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bericht über die menschliche entwicklung 2003 - Human ...

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BERICHT ÜBER DIE<br />

MENSCHLICHE<br />

ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele:<br />

Ein Pakt zwischen Nationen<br />

zur Beseitigung <strong>menschliche</strong>r<br />

Armut<br />

VERÖFFENTLICHT FÜR DAS<br />

ENTWICKLUNGSPROGRAMM<br />

DER VEREINTEN NATIONEN<br />

(UNDP)<br />

DEUTSCHE GESELLSCHAFT<br />

FÜR DIE VEREINTEN NATIONEN e.V.<br />

BERLIN <strong>2003</strong>


Die Veröffentlichung einer deutschen Ausgabe des Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung war in <strong>die</strong>sem Jahr nur dank der Unterstützung<br />

durch <strong>die</strong> Deutsche Gesellschaft für <strong>die</strong> Vereinten Nationen e.V. und der finanziellen Förderung durch das Bundesministerium<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung möglich.<br />

DEUTSCHE GESELLSCHAFT<br />

FÜR DIE<br />

VEREINTEN NATIONEN e. V.<br />

Zimmerstraße 26/27<br />

D-10969 Berlin<br />

Telefon: (030) 259375-0<br />

Telefax: (030) 259375-29<br />

E-Mail: info@dgvn.de<br />

Internet: www.dgvn.de<br />

ISBN: 3-923904-54-1<br />

Originaltitel: <strong>Human</strong> Development Report <strong>2003</strong><br />

Copyright © <strong>2003</strong> United Nations Development Programme (UNDP)<br />

Umschlag und Design: Gerald Quinn, Quinn Information Design, Cabin John, Maryland<br />

Alle Rechte liegen beim Herausgeber. Ohne vorherige Genehmigung durch den Herausgeber dürfen keine Auszüge aus <strong>die</strong>ser Publikation<br />

angefertigt, reproduziert, archiviert oder <strong>über</strong>mittelt werden, auch nicht elektronisch, als Fotokopie, mechanisch oder mit anderen Mitteln.<br />

DEUTSCHE AUSGABE<br />

Übersetzung: Klaus Birker, Ahrweiler<br />

Angela Großmann, Bonn<br />

Christina Kamp, Bonn<br />

Gabriele Lassen-Mock, New York<br />

Redaktion: Marlene Klein, Ulrich Keller<br />

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für <strong>die</strong><br />

Vereinten Nationen e.V. (DGVN) Berlin © <strong>2003</strong><br />

Satz und Druck: Druckpartner Moser Druck + Verlag GmbH, Rheinbach<br />

Vertrieb und Verlag: UNO-Verlag<br />

Vertriebs- und Verlags-GmbH<br />

Am Hofgarten 10 · D-53113 Bonn<br />

Telefon: (0228) 94902-0 · Telefax: (0228) 94902-22<br />

E-Mail: info@uno-verlag.de<br />

Internet: www.uno-verlag.de


Kernteam<br />

Silva Bonacito, Emmanuel Boudard, Carla De Gregorio,<br />

Haishan Fu (Leitung Statistik), Claes Johansson, Christopher<br />

Kuonqui, Santosh Mehrotra, Tanni Mukhopadhyay, Omar<br />

Noman (Stellvertr. Direktor), Stefano Pettinato, David Stewart,<br />

Aisha Talib, Nena Terrell und Emily White<br />

Hauptberater<br />

Nancy Birdsall, Fernando Calderón, Isidoro P. David, Angus<br />

Deaton, Diane Elson, Richard Jolly, James Manor, Ann Pettifor,<br />

Sanjay Reddy und Frances Stewart<br />

Berater für Statistik: Tom Griffin<br />

Redaktion: Charis Gresser und Bruce Ross-Larson<br />

Design: Gerald Quinn<br />

TEAM FÜR DIE AUSARBEITUNG DES<br />

Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung <strong>2003</strong><br />

Direktorin und leitende Herausgeberin<br />

Sakiko Fukuda-Parr<br />

Sonderberaterin Gastautor und -herausgeber<br />

Nancy Birdsall Jeffrey Sachs<br />

Das Autorenteam konnte sich auf <strong>die</strong> enge Zusammenarbeit<br />

mit dem Team des Millennium-Projekts stützen<br />

John McArthur (Manager), Chandrika Bahadur, Michael Faye,<br />

Margaret Kruk, Guido Schmidt-Traub und Thomas Snow<br />

Arbeitsgruppe für das Millenniums-Projekt:<br />

Koordination und Hauptbeiträge<br />

Jhoney Barcarolo, Nancy Birdsall, Kwesi Botchwey,<br />

Mushtaque Chowdhury, Prarthna Dayal, Lynn Freedman,<br />

Pietro Garau, Caren Grown, Amina Ibrahim, Calestous Juma,<br />

Yolanda Kakabadse Navarro, Alec Irwin, Zahia Khan, Jim<br />

Kim, Yee-Cheong Lee, Roberto Lenton, Ruth Levine, Don<br />

Melnick, Patrick Messerlin, Eva Ombaka, Joan Paluzzi, Mari<br />

Pangestu, Geeta Rao Gupta, Allan Rosenfield, Josh Ruxin,<br />

Pedro Sanchez, Sara Scherr, Elliott Sclar, Burton Singer, Smita<br />

Srinivas, M.S. Swaminathan, Paulo Teixeira, Awash<br />

Teklahaimanot, Ron Waldman, Paul Wilson, Meg Wirth,<br />

Albert Wright und Ernesto Zedillo


Vorwort<br />

In <strong>die</strong>sem Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

geht es um eine ganz einfache Idee, deren Zeit<br />

nun gekommen ist: <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

Diese acht Ziele, <strong>die</strong> von der Halbierung der<br />

extremen Armut <strong>über</strong> <strong>die</strong> Eindämmung von<br />

HIV/AIDS bis zur Sicherung des Grundschulbesuchs<br />

aller Jungen und Mädchen auf der ganzen<br />

Welt bis zum Jahr 2015 reichen, gingen aus der historischen<br />

Millenniums-Erklärung hervor, <strong>die</strong> im<br />

September 2000 auf dem Millenniums-Gipfel der<br />

Vereinten Nationen von 189 Ländern verabschiedet<br />

wurde. Und sie sind im Begriff, <strong>die</strong> Entwicklung<br />

zu verändern. Regierungen, Hilfsorganisationen<br />

und Organisationen der Zivilgesellschaft <strong>über</strong>all<br />

auf der Welt richten ihre jeweilige Arbeit auf <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele neu aus.<br />

Aber trotz <strong>die</strong>ser begrüßenswerten Grundsatzverpflichtung<br />

auf <strong>die</strong> Verminderung der Armut<br />

und auf Fortschritte in anderen Bereichen der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung ist <strong>die</strong> Welt mit der<br />

praktischen Umsetzung bereits im Rückstand, wie<br />

<strong>die</strong>ser Bericht ganz deutlich zeigt. Bei einigen Zielen<br />

sind wir global gesehen weitgehend auf Kurs.<br />

Aber eine Aufschlüsselung der Fortschritte nach<br />

Regionen und Ländern und auch innerhalb von<br />

Ländern macht deutlich, dass noch ein gewaltiger<br />

Berg an Arbeit vor uns liegt. Über 50 Staaten sind<br />

im letzten Jahrzehnt ärmer geworden. Viele von ihnen<br />

erleben einen drastischen Rückgang der Lebenserwartung,<br />

verursacht durch HIV/AIDS. Einige<br />

der Staaten mit den schlechtesten Ergebnissen –<br />

häufig solche, in denen Konflikte herrschen – verzeichnen<br />

einen Rückgang des Schulbesuchs und<br />

des Zugangs zur gesundheitlichen Grundversorgung.<br />

Und fast <strong>über</strong>all nehmen Umweltschäden zu.<br />

Im Hauptteil <strong>die</strong>ses Berichts geht es darum,<br />

festzustellen, wo <strong>die</strong> größten Probleme liegen; zu<br />

analysieren, was getan werden muss, um <strong>die</strong>se<br />

Rückschläge wieder wettzumachen, und konkrete<br />

Verschläge dafür anzubieten, wie <strong>die</strong> Fortschritte<br />

<strong>über</strong>all beschleunigt werden können, um alle Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu verwirklichen. Dabei<br />

liefert er ein <strong>über</strong>zeugendes Argument dafür,<br />

warum selbst in den ärmsten Ländern noch Hoffnung<br />

besteht, dass <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können.<br />

Aber auch wenn <strong>die</strong> Ziele einen neuen Rahmen<br />

für <strong>die</strong> Entwicklung schaffen, der Ergebnisse<br />

einfordert und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht erhöht,<br />

sind sie doch kein programmatisches Instrument.<br />

Der politische Wille und <strong>die</strong> guten politischen<br />

Ideen, <strong>die</strong> jeden Versuch der Verwirklichung der<br />

Entwicklungsziele untermauern, können nur dann<br />

etwas bewirken, wenn sie in eine von jedem Staat<br />

selbst getragene und gesteuerte Entwicklungsstrategie<br />

umgesetzt werden, <strong>die</strong> auf einer soliden wissenschaftlichen<br />

Grundlage steht und sich an den<br />

Leitlinien einer guten Wirtschaftsführung sowie einer<br />

transparenten, rechenschaftspflichtigen Regierungs-<br />

und Verwaltungsführung orientiert.<br />

Deshalb schlägt <strong>die</strong>ser Bericht einen Millenniums-Entwicklungspakt<br />

vor. Aufbauend auf der<br />

Verpflichtung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Führer der Welt im Jahr<br />

2002 auf der Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />

in Monterrey (Mexiko) eingegangen sind,<br />

"eine neue Partnerschaft zwischen entwickelten<br />

und Entwicklungsländern" zu schaffen, <strong>die</strong> klar auf<br />

<strong>die</strong> Umsetzung der Millenniums-Erklärung ausgerichtet<br />

ist, bietet <strong>die</strong>ser Pakt einen breiten Rahmen<br />

dafür, nationale Entwicklungsstrategien und internationale<br />

Unterstützung durch Geber, internationale<br />

Organisationen und andere besser auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

auszurichten und dem<br />

Ausmaß ihrer Herausforderungen anzupassen.<br />

Auch weist der Pakt ganz deutlich beiden Seiten<br />

Verantwortung zu: indem er von den armen Ländern<br />

kühne Reformen verlangt und indem er <strong>die</strong><br />

Geberländer dazu verpflichtet, sich klar zur Unterstützung<br />

<strong>die</strong>ser Anstrengungen zu bekennen.<br />

Das Ziel dabei ist nicht, eine weitere neue Vision<br />

oder ein Universalrezept für <strong>die</strong> Probleme der<br />

Entwicklungsländer vorzuschlagen; davon sind in<br />

V


VI<br />

den letzten fünfzig Jahren schon viel zu viele auf<br />

der Strecke geblieben. Der Pakt versucht vielmehr,<br />

Schlüsselbereiche für Interventionen aufzuzeigen –<br />

von demokratischer Staatsführung <strong>über</strong> wirtschaftliche<br />

Stabilität bis zu Maßnahmen im Gesundheitsund<br />

Bildungsbereich, an denen sich <strong>die</strong> nationalen<br />

Anstrengungen und <strong>die</strong> internationale Unterstützung<br />

für <strong>die</strong> Ziele orientieren können. In Ländern<br />

mit mittlerem Einkommen sollten <strong>die</strong>se in den regulären<br />

Haushaltsprozess und in <strong>die</strong> langfristigen<br />

Entwicklungsstrategien eingebunden werden. In<br />

den ärmsten Ländern sind <strong>die</strong> Strategiedokumente<br />

zur Armutsbekämpfung wahrscheinlich <strong>die</strong> am besten<br />

geeigneten Instrumente. Es geht nicht darum,<br />

etwas Neues einzuführen oder <strong>über</strong>lasteten Regierungen<br />

noch eine weitere Last aufzubürden. Es<br />

werden vielmehr konkrete Ideen angeboten, wie sichergestellt<br />

werden kann, dass den schönen Worten<br />

der Millenniums-Erklärung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armut<br />

ganz oben auf <strong>die</strong> globale Agenda setzte, reale, von<br />

den Ländern selbst getragene Aktionspläne folgen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Worte in <strong>die</strong> Wirklichkeit umsetzen.<br />

Für einen solchen Ansatz gibt es durchaus gute<br />

technokratische Gründe. Wie <strong>die</strong>ser Bericht deutlich<br />

macht, unterstützen <strong>die</strong> Ziele nicht nur <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung, sie sind auch mit der<br />

entsprechenden Politik und ausreichenden Ressourcen<br />

zu verwirklichen. Aber <strong>die</strong> eigentliche<br />

Macht der Millenniums-Entwicklungsziele liegt im<br />

politischen Bereich. Sie sind <strong>die</strong> erste globale Entwicklungsvision,<br />

bei der eine globale politische Unterstützung<br />

mit einer klaren Ausrichtung auf <strong>die</strong><br />

Armen der Welt und auf <strong>die</strong> Mittel, sich für sie zu<br />

engagieren, verbunden wird.<br />

Arme Menschen sorgen sich um ihr Einkommensniveau.<br />

Arme Menschen sorgen sich darum,<br />

ob ihre Kinder zur Schule gehen können oder<br />

nicht. Arme Menschen sorgen sich darum, ob ihre<br />

Töchter beim Bildungszugang diskriminiert werden.<br />

Arme Menschen machen sich große Sorgen<br />

<strong>über</strong> Pandemien und Infektionskrankheiten wie<br />

HIV/AIDS, <strong>die</strong> im heutigen Afrika <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

dezimieren. Und arme Menschen sorgen sich<br />

sehr um ihre Umwelt und darum, ob sie Zugang zu<br />

sauberem Wasser und Sanitärversorgung haben.<br />

Heute, in einer Ära der sich <strong>über</strong>all in der Entwicklungswelt<br />

ausbreitenden Demokratie, können <strong>die</strong><br />

Armen endlich mehr tun als sich nur sorgen.<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele sind in einem<br />

sehr realen Sinn ein Entwicklungsmanifest für<br />

<strong>die</strong> normalen Bürger der ganzen Welt: mit Fristen<br />

versehene, messbare, sozusagen im Taschenformat<br />

vorliegende Ziele, <strong>die</strong> sie unmittelbar verstehen<br />

können. Noch wichtiger ist jedoch, dass <strong>die</strong>se Bürger<br />

– wenn sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> entsprechenden Daten verfügen<br />

– von ihrer eigenen Regierung und der internationalen<br />

Gemeinschaft Rechenschaft <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Verwirklichung der Ziele verlangen können.<br />

Dies ist wichtig: Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

konzentriert sich hauptsächlich auf <strong>die</strong><br />

ersten sieben Ziele und ihre Anwendung auf <strong>die</strong><br />

Entwicklungsländer. Ohne an <strong>die</strong>ser Stelle zu <strong>über</strong>treiben,<br />

hängt jedoch der Erfolg oder Fehlschlag<br />

der neuen globalen Partnerschaft, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Welt dabei<br />

ist aufzubauen, von der Erreichung des achten<br />

Ziels ab. Dieses Ziel enthält <strong>die</strong> Verpflichtung der<br />

reichen Länder, den ärmeren zu helfen, <strong>die</strong> in gutem<br />

Glauben wirtschaftliche, politische und soziale<br />

Reformen unternehmen.<br />

Eine der entscheidenden Schlussfolgerungen<br />

<strong>die</strong>ses Berichts lautet, dass <strong>die</strong> Neuaufteilung und<br />

breitere Mobilisierung innerstaatlicher Ressourcen<br />

für <strong>die</strong> mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

zusammenhängenden Zielvorgaben, wie <strong>die</strong> Stärkung<br />

der Staats- und Regierungsführung und Institutionen<br />

sowie <strong>die</strong> Verfolgung einer soliden Sozialund<br />

Wirtschaftspolitik, zwar durchaus für <strong>die</strong> Erreichung<br />

der Ziele notwendig sind, dass all <strong>die</strong>s jedoch<br />

bei weitem nicht ausreicht. Der Bericht enthält<br />

zahlreiche Beispiele von Ländern, <strong>die</strong> vorbildliche<br />

Reformen durchführen, aber dennoch bisher<br />

kein starkes Wachstum erzielen konnten, weil geografische<br />

Isolierung, schwierige Umweltbedingungen<br />

oder andere Nachteile bedeuten, dass sie von<br />

langfristiger Unterstützung aus dem Ausland, weit<br />

<strong>über</strong> das gegenwärtige Niveau hinaus, abhängig<br />

sind, um ihre Entwicklung voranzubringen.<br />

Längerfristige Initiativen zur Halbierung des<br />

Hungers und der Armut werden scheitern, wenn es<br />

nicht zu einer grundlegenden Umstrukturierung<br />

des globalen Handelssystems kommt, vor allem in<br />

der Landwirtschaft. Dazu gehört, dass <strong>die</strong> reichen<br />

Länder Subventionen abbauen, Zölle senken und<br />

gleiche Ausgangsbedingungen für alle schaffen.<br />

Der Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und andere<br />

Krankheiten kann ohne eine wirksame Versorgung<br />

der armen Länder mit erschwinglichen, lebensnotwendigen<br />

Medikamenten nicht gewonnen werden.<br />

Eine stabile, langfristige Haushaltsplanung ist für<br />

einige der ärmsten Länder unmöglich ohne einen


systematischeren, dauerhaften Schuldenabbau.<br />

Und schließlich und endlich ist es wichtig, sich daran<br />

zu erinnern, dass <strong>die</strong> anvisierten zusätzlichen 50<br />

Milliarden Dollar jährlich an Entwicklungshilfe zur<br />

Erreichung der Ziele ein Minimum sind und von<br />

der Annahme ausgehen, dass eine groß angelegte<br />

Neuverteilung der innerstaatlichen Ressourcen und<br />

anderer Finanzquellen erreicht und der Zugang zu<br />

ihnen verbessert wird.<br />

Wenn <strong>die</strong> grundlegende Vision der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

als Mittel für <strong>die</strong> bessere<br />

Bewältigung der Globalisierung im Namen der Armen<br />

verwirklicht werden soll, dann müssen <strong>die</strong> Ziele<br />

als ein Gesamtpaket gesehen werden. Es ist ein<br />

Paket, das ungeahnte Aussichten für <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung auf der ganzen<br />

Welt eröffnet und ein Versprechen enthält, dessen<br />

Einhaltung jedes Land der Welt bereits zugesagt<br />

hat. Die Herausforderung besteht nun darin, <strong>die</strong><br />

Länder zur Erfüllung <strong>die</strong>ses Versprechens anzuhalten<br />

und ihnen bei der Erreichung der Ziele behilflich<br />

zu sein.<br />

Jeder Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

ist ein Gemeinschaftswerk, das sich auf <strong>die</strong><br />

Hilfe und das Fachwissen nicht nur eines engagierten<br />

Kernteams, sondern eines breiten Kreises von<br />

Freunden und Beratern stützt. In <strong>die</strong>sem Jahr war<br />

<strong>die</strong>ser Personenkreis noch umfangreicher als sonst,<br />

denn das Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />

Nationen (United Nations Development Programme<br />

– UNDP) konnte sich auf <strong>die</strong> Vorarbeiten<br />

für das Millenniums-Projekt der Vereinten Nationen<br />

stützten, ein Netzwerk von <strong>über</strong> 300 Politikern,<br />

Praktikern und Experten aus der ganzen<br />

Welt, <strong>die</strong> ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Energie in<br />

ein auf drei Jahre angelegtes Projekt einbringen,<br />

um vielversprechende neue Strategien auszuarbeiten,<br />

<strong>die</strong> den Ländern helfen sollen, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen.<br />

Wie <strong>die</strong> früheren Berichte ist auch <strong>die</strong>ser eine<br />

unabhängige Analyse, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Debatte <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung voranbringen will, und<br />

nicht eine formelle Darstellung der Politik der Vereinten<br />

Nationen oder des UNDP. Dessen ungeachtet<br />

sind wir der Meinung, dass der Bericht, der <strong>die</strong><br />

zentralen Entwicklungshindernisse und –chancen<br />

der nächsten Dekade umreißt, mithilft, eine ehrgeizige<br />

Agenda für das UNDP und unsere Entwicklungspartner<br />

für <strong>die</strong> vor uns liegenden Monate und<br />

Jahre aufzustellen.<br />

Mark Malloch Brown<br />

UNDP-Administrator<br />

Die Analysen und politischen Empfehlungen <strong>die</strong>ses Berichts geben nicht unbedingt <strong>die</strong> Ansichten des Entwicklungsprogramms der<br />

Vereinten Nationen, seines Exekutivrats oder seiner Mitgliedstaaten wieder. Der Bericht ist eine unabhängige Publikation im Auftrag<br />

des UNDP. Er ist das Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen einem Team hervorragender Berater und dem Team des<br />

Berichts <strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung. Sie wurde geleitet von Sakiko Fukuda-Parr, der Direktorin des UNDP-Büros für den Bericht<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />

VII


Danksagungen<br />

Dieser Bericht wäre ohne <strong>die</strong> großzügigen<br />

Beiträge vieler Personen und Organisationen<br />

nicht möglich gewesen.<br />

Das Team ist besonders dankbar für <strong>die</strong><br />

enge Zusammenarbeit mit der Millenniums-<br />

Kampagne unter der Leitung von Eveline<br />

Herfkens, dem von Jeffrey Sachs geleiteten<br />

Millenniums-Projekt und der Initiative für<br />

Länder<strong>bericht</strong>e zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

(MEZ), <strong>die</strong> unter der Leitung von<br />

Jan Vandemoortele steht.<br />

BEITRÄGE<br />

Die für den Bericht in Auftrag gegebenen Hintergrundstu<strong>die</strong>n<br />

wurden erstellt von Nancy<br />

Birdsall und Michael Clemens, Fernando<br />

Caldéron und Christopher Pinc, Isidoro P.<br />

David, Angus Deaton, Richard Jolly, James<br />

Manor, Ann Pettifor und Romilly Greenhill,<br />

Sanjay Reddy und Camelia Miniou, und Frances<br />

Stewart.<br />

Zu ausgewählten Themen wurden<br />

Länderstu<strong>die</strong>n für den Bericht in Auftrag gegeben.<br />

Sie wurden erstellt von Halis Akder,<br />

Gustavo Arriola, Prosper Backiny-Yetna,<br />

Nirupam Bajpay, Edgar Balsells, Shuming<br />

Bao, Siaka Coulibaly, Michael Faye, Juan<br />

Alberto Fuentes, Ricardo Fuentes, Carlos<br />

Alonso Malaver, John McArthur, Rosane<br />

Mendonça, Solita T. Monsod, Toby T.<br />

Monsod, Andrés Montes, Marc Raffinot,<br />

Lucía Mina Rosero, Jeffrey Sachs, Alfredo<br />

Sarmiento, Thomas Snow, Irena Topinska,<br />

Sandra Álvarez Toro, Wing Woo und Natalia<br />

Zubarevich.<br />

Der Bericht konnte auch auf <strong>die</strong> Forschungsergebnisse<br />

der Arbeitsgruppenmitglieder<br />

des Millenniums-Projektes zurückgreifen,<br />

<strong>die</strong> unter http://www.unmillennium-<br />

project.org/html/task_force.shtm zu finden<br />

sind.<br />

Die Gruppe für Ökologisch nachhaltige<br />

Entwicklung des UNDP-Büros für Entwicklungspolitik<br />

lieferte Sonderbeiträge zum Umweltkapitel,<br />

insbesondere Peter Hazelwood,<br />

Susan McDade, Charles McNeill, Alvaro Umana<br />

und Jake Werksman, zusammen mit Redakteurin<br />

Karen Holmes.<br />

Verschiedene Organisationen haben in<br />

großzügiger Weise ihre Datenreihen und anderes<br />

Forschungsmaterial zur Verfügung gestellt:<br />

Carbon Dioxide Information Analysis<br />

Center, Center for International Comparisons<br />

(Universität von Pennsylvania), Ernährungsund<br />

Landwirtschaftsorganisation, Internationales<br />

Institut für strategische Stu<strong>die</strong>n, Interparlamentarische<br />

Union, Internationale Arbeitsorganisation,<br />

Internationale Fernmeldeunion,<br />

Gemeinsames HIV/AIDS-Programm<br />

der Vereinten Nationen, Luxembourg<br />

Income Study, Organisation für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung, Statistics<br />

Canada, Internationales Friedensforschungsinstitut<br />

Stockholm, Sektion Verträge<br />

des Bereichs Rechtsangelegenheiten der Vereinten<br />

Nationen, Kinderhilfswerk der Vereinten<br />

Nationen, Handels- und Entwicklungskonferenz<br />

der Vereinten Nationen, Hauptabteilung<br />

der Vereinten Nationen für wirtschaftliche<br />

und soziale Angelegenheiten, Institut für<br />

Statistik der Organisation der Vereinten Nationen<br />

für Bildung, Wissenschaft und Kultur,<br />

Umweltprogramm der Vereinten Nationen,<br />

Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für<br />

Menschenrechte, Hoher Flüchtlingskommissar<br />

der Vereinten Nationen, Programm der<br />

Vereinten Nationen für <strong>menschliche</strong> Siedlungen,<br />

Interregionales Forschungsinstitut der<br />

Vereinten Nationen für Kriminalität und<br />

IX


X<br />

Rechtspflege, Bevölkerungsabteilung der Vereinten<br />

Nationen, Bevölkerungsfonds der Vereinten<br />

Nationen, Statistikabteilung der Vereinten<br />

Nationen, Weltbank, Weltgesundheitsorganisation,<br />

Weltorganisation für geistiges<br />

Eigentum und Welthandelsorganisation.<br />

Im zweiten Kapitel konnte auf <strong>die</strong> Länderkarten<br />

des Center for International Earth<br />

Science Information Network (CIESIN)<br />

zurückgegriffen werden. Besonders auf <strong>die</strong><br />

Arbeit von Deborah Balk, Gregory Booma,<br />

Melanie Brickman und Marc Levy.<br />

BERATUNGSGREMIEN<br />

Eine wichtige Unterstützung bei der Erstellung<br />

des Berichts war <strong>die</strong> intellektuelle Hilfestellung<br />

und Beratung durch eine externes<br />

Gremium namhafter Experten. Dazu gehörten<br />

Sudhir Anand, Per Pinstrup Anderson,<br />

Peggy Antrobus, Roberto Bissio, Shahid Javed<br />

Burki, Angus Deaton, Geoffrey Heal, Ellen<br />

t’Hoen, Danuta Hübner, Nicolas Imboden,<br />

Richard Jolly, K.S. Jomo, Stephen Lewis, Nora<br />

Lustig, James Manor, Solita Monsod, Emmanuel<br />

Tumisimi Mutebile, Ann Pettifor, Surin<br />

Pitsuwan, Jorge F. Quiroga, Steve Radelet,<br />

Gustav Ranis, Kate Raworth, Sanjay Reddy,<br />

Mary Robinson, Iyer Saradha, Arjun Sengupta,<br />

George Soros, Frances Stewart, Joseph<br />

Stiglitz, Paul Streeten, Miguel Szekely, Robert<br />

Wade und Ngaire Woods. An einem Beratungsgremium<br />

für Statistik wirkten mit: Sudhir<br />

Anand, Paul Cheung, Willem DeVries, Lamine<br />

Diop, Carmen Feijo, Andrew Flatt, Paolo<br />

Garonna, Robert Johnston, Irena Krizman,<br />

Nora Lustig, Ian Macre<strong>die</strong>, Marion McEwin,<br />

Wolf Scott, Tim Smeeding und Michael Ward.<br />

KONSULTATIONEN<br />

Viele Personen, <strong>die</strong> während der Ausarbeitung<br />

des Berichts konsultiert wurden, lieferten<br />

wertvolle Hinweise, Informationen und Materialien.<br />

Das Team dankt Carla Abouzahr, Masood<br />

Ahmed, Claude Akpabie, Diana Alkaron,<br />

Sahin Alpay, Philip Alston, Brian Ames,<br />

Shaida Ba<strong>die</strong>e, Christian Barry, Grace Bediako,<br />

Misha Belkindas, Julia Benn, Anna Betran,<br />

Surjit Bhalla, Yonas Biru, Ties Boerma, Virgi-<br />

nia Braunstein, Heinrich Brüngger, Edelisa<br />

Carandang, Gabriella Carolini, Marion Cheatle,<br />

Nicholas Chipperfield, David Cieslikowski,<br />

Patrick Cornu, Andrew Creese, Gloria Cuaycong,<br />

Sufian Daghra, Alberto Pedro D'Alotto,<br />

Shantayanan Devarajan, Volodymyr Demkine,<br />

Michael Doyle, Elizabeth Drake, Jean Drèze,<br />

Marta Gacic-Dobo, Graham Eele, Simon Ellis,<br />

Kareen Fabre, Neil Fantom, Shahrokh Fardoust,<br />

Kayode Fayemi, Karen Fogg, Phillip<br />

Fox, Gourishankar Ghosh, Alexandre Goubarev,<br />

Stefanie Grant, Isabelle Guillet, Emmanuel<br />

Guindon, Messaoud Hammouya, Sufian<br />

Abu Harb, Ines Havet, Eveline Herfkens,<br />

Harvey Herr, Nadia Hijab, John Hilary, Masako<br />

Hiraga, Karen Holmes, John Hough, Béla<br />

Hovy, José Augusto Hueb, Roslyn Jackson,<br />

Daniel Janzen, Jens Johansen, Lawrence Jeff<br />

Johnson, Robert Johnston, Karen Judd, Kei<br />

Kawabata, Taro Komatsu, Eline L. Korenromp,<br />

Aki Kuwahara, Olivier Labe, Mark Lattimer,<br />

Henri Laurencin, Sophia Lawrence,<br />

Haeduck Lee, Richard Leete, Corinne Lennox,<br />

Denise Lievesley, Rolf Luyendijk, Nyein<br />

Nyein Lwin, Doug Lynd, Esperanza C. Magpantay,<br />

Mary Mahy, Kamal Malhotra, Stephen<br />

Marks, Gordon McCord, Jeff McNeely, Pratibha<br />

Mehta, José Antonio Mejia, Clare Menozzi,<br />

Jorge Mernies, Camelia Minouiu, Franco<br />

Modigliani, Roland Monasch, Sufian Mushasha,<br />

Maryann Neill, Aimée Nichols, Ann Orr,<br />

Jude Padyachy, François Pelletier, Francesca<br />

Perucci, Rudolphe Petras, Marina Ponti, William<br />

Prince, Agnes Puymoyen, Tatiana Rosito,<br />

William Ryan, Sudhir Shetty, Antoine Simonpietri,<br />

Anuja Singh, Armin Sirco, Anatoly<br />

Smyshlyaev, Abigail Spring, Petter Stålenheim,<br />

Eric Swanson, Sirageldin Suliman, Minoru<br />

Takada, Gordon Telesford, Javier Teran,<br />

Benedicte Terryn, Nyi Nyi Thaung, Michel<br />

Thieren, Irene Tinker, Zineb Touimi-Benjelloun,<br />

Pierre Varly, Neff Walker, Tessa Wardlaw,<br />

Catherine Watt, Simon Wezemon, Caitlin<br />

Wiesen, Robertson Work, Nuri Yildirim, A.<br />

Sylvester Young, Zohra Yusuf, Elizabeth Zaniewski<br />

und Hania Zlotnik.<br />

In MEZ-Workshops in Dhaka, Bangladesh<br />

und in Bratislava, Slowakei fanden Konsultationen<br />

mit verschiedenen Gruppen statt.<br />

Weitere Konsultationen mit Gruppen der Zi-


vilgesellschaft wurden auf dem Weltsozialforum<br />

in Porto Alegre sowie während der Podiumsdiskussionen<br />

auf dem Asiatischen Sozialforum<br />

in Hyderabad abgehalten. Das Team<br />

dankt insbesondere Roberto Bissio, Marina<br />

Ponti und Caitlin Wiesin für ihre Hilfe bei <strong>die</strong>sen<br />

Konsultationen.<br />

Informelle Konsultationen <strong>über</strong> statistische<br />

Fragen lieferten dem Team hilfreiche<br />

Kommentare und Vorschläge. Das Statistik-<br />

Team dankt Simon Ellis, Brian Hammond,<br />

Robert Johnston, Gareth Jones, Denise Lievesley,<br />

Laila Manji, Robert Mayo, Abdelhay<br />

Mechbal, Sulekha Patel, Francesca Perucci,<br />

José Pessoa, Eric Swanson, Michel Thieren,<br />

Abiodun Williams und A. Sylvester Young.<br />

Das Team führte auch mehrfach informelle<br />

Konsultationen mit dem Exekutivrat des<br />

UNDP und mit Mitgliedern des Programms.<br />

TEXTDURCHSICHT UND BERATUNG DURCH<br />

UNDP-MITARBEITER<br />

Eine Gruppe von UNDP-Kollegen lieferte<br />

während der Ausarbeitung des Berichts<br />

außerordentlich nützliche Kommentare, Vorschläge<br />

und Beiträge. Besonders bedanken<br />

möchte sich das Team des Berichts bei Anne-<br />

Birgitte Albrectsen, Zéphrin Diabre, Djibril<br />

Diallo, Moez Doraid, Enrique Ganuza,<br />

Ameerah Haq, Nicola Harrington, Rima Khalaf<br />

Hunaidi, Selim Jahan, Zahir Jamal, Abdoulie<br />

Janneh, Bruce Jenks, Deborah Landey,<br />

Khalid Malik, Elena Martinez, Kalman Miszei,<br />

Shoji Nishimoto, Hafiz Pasha, Monica Sharma,<br />

Mark Suzman, Julia Taft, Alvaro Umana,<br />

Jan Vandemoortele, Gita Welch und Jake<br />

Werksman.<br />

UNTERSTÜTZUNG DURCH MITARBEITER<br />

Administrative Unterstützung für <strong>die</strong> Ausarbeitung<br />

des Berichts leisteten Oscar Bernal, Renuka<br />

Corea-Lloyd, Mamaye Gebretsadik, Maria<br />

Leon, Myriame Montrose und Bhagirathi<br />

Savage. Weitere Kollegen aus dem UNDP-<br />

Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung lieferten wertvolle Beiträge: Sarah<br />

Burd-Sharps, Ana Cutter, Carolina Den Baas,<br />

Sharmila Kurukulasuriya, Juan Pablo Mejia,<br />

Mary Ann Mwangi und Frédéric Teboul. Eine<br />

große Hilfe bei der Erstellung des Berichts war<br />

auch <strong>die</strong> unermüdliche Arbeit von Praktikanten:<br />

Nicola Baroncini, Bethany Donithorn, Abdoulie<br />

Abrar Janneh, Barcai M. Karim, Alia<br />

Malik, Julia Wanjiru Schwarz, Wilatluk Sinswat<br />

und Lara Weisstaub. Nebi Ayele, Gilberto<br />

de Jesus und Stephanie Meade lieferten dem<br />

Statistik-Team wertvolle Beiträge.<br />

Unverzichtbare organisatorische und administrative<br />

Unterstützung leisteten Jennifer<br />

Copeland vom Millenniums-Projekt, Debbie<br />

Creque, Dan Nienhauser und Martha Synnott<br />

vom Earth Institute der Columbia University,<br />

und Rana Barar, Lisa Dreier, Evelyn Luciano,<br />

Alissa Schmelz, Brian Torpy, Christie Walkuski<br />

und Haynie Wheeler, <strong>die</strong> mit den Arbeitsgruppen<br />

des Millenniums-Projekts zusammenarbeiten.<br />

Liliana Izquierdo, Juan Luís Larrabure,<br />

Natalia Palgova und Gerardo Nuñez vom<br />

Büro der Vereinten Nationen für Projekt<strong>die</strong>nste<br />

leisteten wichtige administrative Unterstützung<br />

und Management<strong>die</strong>nste.<br />

REDAKTION, HERSTELLUNG UND<br />

ÜBERSETZUNG<br />

Die Redaktion des Berichts besorgte wie in<br />

früheren Jahren Communications Development<br />

Incorporated mit Meta de Coquereaumont,<br />

Paul Holtz, Elizabeth McCrocklin, Bruce<br />

Ross-Larson und Alison Strong. Das Design<br />

stammt von Gerald Quinn, das Layout von<br />

Elaine Wilson und Wendy Guyette.<br />

Eine große Hilfe für das Erscheinen des<br />

Berichts war <strong>die</strong> Arbeit aus dem Kommunikationsbüro<br />

des UNDP-Administrators Reunala in<br />

den Bereichen Übersetzung, Design und Verteilung,<br />

besonders von Maureen Lynch, William<br />

Orme, Hilda Paqui, Pia Reunala und Erin<br />

Trowbridge. Die Durchsicht der Übersetzungen<br />

<strong>über</strong>nahmen Alia Al-Dalli, Jean Barut,<br />

Ghaith Faliz, Enrique Ganuza, Yolaine Michaud,<br />

Cielo Morales und Vladimir Scherbov.<br />

* * *<br />

Das Team spricht Richard Jolly, Solita Monsod<br />

und Jorge F. Quiroga, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entwürfe<br />

XI


XII<br />

sorgfältig durchsahen und ihre neuesten Forschungsarbeiten<br />

und Erkenntnisse einbrachten,<br />

seine aufrichtige Anerkennung aus. Das<br />

Team ist auch Ian Macre<strong>die</strong>, Lene Mikkelsen<br />

und Darryl Rhoades, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Statistiken <strong>über</strong>prüften,<br />

sehr dankbar. Sie sahen <strong>die</strong> im Bericht<br />

verwendeten Daten genau durch und<br />

brachten ihr statistisches Fachwissen zum Einsatz.<br />

Schließlich möchten sich <strong>die</strong> Autoren besonders<br />

herzlich bei Mark Malloch Brown,<br />

dem UNDP-Administrator, für seine Füh-<br />

rungsrolle und seine visionäre Sicht bedanken.<br />

Die Autoren sind dankbar für all <strong>die</strong> Unterstützung,<br />

<strong>die</strong> sie erhalten haben, <strong>über</strong>nehmen<br />

jedoch <strong>die</strong> volle Verantwortung für alle in <strong>die</strong>sem<br />

Bericht geäußerten Meinungen.<br />

Sakiko Fukuda-Parr<br />

Direktorin<br />

Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung <strong>2003</strong>


Inhalt<br />

ÜBERBLICK Die Millenniums-Entwicklungsziele: Ein Pakt zwischen Nationen zur Beseitigung<br />

<strong>menschliche</strong>r Armut 1<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt 19<br />

Länder, <strong>die</strong> zurückbleiben, müssen Priorität bekommen 20<br />

Mindeststandards, um der Armutsfalle zu entkommen 22<br />

Politische Maßnahmenbündel, um der Armutsfalle zu entkommen 23<br />

Die Umsetzung des Millenniums-Entwicklungspakt 26<br />

Fazit 32<br />

KAPITEL 1 Die Millenniums-Entwicklungsziele 33<br />

Eine Agenda zur Beschleunigung <strong>menschliche</strong>r Entwicklung 33<br />

Ursprung, Entwicklung und Weiterverfolgung 35<br />

Machen globale Ziele einen Unterschied? 36<br />

Entgegnungen an <strong>die</strong> Kritiker 36<br />

Globale Ziele müssen in der Verantwortung der einzelnen Ländern liegen 38<br />

KAPITEL 2 Die größten Herausforderungen zur Erreichung der Ziele 41<br />

Krasse Unterschiede zwischen und innerhalb von Regionen 43<br />

Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung in den 1990er Jahren 50<br />

Anstrengungen, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen 54<br />

Gutes Abschneiden einiger der ärmsten Länder 57<br />

Wachsende Unterschiede innerhalb einzelner Länder: Wer bleibt auf der Strecke? 58<br />

KAPITEL 3 Strukturbedingte Wachstumshindernisse <strong>über</strong>winden, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen 79<br />

Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu wirtschaftlichem Wachstum – und zurück 81<br />

Neuere Muster – und Probleme – des Weltwirtschaftswachstums 83<br />

Strukturprobleme auf Grund ungünstiger Geografie, kleiner Märkte und hoher Handelskosten 85<br />

Gute politische Maßnahmen, wirtschaftliches Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung 88<br />

Schwache politische Maßnahmen, wirtschaftlicher Niedergang und Armut 90<br />

Den Armutsfallen entkommen 91<br />

Wachstum zu Gunsten armer Menschen 94<br />

KAPITEL 4 Politische Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und Bildung der Bevölkerung 103<br />

Wie kann das Ziel der Reduzierung des Hungers erreicht werden? 106<br />

Wie können <strong>die</strong> Bildungsziele erreicht werden? 113<br />

XIII


Wie können <strong>die</strong> Ziele im Gesundheitsbereich erreicht werden? 119<br />

Wie können <strong>die</strong> Ziele im Bereich Wasser und sanitäre Versorgung erreicht werden? 127<br />

Übergreifende Prioritäten 133<br />

KAPITEL 5 Private Finanzierung und Bereitstellung von Gesundheit, Bildung und Wasser 137<br />

Warum hat <strong>die</strong> Bereitstellung durch private Versorger in den armen Ländern zugenommen? 138<br />

Gesundheit 139<br />

Bildung 142<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung 143<br />

Vielversprechende Ansätze 146<br />

KAPITEL 6 Staatliche Maßnahmen zur Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit 153<br />

Umweltressourcen 156<br />

Reaktionen der Politik 157<br />

KAPITEL 7 Unterstützung für <strong>die</strong> Ziele an der Basis mobilisieren 165<br />

Dezentralisierung – ihre Entstehung, ihre Rolle, ihre politischen Erfordernisse 168<br />

Soziale Bewegungen und innovative Ansätze bei der Partizipation der Bevölkerung 176–<br />

KAPITEL 8 Handlungskonzepte statt Almosen: Was <strong>die</strong> reichen Länder tun können,<br />

um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu helfen 181<br />

Mehr und wirksamere Entwicklungshilfe 182<br />

Schuldenerleichterungen – schneller und umfassender 190<br />

Handel – Marktöffnung und Subventionsabbau 193<br />

Globale Technologien – <strong>die</strong> Früchte des globalen Wissens miteinander teilen 198<br />

