menschen auf kurze Sicht schadet, wenn weniger<br />
als <strong>die</strong> Hälfte von ihnen in ländlichen Gebieten<br />
leben. In einem durchschnittlichen Entwicklungsland<br />
leben jedoch etwa drei Viertel der armen<br />
Menschen in ländlichen Gebieten – und in den ärmsten<br />
afrikanischen und asiatischen Ländern sogar<br />
mehr als 90 Prozent. Nettoimportländern von Nahrungsmitteln<br />
nutzen billigere Weltmarktpreise.<br />
Doch auf lange Sicht dämpfen niedrige Preise <strong>die</strong><br />
Investitionsanreize, was in einem wichtigen Sektor<br />
der Volkswirtschaft, von dem viele Menschen abhängig<br />
sind, zu Stagnation führt. Dies macht <strong>die</strong><br />
Bauern in den reichen Ländern zu den einzigen<br />
wahren Nutznießern von Subventionen, während<br />
<strong>die</strong> Zahl der Leidtragenden weltweit riesig ist.<br />
WTO) in Doha im Jahr 2001 einigten sich <strong>die</strong><br />
Länder darauf, <strong>die</strong> Exportsubventionen für<br />
Agrarerzeugnisse letzten Endes abschaffen zu<br />
wollen. Es wurde jedoch kein Zeitrahmen festgelegt.<br />
Dieser ist aber zweifellos unabdingbar,<br />
wenn <strong>die</strong> Erklärung von Doha in irgendeiner<br />
Form Sinn machen soll. 26<br />
Auf lange Sicht liegt <strong>die</strong> wirkliche Lösung<br />
für rohstoffabhängige Länder in der Diversifizierung<br />
in andere Exportsektoren, insbesondere<br />
in den Export arbeitsintensiver Industriegüter.<br />
Kurzfristig könnte jedoch <strong>die</strong> internationale<br />
Gemeinschaft der extremen Volatilität<br />
der Rohstoffpreise entgegenwirken. In<br />
den 1970er und 1980er Jahren gab es Versuche,<br />
durch internationale Rohstoffabkommen<br />
eine Stabilisierung zu erreichen, <strong>die</strong> dann aber<br />
wieder aufgegeben wurden. Angesichts der<br />
196 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
KASTEN 8.9<br />
Ungewisser Ausgang der Doha-Runde für <strong>die</strong> afrikanischen Baumwollexporteure<br />
Für <strong>die</strong> wirtschaftliche Entwicklung mehrerer westafrikanischer<br />
Länder (Benin, Burkina Faso, dem<br />
Tschad, Mali, Togo) ist Baumwolle von großer Bedeutung.<br />
Seit den 1980er Jahren hat sich <strong>die</strong> Baumwollproduktion<br />
vervierfacht. Mittlerweile entfallen<br />
darauf fünf bis zehn Prozent des BIP und etwa 30<br />
Prozent der Exporte. Ein wesentlicher Teil der Produktion<br />
wird von Kleinbauern erzeugt, von denen<br />
viele unterhalb der Armutsgrenze leben. Für <strong>die</strong><br />
meisten ist Baumwolle das einzige Produkt, das sie<br />
wettbewerbsfähig exportieren können. Die Einnahmen<br />
aus der Baumwollproduktion finanzieren auch<br />
einen beträchtlichen Teil der wirtschaftlichen und<br />
sozialen Infrastruktur in ländlichen Gebieten. Deshalb<br />
sind <strong>die</strong> Baumwollpreise und <strong>die</strong> Einnahmen<br />
von großer Bedeutung für jede Strategie zur Armutsbekämpfung<br />
in <strong>die</strong>sen Ländern – und für das<br />
Erreichen der Ziele.<br />
In den vergangenen Jahren wurden in <strong>die</strong>sen<br />
Ländern eine Reihe von Reformen durchgeführt, <strong>die</strong><br />
zu deutlichen Produktivitätssteigerungen führten.<br />
Gleichzeitig konnten <strong>die</strong> Produktionskosten auf einen<br />
im weltweiten Vergleich äußerst niedrigen<br />
Stand gedrückt werden, so dass sie beträchtlich unter<br />
denen in der Europäischen Union und den Vereinigten<br />
Staaten lagen. Dies ist der Hauptgrund<br />
dafür, dass auf <strong>die</strong> Region mittlerweile 15 Prozent<br />
der weltweiten Baumwollexporte entfallen, ein Anteil,<br />
der nur von den Vereinigten Staaten <strong>über</strong>troffen<br />
wird.<br />
Eine Reihe von Exportländern, darunter China,<br />
<strong>die</strong> Europäische Union und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten,<br />
subventionieren ihre Baumwollproduzenten in ei-<br />
Quelle: ICCC 2002.<br />
schlechten Erfahrungen damit dürften erneute<br />
Ansätze in <strong>die</strong>ser Richtung wenig Unterstützung<br />
finden. Eine Fazilität für Notfälle könnte<br />
ein Versicherungselement in das Abkommen<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen für <strong>die</strong><br />
HIPC einbringen. Zusätzliche Hilfe könnte<br />
nach exogen verursachten Krisen wie einem<br />
plötzlichen Rückgang der Weltmarktpreise<br />
für <strong>die</strong> Exporte eines Landes geleistet werden.<br />
27 Außerdem sollte das WTO-Agrarabkommen<br />
dahingehend geändert werden, dass<br />
Entwicklungsländern keine Restriktionen bei<br />
der Finanzierung von Projekten zur Diversifizierung<br />
von Rohstoffexporten oder bei der Sicherung<br />
der Erzeugerpreise für arme Bauern<br />
auferlegt werden.<br />
Zwar wird der Nutzen der Handelsliberalisierungen<br />
der reichen Ländern für <strong>die</strong> armen<br />
nem hohen Maß. Im Jahr 2002 belief sich <strong>die</strong> direkte<br />
finanzielle Unterstützung auf schätzungsweise 73<br />
Prozent der gesamten Weltproduktion und lag damit<br />
beträchtlich höher als <strong>die</strong> vor fünf Jahren registrierten<br />
50 Prozent. Im Jahr 2001 verursachten <strong>die</strong>se<br />
Programme Kosten im Höhe von 4,9 Milliarden<br />
US-Dollar, wovon etwa <strong>die</strong> Hälfte von den Vereinigten<br />
Staaten und der größte Teil des Rests von der<br />
Europäischen Union und China getragen wurde. Einige<br />
<strong>die</strong>ser Länder leisten auch Unterstützung für<br />
Baumwollexporte.<br />
Diese Verzerrungen haben das Baumwollangebot<br />
auf den Weltmärkten künstlich ausgeweitet und<br />
den Preis gedrückt. Die größten Preisstürze ereigneten<br />
sich 2001/2002. Arme Exportländer wie <strong>die</strong><br />
Länder in West- und Zentralafrika waren am stärksten<br />
betroffen. Ihre nicht subventionierten Erzeuger<br />
müssen Baumwolle zu Preisen verkaufen, <strong>die</strong> kaum<br />
<strong>über</strong> den Produktionskosten liegen, was für sie ständig<br />
sinkende effektive Renditen bedeutet. Das International<br />
Cotton Consultative Committee und der<br />
Internationale Währungsfonds sind der Auffassung,<br />
dass der Abbau von einheimischen und Exportsubventionen<br />
für <strong>die</strong> Baumwollproduktion <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />
wieder auf ein kompetitives Niveau anheben<br />
würde. Dies würde <strong>die</strong> Einkommen armer<br />
Baumwollerzeuger steigern und <strong>die</strong>se Länder auf<br />
einen dauerhaften Wachstumspfad führen. Die<br />
Frage lautet: Werden <strong>die</strong> Verhandlungen zum Welthandel<br />
im Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganisation<br />
den Wettbewerbsvorteil der westafrikanischen<br />
Baumwollerzeuger berücksichtigen<br />
und würdigen?<br />
Länder unterschiedlich eingeschätzt, doch <strong>die</strong><br />
meisten Schätzungen gehen von enormen<br />
Vorteilen aus. Allein <strong>die</strong> statischen Effekte auf<br />
<strong>die</strong> derzeitige Wirtschaftsstruktur armer Länder<br />
würden etwa <strong>die</strong> Größenordnung der derzeitigen<br />
Auslandshilfe erreichen. Das bedeutet<br />
nicht, dass <strong>die</strong> Handelsliberalisierungen an <strong>die</strong><br />
Stelle der Entwicklungshilfe treten könnten<br />
oder sollten. Für <strong>die</strong> Länder mit hoher und<br />
höchster Priorität ist Entwicklungshilfe eine<br />
entscheidende Voraussetzung, um <strong>die</strong> strukturbedingten<br />
Beschränkungen zum Erreichen<br />
der Millenniums-Entwicklungsziele sofort angehen<br />
zu können. Für <strong>die</strong>se Länder wird es<br />
länger dauern, Handelsgewinne zu erzielen,<br />
weil sie zuerst <strong>die</strong> Kapazitäten schaffen müssen,<br />
um auf neue Chancen reagieren zu können.<br />
GRAFIK 8.7<br />
Die Argrarsubventionen<br />
der OECD sind deutlich<br />
höher als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />
(2001)<br />
311<br />
Milliarden<br />
US-$<br />
Argrarsubventionen<br />
an Erzeuger<br />
in OECD-<br />
Ländern<br />
52<br />
Milliarden<br />
US-$<br />
Entwicklungshilfe<br />
an alle Länder<br />
301<br />
Milliarden<br />
US-$<br />
OECD BIP von<br />
Afrika südlich<br />
der Sahara<br />
Quelle: OECD, Development Assistance<br />
Committee <strong>2003</strong>a; Indikatoren-Tabellen 12 und 15.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 197
Die Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />
Entwicklung, <strong>die</strong> Mais, Weizen, Reis, Zucker<br />
und andere Agrarmassengüter exportieren,<br />
verfügen auch <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kapazitäten, um Bekleidung,<br />
Schuhe und andere Industriegüter<br />
zu exportieren. Deshalb würden ihnen viele<br />
der Gewinne aus den Handelsliberalisierungen<br />
der reichen Ländern zufließen. Doch auch<br />
Länder mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />
würden davon profitieren, insbesondere<br />
Länder, <strong>die</strong> Agrarmassengüter wie Kaffee und<br />
Baumwolle exportieren.<br />
Die reichen Länder könnten durch den<br />
Handel <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung in vielen<br />
anderen Bereichen fördern. Sie könnten<br />
Bestimmungen des WTO-Abkommens <strong>über</strong><br />
<strong>die</strong> handelsbezogenen Aspekte der Rechte an<br />
geistigem Eigentum (Trade-Related Aspects<br />
of Intellectual Property Rights – TRIPS, siehe<br />
unten) umsetzen, <strong>die</strong> der öffentlichen Gesundheit<br />
förderlich sind. Sie könnten <strong>die</strong> soziale<br />
Grundversorgung aus der im Allgemeinen<br />
Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen<br />
(General Agreement on Trade in<br />
Services – GATS, siehe Kapitel 5) prinzipiell<br />
vorgesehenen progressiven Liberalisierung<br />
ausnehmen. Sie könnten auf viele weitere Anliegen<br />
der Entwicklungsländer in den Bereichen<br />
Handel, Umwelt, Investitionen und Personenbewegung<br />
eingehen. Und sie könnten<br />
<strong>die</strong> Möglichkeiten der Entwicklungsländer<br />
verbessern, an Entscheidungsprozessen in<br />
den WTO-Verhandlungen effektiv teilzunehmen.<br />
Die Erklärung von Doha von November<br />
2001 verpflichtete alle Länder, den Entwicklungsbedarf<br />
insbesondere der am wenigsten<br />
entwickelten Länder zu einem zentralen Ziel<br />
zukünftiger Verhandlungen zu Handelsfragen<br />
zu machen. 28 Im Gegensatz zu anderen Millenniums-Entwicklungszielen<br />
ist Ziel 8 nicht<br />
mit einer zeitlichen Zielvorgabe verknüpft. In<br />
<strong>die</strong>sem Bericht wird allerdings vorgeschlagen,<br />
dass reiche Länder auch eine zeitliche Grenze<br />
für <strong>die</strong> Abschaffung von Zöllen und Quoten<br />
auf Industriegüterexporte und für den Abbau<br />
eigener Agrarsubventionen beachten. Dies<br />
sollte vor 2015 geschehen, dem Zeitpunkt, zu<br />
dem <strong>die</strong> armen Länder <strong>die</strong> Ziele 1 bis 7 erreichen<br />
sollen.<br />
GLOBALE TECHNOLOGIEN – DIE FRÜCHTE<br />
DES GLOBALEN WISSENS MITEINANDER<br />
TEILEN<br />
In den letzten Jahrzehnten wurden beispiellose<br />
technische Fortschritte insbesondere auf<br />
den Gebieten der Medizin, der Landwirtschaft,<br />
der Energie, der Genomik sowie der<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
erzielt. Sie eröffnen riesige Chancen, <strong>die</strong><br />
technischen Errungenschaften für Entwicklung<br />
zu nutzen. Bereits bekannte technische<br />
Innovationen können viel dazu beitragen, <strong>die</strong><br />
Produktivität zu steigern und <strong>die</strong> Probleme im<br />
Zusammenhang mit Krankheiten, Wasserund<br />
Sanitärversorgung, Hygiene und Hunger<br />
anzugehen (siehe Kapitel 3 und 4). Aber viele<br />
weitere Grenzen müssen noch <strong>über</strong>schritten<br />
werden: erschwingliche Energieversorgung<br />
für arme Gemeinschaften, Heilmethoden für<br />
<strong>die</strong> Schlafkrankheit, Impfstoffe gegen<br />
HIV/AIDS und Reaktionen auf immer wieder<br />
neue Herausforderungen. Technische Innovationen<br />
könnten <strong>die</strong> Fortschritte in Richtung<br />
der Ziele 1 bis 7 beschleunigen.<br />
TECHNOLOGIEN UND MENSCHLICHE<br />
ENTWICKLUNG MITEINANDER VERKNÜPFEN<br />
– UND DAS GLOBALE WISSEN NUTZEN<br />
Technische Innovationen bringen <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />
Entwicklung auf zweierlei Weise voran:<br />
Sie steigern <strong>die</strong> Produktivität, <strong>die</strong> wiederum<br />
<strong>die</strong> Haushaltseinkommen steigen lässt (Ziel 1),<br />
und sie bieten Lösungen für Probleme im Zusammenhang<br />
mit Krankheiten, Verkehr, Energie,<br />
Wasser- und Sanitärversorgung sowie Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien<br />