Die in der Millenniums-Erklärung gemachten Zusagen einhalten: Handlungskonzepte statt Almosen 201<br />

Endnoten 207<br />

Bibliografische Erläuterungen 211<br />

Bibliografie 213<br />

SONDERBEITRAG<br />

Armut, Globalisierung und Wachstum: Ausblicke auf einige der statistischen Verknüpfungen Joseph E. Stiglitz 96<br />

KÄSTEN<br />

1.1 Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>menschliche</strong> Entwicklung und Menschenrechte entspringen der gleichen<br />

Motivation 34<br />

1.2 Machen globale Ziele einen Unterschied? 37<br />

2.1 Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit 44<br />

2.2 Wie entwickelt sich <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung des Einkommens? Groteske Ausmaße, zweideutige Trends 49<br />

2.3 Einkommensarmut messen: Wo soll <strong>die</strong> Grenze gezogen werden? 52<br />

2.4 Der Kampf um <strong>die</strong> Erreichung der Ziele – Definition von Ländern mit hoher und höchster Priorität 55<br />

2.5 Gewaltsame Konflikte und <strong>die</strong> Ziele 56<br />

2.6 Große Sprünge nach vorn sind innerhalb von Jahren statt Jahrzehnten möglich 58<br />

2.7 Aufgeschlüsselte Daten auf Länderebene: Nationale Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 59<br />

2.8 Konflikte innerhalb einzelner Länder 60<br />

3.1 Zur Halbierung der Einkommensarmut ist Wachstum erforderlich 79<br />

XIV


3.2 Bangladesch – ein großes Binnenland mit Zugang zur Küste 84<br />

3.3 Herausforderungen in der Andenregion 86<br />

3.4 China und In<strong>die</strong>n – beeindruckendes Wachstum, wichtige Unterschiede 87<br />

3.5 Die MEZ und Konfliktländer 92<br />

3.6 Was notwendig ist, damit der Millenniums-Entwicklungspakt in Uganda funktioniert 95<br />

4.1 Potenzial und Handlungsspielraum von Frauen—Schlüssel für das Erreichen der Millenniumsziele 104<br />

4.2 Politische Erfahrungen aus Ländern mit ausgezeichneter Gesundheits- und Bildungsbilanz 105<br />

4.3 Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit in Afrika südlich der Sahara 109<br />

4.4 Landwirtschaftspolitik und Ernährungssicherung 112<br />

4.5 Verteidigungsausgaben oder Bildung? Die Inkonsistenz des Regierungshandelns 114<br />

4.6 Thailands Erfolge beim Verhindern der Ausbreitung von HIV/AIDS 120<br />

4.7 Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen 121<br />

4.8 Integration vertikaler Programme in funktionierende Gesundheitssysteme 126<br />

4.9 Unentbehrliche Arzneimittel für alle garantieren — Erfolge in Bhutan 127<br />

4.10 Erschwingliche Sanitärversorgung in In<strong>die</strong>n 129<br />

4.11 Südafrika und das „Recht“ auf Wasser 130<br />

5.1 Soziale Dienste und das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen (GATS) 139<br />

5.2 Nutzungsgebühren in Südafrika und Bolivien 145<br />

5.3 Erfolgreiche staatlich betriebene Wasserversorgungssysteme 147<br />

5.4 Der Großraum Manila und Buenos Aires:<br />

Unterschiedliche Erfahrungen mit der Privatisierung der Wasserversorgung 149<br />

5.5 Die Bamako-Initiative: Zusammenlegung kommunaler Mittel für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung 150<br />

6.1 Wie globale Klimaveränderungen <strong>die</strong> Entwicklungsländer bedrohen 154<br />

6.2 Das Leben von Slumbewohnern verbessern 158<br />

6.3 Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung am Naturschutz in Guanacaste, Costa Rica 159<br />

6.4 Förderung von Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt – ein kreatives Steuerbeispiel aus Brasilien 159<br />

6.5 Die Fischgründe der Welt – durch Subventionen zerstört 161<br />

6.6 Abholzung der Wälder – mit Subventionen 161<br />

6.7 Politische Reaktionen auf den Klimawandel 162<br />

7.1 Madhya Pradesh und Rajasthan – Bildungspolitik mit Resultaten 167<br />

7.2 Beiderseitiges Bestehen auf <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht – seitens der Kommunalverwaltung und der Zivilgesellschaft<br />

– verbessern <strong>die</strong> Regierungsführung im brasilianischen Bundesstaat Ceará 170<br />

7.3 Die Dezentralisierung trägt dazu bei, mehr Gleichheit in Kerala durchzusetzen 171<br />

7.4 Trägt Dezentralisierung zur Armutsreduzierung bei? 175<br />

8.1 Millenniums-Entwicklungsziel 8 181<br />

8.2 Öffentliche Entwicklungshilfe: Die Zielvorgabe von 0,7 Prozent 182<br />

8.3 Neue Finanzierung für <strong>die</strong> Ziele 184<br />

8.4 Erfolgreiche Partnerschaften unter Führung der Regierung in Tansania 187<br />

8.5 Refokussierung der technischen Zusammenarbeit auf <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten 189<br />

8.6 Was ist <strong>die</strong> HIPC-Initiative? 191<br />

8.7 Ein Vorschlag zur Umschuldung, damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können 194<br />

8.8 Der große internationale Wirkungsbereich im eigenen Land gezahlter Subventionen 196<br />

8.9 Ungewisser Ausgang der Doha-Runde für <strong>die</strong> afrikanischen Baumwollexporteure 197<br />

8.10 Der Index für Entwicklungsengagement (CDI) 204<br />

XV


TABELLEN<br />

2.1 Länder, in denen der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung gefallen ist, 1980er und 1990er Jahre 50<br />

2.2 Wirtschaftswachstum und Einkommensarmut: Enge Verbindungen 51<br />

2.3 Die Veränderungen des Anteils und der Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben,<br />

waren unterschiedlich 51<br />

2.4 Große Länder sind bis 2025 durch HIV/AIDS auch bei moderater Epidemie stark bedroht 54<br />

2.5 Kindersterblichkeitsraten: Veränderungen beim Niveau und beim Vermögensgefälle, ausgewählte Länder,<br />

1980er und 1990er Jahre 61<br />

5.1 Investitionen in Projekte zur Trinkwasser- und Sanitärversorgung mit Beteiligung der Privatwirtschaft in verschiedenen<br />

Ländern, 1990–94 und 1995–2000 144<br />

6.1 Warum das Erreichen des Umweltziels so wichtig für <strong>die</strong> anderen Ziele ist 155<br />

8.1 Nettozahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe nach Empfängerregion, 1990 und 2001 183<br />

8.2 Handel: Die Chancen nutzen - oder nicht 194<br />

8.3 Zölle und Zollsenkungen in ausgewählten Ländern und Ländergruppen nach der Uruguay-Runde 195<br />

8.4 Verantwortlichkeiten der reichen Länder 202<br />

GRAFIKEN<br />

2.1 Zeitrahmen für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele – wenn nicht schnellere Fortschritte gemacht werden 41<br />

2.2 Kindersterblichkeit in OECD-Ländern und anderen Regionen im Vergleich: Die Ungleichheit nimmt im Zeitraum<br />

von 1990 bis 2001 zu 48<br />

2.3 Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung 50<br />

2.4 Schnelles Wachstum ist <strong>die</strong> Ausnahme – Erfolge in bevölkerungsreichen Ländern 50<br />

2.5 Wachstum und Einkommensarmut – kein automatischer Zusammenhang 51<br />

2.6 Die Zahl der HIV/AIDS-Fälle ist sprunghaft gestiegen 53<br />

2.7 Verringerung der Lebenserwartung aufgrund von HIV/AIDS 53<br />

3.1 Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut, 1990er Jahre 80<br />

3.2 Menschliche Entwicklung und Einkommen 81<br />

3.3 Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu Wachstum – und zurück 82<br />

4.1 Mädchen mit Schulausbildung führen ein anderes Leben 103<br />

4.2 Die Ernährungsunsicherheit nimmt zu 107<br />

4.3 Hohe Haushaltskosten führen zu niedrigeren Einschulungsquoten im Primarschulbereich 117<br />

4.4 Ein großer Teil der Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich geht in <strong>die</strong> Grundversorgung 124<br />

4.5 In vielen städtischen Haushalten fehlt es an Trinkwasser- und Sanitärversorgung 128<br />

6.1 In OECD-Ländern hängt ein höherer Benzinverbrauch mit niedrigeren Preisen zusammen, 2001 157<br />

8.1 Entwicklungshilfe – wie groß ist der Bedarf, wie viel wird gegeben? 182<br />

8.2 Rückläufige öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) 182<br />

8.3 Netto-Auszahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe 183<br />

8.4 Die Ärmsten: gefangen zwischen rückläufiger Entwicklungshilfe und gleichbleibendem Schuldenstand 191<br />

8.5 In zehn Ländern, <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen im Rahmen der HIPC-Initiative erhalten haben, verlagern sich <strong>die</strong><br />

Ausgaben vom Schulden<strong>die</strong>nst zur Förderung der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung 192<br />

8.6 Mehr Entwicklungshilfe für Kühe und Baumwolle als für Menschen (im Jahr 2000) 196<br />

8.7 Die Agrarsubventionen der OECD sind deutlich höher als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe (2001) 197<br />

8.8 Die orale Rehydratationstherapie (ORT) senkt <strong>die</strong> Kindersterblichkeit trotz Einkommensstagnation 199<br />

XVI


FEATURES<br />

2.1 Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele 64<br />

2.2 Menschliche Entwicklung messen: Die Indizes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 73<br />

2.3 Die wachsende Kluft innerhalb einzelner Länder – zwischen Regionen und Bevölkerungsgruppen 75<br />

Karte 1 Geographische Einkommensverteilung in China, 2000 75<br />

Tabelle 1 Analphabetenquoten in Brasilien nach Region, bei <strong>über</strong> 15-Jährigen, 1990-2001 75<br />

Karte 2 Alphabetenquote bei Erwachsenen in Mexiko, 2000 76<br />

Karte 3 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Philippinen, 1994 76<br />

Tabelle 2 Säuglings- und Kindersterblichkeit in In<strong>die</strong>n nach Bundesstaaten, 1990er Jahre 77<br />

Karte 4 Müttersterblichkeit in Guatemala, 1997 77<br />

Karte 5 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Regionen der Russischen Föderation, 2000 78<br />

3.1 Entwicklungsprobleme – aus dem Blickwinkel der Geografie 100<br />

Karte 1 Klassifikation der Länder nach ihrer wirtschaftlichen Struktur, 1995 100<br />

Karte 2 Klassifikation der Ländern nach durchschnittlicher jährlicher Pro-Kopf-BIP-Wachstumsrate, 1990<br />

100<br />

Tabelle 1 Wirtschaftswachstumsraten nach Ländergruppen, 1980-98 100<br />

Tabelle 2 Wirtschaftswachstumsraten nach Bevölkerungsgröße und geografischer Lage, 1980-98 101<br />

Erläuterungen zu den Statistiken des Berichts <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 234<br />

INDIKATOREN FÜR DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE<br />

MEZ 1 Ziel 1 Beseitigung der extremen Armut und des Hungers 244<br />

Ziel 2 Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung 244<br />

MEZ 2 Ziel 3 Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Ermächtigung der Frau 249<br />

MEZ 3 Ziel 4 Senkung der Kindersterblichkeit 254<br />

Ziel 5 Verbesserung der Gesundheit von Müttern 254<br />

MEZ 4 Ziel 6 Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten 259<br />

MEZ 5 Ziel 7 Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit: Boden und Luft 264<br />

MEZ 6 Ziel 7 Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit: Wasser- und Sanitärversorgung 269<br />

MEZ 7 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Entwicklungshilfe und Marktzugang 274<br />

MEZ 8 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Binnen- und kleine Insel<strong>entwicklung</strong>sländer 275<br />

MEZ 9 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Schuldentragfähigkeit 276<br />

MEZ 10 Ziel 8 Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft: Beschäftigungschancen, Zugang zu Medikamenten<br />

und Zugang zu neuen Technologien 278<br />

INDIKATOREN FÜR MENSCHLICHE ENTWICKLUNG<br />

ÜBERWACHUNG DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG: ERWEITERUNG DER MÖGLICHKEITEN VON MENSCHEN . . .<br />

1 Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 283<br />

2 Trends des Indexes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 287<br />

3 Menschliche Armut und Einkommensarmut: Entwicklungsländer 291<br />

4 Menschliche Armut und Einkommensarmut: OECD Länder, Osteuropa und GUS 294<br />

. . . EIN LANGES UND GESUNDES LEBEN FÜHREN . . .<br />

5 Demografische Trends 296<br />

6 Engagement für Gesundheit: Zugang, Dienste und Ressourcen 300<br />

7 Umgang mit globalen Gesundheitkrisen und Herausforderungen 304<br />

8 Lebenserwartung: Fortschritte und Rückschritte 308<br />

XVII


. . . WISSEN ZU ERWERBEN . .<br />

9 Engagement für <strong>die</strong> Bildung: Öffentliche Ausgaben 312<br />

10 Lese- / Schreibfähigkeit und Schulbesuch 316<br />

11 Technologie: Verbreitung und Schaffung 320<br />

. . . ZUGANG ZU DEN RESSORCEN FÜR EINEN ANGEMESSSENEN LEBENSSTANDARD ZU ERHALTEN. .<br />

12 Wirtschaftliche Leistung 324<br />

13 Ungleichheit bei Einkommen oder Konsum 328<br />

14 Handelsstruktur 332<br />

15 Zufluss von Hilfe aus DAC-Mitgliedsländern 336<br />

16 Hilfsströme, Privatkapital und Verschuldung 337<br />

17 Prioritäten der öffentlichen Ausgaben 341<br />

18 Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern 345<br />

. . . SIE JEDOCH GLEICHZEITIG FÜR ZUKÜNFTIGE GENERATIONEN BEWAHREN . . .<br />

19 Energie und Umwelt 346<br />

. . . DIE PERSÖNLICHE SICHERHEIT ZU BEWAHREN . . .<br />

20 Flüchtlinge und Waffen 350<br />

21 Kriminalitätsopfer 354<br />

. . . UND GLEICHHEIT FÜR ALLE FRAUEN UND MÄNNER ZU VERWIRKLICHEN . . .<br />

22 Geschlechtsbezogener Entwicklungsindex 356<br />

23 Maß für <strong>die</strong> Ermächtigung der Geschlechter 360<br />

24 Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bei der Bildung 364<br />

25 Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bei der Wirtschaftstätigkeit 368<br />

26 Geschlechter, Arbeitsbelastung und Zeitverteilung 372<br />

27 Politische Partizipartion von Frauen 373<br />

ÜBEREINKOMMEN AUF DEM GEBIET DER MENSCHENRECHTE UND DES ARBEITSRECHTS<br />

28 Stand der wichtigsten internationalen Menschenrechts<strong>über</strong>einkommen 377<br />

29 Stand der grundlegenden Übereinkommen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts 381<br />

30 Basisindikatoren für andere UN-Mitgliedsländer 385<br />

Technische Erläuterungen<br />

1 Berechnung der Indices für <strong>menschliche</strong> Entwicklung 386<br />

2 Einschätzung des Fortschritts bei den Millenniums-Entwicklungszielen 393<br />

Definitionen statistischer Begriffe 396<br />

Statistische Primärquellen 405<br />

Klassifizierung der Länder 407<br />

Index der Indikatoren 411<br />

XVIII


ÜBERBLICK<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele:<br />

Ein Pakt zwischen Nationen zur<br />

Beseitigung <strong>menschliche</strong>r Armut<br />

Das neue Jahrhundert begann mit einem beispiellosen<br />

Bekenntnis zu Solidarität und Entschlossenheit<br />

im Kampf gegen <strong>die</strong> Armut in<br />

der Welt. Im Jahr 2000 wurde <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung<br />

der Vereinten Nationen von<br />

der bisher größten Zusammenkunft von Staatschefs<br />

verabschiedet. Sie verpflichtete <strong>die</strong> reichen<br />

wie <strong>die</strong> armen Länder alles daran zu setzen,<br />

um <strong>die</strong> Armut zu beseitigen, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Würde und <strong>die</strong> Gleichberechtigung zu<br />

fördern und Frieden, Demokratie und ökologische<br />

Nachhaltigkeit zu verwirklichen. Die<br />

Führer der Welt versprachen, mit vereinten<br />

Kräften bis zum Jahr 2015 oder schon früher<br />

konkrete Zielvorgaben für <strong>die</strong> Förderung der<br />

Entwicklung und <strong>die</strong> Verminderung der Armut<br />

zu erreichen.<br />

Die aus der Millenniums-Erklärung hervorgegangenenMillenniums-Entwicklungsziele<br />

verpflichten <strong>die</strong> Länder dazu, verstärkt<br />

gegen unzureichende Einkommen, weit verbreiteten<br />

Hunger, <strong>die</strong> Ungleichheit zwischen<br />

Mann und Frau, Umweltschäden und Mängel<br />

bei der Bildung, der Gesundheitsversorgung<br />

und dem Zugang zu sauberem Wasser vorzugehen<br />

(Kasten 1). Sie enthalten auch Maßnahmen<br />

für den Schuldenabbau, <strong>die</strong> Erhöhung<br />

der Entwicklungshilfe sowie <strong>die</strong> Ausweitung<br />

des Handels und des Technologietransfers<br />

in <strong>die</strong> armen Länder. Der im März<br />

2002 verabschiedete Konsens von Monterrey<br />

– der im September 2002 in der Erklärung<br />

von Johannesburg <strong>über</strong> nachhaltige Entwicklung<br />

und im Aktionsplan von Johannesburg<br />

bekräftigt wurde – bildet den Rahmen für<br />

<strong>die</strong>se Partnerschaft zwischen reichen und armen<br />

Ländern.<br />

Es gibt wohl kaum einen günstigeren Zeitpunkt,<br />

um Unterstützung für eine derartige<br />

globale Partnerschaft zu mobilisieren. Im Jahr<br />

<strong>2003</strong> erlebte <strong>die</strong> Welt weitere gewalttätige<br />

Konflikte, begleitet von einer Verschärfung<br />

der internationalen Spannungen und Furcht<br />

vor Terrorismus. Manche mögen argumentieren,<br />

der Krieg gegen <strong>die</strong> Armut müsse in den<br />

Hintergrund treten, bis der Krieg gegen den<br />

Terrorismus gewonnen sei, aber sie haben unrecht.<br />

Die Notwendigkeit, <strong>die</strong> Armut zu beseitigen,<br />

konkurriert nicht mit der Notwendigkeit,<br />

<strong>die</strong> Welt sicherer zu machen. Im Gegenteil,<br />

<strong>die</strong> Beseitigung der Armut sollte zu einer<br />

sichereren Welt beitragen – <strong>die</strong> Vision der<br />

Millenniums-Erklärung.<br />

Wer gegen <strong>die</strong> Armut vorgehen will, muss<br />

ihre Ursachen verstehen. Dieser Bericht trägt<br />

zu einem solchen Verständnis bei, indem er<br />

<strong>die</strong> tieferen Ursachen dafür analysiert, warum<br />

Entwicklung ausgeblieben ist. Während der<br />

neunziger Jahre konzentrierten sich <strong>die</strong> <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />

Debatten auf drei Problemfelder.<br />

Das erste war <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

von Wirtschaftsreformen zur Verwirklichung<br />

makroökonomischer Stabilität. Das zweite<br />

war <strong>die</strong> Notwendigkeit starker Institutionen<br />

und einer guten Regierungsführung, um<br />

Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen und <strong>die</strong><br />

Korruption einzudämmen. Das dritte war <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit sozialer Gerechtigkeit und <strong>die</strong><br />

Einbindung der Menschen in <strong>die</strong> Entscheidungen,<br />

<strong>die</strong> sie selbst und ihre Gemeinwesen<br />

und Länder betreffen. Für <strong>die</strong>sen Aspekt hat<br />

sich <strong>die</strong>ser Bericht seit jeher eingesetzt und<br />

wird es auch weiterhin tun.<br />

Alle <strong>die</strong>se Fragen sind für <strong>die</strong> nachhaltige<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung von entscheidender<br />

Bedeutung und sie ver<strong>die</strong>nen weiterhin<br />

<strong>die</strong> vorrangige Aufmerksamkeit der Politik.<br />

Aber sie lassen einen vierten Faktor außer<br />

Acht, der hier untersucht wird: <strong>die</strong> strukturellen<br />

Zwänge, <strong>die</strong> das Wirtschaftswachstum<br />

und <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung behindern.<br />

Der in <strong>die</strong>sem Bericht vorgestellte Millenniums-Entwicklungspakt<br />

schlägt ein politisches<br />

Konzept für <strong>die</strong> Verwirklichung der Millen-<br />

KASTEN 1<br />

Millenniums-Entwicklungsziele<br />

und Zielvorgaben<br />

Ziel 1: Beseitigung der extremen<br />

Armut und des<br />

Hungers<br />

Zielvorgabe 1: Zwischen<br />

1990 und 2015 den<br />

Anteil der Menschen<br />

halbieren, deren Einkommen<br />

weniger als 1$<br />

pro Tag beträgt<br />

Zielvorgabe 2: Zwischen<br />

1990 und 2015 den<br />

Anteil der Menschen<br />

halbieren, <strong>die</strong> Hunger<br />

leiden<br />

Ziel 2: Verwirklichung der allgemeinenPrimarschulbildung<br />

Zielvorgabe 3: Bis zum<br />

Jahr 2015 sicherstellen,<br />

dass Kinder in der ganzen<br />

Welt, Jungen wie Mädchen,<br />

eine Primarschulbildung<br />

vollständig<br />

abschließen können<br />

Ziel 3: Förderung der Gleichheit<br />

der Geschlechter<br />

und Ermächtigung der<br />

Frau<br />

Zielvorgabe 4: Das Geschlechtergefälle<br />

in der<br />

Primar- und Sekundarschulbildung<br />

beseitigen,<br />

vorzugsweise bis 2005,<br />

und auf allen Bildungsebenen<br />

bis spätestens<br />

2015<br />

Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit<br />

Zielvorgabe 5: Zwischen<br />

1990 und 2015 <strong>die</strong><br />

Sterblichkeitsrate von<br />

Kindern unter fünf Jahren<br />

um zwei Drittel senken<br />

Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />

ÜBERBLICK 1


Fortsetzung KASTEN 1<br />

Millenniums-Entwicklungsziele<br />

und Zielvorgaben<br />

Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit<br />

von Müttern<br />

Zielvorgabe 6: Zwischen<br />

1990 und 2015 <strong>die</strong><br />

Müttersterblichkeitsrate<br />

um drei Viertel senken<br />

Ziel 6: Bekämpfung von HIV/<br />

AIDS, Malaria und<br />

anderen Krankheiten<br />

Zielvorgabe 7: Bis 2015<br />

<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS zum Stillstand<br />

bringen und allmählich<br />

umkehren<br />

Zielvorgabe 8: Bis 2015<br />

<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

Malaria und anderen<br />

schweren Krankheiten<br />

zum Stillstand bringen<br />

und allmählich umkehren<br />

Ziel 7: Sicherung der ökologischen<br />

Nachhaltigkeit<br />

Zielvorgabe 9: Die<br />

Grundsätze der nachhaltigen<br />

Entwicklung in<br />

einzelstaatliche Politiken<br />

und Programme einbauen<br />

und den Verlust<br />

von Umweltressourcen<br />

umkehren<br />

Zielvorgabe 10: Bis 2015<br />

den Anteil der Menschen<br />

um <strong>die</strong> Hälfte senken,<br />

<strong>die</strong> keinen nachhaltigen<br />

Zugang zu sauberem<br />

Trinkwasser haben<br />

Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />

eine erhebliche Verbesserung<br />

der Lebensbedingungen<br />

von mindestens<br />

100 Millionen Slumbewohnern<br />

herbeiführen<br />

Ziel 8: Aufbau einer weltweitenEntwicklungspartnerschaft<br />

Zielvorgabe 12: Ein offenes,<br />

regelgestütztes, berechenbares<br />

und nichtdiskriminierendesHandelsund<br />

Finanzsystem weiterentwickeln<br />

Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />

niums-Entwicklungsziele vor, dessen Ausgangspunkt<br />

<strong>die</strong> Auseinandersetzung mit <strong>die</strong>sen<br />

Zwängen ist.<br />

Die einzelstaatliche Trägerschaft – durch<br />

Regierungen und Bevölkerung – ist ein<br />

Schlüsselfaktor für <strong>die</strong> Verwirklichung der<br />

Millenniums-Entwicklungsziele. Die demokratische<br />

Debatte kann durch <strong>die</strong> Ziele gefördert<br />

werden, und <strong>die</strong> Führer der einzelnen<br />

Länder werden eher bereit sein, <strong>die</strong> zur<br />

Verwirklichung der Ziele erforderlichen<br />

Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine engagierte<br />

Bevölkerung entsprechenden Druck<br />

ausübt.<br />

Die Ziele werden nur dann zum Erfolg führen,<br />

wenn sie für <strong>die</strong> Milliarden Menschen, für <strong>die</strong><br />

sie bestimmt sind, wirklich eine Bedeutung<br />

haben. Die Ziele müssen nationale Wirklichkeit<br />

werden und <strong>die</strong> wichtigsten Interessengruppen<br />

– <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Regierungen<br />

– müssen sie sich zu eigen machen. Sie sind<br />

Prüfsteine, an denen Fortschritt gemessen<br />

werden kann und anhand derer <strong>die</strong> Armen<br />

von den politischen Führern Rechenschaft<br />

verlangen können. Sie helfen den Menschen<br />

für politische Strategien und Maßnahmen zu<br />

kämpfen, <strong>die</strong> angemessene Arbeitsplätze<br />

schaffen, den Zugang zu Schulen verbessern<br />

und <strong>die</strong> Korruption ausmerzen. Sie sind auch<br />

Verpflichtungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Führer der einzelnen<br />

Länder eingegangen sind und <strong>über</strong> deren Erfüllung<br />

sie ihren Wählern Rechenschaft ablegen<br />

müssen.<br />

Wenn sich <strong>die</strong> Bevölkerung <strong>die</strong> Ziele zu eigen<br />

machen, kann <strong>die</strong>s eine demokratische<br />

Debatte <strong>über</strong> <strong>die</strong> Leistungen der Regierung<br />

befördern, vor allem, wenn ungeschönte Daten<br />

zur Verfügung gestellt werden, <strong>die</strong> zum<br />

Beispiel am Eingang von Gemeindezentren<br />

angeschlagen werden. Die Ziele können auch<br />

eine Wahlkampfplattform für Politiker bilden.<br />

Ein Beispiel hierfür lieferte der brasilianische<br />

Präsident Luis Inacio „Lula“ da Silva, dessen<br />

Kampagne zur Beseitigung des Hungers<br />

(Fome Zero – Kein Hunger mehr) Teil seines<br />

Programms im Präsidentschaftswahlkampf<br />

war.<br />

Den Gruppen der Zivilgesellschaft – von<br />

Gemeinwesenorganisationen <strong>über</strong> Berufsverbände<br />

und Frauengruppen bis zu Netzwerken<br />

der Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />

– kommt bei der Umsetzung der Ziele und<br />

der Überwachung der dabei erreichten Fortschritte<br />

eine wichtige Rolle zu. Aber <strong>die</strong> Ziele<br />

erfordern auch leistungsfähige, wirksam handelnde<br />

Staaten, <strong>die</strong> in der Lage sind, <strong>die</strong> von<br />

ihnen gemachten Entwicklungszusagen einzuhalten.<br />

Und sie erfordern eine Mobilisierung<br />

der Bevölkerung, damit der politische<br />

Willen zu ihrer Verwirklichung nicht nachlässt.<br />

Eine solche Mobilisierung setzt eine offene,<br />

partizipatorische politische Kultur voraus.<br />

Politische Reformen wie etwa <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

der Haushalte und der Verantwortung<br />

für <strong>die</strong> Bereitstellung von grundlegenden<br />

Dienstleistungen rücken <strong>die</strong> Entscheidungsprozesse<br />

näher an <strong>die</strong> Menschen heran,<br />

so dass <strong>die</strong>se mehr Druck zur Verwirklichung<br />

der Ziele ausüben können. Wo <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

erfolgreich war, wie etwa in Teilen<br />

Brasiliens, in Jordanien, Mosambik und in den<br />

indischen Bundesstaaten Kerala, Madya Pradesh<br />

und Westbengalen, hat sie zu erheblichen<br />

Verbesserungen geführt. Sie ermöglicht<br />

es den staatlichen Stellen, schneller auf <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

der Menschen zu reagieren, Korruption<br />

aufzudecken und das Fernbleiben vom<br />

Arbeitsplatz zu reduzieren.<br />

Aber Dezentralisierung ist ein schwieriger<br />

Prozess. Ihr Erfolg setzt eine fähige Zentralregierung,<br />

engagierte Kommunalverwaltungen<br />

mit finanzieller Eigenverantwortung sowie engagierte<br />

Bürger in einer gut organisierten Zivilgesellschaft<br />

voraus. In Mosambik gelang es<br />

den entschlossen vorgehenden Kommunalbehörden<br />

mit eigener Finanzhoheit, <strong>die</strong> Reichweite<br />

des Impf- und Schwangerenberatungsprogramms<br />

um 80 Prozent zu steigern. Kapazitätsengpässe<br />

wurden durch Verträge mit<br />

NRO und privaten Dienstleister auf kommunaler<br />

Ebene <strong>über</strong>wunden.<br />

Jüngste Erfahrungen haben auch gezeigt,<br />

wie soziale Bewegungen zu einer stärkeren Beteiligung<br />

an Entscheidungsprozessen führen<br />

können, wie in der öffentlichen Überwachung<br />

kommunaler Haushalte. In Porto Alegre (Bra-<br />

2 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


silien) führte <strong>die</strong> öffentliche Überwachung<br />

kommunaler Haushalte zu enormen Verbesserungen<br />

bei den Dienstleistungen. 1989 hatten<br />

weniger als <strong>die</strong> Hälfte der Stadtbewohner Zugang<br />

zu sauberem Wasser, sieben Jahre später<br />

war <strong>die</strong>ser Zugang praktisch für alle gesichert.<br />

Auch der Primarschulbesuch verdoppelte sich<br />

in <strong>die</strong>sem Zeitraum und der öffentliche Nahverkehr<br />

wurde auf <strong>die</strong> Randbezirke der Stadt<br />

ausgedehnt.<br />

Solch gemeinschaftliches Handeln verbessert<br />

<strong>die</strong> Grundversorgung und hilft mit, politischen<br />

Willen zu mobilisieren und langfristig<br />

aufrechtzuerhalten. Die Bürger üben Druck<br />

auf ihre Führer aus, damit sie den politischen<br />

Verpflichtungen, <strong>die</strong> sie eingegangen sind,<br />

nachkommen. Und <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

geben ihnen ein Instrument in <strong>die</strong><br />

Hand, um von ihren Regierungen Rechenschaft<br />

zu verlangen.<br />

Da <strong>die</strong> Ziele der Millenniums-Erklärung<br />

nicht zu verwirklichen sind, wenn wir einfach<br />

so weitermachen wie bisher, muss das<br />

Tempo des Fortschritts dramatisch beschleunigt<br />

werden<br />

In den vergangenen 30 Jahren waren in<br />

den Entwicklungsländern insgesamt gewaltige<br />

Verbesserungen zu beobachten. Die Lebenserwartung<br />

stieg um acht Jahre. Der Anteil der<br />

Analphabeten wurde um fast <strong>die</strong> Hälfe auf<br />

25 Prozent gesenkt. In Ostasien wurde <strong>die</strong><br />

Zahl der Menschen, <strong>die</strong> mit weniger als einem<br />

Dollar am Tag auskommen müssen, in den<br />

neunziger Jahren nahezu halbiert.<br />

Dennoch kommt <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

zu langsam voran. Für viele Länder<br />

waren <strong>die</strong> neunziger Jahre eine Dekade der<br />

Hoffnungslosigkeit. Etwa 54 Länder sind heute<br />

ärmer als 1990. In 21 Ländern leidet ein<br />

großer Teil der Menschen Hunger. In 14 Ländern<br />

sterben mehr Kinder vor ihrem fünften<br />

Lebensjahr. In 12 Ländern geht der Primarschulbesuch<br />

zurück. In 34 Ländern ist <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />

gesunken. Die Rückschläge im<br />

Überlebenskampf waren zuvor geringer.<br />

Ein weiteres Zeichen für eine Entwicklungskrise<br />

ist der Rückgang beim Index für<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung in 21 Ländern. (Der<br />

HDI – <strong>Human</strong> Development Index – ist ein<br />

zusammengefasstes Maß für drei Dimensionen<br />

der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung: <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

ein langes und gesundes Leben zu<br />

führen, Bildung zu erhalten und einen angemessenen<br />

Lebensstandard zu haben). Auch<br />

<strong>die</strong>s war bis zum Ende der achtziger Jahre ein<br />

eher seltenes Phänomen, denn <strong>die</strong>se Fähigkeiten,<br />

<strong>die</strong> im HDI zusammengefasst sind, gehen<br />

normalerweise nicht so leicht verloren.<br />

Wenn der globale Fortschritt das Tempo<br />

der neunziger Jahre beibehält, haben lediglich<br />

das Millenniums-Entwicklungsziel der Halbierung<br />

der Einkommensarmut und <strong>die</strong> Halbierung<br />

der Zahl der Menschen ohne Zugang<br />

zu sauberem Trinkwasser eine realistische<br />

Chance, verwirklicht zu werden, vor allem<br />

China und In<strong>die</strong>n. Afrika südlich der Sahara<br />

würde auf regionaler Ebene beim gegenwärtigen<br />

Tempo das Ziel der Armutsbekämpfung<br />

erst 2147 und das Ziel der Senkung der Kindersterblichkeit<br />

erst 2165 erreichen. Bei<br />

HIV/AIDS und Hunger steigen <strong>die</strong> Zahlen in<br />

der Region an, anstatt zu fallen.<br />

Dass so viele Länder rund um <strong>die</strong> Welt <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele in den 12 Jahren<br />

bis 2015 nicht erreichen werden, ist ein<br />

Hinweis darauf, wie dringend notwendig eine<br />

Kursänderung ist. Doch <strong>die</strong> in der Vergangenheit<br />

erzielten Entwicklungserfolge zeigen, was<br />

selbst in sehr armen Ländern möglich ist. Sri<br />

Lanka ist es zwischen 1945 und 1953 gelungen,<br />

<strong>die</strong> Lebenserwartung um 12 Jahre zu steigern.<br />

Ein weiteres ermutigendes Beispiel bietet<br />

Botsuana: <strong>die</strong> Nettoeinschulungsrate in<br />

Primarschulen stieg zwischen 1970 und 1985<br />

von 46 Prozent auf fast 90 Prozent.<br />

Heute verfügt <strong>die</strong> Welt <strong>über</strong> umfangreichere<br />

Ressourcen und mehr Kenntnisse als je<br />

zuvor, um Herausforderungen wie Infektionskrankheiten,<br />

geringe Produktivität, fehlende<br />

umweltverträgliche Energien und<br />

Transportmittel, <strong>die</strong> fehlende Grundversorgung<br />

mit sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen,<br />

Schulen und Gesundheits<strong>die</strong>nsten zu<br />

bewältigen. Die Frage ist, wie <strong>die</strong>se Ressourcen<br />

und Kenntnisse am besten einzusetzen<br />

sind, damit sie den ärmsten Menschen zugute<br />

kommen.<br />

Fortsetzung KASTEN 1<br />

Millenniums-Entwicklungsziele<br />

und Zielvorgaben<br />

(Umfasst <strong>die</strong> Verpflichtung<br />

auf eine gute Regierungs-<br />

und Verwaltungsführung,<br />

<strong>die</strong> Entwicklung<br />

und <strong>die</strong> Armutsreduzierung<br />

sowohl auf nationaler<br />

als auch auf internationaler<br />

Ebene)<br />

Zielvorgabe 13: Den besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

der am wenigsten entwickelten<br />

Länder Rechnung<br />

tragen<br />

(Umfasst einen zoll- und<br />

quotenfreien Zugang für<br />

Exportgüter der am wenigsten<br />

entwickelten<br />

Länder, ein verstärktes<br />

Schuldenerleichterungsprogramm<br />

für <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />

armen<br />

Länder und <strong>die</strong> Streichung<br />

der bilateralen öffentlichen<br />

Schulden sowie<br />

<strong>die</strong> Gewährung<br />

großzügigerer öffentlicher<br />

Entwicklungshilfe<br />

für Länder, <strong>die</strong> zur Armutsminderungentschlossen<br />

sind)<br />

Zielvorgabe 14: Den besonderen<br />

Bedürfnissen<br />

der Binnen- und kleinen<br />

Insel<strong>entwicklung</strong>sländer<br />

Rechnung tragen<br />

(durch das Aktionsprogramm<br />

für <strong>die</strong> nachhaltige<br />

Entwicklung der kleinen<br />

Inselstaaten unter<br />

den Entwicklungsländern<br />

und <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

der zweiundzwanzigsten<br />

Sondertagung der Generalversammlung)<br />

Zielvorgabe 15: Die<br />

Schuldenprobleme der<br />

Entwicklungsländer<br />

durch Maßnahmen auf<br />

nationaler und internationaler<br />

Ebene umfassend<br />

angehen und so <strong>die</strong><br />

Schulden langfristig tragbar<br />

werden lassen<br />

Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />

ÜBERBLICK 3


Fortsetzung KASTEN 1<br />

Millenniums-Entwicklungsziele<br />

und Zielvorgaben<br />

Zielvorgabe 16: In Zusammenarbeit<br />

mit den<br />

Entwicklungsländern<br />

Strategien zur Beschaffung<br />

menschenwürdiger<br />

und produktiver Arbeit<br />

für junge Menschen erarbeiten<br />

und umsetzen<br />

Zielvorgabe 17: In Zusammenarbeit<br />

mit den<br />

Pharmaunternehmen erschwinglicheuntentbehrliche<br />

Medikamente in<br />

den Entwicklungsländern<br />

verfügbar machen<br />

Zielvorgabe 18: In Zusammenarbeit<br />

mit dem<br />

Privatsektor dafür sorgen,<br />

dass <strong>die</strong> Vorteile der<br />

neuen Technologien, insbesondere<br />

der Informations-<br />

und Kommunikationstechnologien,<br />

genutzt<br />

werden können<br />

In zwei Gruppen von Ländern ist ein Kurswechsel<br />

besonders vordringlich. Bei der ersten<br />

handelt es sich um Länder, bei denen<br />

eine geringe <strong>menschliche</strong> Entwicklung und<br />

ein schlechte Umsetzung der Ziele zusammenkommen<br />

– also <strong>die</strong> Länder mit höchster<br />

und <strong>die</strong> Länder mit hoher Priorität. Bei<br />

der zweiten Gruppe handelt es sich um <strong>die</strong><br />

Länder, <strong>die</strong> gute Fortschritte in Richtung<br />

auf <strong>die</strong> Ziele machen, in denen aber Inseln<br />

tiefer Armut zurückbleiben<br />

Es gibt 59 Länder mit höchster und hoher Priorität,<br />

in denen ausbleibende Fortschritte und<br />

ein alarmierend niedriges Ausgangsniveau einen<br />

großen Teil der Ziele untergraben. Auf<br />

<strong>die</strong>se Länder müssen <strong>die</strong> Aufmerksamkeit und<br />

<strong>die</strong> Ressourcen der Welt konzentriert werden.<br />

In den 90er Jahren erlebten <strong>die</strong>se Länder<br />

vielfältige Krisen:<br />

• Einkommensarmut: <strong>die</strong> ohnehin hohen<br />

Armutsraten stiegen in 37 der 67 Länder, für<br />

<strong>die</strong> Daten vorliegen, weiter an.<br />

• Hunger: in 19 Ländern leidet mehr als ein<br />

Viertel der Menschen unter Hunger, und <strong>die</strong><br />

Situation wird nicht besser oder verschlechtert<br />

sich sogar. In 21 Ländern ist der Anteil der<br />

Hungernden gestiegen.<br />

• Überleben: in 14 Ländern stieg <strong>die</strong> Sterblichkeit<br />

der Kinder unter fünf Jahren in den<br />

90er Jahren, und in sieben Ländern wird fast<br />

ein Viertel der Kinder den fünften Geburtstag<br />

nicht erleben.<br />

• Wasser: in neun Ländern hat <strong>über</strong> ein<br />

Viertel der Menschen keinen Zugang zu sauberem<br />

Wasser, und <strong>die</strong> Situation wird nicht<br />

besser oder verschlechtert sich sogar.<br />

• Sanitärversorgung: in 15 Ländern hat<br />

<strong>über</strong> ein Viertel der Menschen keinen Zugang<br />

zu angemessener Sanitärversorgung, und <strong>die</strong><br />

Situation wird nicht besser oder verschlechtert<br />

sich sogar.<br />

All <strong>die</strong>sen verschiedenen Problemen liegt<br />

eine Wirtschaftskrise zu Grunde. Diese Länder<br />

sind nicht nur bereits extrem arm, sondern<br />

ihre Wachstumsraten sind auch erschreckend<br />

gering.<br />

In den 90er Jahren betrug das Wachstum<br />

des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens<br />

in 125 Entwicklungs- und Transformationsländern<br />

weniger als 3 Prozent und ging in 54<br />

<strong>die</strong>ser Länder zurück. Von den 54 Ländern<br />

mit rückläufigem Einkommen gehören 20 zu<br />

Afrika südlich der Sahara, 17 zu Osteuropa<br />

und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten<br />

(GUS), sechs zu Lateinamerika und der Karibik,<br />

sechs zu Ostasien und dem Pazifikraum<br />

und fünf zu den arabischen Staaten. Sie umfassen<br />

viele Länder mit hoher Priorität, aber<br />

auch einige Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung.<br />

Weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit<br />

stehen Länder, <strong>die</strong> gute Fortschritte machen,<br />

in denen jedoch bestimmte Gruppen und Gebiete<br />

ausgeschlossen sind oder zurückbleiben.<br />

Alle Ländern sollten sich darum bemühen,<br />

signifikante Disparitäten zwischen Gruppen –<br />

zwischen Männern und Frauen, zwischen ethnischen<br />

Gruppen, zwischen Rassen sowie zwischen<br />

städtischen und ländlichen Gebieten –<br />

zu <strong>über</strong>winden. Dazu müssen jedoch <strong>die</strong> Landesdurchschnitte<br />

kritisch betrachtet werden.<br />

Viele Länder, deren Gesamtdurchschnitt<br />

angemessene Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong><br />

fristgerechte Erreichung der Zielvorgaben erkennen<br />

lässt, weisen ausgedehnte Inseln verfestigter<br />

Armut auf. Die spektakuläre Leistung<br />

Chinas in den 90er Jahren, 150 Millionen<br />

Menschen <strong>die</strong> Überwindung der Einkommensarmut<br />

zu ermöglichen, blieb auf <strong>die</strong> Küstenregionen<br />

beschränkt. Anderswo gibt es<br />

nach wie vor Inseln tiefer Armut, in manchen<br />

Regionen im Landesinnern war der wirtschaftliche<br />

Fortschritt erheblich langsamer als im<br />

übrigen Land.<br />

In einer Reihe von Ländern könnten <strong>die</strong><br />

Ziele leichter verwirklicht werden, indem einfach<br />

<strong>die</strong> Lebensbedingungen der Menschen,<br />

denen es ohnehin schon besser geht, weiter<br />

angehoben werden. Es gibt Hinweise darauf,<br />

dass <strong>die</strong>s im Bereich der Gesundheitsversorgung<br />

bereits geschieht. Aber ein solcher Ansatz<br />

mag <strong>die</strong> Ziele zwar den Buchstaben nach<br />

erfüllen, dem Geist nach jedoch nicht. Selbst<br />

wenn sich ein Land insgesamt auf <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

der Ziele hinbewegt, liegen <strong>die</strong><br />

Fortschritte von Frauen, Bewohnern ländlicher<br />

Gebiete, ethnischen Minderheiten und<br />

anderen armen Gruppen in der Regel unter<br />

4 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


dem Gesamtdurchschnitt, manchmal gibt es<br />

für sie <strong>über</strong>haupt keine Fortschritte.<br />

Von 24 Entwicklungsländern, für <strong>die</strong> subnationale<br />

Daten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

zwischen Mitte der achtziger und Mitte der<br />

neunziger Jahre vorliegen, haben nur drei den<br />

Abstand zwischen den reichsten und den<br />

ärmsten Gruppen in Bezug auf <strong>die</strong> Sterblichkeitsraten<br />

der Kinder unter fünf Jahren verringert.<br />

Ähnliche Muster finden sich bei den Raten<br />

der Immunisierung, des Schulbesuchs und<br />

der Schulabschlüsse, wo <strong>die</strong> Kluft zwischen<br />

Stadt und Land sowie ethnische Disparitäten<br />

offenbar fortbestehen oder sich sogar verschlimmern.<br />

Auch bleiben Frauen in armen<br />

Gebieten häufig von den Gesamtfortschritten<br />

in Richtung auf <strong>die</strong> Ziele ausgeschlossen.<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt ist ein<br />

Aktionsplan, der vorrangig auf <strong>die</strong> Länder<br />

mit höchster und hoher Priorität ausgerichtet<br />

ist, <strong>die</strong> am dringendsten der Unterstützung<br />

bedürfen<br />

Auf globaler Ebene muss sich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

der Politik auf <strong>die</strong> Länder konzentrieren,<br />

<strong>die</strong> mit den höchsten Entwicklungsherausforderungen<br />

konfrontiert sind. Ohne einen<br />

sofortigen Kurswechsel werden sie <strong>die</strong> Ziele sicher<br />

nicht erreichen. Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund<br />

bietet der Bericht einen neuen Aktionsplan,<br />

der sich hauptsächlich an <strong>die</strong>se Länder richtet:<br />

den Millenniums-Entwicklungspakt.<br />

Um ein nachhaltiges Wachstum zu erzielen,<br />

müssen <strong>die</strong> Länder in mehreren Schlüsselbereichen<br />

wie Regierungsführung, Gesundheit,<br />

Bildung, Infrastruktur und Marktzugang<br />

gewisse Mindeststandards erreichen. Wenn<br />

ein Land in einem <strong>die</strong>ser Bereiche <strong>die</strong> Standards<br />

unterschreitet, kann es in eine „Armutsfalle“<br />

geraten.<br />

Die meisten der Länder mit höchster und<br />

hoher Priorität versuchen, <strong>die</strong>se Mindeststandards<br />

zu erreichen. Sie stehen jedoch vor tief<br />

verwurzelten strukturellen Hindernissen, <strong>die</strong><br />

nur schwer aus eigener Kraft zu <strong>über</strong>winden<br />

sind. Dazu gehören Zugangsbeschränkungen<br />

zu internationalen Märkten und ein hohes<br />

Verschuldungsniveau, das weit <strong>über</strong> dem liegt,<br />

was sie mit ihrer begrenzten Exportkapazität<br />

zum Schuldenabbau beitragen können. Ein<br />

weiteres wesentliches Hindernis ist <strong>die</strong> Größe<br />

und geografische Lage eines Landes. Andere<br />

mit der Geografie eines Landes zusammenhängende<br />

strukturelle Zwänge sind eine geringe<br />

Bodenfruchtbarkeit, Anfälligkeit für extreme<br />

Klimaschwankungen oder Naturkatastrophen<br />

und sich ausbreitende Krankheiten wie<br />

Malaria. Aber <strong>die</strong> Geographie bedeutet kein<br />

unabänderliches Schicksal. Mit einer entsprechenden<br />

Politik können <strong>die</strong>se Herausforderungen<br />

bewältigt werden. Bessere Straßen und<br />

Kommunikationsmöglichkeiten sowie stärkere<br />

Kooperation mit den Nachbarländern können<br />

den Marktzugang verbessern. Präventions-<br />

und Behandlungsmaßnahmen können<br />

<strong>die</strong> Auswirkungen pandemischer Krankheiten<br />

erheblich abmildern.<br />

Die gleichen strukturellen Bedingungen,<br />

<strong>die</strong> dazu beitragen, dass ein ganzes Land in <strong>die</strong><br />

Armutsfalle gerät, können auch große Bevölkerungsgruppen<br />

in ansonsten relativ wohlhabenden<br />

Ländern treffen. Chinas entlegene Inlandsregionen<br />

zum Beispiel sind wesentlich<br />

weiter von Häfen entfernt, haben eine wesentlich<br />

schlechtere Infrastruktur und viel härtere<br />

biophysikalische Bedingungen als <strong>die</strong> Küstenregionen<br />

des Landes, <strong>die</strong> in den letzten Jahren<br />

das schnellste Wirtschaftswachstum in der<br />

chinesischen Geschichte erzielen konnten.<br />

Die Verringerung der Armut in den ärmeren<br />

Regionen erfordert eine gesamtstaatliche Politik,<br />

<strong>die</strong> ihnen mehr Ressourcen zuweist. Oberste<br />

politische Priorität ist hier mehr Gerechtigkeit<br />

und nicht nur mehr Wirtschaftswachstum.<br />

Um auf strukturelle Zwänge zu reagieren,<br />

muss <strong>die</strong> Politik an verschiedenen Fronten<br />

gleichzeitig vorgehen, dazu gehört aber auch<br />

verstärkte Unterstützung aus dem Ausland.<br />

Sechs Bündel politischer Maßnahmen können<br />

den Ländern helfen, sich aus ihrer Armutsfalle<br />

zu befreien:<br />

• Frühzeitige und ehrgeizige Investitionen<br />

in Grundbildung und Gesundheit bei gleichzeitiger<br />

Förderung der Gleichberechtigung<br />

der Geschlechter. Dies sind <strong>die</strong> Vorbedingungen<br />

für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum.<br />

Wachstum kann wiederum Arbeitsplätze<br />

Auf globaler Ebene muss<br />

sich <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

der Politik auf <strong>die</strong> Länder<br />

konzentrieren, <strong>die</strong> mit<br />

den höchsten Entwicklungsherausforderungen<br />

konfrontiert sind<br />

ÜBERBLICK 5


Wenn <strong>die</strong> Länder nicht<br />

weit ehrgeizigere<br />

Entwicklungspläne<br />

beschließen, werden sie<br />

<strong>die</strong> Ziele nicht erreichen<br />

schaffen und <strong>die</strong> Einkommen anheben, mit<br />

positiven Rückwirkungen auf Bildung und<br />

Gesundheit.<br />

• Steigerung der Produktivität der Kleinbauern,<br />

<strong>die</strong> unter ungünstigen Umweltbedingungen<br />

wirtschaften – also der Mehrheit der<br />

hungrigen Menschen auf der Welt. Nach einer<br />

zuverlässigen Schätzung leben weltweit<br />

70 Prozent der ärmsten Menschen im ländlichen<br />

Raum und sind von der Landwirtschaft<br />

abhängig.<br />

• Verbesserung der Basisinfrastruktur wie<br />

Häfen, Straßen, Stromversorgung und Kommunikation,<br />

um <strong>die</strong> Kosten wirtschaftlicher<br />

Tätigkeit zu verringern und geografische<br />

Schranken zu <strong>über</strong>winden.<br />

• Ausarbeitung einer Industrieansiedlungspolitik,<br />

<strong>die</strong> unternehmerisches Engagement<br />

fördert und zur Diversifizierung der Wirtschaft<br />

beiträgt, so dass <strong>die</strong> Abhängigkeit von<br />

Rohstoffexporten zurückgeht, wobei den<br />

Klein- und Mittelbetrieben eine aktive Rolle<br />

zukommt.<br />

• Förderung demokratischer Staatsführung<br />

und der Menschenrechte, um Diskriminierung<br />

zu beseitigen, soziale Gerechtigkeit zu<br />

gewährleisten und das Wohlergehen aller<br />

Menschen zu fördern.<br />

• Sicherstellung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />

und eines soliden Stadtmanagements,<br />

so dass langfristig wirksame Verbesserungen<br />

der Entwicklung erreicht werden können.<br />

Diesen politischen Strategien liegt der Gedanke<br />

zu Grunde, dass Volkswirtschaften nur<br />

dann besser funktionieren können, wenn zuerst<br />

andere Probleme gelöst werden. So ist es<br />

zum Beispiel nicht möglich, <strong>die</strong> Abhängigkeit<br />

von Rohstoffexporten zu verringern, wenn <strong>die</strong><br />

Arbeitskräfte nicht in den Fertigungsbereich<br />

<strong>über</strong>wechseln können, weil sie nicht genügend<br />

qualifiziert sind.<br />

Die Aufgabe, der sich <strong>die</strong> Länder mit<br />

höchster und hoher Priorität gegen<strong>über</strong> sehen,<br />

ist für sie allein zu umfangreich – vor allem für<br />

<strong>die</strong> ärmsten Länder, <strong>die</strong> mit sehr beschränkten<br />

Mitteln außerordentlich hohe Hürden zu<br />

<strong>über</strong>winden haben. In <strong>die</strong>sem Punkt spricht<br />

der Millenniums-Entwicklungspakt eine unmissverständliche<br />

Sprache. Die ärmsten Länder<br />

benötigen umfangreiche externe Ressour-<br />

cen, um ein annehmbares Niveau der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung zu erreichen. Dies ist jedoch<br />

keine Forderung nach unbegrenzter Finanzierung<br />

durch <strong>die</strong> reichen Länder. Denn<br />

der Pakt weist ebenso unmissverständlich darauf<br />

hin, dass <strong>die</strong> armen Länder innerstaatliche<br />

Ressourcen mobilisieren, <strong>die</strong> politischen Strategien<br />

und Institutionen stärken, <strong>die</strong> Korruption<br />

bekämpfen und <strong>die</strong> Regierungs- und Verwaltungsführung<br />

verbessern müssen. All <strong>die</strong>s<br />

sind unverzichtbare Schritte auf dem Weg zu<br />

einer nachhaltigen Entwicklung.<br />

Wenn <strong>die</strong> Länder nicht weit ehrgeizigere<br />

Entwicklungspläne beschließen, werden sie<br />

<strong>die</strong> Ziele nicht erreichen. Hier plä<strong>die</strong>rt der<br />

Millenniums-Entwicklungspakt für <strong>die</strong> Anwendung<br />

eines neuen Prinzips. Die Regierungen<br />

der armen und der reichen Länder sowie<br />

<strong>die</strong> internationalen Institutionen sollen zuallererst<br />

<strong>die</strong> Frage stellen, welche Finanzmittel<br />

zur Erreichung der Ziele benötigt werden, anstatt<br />

zuzulassen, dass das Tempo der Entwicklung<br />

durch <strong>die</strong> beschränkten Mittel bestimmt<br />

wird, <strong>die</strong> derzeit für <strong>die</strong>sen Zweck veranschlagt<br />

sind.<br />

Alle Länder – insbesondere <strong>die</strong>jenigen mit<br />

höchster und hoher Priorität – müssen systematisch<br />

feststellen, was zur Verwirklichung<br />

der Ziele benötigt wird. Diese Diagnose sollte<br />

auch Initiativen umfassen, <strong>die</strong> von Regierungen<br />

armer Länder unternommen werden können,<br />

etwa <strong>die</strong> Mobilisierung innerstaatlicher<br />

fiskalischer Ressourcen, <strong>die</strong> Umwidmung von<br />

Ausgaben zu Gunsten der Grundversorgung,<br />

<strong>die</strong> Heranziehung privater Finanzmittel und<br />

Fachkenntnisse sowie <strong>die</strong> Einleitung von Reformen<br />

zur Verbesserung der Wirtschaftsführung.<br />

Trotz alledem wird bei den benötigten<br />

Mitteln noch eine große Lücke klaffen, <strong>die</strong><br />

von den Regierungen beziffert werden muss.<br />

Die Schließung <strong>die</strong>ser Lücke wird zusätzliche<br />

finanzielle und technische Hilfe seitens der<br />

reichen Länder erfordern, namentlich Finanzmittel<br />

für laufende Kosten, umfangreichere<br />

Schuldenerleichterungen, besseren Marktzugang<br />

und mehr Technologietransfer.<br />

Es besteht ein breiter Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit eines Gesamtrahmens für <strong>die</strong><br />

Koordinierung der Entwicklungsbemühungen,<br />

basierend auf den von den Ländern ge-<br />

6 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


tragenen Entwicklungsstrategien und auf öffentlichen<br />

Investitionsprogrammen. Für <strong>die</strong><br />

Länder mit niedrigem Einkommen besteht<br />

<strong>die</strong>ser Rahmen aus den Strategiedokumenten<br />

zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction<br />

Strategy Papers – PRSPs), <strong>die</strong> in rund zwei<br />

Dutzend Ländern bereits vorhanden und in<br />

weiteren zwei Dutzend in Vorbereitung sind.<br />

Die Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Herausforderungen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

systematischer aufgreifen,<br />

müssen zunächst <strong>die</strong> Frage nach den<br />

Erfordernissen für ihre Umsetzung stellen.<br />

Dann müssen sie bewerten, welche Mittel fehlen<br />

und welche politischen Reformen durchzuführen<br />

sind.<br />

Wenn der Anteil der in extremer Armut lebenden<br />

Menschen halbiert werden soll<br />

(Ziel 1), muss in den wachstumsschwachen<br />

Ländern mit höchster und hoher Priorität<br />

ein weitaus stärkeres Wirtschaftswachstum<br />

erreicht werden. Aber Wachstum allein<br />

genügt nicht. Hinzu kommen müssen politische<br />

Strategien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung zwischen<br />

höherem Wachstum und höheren Einkommen<br />

der ärmsten Haushalte stärken.<br />

Über 1,2 Milliarden Menschen – jeder fünfte<br />

Erdbewohner – müssen mit weniger als einem<br />

Dollar am Tag auskommen. In den neunziger<br />

Jahren ging der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> unter<br />

extremer Einkommensarmut leiden, von 30 auf<br />

23 Prozent zurück. Angesichts einer wachsenden<br />

Weltbevölkerung verminderte sich jedoch<br />

<strong>die</strong> absolute Zahl nur um 123 Millionen. Dies<br />

ist nur ein Bruchteil des Fortschritts, der zur<br />

Beseitigung der Armut nötig wäre. Wenn man<br />

von China absieht, nahm <strong>die</strong> Zahl der extrem<br />

armen Menschen sogar um 28 Millionen zu.<br />

In Süd- und Ostasien sind <strong>die</strong> Zahlen der<br />

in Einkommensarmut lebenden Menschen am<br />

höchsten, obwohl <strong>die</strong>se beiden Regionen in<br />

jüngster Zeit eindrucksvolle Fortschritte verzeichneten.<br />

Wie bereits angeführt, konnte<br />

China in den neunziger Jahren 150 Millionen<br />

Menschen, das sind 12 Prozent der Bevölkerung,<br />

aus der Armut befreien. Damit wurde<br />

<strong>die</strong> Verbreitung der Armut halbiert. Aber in<br />

Lateinamerika und der Karibik, den arabischen<br />

Staaten, in Mittel- und Osteuropa sowie<br />

in Afrika südlich der Sahara nahm <strong>die</strong> Zahl<br />

der Menschen zu, <strong>die</strong> mit weniger als einem<br />

Dollar pro Tag auskommen müssen.<br />

Das Haupthindernis für <strong>die</strong> Verringerung<br />

der Armut war das Ausbleiben eines nachhaltigen,<br />

armutsreduzierenden Wachstums. In<br />

den neunziger Jahren erreichten nur 30 von<br />

155 Entwicklungs- und Transformationsländern,<br />

für <strong>die</strong> Daten vorliegen – also knapp ein<br />

Fünftel – ein Einkommenswachstum von<br />

mehr als drei Prozent pro Kopf im Jahr. Wie<br />

<strong>bericht</strong>et, gingen in 54 <strong>die</strong>ser Länder <strong>die</strong><br />

Durchschnittseinkommen sogar zurück.<br />

Aber Wirtschaftswachstum allein reicht<br />

nicht aus. Wachstum kann rücksichtslos sein,<br />

es kann aber auch Armut verringern. Dies<br />

hängt von seinem Zuschnitt, von strukturellen<br />

Aspekten der Wirtschaft und von politischen<br />

Entscheidungen ab. Die Armut ist sogar in solchen<br />

Ländern angestiegen, in denen <strong>die</strong> Wirtschaft<br />

insgesamt gewachsen ist. In 33 von 66<br />

Entwicklungsländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />

verschärfte sich <strong>über</strong> <strong>die</strong> letzten zwanzig Jahre<br />

das Ungleichgewicht bei den Einkommen.<br />

Alle Länder, vor allem jene, denen es im<br />

Durchschnitt gut geht, <strong>die</strong> aber Inseln verfestigter<br />

Armut aufweisen, müssen eine Politik<br />

verfolgen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum<br />

und der Verminderung der<br />

Armut stärkt.<br />

Wachstum wird armen Menschen eher zugute<br />

kommen, wenn es breit angelegt ist und<br />

sich nicht auf wenige Sektoren oder Regionen<br />

konzentriert; wenn es arbeitsintensiv (wie z.B.<br />

in der Landwirtschaft und der Textilproduktion)<br />

statt kapitalintensiv (wie bei der Ölförderung)<br />

ist und wenn <strong>die</strong> staatlichen Einnahmen<br />

in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung investiert<br />

werden (z.B. für gesundheitliche Grundversorgung,<br />

Bildung, Ernährung, Wasser- und<br />

Sanitärversorgung). Wachstum wird armen<br />

Menschen weniger zugute kommen, wenn es<br />

auf einer eingeschränkten Basis erfolgt, <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung vernachlässigt oder<br />

bei der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen<br />

ländliche Gebiete, bestimmte Regionen,<br />

Bevölkerungsgruppen oder Frauen benachteiligt.<br />

Das Haupthindernis für<br />

<strong>die</strong> Verringerung der<br />

Armut war das<br />

Ausbleiben eines<br />

nachhaltigen, armutsreduzierten<br />

Wachstums<br />

ÜBERBLICK 7


Einfuhrzölle schützen <strong>die</strong><br />

Märkte in den reichen<br />

Ländern und reduzieren<br />

<strong>die</strong> Anreize für <strong>die</strong> Bauern<br />

in den armen Ländern, in<br />

<strong>die</strong> Landwirtschaft zu<br />

investieren, was zu<br />

einer nachhaltigeren<br />

Ernährungssicherheit<br />

führen würde<br />

Politische Strategien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung<br />

zwischen Wachstum und Armutsverminderung<br />

stärken können, sind:<br />

• Steigerung des Volumens, der Effizienz<br />

und der Ausgewogenheit von Investitionen in<br />

<strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung, Bildung<br />

und <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgung.<br />

• Erweiterung des Zugangs armer Menschen<br />

zu Grund und Boden, Krediten, Qualifikationen<br />

und anderen Wirtschaftsfaktoren.<br />

• Steigerung der Produktivität der Kleinbauern<br />

und der Diversifizierung.<br />

• Förderung eines arbeitsintensiven industriellen<br />

Wachstums unter Einbeziehung der<br />

Klein- und Mittelbetriebe.<br />

Zur Halbierung des Anteils der hungernden<br />

Menschen (Ziel 1) müssen zwei Herausforderungen<br />

bewältigt werden: <strong>die</strong> Sicherung<br />

des Zugangs zu Nahrungsmitteln, <strong>die</strong> mancherorts<br />

mittlerweile reichlich vorhanden<br />

sind, und <strong>die</strong> Erhöhung der Produktivität<br />

der Bauern, <strong>die</strong> gegenwärtig noch Hunger<br />

leiden – vor allem in Afrika<br />

Die Zahl der hungernden Menschen ging in<br />

den neunziger Jahren um fast 20 Millionen<br />

zurück. Nimmt man China jedoch aus, so erhöhte<br />

sich <strong>die</strong> Zahl der Hungernden. In Südasien<br />

und in Afrika südlich der Sahara findet<br />

sich <strong>die</strong> höchste Konzentration hungernder<br />

Menschen. In Südasien besteht das Problem<br />

darin, <strong>die</strong> reichlich vorhandenen Nahrungsmittel<br />

besser zu verteilen. In Afrika südlich<br />

der Sahara liegt das Problem auch in der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität.<br />

Es gibt zahlreiche staatliche Maßnahmen,<br />

mit denen der Hunger bekämpft werden<br />

kann. Wo lokale Ausgleichslager vorhanden<br />

sind, können bei einem Ernährungsnotstand<br />

Lebensmittel auf den Markt gebracht werden,<br />

<strong>die</strong>s verringert heftige Preisschwankungen.<br />

Viele Länder, wie etwa China und In<strong>die</strong>n, haben<br />

solche Systeme eingeführt. Nahrungsmittellager<br />

können besonders für dürreanfällige<br />

Binnenländer wichtig sein.<br />

Des weiteren sind viele hungernde Menschen<br />

landlos oder verfügen <strong>über</strong> keine gesicherten<br />

Besitz- und Nutzungsrechte. Durch<br />

Agrarreformen muss armen Menschen im<br />

ländlichen Raum ein gesicherter Zugang zu<br />

Grund und Boden eröffnet werden. Frauen<br />

produzieren in Afrika südlich der Sahara und<br />

Südasien einen Großteil der Nahrungsmittel,<br />

verfügen jedoch <strong>über</strong> keinen gesicherten Zugang<br />

zu Grund und Boden.<br />

Auch <strong>die</strong> geringe landwirtschaftliche Produktivität<br />

muss verbessert werden, insbesondere<br />

in ökologisch benachteiligten Randregionen<br />

mit schlechten Böden und hohen Klimaschwankungen.<br />

Die bemerkenswerten Fortschritte<br />

der „Grünen Revolution“ sind an <strong>die</strong>sen<br />

Gebieten vorbeigegangen. Hier ist eine<br />

zweifache grüne Revolution vonnöten, <strong>die</strong> sowohl<br />

<strong>die</strong> Produktivität erhöht als auch <strong>die</strong><br />

ökologische Nachhaltigkeit verbessert. Es bedarf<br />

höherer Investitionen, um bessere Technologien<br />

zu erforschen und zu entwickeln und<br />

sie durch Beratungs<strong>die</strong>nste zu verbreiten. Zudem<br />

muss dringend in <strong>die</strong> Infrastruktur investiert<br />

werden, vor allem in Straßen und Lagersysteme.<br />

Doch <strong>die</strong> staatlichen Investitionen<br />

und <strong>die</strong> Unterstützung der Geberländer für<br />

<strong>die</strong> Landwirtschaft waren in den letzten Jahrzehnten<br />

rückläufig.<br />

Einfuhrzölle schützen <strong>die</strong> Märkte in den<br />

reichen Ländern und reduzieren <strong>die</strong> Anreize<br />

für <strong>die</strong> Bauern in den armen Ländern, in <strong>die</strong><br />

Landwirtschaft zu investieren, was zu einer<br />

nachhaltigeren Ernährungssicherheit führen<br />

würde. Enorme Subventionen in den reichen<br />

Ländern verringern ebenfalls <strong>die</strong> Anreize, in<br />

eine langfristige Ernährungssicherung zu investieren<br />

und drücken <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />

nach unten. Für <strong>die</strong> Nahrungsmittelimporteure<br />

kann <strong>die</strong>s allerdings von Vorteil sein.<br />

Die Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung<br />

und <strong>die</strong> Beseitigung des<br />

Geschlechtergefälles in der Primar- und Sekundarschulbildung<br />

(Ziele 2 und 3) erfordern<br />

auch <strong>die</strong> Bewältigung damit verknüpfter<br />

Probleme wie Effizienz, Gerechtigkeit<br />

und verfügbare Finanzmittel<br />

Insgesamt sind in den Entwicklungsländern<br />

<strong>über</strong> 80 Prozent der Kinder in Primarschulen<br />

eingeschult. Jedoch besuchen rund 115 Millio-<br />

8 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


nen Kinder immer noch keine Primarschule,<br />

und in Afrika südlich der Sahara und in Südasien<br />

sind <strong>die</strong> Einschulungsraten mit 57 beziehungsweise<br />

84 Prozent beklagenswert niedrig.<br />

Ein Kind, das in Afrika in <strong>die</strong> erste Klasse eingeschult<br />

wird, hat eine jämmerliche Chance<br />

von 1 zu 3, dass es <strong>die</strong> Primarschule abschließen<br />

wird. Hinzu kommt, dass weltweit ein<br />

Sechstel der Erwachsenen Analphabeten sind.<br />

Die Kluft zwischen Männern und Frauen ist<br />

dabei nach wie vor enorm: von den 115 Millionen<br />

Kinder, <strong>die</strong> keine Schule besuchen,<br />

sind drei Fünftel Mädchen, und zwei Drittel<br />

der 876 Millionen erwachsenen Analphabeten<br />

sind Frauen.<br />

Mangelnde Bildung nimmt den einzelnen<br />

Menschen <strong>die</strong> Möglichkeit, ein erfülltes Leben<br />

zu führen. Sie entzieht aber auch der Gesellschaft<br />

<strong>die</strong> Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung,<br />

weil Bildung ausschlaggebend ist<br />

für <strong>die</strong> Verbesserung der Gesundheit, der<br />

Ernährung und der Produktivität. Das Bildungsziel<br />

ist also von zentraler Bedeutung für<br />

<strong>die</strong> Verwirklichung der anderen Ziele.<br />

In den meisten armen Ländern ist <strong>die</strong> angebotene<br />

Grundbildung höchst ungleich verteilt.<br />

Auf <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung<br />

entfallen sehr viel weniger als 20 Prozent der<br />

öffentlichen Ausgaben, während der Anteil der<br />

reichsten 20 Prozent sehr viel höher ist. Des<br />

Weiteren sind <strong>die</strong> pro Schüler aufgewendeten<br />

Finanzmittel im Bereich der Primarschulbildung<br />

sehr viel niedriger als bei der Sekundarund<br />

Hochschulbildung. Diese Verteilung benachteiligt<br />

<strong>die</strong> Armen ebenfalls, weil sie von<br />

der Grundbildung sehr viel stärker profitieren.<br />

Auch <strong>die</strong> den Haushalten entstehenden<br />

Kosten für <strong>die</strong> Schulbildung, etwa für Schulgebühren<br />

und Schuluniformen, halten vor allem<br />

Kinder aus den ärmsten Familien vom<br />

Schulbesuch ab. Als in Kenia, Malawi und<br />

Uganda Schuluniformen und -gebühren abgeschafft<br />

wurden, schnellten <strong>die</strong> Einschulungen<br />

in <strong>die</strong> Höhe. Ein gerechtes System führt auch<br />

zu besseren Ergebnissen: Länder mit guten<br />

Bildungsleistungen geben in der Regel mehr<br />

für <strong>die</strong> ärmsten Haushalte und mehr für <strong>die</strong><br />

Primarschulbildung aus.<br />

Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Unterschiede zwischen<br />

den Geschlechtern im Bildungsbereich <strong>über</strong>-<br />

wunden haben, zeigen, wie <strong>die</strong> Eltern dazu ermutigt<br />

werden können, ihre Töchter zur Schule<br />

zu schicken: indem Schulen in der Nähe des<br />

Wohnorts angesiedelt werden, indem <strong>die</strong> aus<br />

eigener Tasche zu tragenden Kosten möglichst<br />

gering gehalten werden, indem <strong>die</strong> Schulzeiten<br />

angepasst werden, um der Mithilfe im<br />

Haushalt Rechnung zu tragen, und indem<br />

Lehrerinnen eingestellt werden, was den Eltern<br />

ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Länder<br />

mit hohen Bildungsleistungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten<br />

beseitigt haben, weisen<br />

einen weit <strong>über</strong> dem Regionaldurchschnitt liegenden<br />

Lehrerinnenanteil auf.<br />

Viele Schulsysteme leiden unter einem ineffizienten<br />

Betrieb, in dem zu viele Kinder<br />

Klassen wiederholen müssen oder <strong>die</strong> Schule<br />

ohne Abschluss verlassen. In Ländern, in denen<br />

mehrere Sprachen gesprochen werden,<br />

wird <strong>die</strong> Lernerfahrung durch Unterricht in<br />

der Muttersprache in den ersten Schuljahren<br />

entscheidend verbessert. Schulspeisungsprogramme<br />

tragen ebenfalls dazu bei, dass Kinder<br />

zur Schule kommen und auch dort bleiben,<br />

denn hungrige Kinder können nicht lernen.<br />

Vorschulprogramme für jüngere Kinder helfen<br />

bei der Vorbereitung auf den Schulanfang,<br />

vor allem wenn <strong>die</strong> Kinder zur ersten Generation<br />

von Lernenden in einer Familie gehören.<br />

Eine kaum zu bewältigende Aufgabe für<br />

Länder mit geringen Einschulungsraten ist <strong>die</strong><br />

Steuerung der laufenden Kosten, um zwischen<br />

den Lehrergehältern, <strong>die</strong> in der Regel 90 Prozent<br />

oder mehr der Gesamtsumme beanspruchen,<br />

und den übrigen Kosten, wie z.B. für<br />

Schulbücher, ein größeres Gleichgewicht zu<br />

erzielen. Unter niedrigen Bildungsausgaben<br />

leiden insbesondere <strong>die</strong> Armen, denn den Eliten<br />

und mächtigen Gruppen gelingt es zumeist,<br />

sich einen unverhältnismäßig hohen<br />

Anteil der knappen Haushaltsmittel zu sichern.<br />

Schwache Haushalte machen auch <strong>die</strong><br />

Umsetzung von Reformen schwierig. Wenn<br />

mehr Mittel für <strong>die</strong> Bildung bereit stehen, ist<br />

es leichter, für mehr Gerechtigkeit und Effizienz<br />

zu sorgen.<br />

Die Mittelknappheit wird dadurch verschärft,<br />

dass <strong>die</strong> Unterstützung der Geber für<br />

den Bildungsbereich rückläufig ist. In den<br />

neunziger Jahren fiel <strong>die</strong>se Unterstützung real<br />

Das Bildungsziel ist von<br />

zentraler Bedeutung für<br />

<strong>die</strong> Verwirklichung der<br />

anderen Ziele<br />

ÜBERBLICK 9


In der Regel können sich<br />

Länder höhere Bildungsausgaben<br />

leisten, wenn<br />

ihre Volkswirtschaften<br />

wachsen. Aber <strong>die</strong><br />

ärmsten Länder müssen<br />

mehr für Bildung<br />

ausgeben, um aus der<br />

Armutsfalle<br />

herauszukommen<br />

um 30 Prozent auf 4,7 Milliarden Dollar, von<br />

denen lediglich 1,5 Milliarden Dollar für <strong>die</strong><br />

Grundbildung zur Verfügung standen. In der<br />

Regel finanzieren <strong>die</strong> Geber auch eher Ausrüstungen<br />

und andere Kapitalkosten und weniger<br />

<strong>die</strong> Lehrbücher, Lehrergehälter und sonstigen<br />

Betriebskosten. Doch genau hier liegen <strong>die</strong><br />

Engpässe.<br />

Der Privatsektor muss sowohl bei der Ausstattung<br />

als auch bei den Finanzmitteln wesentlich<br />

mehr für <strong>die</strong> Sekundar- und Hochschulbildung<br />

tun. Die Regierungen müssen<br />

<strong>die</strong> NRO und den Privatsektor dazu bewegen,<br />

das Angebot auszuweiten und gleichzeitig <strong>die</strong><br />

Einhaltung von Normen zu kontrollieren und<br />

Daten <strong>über</strong> Anzahl und Qualität von Privatschulen<br />

zentral zu erheben. In einem Umfeld<br />

knapper Ressourcen sind Gerechtigkeit und<br />

Effizienz nur dann zu verwirklichen, wenn<br />

staatliche Subventionen für Privatschulen<br />

nicht zu Lasten der Grundbildung für <strong>die</strong> Armen<br />

gehen.<br />

In der Regel können sich Länder höhere<br />

Bildungsausgaben leisten, wenn ihre Volkswirtschaften<br />

wachsen. Aber <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />

müssen mehr für Bildung ausgeben, um<br />

aus der Armutsfalle herauszukommen – und<br />

sie verfügen nicht <strong>über</strong> genügend Mittel für<br />

<strong>die</strong>se grundlegenden Investitionen.<br />

Die Verwirklichung der Gleichstellung der<br />

Geschlechter und <strong>die</strong> Ermächtigung der<br />

Frau (Ziel 3) sind wertvolle Ziele an sich,<br />

aber sie sind auch ausschlaggebend für <strong>die</strong><br />

Verwirklichung aller anderen Ziele<br />

Die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter<br />

und der Ermächtigung der Frau im<br />

breitesten Sinn gehört zu den Schlüsselzielen<br />

der Millenniums-Erklärung. Allerdings ist <strong>die</strong><br />

Beseitigung der Ungleichheit bei der Primarschulbildung<br />

<strong>die</strong> einzige quantitative Zielvorgabe.<br />

Bildung trägt zur Verbesserung der Gesundheit<br />

bei, und bessere Bildung und Gesundheit<br />

erhöhen <strong>die</strong> Produktivität, <strong>die</strong> zu<br />

Wirtschaftswachstum führt. Das Wachstum<br />

wiederum erzeugt Ressourcen, mit denen Verbesserungen<br />

der Gesundheit und Bildung finanziert<br />

werden können, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Produktivität<br />

weiter steigern. Die Gleichstellung der Geschlechter<br />

spielt in <strong>die</strong>sen Synergien eine ausschlaggebende<br />

Rolle, denn <strong>die</strong> Entwicklung<br />

wird von den Frauen getragen.<br />

In fast allen Gesellschaften werden Fürsorge<br />

und Betreuung vorrangig von Frauen<br />

geleistet. Daher trägt ihre Bildung mehr zur<br />

Gesundheit und Bildung der nächsten Generation<br />

bei als <strong>die</strong> Bildung von Männern. Dies<br />

gilt ganz besonders dann, wenn <strong>die</strong> Frauen<br />

auch ein starkes Mitspracherecht bei Entscheidungen<br />

innerhalb der Familie haben.<br />

Mädchen, <strong>die</strong> selbst eine Schulbildung genossen<br />

haben, wachsen zu Frauen heran, <strong>die</strong> weniger<br />

und gesündere Kinder haben, so dass<br />

der Übergang zu niedrigeren Geburtsraten<br />

beschleunigt wird. Besser ausgebildete, gesündere<br />

Frauen tragen auch zu höherer Produktivität<br />

bei, indem sie zum Beispiel landwirtschaftliche<br />

Neuerungen <strong>über</strong>nehmen. Damit<br />

erhöht sich auch das Haushaltseinkommen.<br />

Des Weiteren arbeiten solche Frauen häufig<br />

außer Haus, verfügen <strong>über</strong> ein eigenes Einkommen<br />

und damit <strong>über</strong> größere Selbständigkeit.<br />

Diese positiven Prozesse erhalten noch<br />

mehr Gewicht, wenn Frauen an Haushaltsentscheidungen<br />

beteiligt werden. Wenn Frauen<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit haben, durch gemeinsame<br />

Aktionen mehr Rechte zu verlangen, etwa das<br />

Recht auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung,<br />

auf gleiche Beschäftigungschancen,<br />

dann sind solche positiven Synergien noch<br />

wahrscheinlicher.<br />

Die Senkung der Kindersterblichkeit, <strong>die</strong><br />

Verbesserung der Gesundheit der Mütter<br />

und <strong>die</strong> Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria<br />

und anderen Krankheiten (Ziele 4-6)<br />

erfordern eine dramatische Ausweitung des<br />

Zugangs zur Gesundheitsversorgung<br />

Jedes Jahr sterben <strong>über</strong> zehn Millionen Kinder<br />

– 30.000 pro Tag – an vermeidbaren Krankheiten.<br />

Über 500.000 Frauen sterben jährlich<br />

auf Grund von Komplikationen während der<br />

Schwangerschaft oder Geburt; in den Ländern<br />

Afrikas südlich der Sahara sind solche<br />

Todesfälle hundert Mal wahrscheinlicher als<br />

in den OECD-Ländern (Organisation for<br />

10 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Economic Co-operation and Development)<br />

mit hohem Einkommen. Weltweit leben 42<br />

Millionen Menschen mit HIV/AIDS, davon<br />

39 Millionen in Entwicklungsländern. Tuberkulose<br />

ist (zusammen mit AIDS) weiterhin <strong>die</strong><br />

häufigste tödliche Infektionskrankheit bei Erwachsenen,<br />

sie verursacht bis zu zwei Millionen<br />

Todesfälle pro Jahr. Die Zahl der Malariatoten,<br />

<strong>die</strong> heute eine Million pro Jahr beträgt,<br />

könnte sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln.<br />

Ohne wesentlich schnellere Fortschritte<br />

werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele in<br />

<strong>die</strong>sem Bereich (Ziele 4–6) nicht erreicht werden.<br />

Selbst bei der Senkung der Kindersterblichkeit,<br />

wo stetige Fortschritte zu verzeichnen<br />

sind, würde Afrika südlich der Sahara beim<br />

gegenwärtigen Tempo <strong>die</strong> Senkung um zwei<br />

Drittel erst 150 Jahre nach dem angestrebten<br />

Datum erreichen.<br />

Das sind beschämende Statistiken, denn<br />

viele <strong>die</strong>ser Todesfälle wären vermeidbar,<br />

wenn Moskitonetze, Hebammen, bezahlbare<br />

Antibiotika, grundlegende Hygiene und eine<br />

Therapie zur Bekämpfung der Tuberkulose<br />

mit der Bezeichnung „Kurzzeitbehandlung<br />

unter Direktbeobachtung (Directly Observed<br />

Therapy Short Course – DOTS) in viel breiterem<br />

Umfang eingesetzt würden. All <strong>die</strong>s sind<br />

keine technisch aufwendigen Lösungen, aber<br />

sie könnten zusammen Millionen von Menschenleben<br />

retten. Dennoch sind sie für viele<br />

Länder unerreichbar. Dafür gibt es ein breites<br />

Spektrum systemischer Gründe: Ebenso wie<br />

im Bildungsbereich fehlt es den Gesundheitssystemen<br />

an Mitteln (vor allem für <strong>die</strong> gesundheitliche<br />

Grundversorgung), <strong>die</strong> angebotenen<br />

Dienste sind ungleich verteilt und es mangelt<br />

an Effizienz.<br />

Die Gesundheitssysteme in den armen<br />

Ländern sind viel zu schlecht finanziert, um<br />

<strong>die</strong> Ziele erreichen zu können. Kein OECD-<br />

Land mit hohem Einkommen gibt weniger als<br />

fünf Prozent seines Bruttoinlandsproduktes<br />

(BIP) für öffentliche Gesundheits<strong>die</strong>nste aus.<br />

Aber <strong>die</strong> Entwicklungsländer kommen kaum<br />

je <strong>über</strong> <strong>die</strong>sen Anteil hinaus, bei den meisten<br />

liegt er zwischen zwei und drei Prozent. 1997<br />

erreichten <strong>die</strong> staatlichen Gesundheitsausgaben<br />

in den am wenigsten entwickelten Län-<br />

dern im Durchschnitt lediglich sechs Dollar<br />

pro Kopf, bei den übrigen Ländern mit niedrigem<br />

Einkommen waren es 13 Dollar. Dagegen<br />

betrugen <strong>die</strong>se Pro-Kopf-Ausgaben in den<br />

Ländern, deren Einkommen im oberen mittleren<br />

Bereich liegt, 125 Dollar und in den Ländern<br />

mit hohem Einkommen 1.356 Dollar.<br />

Das absolute Minimum für <strong>die</strong> medizinische<br />

Grundversorgung liegt nach Schätzungen der<br />

World Health Organization (WHO) bei<br />

35–40 Dollar pro Kopf. In den armen Ländern<br />

ist es praktisch unmöglich, <strong>die</strong> internationalen<br />

Preise für lebensrettende Medikamente zu bezahlen<br />

– und es ist nahezu kriminell, <strong>die</strong>s von<br />

den armen Menschen zu erwarten.<br />

Bei kleinen und unzureichenden Budgets<br />

sind <strong>die</strong> Armen <strong>die</strong> Verlierer. In den meisten<br />