im Bildungswesen. Die Lösung von Problemen<br />
in allen <strong>die</strong>sen Bereichen ist wichtig für<br />
das Erreichen der Ziele 2 bis 7.<br />
Investitionen in technische Innovationen<br />
ver<strong>die</strong>nen hohe Priorität, weil sie <strong>die</strong> Beschränkungen,<br />
<strong>die</strong> sich aus niedrigen Einkommen<br />
und schwachen Institutionen ergeben,<br />
<strong>über</strong>winden können. Obwohl in den 1980er<br />
Jahren in den meisten Ländern <strong>die</strong> Armut<br />
kaum zurückging und das wirtschaftliche<br />
Wachstum stagnierte, konnte <strong>die</strong> Zahl der<br />
Sterbefälle bei Kindern durch technische In-<br />
198 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
novationen – Impfungen und orale Rehydratationstherapie<br />
– gesenkt werden (Grafik 8.8).<br />
In der Landwirtschaft haben sich Investitionen<br />
in den Bereich Forschung und Entwicklung<br />
ebenfalls enorm ausgezahlt. Die Früchte<br />
des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts<br />
zu teilen ist eine der wichtigsten Möglichkeiten<br />
für reiche Länder, den armen Länder<br />
zu helfen <strong>die</strong> Armut zu bekämpfen.<br />
ZUWENIG INVESTITIONEN IN<br />
TECHNOLOGIEN ZUR ARMUTSBEKÄMPFUNG<br />
Trotz des enormen Potenzials der Biotechnologie<br />
und der jüngsten Fortschritte auf <strong>die</strong>sem<br />
Gebiet wird relativ wenig in Technologien zur<br />
Lösung von Armutsproblemen investiert. Im<br />
Bereich der Medizin beispielsweise registrierte<br />
<strong>die</strong> Kommission für Makroökonomie und Gesundheit<br />
(Commission for Macroeconomics<br />
and Health) der Weltgesundheitsorganisation<br />
„drastische Unterinvestitionen“ in Bezug auf<br />
Krankheiten, von denen <strong>die</strong> Armen am meisten<br />
betroffen sind. 29 Dazu zählen Tropenkrankheiten<br />
wie Kala-Azar, <strong>die</strong> Chagas-<br />
Krankheit und <strong>die</strong> Schlafkrankheit sowie <strong>die</strong><br />
wichtigsten Infektionskrankheiten mit Todesfolge<br />
(HIV/AIDS, Tuberkulose, Malaria).<br />
1999 entfielen elf Prozent der globalen Krankheitsbürde<br />
auf Tropenkrankheiten und Tuberkulose.<br />
Doch von den 1.393 Medikamenten,<br />
<strong>die</strong> zwischen 1975 und 1999 neu zugelassen<br />
wurden, wurden nur 16 – knapp <strong>über</strong> ein<br />
Prozent – speziell zur Behandlung <strong>die</strong>ser<br />
Krankheiten entwickelt. 30<br />
1990 kam <strong>die</strong> Kommission für Gesundheitsforschung<br />
zu Gunsten von Entwicklung<br />
(Commission on Health Research for Development)<br />
der Weltgesundheitsorganisation zu<br />
dem Ergebnis, dass sich lediglich zehn Prozent<br />
der Ausgaben für Gesundheitsforschung<br />
und Entwicklung auf <strong>die</strong> Gesundheitsprobleme<br />
von 90 Prozent der Weltbevölkerung beziehen.<br />
Daran hat sich nichts geändert. Das<br />
Ungleichgewicht zwischen dem gesellschaftlichen<br />
Bedarf und dem betriebenen wissenschaftlichen<br />
Aufwand kann erfasst werden,<br />
wenn man bewertet, in welchem Verhältnis<br />
<strong>die</strong> globale Krankheitsbürde zum Anteil der<br />
Ausgaben für eine Krankheit an den Gesamt-<br />
ausgaben steht. Für Malaria, eine Krankheit,<br />
der jedes Jahr mehr als eine Million Menschen<br />
zum Opfer fallen und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Produktivität<br />
weiterer Millionen Menschen schwächt, liegt<br />
<strong>die</strong>ses Verhältnis bei 20:1. Malaria ist mit 99<br />
Prozent der Fälle fast ausschließlich auf arme<br />
Länder konzentriert und bleibt in vielen <strong>die</strong>ser<br />
Länder <strong>die</strong> Haupttodesursache.<br />
Solche Ergebnisse sind nicht <strong>über</strong>raschend,<br />
wenn man betrachtet, was es an Anreizen<br />
gibt. 93 Prozent der globalen Ausgaben<br />
für Gesundheitsforschung und Entwicklung<br />
entfallen auf <strong>die</strong> pharmazeutische Industrie<br />
und <strong>die</strong> reichen Länder. 31 Arme Länder und<br />
<strong>die</strong> Krankheiten der Armen sind unter wirtschaftlichen<br />
Gesichtspunkten von geringer<br />
Bedeutung, weil <strong>die</strong> Entwicklungsländer weniger<br />
als zwei Prozent des Weltmarktes für<br />
wichtige pharmazeutische Produkte ausmachen.<br />
32 Infolgedessen haben <strong>die</strong> armen Länder<br />
nur dann am Nutzen globaler Forschungsinvestitionen<br />
teil, wenn ihre Bevölkerung von<br />
Krankheiten wie HIV/AIDS betroffen ist, <strong>die</strong><br />
auch in den reichen Ländern ein Problem darstellen.<br />
Selbst dann kann es geschehen, dass<br />
den armen Ländern <strong>die</strong> Ergebnisse solcher<br />
Forschungsaktivitäten auf Grund der hohen<br />
Preise nicht zugute kommen, <strong>die</strong> mit Hilfe von<br />
Patenten aufrechterhalten werden. Dies ist<br />
beispielsweise bei antiretroviralen Medikamenten<br />
gegen HIV/AIDS der Fall.<br />
Die Finanzierung der Entwicklung von<br />
Technologien mit öffentlichen Mitteln – sowohl<br />
aus in- als auch aus ausländischen Quellen<br />
– bleibt weiterhin auf niedrigem Niveau.<br />
Deshalb sind politische Handlungskonzepte<br />
nötig, um <strong>die</strong> Investitionen zu erhöhen und<br />
den Zugang zu verbessern. Im Gesundheitsbereich<br />
stehen dem gemeinsam von Weltgesundheitsorganisation,<br />
UNHDP und der<br />
Weltbank geleiteten Forschungsprogramm<br />
Tropenkrankheiten (Tropical Diseases Research<br />
Programme) etwa 30 Millionen US-<br />
Dollar jährlich für Forschungen zu acht Tropenkrankheiten<br />
zur Verfügung. Die Forschung<br />
und Entwicklung im Agrarbereich ist<br />
trotz hoher Renditen weiterhin unterfinanziert.<br />
Die Investitionen haben in Brasilien und<br />
Mexiko zu-, in Afrika dagegen abgenommen.<br />
Das führende globale Forschungsprogramm<br />
GRAFIK 8.8<br />
Die orale Rehydrationstherapie<br />
(ORT) senkt <strong>die</strong><br />
Kindersterblichkeit trotz<br />
Einkommenstagnation<br />
Einkommen<br />
(BIP pro Kopf in PPP US-Dollar)<br />
5.628 5.580<br />
Sterblichkeitsrate<br />
von<br />
Kindern unter fünf<br />
Jahren auf Grund von<br />
Durchfallerkrankungen<br />
(pro 100.000)<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 199<br />
274<br />
1983<br />
Einführung<br />
der ORT<br />
144<br />
1978–80 1988–90<br />
MEXIKO<br />
Quelle: Gutierrez et al. 1996.
für Kulturpflanzen, <strong>die</strong> Consultative Group<br />
on International Agricultural Research<br />
(CGIAR), hatte Probleme, Mittel im Umfang<br />
von 377 Millionen US-Dollar zu beschaffen.<br />
Währenddessen gab das Privatunternehmen<br />
Monsanto 600 Millionen US-Dollar für Forschung<br />
und Entwicklung aus.<br />
ZUGANG ZU TECHNOLOGIEN UND<br />
RECHTE DES GEISTIGEN EIGENTUMS<br />
Trotz ihrer Zusagen im TRIPS-Abkommen<br />
haben <strong>die</strong> reichen Länder keine ernsthaften<br />
Schritte unternommen, um ihre Technologien<br />
im Interesse der Armutsbekämpfung weiterzugeben.<br />
Das TRIPS-Abkommen enthält Bestimmungen<br />
zum Technologietransfer, <strong>die</strong> jedoch<br />
wenig detailliert sind und auf deren Umsetzung<br />
<strong>über</strong>haupt nicht eingegangen wird. Es<br />
bietet keinen Schutz des geistigen Eigentums<br />
an indigenem Wissen, wie es in der traditionellen<br />
Medizin zur Anwendung kommt. Intensiver<br />
Druck aus der Öffentlichkeit hat in einem<br />
publizitätsträchtigen Bereich – bei Medikamenten<br />
gegen HIV/AIDS – zu Sonderpreisvereinbarungen<br />
und Spenden von Unternehmen<br />
geführt, aber sonst wenig bewirkt.<br />
Durch das TRIPS-Abkommen wird ein<br />
globaler Mindeststandard zur Förderung von<br />
Erfindungen eingeführt. Ein Regelsystem zum<br />
geistigen Eigentums soll ein Gleichgewicht<br />
zwischen den beiden gesellschaftlichen Zielen<br />
der Förderung von Erfindungen und der Förderung<br />
der Nutzung von Erfindungen herstellen.<br />
Deshalb enthält das TRIPS-Abkommen<br />
Bestimmungen, <strong>die</strong> im Interesse der Nutzer<br />
sind, wie zum Beispiel Zwangslizenzierungen<br />
oder Parallelimporte. Diese Instrumente ermöglichen<br />
Regierungen, <strong>die</strong> einheimische<br />
Produktion oder den Import patentgeschützter<br />
Waren zu gestatten. Diese Bestimmungen<br />
sind jedoch so vage formuliert, dass sie schwierig<br />
anzuwenden sind. Ihre Klärung wäre daher<br />
ein erster Schritt.<br />
Die Erklärung von Doha aus dem Jahr<br />
2001 zu TRIPS und zur öffentlichen Gesundheit<br />
stellte einen Meilenstein dar. Darin wurde<br />
anerkannt, dass <strong>die</strong> Rechte an geistigem Eigentum<br />
öffentlichen Gesundheitsrisiken untergeordnet<br />
sind. Es wurde eindeutig erklärt,<br />
dass das TRIPS-Abkommen Mitgliedstaaten<br />
weder daran hindert noch daran hindern sollte,<br />
Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen<br />
Gesundheit zu ergreifen. In der Erklärung<br />
wurde explizit bekräftigt, dass <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong><br />
Flexibilität hätten, durch der Nutzung von<br />
Zwangslizenzen im Inland zu produzieren.<br />
Außerdem wurde in der Erklärung eine Frist<br />
bis Dezember 2002 gesetzt, um nach einer Lösung<br />
für Länder ohne ausreichende Produktionskapazitäten<br />
zu suchen. Die Verhandlungen<br />
scheiterten jedoch. Sie sollten dringend wiederaufgenommen<br />
werden.<br />
Die hohen Preise, <strong>die</strong> den Zugang zu lebensrettenden<br />
Medikamenten einschränken,<br />
sind zu einem wichtigen ethischen Streitpunkt<br />
geworden, den <strong>die</strong> Pharmaunternehmen nicht<br />
länger ignorieren. Preisdifferenzierungen –<br />
freiwillige Preissenkungen durch Pharmaunternehmen<br />
– haben sich zu einem wichtigen<br />
Mechanismus entwickelt, um den Zugang, insbesondere<br />
zu antiretroviralen Medikamenten<br />
gegen HIV/AIDS, zu erweitern. Die Erfahrungen<br />
haben jedoch gezeigt, dass Preissenkungen<br />
kein Allheilmittel sind. Zu <strong>die</strong>sem<br />
Schluss kam der Bericht der Britischen Arbeitsgruppe<br />
zur Verbesserung des Zugangs zu<br />
lebenswichtigen Medikamenten in Entwicklungsländern<br />
(UK Working Group on Increasing<br />
Access to Essential Medicines in<br />
the Developing World) vom November<br />
2002. Die Erfahrungen zeigen auch, dass angesichts<br />
mangelnder Konkurrenz durch Generika-Hersteller<br />
und ungenügender Interessenvertretung<br />
<strong>die</strong> Preissenkungen nur wenig bewirken.<br />
Das bekannteste System zur freiwilligen<br />
Preisstaffelung, <strong>die</strong> von den Vereinten<br />
Nationen finanzierte Accelerating Access Initiative,<br />
hat Medikamente an lediglich etwa<br />
30.000 Patienten ausgegeben – und zu Preisen,<br />
<strong>die</strong> mindestens viermal höher als <strong>die</strong> der<br />
im Handel erhältlichen Generika waren.<br />
Im krassen Gegensatz dazu steht das<br />
HIV/AIDS-Behandlungsprogramm Brasiliens,<br />
in dessen Rahmen mit Hilfe von Generika<br />
allein im Jahr 2001 mehr als 115.000 Patienten<br />
kostengünstig behandelt wurden. Durch das<br />
Programm konnten in Brasilien <strong>die</strong> Zahl der<br />
AIDS-Toten um <strong>die</strong> Hälfte und <strong>die</strong> verbreiteten<br />
opportunistischen Infektionen bei<br />
200 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
HIV/AIDS-Patienten um 60 bis 80 Prozent<br />
gesenkt werden. Geringere Kosten für <strong>die</strong> stationäre<br />
Behandlung und <strong>die</strong> medizinische<br />
Versorgung führten im Zeitraum von 1997 bis<br />
1999 zu Einsparungen von 422 Millionen US-<br />
Dollar. Diese deckten fast vollständig <strong>die</strong> Kosten<br />
für <strong>die</strong> Bereitstellung antiretroviraler Medikamente.<br />
Noch gar nicht berücksichtigt ist<br />
in <strong>die</strong>ser Zahl der wirtschaftliche Nutzen, der<br />
damit verbunden war, dass Patienten wieder<br />
in <strong>die</strong> Lage versetzt wurden, wirtschaftlich<br />
und gesellschaftlich aktiv zu sein. Länder mit<br />
geringeren Kapazitäten als Brasilien, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sem<br />
Beispiel nicht folgen können, könnten davon<br />
profitieren, Produkte aus Brasilien zu importieren<br />
– wenn eine Einigung zum TRIPS-<br />
Abkommen erzielt wird.<br />
Die Entwicklungsländer müssen eigene<br />
Kapazitäten zur Herstellung pharmazeutischer<br />