Ländern erhalten <strong>die</strong> ärmsten zwanzig Prozent<br />

der Haushalte viel weniger als zwanzig<br />

Prozent der Aufwendungen für Gesundheit.<br />

Dabei führt mehr Gerechtigkeit bei den Ausgaben<br />

zu besseren Ergebnissen: Länder, <strong>die</strong><br />

den ärmeren Haushalten mehr zukommen lassen,<br />

verzeichnen eine niedrigere Kindersterblichkeit.<br />

Unterschiede zwischen Stadt und<br />

Land sind ein weiteres Beispiel für ungerechte<br />

Verteilung. In der Regel erhalten <strong>die</strong> ländlichen<br />

Gebiete weniger Mittel. In Kambodscha<br />

leben 85 Prozent der Menschen im ländlichen<br />

Raum, aber nur 13 Prozent des staatlichen Gesundheitspersonals<br />

sind dort eingesetzt. In<br />

Angola leben 65 Prozent auf dem Land, aber<br />

nur 15 Prozent des Gesundheitspersonals arbeiten<br />

dort.<br />

Das Fehlen von Mitteln höhlt <strong>die</strong> Gesundheitssysteme<br />

immer weiter aus, denn der Mangel<br />

auf einem Gebiet führt zu Mängeln auf anderen.<br />

Wenn Kliniken keine Medikamente haben,<br />

hält <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Patienten davon ab, sich dort<br />

behandeln zu lassen. Dies wiederum führt zu<br />

häufigem Fernbleiben des Personals von der<br />

Arbeit, so dass <strong>die</strong> Effizienz weiter untergraben<br />

wird. Wenn dann <strong>die</strong> Bevölkerung den<br />

Wert der Gesundheits<strong>die</strong>nste nicht mehr<br />

sieht, wird das System nicht mehr kontrolliert<br />

und <strong>die</strong> Gesundheits<strong>die</strong>nste erfüllen <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

immer weniger anstatt mehr.<br />

Die Politik muss sich mit den Problemen<br />

der verfügbaren Finanzmittel, der Gerechtigkeit<br />

und der Effizienz auseinandersetzen:<br />

Die Gesundheitssysteme<br />

in den armen Ländern<br />

sind viel zu schlecht<br />

finanziert, um <strong>die</strong> Ziele<br />

erreichen zu können<br />

ÜBERBLICK 11


Regierungen in armen<br />

Ländern müssen den<br />

Ausgaben für Gesundheit<br />

einen höheren Rang<br />

einräumen als sonstigen<br />

Aufwendungen, etwa für<br />

Verteidigung<br />

• Ressourcen mobilisieren. Regierungen in<br />

armen Ländern müssen den Ausgaben für Gesundheit<br />

einen höheren Rang einräumen als<br />

sonstigen Aufwendungen, etwa für Verteidigung.<br />

Und innerhalb der Gesundheitsbudgets<br />

muss <strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung<br />

Priorität erhalten. Aber in den Ländern mit<br />

niedrigem Einkommen ist das wahrscheinlich<br />

nicht genug.<br />

• Externe Ressourcen aufstocken. Dies gilt<br />

vor allem für <strong>die</strong> Entwicklungshilfe, aber<br />

Schuldenerleichterung, Medikamentenspenden<br />

und Preisabschläge seitens der pharmazeutischen<br />

Unternehmen wären ebenfalls ein<br />

wichtiger Beitrag.<br />

• Mehr Gerechtigkeit schaffen. Die Regierungen<br />

müssen Ungleichgewichte beseitigen,<br />

indem sie sich auf ländliche Gebiete, arme Bevölkerungsgruppen,<br />

Frauen und Kinder konzentrieren.<br />

Aber es reicht nicht aus, sich ausschließlich<br />

auf <strong>die</strong> gesundheitliche Grundversorgung<br />

zu konzentrieren, denn staatliche<br />

Krankenhäuser, <strong>die</strong> bereits mit AIDS- oder<br />

Tuberkulosepatienten <strong>über</strong>belegt sind, können<br />

keine weiteren Patienten aufnehmen.<br />

• Die Arbeitsweise der Gesundheitssysteme<br />

verbessern. Regierungen mit Liquiditätsproblemen<br />

stehen bei der Festlegung der Prioritäten<br />

vor einem Dilemma. Oberste Priorität<br />

ist <strong>die</strong> Aufrechterhaltung eines integrierten<br />

Systems. Vertikale Programme, <strong>die</strong> auf bestimmte<br />

Krankheiten konzentriert sind, werden<br />

zwar immer populärer, aber ohne eine Basisinfrastruktur<br />

im Gesundheitswesen können<br />

sie weder effektiv noch nachhaltig sein. Solche<br />

Programme sollten in <strong>die</strong> Gesamtstruktur des<br />

Gesundheitswesen eingebunden werden. Das<br />

gilt auch für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung von<br />

Müttern und <strong>die</strong> reproduktive Gesundheitsversorgung.<br />

Viele Länder konzentrieren sich<br />

auf <strong>die</strong> Familienplanung, lassen jedoch <strong>die</strong><br />

Gesundheitsversorgung von Kindern und<br />

Müttern außer Acht. Sich auf <strong>die</strong> lebenswichtigen<br />

Maßnahmen zu konzentrieren, ist nicht<br />

genug; mit demselben Nachdruck muss auch<br />

dafür gesorgt werden, dass jedes Gesundheitszentrum<br />

<strong>über</strong> unverzichtbare Medikamente<br />

verfügt.<br />

Da private Dienstleister im Bereich der<br />

Gesundheitsversorgung für viele arme Men-<br />

schen <strong>die</strong> erste Anlaufstelle sind, müssen <strong>die</strong><br />

Regierungen durch bessere Vorschriften dafür<br />

sorgen, dass sie von der staatlichen Aufsicht<br />

erfasst werden. Dafür kommen zahlreiche<br />

Maßnahmen in Frage: Verbraucherschutzgesetze;<br />

Akkreditierungen, <strong>die</strong> dem Verbraucher<br />

zeigen, welche Anbieter registriert sind; Einwirken<br />

auf <strong>die</strong> praktischen Ärzte, sich auf<br />

grundlegende Medikamente zu beschränken.<br />

In vielen lateinamerikanischen Ländern wurden<br />

<strong>die</strong> besser entwickelten medizinischen<br />

Dienste durch <strong>die</strong> Einführung kommerzieller<br />

Arztpraxen privatisiert, <strong>die</strong>s hatte für <strong>die</strong> ärmsten<br />

Menschen alles andere als positive Auswirkungen.<br />

Die Halbierung des Anteils der Menschen<br />

ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser und<br />

verbesserter Sanitärversorgung (Ziel 7) erfordert<br />

ein integriertes Vorgehen. Ohne Sanitäreinrichtungen<br />

und Hygiene ist sauberes<br />

Wasser von geringerem Nutzen für <strong>die</strong><br />

Gesundheit.<br />

Mehr als eine Milliarde Menschen in den Entwicklungsländern<br />

– also jeder Fünfte – haben<br />

keinen Zugang zu sauberem Wasser, und 2,4<br />

Milliarden fehlt der Zugang zu einer ausreichenden<br />

Sanitärversorgung. Beides kann <strong>über</strong><br />

Leben oder Tod entscheiden. Diarrhöe gehört<br />

zu den Haupttodesursachen von Kleinkindern:<br />

in den neunziger Jahren starben mehr<br />

Kinder an Diarrhöe als Menschen in den bewaffneten<br />

Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg<br />

ums Leben kamen. Am stärksten betroffen<br />

sind <strong>die</strong> armen Bewohner ländlicher Gebiete<br />

und in Elendssiedlungen.<br />

Auch hier gilt dasselbe wie für <strong>die</strong> anderen<br />

Gesundheitsziele. Es gibt preiswerte technische<br />

Lösungen, <strong>die</strong> den Gemeinwesen zugänglich<br />

und wohlbekannt sind: geschützte<br />

Schachtbrunnen, öffentliche Zapfstellen, geschützte<br />

Quellen, Latrinen mit manueller Spülung,<br />

einfache Grubenlatrinen, belüftete Grubenlatrinen<br />

und Anschlüsse zu Klärgruben<br />

oder geschlossenen Abwasserkanälen. Dennoch<br />

wird <strong>die</strong> Wirksamkeit <strong>die</strong>ser Lösungen<br />

durch verschiedene Faktoren untergraben,<br />

außerdem sind sie nicht wirklich ausreichend:<br />

12 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Wasser ohne Sanitärversorgung. Ohne<br />

verbesserte Sanitäreinrichtungen und bessere<br />

Hygiene ist der Zugang zu Wasser weit weniger<br />

nützlich. Eine bessere Gesundheitsversorgung<br />

wird für <strong>die</strong> Behandlung von durch Wasser<br />

<strong>über</strong>tragenen Krankheiten verhindert –<br />

Krankheiten, <strong>die</strong> durch sauberes Wasser, bessere<br />

Sanitäreinrichtungen und bessere Hygiene<br />

hätten vermieden werden können.<br />

Während jedoch <strong>die</strong> Nachfrage nach sauberem<br />

Wasser offensichtlich ist, hängt <strong>die</strong> Nachfrage<br />

nach entsprechender Sanitärversorgung<br />

erheblich stärker von der Hygieneerziehung<br />

ab. Oft bleibt es der Eigeninitiative der armen<br />

Haushalte <strong>über</strong>lassen, Sanitäreinrichtungen in<br />

ihren Wohnungen zu installieren, wobei sie<br />

häufig <strong>die</strong> Kosten dafür selbst tragen müssen.<br />

Wenn sie von der Notwendigkeit einer solchen<br />

Investition nicht <strong>über</strong>zeugt sind, werden<br />

sie sie wahrscheinlich nicht durchführen.<br />

Fehlende Ressourcen zur Finanzierung<br />

teurer Infrastruktur. In städtischen und<br />

Stadtrandgebieten erfordert Wasserversorgung<br />

<strong>die</strong> Erschließung von Quellen, eine Wasserleitung<br />

zu der betreffenden Kommune und<br />

ein örtliches Verteilungsnetz. Die Abwasserentsorgung<br />

erfordert öffentliche Kanalisationssysteme<br />

und Kläranlagen. Solche Investitionen<br />

verursachen erhebliche Kosten, <strong>die</strong><br />

weit <strong>über</strong> <strong>die</strong> Mittel der meisten Kommunalverwaltungen<br />

hinausgehen. Selbst in Ländern<br />

mit mittlerem Einkommen müssen solche<br />

Leistungen von der jeweiligen Regierung bereitgestellt<br />

werden. Der wichtigste Bestandteil<br />

der Infrastruktur für Wasser- und Sanitärversorgung<br />

ist <strong>die</strong> Abwasserbehandlung, um zu<br />

vermeiden, dass Abwässer völlig ungeklärt in<br />

<strong>die</strong> Flüsse gelangen und das Grundwasser verschmutzen.<br />

Dies setzt auch verbesserte Technologien<br />

voraus. Aber den Kommunalbehörden<br />

fehlen <strong>die</strong> Finanzmittel, um in <strong>die</strong> sanitäre<br />

Grundversorgung zu investieren.<br />

Hohe Kosten und schlechte Wartung.<br />

Die Regierungen müssen sicherstellen, das der<br />

Zugang der Armen zu Wasser- und Sanitär<strong>die</strong>nsten<br />

nicht durch ungerechte Abgaben untergraben<br />

wird, mit denen <strong>die</strong> Versorgung der<br />

Wohlhabenderen subventioniert wird. Die<br />

Bessergestellten sollten einen höheren Anteil<br />

an den Kosten für <strong>die</strong> Erhaltung der Infra-<br />

struktur <strong>die</strong>ser Dienste <strong>über</strong>nehmen. Die Ausgaben<br />

für kostenträchtige Systeme in den besseren<br />

Stadtvierteln verschlingen <strong>die</strong> Ressourcen<br />

für kostengünstige Systeme; Slums und<br />

Stadtrandgebiete bleiben häufig ohne jede<br />

Versorgung. Hinzu kommt, dass in ländlichen<br />

und Stadtrandgebieten <strong>die</strong> Wassersysteme oft<br />

schlecht unterhalten werden. In solchen Gebieten<br />

war <strong>die</strong> Einbeziehung der Gemeinwesen<br />

häufig der Schlüssel für <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der Dienste.<br />

Die Erfahrungen mit multinationaler privater<br />

Beteiligung an der Wasser- und Sanitärversorgung<br />

sind zweischneidig. Es gibt einige<br />

Erfolge des Privatsektors bei der erweiterten<br />

Wasserversorgung armer Viertel in großen<br />

Städten (z.B. Buenos Aires, Argentinien und<br />

<strong>die</strong> Agglomeration von Manila, Philippinen).<br />

Aber bisweilen wurden <strong>die</strong>se Erfolge durch<br />

Korruption in großem Stil und <strong>die</strong> Nichteinhaltung<br />

von Abkommen mit der Regierung<br />

zunichte gemacht. Die einheimische Unternehmerschaft<br />

in <strong>die</strong>sem Sektor muss gefördert<br />

werden, wobei <strong>die</strong> staatlichen Entwicklungsbanken<br />

für <strong>die</strong> Finanzierung sorgen sollen.<br />

Die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />

(Ziel 7) erfordert es, mit den Ökosystemen<br />

so umzugehen, dass sie zu einer<br />

nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts<br />

der Menschen beitragen. Dies ist auch<br />

ein wichtiges Element bei der Erreichung<br />

der übrigen Ziele.<br />

Fast zwei Milliarden Hektar Boden sind von<br />

Erosion betroffen. Dies beeinträchtigt den Lebensunterhalt<br />

von bis zu einer Milliarde Menschen,<br />

<strong>die</strong> in Trockengebieten leben. Etwa 70<br />

Prozent des kommerziellen Fischfangs stammt<br />

aus voll ausgeschöpften oder <strong>über</strong>fischten Beständen.<br />

1,7 Milliarden Menschen – ein Drittel<br />

der Weltbevölkerung – leben in Ländern<br />

mit Wasserknappheit.<br />

Die Geografie von Verbrauch, Umweltschäden<br />

und <strong>menschliche</strong>m Einfluss ist uneinheitlich.<br />

Die reichen Länder verursachen<br />

den größten Teil der Umweltverschmutzung<br />

der Welt und dezimieren viele ihrer natürlichen<br />

Ressourcen. Wichtige Beispiele sind <strong>die</strong><br />

Da private Dienstleister<br />

im Bereich der Gesundheitsversorgung<br />

für viele<br />

arme Menschen <strong>die</strong> erste<br />

Anlaufstelle sind, müssen<br />

<strong>die</strong> Regierungen durch<br />

bessere Vorschriften dafür<br />

sorgen, dass sie von der<br />

staatlichen Aufsicht<br />

erfasst werden<br />

ÜBERBLICK 13


Eine Politik, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

ökologische<br />

Nachhaltigkeit fördert,<br />

muss großes Gewicht<br />

darauf legen, dass <strong>die</strong><br />

Ortsbevölkerung in <strong>die</strong><br />

Lösungen einbezogen<br />

wird und sich <strong>die</strong> Politik<br />

in den reichen Ländern<br />

ändert<br />

Erschöpfung der weltweiten Fischbestände<br />

und der Ausstoß von Treibhausgasen, <strong>die</strong> den<br />

Klimawandel verursachen; beides hängt mit<br />

den nicht nachhaltigen Konsummustern reicher<br />

Menschen und Länder zusammen. In<br />

den reichen Ländern erreicht der Ausstoß<br />

von Kohlendioxyd 12,4 Tonnen pro Kopf; in<br />

den Ländern mit mittlerem Einkommen sind<br />

es 3,2 Tonnen und in denen mit niedrigem<br />

Einkommen eine Tonne. Arme Menschen<br />

sind durch Umweltkatastrophen und -belastungen<br />

wie den zu erwartenden Auswirkungen<br />

des globalen Klimawandels am stärksten<br />

gefährdet.<br />

Die Umkehrung <strong>die</strong>ser negativen Trends<br />

wäre an sich schon wünschenswert, würde aber<br />

auch zum Erreichen der anderen Zielen beitragen,<br />

weil <strong>die</strong> Gesundheit, <strong>die</strong> Einkommen und<br />

<strong>die</strong> Chancen der armen Menschen durch <strong>die</strong><br />

Erschöpfung der natürlichen Ressourcen stark<br />

beeinflusst werden. Rund 900 Millionen Arme,<br />

<strong>die</strong> in ländlichen Gebieten leben, sind zur Sicherung<br />

ihres Lebensunterhalts zu einem<br />

großen Teil auf natürliche Produkte angewiesen.<br />

Bis zu einem Fünftel der Krankheiten, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> armen Länder belasten, hängen möglicherweise<br />

mit umweltbedingten Risikofaktoren<br />

zusammen. Klimaveränderungen, wie Überschwemmungskatastrophen,<br />

können <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />

Produktivität in armen Ländern<br />

beeinträchtigen und <strong>die</strong> Risiken erhöhen. Dies<br />

sind nur einige wenige Beispiele für das Zusammenwirken<br />

zwischen dem Umweltziel und<br />

den anderen Zielen.<br />

Eine Politik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ökologische Nachhaltigkeit<br />

fördert, muss großes Gewicht darauf<br />

legen, dass <strong>die</strong> lokale Bevölkerung in <strong>die</strong> Lösungen<br />

einbezogen wird. Sie sollte außerdem<br />

hervorheben, wie wichtig eine Änderung des<br />

politischen Kurses in den reichen Ländern ist.<br />

Vorrangige politische Maßnahmen sind:<br />

• Verbesserung der Institutionen und der<br />

Regierungsführung. Klare Definition von Eigentums-<br />

und Nutzerrechten, Verbesserung<br />

der Überwachung und Einhaltung von Umweltnormen<br />

und Einbeziehung der Gemeinwesen<br />

in das Management ihrer Umweltressourcen.<br />

• Aufnahme von Umweltschutz und Umweltmanagement<br />

in <strong>die</strong> sektoralen und son-<br />

stigen Entwicklungsstrategien der einzelnen<br />

Länder.<br />

• Verbesserung der Funktionsfähigkeit<br />

des Marktes. Abschaffung von umweltschädigenden<br />

Subventionen, vor allem in den reichen<br />

Ländern (etwa Subventionen für fossile<br />

Brennstoffe oder große kommerzielle Fischereiflotten),<br />

und Berücksichtigung der Umweltkosten<br />

durch Verschmutzungsabgaben.<br />

• Stärkung internationaler Mechanismen.<br />

Verbesserung der internationalen Bewältigung<br />

globaler Probleme wie etwa Schutz internationaler<br />

Wassereinzugsgebiete und Umkehrung<br />

des Klimawandels, zusammen mit<br />

Mechanismen zur gerechten Aufteilung <strong>die</strong>ser<br />

Lasten.<br />

• Investition in Wissenschaft und Technik.<br />

Höhere Investitionen in Technologien im<br />

Bereich der erneuerbaren Energien und<br />

Schaffung einer Beobachtungsstelle zur Überwachung<br />

der Funktionsweise und des Zustands<br />

der wichtigsten Ökosysteme.<br />

• Bewahrung wichtiger Ökosysteme.<br />

Schaffung von Schutzzonen unter Einbeziehung<br />

der Ortsbevölkerung.<br />

Wenn solche politischen Strategien Wurzeln<br />

schlagen und Früchte tragen sollen, muss<br />

es zu einer neuen Partnerschaft zwischen den<br />

reichen und den armen Ländern kommen. Im<br />

Sinne einer gerechten Aufgabenverteilung<br />

müssen große Länder mehr zur Verminderung<br />

der Umweltschäden beitragen und mehr<br />

Ressourcen für ihre Behebung einsetzen. Wie<br />

bei den anderen Zielen besteht auch hier eine<br />

dringende Notwendigkeit, einige extreme Benachteiligungen<br />

zu korrigieren.<br />

Politische Veränderungen in den reichen<br />

Ländern bei Entwicklungshilfe, Schuldenabbau,<br />

Handel und Technologietransfer<br />

(Ziel 8) sind für <strong>die</strong> Verwirklichung der<br />

Ziele unverzichtbar.<br />

Es ist schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong> ärmsten<br />

Länder <strong>die</strong> Ziele 1–7 verwirklichen können,<br />

ohne dass <strong>die</strong> reichen Länder <strong>die</strong> erforderlichen<br />

politischen Kursänderungen zur Verwirklichung<br />

von Ziel 8 vornehmen. Die armen<br />

Länder können aus eigener Kraft <strong>die</strong> struktu-<br />

14 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


ellen Zwänge nicht <strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> sie in der<br />

Armutsfalle gefangen halten, namentlich <strong>die</strong><br />

Zölle und Subventionen, mit denen <strong>die</strong> reichen<br />

Länder den Marktzugang für ihre Exporte<br />

beschränken; Patente, <strong>die</strong> den Zugang<br />

zu lebensrettender Technologie eingrenzen<br />

und langfristig nicht tragbare Schulden bei<br />

reichen Ländern, Regierungen und multilateralen<br />

Institutionen.<br />

Die ärmsten Länder verfügen nicht <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Mittel zur Finanzierung der Investitionen,<br />

<strong>die</strong> zur Erreichung eines Mindeststandards bei<br />

der Infrastruktur, der Bildung und der Gesundheit<br />

erforderlich sind. Sie haben nicht <strong>die</strong><br />

Mittel für Investitionen in <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />

und in kleine Fertigungsbetriebe, um <strong>die</strong> Produktivität<br />

der Arbeitnehmer zu verbessern.<br />

Solche Investitionen schaffen <strong>die</strong> Grundlage<br />

für <strong>die</strong> Überwindung der Armutsfalle – und<br />

<strong>die</strong> Länder können nicht darauf warten, bis<br />

wirtschaftliches Wachstum <strong>die</strong> benötigten<br />

Ressourcen erzeugt. Kinder können nicht darauf<br />

warten, bis durch Wachstum Ressourcen<br />

erzeugt werden, wenn ihr Leben durch vermeidbare<br />

Ursachen bedroht ist.<br />

Der aus der Millenniums-Erklärung und<br />

dem Konsens von Monterrey hervorgegangene<br />

Partnerschaftsrahmen macht deutlich, dass<br />

<strong>die</strong> Hauptverantwortung für <strong>die</strong> Verwirklichung<br />

der Ziele 1–7 bei den Entwicklungsländern<br />

liegt. Er verpflichtet <strong>die</strong>se Länder dazu,<br />

innerstaatliche Ressourcen zur Finanzierung<br />

der ehrgeizigen Programme zu mobilisieren,<br />

politische Reformen zur Stärkung der Wirtschaftsführung<br />

durchzuführen, den armen<br />

Menschen ein Mitspracherecht in den Entscheidungsprozessen<br />

einzuräumen und <strong>die</strong><br />

Demokratie, <strong>die</strong> Menschenrechte und <strong>die</strong> soziale<br />

Gerechtigkeit zu fördern. Aber der Konsens<br />

ist auch ein Pakt, der <strong>die</strong> reichen Länder<br />

dazu verpflichtet, noch mehr zu tun, jedoch<br />

als Leistungsziel und nicht als Anspruch. Der<br />

Millenniums-Entwicklungspakt verdeutlich <strong>die</strong><br />

ausschlaggebende Rolle der reichen Länder,<br />

<strong>die</strong> in Ziel 8 zum Ausdruck kommt.<br />

Die reichen Länder haben sich bei einer<br />

Reihe von Zusammenkünften zu konkretem<br />

Handeln verpflichtet: nicht nur auf dem Millenniums-Gipfel,<br />

sondern auch auf der Internationalen<br />

Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfi-<br />

nanzierung im März 2002 in Monterrey und<br />

auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />

im September 2002 in Johannesburg. In<br />

Doha (Katar) verpflichteten sich <strong>die</strong> Handelsminister<br />

im November 2001, <strong>die</strong> Interessen<br />

der armen Länder in den Mittelpunkt ihrer<br />

künftigen Arbeit am multilateralen Handelssystem<br />

zu stellen. Jetzt ist der Zeitpunkt für <strong>die</strong><br />

reichen Länder gekommen, ihre Zusagen einzulösen.<br />

Für <strong>die</strong> Länder mit höchster Priorität ist es<br />

am vordringlichsten, dass <strong>die</strong> reichen Länder<br />

jetzt handeln, denn sie haben den längsten<br />

Weg zur Ereichung der Ziele zurückzulegen.<br />

Ihr Wirtschaftswachstum stagniert seit zehn<br />

Jahren oder noch länger, wodurch ihre Schuldenbelastung<br />

auf eine nicht mehr tragbare<br />

Höhe angewachsen ist. Diese Länder sind auf<br />

<strong>die</strong> Ausfuhr von Rohstoffen angewiesen, deren<br />

Preise stetig gefallen sind. Auch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

ging in den neunziger Jahren<br />

zurück – in Afrika südlich der Sahara pro<br />

Kopf gerechnet um ein Drittel – und sie bleibt<br />

weit hinter dem zurück, was zur Verwirklichung<br />

der Ziele nötig ist.<br />

Mehr und wirksamere Entwicklungshilfe.<br />

Der Wendepunkt bei der rückläufigen<br />

Entwicklungshilfe kam auf der Konferenz von<br />

Monterrey, wo rund 16 Milliarden Dollar pro<br />

Jahr an zusätzlicher Entwicklungshilfe bis<br />

2006 zugesagt wurden. Dennoch würde <strong>die</strong>se<br />

Erhöhung <strong>die</strong> gesamte öffentliche Entwicklungshilfe<br />

auf lediglich 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

der 22 Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />

(Development Assistance<br />

Committee – DAC) der OECD anheben.<br />

Dieser Anteil würde immer noch weit<br />

unter dem Ziel von 0,7 Prozent liegen, das <strong>die</strong><br />

reichen Länder in Monterrey und Johannesburg<br />

zu erreichen versprachen. Er unterschreitet<br />

auch den geschätzten Bedarf, der<br />

entsprechend einer vorsichtigen Schätzung<br />

bei einer Größenordnung von rund 100 Milliarden<br />

Dollar pro Jahr liegt. Dies wäre eine<br />

Verdoppelung der Entwicklungshilfe, so dass<br />

rund 0,5 Prozent des Bruttosozialproduktes<br />

der Länder des Entwicklungshilfeausschusses<br />

der OECD erreicht würden.<br />

Aber mehr Hilfe allein ist nicht genug: sie<br />

muss auch effizienter werden. Im Konsens von<br />

Es ist schwer vorstellbar,<br />

dass <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />

<strong>die</strong> Ziele 1-7 verwirklichen<br />

können, ohne dass<br />

<strong>die</strong> reichen Länder <strong>die</strong><br />

erforderlichen politischen<br />

Kursänderungen zur<br />

Verwirklichung von Ziel 8<br />

vornehmen<br />

ÜBERBLICK 15


Die Handelspolitik der<br />

reichen Länder benachteiligt<br />

immer noch in<br />

hohem Maße <strong>die</strong> Exporte<br />

aus Entwicklungsländern<br />

Monterrey haben sich <strong>die</strong> Geber verpflichtet,<br />

nur dann zu helfen, wenn <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

gemeinsame Anstrengungen unternehmen,<br />

um Wirtschaftsführung und Demokratie<br />

zu verbessern und Maßnahmen für<br />

eine wirksame Armutsbekämpfung durchzuführen.<br />

Der Konsens verlangt von den Geberländern<br />

auch, ihre Verfahrensweisen zu verbessern,<br />

vor allem <strong>die</strong> Entwicklungsprioritäten<br />

der Empfängerländer zu respektieren, <strong>die</strong><br />

Lieferbindung für <strong>die</strong> Entwicklungshilfe aufzuheben,<br />

ihre Umsetzung zu harmonisieren<br />

beziehungsweise <strong>die</strong> administrative Belastung<br />

für <strong>die</strong> Empfängerländer zu reduzieren und<br />

eine Dezentralisierung anzustreben. Diese<br />

wichtigen Verpflichtungen wurden in der im<br />

Februar <strong>2003</strong> verabschiedeten Erklärung von<br />

Rom <strong>über</strong> Harmonisierung von den Leitern<br />

der multilateralen und bilateralen Entwicklungsinstitutionen<br />

auf ihrem Treffen in der italienischen<br />

Hauptstadt erneut bekräftigt.<br />

Neue Ansätze zur Schuldenerleichterung.<br />

26 Länder konnten ihre Schulden im Rahmen<br />

der Initiative für hoch verschuldete arme Länder<br />

(Heavily Indebted Poor Countries –<br />

HIPC) abbauen, acht von ihnen erreichten den<br />

Erfüllungszeitpunkt, so dass einige ihrer Schulden<br />

gestrichen wurden. Aber es muss noch viel<br />

mehr geschehen: Eine größere Zahl von Ländern<br />

muss in den Genuss <strong>die</strong>ser Maßnahmen<br />

kommen, und es muss auch sichergestellt werden,<br />

dass <strong>die</strong> Länder ihre Schuldenlast wirklich<br />

tragen können. So führten in Uganda in jüngster<br />

Zeit sinkende Kaffeepreise und schwindende<br />

Exporteinnahmen dazu, dass <strong>die</strong> Schuldenlast<br />

des Landes erneut untragbar wurde.<br />

Erweiterter Marktzugang als Hilfe zur<br />

Diversifizierung und Handelsausweitung.<br />

Die Handelspolitik der reichen Länder benachteiligt<br />

immer noch in hohem Maße <strong>die</strong><br />

Exporte aus Entwicklungsländern. Die durchschnittlichen<br />

Zölle der OECD-Länder auf<br />

Fertigwaren aus Entwicklungsländern sind<br />

<strong>über</strong> vier Mal so hoch wie <strong>die</strong>jenigen für Fertigwaren<br />

aus anderen OECD-Ländern. Hinzu<br />

kommt, dass <strong>die</strong> Agrarsubventionen der reichen<br />

Länder zu unfairer Konkurrenz führen.<br />

Baumwollbauern in Benin, Burkina Faso, dem<br />

Tschad, Mali und Togo haben ihre Produktivität<br />

verbessert. Ihre Produktionskosten sind<br />

niedriger als <strong>die</strong> ihrer Konkurrenten in den<br />

reichen Ländern, aber dennoch sind sie kaum<br />

wettbewerbsfähig. Die Agrarsubventionen der<br />

reichen Länder betragen <strong>über</strong> 300 Milliarden<br />

Dollar pro Jahr – das ist beinahe das Sechsfache<br />

der öffentlichen Entwicklungshilfe.<br />

Besserer Zugang zum globalen technischen<br />

Fortschritt. Die technologischen Durchbrüche<br />

der letzten Jahrzehnte haben ein enormes<br />

Potenzial für <strong>die</strong> Verbesserung des<br />

<strong>menschliche</strong>n Lebens durch technische Innovationen<br />

geschaffen. Den reichen Ländern<br />

eröffnet sich ein weites Feld, um dazu beizutragen,<br />

dass der technische Fortschritt zur<br />

Steigerung der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

eingesetzt wird und hilft, der Vernachlässigung<br />

der Bedürfnisse der Armen entgegenzuwirken.<br />

Derzeit sind nur zehn Prozent der globalen<br />

medizinischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />

den Krankheiten gewidmet,<br />

unter denen 90 Prozent der Ärmsten der<br />

Welt leiden. Die reichen Länder können auch<br />

helfen sicherzustellen, dass das Abkommen<br />

der Welthandelsorganisation (World Trade<br />

Organization – WTO) <strong>über</strong> <strong>die</strong> Handelsbezogenen<br />

Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums<br />

(Trade-Related Aspects of<br />

Intellectual Property Rights – TRIPS) <strong>die</strong> Interessen<br />

der Entwicklungsländer berücksichtigt.<br />

Das TRIPS-Abkommen schützt bisher<br />

nicht in ausreichendem Maß <strong>die</strong> Rechte indigener<br />

Gemeinschaften an ihrem traditionellen<br />

Wissen, das z.T. von Außenstehenden patentiert<br />

wird. Das TRIPS-Abkommen enthält<br />

zwar Bestimmungen zum Technologietransfer,<br />

<strong>die</strong> Formulierungen sind jedoch vage und<br />

erschweren <strong>die</strong> Umsetzung. Die WTO-Ministerkonferenz<br />

von Doha im Jahr 2001 bekräftigte,<br />

dass das TRIPS-Abkommen <strong>die</strong> armen<br />

Länder nicht daran hindern soll, ihrer Bevölkerung<br />

unverzichtbare Medikamente besser<br />

zugänglich zu machen. Die Konferenz traf den<br />

Beschluss, bis Dezember 2002 eine Einigung<br />

dar<strong>über</strong> zu erzielen, wie Länder ohne angemessene<br />

Fertigungskapazität Zugang zu solchen<br />

Medikamenten erhalten können. Aber<br />

<strong>die</strong>ser Termin ist verstrichen, ohne dass eine<br />

Lösung in Sicht wäre.<br />

Den Verpflichtungen weiter folgen –<br />

und neue Zielvorgaben formulieren. Die<br />

16 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


eichen Länder sind viele Verpflichtungen<br />

eingegangen, aber meistens ohne termingebundene<br />

und quantitative Zielvorgaben.<br />

Wenn <strong>die</strong> Entwicklungsländer <strong>die</strong> Ziele 1–7<br />

bis 2015 erreichen sollen, müssen <strong>die</strong> reichen<br />

Länder vor <strong>die</strong>sem Datum in einigen kritischen<br />

Bereichen Fortschritte erzielen. Dabei<br />

können sie sich selbst Fristen setzen, so dass<br />

<strong>die</strong>se Fortschritte <strong>über</strong>wacht werden können.<br />

Dieser Bericht schlägt vor, dass <strong>die</strong> reichen<br />

Länder <strong>die</strong> folgenden weiteren Zielvorgaben<br />

anstreben:<br />

• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

zur Schließung von Finanzlücken (<strong>die</strong> auf<br />

mindestens 50 Milliarden Dollar geschätzt<br />

werden).<br />

• Entwicklung konkreter Maßnahmen zur<br />

Umsetzung der Erklärung von Rom <strong>über</strong> Harmonisierung.<br />

• Beseitigung von Zöllen und Kontingenten<br />

auf Exporte aus Entwicklungsländern wie<br />

Agrarprodukte, Textilien und Bekleidung.<br />

• Abbau von Subventionen für landwirtschaftliche<br />

Produkte in den reichen Ländern.<br />

• Vereinbarung und Finanzierung eines Mechanismus<br />

der Ausgleichsfinanzierung für <strong>die</strong><br />

hochverschuldeten armen Länder im Fall unvorhersehbarer<br />

Ereignisse – wie beispielsweise<br />

Zusammenbrüche der Rohstoffpreise.<br />

• Vereinbarung und Finanzierung einer<br />

noch stärkeren Schuldenreduzierung für <strong>die</strong><br />

hochverschuldeten armen Länder, <strong>die</strong> den Erfüllungszeitpunkt<br />

erreicht haben, um <strong>die</strong> langfristige<br />

Tragbarkeit sicherzustellen.<br />

• Einführung von Schutz und Entgelt für<br />

traditionelles Wissen im TRIPS-Abkommen.<br />

• Verständigung dar<strong>über</strong>, was Länder ohne<br />

ausreichende Fertigungskapazitäten tun kön-<br />

nen, um <strong>die</strong> öffentliche Gesundheit im Rahmen<br />

des TRIPS-Abkommens zu schützen.<br />

So wie <strong>die</strong> Bevölkerung eines Landes dar<strong>über</strong><br />

wachen kann, was ihre Regierung unternimmt,<br />

um ihren Verpflichtungen nachzukommen,<br />

sollten auch <strong>die</strong> reichen Länder ihre Fortschritte<br />

bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen<br />

<strong>über</strong>wachen. Sie sollten als Beitrag zu einer<br />

globalen Strategie zur Verringerung der Armut<br />

Zwischen<strong>bericht</strong>e vorlegen, in denen sie ihre<br />

Prioritäten für ihre weiteren Schritte mitteilen.<br />

* * *<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele stellen <strong>die</strong><br />

Welt vor <strong>über</strong>wältigende Herausforderungen.<br />

Wenn es nicht zu radikalen Verbesserungen<br />

kommt, werden zu viele Länder <strong>die</strong> gesteckten<br />

Vorgaben nicht erreichen. Dies hätte verheerende<br />

Folgen für <strong>die</strong> ärmsten und schwächsten<br />

ihrer Bürger. Dennoch bietet sich der<br />

Welt heute <strong>die</strong> beispiellose Chance, <strong>die</strong> Verpflichtung<br />

zur Beseitigung der Armut zu erfüllen.<br />

Zum ersten Mal herrscht zwischen reichen<br />

und armen Ländern ein wirklicher Konsens<br />

dar<strong>über</strong>, dass Armut ein Problem der ganzen<br />

Welt ist, und dass <strong>die</strong> ganze Welt gemeinsam<br />

dagegen ankämpfen muss. Wie <strong>die</strong>ser Bericht<br />

erläutert, sind <strong>die</strong> Lösungen zur Überwindung<br />

von Hunger, Krankheit, Armut und fehlender<br />

Bildung zum großen Teil bekannt. Jedoch<br />

müssen für <strong>die</strong>se Anstrengungen angemessene<br />

Ressourcen bereitgestellt werden, und <strong>die</strong><br />

Dienstleistungen müssen gerechter und effizienter<br />

verteilt werden. All <strong>die</strong>s wird jedoch<br />

nicht geschehen, wenn nicht jedes einzelne<br />

Land, ob arm oder reich, seiner Verantwortung<br />

gegen<strong>über</strong> den Milliarden armer Menschen<br />

<strong>über</strong>all auf der Welt gerecht wird.<br />

ÜBERBLICK 17


Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

Im September 2000 verabschiedeten <strong>die</strong><br />

Staats- und Regierungschefs der Welt <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung<br />

der Vereinten Nationen.<br />

Sie verpflichteten darin ihre Länder auf stärkere<br />

globale Anstrengungen zur Minderung<br />

der Armut, zur Verbesserung der Gesundheit<br />

und zur Förderung von Frieden, Menschenrechten<br />

und ökologischer Nachhaltigkeit. Die<br />

Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>die</strong> aus der<br />

Erklärung hervorgegangen sind, stellen spezifische,<br />

messbare Zielvorgaben dar. Dazu<br />

gehört auch das Ziel, bis zum Jahr 2015 <strong>die</strong> extreme<br />

Armut zu mindern, von der noch immer<br />

mehr als eine Milliarde Menschen auf der<br />

Welt betroffen sind. Diese Ziele, und <strong>die</strong> Verpflichtungen<br />

der reichen und armen Länder,<br />

sie umzusetzen, wurden mehrfach bestätigt:<br />

im Konsens von Monterrey, dem Ergebnis der<br />

UN-Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />

vom März 2002; auf dem Weltgipfel für<br />

nachhaltige Entwicklung im September 2002<br />

und zum Auftakt der Welthandelsrunde von<br />

Doha.<br />

Staats- und Regierungschef aus reichen<br />

wie armen Länder haben <strong>die</strong> Konferenz von<br />

Monterrey als Zeichen eines gegenseitigen<br />

Paktes bei der Unterstützung gemeinsamer<br />

Entwicklungsziele beschrieben. Diese Verpflichtung<br />

stellt <strong>die</strong> Grundlage des Millenniums-Entwicklungspaktes<br />

dar, der hier vorgeschlagen<br />

wird. Es ist ein Pakt, durch den <strong>die</strong><br />

Weltgemeinschaft zusammenarbeiten kann,<br />

um den armen Ländern zu helfen, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen. Mit<br />

<strong>die</strong>sem Pakt werden alle wichtigen Interessengruppen<br />

aufgerufen, in gemeinsamer Verantwortung<br />

ihre Anstrengungen darauf auszurichten,<br />

den Erfolg der Ziele sicherzustellen.<br />

Arme Länder können auf mehr Unterstützung<br />

durch <strong>die</strong> Geber und auf besserem Zugang zu<br />

den Märkten der reichen Länder bestehen.<br />

Die Armen können ihre Politiker dafür zur<br />

Rechenschaft ziehen, dass sie <strong>die</strong> Zielvorgaben<br />

zur Minderung der Armut innerhalb eines<br />

festgelegten Zeitplans erreichen. Und <strong>die</strong> Geber<br />

können auf einer besseren Regierungsführung<br />

in armen Ländern und einer stärkeren<br />

Rechenschaftspflicht beim Einsatz der<br />

Entwicklungshilfegelder bestehen.<br />

Doch trotz des bewundernswerten Engagements<br />

auf der Millenniums-Versammlung<br />

der Vereinten Nationen und auf jüngeren internationalen<br />

Treffen werden Dutzende von<br />

Ländern als Fälle mit Priorität angesehen (in<br />

<strong>die</strong>sem Bericht unterteilt in „Länder mit hoher<br />

Priorität“ und „Länder mit höchster Priorität“),<br />

weil sie bedenklich weit davon entfernt<br />

sind, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen – was den Pakt<br />

nötiger macht denn je. Die globalen Kräfte,<br />

<strong>die</strong> Entwicklung befördern – wachsende<br />

Märkte, technologischer Fortschritt, <strong>die</strong> zunehmende<br />

Verbreitung der Demokratie – stiften<br />

bereits in großen Teilen der Welt Nutzen.<br />

Aber an Hunderten von Millionen der ärmsten<br />

Menschen der Welt gehen sie vorbei. Es<br />

sind nur noch zwölf Jahre bis zu dem Zeitpunkt,<br />

an dem <strong>die</strong> Ziele erreicht sein sollen.<br />

Und obgleich eine gute Staats- und Regierungsführung<br />

und gut funktionierende Institutionen<br />

in den ärmsten Ländern unabdingbar<br />

für den Erfolg der Ziele sind, so werden sie<br />

doch nicht ausreichen. Um <strong>die</strong> Ziele in den<br />

ärmsten Ländern erreichbar zu machen, müssen<br />

<strong>die</strong> reichen Länder, wie sie es versprochen<br />

haben, sehr viel mehr finanzielle Mittel bereitstellen<br />

und für das internationale System bessere<br />

Regeln aufstellen.<br />

Um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, sollte als erstes<br />

anerkannt werden, dass jedes Land eine Entwicklungsstrategie<br />

verfolgen muss, <strong>die</strong> seinen<br />

besonderen Bedürfnissen entspricht. Gesicherte<br />

Erfahrungen, gute wissenschaftliche<br />

Arbeit sowie eine ordnungsgemäße Überwachung<br />

und Evaluierung sollten <strong>die</strong> Grundla-<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt ist ein<br />

gemeinsames Produkt des Teams des Berichts<br />

<strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung und den<br />

Koordinatoren der Arbeitsgruppen des<br />

Millenniums-Projekts mit Beiträgen von anderen<br />

Millennium-Projektteilnehmern<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 19