Produkte und anderer Technologieprodukte<br />
zur Förderung der öffentlichen Gesundheit<br />
und der Entwicklung schaffen. Diese<br />
Maxime gilt allerdings nicht für alle Entwicklungsländer<br />
– ausgenommen sind <strong>die</strong> ärmsten,<br />
kleinsten und <strong>die</strong>jenigen mit der niedrigsten<br />
<strong>menschliche</strong>n Entwicklung.<br />
WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />
Die Investitionen in Technologien mit dem<br />
Ziel, <strong>die</strong> Armut zu verringern und das Erreichen<br />
der Ziele zu erleichtern, müssen weltweit<br />
gesteigert werden, um <strong>die</strong> Bedarfslücke zu<br />
schließen. Die Forschung und Entwicklung<br />
zur Bekämpfung anhaltender Armutsprobleme<br />
muss wesentlich ambitionierter werden,<br />
beispielsweise in folgenden Bereichen:<br />
• trockenheits- und schädlingsresistente<br />
Hochertragssorten bei Kulturpflanzen wie<br />
Sorghum, Maniok und Linsen,<br />
• saubere Energien für Bewohner ländlicher<br />
Gebiete, <strong>die</strong> derzeit Holz und Dung als<br />
Brennstoffe verwenden,<br />
• erschwingliche batteriebetriebene, netzunabhängige<br />
Computer, <strong>die</strong> in ländlichen<br />
Gebieten ohne Strom- und Kommunikationsinfrastruktur<br />
Kommunikationsmöglichkeiten<br />
eröffnen,<br />
• Impfstoffe und Therapien für vernachlässigte<br />
Krankheiten wie <strong>die</strong> Schlafkrankheit.<br />
Diese Investitionen sind wichtig, um <strong>die</strong><br />
Ziele 1 bis 7 zu erreichen. Unter wirtschaftlichen<br />
Gesichtspunkten sind sie jedoch nicht lukrativ,<br />
weil Menschen, <strong>die</strong> von weniger als einem<br />
US-Dollar täglich <strong>über</strong>leben müssen, wenig<br />
für Arzneimittel ausgeben können. Weil<br />
sich für <strong>die</strong>se Investitionen keine privaten<br />
Geldgeber werden finden lassen, muss der öffentliche<br />
Sektor <strong>die</strong> Initiative ergreifen. Partnerschaften<br />
mit dem privaten Sektor sind jedoch<br />
nicht nur wünschenswert, sondern werden<br />
in einigen Bereichen unverzichtbar sein,<br />
weil <strong>die</strong> Privatwirtschaft <strong>über</strong> das benötigte<br />
Know-how und <strong>die</strong> Technologien verfügt.<br />
Technologien liefern Impulse für <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung. Indem <strong>die</strong> reichen<br />
Länder Zugang zu Technologien eröffnen, leisten<br />
sie einen wichtigen Beitrag zum Erreichen<br />
der Ziele. Dieser Öffnungsprozess hat sich jedoch<br />
insbesondere im industriellen Sektor<br />
wieder verlangsamt. Auf lange Sicht ist <strong>die</strong>s<br />
für alle Seiten schädlich. Viele Ökonomen vertreten<br />
heute den Standpunkt, dass der freie<br />
Wissensfluss das Wachstum für alle erleichtern<br />
kann, statt dass man versucht, sich durch<br />
<strong>die</strong> Einschränkung des Zugangs zu Technologien<br />
hohe Renditen zu sichern. Aus <strong>die</strong>sem<br />
Grund ist es entscheidend, dass <strong>die</strong> Verhandlungen<br />
zum TRIPS-Abkommen wieder aufgenommen<br />
und <strong>die</strong> darin enthaltenen Bestimmungen<br />
zum Technologietransfer operationalisiert<br />
werden.<br />
Reiche Länder können viel mehr tun, um<br />
den Zugang zu Technologien zu erweitern, indem<br />
sie <strong>die</strong> zentralen Hindernisse beseitigen:<br />
• fehlende Mittel für Investitionen in Forschung<br />
und Entwicklung,<br />
• unklare Gesetze zum geistigen Eigentum,<br />
• Einschränkungen der Preisdifferenzierung,<br />
• mangelnde nationale Technologiekapazitäten<br />
einschließlich lokaler Produktionskapazitäten.<br />
DIEIN DER MILLENNIUMS-ERKLÄRUNG<br />
GEMACHTEN ZUSAGEN EINHALTEN:<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN<br />
In den zwei Jahren seit der Millenniums-Erklärung<br />
hat sich im Bereich der Entwicklungs-<br />
Indem <strong>die</strong> reichen Länder<br />
Zugang zu Technologien<br />
eröffnen, leisten sie einen<br />
wichtigen Beitrag zum<br />
Erreichen der Ziele<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 201
TABELLE 8.4<br />
Verantwortlichkeiten der reichen Länder<br />
Schuldenerleichterungen<br />
Bilaterale<br />
Entwicklungshilfe<br />
Zusagen an<br />
Nettoauszahlungen den HIPC<br />
an öffentlicher Gebundene Trust Fund<br />
Entwicklungshilfe Entwicklungshilfe (in Mill.<br />
Erlassene<br />
bilaterale<br />
Durchschnittl.<br />
Zölle und<br />
nichttarifäre<br />
Warenimporte<br />
aus aus den am<br />
Entwicklungs- wenigsten entwickelten<br />
ländern Ländern<br />
Insgesamt (Anteil an den Ge- US-$) Schulden Hemmnisseb Insges. Anteil an Inges. Anteil an<br />
(Millionen Anteil samtauszahlungen Stand: (in Mill. (Zolläquivalente, (Mill. an den Gesamt- (Mill. den Gesamt-<br />
US-$) am BSP an Entwicklungs- November US-$) %) US-$) importen (%) US-$) importen (%)<br />
2001 2001 hilfe) a 2001 2002 1990–2002 2000 2001 2001 2001 2001<br />
hilfe mehr getan als im vergangenen Jahrzehnt.<br />
Es gibt Zusagen <strong>über</strong> eine Erhöhung<br />
der Entwicklungshilfe um 16 Milliarden US-<br />
Dollar bis 2006, Schuldenerleichterungen für<br />
26 Länder und eine Vereinbarung dahingehend,<br />
dass Rechte an geistigem Eigentum den<br />
Zugang zu Technologien zum Schutz der öffentlichen<br />
Gesundheit nicht behindern sollen.<br />
Diese Errungenschaften sind zwar wichtig,<br />
bleiben aber weit hinter den gemachten Versprechungen<br />
zurück. Selbst bei einer Erhöhung<br />
der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
um 16 Milliarden US-Dollar würden in Jahr<br />
2006 nur 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />
der Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />
erreicht – und nicht <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />
von 0,7 Prozent. Es hat nur wenige konkrete<br />
Aktivitäten im Hinblick auf <strong>die</strong> Öffnung<br />
der Märkte, Technologietransfers und Schul-<br />
Handel<br />
Australien 873 0,25 41 14 72 13,4 2.274 37,5 11 0,2<br />
Österreich 533 0,29 .. 44 202 21,8 616 9,4 16 0,3<br />