Doch genauso wie <strong>die</strong><br />

Globalisierung einigen<br />

Regionen der Welt<br />

systematisch Nutzen<br />

gebracht hat, so ist sie an<br />

anderen Regionen sowie<br />

an vielen Gruppen<br />

innerhalb einzelner<br />

Länder vorbeigegangen<br />

gen für nationale Strategien sein. Innerhalb<br />

<strong>die</strong>ses Rahmens brauchen <strong>die</strong> armen Länder<br />

Spielraum, um mit den Gebern Strategien zu<br />

erarbeiten, <strong>die</strong> an <strong>die</strong> örtlichen Verhältnisse<br />

angepasst sind. Wenn nationale Programme<br />

nicht wirklich in einheimischen Händen liegen,<br />

werden sie weder an <strong>die</strong> Bedingungen vor<br />

Ort angepasst noch politisch tragfähig sein.<br />

Auch müssen in den nationalen Programmen<br />

<strong>die</strong> Menschenrechte geachtet werden. Die<br />

Programme müssen <strong>die</strong> Rechtsstaatlichkeit<br />

unterstützen und einer ehrlichen und wirksamen<br />

Umsetzung verpflichtet sein. Wenn <strong>die</strong>se<br />

Bedingungen erfüllt sind, sollten <strong>die</strong> armen<br />

Länder mit sehr viel mehr Unterstützung aus<br />

den reichen Ländern rechnen können, sowohl<br />

in finanzieller Hinsicht als auch in Hinblick<br />

auf fairere Spielregeln für Handel, Finanzen,<br />

Wissenschaft und Technologie.<br />

LÄNDER, DIE ZURÜCKBLEIBEN,<br />

MÜSSEN PRIORITÄT BEKOMMEN<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt muss sich<br />

als erstes den Ländern mit Priorität widmen,<br />

<strong>die</strong> bei der Erreichung der Ziele mit den größten<br />

Schwierigkeiten zu kämpfen haben – Länder<br />

mit der niedrigsten <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

und Länder, <strong>die</strong> im Laufe der letzten<br />

zehn Jahre <strong>die</strong> geringsten Fortschritte gemacht<br />

haben (siehe Kapitel 2). Für <strong>die</strong>se Länder<br />

sind nationale politische Reformen und<br />

sehr viel mehr Entwicklungshilfe von entscheidender<br />

Bedeutung.<br />

In den 1980er und einem großen Teil der<br />

1990er Jahre waren viele Entwicklungsanstrengungen<br />

der internationalen Finanzinstitutionen<br />

und wichtiger Geberländer von dem<br />

Glauben geleitet, dass <strong>die</strong> Kräfte des Marktes<br />

alle armen Länder auf den Weg eines sich<br />

selbst tragenden Wirtschaftswachstums<br />

führen würden. Die Globalisierung wurde als<br />

großartiger neuer Motor für weltweiten wirtschaftlichen<br />

Fortschritt angesehen. Man nahm<br />

an, dass <strong>die</strong> armen Länder in der Lage sein<br />

würden, wirtschaftliches Wachstum zu erzielen,<br />

wenn sie nur eine gute Wirtschaftspolitik<br />

auf der Grundlage der Regeln von makroökonomischer<br />

Stabilität, der Liberalisierung der<br />

Märkte und der Privatisierung der Wirtschaft<br />

verfolgten. Vom Wirtschaftswachstum wiederum<br />

erwartete man weitreichende Verbesserungen<br />

in den Bereichen Gesundheit, Bildung,<br />

Ernährung, Versorgung mit Wohnraum<br />

und dem Zugang zu infrastruktureller Grundversorgung,<br />

wie Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />

<strong>die</strong> es den Ländern ermöglichen würden,<br />

sich aus der Armut zu befreien.<br />

Obwohl sich <strong>die</strong>se optimistische Vorstellung<br />

für Hunderte von Millionen armer Menschen<br />

als ausgesprochen unzulänglich herausgestellt<br />

hat, so ist sie doch nach wie vor für<br />

weite Teile der Welt von nicht unerheblichem<br />

Nutzen. Obgleich es in den vergangenen Jahren<br />

Proteste gegen <strong>die</strong> Globalisierung gegeben<br />

hat, haben doch <strong>die</strong> globalen Marktkräfte zu<br />

wirtschaftlichem Wachstum und zur Minderung<br />

der Armut in China, In<strong>die</strong>n und Dutzenden<br />

anderer Entwicklungsländer beigetragen.<br />

Dank der globalen Marktkräfte und nationaler<br />

politischer Strategien, <strong>die</strong> dazu beitragen, <strong>die</strong>se<br />

Kräfte auch nutzbar zu machen, leben Milliarden<br />

von Menschen länger und genießen einen<br />

höheren Lebensstandard.<br />

Doch genauso wie <strong>die</strong> Globalisierung einigen<br />

Regionen der Welt systematisch Nutzen<br />

gebracht hat, so ist sie an anderen Regionen<br />

sowie an vielen Gruppen innerhalb einzelner<br />

Länder vorbeigegangen. In den 1990er Jahren<br />

ist der Lebensstandard in weiten Teilen Ostund<br />

Südasiens enorm gestiegen. Doch in weiten<br />

Teilen Afrikas südlich der Sahara, Osteuropas<br />

und der Gemeinschaft Unabhängiger<br />

Staaten (GUS) sowie in vielen Ländern Lateinamerikas<br />

und des Nahen Ostens ist <strong>die</strong>s<br />

nicht passiert. Hinzu kommen epidemisch<br />

auftretende Krankheiten, insbesondere<br />

HIV/AIDS. Solche Krankheiten treffen gerade<br />

<strong>die</strong> Menschen <strong>über</strong>proportional, <strong>die</strong> ohnehin<br />

schon benachteiligt sind, und werfen sie<br />

noch weiter zurück – was dazu führt, dass <strong>die</strong><br />

Armen in einem Teufelskreis von Armut und<br />

Krankheit gefangen gehalten werden.<br />

Selbst in großen und wachsenden Volkswirtschaften<br />

wie Brasilien, China, In<strong>die</strong>n oder<br />

Mexiko gibt es extrem arme Regionen, in denen<br />

das Wachstum der Volkswirtschaft kaum<br />

Abhilfe schafft. Der wirtschaftliche und soziale<br />

Fortschritt geht oft auch an ethnischen Minderheiten<br />

und sogar an Mehrheiten vorbei –<br />

20 HBERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


insbesondere an Mädchen und Frauen, <strong>die</strong><br />

unter geschlechtsspezifischen Benachteiligungen<br />

beim Zugang zu Schulbildung, öffentlichen<br />

Diensten, Arbeitsplätzen und Privateigentum<br />

leiden.<br />

Trotz des höheren Lebensstandards, den<br />

<strong>die</strong> Globalisierung (unterstützt von guter<br />

Wirtschaftspolitik) in weiten Teilen der Welt<br />

mit sich gebracht hat, erleben also Hunderte<br />

von Millionen von Menschen wirtschaftliche<br />

Rückschritte statt Fortschritte. Und <strong>über</strong> eine<br />

Milliarde Menschen kämpfen, gegeißelt von<br />

Hunger und Krankheiten, um ihr tägliches<br />

Überleben.<br />

Es gibt viele Gründe, warum <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />

Entwicklung an vielen der ärmsten<br />

Menschen und der ärmsten Gegenden der<br />

Welt noch immer vorbeigeht. Ein häufiger<br />

Grund ist eine schlechte Staats- und Regierungsführung.<br />

Wenn Regierungen korrupt, inkompetent<br />

oder ihren Bürgern gegen<strong>über</strong><br />

nicht rechenschaftspflichtig sind, dann drohen<br />

Volkswirtschaften zu versagen. Wo <strong>die</strong> Einkommensunterschiede<br />

sehr groß sind, kontrollieren<br />

oft <strong>die</strong> Reichen das politische System<br />

und vernachlässigen einfach <strong>die</strong> Armen, wodurch<br />

eine breitangelegte Entwicklung verhindert<br />

wird. Ebenso wird das wirtschaftliche<br />

Wachstum zum Erliegen kommen, wenn Regierungen<br />

nicht ausreichend in <strong>die</strong> Gesundheit<br />

und Bildung ihrer Bevölkerung investieren,<br />

weil es dann nicht genug gesunde, qualifizierte<br />

Arbeitskräfte gibt. Ohne eine gute Staats- und<br />

Regierungsführung in Bezug auf Wirtschaftspolitik,<br />

Menschenrechte, gut funktionierende<br />

Institutionen und demokratische politische<br />

Partizipation kann kein Land mit niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung erwarten, dass seine<br />

Entwicklungsanstrengungen langfristig erfolgreich<br />

sein werden oder dass <strong>die</strong> Geberländer<br />

ihre Unterstützung ausweiten.<br />

Viele Beobachter würden <strong>die</strong> Armen gerne<br />

belehren, einfach selber für eine Verbesserung<br />

zu sorgen, doch <strong>die</strong> meisten armen Länder<br />

stehen vor schwierigen strukturellen Problemen,<br />

<strong>die</strong> weit außerhalb ihrer Kontrolle liegen.<br />

Zu <strong>die</strong>sen Problemen gehört oft auch das<br />

internationale Handelssystem, wenn zum Beispiel<br />

reiche Länder Agrarexporte aus armen<br />

Ländern blockieren oder ihren Bauern hohe<br />

Subventionen zahlen und so <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />

<strong>die</strong>ser Exportgüter drücken. Arme Länder<br />

sehen sich auch beim Export von Textilien<br />

und Bekleidung, von verarbeiteten Lebensmitteln<br />

und Getränken und von anderen Produkten,<br />

bei denen sie konkurrenzfähig sein<br />

könnten, Handelsbarrieren gegen<strong>über</strong>. Hinzu<br />

kommt, dass viele Regierungen durch unbezahlbare<br />

Auslandsschulden gelähmt sind, <strong>die</strong><br />

sie von Vorgängerregierungen geerbt haben –<br />

während <strong>die</strong> Bemühungen um Schuldenerleichterungen<br />

zu spärlich ausfallen und zu spät<br />

kommen bzw. gekommen sind.<br />

Die geographische Lage bietet eine weitere<br />

wichtige Erklärung für fehlende wirtschaftliche<br />

Entwicklung. Viele arme Länder sind<br />

einfach zu klein und geographisch zu isoliert,<br />

um in- oder ausländische Investoren anzuziehen.<br />

Das Binnenland Mali mit seiner Bevölkerung<br />

von elf Millionen Menschen und einem<br />

jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund<br />

240 US-Dollar (bzw. 800 US-Dollar, an der<br />

Kaufkraftparität gemessen) ist für <strong>die</strong> meisten<br />

potenziellen ausländischen Investoren kaum<br />

interessant. Das Bruttosozialprodukt Malis<br />

entspricht mit rund 2,6 Milliarden US-Dollar<br />

in etwa dem einer Kleinstadt in einem reichen<br />

Land, wo etwa 85.000 Menschen von durchschnittlich<br />

30.000 US-Dollar im Jahr leben.<br />

Angesichts extrem hoher Transportkosten<br />

und einem kaum vorhandenen Interesse auf<br />

Seiten internationaler Unternehmen, in <strong>die</strong><br />

Produktion für kleine inländische Märkte zu<br />

investieren, geht <strong>die</strong> Globalisierung an solchen<br />

Ländern vorbei.<br />

Arme, abgelegene Länder wie Mali sind<br />

mit der Weltwirtschaft verbunden, indem sie<br />

meist einige wenige traditionelle Rohstoffe<br />

produzieren. Doch das langsame Wachstum<br />

der Weltwirtschaft, gleichbleibende Technologien<br />

und <strong>die</strong> oft schwankenden oder sinkenden<br />

Weltmarktpreise für <strong>die</strong>se Rohstoffe bieten<br />

keine ausreichend breite Basis für wirtschaftlichen<br />

Fortschritt. Aufgrund der anhaltend<br />

starken Abhängigkeit vom Export einiger<br />

weniger Rohstoffe gibt es keine Chancen,<br />

langfristig erfolgreich zu sein. In <strong>die</strong>ser verhängnisvollen<br />

Lage befinden sich weite Teile<br />

Afrikas südlich der Sahara, <strong>die</strong> Andenregion<br />

und Zentralasien.<br />

Wenn Regierungen<br />

korrupt, inkompetent oder<br />

ihren Bürgern gegen<strong>über</strong><br />

nicht rechenschaftspflichtig<br />

sind, dann<br />

drohen Volkswirtschaften<br />

zu versagen<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 21


Dafür wird der<br />

Millenniums-<br />

Entwicklungspakt<br />

benötigt: Ohne ihn<br />

werden <strong>die</strong> armen Länder<br />

bei niedrigem oder<br />

negativem<br />

Wirtschaftswachstum in<br />

der Armutsfalle gefangen<br />

bleiben<br />

Diese strukturellen Probleme werden<br />

durch das schnelle Bevölkerungswachstum<br />

noch verschärft. Die Bevölkerung wächst tendenziell<br />

in den Ländern am schnellsten, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

niedrigste <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufweisen.<br />

Dies kann zur Folge haben, dass immer weniger<br />

Ackerland zur Verfügung steht und <strong>die</strong> Umweltzerstörung<br />

(Abholzung, Verschlechterung<br />

der Bodenqualität, Überfischung und sinkende<br />

Süßwasservorkommen) zunimmt.<br />

Außerdem werden geographische Barrieren,<br />

<strong>die</strong> Abhängigkeit von Rohstoffen und der<br />

demographische Druck oft durch <strong>die</strong> große<br />

Belastung von Krankheiten wie HIV/AIDS,<br />

Tuberkulose und Malaria weiter verschlimmert<br />

– oder durch biophysikalische Probleme<br />

wie ausgelaugte Böden und gestörte Ökosysteme.<br />

Zwar legen <strong>die</strong> reichen Länder und <strong>die</strong><br />

wirtschaftlichen Institutionen, <strong>über</strong> <strong>die</strong> sie <strong>die</strong><br />

Kontrolle haben, bei der Festlegung der Zuweisung<br />

von Entwicklungshilfemitteln den<br />

Schwerpunkt auf eine gute Staats- und Regierungsführung.<br />

Doch allzu oft schenken sie den<br />

anderen Problemen, vor denen viele der ärmsten<br />

Länder stehen, keine Beachtung – insbesondere<br />

da <strong>die</strong> reichen Länder keine Erfahrungen<br />

mit um sich umgreifenden endemischen<br />

tropischen Krankheiten wie Malaria haben.<br />

Allzu viele politische Entscheidungsträger<br />

in den reichen Ländern glauben, dass <strong>die</strong><br />

armen Länder sich einfach nicht genug anstrengen,<br />

um sich zu entwickeln. Es fehlt ihnen<br />

das Verständnis für <strong>die</strong> tieferliegenden<br />

strukturellen Zwänge, <strong>die</strong> dort herrschen.<br />

MINDESTSTANDARDS, UM DER<br />

ARMUTSFALLE ZU ENTKOMMEN<br />

Aufgrund <strong>die</strong>ser strukturellen Hindernisse<br />

bleiben Länder in der Armutsfalle gefangen.<br />

Aber selbst unter derart schwierigen Bedingungen<br />

gibt es Grund zur Hoffnung. Für weitverbreitete<br />

Krankheiten, für Probleme aufgrund<br />

der geographischen Isolation, sensible Ökosysteme,<br />

<strong>über</strong>mäßige Abhängigkeit von Rohstoffexporten<br />

und schnelles Bevölkerungswachstum<br />

gibt es praktische, erprobte Lösungen.<br />

Dazu gehören politische Kursänderungen auf<br />

Seiten der reichen Länder, und sehr viel mehr<br />

Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur, <strong>die</strong> Kontrol-<br />

le von Krankheiten und <strong>die</strong> ökologische Nachhaltigkeit<br />

auf Seiten der armen Länder, unterstützt<br />

durch mehr finanzielle Hilfe der Regierungen<br />

der Geberländer. Dafür wird der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

benötigt. Ohne<br />

ihn werden <strong>die</strong> armen Länder bei niedrigem<br />

oder negativem Wirtschaftswachstum in der<br />

Armutsfalle gefangen bleiben.<br />

Anhaltendes Wirtschaftswachstum hilft in<br />

zweierlei Hinsicht, <strong>die</strong> Fesseln der Armut zu<br />

sprengen. Erstens erhöht es direkt das durchschnittliche<br />

Haushaltseinkommen. Wenn <strong>die</strong><br />

Haushalte unterhalb der Armutsgrenze Anteil<br />

am durchschnittlichen Anstieg des Volkseinkommens<br />

haben, dann kommt es zu einer direkten<br />

Minderung der extremen Einkommensarmut<br />

(d.h. des Anteils der Bevölkerung,<br />

der mit weniger als einem US-Dollar pro Tag<br />

<strong>über</strong>lebt). Die Erfahrung hat eindrucksvoll gezeigt,<br />

dass wirtschaftliches Wachstum den Armen<br />

aus der Falle der Einkommensarmut heraushelfen<br />

kann.<br />

Doch zu solchen positiven Wirkungen<br />

kommt es nicht automatisch. Sie können zunichte<br />

gemacht werden, wenn <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

des Einkommens zunimmt und <strong>die</strong><br />

Armen keinen ausreichenden Anteil am<br />

Wachstum haben – ein Phänomen, das in den<br />

vergangenen Jahren in vielen Ländern zu beobachten<br />

war. Deshalb werden in dem Pakt<br />

Maßnahmen betont, mit denen sichergestellt<br />

werden soll, dass <strong>die</strong> Armen einen Anteil am<br />

Gesamtwachstum haben. Dabei liegt der<br />

Schwerpunkt darauf, ihren Zugang zu den<br />

entscheidenden Faktoren zu verbessern – indem<br />

zum Beispiel <strong>die</strong> Grundbesitzverhältnisse<br />

gesichert werden, <strong>die</strong> Gründung von Kleinunternehmen<br />

erleichtert wird, arbeitsintensive<br />

Exporte gefördert werden und ein breiterer<br />

Zugang zu Kleinstkrediten geschaffen wird.<br />

Wirtschaftliches Wachstum verringert <strong>die</strong><br />

Einkommensarmut am stärksten, wenn <strong>die</strong><br />

Ungleichverteilung des Einkommens in der<br />

Ausgangslage möglichst gering ist.<br />

Wirtschaftliches Wachstum hat auch indirekte<br />

Wirkungen. Es mindert <strong>die</strong> nicht einkommensbezogene<br />

Armut, indem es <strong>die</strong><br />

Staatseinkünfte erhöht und damit mehr öffentliche<br />

Investitionen in Bildung, Basisinfrastruktur,<br />

<strong>die</strong> Kontrolle von Krankheiten und<br />

22 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


<strong>die</strong> Gesundheitsversorgung (insbesondere von<br />

Müttern und Kindern) ermöglicht. Hinzu<br />

kommt, dass <strong>die</strong>se Investitionen nicht nur <strong>die</strong><br />

nicht einkommensbezogene Armut mindern,<br />

sondern auch das Wirtschaftswachstum beschleunigen,<br />

indem sie <strong>die</strong> Qualifikation der<br />

Arbeitskräfte und <strong>die</strong> Produktivität erhöhen –<br />

und damit das Markteinkommen der Armen.<br />

Obwohl Wirtschaftswachstum nicht automatisch<br />

als Mittel gegen <strong>die</strong> nicht einkommensbezogene<br />

Armut wirkt, leistet es doch einen<br />

bedeutenden Beitrag zur Minderung der<br />

Armut, vorausgesetzt dass politisch sichergestellt<br />

wird, dass seine Dividenden <strong>die</strong> Armen<br />

auch erreichen. Einige arme Länder haben<br />

eindrucksvolle Fortschritte im Bildungs- und<br />

Gesundheitswesen erzielt, indem sie <strong>die</strong>sen<br />

Bereichen hohe Priorität beimaßen. Doch nur<br />

Wachstum kann solche Fortschritte aufrecht<br />

erhalten, denn in einer stagnierenden Volkswirtschaft<br />

gewinnen staatliche Haushaltsdefizite<br />

früher oder später <strong>die</strong> Oberhand. Zusammengefasst:<br />

Öffentliche Investitionen für <strong>die</strong><br />

Armen kurbeln das wirtschaftliche Wachstum<br />

an, während wirtschaftliches Wachstum solche<br />

Investitionen langfristig möglich macht.<br />

Die Gleichstellung der Geschlechter spielt<br />

in all <strong>die</strong>sen Bereichen eine zentrale Rolle. Die<br />

wirkungsvolle Verbindung zwischen der Produktivität<br />

und der Bildung und Gesundheit<br />

von Müttern und Mädchen – einschließlich<br />

der reproduktiven Gesundheit – werden allzu<br />

oft außer Kraft gesetzt, weil es den Frauen an<br />

Ermächtigung fehlt. Mädchen, <strong>die</strong> einen<br />

höheren Bildungsstand haben, heiraten später.<br />

Sie haben weniger Kinder, gebildetere<br />

Kinder, gesündere Kinder. Und erzielen auf<br />

dem Arbeitsmarkt ein höheres Einkommen.<br />

Wenn Mädchen nicht <strong>die</strong> Möglichkeit bekommen,<br />

zur Schule zu gehen, oder wenn es Frauen<br />

mit einem höheren Bildungsstand nicht erlaubt<br />

ist, sich am Arbeitsleben zu beteiligen,<br />

werden <strong>die</strong>se potenziellen Chancen vergeudet.<br />

Wenn bei öffentlichen Investitionen in <strong>die</strong> Basisinfrastruktur<br />

(wie z.B. sauberes Wasser) <strong>die</strong><br />

Bedürfnisse der Frauen nicht berücksichtigt<br />

werden, dann könnten Frauen dazu verurteilt<br />

sein, mehrere Stunden am Tag damit zu verbringen<br />

Wasser zu holen, statt einen produktiveren<br />

gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.<br />

Wenn Frauen kein Mitspracherecht bei Haushaltsentscheidungen<br />

haben, werden <strong>die</strong> Synergien<br />

zwischen Produktivität, Gesundheit und<br />

Bildung gebremst. Die Gleichstellung der Geschlechter<br />

bedeutet also mehr als soziale Gerechtigkeit,<br />

sie fördert Entwicklung.<br />

Für <strong>die</strong> Länder, <strong>die</strong> in der Armutsfalle gefangen<br />

sind, wird Wachstum nicht von alleine<br />

kommen, und <strong>die</strong> einheimischen Investitionen<br />

in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung werden nicht<br />

ausreichen. Um der Armutsfalle zu entkommen,<br />

brauchen <strong>die</strong>se Länder sehr viel mehr finanzielle<br />

Unterstützung der Geber, um sehr<br />

viel stärker in Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft,<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />

und andere zentrale Infrastrukturbereiche zu<br />

investieren, schon bevor es zu wirtschaftlichem<br />

Wachstum kommt. Solche Investitionen<br />

sind von entscheidender Bedeutung, um <strong>die</strong><br />

Voraussetzungen für anhaltendes Wirtschaftswachstum<br />

erst einmal zu schaffen.<br />

Die Botschaft ist einfach: Um der Armutsfalle<br />

zu entkommen muss ein Land bestimmte<br />

Mindeststandards erreichen – in Bezug auf<br />

Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und<br />

Staats- und Regierungsführung. Dadurch bekommt<br />

es erst <strong>die</strong> Möglichkeit, anhaltendes<br />

Wirtschaftswachstum in Gang zu setzen. Dutzende<br />

armer Länder liegen unter <strong>die</strong>sen Mindeststandards,<br />

oft keineswegs durch eigenes<br />

Verschulden, und aus Gründen, <strong>die</strong> völlig<br />

außerhalb ihrer Kontrolle liegen. An <strong>die</strong>ser<br />

Stelle greift der Pakt zwischen den reichen<br />

und den armen Ländern. Wenn ein Land <strong>die</strong><br />

richtigen politischen Strategien wählt und sich<br />

bei der Umsetzung <strong>die</strong>ser Strategien einer guten<br />

Staats- und Regierungsführung verpflichtet,<br />

dann muss <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />

– internationale Organisationen, bilaterale<br />

Geber, private Akteure, Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft – <strong>die</strong>sem Land mit mehr<br />

Entwicklungshilfe helfen, <strong>die</strong> Mindeststandards<br />

zu erreichen.<br />

POLITISCHE MASSNAHMENBÜNDEL,<br />

UM DER ARMUTSFALLE ZU ENTKOMMEN<br />

Um Wege aus der Armutsfalle zu finden,<br />

braucht es einen vielschichtigen Ansatz – einen<br />

Ansatz, der <strong>über</strong> <strong>die</strong> gängigen vernünfti-<br />

Öffentliche Investitionen<br />

für <strong>die</strong> Armen kurbeln<br />

das wirtschaftliche<br />

Wachstum an, während<br />

wirtschaftliches<br />

Wachstum solche<br />

Investitionen langfristig<br />

möglich macht<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 23


Das erste Maßnahmenbündel<br />

– Investitionen<br />

in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung – muss<br />

durch sehr viel mehr<br />

Geberbeiträge gestützt<br />

werden, noch bevor<br />

wirtschaftliches<br />

Wachstum greift<br />

gen Gebote in Bezug auf gute wirtschaftliche<br />

und politische Staats- und Regierungsführung<br />

hinaus geht. Für Länder, <strong>die</strong> in der Armutsfalle<br />

stecken, sind sechs Maßnahmenbündel entscheidend:<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

– Ernährung, Gesundheit (einschließlich<br />

reproduktiver Gesundheit), Bildung, Trinkwasser-<br />

und Sanitärversorgung – um produktive<br />

Arbeitskräfte zu fördern, <strong>die</strong> an der Weltwirtschaft<br />

erfolgreich teilhaben können.<br />

• Unterstützung für Kleinbauern zur Erhöhung<br />

der Produktivität als Ausweg aus der<br />

Subsistenzwirtschaft und chronischer Unterernährung<br />

– insbesondere in Ländern mit<br />

<strong>über</strong>wiegend ländlicher Bevölkerung.<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur – Energie,<br />

Straßen, Häfen, Kommunikation – um<br />

neue Investitionen in nicht-traditionellen Bereichen<br />

anzuziehen.<br />

• Entwicklung einer Industrieansiedlungspolitik<br />

unter besonderer Berücksichtung kleiner<br />

und mittelständischer Unternehmen,<br />

durch <strong>die</strong> nicht-traditionelle Aktivitäten des<br />

Privatsektors unterstützt werden. Eine solche<br />

Politik könnte Zonen für <strong>die</strong> Weiterverarbeitung<br />

von Exportgütern umfassen sowie steuerliche<br />

Anreize und andere Maßnahmen zur<br />

Förderung von Investitionen und öffentlichen<br />

Ausgaben für Forschung und Entwicklung.<br />

• Betonung der Menschenrechte und sozialer<br />

Gerechtigkeit, um das Wohlergehen aller<br />

Menschen zu fördern und um sicherzustellen,<br />

dass arme und marginalisierte Menschen –<br />

einschließlich Frauen und Mädchen – <strong>die</strong><br />

Freiheit und <strong>die</strong> Stimme haben, Entscheidungen,<br />

<strong>die</strong> ihr Leben betreffen, zu beeinflussen.<br />

• Förderung ökologischer Nachhaltigkeit<br />

und Verbesserung des städtischen Managements.<br />

Alle Länder mit einem niedrigen Niveau<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, aber insbesondere<br />

<strong>die</strong> ärmsten Länder, müssen <strong>die</strong> biologische<br />

Vielfalt und <strong>die</strong> Ökosysteme schützen,<br />

<strong>die</strong> das Leben erhalten (sauberes Wasser,<br />

saubere Luft, Bodennährstoffe, Wälder,<br />

Fischgründe und andere wichtige Ökosysteme)<br />

und sicherstellen, dass ihre Städte gut verwaltet<br />

werden, um <strong>die</strong> Lebensgrundlagen und<br />

eine sichere Umwelt zu erhalten.<br />

Das erste Maßnahmenbündel – Investitio-<br />

nen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung – muss<br />

durch sehr viel mehr Geberbeiträge gestützt<br />

werden, noch bevor wirtschaftliches Wachstum<br />

greift. Weil bessere Gesundheit und Bildung<br />

beides Ziele <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

und Voraussetzungen für anhaltendes Wachstum<br />

sind, sind Investitionen in <strong>die</strong>se Bereiche<br />

wichtig, damit später Maßnahmen der Privatwirtschaft<br />

in Gang kommen können. Unterstützt<br />

durch zusätzliche Gebermittel können<br />

öffentliche Investitionen bedeutende Fortschritte<br />

in den Bereichen Gesundheit, Bevölkerungs<strong>entwicklung</strong>,<br />

Ernährung, Bildung, Trinkwasser-<br />

und Sanitärversorgung voranbringen.<br />

Die nötigen Technologien sind weithin bekannt<br />

und erprobt. Bevor sich das Pro-Kopf-<br />

Einkommen wesentlich erhöht, können und<br />

sollten daher große Fortschritte in den Bereichen<br />

Gesundheit and Bildung erzielt werden.<br />

Das zweite Maßnahmenbündel für Auswege<br />

aus der Armutsfalle beinhaltet <strong>die</strong> Erhöhung<br />

der Produktivität armer Kleinbauern.<br />

Die Produktivität in der Landwirtschaft lässt<br />

sich erhöhen, indem man verbesserte Technologien<br />

einführt, wie besseres Saatgut, bessere<br />

Bodenbestellung und Fruchtfolgesysteme,<br />

Schädlingsbekämpfung und Bodenbewirtschaftung.<br />

Sie lässt sich auch erhöhen, indem<br />

man <strong>die</strong> ländliche Infrastruktur verbessert,<br />

zum Beispiel durch Bewässerungssysteme,<br />

Lagermöglichkeiten, Verkehrseinrichtungen,<br />

Verbindungsstraßen zwischen Dörfern und<br />

größeren Marktzentren. Um <strong>die</strong> Produktivität<br />

langfristig zu erhöhen, können gesicherte<br />

Grundbesitzverhältnisse <strong>die</strong> Rechte der Bauern<br />

schützen und ihnen Anreize bieten, in <strong>die</strong><br />

Bodenverbesserung zu investieren. Diese<br />

Schritte erfordern Entwicklungspartnerschaften<br />

mit der Wirtschaft (public private partnerships),<br />

um ländliche Entwicklung zu fördern,<br />

auch durch entscheidende Investitionen<br />

in <strong>die</strong> Agrarwissenschaften und -technologien.<br />

Das dritte Maßnahmenbündel sieht vor,<br />

bei den zentralen Bereichen der Infrastruktur<br />

einen angemessenen Mindeststandard zu erreichen,<br />

um <strong>die</strong> wirtschaftliche Bandbreite zu<br />

erweitern. Dies wird an einigen Standorten,<br />

zum Beispiel in Hafenstädten, einfacher sein,<br />

woanders jedoch sehr viel schwieriger, zum<br />

Beispiel in Binnen- oder Gebirgsländern, in<br />

24 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


denen <strong>die</strong> Transportkosten hoch sind. Wieder<br />

wird <strong>die</strong> Entwicklungshilfe eine Schlüsselrolle<br />

spielen, um arme Länder in <strong>die</strong> Lage zu versetzen,<br />

bei der Infrastruktur einen Mindeststandard<br />

zu erreichen. Ohne Hilfe von außen<br />

werden <strong>die</strong>se Länder in der Falle bleiben – zu<br />

arm, um in <strong>die</strong> Infrastruktur zu investieren,<br />

und mit zu geringer Infrastruktur, um in neuen<br />

Exportzweigen international konkurrenzfähig<br />

zu werden.<br />

Bei dem vierten Maßnahmenbündel geht<br />

es um <strong>die</strong> speziellen Instrumente der Industrieansiedlungspolitik<br />

– darunter auch <strong>die</strong><br />

Förderung von Wissenschaft und Technologie<br />

– um stabile Rahmenbedingungen für Investitionen<br />

in nicht-traditionellen Wirtschaftsbereichen<br />

zu schaffen. In vielen <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />

Erfolgsgeschichten, zum Beispiel in<br />

den Volkswirtschaften der ostasiatischen Tigerstaaten,<br />

wurde <strong>die</strong> Entwicklung nicht-traditioneller<br />

Wirtschaftsbereiche durch zeitweilige<br />

Steuerbefreiungen, Freihandelszonen für<br />

<strong>die</strong> Exportindustrie, Wirtschaftssonderzonen,<br />

Wissenschaftsparks, Steuergutschriften für Investitionen,<br />

gezielte Finanzierung von Forschung<br />

und Entwicklung sowie staatliche Zuschüsse<br />

für Infrastruktur und Grund und Boden<br />

unterstützt. Ohne solche speziellen Anreize<br />

ist es für kleine, arme Länder schwierig, in<br />

nicht-traditionellen Bereichen der Weltwirtschaft<br />

Fuß zu fassen, mit der Folge, dass nur<br />

wenige damit Erfolg haben. Hier kann <strong>die</strong> Bereitstellung<br />

von Kleinstkrediten helfen, indem<br />

sie in sehr viel geringem Umfang spezielle Anreize<br />

bieten, um Beschäftigung und <strong>die</strong> Schaffung<br />

von Einkommen in Kleinst-, Klein- und<br />

mittelständischen Unternehmen zu fördern.<br />

Wie bei ländlichem Grundbesitz auch, können<br />

gesicherte Besitzverhältnisse bei städtischen<br />

Wohngebäuden <strong>die</strong> produktiven Investitionen<br />

der armen Bevölkerung erhöhen.<br />

Das fünfte Maßnahmenbündel beinhaltet<br />

<strong>die</strong> Förderung der Menschenrechte und <strong>die</strong><br />

Ermächtigung der Armen durch demokratische<br />

Staats- und Regierungsführung. In Dutzenden<br />

von Ländern fehlt den Armen, ethnischen<br />

Minderheiten, Frauen und anderen<br />

Gruppen noch immer der Zugang zu öffentlichen<br />

Diensten und privaten Entwicklungschancen<br />

– und sie werden deshalb nicht<br />

vom Wachstum profitieren, wenn es schließlich<br />

in Gang kommt. Die politischen Institutionen<br />

müssen den Armen <strong>die</strong> Möglichkeit geben,<br />

an Entscheidungen beteiligt zu sein, <strong>die</strong><br />

ihr Leben beeinflussen, und sie vor Entscheidungen<br />

schützen, <strong>die</strong> Regierungen und andere<br />

Kräfte willkürlich treffen, ohne dafür rechenschaftspflichtig<br />

zu sein.<br />

Nationale Strategien für <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele müssen ein Engagement für<br />

<strong>die</strong> Rechte der Frauen auf Bildung, Versorgung<br />

im Bereich reproduktiver Gesundheit,<br />

Eigentum, gesicherte Besitzverhältnisse und<br />

<strong>die</strong> Teilnahme am Arbeitsleben beinhalten.<br />

Sie müssen gegen andere Formen der Diskriminierung<br />

– aufgrund von Rasse, ethnischer<br />

oder regionaler Zugehörigkeit – angehen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Armen innerhalb einzelner Länder marginalisieren<br />

können. Eine Stärkung der Demokratie<br />

durch strukturelle Reformen der Staatsund<br />

Regierungsführung, wie Dezentralisierung,<br />

kann den Armen in Entscheidungsprozessen<br />

mehr Gehör verschaffen.<br />

Das sechste Maßnahmenbündel fordert<br />

ein besseres städtisches und Umweltmanagement,<br />

insbesondere um <strong>die</strong> Armen zu schützen.<br />

Es ist kein Zufall, dass viele der ärmsten<br />

Gegenden der Welt unter enormen Klimaschwankungen<br />

und hoher Klimaanfälligkeit<br />

leiden, und ein gutes ökologisches Management<br />

brauchen. Zu <strong>die</strong>sen Gegenden gehören<br />

tropische und subtropische Regionen, <strong>die</strong> anfällig<br />

für <strong>die</strong> von El Niño verursachten Niederschlags-<br />

und Temperaturschwankungen<br />

sind. Solche Regionen bekommen auch <strong>die</strong><br />

Auswirkungen des langfristigen Klimawandels<br />

zu spüren. Hinzu kommen das schnelle Bevölkerungswachstum<br />

und rücksichtslose Wirtschaftspraktiken,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ökosysteme vieler<br />

Länder mit niedrigem Einkommen und niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung belasten.<br />

Durch <strong>die</strong>sen Druck kommt es zum Verlust<br />

von Lebensräumen durch Abholzung und <strong>die</strong><br />

Ausbreitung von Straßen, Städten und Ackerland<br />

– und zum Raubbau an knappen Ressourcen<br />

wie Grundwasservorkommen und<br />

küstennahen Fischgründen. Eine damit zusammenhängende<br />

Herausforderung besteht in<br />

der Bewältigung der schnell voranschreitenden<br />

Urbanisierung, um <strong>die</strong> öffentliche Ge-<br />

Nationale Strategien für<br />

<strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele müssen<br />

ein Engagement für <strong>die</strong><br />

Rechte der Frauen auf<br />

Bildung, Versorgung im<br />

Bereich reproduktiver<br />

Gesundheit, Eigentum,<br />

gesicherte Besitzverhältnisse<br />

und <strong>die</strong><br />

Teilnahme am Arbeitsleben<br />

beinhalten<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 25


Der Millenniums-<br />

Entwicklungspakt basiert<br />

auf der von den<br />

wichtigsten<br />

Interessengruppen<br />

gemeinsam getragenen<br />

Verantwortung<br />

sundheit und den Zugang zur Grundversorgung<br />

z.B. mit Land, Wohnraum, Beförderungsmitteln,<br />

sauberem Trinkwasser, Sanitärversorgung<br />

und anderer Infrastruktur sicherzustellen.<br />

Solche Anstrengungen erfordern<br />

eine umsichtige Stadtplanung und erhebliche<br />

öffentliche Investitionen.<br />

Um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, müssen <strong>die</strong><br />

ärmsten Länder also der Armutsfalle entkommen.<br />

Um <strong>die</strong>s zu schaffen, müssen sie eine kritische<br />

Mindestversorgung in den Bereichen<br />

Gesundheit, Bildung, Infrastruktur sowie einen<br />

Mindeststandard bei der Staats- und Regierungsführung<br />

erreichen. Außerdem brauchen<br />

sie eine Agrarpolitik, durch <strong>die</strong> sich <strong>die</strong><br />

Produktivität erhöht, und eine Industrieansiedlungspolitik,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Grundlage für langfristiges,<br />

von der Privatwirtschaft getragenes<br />

Wirtschaftswachstum schafft. Schließlich sollten<br />

<strong>die</strong>se politischen Maßnahmen unter Achtung<br />

sozialer Gerechtigkeit und der Menschenrechte<br />

sowie ökologischer Nachhaltigkeit<br />

umgesetzt werden. Mehr Entwicklungshilfe<br />

ist entscheidend, damit <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />

<strong>die</strong>se Mindeststandards erreichen können.<br />

Dieser Finanzierung muss eine bessere Staatsund<br />

Regierungsführung und eine bessere Nutzung<br />

der Ressourcen gegen<strong>über</strong>stehen. Im<br />

Laufe etwa einer Generation wird ein anhaltendes<br />

Wirtschaftswachstum es <strong>die</strong>sen Ländern<br />

ermöglichen, <strong>die</strong> Finanzierung der öffentlichen<br />

Grundversorgung und Infrastruktur<br />

von den Gebern zu <strong>über</strong>nehmen.<br />

DIE UMSETZUNG DES MILLENNIUMS-<br />

ENTWICKLUNGSPAKTS<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt basiert<br />

auf der von den wichtigsten Interessengruppen<br />

gemeinsam getragenen Verantwortung.<br />

Er erfordert eine Vielzahl zusammenwirkender<br />

und sich gegenseitig ergänzender Anstrengungen<br />

der reichen und armen Länder, internationalen<br />

Organisationen, Kommunalverwaltungen,<br />

privaten Akteure und Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft. Einige Maßnahmen werden<br />

auf Regierungsebene durchgeführt werden,<br />

andere auf internationaler Ebene – wie<br />

zum Beispiel internationale Abkommen, um<br />

<strong>die</strong> Spielregeln in den Bereichen Handel und<br />

Finanzen sowie der Entwicklung und des Managements<br />

von Wissenschaft und Technologien<br />

zu ändern.<br />

LÄNDER MIT NIEDRIGER MENSCHLICHER<br />

ENTWICKLUNG – BESEITIGUNG DER ARMUT<br />

UND MASSNAHMEN ZUR DECKUNG DER<br />

GRUNDBEDÜRFNISSE<br />

Ohne Frage gibt es in Ländern mit niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung – insbesondere in<br />

den Ländern, <strong>die</strong> in der Armutsfalle stecken –<br />

den dringendsten Bedarf. Die Länder müssen,<br />

aufbauend auf den oben beschriebenen sechs<br />

Maßnahmenbündeln, kohärente Strategien<br />

zur Umseztzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

entwickeln.<br />

Als Teil <strong>die</strong>ser Gesamt<strong>entwicklung</strong>sstrategien<br />

betont der Konsens von Monterrey (siehe<br />

oben) <strong>die</strong> Bedeutung von Armutsbekämpfungsstrategien,<br />

<strong>die</strong> in den Händen und in der<br />

Verantwortung der einzelnen Länder liegen.<br />

Deshalb haben mehr als zwei Dutzend arme<br />

Länder Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung<br />

(Poverty Reduction Strategy Papers<br />

- PRSPs) erarbeitet, <strong>die</strong> den Rahmen für<br />

<strong>die</strong> Finanzierung, Umsetzung und Überwachung<br />

solcher Strategien bieten. Die Strategiedokumente<br />

beschreiben makroökonomische,<br />

struktur- und sozialpolitische Strategien und<br />

Programme zur Förderung von Wachstum,<br />

zur Minderung der Armut und zur Erzielung<br />

von Fortschritten in Bereichen wie Bildung<br />

und Gesundheit und geben den externen Finanzierungsbedarf<br />

an. Die PRSPs werden von<br />

Regierungen erarbeitet, aber sie entstehen<br />

durch partizipative Prozesse, an denen <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />

und externe Partner beteiligt<br />

sind, darunter auch <strong>die</strong> Weltbank und der Internationale<br />

Währungsfonds (IWF).<br />

Die PRSPs sind zwar bei weitem nicht perfekt,<br />

doch rücken sie <strong>die</strong> Armutsbekämpfung<br />

stärker ins Zentrum von Entwicklungsstrategien.<br />

Und sie bieten einen Rahmen für <strong>die</strong> Koordination<br />

der Geber auf der Basis nationaler<br />

Prioritäten. Aber sie unterstützen noch nicht<br />

in ausreichendem Maße <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

Zwar werden <strong>die</strong> Ziele in den<br />

PRSPs immer häufiger erwähnt, doch sie sollten<br />

eine Grundlage dafür bieten, Länderstra-<br />

26 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


tegien systematischer zu bewerten und den<br />

Umfang des Entwicklungshilfebedarfs anzugeben.<br />

Den Regierungen wird geraten, bei der<br />

Erarbeitung ihrer Strategien „realistisch“ zu<br />

sein. Dies bedeutet aber tendenziell, dass sie<br />

das bestehende Niveau an Entwicklungshilfe<br />

und <strong>die</strong> verschiedenen Hindernisse für mehr<br />

Wirtschaftswachstum (wie den fehlenden Zugang<br />

zu ausländischen Märkten) hinnehmen<br />

sollen. Im Ergebnis gelingt es nicht, in den<br />

PRSPs <strong>die</strong> Ressourcen zu benennen, <strong>die</strong> nötig<br />

sind, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

Die Richtlinien von IWF und Weltbank<br />

zur Erarbeitung der Strategiedokumente (das<br />

PRSP Sourcebook) empfehlen zum Beispiel<br />

eine Methode zur Festlegung von Zielvorgaben<br />

angesichts fiskalischer und technischer Beschränkungen.<br />

Die Richtlinien betonen nicht,<br />

dass solche Beschränkungen verringert werden<br />

können und sollten (z.B. durch mehr Entwicklungshilfe),<br />

damit <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong> Ziele erreichen<br />

können. Dies verdeutlicht z.B. das PRSP<br />

von Malawi, dass nicht anspruchsvoll genug ist,<br />

um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. In einer gemeinsamen<br />

Beurteilung von Malawis PRSP durch<br />

IWF- und Weltbank-Mitarbeiter („Joint Staff<br />

Assessment“) heißt es: „Während <strong>die</strong> meisten<br />

Indikatoren mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

(MEZ) in Einklang stehen, sind <strong>die</strong><br />

Zielvorgaben des PRSPs weniger ehrgeizig.<br />

Weitere Arbeit ist nötig, um längerfristige Zielvorgaben<br />

zu entwickeln, <strong>die</strong> zu den 2015er-Zielen<br />

in direktem Bezug stehen. Werden <strong>die</strong> Zielvorgaben,<br />

<strong>die</strong> im PRSP für 2005 festgelegt<br />

wurden, hochgerechnet, entsteht der Eindruck,<br />

dass Malawi <strong>die</strong> 2015er-Ziele nicht erreichen<br />

wird. Die Mitarbeiter gehen davon<br />

aus, dass <strong>die</strong>se PRSP-Zielvorgaben realistischer<br />

sind und Malawis gegenwärtige sozioökonomische<br />

Voraussetzungen widerspiegeln“ (S. 3-4,<br />

23. August 2002, s. http://www.imf.org).<br />

Die Einschätzung des PRSPs von Malawi<br />

durch IWF und Weltbank birgt <strong>die</strong> Gefahr,<br />

<strong>die</strong> Ziele und <strong>die</strong> Verpflichtungen der Konferenz<br />

von Monterrey zu untergraben. Malawi<br />

braucht sehr viel mehr Entwicklungshilfe,<br />

ebenso wie viele weitere Länder in ähnlicher<br />

Lage. Anstatt Mäßigung verordnet zu bekommen,<br />

sollten sie Hilfe erhalten, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />

erreichen. IWF und Weltbank sollten ihnen<br />

helfen, <strong>die</strong> nötige zusätzliche Hilfe zu mobilisieren.<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

bietet den Rahmen für <strong>die</strong>se Art internationaler<br />

Hilfe.<br />

In jeder nationalen Entwicklungsstrategie,<br />

einschließlich der PRSPs, sollten zwei Fragen<br />

gestellt werden. Zum einen, welche nationale<br />

Politik erforderlich ist, um <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele zu erreichen. Dazu gehören<br />

auch <strong>die</strong> Mobilisierung und Umverteilung einheimischer<br />

Ressourcen sowie <strong>die</strong> Konzentration<br />

der Ausgaben auf Reformen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Effizienz<br />

steigern und zu mehr Gerechtigkeit<br />

führen. Zum zweiten, welche internationalen<br />

politischen Maßnahmen nötig sind – zum Beispiel<br />

mehr Entwicklungshilfe, Erweiterung<br />

des Markzugangs, raschere Schuldenerleichterungen<br />

und verstärkter Technologietransfer.<br />

Der Pakt fordert alle Entwicklungsländer<br />

auf, ihre Entwicklungsstrategien (einschließlich<br />

ihrer PRSPs, sofern <strong>die</strong>se vorhanden sind)<br />

im Rahmen ihrer nationalen Prioritäten und<br />

Bedürfnisse mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

in Einklang zu bringen. Alle nationalen<br />

Strategien sollten klar <strong>die</strong> Maßnahmen<br />

definieren, <strong>die</strong> innerhalb der Möglichkeiten<br />

der einzelnen Länder liegen – sowie <strong>die</strong> Maßnahmen,<br />

für <strong>die</strong> stärkere internationale Unterstützung<br />

erforderlich ist, wie weitere Schuldenerleichterungen,<br />

mehr Entwicklungshilfe und<br />

ein besserer Zugang zu ausländischen Märkten.<br />

In den nationalen Strategien sollte auch<br />

der mittelfristige Haushaltsbedarf für alle entscheidenden<br />

Bereiche – Gesundheits- und Bildungswesen,<br />

Infrastruktur, Umweltmanagement<br />

– geschätzt werden. Außerdem sollten<br />

darin <strong>die</strong> Budgetposten ausgewiesen werden,<br />

<strong>die</strong> mit einheimischen Mitteln abgedeckt werden<br />

können, sowie <strong>die</strong> Posten, <strong>die</strong> durch eine<br />

höhere Entwicklungshilfe abgedeckt werden<br />

sollen.<br />

Dieser Prozess wird <strong>die</strong> Kluft zwischen<br />

der gegenwärtigen öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

(Official Development Assistance -<br />

ODA) und dem Umfang deutlich machen, der<br />

nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Arme<br />

Länder und ihre Partner der Entwicklungszusammenarbeit<br />

können dann zuversichtlich zusammenarbeiten,<br />

um sicherzustellen, dass <strong>die</strong><br />

nationalen Strategien durch eine vernünftige<br />

Der Pakt fordert alle<br />

Entwicklungsländer auf,<br />

ihre Entwicklungsstrategien<br />

im Rahmen<br />

ihrer nationalen Prioritäten<br />

und Bedürfnisse mit<br />

dem Millenniums-<br />

Entwicklungszielen in<br />

Einklang zu bringen<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 27


Die internationalen<br />

Finanzinstitutionen sollten<br />

<strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele in den<br />

Mittelpunkt ihrer<br />

analytischen,<br />

beraterischen und<br />

finanziellen Bemühungen<br />

für alle<br />

Entwicklungsländer<br />

stellen<br />

Politik und eine angemessene Finanzierung<br />

gestützt werden.<br />

LÄNDER MIT MITTLERER MENSCHLICHER<br />

ENTWICKLUNG – GEGEN INSELN TIEFER<br />

ARMUT VORGEHEN<br />

Die meisten Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung sollten in der Lage sein, <strong>die</strong><br />

meisten oder alle ihrer Entwicklungsbedürfnisse<br />

mit einheimischen Mitteln oder mit ausländischen<br />

Mitteln zu Marktkonditionen<br />

(einschließlich privater Geldströme und öffentlicher<br />

Darlehen multilateraler Entwicklungsbanken<br />

und bilateraler Institutionen) zu<br />

finanzieren. Viele von ihnen sind auf dem<br />

Weg, <strong>die</strong> meisten oder alle der Ziele zu erreichen.<br />

Aber in mehreren <strong>die</strong>ser Länder gibt es<br />

noch immer Inseln tiefer Armut. Deshalb<br />

brauchen sie nach wie vor spezifische Unterstützung<br />

durch reiche Länder – insbesondere<br />

einen besseren Markzugang für Exporte und<br />

bessere internationale Spielregeln im Finanzwesen<br />

und beim Technologietransfer. Auf nationaler<br />

Ebene müssen sie zudem strukturelle<br />

Ungleichheiten reduzieren – indem sie sich<br />

mit politischen Maßnahmen den Gruppen<br />

widmen, <strong>die</strong> besonders gefährdet oder marginalisiert<br />

sind, ob aufgrund von Geschlecht,<br />

ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder geographischer<br />

Lage.<br />

Diese Länder können auch den Ländern<br />

mit hoher und höchster Priorität helfen, Ziele<br />

zu definieren und festzulegen, welche Mittel<br />

nötig sind, um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen. Es gibt sehr unterschiedliche<br />

Länder mit mittlerem Niveau<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, von Brasilien bis<br />

Malaysia, von Mauritius bis Mexiko. Von ihnen<br />

können Länder, <strong>die</strong> noch immer in der<br />

Armutsfalle stecken, wichtige Erfahrungen<br />

<strong>über</strong>nehmen, denn <strong>die</strong>se Länder standen (und<br />

stehen oft immer noch) vor vielen ähnlichen<br />

ökologischen, gesundheitlichen und anderen<br />

Herausforderungen. Viele Länder mit mittlerem<br />

Einkommen haben in jüngster Zeit damit<br />

begonnen, Entwicklungsberatung und sogar<br />

finanzielle Hilfe anzubieten; ein ermutigender<br />

Trend, der ausdrücklich gefördert werden<br />

sollte.<br />

INTERNATIONALE FINANZINSTITUTIONEN –<br />

DIE ZIELE IN DEN MITTELPUNKT DER<br />

LÄNDERSTRATEGIEN STELLEN<br />

Die internationalen Finanzinstitutionen sollten<br />

<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele in den<br />

Mittelpunkt ihrer analytischen, beraterischen<br />

und finanziellen Bemühungen für alle Entwicklungsländer<br />

stellen. Zum Beispiel sollten<br />

<strong>die</strong> Beurteilungen durch IWF- und Weltbank-<br />

Mitarbeiter für jedes PRSP Hinweise darauf<br />

geben, ob es wahrscheinlich ist, dass <strong>die</strong> vorgeschlagene<br />

Strategie zur Zielerreichung führt<br />

– und wenn nicht, was geändert werden muss,<br />

damit <strong>die</strong>s gelingt. Die PRSPs böten dann <strong>die</strong>sen<br />

Institutionen <strong>die</strong> Gelegenheit, nicht nur<br />

<strong>die</strong> nationalen politischen Kursänderungen zu<br />

erwägen, <strong>die</strong> nötig sind, um <strong>die</strong> Institutionen<br />

zu stärken, <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik zu verbessern<br />

und <strong>die</strong> Unterstützung der Regierung zu<br />

erhöhen. Sie böten auch Gelegenheit, <strong>die</strong><br />

Schritte in Betracht zu ziehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft unternehmen muss:<br />

mehr Entwicklungshilfe (einschließlich umfassendere<br />

Schuldenerleichterungen), besseren<br />

Zugang zu ausländischen Märkten für <strong>die</strong> Exportwirtschaft<br />

des betreffenden Landes, mehr<br />

Technologietransfer und ähnliche Maßnahmen,<br />

<strong>die</strong> in Partnerschaft mit dem Land<br />

durchgeführt werden müssen.<br />

IWF und Weltbank sollten mit den Ländern<br />

zusammenarbeiten, um makroökonomische<br />

Rahmenbedingungen zu vereinbaren, <strong>die</strong><br />

mit der Zielerreichung in Einklang stehen,<br />

einschließlich einer angemessenen externen Finanzierung.<br />

Sie können dann den Ländern helfen,<br />

<strong>die</strong> notwendige Erhöhung der öffentlichen<br />

Entwicklungshilfe (ODA) zu mobilisieren und<br />

mit den zufließenden Mitteln in makroökonomischer<br />

Hinsicht umzugehen. In einigen Ländern<br />

wird eine starke Erhöhung der öffentlichen<br />

Entwicklungshilfe zu einem Anstieg der<br />

realen Wechselkurse führen. Aber das Nettoergebnis<br />

wird von Vorteil sein – wenn <strong>die</strong><br />

Währungsaufwertung unter entsprechenden<br />

mittelfristigen makroökonomischen Rahmenbedingungen<br />

stattfindet und wenn <strong>die</strong> Mittel<br />

aus der Entwicklungshilfe in <strong>Human</strong>kapital,<br />

materielle Infrastruktur, und andere Entwicklungserfordernisse<br />

investiert werden. Deshalb<br />

28 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


sollten IWF und Weltbank den Ländern - und<br />

ihren Gebern - helfen, <strong>die</strong> zusätzliche öffentliche<br />

Entwicklungshilfe möglichst wirkungsvoll<br />

zur Unterstützung der Ziele einzusetzen.<br />

Regionale Entwicklungsbanken haben <strong>die</strong><br />

wichtige Aufgabe, <strong>die</strong> Ziele in den Mittelpunkt<br />

ihrer Länderstrategien zu stellen und<br />

ihre Kreditvergabegeschäfte und <strong>die</strong> technische<br />

Zusammenarbeit damit in Einklang zu<br />

bringen. Sie sind in der besonderen Position,<br />

regionale öffentliche Güter zu finanzieren und<br />

<strong>die</strong> regionale Integration und Kooperation<br />

zu fördern. Die Interamerikanische Entwicklungsbank<br />

(Inter-American Development<br />

Bank - IDB) hat <strong>die</strong>se Richtung bereits eingeschlagen,<br />

aber sie und andere regionale Banken<br />

müssen noch sehr viel mehr tun.<br />

BILATERALE GEBER —ÜBERARBEITUNG<br />

DER ANSÄTZE UND FESTLEGUNG NEUER<br />

ZIELVORGABEN<br />

Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit<br />

braucht einen neuen Ansatz. Die Leitfrage<br />

sollte nicht länger sein, „Welche Fortschritte<br />

in Richtung der Ziele können innerhalb der<br />

Grenzen der gegenwärtigen bilateralen Hilfe<br />

gemacht werden?“ Stattdessen sollte sie lauten:<br />

„Welcher Umfang und welche Art von<br />

Entwicklungshilfe ist nötig, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen<br />

und werden <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong> Mittel wirkungsvoll<br />

einsetzen?“<br />

Die bilateralen Geber wissen, dass sie <strong>die</strong><br />

öffentliche Entwicklungshilfe verbessern müssen<br />

– insbesondere wenn der Umfang der Hilfe<br />

zunimmt. Diese Verbesserungen sollten auf<br />

den folgenden Prinzipien basieren:<br />

• Die Länder sollten ihre Strategien zur Erreichung<br />

der Ziele selbst entwickeln und verantworten.<br />

• Die Hilfe sollte ergebnisorientiert sein und<br />

auf Überprüfungen der Länderanträge durch<br />

Experten und auf sorgfältiger Überwachung,<br />

Evaluierung und Prüfung der Programme basieren.<br />

• Die bilateralen Geber sollten ihre Unterstützung<br />

für <strong>die</strong> Länderstrategien koordinieren<br />

– zum Beispiel durch Sektoransätze, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Budgetfinanzierung gegen<strong>über</strong> der Projektfinanzierung<br />

betonen.<br />

• Die bilateralen Geber sollten schließlich<br />

<strong>die</strong> mit Mängeln behaftete Unterscheidung<br />

zwischen der Hilfe zur Deckung von Kapitalkosten<br />

und der Hilfe zur Deckung von laufenden<br />

Kosten aufheben. Beide Ausgabenbereiche<br />

erfordern umfassende Unterstützung.<br />

Da <strong>die</strong> meisten Geber sich im Prinzip darauf<br />

geeinigt haben, ihre Programme mit den<br />

PRSPs in Einklang zu bringen, ist es umso<br />

wichtiger, dass <strong>die</strong>se Dokumente <strong>die</strong> Unterstützung<br />

betonen, <strong>die</strong> nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />

erreichen – u.a. zusätzliche Entwicklungshilfe,<br />

Schuldenerleichterungen, Zugang zu Märkten<br />

und Technologien.<br />

Alle reichen Länder sollten Zielvorgaben<br />

für ihre wiederholten Zusagen festlegen, <strong>die</strong><br />

Entwicklungshilfe, den Handel und <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />

für arme Länder auszuweiten.<br />

Sie sollten auch ermutigt werden, ihre<br />

eigenen Bewertungen und Strategien zur<br />

Bekämpfung der Armut in der Welt zu erarbeiten<br />

und entsprechend ihrer Zusagen ehrgeizige<br />

Zielvorgaben zu bestimmen.<br />

UN-ORGANISATIONEN – DIE HILFE<br />

VON EXPERTEN ZUR VERFÜGUNG STELLEN<br />

Die UN-Organisationen spielen eine entscheidende<br />

Rolle dabei, <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erreichen zu helfen, insbesondere<br />

indem ihre Experten <strong>die</strong> Länder bei der Gestaltung<br />

und Umsetzung von Entwicklungsprogrammen<br />

unterstützen. Die Vereinten Nationen<br />

verfügen <strong>über</strong> umfangreiches Fachwissen<br />

in allen Schwerpunktbereichen der Ziele,<br />

zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Entwicklungsplanung,<br />

technische Entwicklung,<br />

Rechtsstaatlichkeit, Landwirtschaft und viele<br />

andere. Jede der wichtigsten UN-Organisationen<br />

sollte eine Strategie entwickeln, um Ländern<br />

mit niedrigem Einkommen und niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, darunter insbesondere<br />

den Ländern mit Priorität, zu helfen,<br />

ihre nationalen Strategien umzusetzen.<br />

Auch auf globaler Ebene spielt das UN-<br />

System eine Rolle. Es mobilisiert, um<br />

• weltweit <strong>die</strong> Fortschritte zu <strong>über</strong>wachen,<br />

• <strong>die</strong> nationalen Fortschritte zu verfolgen,<br />

• <strong>die</strong> wichtigsten Probleme bei der Erreichung<br />

der Ziele zu identifizieren sowie Lösungen<br />

zu finden,<br />

Da <strong>die</strong> meisten Geber sich<br />

im Prinzip darauf geeinigt<br />

haben, ihre Programme<br />

mit den PRSPs in Einklang<br />

zu bringen, ist es umso<br />

wichtiger, dass <strong>die</strong>se<br />

Dokumente <strong>die</strong><br />

Unterstützung betonen,<br />

<strong>die</strong> nötig ist, um <strong>die</strong> Ziele<br />

zu erreichen<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 29


Obwohl <strong>die</strong> Doha-Runde<br />

„Entwicklungsrunde“<br />

genannt wird, haben erste<br />

Versuche, den<br />

Entwicklungsgedanken in<br />

den Vordergrund zu<br />

rücken, in eine Sackgasse<br />

geführt und Frustrationen<br />

ausgelöst<br />

• durch <strong>die</strong> Millenniums-Kampagne weltweit<br />

breite Teile der Gesellschaft einzubinden.<br />

REGIONALE ORGANISATIONEN UND<br />

INSTITUTIONEN DER<br />

ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT —<br />

FÖRDERUNG DER REGIONALEN<br />

INTEGRATION UND KOOPERATION<br />

Für arme Länder mit kleinen Märkten – sei es<br />

aufgrund ihrer geringen Bevölkerungszahl<br />

oder geographischer Hindernisse beim Zugang<br />

zu den Weltmärkten – muss <strong>die</strong> regionale Integration<br />

zu den politischen Prioritäten gehören.<br />

Regionale Kooperation, zum Beispiel in Hinblick<br />

auf gemeinsame Investitionen in entscheidende<br />

Bereiche der Infrastruktur, kann <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Grenzen kleiner Volkswirtschaften hinaus<br />

<strong>die</strong> Chancen im Handel ausweiten und so eine<br />

zentrale Plattform für anhaltendes Wirtschaftswachstum<br />

bieten. Besonders in Afrika, wo viele<br />

Länder eine geringe Bevölkerungszahl haben<br />

oder Binnenländer sind, ist regionale Integration<br />

vonnöten. Als führende Initiativen für zwischenstaatliche<br />

Kooperation in Afrika spielen<br />

<strong>die</strong> Neue Partnerschaft für <strong>die</strong> Entwicklung<br />

Afrikas (New Partnership for African Development<br />

- NEPAD) und <strong>die</strong> Afrikanische Union<br />

eine wichtige Rolle bei der Förderung wirtschaftlicher<br />

Integration und politischer Partnerschaften.<br />

DIE DOHA-RUNDE UND ANDERE<br />

VERHANDLUNGEN ZUM INTERNATIONALEN<br />

HANDEL – ÖFFNUNG DER MÄRKTE UND<br />

VERRINGERUNG DER SUBVENTIONEN<br />

Selbst wenn auf nationaler Ebene geeignete<br />

politische Strategien verfolgt werden und <strong>die</strong><br />

Entwicklungshilfe erhöht wird, werden <strong>die</strong> armen<br />

Länder <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

nicht erreichen, solange ihre nicht-traditionellen<br />

Exporte durch den Protektionismus<br />

der reichen Länder blockiert werden oder der<br />

Weltmarktwert ihrer Produkte dadurch sinkt.<br />

Auch brauchen <strong>die</strong> armen Länder sehr viel<br />

mehr internationale Unterstützung im Bereich<br />

Technologietransfer.<br />

Im Konsens von Monterrey und im<br />

Durchführungsplan des Weltgipfels für nachhaltige<br />

Entwicklung (Johannesburg 2002)<br />

werden <strong>die</strong> Zusagen in Bezug auf Handelser-<br />

leichterungen wiederholt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> reichen Länder<br />

auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten<br />

Nationen gemacht haben. Die reichen Länder<br />

haben zugesagt, den armen Ländern – insbesondere<br />

den am wenigsten entwickelten Ländern,<br />

kleinen Insel<strong>entwicklung</strong>sländern und<br />

Binnenländern – zu helfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />

in dem sie ihnen unbeschränkten Zugang<br />

zu ihren Märkten gewähren. Doch obwohl<br />

<strong>die</strong> Doha-Runde – <strong>die</strong> nächste Verhandlungsrunde<br />

zum internationalen Handel –<br />

„Entwicklungsrunde“ genannt wird, haben<br />

erste Versuche, den Entwicklungsgedanken in<br />

den Vordergrund zu rücken, in eine Sackgasse<br />

geführt und Frustrationen ausgelöst.<br />

DIE ZIVILGESELLSCHAFT —SPIELEN EINE<br />

GRÖßERE ROLLE BEI DER ENTWICKLUNG<br />

POLITISCHER STRATEGIEN UND BEI DER<br />

BEKÄMPFUNG DER ARMUT<br />

Ein wichtiger Bereich, in dem im Laufe des<br />

vergangenen Jahrzehnts Fortschritte erzielt<br />

wurden, ist der wachsende Einfluss lokaler,<br />

nationaler und globaler Organisationen und<br />

Netzwerke der Zivilgesellschaft auf politische<br />

Kursänderungen, wie zum Beispiel im Falle<br />

der Schuldenerleichterungen. Nichtregierungsorganisationen<br />

(NRO), Organisationen<br />

auf Gemeindeebene, Berufsverbände und andere<br />

Gruppen der Zivilgesellschaft werden regelmäßig<br />

aufgefordert, bei der Erarbeitung<br />

und Umsetzung von Strategien zur Minderung<br />

der Armut mitzuwirken. Ihre Beteiligung ist<br />

auch fester Bestandteil der Arbeit im Rahmen<br />

des Globalen Fonds zur Bekämpfung von<br />

Aids, Tuberkulose und Malaria.<br />

Diese neuen Ansätze spiegeln <strong>die</strong> drei Rollen<br />

der Zivilgesellschaft wider: als Beteiligte<br />

beim Erarbeiten von Strategien, als Dienstleister<br />

durch Organisationen auf Gemeindeebene<br />

und durch nationale NRO sowie als<br />

„Wachhunde“, um sicherzustellen, dass Regierungen<br />

ihren Verpflichtungen nachkommen.<br />

In vielen Ländern fasst <strong>die</strong>ses Rollenverständnis<br />

jedoch erst langsam Fuß; <strong>die</strong> Regierungen<br />

dominieren nach wie vor Entscheidungsprozesse<br />

und ihre Umsetzung. Indem<br />

<strong>die</strong> bilateralen und multilateralen Institutionen<br />

auf transparenten Prozessen bei der Erarbeitung<br />

nationaler Strategien für <strong>die</strong> Millenni-<br />

30 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


ums-Entwicklungsziele bestehen, können sie<br />

der Zivilgesellschaft helfen, bei der politischen<br />

Richtungsbestimmung und Umsetzung besser<br />

Fuß zu fassen.<br />

DIE PRIVATWIRTSCHAFT – BETEILIGUNG AN<br />

GLOBALEN AKTIONSPLÄNEN<br />

Die Privatwirtschaft spielt eine entscheidende<br />

Rolle beim marktwirtschaftlichen Wachstum,<br />

insbesondere bei der Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

und der Erhöhung von Einkommen.<br />

Privatunternehmen sollten nicht nur Maßnahmen<br />

gegen <strong>die</strong> Korruption unterstützen, sondern<br />

<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele zusätzlich<br />

durch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen<br />

fördern: durch Unternehmensphilanthropie,<br />

Technologietransfer, mehr ausländische<br />

Investitionen in Ländern, <strong>die</strong> am Rande<br />

des internationalen Systems stehen, sowie unterschiedliche<br />

Preise für Güter und Dienstleistungen<br />

in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

und niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />

Unternehmen können dann am effektivsten<br />

sein, wenn sie unter globalen Aktionsplänen<br />

agieren – wie im Falle von Pharma-Unternehmen,<br />

<strong>die</strong> zunehmend bereit sind, mit den<br />

Preisen für lebensnotwendige AIDS-Medikamente<br />

herunterzugehen, wenn sie von den<br />

Vereinten Nationen dazu aufgefordert werden.<br />

In anderen Schlüsselbereichen wie der<br />

Landwirtschaft, dem Umweltmanagement<br />

und der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

sollte es eine ähnliche Kooperation<br />

geben. Dar<strong>über</strong> hinaus müssen Unternehmen<br />

ein von ethischen Grundsätzen geleitetes<br />

Verhalten an den Tag legen, indem sie <strong>die</strong><br />

Menschenrechte achten, Korruption unterlassen<br />

und sich an <strong>die</strong> grundsätzlichen Verbote<br />

von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Umweltzerstörung<br />

halten.<br />

DIE WISSENSCHAFT – SICH DEN<br />

BEDÜRFNISSEN DER ARMEN WIDMEN<br />

Um <strong>die</strong> derzeit bekannten Technologien zu ergänzen,<br />

ist in vielen Bereichen dringend ein<br />

wissenschaftlicher Durchbruch erforderlich,<br />

wie zum Beispiel bei Impfstoffen oder neuen<br />

Medikamenten gegen HIV/AIDS, Tuberkulose<br />

und Malaria. Da <strong>die</strong> internationale wissenschaftliche<br />

Forschung meist an den Bedürfnis-<br />

sen der Armen vorbei geht, ist es entscheidend,<br />

dass <strong>die</strong> Wissenschaft – angeführt von<br />

nationalen Laboratorien, den nationalen<br />

Geldgebern der Wissenschaft und privaten<br />

Stiftungen – weltweit mit Forschungsteams in<br />

armen Ländern zusammenarbeitet, um <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung vorrangigen<br />

Zielvorgaben zu bestimmen und weitaus mehr<br />

finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grund empfiehlt der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

<strong>die</strong> Einrichtung verschiedener<br />

internationaler Strategieforen für<br />

technologische Innovationen. Einige solcher<br />

Foren gibt es bereits, aber sie müssen mit<br />

mehr finanziellen Mitteln ausgestattet werden.<br />

Andere müssen eingerichtet werden. Diese<br />

Foren werden dazu beitragen, Prioritäten für<br />

<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung festzulegen,<br />

um den Technologiebedarf der armen Ländern<br />

zu decken. In <strong>die</strong>sen Foren werden verschiedene<br />

Akteure zusammenkommen: internationale<br />

Forschungsinstitute und wissenschaftliche<br />

Akademien, multilaterale und bilaterale<br />

Geber, Vertreter der einzelnen Länder,<br />

führende Vertreter aus der Wissenschaft<br />

sowie Vertreter der Privatwirtschaft. Sie werden<br />

sich Schlüsselbereichen wie Gesundheit,<br />

Landwirtschaft, Infrastruktur, Informationsund<br />

Kommunikationstechnologie, Systeme<br />

zur Energieversorgung, Umweltmanagement<br />

sowie Maßnahmen zur Vorbeugung vor und<br />

Anpassung an Klimaschwankungen und langfristigen<br />

Klimawandel widmen.<br />

Die Foren werden wissenschaftliche Prioritäten<br />

identifizieren und sich auf Wege einigen,<br />

<strong>die</strong> nötige Forschung und Entwicklung<br />

zu finanzieren, auch durch Kooperationen öffentlicher<br />

und privater Träger (public-private<br />

partnerships), und sie werden der Gebergemeinschaft<br />

Vorhaben für technische Fortschritte<br />

in jedem <strong>die</strong>ser Bereiche zur Überprüfung<br />

vorschlagen.<br />

EIN GLOBALES SYSTEM ZUR VERBESSERUNG<br />

DER BEWERTUNG ANHAND VON<br />

REFERENZDATEN UND ZUR EVALUIERUNG<br />

DER FORTSCHRITTE<br />

Da <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele sich an<br />

spezifischen, zeitlich umrissenen, quantitativ<br />

messbaren Zielen orientieren, bieten sie eine<br />

Um <strong>die</strong> derzeit bekannten<br />

Technologien zu<br />

ergänzen, ist in vielen<br />

Bereichen dringend ein<br />

wissenschaftlicher<br />

Durchbruch erforderlich,<br />

wie zum Beispiel bei<br />

Impfstoffen oder neuen<br />

Medikamenten gegen<br />

HIV/AIDS, Tuberkulose<br />

und Malaria<br />

DER MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSPAKT 31


Im Rahmen des Paktes<br />

sollten neue Initiativen<br />

gefördert werden, um <strong>die</strong><br />

Leistungen reicher wie<br />

armer Länder in Bezug auf<br />

ihre Verpflichtungen zu<br />

<strong>über</strong>wachen<br />

solide Grundlage für <strong>die</strong> Bewertung anhand<br />

von Referenzdaten und <strong>die</strong> Evaluierung von<br />

Fortschritten. Damit jedoch zuverlässige<br />

Überprüfungen und Evaluierungen durchgeführt<br />

werden können, wird <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft deutlich mehr in <strong>die</strong> Erhebung<br />

und Sammlung von Daten investieren müssen.<br />

Bei zu vielen Zielen in zu vielen Ländern gibt<br />

es nicht genügend Daten, um zu einer angemessen<br />

quantitativen Beurteilung zu kommen.<br />

Da es gemeinsame Verpflichtungen sind, <strong>die</strong><br />

im Zentrum jedes nationalen Programms stehen,<br />

müssen <strong>die</strong> Maßnahmen der armen Länder<br />

und ihrer Partner aus den reichen Ländern<br />

nun sehr viel genauer <strong>über</strong>wacht werden<br />

als in der Vergangenheit.<br />

Im Rahmen des Paktes sollten neue Initiativen<br />

gefördert werden, um <strong>die</strong> Leistungen reicher<br />

wie armer Länder in Bezug auf ihre Verpflichtungen<br />

zu <strong>über</strong>wachen. Zum Beispiel<br />

müssen Umfang und Qualität der von Geberseite<br />

fließenden Mittel sorgfältig <strong>über</strong>wacht<br />

werden, um sicherzustellen, dass sie mit den<br />

Zielen in Einklang stehen. Die Doha-Runde<br />

sollte sorgfältig <strong>über</strong>wacht werden, um sicherzustellen,<br />

dass <strong>die</strong> Verhandlungen in der Tat<br />

eine „Entwicklungsrunde“ darstellen. Auch<br />

der Bekämpfung der Korruption muss besondere<br />

Aufmerksamkeit gewidmet werden, und<br />

auch <strong>die</strong>s kann und sollte besser <strong>über</strong>wacht<br />

werden. Einer substanziellen Erhöhung der<br />

Mittelzuflüsse von Geberseite muss eine wesentliche<br />

Zunahme der Transparenz und Rechenschaftspflicht<br />

in Bezug auf den Einsatz<br />

<strong>die</strong>ser Mittel gegen<strong>über</strong>stehen.<br />

FAZIT<br />

Die Welt hat in der <strong>entwicklung</strong>spolitischen<br />

Theorie und Praxis enorme Fortschritte gemacht.<br />

Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

zielt darauf ab, <strong>die</strong>se Theorie und Praxis in einem<br />

kohärenten System zusammenzuführen,<br />

das <strong>die</strong> Notwendigkeit eines mehrgleisigen<br />

Ansatzes zur Erreichung der Millenniums-<br />

Entwicklungsziele auf der Basis der Partnerschaftsversprechen<br />

aus aktuellen internationalen<br />

Erklärungen anerkennt. Der Pakt bietet ei-<br />

nen Rahmen, innerhalb dessen <strong>die</strong> ärmsten<br />

Länder nationale Pläne entwickeln und verantworten.<br />

Sie greifen dabei auf anhaltende<br />

externe Unterstützung zurück, um der Armutsfalle<br />

zu entkommen und das Wohlergehen<br />

der ärmsten Teile ihrer Bevölkerung zu<br />

verbessern. Im Wesentlichen will der Pakt einen<br />

ziel-orientierten Entwicklungsprozess befördern,<br />

in dem alle Hauptinteressengruppen<br />

klare Aufgaben sowie Verpflichtungen gegen<strong>über</strong><br />

den anderen Akteuren haben.<br />

Um der Armutsfalle zu entkommen, müssen<br />

<strong>die</strong> Länder in verschiedenen Bereichen —<br />

Gesundheit, Bildung, Ernährung, Infrastruktur<br />

und Staats- und Regierungsführung – bestimmte<br />

Mindeststandards erreichen, damit<br />

anhaltendes Wirtschaftswachstum und Entwicklung<br />

in Gang kommen können. Dutzende<br />

armer Länder liegen unter <strong>die</strong>sen Mindeststandards,<br />

oft ohne eigenes Verschulden und<br />

aus Gründen, <strong>die</strong> außerhalb ihrer Kontrolle<br />

liegen. Das ist der wichtigste Bereich, zu dem<br />

der Pakt zwischen reichen und armen Ländern<br />

und Akteuren gefragt ist. Wenn ein Land<br />

<strong>die</strong> richtige Politik verfolgt und sich bei der<br />

Umsetzung <strong>die</strong>ser Politik einer guten Staatsund<br />

Regierungsführung verpflichtet, dann<br />

muss <strong>die</strong> Weltgemeinschaft mit mehr Entwicklungshilfe<br />

– durch internationale Organisationen,<br />

bilaterale Geber, private Akteure,<br />

Organisationen der Zivilgesellschaft – <strong>die</strong>sem<br />

Land helfen, <strong>die</strong> Mindeststandards zu erreichen.<br />

Indem sie <strong>die</strong>sen Millenniums-Entwicklungspakt<br />

unterzeichnen, sind alle Länder<br />

aufgefordert, sich den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

erneut zu verpflichten sowie erneut<br />

ihre Bereitschaft zu bestätigen, <strong>die</strong> Aufgaben<br />

zu <strong>über</strong>nehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Verpflichtung<br />

mit sich bringt. Bilaterale Geber, internationale<br />

Finanzinstitutionen, Sonderorganisationen<br />

der Vereinten Nationen, Akteure<br />

aus der Privatwirtschaft und Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft sollten mit mutigen konkreten<br />

Verpflichtungen und Maßnahmen<br />

Schritte nach vorne unternehmen, um sicherzustellen,<br />

dass <strong>die</strong> Ziele erfolgreich erreicht<br />

werden.<br />

32 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KAPITEL 1<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />

Wir erkennen an, dass wir neben unseren<br />

eigenen Verantwortlichkeiten gegen<strong>über</strong><br />

unserer jeweiligen Gesellschaft gemeinschaftlich<br />

dafür verantwortlich sind, weltweit<br />

<strong>die</strong> Grundsätze der Menschenwürde,<br />

der Gleichberechtigung und der Billigkeit<br />

zu wahren. Als Führer haben wir daher<br />

eine Pflicht gegen<strong>über</strong> allen Bürgern der<br />

Welt zu erfüllen, namentlich den schwächsten<br />

unter ihnen und insbesondere den Kindern<br />

der Welt, denen <strong>die</strong> Zukunft gehört.<br />

—Millenniums-Erklärung der Vereinten<br />

Nationen 1<br />

Im September 2000 kamen <strong>die</strong> Staats- und Regierungschefs<br />

der Welt zum UN-Millenniums-Gipfel<br />

zusammen, um ihre Nationen darauf<br />

zu verpflichten, <strong>die</strong> globalen Anstrengungen<br />

zur Verwirklichung von Frieden, Menschenrechten,<br />

Demokratie, starker Staats- und<br />

Regierungsführung, ökologischer Nachhaltigkeit<br />

und zur Beseitigung der Armut zu verstärken,<br />

und um <strong>die</strong> Prinzipien der Menschenwürde,<br />

Gleichheit und Gerechtigkeit zu<br />

fördern. 2 Die daraus resultierende Millenniums-Erklärung<br />

wurde von 189 Ländern verabschiedet<br />

und beinhaltet dringliche, kollektive<br />

Verpflichtungen, <strong>die</strong> Armut zu <strong>über</strong>winden,<br />

in der <strong>die</strong> meisten Menschen der Welt<br />

noch immer gefangen sind. Die Staats- und<br />

Regierungschefs der Welt gaben sich nicht mit<br />

dem üblichen „weiter wie bisher“ zufrieden –<br />

denn sie wussten, dass <strong>die</strong>s nicht ausreichen<br />

würde. Stattdessen verpflichteten sie sich auf<br />

ehrgeizige Zielvorgaben innerhalb eines klar<br />

definierten Zeitrahmens.<br />

Auf dem Gipfel im Jahr 2000 forderte <strong>die</strong><br />

Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />

den UN-Generalsekretär auch auf, einen<br />

Kompass zur Erreichung der Verpflichtungen<br />

der Erklärung zu erstellen. Das Ergebnis waren<br />

<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>die</strong><br />

aus 8 Zielen, 18 Zielvorgaben und 48 Indikatoren<br />

bestehen. 3 Die Ziele sind ehrgeiziger,<br />

konkreter und umfassender als je zuvor. Und<br />

sie sind auch darin einmalig, dass ausdrücklich<br />

anerkannt wird, dass <strong>die</strong> Ziele zur Beseitigung<br />

der Armut nur durch engere Partnerschaften<br />

zwischen den Entwicklungsakteuren<br />

und durch verstärktes Handeln auf Seiten der<br />

reichen Länder erreicht werden können –<br />

durch <strong>die</strong> Ausweitung des Handels, durch<br />

Schuldenerleichterungen, Technologietransfer<br />

und Entwicklungshilfe.<br />

EINE AGENDA ZUR BESCHLEUNIGUNG<br />

MENSCHLICHER ENTWICKLUNG<br />

Mit den Millenniums-Entwicklungszielen werden<br />

viele der hartnäckigsten Fehler <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung angegangen. Anders als<br />

<strong>die</strong> Ziele der Ersten, Zweiten und Dritten<br />

Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen<br />

(1960er, 1970er, 1980er Jahre), in denen es<br />

hauptsächlich um wirtschaftliches Wachstum<br />

ging, stellen <strong>die</strong> Millenniums-Ziele das<br />

<strong>menschliche</strong> Wohlergehen und <strong>die</strong> Reduzierung<br />

der Armut in den Mittelpunkt der<br />

globalen Entwicklungsvorgaben – ein Ansatz,<br />

für den sich der Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung von Anfang an eingesetzt<br />

hat.<br />

Die Ziele und <strong>die</strong> Förderung <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung leiten sich aus der gleichen<br />

Motivation ab. Sie spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />

Verpflichtung wider, <strong>menschliche</strong>s Wohlergehen<br />

zu fördern, das Würde, Freiheit und <strong>die</strong><br />

Gleichheit aller Menschen einschließt. Die<br />

Ziele setzen Maßstäbe, an denen der Fortschritt<br />

im Hinblick auf ihre Umsetzung gemessen<br />

werden kann – geleitet von den<br />

Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Solidarität,<br />

Toleranz, Achtung vor der Natur und gemeinsame<br />

Verantwortung. Diese Werte haben mit<br />

Die Ziele und <strong>die</strong><br />

Förderung <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung leiten sich<br />

aus der gleichen<br />

Motivation ab. Sie<br />

spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />

Verpflichtung wider,<br />

<strong>menschliche</strong>s<br />

Wohlergehen zu fördern,<br />

das Würde, Freiheit und<br />

<strong>die</strong> Gleichheit aller<br />

Menschen einschließt.<br />

DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 33


KASTEN 1.1<br />

Millenniums-Entwicklungsziele, <strong>menschliche</strong> Entwicklung und Menschenrechte entspringen der gleichen Motivation<br />

Werte, an denen sich <strong>die</strong> Millenniums-Erklärung der<br />

Vereinten Nationen und <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele ausrichten<br />

Wie in der Millenniums-Erklärung formuliert, sind <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele Referenzgrößen für <strong>die</strong><br />