Belgien 867 0,37 10 45 544 22,1 2.275 12,7 254 1,4<br />
Kanada 1.533 0,22 68 114 1.207 12,7 3.558 16,1 35 0,2<br />
Dänemark 1.634 1,03 7 60 359 21,6 447 10,0 12 0,3<br />
Finnland 389 0,32 13 38 156 21,3 338 10,2 16 0,5<br />
Frankreich 4.198 0,32 33 181 13.043 21,4 5.112 17,4 236 0,8<br />
Deutschland 4.990 0,27 15 226 4.996 21,4 7.488 15,2 218 0,4<br />
Griechenland 202 0,17 83 11 .. 22,5 670 23,8 18 0,6<br />
Irland 287 0,33 .. 24 .. 22,9 700 13,6 17 0,3<br />
Italien 1.627 0,15 92 153 1.156 20,1 4.323 18,3 98 0,4<br />
Japan 9.847 0,23 19 200 3.908 34,8 20.582 58,9 110 0,3<br />
Luxemburg 141 0,82 .. 318 .. .. 28 2,6 1 0,1<br />
Niederlande 3.172 0,82 9 199 1.575 19,9 3.860 23,5 73 0,4<br />
Neuseeland 112 0,25 .. 29 .. 12,0 383 28,8 2 0,1<br />
Norwegen 1.346 0,83 1 300 237 61,1 405 12,3 12 0,4<br />
Portugal 268 0,25 42 27 460 20,5 556 c 13,9 c 29 c 0,7 c<br />
Spanien 1.737 0,30 31 44 980 21,3 3.373 21,8 136 0,9<br />
Schweden 1.666 0,81 14 189 121 20,5 580 9,8 10 0,2<br />
Schweiz 908 0,34 4 127 311 37,1 694 8,3 9 0,1<br />
Ver. Königreich 4.579 0,32 6 77 1.886 20,9 6.535 18,9 132 0,4<br />
Vereinigte Staaten 11.429 0,11 .. 40 8.062 9,7 54.798 46,4 982 0,8<br />
Anmerkung: Diese Tabelle zeigt Daten für Mitglieder des OECD-Entwicklungshilfeausschusses.<br />
a. Anteil der gebundenen und teilweise gebundenen Entwicklungshilfe an der Gesamt<strong>entwicklung</strong>shilfe ohne <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit. b. Dieses Maß ist eine zusammengesetzte Messgröße von<br />
Handelshemmnissen für Entwicklungsländer. Es misst nicht nur monetäre Hemmnisse – Zölle –, sondern auch nicht monetäre wie Quoten. Die Wirkung einheimischer Subventionen wird ebenfalls berücksichtigt.<br />
c. Die Daten beziehen sich auf das Jahr 2000.<br />
Quelle: Spalten 1 und 2: OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 3: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu gebundener<br />
und teilweise gebundener Entwicklungshilfe in OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 4: Geithner und Nankani 2002. Spalte 5: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu erlassenen Schulden in OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 6: Birdsall und Roodman <strong>2003</strong>. Spalten 7-10: UN <strong>2003</strong>a.<br />
denerleichterungen gegeben, so dass sie zu<br />
vielen Ländern nicht zugute kommen. Weil<br />
<strong>die</strong> Zusagen hinter dem Bedarf zurückbleiben,<br />
werden arme Länder weiterhin mit stagnierendem<br />
Wachstum, zunehmenden (und nicht<br />
tragbaren) Schulden und sinkenden Exportpreisen<br />
konfrontiert bleiben.<br />
Die reichen Länder sollten aufgefordert<br />
werden, Berichte <strong>über</strong> ihre Handlungsprioritäten<br />
vorzulegen und auf <strong>die</strong>se Weise zu einer<br />
globalen Strategie zur Armutsbekämpfung<br />
beizutragen. 33 Sie könnten darlegen, in<br />
welchen Bereichen sie mehr tun müssen, um<br />
ihre Zusagen einzuhalten. Beispielsweise sind<br />
Länder, <strong>die</strong> großzügig Entwicklungshilfe leisten,<br />
nicht immer offen für Importe aus Entwicklungsländern.<br />
Ein Beispiel ist Norwegen,<br />
das sich bemüht, <strong>die</strong> Entwicklungshilfezusagen<br />
einzuhalten, aber beim Marktzugang<br />
202 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
mehr tun könnte (Tabelle 8.4). Auch könnte<br />
der aktuelle Peer-Review-Prozess des Entwicklungsausschusses<br />
der OECD zur gegenseitigen<br />
Bewertung der Entwicklungshilfe auf<br />
<strong>die</strong> Bereiche Handel und Schuldenerleichterungen<br />
ausgedehnt werden, damit <strong>die</strong>se Politikbereiche<br />
in einem einheitlichen Rahmen geprüft<br />
werden können. Japan importiert mehr<br />
aus Entwicklungsländern als alle anderen reichen<br />
Länder (59 Prozent der Gesamtimporte),<br />
sein Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
am Bruttovolkseinkommen ist jedoch<br />
niedrig.<br />
Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts<br />
wurde ein zusammengesetzter Index<br />
konzipiert, der Index für Entwicklungsengagement<br />
(Commitment to Development Index<br />
– CDI), der <strong>die</strong> Bilanz reicher Länder bei<br />
der Umsetzung <strong>die</strong> Entwicklung fördernder<br />
politischer Maßnahmen beurteilt (Kasten<br />
8.10). Wie andere zusammengesetzte Indizes<br />
hilft <strong>die</strong>ser Index politischen Entscheidungsträgern<br />
– in <strong>die</strong>sem Fall in den reichen Ländern<br />
–, ihre Situation einzuschätzen und verbesserungswürdige<br />
Bereiche auszumachen. Er<br />
zeigt, wie ihre Bilanz im Vergleich zu anderen<br />
Ländern ausfällt, und zwar nicht nur bei der<br />
Entwicklungshilfe, sondern auch im Hinblick<br />
darauf, ob sie ihre Märkte vor Waren aus Entwicklungsländern<br />
schützen, und im Hinblick<br />
auf Investitionen, offene Grenzen für Migranten<br />
sowie Beiträge zur Friedenssicherung und<br />
zum globalen Umweltschutz. Der Index, der<br />
ein Ergebnis innovativer Forschungstätigkeit<br />
ist, soll nicht dazu <strong>die</strong>nen, Länder an den<br />
Pranger zu stellen, sondern dazu, Mängel zu<br />
diagnostizieren und Anregungen zu liefern,<br />
mehr zu tun.<br />
Wie bereits erwähnt ist Ziel 8 nicht mit<br />
zeitlichen und quantitativen Zielvorgaben verknüpft.<br />
Die reichen Länder können sich jedoch<br />
selbst Fristen für Zielvorgaben setzen,<br />
<strong>die</strong> sie erreichen wollen. Im Folgenden werden<br />
einige Fortschrittsindikatoren spezifiziert<br />
und Fristen in kritischen Bereichen vorgeschlagen:<br />
• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
zur Schließung von Finanzierungslücken<br />
– konservativ geschätzt um 50 Milliarden US-<br />
Dollar.<br />
• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />
für <strong>die</strong> am wenigsten entwickelten Länder.<br />
• Entwicklung konkreter Maßnahmen zur<br />
Umsetzung der Römischen Erklärung zur<br />
Harmonisierung.<br />
• Abbau von Zöllen und Quoten auf <strong>die</strong> von<br />