Fortschritte hin zu einer Vision von Entwicklung, Frieden<br />

und Menschenrechten, <strong>die</strong> geleitet ist von „bestimmten<br />

Grundwerten“, durch <strong>die</strong> „<strong>die</strong> internationalen<br />

Beziehungen im 21. Jahrhundert geprägt sein müssen“.<br />

Dazu gehören:<br />

• „Freiheit. Männer und Frauen haben das Recht, in<br />

Würde und Freiheit – von Hunger und der Furcht vor<br />

Gewalt, Unterdrückung oder Ungerechtigkeit – ihr Leben<br />

zu leben und ihre Kinder zu erziehen. Diese Rechte<br />

werden am besten durch eine demokratische und partizipatorische<br />

Staatsführung auf der Grundlage des Willens<br />

des Volkes gewährleistet.<br />

• Gleichheit. Keinem Menschen und keiner Nation<br />

darf <strong>die</strong> Chance vorenthalten werden, aus der Entwicklung<br />

Nutzen zu ziehen. Die Gleichberechtigung und<br />

Chancengleichheit von Männern und Frauen muss gewährleistet<br />

sein.<br />

• Solidarität. Die globalen Probleme müssen so bewältigt<br />

werden, dass <strong>die</strong> damit verbundenen Kosten und<br />

Belastungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien<br />

der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit aufgeteilt<br />

werden. Diejenigen, <strong>die</strong> leiden oder denen <strong>die</strong> geringsten<br />

Vorteile entstehen, haben ein Anrecht darauf, Hilfe<br />

von den größten Nutznießern zu erhalten.<br />

• Toleranz. Die Menschen müssen einander in der<br />

gesamten Vielfalt ihrer Glaubens<strong>über</strong>zeugungen, Kulturen<br />

und Sprachen achten. Unterschiede innerhalb einer<br />

Gesellschaft sowie zwischen verschiedenen Gesellschaften<br />

sollten weder gefürchtet noch unterdrückt,<br />

sondern vielmehr als kostbares Gut der Menschheit geschätzt<br />

werden. Eine Kultur des Friedens und des Dialogs<br />

zwischen allen Kulturen sollte aktiv gefördert werden.<br />

• Achtung vor der Natur. Bei der Bewirtschaftung<br />

aller lebenden Arten und natürlichen Ressourcen muss<br />

im Einklang mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung<br />

Umsicht bewiesen werden. Nur so können wir<br />

<strong>die</strong> unermesslichen Reichtümer, mit denen <strong>die</strong> Natur<br />

uns beschenkt, erhalten und an unsere Nachkommen<br />

weitergeben. Die heutigen nicht zukunftsfähigen Produktions-<br />

und Konsumstrukturen müssen im Interesse<br />

unseres künftigen Wohls und des Wohls unserer Nachfahren<br />

geändert werden.<br />

• Gemeinsam getragene Verantwortung. Die Verantwortung<br />

für <strong>die</strong> Gestaltung der weltweiten wirtschaftlichen<br />

und sozialen Entwicklung und <strong>die</strong> Bewältigung<br />

von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen<br />

Sicherheit muss von allen Nationen der Welt<br />

gemeinsam getragen und auf multilateraler Ebene wahrgenommen<br />

werden. Als universellste und repräsentativste<br />

Organisation der Welt müssen <strong>die</strong> Vereinten Nationen<br />

<strong>die</strong> zentrale Rolle dabei spielen." (UN 2000, S. 2)<br />

Die Ziele – Bausteine<br />

für <strong>menschliche</strong> Entwicklung...<br />

Bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung geht es um Menschen,<br />

es geht darum, <strong>die</strong> Wahlmöglichkeiten der Menschen<br />

zu erweitern, damit sie ein erfülltes und kreatives<br />

Leben in Freiheit und Würde leben können. Wirtschaftliches<br />

Wachstum, mehr Handel und Investitionen, technischer<br />

Fortschritt – all das ist sehr wichtig. Aber es sind<br />

Wege, nicht das Ziel. Zur Erweiterung der Wahlmöglichkeiten<br />

der Menschen ist es entscheidend, <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong>n Fähigkeiten auszubauen: <strong>die</strong> Bandbreite<br />

dessen, was Menschen sein können. Die grundlegendsten<br />

Fähigkeiten für <strong>menschliche</strong> Entwicklung sind, ein<br />

langes und gesundes Leben zu führen, gebildet zu sein,<br />

Quelle: UN (United Nations) 2000a; <strong>Human</strong> Development Report<br />

Office; UN 1966; Marks <strong>2003</strong>; UNDP (United Nations Development<br />

Programme) 2000.<br />

einen angemessenen Lebensstandard zu haben und politische<br />

und bürgerliche Freiheiten zu genießen, um am<br />

gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben.<br />

Die ersten drei <strong>die</strong>ser Fähigkeiten sind Bestandteil<br />

des Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (<strong>Human</strong> Development<br />

Index - HDI) in <strong>die</strong>sem Bericht. Obwohl <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele dazu beitragen, <strong>die</strong>se<br />

Fähigkeiten zu entwickeln, spiegeln sie doch nicht alle<br />

wesentlichen Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

wider, denn bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung handelt<br />

es sich um ein umfassenderes Konzept.<br />

... und Menschenrechte<br />

Die Umsetzung der Ziele wird auch <strong>die</strong> Menschenrechte<br />

voranbringen. Jedes Ziel kann direkt mit den wirtschaftlichen,<br />

sozialen und kulturellen Rechten, wie sie in<br />

der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel<br />

22, 24, 25, 26) aufgeführt sind, sowie mit anderen<br />

Menschenrechtsinstrumenten in Zusammenhang gebracht<br />

werden.<br />

Es hat wichtige Konsequenzen, anzuerkennen,<br />

dass es sich bei den Zielvorgaben, <strong>die</strong> in den Zielen ausgedrückt<br />

sind, nicht einfach nur um Entwicklungsbestrebungen,<br />

sondern auch um zu beanspruchende Rechte<br />

handelt.<br />

• Die Ziele so zu sehen bedeutet, dass es sich bei Maßnahmen<br />

zu ihrer Erreichung nicht um eine Art Almosen,<br />

sondern um eine Pflicht handelt. Dieser Ansatz schafft<br />

einen Rahmen, um verschiedene Akteure, darunter Regierungen,<br />

Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und<br />

internationale Organisationen, zur Rechenschaft zu ziehen.<br />

• Menschenrechte bringen Verpflichtungen auf Seiten<br />

anderer mit sich – nicht nur <strong>die</strong> Verpflichtung, <strong>die</strong><br />

Menschenrechte nicht zu verletzen, sondern auch sie zu<br />

schützen und ihre Durchsetzung zu fördern. In Menschenrechtskonventionen<br />

wird <strong>die</strong> Notwendigkeit einer<br />

internationalen Ordnung anerkannt, <strong>die</strong> sicherstellt,<br />

dass <strong>die</strong>se Rechte eingehalten werden (Artikel 28 der<br />

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2<br />

des Internationalen Paktes <strong>über</strong> wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Rechte), und <strong>die</strong> <strong>die</strong> entsprechenden Verpflichtungen<br />

von Regierungen und anderen Akteuren<br />

festlegt, zu ihrer Realisierung beizutragen.<br />

• Die Ziele im Rahmen von Menschenrechten zu sehen,<br />

verbessert das Verständnis in Bezug auf <strong>die</strong> politischen<br />

und institutionellen Reformen, <strong>die</strong> nötig sind, um<br />

<strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Das Menschenrecht auf Bildung<br />

vollständig durchzusetzen erfordert zum Beispiel mehr,<br />

als nur <strong>die</strong> allgemeine Alphabetisierung und Primarschulbildung<br />

zu erreichen. Es erfordert auch, dass <strong>die</strong><br />

Menschen an öffentlichen Entscheidungen bezüglich<br />

des Bildungswesens sinnvoll beteiligt sind. Und es erfordert,<br />

dass <strong>die</strong> Maßnahmen zur Erreichung der Ziele im<br />

Bildungswesen gerecht sind – und nicht womöglich<br />

schwächere Gruppen benachteiligen oder <strong>die</strong> geschlechtsspezifische<br />

Diskriminierung festschreiben.<br />

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen<br />

Rechte in vollem Umfang durchzusetzen, erfordert sehr<br />

viel mehr als nur <strong>die</strong> Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

Doch <strong>die</strong> Umsetzung der Ziele ist ein<br />

wichtiger Schritt in <strong>die</strong>se Richtung. Da <strong>die</strong> Rechte auf<br />

Bildung, Gesundheitsversorgung und einen angemessenen<br />

Lebensstandard von langfristigem Wirtschaftswachstum<br />

und institutionellen Reformen abhängen,<br />

können <strong>die</strong>se Rechte schrittweise umgesetzt werden.<br />

Doch das akzeptable Tempo <strong>die</strong>ser „schrittweisen<br />

Umsetzung“ und <strong>die</strong> Verpflichtung, <strong>die</strong>se Umsetzung<br />

erfolgreich durchzuführen, werden selten ausformuliert.<br />

Stattdessen wird es jedem einzelnen Land <strong>über</strong>lassen,<br />

<strong>die</strong>se Dinge festzulegen und dar<strong>über</strong> zu debattieren. In<br />

den Millenniums-Entwicklungszielen sind <strong>die</strong> Forderungen,<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> sich alle Länder einig sind, genauer<br />

festgelegt. Sie bieten Referenzgrößen, an denen <strong>die</strong> entsprechenden<br />

Verpflichtungen gemessen werden müssen.<br />

Wie hängen <strong>die</strong> Ziele <strong>menschliche</strong>r Entwicklung mit den<br />

Millenniums-Entwicklungszielen zusammen?<br />

Wesentliche Fähigkeiten für Entsprechende Millenniums-<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung Entwicklungsziele<br />

Ein langes und gesundes Leben Ziel 4, 5 und 6: Senkung der Kindersterblichkeit,<br />

Verbesserung der<br />

Gesundheit von Müttern und<br />

Bekämpfung verbreiteter schwerer<br />

Krankheiten<br />

Ein angemessener Bildungsstand Ziel 2 und 3: Verwirklichung der allgemeinen<br />

Primarschulbildung und<br />

Ermächtigung der Frau durch<br />

Förderung der Gleichstellung der<br />

Geschlechter im Bildungswesen<br />

Ein angemessener Lebensstandard Ziel 1: Reduzierung von Hunger und<br />

Armut<br />

Politische und bürgerliche Freiheiten um am Kein Millenniums-Entwicklungsziel<br />

gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben aber ein wichtiges globales Ziel,<br />

das in der Millenniums-Erklärung<br />

enthalten ist<br />

Wesentliche Voraussetzungen für Entsprechende Millenniums-<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung Entwicklungsziele<br />

Ökologische Nachhaltigkeit Ziel 7: Sicherung der ökologischen<br />

Nachhaltigkeit<br />

Gerechtigkeit, insbesondere Ziel 3: Förderung der Gleichstellung<br />

Geschlechtergerechtigkeit der Geschlechter und Ermächtigung<br />

der Frau<br />

Ein förderliches globales Ziel 8: Stärkung der Entwicklungswirtschaftliches<br />

Umfeld partnerschaft zwischen reichen und<br />

armen Ländern<br />

34 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


der Vorstellung von <strong>menschliche</strong>m Wohlergehen<br />

im Konzept <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

vieles gemein. Und sie spiegeln <strong>die</strong> grundlegende<br />

Motivation der Menschenrechte wider.<br />

Somit leiten sich <strong>die</strong> Ziele, das Konzept<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung und <strong>die</strong> Menschenrechte<br />

aus ein und derselben Motivation<br />

ab (Kasten 1.1).<br />

In jedem Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung wurde argumentiert, dass es der<br />

Sinn und Zweck von Entwicklung sei, das Leben<br />

der Menschen zu verbessern, indem man<br />

ihre Wahlmöglichkeiten und ihre Freiheiten<br />

erweitert und ihre Würde stärkt. Armut beinhaltet<br />

sehr viel mehr als nur <strong>die</strong> Einschränkungen<br />

durch fehlendes Einkommen. Armut<br />

bedeutet auch einen Mangel an grundlegenden<br />

Fähigkeiten, ein erfülltes, kreatives Leben<br />

zu leben – nämlich wenn Menschen, <strong>die</strong> unter<br />

gesundheitlichen Problemen leiden, von den<br />

Entscheidungen, <strong>die</strong> ihre Gemeinschaft betreffen,<br />

ausgeschlossen sind oder kein Recht<br />

haben, den Verlauf ihres Lebens selbst zu<br />

steuern. Durch solche Entbehrungen unterscheidet<br />

sich <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut von der<br />

Einkommensarmut.<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele sollen<br />

helfen, <strong>die</strong> Menschen besser in <strong>die</strong> Lage zu<br />

versetzen, Wahlentscheidungen zu treffen.<br />

Dennoch decken <strong>die</strong> Ziele nicht alle entscheidenden<br />

Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

ab. Keine Erwähnung finden insbesondere<br />

<strong>die</strong> Erweiterung der Möglichkeiten der<br />

Menschen, sich an Entscheidungen, <strong>die</strong> ihr<br />

Leben beeinflussen, zu beteiligen und <strong>die</strong><br />

Ausweitung ihrer bürgerlichen und politischen<br />

Freiheiten. Beteiligung, Demokratie<br />

und Menschenrechte sind jedoch wichtige<br />

Elemente der Millenniums-Erklärung.<br />

Die Ziele stellen Bausteine für <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung dar, indem sich jedes<br />

Ziel auf wichtige Dimensionen <strong>die</strong>ses<br />

Prozesses bezieht. Auch spiegelt sich in den<br />

Zielen eine Menschenrechts-Agenda wider –<br />

das Recht auf Nahrung, Bildung, ärztliche<br />

Versorgung und einen angemessenen Lebensstandard,<br />

wie sie in der Allgemeinen Erklärung<br />

der Menschenrechte aufgeführt sind.<br />

Die Notwendigkeit, all <strong>die</strong>se – wirtschaftlichen,<br />

sozialen und kulturellen – Rechte si-<br />

cherzustellen, bringt Verpflichtungen für <strong>die</strong><br />

Regierungen reicher wie armer Länder mit<br />

sich.<br />

URSPRUNG, ENTWICKLUNG UND<br />

WEITERVERFOLGUNG<br />

In den Millenniums-Entwicklungszielen finden<br />

sich <strong>die</strong> Hauptforderungen einer ganzen<br />

Reihe vom UN-Entwicklungskonferenzen der<br />

1990er Jahre wieder. Sie sind also das Ergebnis<br />

vieler nationaler, regionaler und internationaler<br />

Konsultationen, an denen Millionen<br />

von Menschen beteiligt waren, <strong>die</strong> eine große<br />

Bandbreite an Interessen vertraten, darunter<br />

jene von Regierungen, Organisationen der Zivilgesellschaft<br />

und Akteuren aus der Privatwirtschaft.<br />

Diese Konferenzen betonten den<br />

multidimensionalen Charakter von Entwicklung<br />

– mit <strong>menschliche</strong>m Wohlergehen als<br />

letztendlichem Ziel.<br />

Die Ziele bauen auch auf den Impulsen<br />

auf, <strong>die</strong> aus den Internationalen Entwicklungszielen<br />

entstanden sind. Die Internationalen<br />

Entwicklungsziele wurden 1996 vom Entwicklungshilfeausschuss<br />

(Development Assistance<br />

Committee - DAC) der Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

(Organisation for Economic Cooperation<br />

and Development - OECD) erarbeitet,<br />

um festzulegen, wie seine 23 bilateralen<br />

Geberländer zusammenarbeiten wollen, um<br />

das Leben in Entwicklungsländern im 21.<br />

Jahrhundert zu verbessern. Die OECD-Ziele<br />

haben einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen,<br />

weil sie zeitgebunden und quantifizierbar<br />

waren. So konnten sie <strong>über</strong>prüft werden und<br />

trugen dazu bei, Unterstützung zu mobilisieren.<br />

Da <strong>die</strong> Internationalen Entwicklungsziele<br />

jedoch aus der Gebergemeinschaft stammten,<br />

machten Entwicklungsländer und Gruppen<br />

der Zivilgesellschaft sie sich nie wirklich zu eigen.<br />

Die Veröffentlichung Eine bessere Welt<br />

für alle (A Better World For All: Progress<br />

towards the International Development<br />

Goals) aus dem Jahr 2000 stieß bei Gruppen<br />

der Zivilgesellschaft auf breite Kritik, da sie<br />

<strong>die</strong> Entwicklungsländer für ihre Fortschritte<br />

verantwortlich mache, ohne in <strong>die</strong>sem Prozess<br />

Die Konferenz machte<br />

neue Bedingungen für<br />

eine globale Partnerschaft<br />

auf der Basis<br />

gegenseitiger<br />

Verantwortung zwischen<br />

Entwicklungsländern und<br />

reichen Ländern geltend<br />

DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 35


Misserfolge sollten als<br />

Erinnerung an <strong>die</strong><br />

Versäumnisse der<br />

Vergangenheit <strong>die</strong>nen,<br />

feste globale Versprechen<br />

wirklich einzuhalten<br />

der Rolle der reichen Länder und der multilateralen<br />

Institutionen Rechnung zu tragen. 4<br />

Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

alle Internationalen Entwicklungsziele<br />

außer einem enthalten, werden sie nicht als<br />

eine Erfindung der reichen Länder allein angesehen.<br />

Sie sind vielmehr wirklich globale<br />

Entwicklungsziele, <strong>die</strong> nochmals <strong>die</strong> kollektive<br />

Verpflichtung der Welt ausdrücken, <strong>die</strong><br />

Lebensumstände der Menschen in armen<br />

Ländern zu verbessern. In den Zielen wird <strong>die</strong><br />

Entwicklungsverantwortung der Entwicklungsländer<br />

anerkannt, während gleichzeitig<br />

konkretere Forderungen an <strong>die</strong> reichen Länder<br />

gestellt werden.<br />

Den Entwicklungsländern war es wichtig,<br />

<strong>die</strong> Verantwortlichkeiten aller Länder festzulegen.<br />

Das Ziel 8, in dem es um globale Partnerschaft<br />

geht, hat keinen zeitgebundenen,<br />

quantitativ messbaren Indikator, anhand dessen<br />

<strong>die</strong> Fortschritte <strong>über</strong>prüft und <strong>die</strong> Akteure<br />

zur Rechenschaft gezogen werden können,<br />

wie in den Zielen 1-7. Doch seine Aufnahme<br />

in <strong>die</strong> Ziele ist ein bedeutender Schritt in Richtung<br />

“Solidarität” – einem Grundprinzip der<br />

Millenniums-Erklärung.<br />

Die Internationale Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />

in Monterrey, Mexiko,<br />

vom März 2002 bestätigte erneut, dass <strong>die</strong><br />

Welt der Millenniums-Erklärung und den<br />

darin enthaltenen Entwicklungszielvorgaben<br />

verpflichtet sei. Die Konferenz machte neue<br />

Bedingungen für eine globale Partnerschaft<br />

auf der Basis gegenseitiger Verantwortung<br />

zwischen Entwicklungsländern und reichen<br />

Ländern geltend. Sie bestätigte auch <strong>die</strong><br />

Hauptverantwortung der nationalen Regierungen<br />

bei der Mobilisierung eigener Ressourcen<br />

und bei der Verbesserung der Staatsund<br />

Regierungsführung, einschließlich einer<br />

vernünftigen Wirtschaftspolitik und solider<br />

demokratischer Institutionen. Und sie bestätigte<br />

<strong>die</strong> Verpflichtungen der reichen Länder,<br />

auf günstige internationale Rahmenbedingungen<br />

und mehr Mittel zur Entwicklungsfinanzierung<br />

hinzuarbeiten. 5 Diese Verpflichtungen<br />

wurden auf dem Weltgipfel für<br />

nachhaltige Entwicklung im September 2002<br />

in Johannesburg, Südafrika, zusätzlich unterstützt<br />

(siehe Kapitel 8).<br />

MACHEN GLOBALE ZIELE EINEN<br />

UNTERSCHIED?<br />

Die Weltgemeinschaft, oft unter Führung der<br />

Vereinten Nationen, hat sich seit der Ersten<br />

Entwicklungsdekade in den 1960er Jahren<br />

viele Entwicklungsziele gesetzt – und blickt<br />

auf zahlreiche Misserfolge zurück. In der Erklärung<br />

von Alma Ata aus dem Jahr 1977 verpflichtete<br />

sich <strong>die</strong> Welt zum Beispiel, Gesundheitsversorgung<br />

für alle Menschen bis zum<br />

Ende des Jahrhunderts zu erreichen. Dennoch<br />

starben im Jahr 2000 Millionen Arme an pandemischen<br />

und anderen Krankheiten, von denen<br />

viele leicht zu verhindern und zu behandeln<br />

sind. In gleicher Weise verpflichtete sich<br />

<strong>die</strong> Welt auf dem Kindergipfel von 1990, bis<br />

2000 <strong>die</strong> allgemeine Primarschulbildung verwirklicht<br />

zu haben. Doch auch <strong>die</strong>ses Ziel<br />

wurde verfehlt. Und <strong>die</strong> Misserfolge sollten als<br />

Erinnerung an <strong>die</strong> Versäumnisse der Vergangenheit<br />

<strong>die</strong>nen, feste globale Versprechen<br />

wirklich einzuhalten.<br />

Doch mit den Zielen der Vereinten Nationen<br />

sind auch viele— zum Teil sensationelle –<br />

Erfolge erzielt worden. Ein Immunisierungsziel<br />

hat in <strong>über</strong> 70 Ländern <strong>die</strong> Impfraten<br />

enorm erhöht, von 10 – 20 Prozent im Jahr<br />

1980 auf mehr als 70 Prozent im Jahr 1990.<br />

Und selbst wenn <strong>die</strong> quantitativen Zielvorgaben<br />

bis zum angestrebten Zeitpunkt nicht erreicht<br />

worden sind, so haben sie doch <strong>die</strong><br />

Fortschritte beschleunigt. Zum Beispiel hat<br />

sich <strong>die</strong> Lebenserwartung bis zum Jahr 2000<br />

in 124 Ländern auf mindestens 60 Jahre erhöht.<br />

In den 1990er Jahren wurde <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

zwar in nur 63 Ländern um ein<br />

Drittel oder mehr gesenkt, in <strong>über</strong> 100 Ländern<br />

jedoch um ein Fünftel. Globale Ziele<br />

können also ehrgeiziger machen und zu Anstrengungen<br />

anspornen (siehe Kasten 1.2).<br />

ENTGEGNUNGEN AN DIE KRITIKER<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele sind viel<br />

dafür gelobt worden, dass sie neue Energien<br />

für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung freigesetzt<br />

hätten. Aber sie werden auch dafür<br />

kritisiert,<br />

• dass sie zu eng gefasst seien und Entwick-<br />

36 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 1.2<br />

Seit es <strong>die</strong> Vereinten Nationen gibt, haben sich <strong>die</strong> Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten<br />

globale Ziele gesetzt, darunter viele Zielsetzungen, <strong>die</strong> immer wieder auftauchen.<br />

Die Beendigung des Kolonialismus war in den 1950er und 1960er Jahren<br />

ein Hauptthema. Das wirtschaftliche Wachstum zu beschleunigen und andere<br />

wirtschaftliche Ziele – wie Beschäftigung, Industrialisierung und internationale<br />

Hilfe – voranzubringen waren wichtige Themen der Ersten, Zweiten und Dritten<br />

Entwicklungsdekade (1960er, 1970er, 1980er Jahre). Ziele in Bezug auf Alphabetisierung,<br />

Schulbildung, Gesundheit, Überleben, Wasserversorgung und<br />

Abwasserentsorgung wurden von Anfang der 1960er Jahre bis in <strong>die</strong> 1990er Jahre<br />

immer wieder festgelegt, und gipfelten im Jahr 2000 in der Millenniums-Erklärung.<br />

UN-Ziele werden oft als <strong>über</strong>ehrgeizig und selten umgesetzt abgetan, doch<br />

viele Ziele sind erreicht worden:<br />

• Die Ausrottung der Pocken (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation,<br />

1965) – 1977 geschehen.<br />

• Die Immunisierung von 80 Prozent aller Kinder (im ersten Lebensjahr) gegen<br />

schwere Kinderkrankheiten bis 1990 (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation,<br />

1974, <strong>über</strong>arbeitet 1984) – in rund 70 Ländern erreicht, wenngleich <strong>die</strong>ser Erfolg<br />

in Südasien und in Afrika südlich der Sahara nicht von Dauer war.<br />

• Halbierung der Anzahl der Kinder, <strong>die</strong> an Durchfall sterben (Weltkindergipfel,<br />

1990) – in den 1990er Jahren erreicht.<br />

• Senkung der Kindersterblichkeit auf weniger als 120 pro 1.000 Lebendgeburten<br />

bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990) – in allen bis auf 12 Entwicklungsländern<br />

erreicht.<br />

• Ausrottung der Kinderlähmung bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990) – in 110<br />

Ländern erreicht. In <strong>über</strong> 175 Ländern gibt es nun keine Kinderlähmung mehr.<br />

• Ausrottung der Guinea-Wurm-Krankheit bis 2000 (Weltkindergipfel, 1990)<br />

– im Jahr 2000 war <strong>die</strong> Anzahl der gemeldeten Fälle um 97 Prozent gesunken und<br />

<strong>die</strong> Krankheit ist in allen bis auf 14 Ländern ausgerottet.<br />

Auch in Bezug auf viele weitere Ziele sind signifikante Fortschritte erzielt<br />

worden, wenn auch <strong>die</strong> Ziele nicht in vollem Umfang erreicht wurden:<br />

• Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums in Entwicklungsländern auf<br />

fünf Prozent pro Jahr bis Ende der 1960er Jahre und auf sechs Prozent in den<br />

1970er Jahren (Resolution der Vereinten Nationen, 1961) – in den 1960er Jahren<br />

<strong>über</strong>trafen 32 Länder das Wachstumsziel von fünf Prozent, und in den 1970er<br />

Jahren erreichten 25 Länder mehr als sechs Prozent (obgleich <strong>die</strong> Ergebnisse in<br />

den 1980er und 1990er Jahren sehr viel enttäuschender waren; siehe Kapitel 2<br />

und 4.)<br />

• Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an der weltweiten industriellen<br />

Produktion (Erklärung der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle<br />

Entwicklung, 1975) – ihr Anteil stieg von sieben Prozent im Jahr 1970 auf<br />

20 Prozent im Jahr 2000, wenngleich <strong>die</strong>se Zugewinne sich auf eine kleine Anzahl<br />

von Ländern beschränkten.<br />

• Erhöhung der Lebenserwartung auf 60 Jahre bis 2000 (Generalversammlung<br />

der Vereinten Nationen, 1980) – erreicht in 124 der 173 Länder, <strong>die</strong> unter <strong>die</strong>ser<br />

Schwelle lagen (fast alle davon aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten<br />

Länder, viele in Afrika südlich der Sahara).<br />

• Senkung der Kindersterblichkeit um mindestens ein weiteres Drittel innerhalb<br />

der 1990er Jahre (Weltkindergipfel, 1990) – 63 Länder haben <strong>die</strong>ses Ziel erreicht,<br />

und in <strong>über</strong> 100 Ländern wurden <strong>die</strong> Todesfälle bei Kindern um 20 Prozent<br />

reduziert.<br />

• Beseitigung oder Reduzierung von Hunger und Unterernährung bis 2000<br />

(Dritte Entwicklungsdekade, 1980er Jahre; Weltkindergipfel, 1990) – in den Entwicklungsländern<br />

sank <strong>die</strong> Unterernährung zwischen 1980 und 2000 um 17 Pro-<br />

Quelle: Jolly <strong>2003</strong>.<br />

lungsprioritäten wie starke Staats- und Regierungsführung,<br />

Beschäftigung, Versorgung im<br />

Bereich reproduktiver Gesundheit und institutionelle<br />

Reformen der Weltordnungspolitik<br />

unberücksichtigt ließen.<br />

Machen globale Ziele einen Unterschied?<br />

zent, doch in Afrika südlich der Sahara stieg <strong>die</strong> Zahl der Unterernährten in den<br />

1990er Jahren um 27 Millionen.<br />

• Erreichung des allgemeinen Zugangs zu sauberem Trinkwasser bis 1990,<br />

dann bis 2000 (Dritte Entwicklungsdekade, 1980er Jahre; Weltkindergipfel,<br />

1990) – 4,1 Milliarden Menschen mehr erhielten Zugang, so dass nun fünf Milliarden<br />

versorgt sind.<br />

Dennoch sind einige der Ziele alles andere als erreicht worden:<br />

• Erhöhung der Mittel der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7<br />

Prozent des Bruttosozialprodukts der reichen Länder ab 1970 (Resolution der<br />

Generalversammlung der Vereinten Nationen 1970, Internationale Entwicklungsstrategie<br />

für <strong>die</strong> 1970er Jahre) – <strong>die</strong> Mittel sind gemessen als Anteil am BSP<br />

sogar gefallen, und in den 1990er Jahren erreichten nur vier Länder <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />

von 0,7 Prozent (Dänemark, <strong>die</strong> Niederlande, Norwegen und Schweden).<br />

• Zuweisung von 0,15 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) für <strong>die</strong> Öffentliche<br />

Entwicklungszusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Ländern<br />

in den 1980er und 1990er Jahren (Konferenz der Vereinten Nationen <strong>über</strong> <strong>die</strong> am<br />

wenigsten entwickelten Länder, 1981) – acht von 16 Mitgliedern des Entwicklungsausschusses<br />

der OECD erreichten in den 1980er Jahren <strong>die</strong> Zielvorgabe von<br />

0,15 Prozent, in den 1990er Jahren jedoch nur fünf von 20 Mitgliedern.<br />

• Halbierung der Analphabetenrate bei Erwachsenen bis 2000 (Weltkindergipfel,<br />

1990) – <strong>die</strong> Analphabetenrate sank von 25 Prozent 1990 auf lediglich 21 Prozent<br />

im Jahr 2000.<br />

• Ausrottung der Malaria (Erklärung der Weltgesundheitsorganisation, 1965)<br />

– zwar gab es Erfolge in Asien und Lateinamerika, doch an Afrika ist das "globale”<br />

Anti-Malaria-Programm der 1960er Jahre weitgehend vorbei gegangen (da <strong>die</strong><br />

Krankheit dort als besonders hartnäckig gilt), obwohl Afrika unter den meisten<br />

Malariafällen leidet. In den folgenden Jahrzehnten widmete <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft der Malaria wenig Aufmerksamkeit und geringe Mittel, was dazu<br />

führte, dass <strong>die</strong> Maßnahmen bruchstückhaft ausfielen.<br />

Ob <strong>die</strong> numerische Zielvorgabe eines globalen Ziels erreicht wurde, ist ein<br />

wichtiger, aber kein hinreichender Erfolgsmaßstab, denn es gibt keinen Hinweis<br />

darauf, ob <strong>die</strong> Zielsetzung als solche einen Unterschied gemacht hat oder nicht.<br />

In vielen Fällen sind enorme Fortschritte gemacht worden, auch wenn <strong>die</strong> numerischen<br />

Zielvorgaben nicht erreicht wurden – zum Beispiel im Fall der Internationalen<br />

Dekade für Trinkwasserversorgung und Abwasserhygiene der 1980er<br />

Jahre (Generalversammlung der Vereinten Nationen, 1980), in der kaum ein Entwicklungsland<br />

<strong>die</strong> allgemeine Versorgung erreicht hat. Doch dadurch, dass globale<br />

Ziele gesetzt wurden, wurde <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf <strong>die</strong>sen Bedarf gelenkt,<br />

und in den 1980er Jahren stieg der Zugang zu sauberem Trinkwasser um 130 Prozent,<br />

und der Zugang zu sanitären Einrichtungen um 266 Prozent, was in beiden<br />

Fällen sehr viel mehr war als in den 1970er oder 1990er Jahren. Trotzdem wurde<br />

<strong>die</strong> Dekade oft als Misserfolg eingestuft, nur weil <strong>die</strong> numerischen Zielvorgaben<br />

nicht erreicht wurden.<br />

Nachdem sie einmal festgelegt sind, gibt es höchst unterschiedliche Wege,<br />

<strong>die</strong> Ziele, auf <strong>die</strong> man sich bei den Vereinten Nationen geeinigt hat, weiterzuverfolgen.<br />

Auf der einen Seite gibt es Extremfälle wie das Ziel der Beschleunigung<br />

des wirtschaftlichen Wachstums, für dessen Umsetzung <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />

wenig Kräfte mobilisiert hat. Auf der anderen Seite gibt es Ziele wie<br />

<strong>die</strong> Ausrottung der Pocken, <strong>die</strong> Ausweitung von Immunisierungen und <strong>die</strong> Senkung<br />

der Kindersterblichkeit, zu deren Erreichung <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />

— angeführt von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation<br />

- WHO) und dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United<br />

Nations Children’s Fund -UNICEF) — Maßnahmen der einzelnen Länder unterstützt<br />

hat.<br />

• dass sie sich auf eng gefasste Indikatoren<br />

stützten – wie zum Beispiel Unterschiede bei<br />

den Einschulungsquoten, um Fortschritte bei<br />

der Gleichstellung der Geschlechter festzustellen,<br />

oder <strong>die</strong> Anzahl der Telefonanschlüs-<br />

DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 37


Die Millenniums-<br />

Entwicklungsziele können<br />

nur erreicht werden,<br />

wenn <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

dazu in der Verantwortung<br />

der einzelnen<br />

Länder liegen und von<br />

ihnen vorangetrieben<br />

werden<br />

se, um den Zugang zu Technologien zu messen.<br />

• dass sie unrealistisch seien und entmutigend<br />

wirken könnten, und dass sie dazu eingesetzt<br />

werden könnten, Länder bloßzustellen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ziele nicht erreichen.<br />

• dass sie nationale Prioritäten verzerren<br />

würden und <strong>die</strong> einheimische Führerschaft<br />

untergraben könnten, indem sie eine Agenda<br />

„von oben“ beförderten, <strong>die</strong> von den Gebern<br />

bestimmt sei, zu Lasten partizipatorischer Ansätze,<br />

bei denen Gemeinschaften und Länder<br />

ihre eigenen Prioritäten setzten. 6<br />

Mit <strong>die</strong>sen Bedenken wird auf eine mögliche<br />

Verzerrung hingewiesen, wenn <strong>die</strong> Ziele –<br />

und insbesondere ihre numerischen Indikatoren<br />

– aus ihrem Zusammenhang gerissen werden<br />

und eher als Selbstzweck verstanden werden,<br />

statt als Bezugsgrößen für Fortschritte in<br />

Richtung des Oberziels, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut<br />

zu beseitigen. Die Ziele spiegeln zwar einen<br />

Konsens bezüglich globaler Kern<strong>entwicklung</strong>sziele<br />

wider, sie sind jedoch kein neues<br />

Entwicklungsmodell. Und wenngleich alle<br />

Ziele wichtig sind, so müssen doch <strong>die</strong> Prioritäten,<br />

<strong>die</strong> man jedem einzelnen Ziel beimessen<br />

will, in nationalen Entwicklungsstrategien<br />

festgelegt werden.<br />

Es sind ehrgeizige Ziele – sie spiegeln den<br />

dringenden Bedarf an sehr viel schnelleren<br />

Entwicklungsfortschritten wider. Sie sollen<br />

nicht anprangern, sondern dazu <strong>die</strong>nen,<br />

Kräfte zu mobilisieren. Alle Akteure werden<br />

dazu aufgefordert, neue Maßnahmen und<br />

Ressourcen zu identifizieren, damit <strong>die</strong> Ziele<br />

erreicht werden können. Je ärmer ein Land<br />

ist, desto größer ist <strong>die</strong> Herausforderung.<br />

Nehmen wir zum Vergleich <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

von Mali, um <strong>die</strong> Armut bis 2015 auf 36<br />

Prozent zu halbieren 7 und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

der Kinder unter fünf Jahren um zwei<br />

Drittel auf 85 pro 1.000 Lebendgeburten zu<br />

senken, 8 im Gegensatz zu den Aufgaben, vor<br />

denen Sri Lanka steht: <strong>die</strong> Armut auf 3,3<br />

Prozent zu reduzieren 9 und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

der Kinder unter fünf Jahren auf<br />

acht pro 1.000 Lebendgeburten zu senken. 10<br />

Dies bedeutet nicht, dass Misserfolge in Mali<br />

vorprogrammiert sind. Vielmehr macht es<br />

<strong>die</strong> enormen Herausforderungen deutlich,<br />

vor denen <strong>die</strong> ärmsten Länder stehen – und<br />

<strong>die</strong> enormen Anstrengungen, <strong>die</strong> von der<br />

internationalen Gemeinschaft unternommen<br />

werden müssen.<br />

Außerdem sollten Erfolge nicht einfach<br />

nur danach beurteilt werden, ob <strong>die</strong> Ziele<br />

rechtzeitig erreicht werden. Die Halbierung<br />

der Armut bis zum Jahr 2015 ist nicht das<br />

Ende des Weges, denn <strong>die</strong> Länder müssen<br />

weiter daran arbeiten, <strong>die</strong> Armut immer<br />

wieder zu halbieren. Und ein Land sollte<br />

nicht dafür verurteilt werden, wenn es <strong>die</strong><br />

Ziele nicht zum angestrebten Zeitpunkt<br />

erreicht.<br />

GLOBALE ZIELE MÜSSEN IN DER<br />

VERANTWORTUNG DER EINZELNEN<br />

LÄNDER LIEGEN<br />

Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

ihren Ursprung bei den Vereinten Nationen<br />

haben, sind es Ziele der Menschen – und sie<br />

können nur erreicht werden, wenn <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

dazu in der Verantwortung der<br />

einzelnen Länder liegen und von ihnen vorangetrieben<br />

werden.<br />

STARKE NATIONALE IDENTIFIKATION<br />

Die Entwicklungsländer orientieren sich<br />

schon seit Jahrzehnten an der den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

zu Grunde liegenden<br />

Haltung. Doch <strong>die</strong> Ziele brauchen neue politische<br />

Stoßkraft, um bei der Minderung der Armut<br />

schnellere Fortschritte zu erzielen – einem<br />

Prozess, der in vielen Ländern bereits<br />

stattfindet. Während <strong>die</strong> Regierungen dabei<br />

sind abzuschätzen, ob und wie <strong>die</strong> Ziele bis<br />

2015 erreicht werden, beurteilen sie gleichzeitig<br />

auch ihre politischen Prioritäten und entwickeln<br />

nationale Strategien. Mehrere Länder<br />

haben ihre Sozialausgaben erhöht und neue<br />

Programme zur Unterstützung der Ziele initiiert.<br />

Bolivien hat zum Beispiel seine Sozialpolitik<br />

an den Zielen ausgerichtet. Es gibt Vorschläge,<br />

<strong>die</strong> Ausgaben für Gesundheit und<br />

Bildung wesentlich zu erhöhen und zwei nationale<br />

Programme wurden dazu bereits ins<br />

Leben gerufen. Auch Kamerun hat seine Finanzierung<br />

des Gesundheits- und Bildungs-<br />

38 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


wesens massiv erhöht, und Politiker verwenden<br />

in ihren Wahlkampfdebatten Daten <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Fortschritte in Richtung der Ziele.<br />

Nationale Identifikation und Verantwortung<br />

heißt nicht nur Regierungsverantwortung.<br />

Maßnahmen müssen nicht nur durch<br />

Politiker und Regierungsbehörden, sondern<br />

auch durch Gemeinschaften, Kommunalverwaltungen<br />

und Gruppen der Zivilgesellschaft<br />

vorangetrieben werden. Die Stoßkraft für politische<br />

Kursänderungen muss von den Menschen<br />

eines Landes kommen, indem sie mehr<br />

Schulen, eine bessere Gesundheits- und Wasserversorgung<br />

und andere notwendige Entwicklungsbausteine<br />

einfordern. Die Ziele bieten<br />

Ansatzpunkte, um solchen Druck auszuüben.<br />

Sie geben der Bevölkerung und den Gemeinschaften<br />

ein Instrument an <strong>die</strong> Hand, um<br />

<strong>die</strong> Behörden zur Rechenschaft zu ziehen.<br />

Und sie können als Wertungstafel <strong>die</strong>nen, mit<br />

dem <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong> Leistungen der politischen<br />