Entwicklungsländern exportierten Agrarprodukte,<br />
Textilien und Bekleidung.<br />
• Abbau von Subventionen für Agrarexporte.<br />
• Einigung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Einrichtung und <strong>die</strong> Finanzierung<br />
einer Fazilität für <strong>die</strong> HIPC zur<br />
Kompensierung von Mittelausfällen infolge<br />
externer Krisen, einschließlich eingebrochener<br />
Rohstoffpreise.<br />
• Finanzierung tiefgreifenderer Schuldenerleichterungen<br />
für <strong>die</strong> HIPC, <strong>die</strong> den Umsetzungszeitpunkt<br />
erreicht haben, um <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit<br />
sicherzustellen.<br />
• Verankerung des Schutzes und der Vergütung<br />
traditionellen Wissens im TRIPS-Abkommen.<br />
• Verständigung in der Frage, was Länder<br />
ohne ausreichende Produktionskapazitäten<br />
unter dem TRIPS-Abkommen zum Schutz der<br />
öffentlichen Gesundheit tun können.<br />
Die von den reichen Ländern bereits<br />
gemachten Zusagen zeigen, dass sich <strong>die</strong><br />
Welt verändert hat. Die Integration des<br />
Weltmarktes und <strong>die</strong> globalen technischen<br />
Fortschritte haben zugenommen. Das Gleiche<br />
gilt jedoch auch für <strong>die</strong> Gefährdung<br />
durch Krankheiten, <strong>die</strong> Kosten von Umweltschäden<br />
und <strong>die</strong> Risiken der globalen Ausbreitung<br />
von Finanzkrisen auf Grund hoher<br />
gegenseitiger Abhängigkeit. Um <strong>die</strong>se Probleme<br />
anzugehen, reicht es nicht aus, innerhalb<br />
der eigenen Grenzen aktiv zu werden.<br />
Im gegenseitigen Eigeninteresse müssen Partnerschaften<br />
eingegangen werden. Weil es<br />
eine ethische Pflicht ist, <strong>menschliche</strong>s Leiden<br />
auszumerzen, müssen <strong>die</strong> reichen Länder jedoch<br />
ebenfalls handeln. Für <strong>die</strong> reichen Länder<br />
ist <strong>die</strong> Einhaltung gemachter Zusagen<br />
keine Frage von Almosen, sondern von strategischer<br />
Politik – einer Politik, <strong>die</strong> Teil des<br />
einheitlichen Ansatzes der internationalen<br />
Gemeinschaft zur Beseitigung der Armut auf<br />
der Welt ist.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 203
KASTEN 8.10<br />
Der Index für Entwicklungsengagement<br />
(Commitment to Development Index – CDI)<br />
ist ein innovativer Versuch, zu <strong>über</strong>wachen,<br />
wie gut <strong>die</strong> reichen Länder ihre Verpflichtungen<br />
im Rahmen globaler Partnerschaften erfüllen.<br />
Das traditionelle Maß zur Beurteilung von<br />
Entwicklungshilfe ist das Volumen in US-<br />
Dollar. Der vom Center for Global Development<br />
und der Zeitschrift Foreign Policy entwickelte<br />
Index geht dar<strong>über</strong> hinaus und untersucht<br />
ein breiteres Spektrum von Dimensionen<br />
und politischen Handlungskonzepten. Dazu<br />
zählen sowohl <strong>die</strong> Qualität als auch der Umfang<br />
von Entwicklungshilfe, Handelshemmnisse,<br />
<strong>die</strong> Umwelt, Investitionen, Migration und<br />
Friedenssicherung.<br />
Die Entwicklung eines Indexes, der das<br />
vollständige Spektrum der politischen Maßnahmen<br />
berücksichtigt, <strong>die</strong> einen Einfluss auf<br />
arme Länder haben, ist genauso wichtig wie<br />
schwierig. Der CDI stellt einen bedeutenden<br />
ersten Schritt in dem Bemühen dar, <strong>die</strong> reichen<br />
Länder für <strong>die</strong> Erfüllung ihrer Verpflichtungen<br />
zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Reihe<br />
von Fragen bleibt jedoch offen:<br />
• Bewertung „guter“ politischer Maßnahmen.<br />
Der CDI wurde zur Bewertung eines<br />
konkreten Bündels politischer Maßnahmen<br />
konzipiert, von denen angenommen wird, dass<br />
sie zu besseren Entwicklungsergebnissen<br />
führen. Beispielsweise werden für Entwicklungshilfe<br />
an Länder mit guter Staats- und Regierungsführung<br />
mehr Punkte vergeben als für<br />
Entwicklungshilfe an Länder, in denen der Bedarf<br />
vielleicht größer ist. Ein anderes Beispiel<br />
sind ausländische Direktinvestitionen (ADI),<br />
<strong>die</strong> eine Komponente des Indexes bilden. Für<br />
sie wird beim CDI auf Grund fehlender Daten<br />
angenommen, dass sie unter allen Umständen<br />
positiv zu bewerten sind.<br />
• Gewichtung. Das vielleicht größte Problem<br />
bei jedem zusammengesetzten Index ist<br />
<strong>die</strong> Frage, welche Bedeutung den einzelnen Indikatoren<br />
beigemessen werden soll. Der CDI<br />
verwendet verschiedene Methoden in jedem<br />
Politikbereich. Im Gesamtindex werden jedoch<br />
alle sechs Komponenten gleich gewichtet.<br />
Dies ist zwar der einfachste Ansatz,<br />
schmälert jedoch <strong>die</strong> Bedeutung der Entwicklungshilfe<br />
und des Handels. Beide sind zweifellos<br />
wichtiger als beispielsweise Beiträge zur<br />
Friedenssicherung.<br />
• Schwächen der Messgrößen. Zwar sind<br />
Quelle: Birdsall und Roodman <strong>2003</strong>.<br />
Der Index für Entwicklungsengagement (CDI)<br />
alle sechs hier präsentierten Aspekte der politischen<br />
Maßnahmen der reichen Länder wichtig<br />
für <strong>die</strong> globale Entwicklung, doch einige<br />
davon sind schwierig zu messen. Migrationspolitische<br />
Maßnahmen, <strong>die</strong> zu Entwicklung<br />
beitragen, sind schwierig zu messen, weil es<br />
keinen klaren Konsens dar<strong>über</strong> gibt, was eine<br />
gute Migrationspolitik ausmacht, und Daten<br />
spärlich sind. Die Umwelt ist ebenfalls ein<br />
komplexes Gebiet mit einem Mangel an adäquaten<br />
Daten.<br />
• Komplexität. Der CDI wurde mit einem<br />
sehr konkreten Fokus auf politische Maßnahmen<br />
entwickelt, was in einer Vielzahl von Indikatoren<br />
und einem breiten Spektrum statistischer<br />
Methoden resultierte. Der Nachteil <strong>die</strong>ser<br />
Komplexität ist, dass außer für engagierte<br />
Forscher, <strong>die</strong> sich auf dem Gebiet auskennen,<br />
der Index ein „schwarzer Kasten“ bleibt: Die<br />
Ergebnisse sind klar, aber um verstehen zu<br />
können, wie sie zustande kommen, benötigt<br />
man Spezialwissen. Für Wähler, Nichtregierungsorganisationen,<br />
Journalisten und politische<br />
Entscheidungsträger – alle wichtige<br />
Adressaten – bleiben <strong>die</strong> daraus abzuleitenden<br />
Hinweise auf notwendige Veränderungen vielleicht<br />
unklar.<br />
• Benachteiligung großer Volkswirtschaften.<br />
Weil zentrale Komponenten des Indexes –<br />
<strong>die</strong> Beiträge zu Entwicklungshilfe, Friedenssicherung<br />
und ADI – als Anteil am Bruttosozialprodukt<br />
eines Landes gemessen werden, werden<br />
große Volkswirtschaften, <strong>die</strong> häufig hinsichtlich<br />
des Volumens <strong>die</strong> größten Beiträge<br />
leisten, schlechter bewertet. In der Tat haben<br />
<strong>die</strong> fünf führenden Länder Bevölkerungen von<br />
weniger als 20 Millionen Menschen.<br />
Manche Ergebnisse sind <strong>über</strong>raschend,<br />
was in einigen Fällen auf <strong>die</strong> oben erörterten<br />
Probleme zurückzuführen ist. Die Niederlande<br />
führen <strong>die</strong> Rangliste an und verweisen Dänemark,<br />
den unter den Ländern im Index bei<br />
weitem großzügigsten Geber öffentlicher Entwicklungshilfe,<br />
gemessen anhand des Anteils<br />
am Bruttosozialprodukt, auf den zweiten Platz.<br />
Dieses Ergebnis beruht vor allem auf der<br />
außerordentlich hohen Punktzahl der Niederlande<br />
bei den ADI, bei denen Dänemark sehr<br />
schlecht abschneidet. Dies zeigt <strong>die</strong> Probleme,<br />
<strong>die</strong> sich ergeben, wenn der Umfang der ADI<br />
als Kriterium für gute Politik verwendet wird:<br />
ADI sind ein Ergebnis, auf das <strong>die</strong> Struktur des<br />
privaten Sektors zweifellos einen größeren Ein-<br />
Zur Jahrhundertwende schien <strong>die</strong> Beseitigung<br />
der Armut in den Bereich des Möglichen<br />
gerückt zu sein. Der Kalte Krieg war be-<br />
fluss hat als <strong>die</strong> Politik der Regierung. Eine<br />
weitere Überraschung bietet Portugal auf dem<br />
dritten Platz, dem ebenfalls eine hohe Bewertung<br />
bei den ADI zugute kommt. Darauf folgen<br />
Neuseeland und <strong>die</strong> Schweiz auf dem vierten<br />
und fünften Platz – Länder, <strong>die</strong> sich wie<br />
Portugal nicht als große Geber öffentlicher<br />
Entwicklungshilfe profiliert haben. Dass <strong>die</strong><br />
Schweiz so gut abschneidet, illustriert <strong>die</strong> Probleme,<br />
<strong>die</strong> damit verbunden sind, alle Komponenten<br />
des Indexes gleich zu gewichten: Das<br />
Land schneidet bei den wichtigen Kategorien<br />
Handel und Entwicklungshilfe schlecht ab,<br />
aber gut bei Investitionen und Migration – Bereiche,<br />
<strong>die</strong> schwer zu messen und deren Auswirkungen<br />
umstritten sind.<br />
Finnland, Kanada, Australien, <strong>die</strong> Vereinigten<br />
Staaten und Japan erreichen <strong>die</strong><br />
schlechtesten Bewertungen. Die zwei größten<br />
Geber von Auslandshilfe in Dollar-Beträgen –<br />
<strong>die</strong> Vereinigten Staaten und Japan – rangieren<br />
weit unten. Die Bewertungen beider Länder<br />
fallen schlecht aus, weil ihre Entwicklungshilfe<br />
und ihre ADI absolut zwar einen enormen<br />
Umfang haben, im Verhältnis zur Größe ihrer<br />
Volkswirtschaften aber klein sind. Japan erhielt<br />
eine besonders niedrige Punktezahl bei<br />
den Beiträgen zur Friedenssicherung, weil verfassungsmäßige<br />
Hürden und Verpflichtungen<br />
das Land daran hindern, Truppen zur Friedenssicherung<br />
abzustellen. Auch <strong>die</strong>s veranschaulicht<br />
wiederum das Problem der Gewichtung:<br />
In wichtigen Bereichen wie Handel und<br />
Umwelt schneidet Japan im Vergleich besser<br />
ab. Die Vereinigten Staaten profitieren beim<br />
Gesamtergebnis von ihrer guten Bilanz im<br />
Handelssektor, zu der der offenere Agrarmarkt<br />
beiträgt, der nicht so stark subventioniert<br />
ist wie <strong>die</strong> Agrarmärkte in Europa.<br />
Das wichtigste Ergebnis des Indexes ist jedoch<br />
nicht <strong>die</strong> Rangfolge, sondern <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass selbst das führende Land nur knapp<br />
mehr als <strong>die</strong> Hälfte der möglichen Punkte erreicht.<br />
Alle Länder sind noch weit davon entfernt,<br />
armen Ländern wirklich bei der Entwicklung<br />
zu helfen.<br />
Die erste Ausgabe des CDI, der jährlich<br />
veröffentlicht werden soll, könnte <strong>die</strong> Debatte<br />
<strong>über</strong> <strong>die</strong> Entwicklungspolitik reicher Länder<br />
anheizen und zu Diskussionen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Fragen anregen, wie Entwicklungspolitik bewertet<br />
und <strong>die</strong> Datenlage verbessert werden<br />
kann.<br />
endet, und <strong>die</strong> Chancen dafür, dass sich alle<br />
Gesellschaften gemeinsamen Zielen verpflichten<br />
könnten, schienen in Reichweite.<br />
204 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>
Zum Zeitpunkt der Drucklegung <strong>die</strong>ses Berichts<br />
ist <strong>die</strong> Welt jedoch erneut mit globalen<br />
Problemen – vom Irak bis zur Ausbreitung<br />
neuer tödlicher Krankheiten – konfrontiert.<br />
Der globale wirtschaftliche Abschwung droht<br />
auch <strong>die</strong> Aktivitäten der reichen Länder<br />
zugunsten von Entwicklung zu untergraben,<br />
da ihre eigenen Volkswirtschaften zunehmend<br />
unter Druck geraten, Haushaltsdefizite<br />
zu verringern und ihre eigenen Handelsvorteile<br />
auszunutzen. Darum ist es um so dringender,<br />
dass alle Nationen ihre Versprechen<br />
einhalten. Die Überwachung der Fortschritte<br />
auf dem Weg zu Ziel 8, das <strong>die</strong> Pflichten der<br />
reichen Länder in der Partnerschaft für Entwicklung<br />
benennt, ist genauso wichtig wie <strong>die</strong><br />
Überwachung der Fortschritte bei den Zielen<br />
1 bis 7.<br />
HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 205