Führung – von lokalen <strong>über</strong> nationale<br />

Regierungsvertreter bis hin zu Abgeordneten<br />

und Oppositionsparteien – beurteilen können<br />

(siehe Kapitel 7).<br />

Gruppen der Zivilgesellschaft – von lokalen<br />

Organisationen bis hin zu globalen Netzwerken<br />

– sind Verbündete, <strong>die</strong> Unterstützung<br />

bieten, <strong>die</strong> helfen Schulen zu bauen, und <strong>die</strong><br />

sich für <strong>die</strong> Erforschung vernachlässigter<br />

Krankheiten einsetzen. Aber auch als „Wachhunde“<br />

spielen sie eine wichtige Rolle. Sie<br />

<strong>über</strong>wachen <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> dafür zuständig<br />

sind, Ergebnisse zu liefern, und sie prägen demokratische<br />

Debatten zur Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />

in armen Gemeinschaften. In Staaten,<br />

<strong>die</strong> auf dem Weg zur Demokratie sind, hat<br />

es bislang kaum oder nur unzureichende offene<br />

Debatten <strong>über</strong> politische Entscheidungen gegeben.<br />

Deshalb sind <strong>die</strong> Menschen anfällig für<br />

populistische Rhetorik. Eine soziale Mobilisierung<br />

rund um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

kann daher helfen, demokratische Prozesse<br />

zu unterstützen und zu konsoli<strong>die</strong>ren, in denen<br />

<strong>die</strong> Stimmen der Normalbürger Einfluss<br />

auf <strong>die</strong> Gestaltung der Politik nehmen. Zwar<br />

haben Gruppen der Zivilgesellschaft bereits<br />

begonnen, sich mit den Zielen zu befassen,<br />

doch viele von ihnen wissen nichts davon oder<br />

stehen den Zielen misstrauisch gegen<strong>über</strong>. 11<br />

ENGAGEMENT DER PARTNER IN DEN REICHEN<br />

LÄNDERN UND DER INTERNATIONALEN<br />

GEMEINSCHAFT<br />

Die Ziele sind ein bedeutender Schritt beim<br />

Aufbau einer echten Entwicklungspartnerschaft<br />

und bei der Definition dessen, was unter<br />

Partnerschaft zu verstehen ist. Die Vereinbarungen,<br />

<strong>die</strong> aus der Internationalen Konferenz<br />

<strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung 2002<br />

und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />

hervorgegangen sind, beförderten den<br />

Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong> gegenseitige Verantwortung<br />

von reichen und Entwicklungsländern. Die<br />

Entwicklungsländer sollen den Schwerpunkt<br />

auf <strong>die</strong> Verbesserung der Staats- und Regierungsführung<br />

legen, insbesondere was <strong>die</strong><br />

Mobilisierung von Ressourcen, ihre gerechte<br />

Verteilung und ihren wirkungsvollen Einsatz<br />

angeht. Die reichen Länder sollen mehr finanzielle<br />

Mittel zu Vorzugsbedingungen zur Verfügung<br />

stellen sowie Schuldenerleichterungen<br />

und den Handel und Technologietransfer fördern<br />

(siehe Kapitel 8).<br />

KLARE DIAGNOSE DESSEN,<br />

WAS GETAN WERDEN MUSS<br />

Die Welt braucht eine klare Analyse der<br />

Gründe, warum <strong>die</strong> weltweite Armut anhält,<br />

wo und worin <strong>die</strong> größten Hindernisse für deren<br />

Beseitigung liegen und was getan werden<br />

muss, um sie anzugehen. Jedes arme Land<br />

muss eine nationale Strategie erarbeiten, <strong>die</strong><br />

seiner Situation Rechnung trägt.<br />

Auch <strong>die</strong> internationale Gemeinschaft<br />

muss Prioritäten setzen, wie <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele erreicht werden sollen.<br />

Diese Prioritäten müssen auf einer objektiven<br />

Analyse der größten Probleme und wichtigsten<br />

Hindernisse basieren sowie auf Erfahrungen,<br />

welche Maßnahmen gegriffen haben<br />

(und welche nicht) und auf Ideen für neue<br />

Maßnahmen, um <strong>die</strong> Fortschritte zu beschleunigen.<br />

Um <strong>die</strong>se Analyse durchzuführen, hat der<br />

UN-Generalsekretär das Millenniums-Projekt<br />

ins Leben gerufen, eine Forschungsinitiative,<br />

in der fast 300 Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft,<br />

internationalen Organisatio-<br />

Die Ziele sind ein<br />

bedeutender Schritt beim<br />

Aufbau einer echten<br />

Entwicklungspartnerschaft<br />

und bei der<br />

Definition dessen, was<br />

unter Partnerschaft zu<br />

verstehen ist<br />

DIE MILLENNIUMS-ENTWICKLUNGSZIELE 39


Der Millenniums-<br />

Entwicklungspakt ist der<br />

wichtigste Programmpunkt<br />

<strong>die</strong>ses Berichts<br />

nen und dem öffentlichen und privaten Sektor<br />

aus aller Welt zusammenkommen. Im Jahr<br />

2005 soll der Abschluss<strong>bericht</strong> des Projektes<br />

veröffentlicht werden.<br />

Auch <strong>die</strong>ser Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung trägt dazu bei, globale Prioritäten<br />

zu identifizieren, Daten zu liefern und<br />

neue Ideen zu analysieren. Er ist in enger Zusammenarbeit<br />

mit dem Millenniums-Projekt<br />

entstanden und greift auf dessen Arbeit sowie<br />

auf weitere Stu<strong>die</strong>n zurück, <strong>die</strong> innerhalb des<br />

Hauses oder im Rahmen von Forschungsaufträgen<br />

erstellt wurden. Er beschreibt:<br />

• eine Gesamtschau der weltweiten Fortschritte<br />

im Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele – und identifiziert<br />

<strong>die</strong> Bereiche, <strong>die</strong> <strong>die</strong> größte Aufmerksamkeit<br />

erfordern (Kapitel 2).<br />

• <strong>die</strong> strukturellen Hindernisse für wirtschaftliches<br />

Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

und Wege, sie zu <strong>über</strong>winden (Kapitels<br />

3).<br />

• politische Optionen zur Erreichung der<br />

Ziele in den Bereichen Bildung, Ernährung,<br />

Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter,<br />

Wasserversorgung und Abwasserentsorgung<br />

(Kapitel 4).<br />

• geeignete Rollen für den privaten und öffentlichen<br />

Sektor beim Ausbau sozialer Basis<strong>die</strong>nste<br />

(Kapitel 5).<br />

• politische Optionen zur Erreichung der<br />

Ziele im Bereich Umwelt (Kapitel 6).<br />

• <strong>die</strong> Rolle der Bevölkerung zur Erhöhung<br />

der politischen Stoßkraft, um politische Kursänderungen<br />

zu bewirken (Kapitel 7).<br />

• neue politische Strategien in den Bereichen<br />

Handel, Schuldenerleichterungen, Technologietransfer<br />

und Entwicklungshilfe, <strong>die</strong><br />

nötig sind, um <strong>die</strong> Umsetzung aller Millenniums-Ziele<br />

zu unterstützen (Kapitel 8).<br />

Der vorangestellte Millenniums-Entwicklungspakt<br />

ist der wichtigste politische Programmpunkt<br />

<strong>die</strong>ses Berichts. Er stellt einen<br />

neuen Ansatz dar, um den Ländern zu helfen,<br />

der Armutsfalle zu entkommen und <strong>die</strong> Ziele<br />

zu erreichen. Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

identifiziert <strong>die</strong> Aufgaben der verschiedenen<br />

Interessengruppen. Er stützt sich auf <strong>die</strong><br />

Prinzipien des Konsens von Monterrey (der auf<br />

der Internationalen Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />

angenommen wurde), der<br />

eher einem leistungs- als einem anspruchsorientierten<br />

<strong>entwicklung</strong>spolitischen Ansatz folgt.<br />

40 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KAPITEL 2<br />

Die größten Herausforderungen zur<br />

Erreichung der Ziele<br />

Zwei Gruppen von Entwicklungsländern stehen<br />

vor besonders schwierigen – unterschiedlichen<br />

– Herausforderungen bei der Erreichung<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele. In<br />

der ersten Gruppe befinden sich <strong>die</strong> Länder<br />

mit hoher und höchster Priorität, in denen tief<br />

verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut und mangelnde<br />

Fortschritte – oder sogar Rückschritte –<br />

Krisen verursacht haben, und denen <strong>die</strong> Welt<br />

ihre gebündelte Aufmerksamkeit und Ressourcen<br />

widmen muss. Die zweite Gruppe<br />

steht nicht so oft im Blickpunkt der Öffent-<br />

Arabische Staaten<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Welt<br />

Südasien<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Welt<br />

Südasien<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Arabische Staaten<br />

lichkeit, denn sie hat insgesamt gute Fortschritte<br />

gemacht. Aber <strong>die</strong>se Fortschritte sind<br />

ungleich verteilt, und <strong>die</strong> Kluft weitet sich aus,<br />

weil arme Gruppen und Regionen auf der<br />

Strecke bleiben.<br />

Ostasien und der Pazifikraum, angeführt<br />

von China, sind dicht davor, <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />

gegen<strong>über</strong> dem Stand des Jahres<br />

1990 zu halbieren – und kommen auch bei der<br />

Umsetzung der anderen Ziele gut voran. Für<br />

<strong>die</strong> arabischen Staaten, Lateinamerika und <strong>die</strong><br />

Karibik wird es eine Herausforderung sein,<br />

GRAFIK 2.1<br />

Zeitrahmen für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele – wenn nicht schnellere Fortschritte gemacht werden<br />

ZIEL<br />

ERREICHT a<br />

2000<br />

2015<br />

2020<br />

2050<br />

2100<br />

2200<br />

RÜCK-<br />

SCHRITT<br />

Armut<br />

Hunger<br />

Primarschulbildung<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Südasien<br />

Arabische Staaten<br />

Welt<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Geschlechtergleichstellung<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Arabische Staaten<br />

Südasien<br />

Kindersterblichkeit<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 41<br />

Südasien<br />

Arabische Staaten<br />

Welt<br />

Zugang zu<br />

Wasser<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Südasien<br />

Welt<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

a.Wenn <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut im letzten für das Ziel relevante Jahr unter 10 Prozent liegt, wird davon ausgegangen, dass <strong>die</strong> Region das Ziel erreicht hat (siehe dazu auch technische Erläuterung 2).<br />

Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Feature 1.<br />

Sanitärversorgung<br />

Südasien<br />

Welt<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara


In den 1990er Jahren kam<br />

es in vielen Entwicklungsländern<br />

zu Stagnation<br />

und Rückschritten in<br />

vielen Bereichen, <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Ziele von zentraler<br />

Bedeutung sind<br />

<strong>die</strong> Ziele zu erreichen, aber es ist möglich<br />

(Grafik 2.1). Für andere Regionen bleibt <strong>die</strong><br />

Erreichung der Ziele jedoch eine ernorme<br />

Herausforderung. Wenn sich <strong>die</strong> Situation<br />

nicht verbessert, werden <strong>die</strong> Länder Afrikas<br />

südlich der Sahara bis zum Jahr 2165 brauchen,<br />

um <strong>die</strong> Kindersterblichkeit um zwei<br />

Drittel zu verringen, bis 2147 um <strong>die</strong> extreme<br />

Armut zu halbieren und bis 2129, um das Ziel<br />

allgemeiner Primarschulbildung zu erreichen.<br />

Was das Ziel der Beseitigung des Hungers angeht,<br />

so kann derzeit für <strong>die</strong> Länder Afrikas<br />

südlich der Sahara noch kein Zeitpunkt<br />

bestimmt werden, denn <strong>die</strong> Situation verschlechtert<br />

sich noch weiter. Und obwohl<br />

Südasien raschere Fortschritte gemacht hat,<br />

wird es in den meisten Bereichen noch substanzielle<br />

Verbesserungen brauchen, wenn <strong>die</strong><br />

Ziele erreicht werden sollen.<br />

In den 1990er Jahren kam es in vielen Entwicklungsländern<br />

zu Stagnation und Rückschritten<br />

in vielen Bereichen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ziele<br />

von zentraler Bedeutung sind. Etwa 54 Länder<br />

sind heute ärmer als noch 1990. In 21 Ländern<br />

ist der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> Hunger leiden,<br />

gestiegen. In 14 Ländern sterben mehr<br />

Kinder, bevor sie fünf Jahre alt werden. In<br />

12 Ländern ist <strong>die</strong> Einschulungsquote im<br />

Primarschulbereich gesunken. Und in vielen<br />

Ländern hat Stagnation eingesetzt, es kommt<br />

zwar nicht zu Rückschritten, es geht aber auch<br />

nicht voran. 1<br />

In den 1980er Jahren erlebten nur vier<br />

Länder Rückschritte beim Index für <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung (einem zusammengefassten<br />

Maß auf der Grundlage der Möglichkeiten<br />

der Bürgerinnen und Bürger eines Landes,<br />

ein langes und gesundes Leben zu führen<br />

und einen angemessenen Bildungs- und Lebensstandard<br />

zu haben). In den 1990er<br />

Jahren ist ihre Zahl sprunghaft auf 15 angestiegen.<br />

Hinter <strong>die</strong>sen Rückschritten stecktenunzureichendesWirtschaftswachstumund<br />

<strong>die</strong> HIV/AIDS-Epidemie. In den 1990er Jahren<br />

ging auch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe der reichen<br />

Länder zurück, <strong>die</strong> Schuldenlast der armen<br />

Länder stieg, und <strong>die</strong> Rohstoffpreise<br />

sanken weiter (siehe Kapitel 8), aus denen<br />

viele arme Länder ihre Staatseinkünfte beziehen.<br />

Viele Entwicklungsländer stehen in einem<br />

oder zwei Bereichen in Bezug auf <strong>die</strong> Ziele vor<br />

enormen Herausforderungen. Anlass zur Sorge<br />

geben jedoch <strong>die</strong> 31 Länder mit höchster<br />

Priorität, in denen bei den meisten der Ziele<br />

mangelnde Fortschritte und ein extrem niedriges<br />

Ausgangsniveau zusammenfallen. Obwohl<br />

es solche Länder in allen Regionen der Welt<br />

gibt, liegen bei weitem <strong>die</strong> meisten davon in<br />

Afrika südlich der Sahara. Es gibt weitere 28<br />

Länder mit hoher Priorität, in denen <strong>die</strong> Situation<br />

etwas weniger verzweifelt ist. Aber es sind<br />

weiterhin entscheidende Fortschritte nötig,<br />

um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

Dennoch gelingt <strong>die</strong>s einigen der ärmsten<br />

Länder auf dem Weg zu einem höheren Entwicklungsstand.<br />

Im Kampf gegen HIV/AIDS<br />

gibt es Erfolgsgeschichten, das Bildungsniveau<br />

steigt, Volkswirtschaften beginnen zu<br />

wachsen. Eine zentrale Botschaft <strong>die</strong>ses Berichts,<br />

der wir in Teil 2 nachgehen, ist, dass<br />

man viel dar<strong>über</strong> weiß, wie <strong>die</strong> Ziele zu erreichen<br />

sind. Aber <strong>die</strong>ses Wissen muss auch<br />

schnell zum Einsatz kommen, wenn <strong>die</strong> Länder,<br />

<strong>die</strong> darum kämpfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />

<strong>die</strong>s auch schaffen sollen.<br />

Beim Messen der Fortschritte ist es von<br />

entscheidender Bedeutung, <strong>über</strong> <strong>die</strong> Durchschnittszahlen<br />

den einzelnen Länder hinauszuschauen.<br />

In vielen Ländern könnten <strong>die</strong> Ziele<br />

buchstabengetreu erreicht werden, wenn<br />

sich <strong>die</strong> Bemühungen auf <strong>die</strong> Menschen konzentrieren,<br />

<strong>die</strong> in der Gesellschaft bereits ihr<br />

Bestes geben. Aber es entspricht nicht dem<br />

Sinn der Ziele, wenn in den Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Ziellinie passieren, viele arme Menschen auf<br />

der Strecke bleiben. In Brasilien, China, In<strong>die</strong>n<br />

und Mexiko waren <strong>die</strong> Fortschritte insgesamt<br />

bereits hervorragend. Doch einigen Regionen<br />

und Gruppen kommt <strong>die</strong>se Entwicklung<br />

noch nicht ausreichend zugute, während<br />

wohlhabende Teile der Bevölkerung weiter<br />

vorwärts drängen. Und in Ländern, <strong>die</strong> kaum<br />

vorankommen, wird ein großer Teil der Last<br />

von marginalisierten Gruppen getragen, wie<br />

zum Beispiel in Burkina Faso, Mali und der<br />

Russischen Föderation.<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel werden <strong>die</strong> Fortschritte<br />

in Hinblick auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

bewertet. Dabei wird eine globale<br />

42 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Perspektive zugrunde gelegt, um <strong>die</strong> Bereiche<br />

zu identifizieren, denen sich <strong>die</strong> Politik am<br />

dringendsten widmen muss (Kasten 2.1 und<br />

Feature 2.1 am Ende des Kapitels; siehe auch<br />

<strong>die</strong> Indikatoren-Tabellen 1-10 der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

im statistischen Anhang).<br />

Die Bewertung zeigt:<br />

• krasse Unterschiede zwischen und innerhalb<br />

von Regionen,<br />

• Rückschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

in den 1990er Jahren,<br />

• Anstrengungen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen,<br />

wobei es Rückschritte und Stagnation gibt,<br />

und Länder, <strong>die</strong> in der Krise stecken,<br />

• ein gutes Abschneiden einiger der ärmsten<br />

Länder,<br />

• wachsende Unterschiede innerhalb einzelner<br />

Länder.<br />

KRASSE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN<br />

UND INNERHALB VON REGIONEN<br />

Auf der ganzen Welt gibt es Fortschritte<br />

bei den Zielen. Aber es bilden sich krasse Unterschiede<br />

zwischen den Regionen heraus. Einige<br />

Regionen preschen voran und erreichen<br />

ein neues Entwicklungsniveau, während andere<br />

auf der Strecke bleiben. Das gleiche Muster<br />

tritt auch innerhalb von Regionen auf. Einige<br />

Länder sind auch bei ringsherum enttäuschenden<br />

regionalen Trends erfolgreich, während<br />

andere auch in solchen Regionen zurückfallen,<br />

<strong>die</strong> insgesamt gute Fortschritte machen:<br />

• Südasien —kommt von niedrigem Niveau<br />

aus voran. Südasien bleibt eine der ärmsten<br />

Regionen der Welt. Weil <strong>die</strong>se Region so<br />

dicht bevölkert ist, lebt dort auch <strong>die</strong> größte<br />

Zahl armer Menschen. Die Aufgabe ist enorm,<br />

denn mehr als ein Drittel der Südasiaten hat<br />

keinen Zugang zu verbesserter Sanitärversorgung,<br />

ein Drittel lebt in Armut, ein Viertel der<br />

Menschen leidet Hunger, ein Fünftel der Kinder<br />

geht nicht zur Primarschule, und fast ein<br />

Zehntel der Kinder stirbt vor Erreichen des<br />

sechsten Lebensjahres. Doch in all <strong>die</strong>sen Bereichen<br />

sind in den 1990er Jahren bedeutende<br />

Fortschritte gemacht worden, was <strong>die</strong> Region<br />

von der untersten Entwicklungsstufe emporgehoben<br />

hat. Außerdem waren <strong>die</strong> Leistungen<br />

der einzelnen Länder in <strong>die</strong>ser Region homo-<br />

gener als anderswo. Außer in Afghanistan kam<br />

es in keinem südasiatischen Land bei den<br />

Schlüsselindikatoren der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu Rückschritten. Dennoch<br />

gab es einige Unterschiede. Bangladesch und<br />

Bhutan reduzierten <strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern<br />

unter fünf Jahren um <strong>über</strong> sechs Prozentpunkte,<br />

Nepal um <strong>über</strong> fünf Prozentpunkte.<br />

Heute ist in <strong>die</strong>sen Ländern der Anteil der<br />

Kinder, <strong>die</strong> sterben, bevor sie fünf Jahre alt<br />

sind, kleiner als in Pakistan, wo sehr viel<br />

langsamere Fortschritte gemacht wurden.<br />

Außerdem schnitten in In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> einzelnen<br />

Bundesstaaten sehr unterschiedlich ab, so dass<br />

<strong>die</strong> Ungleichverteilung zwischen einer Reihe<br />

von Bundesstaaten zunahm.<br />

Afrika südlich der Sahara – bleibt auf<br />

der Strecke. Wie Südasien sind auch <strong>die</strong> Länder<br />

Afrikas südlich der Sahara mit gewaltiger<br />

Armut konfrontiert. Doch anders als Südasien<br />

bleibt <strong>die</strong>se Region auf der Strecke. Fast <strong>über</strong>all<br />

hat es hier Stagnation gegeben: Die Wirtschaft<br />

ist nicht gewachsen, <strong>die</strong> Hälfte der Afrikaner<br />

lebt in extremer Armut und ein Drittel<br />

leidet Hunger, und etwa ein Sechstel der Kinder<br />

stirbt vor Erreichen des sechsten Lebensjahres<br />

– wie vor zehn Jahren. Aufgrund des<br />

Bevölkerungswachstums ist <strong>die</strong> Anzahl der leidenden<br />

Menschen in den 1990er Jahren erheblich<br />

gestiegen. Im Bildungssektor wurden<br />

einige Fortschritte erzielt, wo sich <strong>die</strong> Einschulungsquote<br />

im Primarschulbereich bei<br />

dennoch mageren 57 Prozent hielt. Und <strong>die</strong><br />

Abschlussquoten sind niedrig, nur ein Drittel<br />

der Kinder in <strong>die</strong>ser Region schließt <strong>die</strong><br />

Grundschule ab. Dennoch gelang es einigen<br />

Ländern, inmitten <strong>die</strong>ses trostlosen Bildes von<br />

Stillstand und Rückschritt, in den 1990er Jahren<br />

beeindruckende Fortschritte zu erzielen.<br />

Kap Verde, Mauritius, Mosambik und Uganda<br />

verzeichneten <strong>über</strong> drei Prozent Pro-Kopf-<br />

Wachstum jährlich, und in Ghana und Mosambik<br />

gelangen einige der weltweit drastischsten<br />

Reduzierungen des Hungers. In Benin<br />

stieg <strong>die</strong> Einschulungsquote im Primarschulbereich<br />

um mehr als 20 Prozentpunkte. Trotz<br />

HIV/AIDS senkten zehn Länder <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

um drei Prozentpunkte und<br />

mehr, in Malawi sank sogar um mehr als fünf<br />

Prozentpunkte.<br />

Kap Verde, Mauritius,<br />

Mosambik und Uganda<br />

verzeichneten <strong>über</strong> drei<br />

Prozent Pro-Kopf-<br />

Wachstum jährlich, und in<br />

Ghana und Mosambik<br />

gelangen einige der<br />

weltweit drastischsten<br />

Reduzierungen des<br />

Hungers<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 43


KASTEN 2.1<br />

Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele haben klar<br />

gemacht, dass es einen Bedarf an relevanten,<br />

verlässlichen, aktuellen Statistiken gibt, um politische<br />

Maßnahmen festzulegen, Entscheidungsträger<br />

zur Rechenschaft zu ziehen, Fortschritte<br />

zu <strong>über</strong>wachen und Ergebnisse zu evaluieren.<br />

Doch trotz bedeutender Verbesserungen<br />

in den vergangenen Jahren ist <strong>die</strong> Deckung<br />

des Bedarfs an Grunddaten zur <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung nach wie vor eine große globale<br />

Herausforderung.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Datenlage in den einzelnen<br />

Entwicklungsländern sehr unterschiedlich ist,<br />

gibt <strong>die</strong> Datenbank zu den Millenniums-Indikatoren<br />

Aufschlüsse (siehe http://millennium<br />

indicators.un.org). Diese Datenbank basiert<br />

auf Länderstatistiken, <strong>die</strong> von internationalen<br />

Daten-Agenturen zusammengestellt oder geschätzt<br />

werden. Es zeigt sich nicht nur eine bedeutende<br />

Kluft bei fast jedem Indikator. Es<br />

gibt auch umfassende Probleme in Bezug auf<br />

<strong>die</strong> Relevanz, Genauigkeit, Konsistenz und <strong>die</strong><br />

Verlässlichkeit. Zum Beispiel:<br />

• Die Auswahl vieler der Indikatoren für <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele ist durch <strong>die</strong><br />

Datenverfügbarkeit begründet. Es sind nicht<br />

notwendigerweise <strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ziele<br />

am geeignetsten sind. Ein Beispiel ist der Indikator<br />

von einem US-Dollar am Tag, dem strittigsten<br />

Maß für absolute Armut (siehe Kasten<br />

2.3). Ein weiteres Beispiel ist der Indikator des<br />

nachhaltigen Zugangs zu erschwinglichen unentbehrlichen<br />

Arzneimitteln, bei dem es<br />

schwierig, sowohl den Zugang als auch <strong>die</strong> Erschwinglichkeit<br />

schwierig exakt zu bewerten.<br />

Indessen müssen adäquate Indikatoren für <strong>die</strong><br />

Zielvorgabe in Bezug auf Slumbewohner (Bestandteil<br />

von Ziel 7) noch vollständig entwickelt<br />

werden.<br />

• Bei den Indikatoren für <strong>die</strong> Einkommensarmut,<br />

Gesundheit, Ungleichheit der Geschlechter,<br />

Arbeitsplätze und <strong>die</strong> Umwelt haben<br />

viele Länder für den Zeitraum von 1990<br />

bis 2001 keine Daten – und wenige Länder verfügen<br />

<strong>über</strong> Trenddaten für <strong>die</strong>sen Zeitraum<br />

(siehe Tabelle).<br />

• Einige Daten – wie zum Beispiel in Bezug<br />

auf Müttersterblichkeit und HIV/AIDS – basieren<br />

auf unvollständiger Erfassung, <strong>die</strong> jedoch<br />

entscheidend ist, oder auf nicht repräsentativen<br />

Erhebungen. Sie unterliegen daher einer<br />

enormen Unsicherheit. Und selbst wenn<br />

Daten für mehrere Zeiträume zur Verfügung<br />

stehen, so sind sie aufgrund von Änderungen<br />

der Definitionen, der Methoden und der<br />

Reichweite oft nicht vergleichbar.<br />

Indem <strong>die</strong> Ziele eine langfristige Nachfrage<br />

nach Daten schaffen, stellen sie eine Herausforderung<br />

für nationale und internationale<br />

Institutionen dar, <strong>über</strong> kurzfristige Antworten<br />

hinauszugehen und im Statistik-Bereich zuverlässige,<br />

nachhaltige nationale Kapazitäten und<br />

Systeme aufzubauen. Was muss getan werden<br />

– oder auf andere Art und Weise getan werden<br />

– um <strong>die</strong>se Ziele zu erreichen?<br />

Entwicklung nationaler Nachfrage<br />

Aufgrund der fehlenden Wertschätzung für<br />

<strong>die</strong> Bedeutung von Statistiken zur Unterstützung<br />

informierter Entscheidungsprozesse sind<br />

zu viele Länder in einem Teufelskreis niedriger<br />

Nachfrage nach Statistiken und geringer Mittelausstattung<br />

gefangen, was dazu führt, dass<br />

das Angebot mangelhaft ist. Solche Länder<br />

sammeln nicht routinemäßig Daten. Viele haben<br />

in den vergangenen zehn Jahren keine<br />

Volkszählung durchgeführt. Und sie sind bei<br />

der Einführung moderner statistischer Stan-<br />

Große Datenlücken selbst bei Basisindikatoren <strong>menschliche</strong>r Entwicklung:<br />

Länder, in denen es an Daten fehlt, 1990-2001<br />

Prozent<br />

Länder Länder<br />

ohne ohne je-<br />

Indikator Trenddaten gliche Daten<br />

Untergewichtige Kinder unter fünf Jahren 100 22<br />

Nettoeinschulungsquote im Primarschulbereich 46 17<br />

Kinder, <strong>die</strong> das fünfte Schuljahr erreichen 96 46<br />

Von medizinischem Fachpersonal begleiteten Geburten 100 19<br />

nichtselbständig erwerbstätige Frauen im Nicht-Agrarsektor<br />

HIV-Prävalenz bei schwangeren Frauen (15- bis 24-Jährige)<br />

51 41<br />

in größeren Städten<br />

Bevölkerung mit nachhaltigem Zugang zu einer besseren<br />

100 91<br />

Wasserquelle 62 18<br />

Bevölkerung mit weniger als einem US-Dollar pro Tag 100 55<br />

Anmerkung: Die Daten beziehen sich auf Entwicklungsländer und Länder in Mittel- und Osteuropa und der GUS. Ein Land verfügt<br />

definitionsgemäß dann <strong>über</strong> Trenddaten, wenn für mindestens zwei Zeitpunkte bzw. Zeiträume Daten vorliegen – für 1990–95<br />

und für 1996–2001 – und wenn <strong>die</strong> beiden Dateneinträge mindestens drei Jahre auseinander liegen. Quelle: UN <strong>2003</strong>c.<br />

dards und Methoden weit im Rückstand. Auch<br />

haben sie nur eingeschränkte Kapazitäten, Statistiken<br />

zu analysieren und zu verbreiten, was<br />

nicht ermutigt, in der nationalen politischen<br />

Analyse Daten zu verwenden.<br />

Die Nachfrage nach Daten muss steigen,<br />

wenn <strong>die</strong> nationalen Statistik-Systeme aus dem<br />

Teufelskreis von zu geringer Leistung und Unterfinanzierung<br />

herauskommen sollen. Anstrengungen<br />

zur Ausweitung des Datenangebots<br />

müssen auch <strong>die</strong> Kapazitäten der Regierungen<br />

und der allgemeinen Öffentlichkeit<br />

stärken, Daten wirkungsvoll zu nutzen. Zwar<br />

ist für solche Bemühungen entscheidend, dass<br />

sie in einheimischer Hand sind und <strong>die</strong> einzelnen<br />

Länder sich dafür engagieren, doch <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft kann helfen, indem<br />

sie:<br />

• sich für <strong>die</strong> Bedeutung von Statistiken und<br />

Statistik-Systemen zur Unterstützung effektiver<br />

Staats- und Regierungsführung und zur Ermächtigung<br />

der Bevölkerung einsetzt. Zu den<br />

wichtigen Gelegenheiten hierfür gehören <strong>die</strong><br />

Prozesse zur Erarbeitung von Strategiedokumenten<br />

zur Armutsbekämpfung (PRSPs), <strong>die</strong><br />

nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

und <strong>die</strong> Länder<strong>bericht</strong>e zu den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />

Sie alle betonen<br />

den Bedarf an Überwachung und Evaluierung;<br />

• existierende Daten besser nutzt, um <strong>die</strong><br />

kurzfristige Nachfrage für bestimmte Programme<br />

zu decken, und langfristig in Statistik-<br />

Systeme investiert;<br />

• Statistik-Analysten und Manager statistischer<br />

Systeme ausbildet, neue Instrumente zur<br />

Datenerhebung entwickelt, den Zugang zu Daten<br />

verbessert, indem sie <strong>die</strong> Verbreitung und<br />

Analyse von Daten unterstützt, und dazu ermutigt,<br />

existierende Technologien einzusetzen,<br />

um <strong>die</strong> Kosten niedrig zu halten und nationale<br />

Statistik-Programme effektiver zu machen.<br />

Verbesserung nationaler Strategien<br />

und Systeme<br />

Um <strong>die</strong> Datenlücken in Entwicklungsländern<br />

zu schließen, haben internationale Organisationen<br />

eine Reihe von Haushaltserhebungen<br />

durchgeführt, insbesondere in den Bereichen<br />

Armut, Gesundheit und Bildung. Diese Erhebungen<br />

– darunter Haushaltserhebungen zu<br />

Demographie und Gesundheit (Demographic<br />

and Health Surveys) Mehrfachindikatoren-<br />

Clustererhebungen (Multiple Indicator Cluster<br />

Surveys), Haushaltserhebungen zur Messung<br />

des Lebensstandards (Living Standards<br />

Continued on next page<br />

44 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 2.1 (Fortsetzung)<br />

Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />

Measurement Surveys) und Fragebogen zu<br />

Kernindikatoren der Wohlfahrt (Core Welfare<br />

Indicator Questionnaires) – haben entscheidende<br />

Daten zu sozioökonomischen Merkmalen<br />

und Trends geliefert, insbesondere was <strong>die</strong><br />

Armen angeht.<br />

Wenn jedoch ähnliche Erhebungen in<br />

Ländern mit beschränkten Ressourcen durchgeführt<br />

werden, sind sie manchmal von einem<br />

kurzfristigen externen Bedarf geleitet, verzerren<br />

<strong>die</strong> einheimischen Prioritäten und bieten<br />

keine nachhaltige Verbesserung für <strong>die</strong> einheimische<br />

statistische Infrastruktur. Zwar können<br />

Verwaltungssysteme detaillierte Zeitreihen<br />

und aufgeschlüsselte Daten für <strong>die</strong> nationale<br />

Planung zur Verfügung stellen, doch <strong>die</strong>s erfordert<br />

langfristige Investitionen und wird oft<br />

vernachlässigt.<br />

Um <strong>die</strong> Entwicklung nachhaltiger Statistik-Systeme<br />

zu fördern und Verzerrungen der<br />

Prioritäten und des Outputs so gering wie<br />

möglich zu halten, sollte <strong>die</strong> Sammlung und<br />

Analyse von Daten im Rahmen nationaler Statistik-Strategien<br />

erfolgen. Diese Strategien sollten<br />

in engem Zusammenhang mit nationalen<br />

politischen Strategien und den für <strong>die</strong> Statistik-<br />

Systeme vereinbarten Prioritäten stehen.<br />

Mehrere afrikanische Länder haben in<br />

jüngster Zeit ihre statistischen Kapazitäten erheblich<br />

verbessert, indem sie <strong>die</strong> einheimische<br />

Nachfrage als Leitlinie für ihre Anstrengungen<br />

zur Entwicklung von Statistiken nutzten.<br />

Uganda hat seine Statistik-Agentur restrukturiert<br />

und sie damit in <strong>die</strong> Lage versetzt, <strong>die</strong><br />

Nachfrage der Nutzer besser zu bewältigen<br />

und zu decken. In Malawi hat sich durch staatliche<br />

und Geber-Investitionen in Haushaltserhebungen<br />

und Datenanalysen das Verständnis<br />

in Bezug auf <strong>die</strong> Armut erhöht. Dies führte zu<br />

Kartierungen der Armut, zur Vereinbarung einer<br />

Armutsgrenze und zu einem umfassenden<br />

Profil der Armen.<br />

Eine internationale Armutsuntersuchung<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele heben Bereiche<br />

hervor, in denen <strong>die</strong> nationalen Statistik-Systeme<br />

entscheidend verbessert werden<br />

müssen. Viele Länder, darunter <strong>die</strong> Länder mit<br />

hoher und höchster Priorität, wie sie in <strong>die</strong>sem<br />

Bericht identifiziert wurden, brauchen umfassende<br />

Hilfe, um regelmäßige Einkommensund<br />

Konsumerhebungen durchzuführen. Diese<br />

Erhebungen sollen insbesondere dazu <strong>die</strong>nen,<br />

<strong>die</strong> extreme Armut und grundlegende Lebensbedingungen<br />

zu beurteilen. Auch müssen<br />

<strong>die</strong>se Länder statistische Programme für andere<br />

soziale Indikatoren entwickeln oder stärken<br />

– insbesondere hinsichtlich der durch <strong>die</strong> Ziele<br />

bestimmten Gesundheitsdaten.<br />

Eine internationale Armutsuntersuchung<br />

könnte eine Möglichkeit sein, um auf <strong>die</strong> durch<br />

<strong>die</strong> Ziele neu geschaffene Nachfrage nach<br />

statistischer Unterstützung zu reagieren. Zwar<br />

liefern existierende Erhebungen (wie zum Beispiel<br />

Haushaltserhebungen zu Demographie<br />

und Gesundheit wichtige Daten für viele<br />

Bereiche. Aber keine liefert konsistente, verlässliche<br />

Daten <strong>über</strong> <strong>die</strong> extreme Armut und<br />

elementare Lebensbedingungen. Eine internationale<br />

Armutsuntersuchung würde neue bzw.<br />

verbesserte internationale Standards und<br />

Methoden verwenden. Sie könnte modular<br />

aufgebaut sein, wobei einige Module unverändert<br />

und zeitlich und räumlich konstant beibehalten<br />

und andere dem aktuellen oder langfristigen<br />

Bedarf des Landes angepasst würden.<br />

Als Bestandteil eines integrierten Erhebungsprogramms<br />

könnte eine solche Untersuchung<br />

wertvolle Daten für nationale und globale Analysen<br />

liefern und ein wichtiges Instrument zum<br />

Aufbau nationaler statistischer Kapazitäten<br />

werden.<br />

Beschaffung zusätzlicher Mittel<br />

und effektiverer Einsatz<br />

In vielen armen Ländern gibt es, wenn <strong>über</strong>haupt,<br />

nur <strong>über</strong> <strong>die</strong> einfachste statistische Infrastruktur<br />

und Ausbildung. Da <strong>die</strong> Handlungsmöglichkeiten<br />

<strong>die</strong>ser Länder aufgrund<br />

fehlender Mittel stark eingeschränkt sind,<br />

brauchen sie bedeutende finanzielle Unterstützung,<br />

um mit dem Aufbau von Statistik-Kapazitäten<br />

beginnen zu können. Andere Länder<br />

haben gut entwickelte Programme in bestimmten<br />

Bereichen, brauchen aber Unterstützung,<br />

um ihre Statistik-Systeme insgesamt leistungsfähiger<br />

zu machen. Auch müssen sie ihre nationalen<br />

Prioritäten abstimmen und in statistische<br />

Tätigkeiten investieren, um den nachhaltigen<br />

Aufbau von Kapazitäten sicherzustellen.<br />

Regierungen und Geber sollten erkennen,<br />

das <strong>die</strong> Erhöhung der Leistungsfähigkeit von<br />

Statistik-Systemen zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

unerlässlich ist. Anstatt<br />

sich auf kurzfristige Ergebnisse zu konzentrieren<br />

und sich auf teure externe Experten<br />

zu verlassen, sollte langfristigen Planungsansätzen<br />

der Vorzug gegeben werden, und lokal<br />

verfügbare Ressourcen und Wissen sollten<br />

effektiver genutzt werden.<br />

Neue Finanzierungsinstrumente<br />

Viele Geber bemühen sich, Statistik-Systeme<br />

zu finanzieren, indem sie sowohl <strong>die</strong> Finanzie-<br />

rung ausweiten (und zum Beispiel statistische<br />

Komponenten in neue Projekte integrieren) als<br />

auch mit neuen Instrumenten experimentieren.<br />

Zum Beispiel gewährt der neue Treuhandfonds<br />

für den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />

(Trust Fund for Statistical Capacity Building)<br />

der Weltbank, an dem mehrere Geber beteiligt<br />

sind, Zuschüsse für <strong>die</strong> Entwicklung von Masterplänen<br />

und Kleinprojekten zum Aufbau<br />

statistischer Kapazitäten. Außerdem sollen<br />

neue Kreditlinien den Entwicklungsländern<br />

helfen, das Investitionsvolumen zu erhöhen<br />

und <strong>die</strong> Abhängigkeit von Gebermitteln zu reduzieren.<br />

Dazu gehören zum Beispiel Investitionskredite,<br />

bei denen in der Umsetzungsphase<br />

<strong>die</strong> Unterstützung zur Deckung periodisch<br />

auftretender Kosten (dem Hauptanteil der<br />

Ausgaben statistischer Ämter) nach und nach<br />

abnimmt.<br />

Zusammenarbeit von Entwicklungsländern<br />

Jahrzehnte technischer Entwicklungshilfe und<br />

-zusammenarbeit haben in den Entwicklungsländern<br />

bedeutsames Wissen gefördert. Experten<br />

aus den reichen Ländern kommt eine wichtige<br />

Rolle zu. Doch <strong>die</strong>s gilt auch für Praktiker<br />

in <strong>die</strong>sen Ländern und aus anderen Entwicklungsländern,<br />

in denen <strong>die</strong> Probleme und Bedingungen<br />

ähnlich sind. Ende der 1980er Jahre<br />

half zum Beispiel der nationale statistische<br />

Koordinationsausschuss der Philippinen (National<br />

Statistical Coordination Board) dem indonesischen<br />

Zentralamt für Statistik (Central<br />

Bureau of Statistics), Daten für <strong>die</strong> volkswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung zusammenzustellen.<br />

Mehrere Faktoren sind für den Erfolg solcher<br />

Bemühungen entscheidend: Die Empfängerländer<br />

haben <strong>die</strong> Verantwortung und Kontrolle<br />

dar<strong>über</strong> und engagieren sich; ähnliche<br />

wirtschaftliche, kulturelle und Datensysteme<br />

im Empfängerland und in dem unterstützenden<br />

Land erleichtern den Technologietransfer;<br />

<strong>die</strong> Beratungskosten sind erschwinglich und<br />

eine langfristige Unterstützung dadurch möglich;<br />

es gibt das Gefühl, es mit Seinesgleichen<br />

zu tun zu haben, und es besteht <strong>die</strong> Bereitschaft,<br />

voll zu kooperieren.<br />

Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

und Koordination<br />

Der Aufbau statistischer Kapazitäten muss sowohl<br />

in den einzelnen Ländern als auch unter<br />

den Gebern wirksam koordiniert werden. In<br />

den meisten Entwicklungsländern (selbst in jenen<br />

mit langer statistischer Tradition) sind <strong>die</strong><br />

Continued on next page<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 45


KASTEN 2.1 (Fortsetzung)<br />

Der Aufbau statistischer Kapazitäten – noch nie da gewesene Nachfrage, dringende Gelegenheit<br />

statistischen Programme – <strong>über</strong> <strong>die</strong> nationalen<br />

statistischen Ämter hinaus – oft auf diverse Ministerien<br />

verteilt. Die statistischen Stellen internationaler<br />

Organisationen, wie zum Beispiel<br />

<strong>die</strong> Stellen am Hauptsitz der Vereinten Nationen<br />

und bei den regionalen Kommissionen, arbeiten<br />

hauptsächlich mit den nationalen statistischen<br />

Ämtern zusammen. Andere Statistik-<br />

Stellen spezialisierter Geberorganisationen –<br />

wie der Internationalen Arbeitsorganisation<br />

(ILO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation<br />

der Vereinten Nationen (FAO)<br />

der Organisation der Vereinten Nationen für<br />

Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNES-<br />

CO) und der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) – arbeiten normalerweise mit ihren<br />

Ansprechpartnern in den Fachministerien der<br />

Länder zusammen. Wieder andere, hauptsächlich<br />

multilaterale und bilaterale Geber, lassen<br />

<strong>die</strong> technische Zusammenarbeit oft durch Ministerien<br />

für technische Zusammenarbeit oder<br />

ähnliche Mechanismen verwalten.<br />

Diese Struktur bringt enorme Koordinierungsprobleme<br />

mit sich. Es lässt sich nicht vermeiden,<br />

dass verschiedene Geber annähernd<br />

gleiche Projekte duplizieren, deren Ziele sich<br />

<strong>über</strong>lappen oder sich widersprechen, und <strong>die</strong><br />

um begrenzte einheimische Mittel konkurrieren<br />

und nationale Kapazitäten <strong>über</strong>mäßig beanspruchen.<br />

Es gibt auch einen schwerwiegenden<br />

Mangel an Kohärenz innerhalb der nationalen<br />

Systeme und eine Trennung zwischen<br />

den nationalen statistischen Ämtern und verschiedenen<br />

Ministerien. Mit welchem Ergebnis?<br />

Enorme Ineffizienz, weniger nützliche Daten<br />

aus Erhebungen, <strong>die</strong> unterschiedliche Definitionen<br />

und Methoden verwenden, und Diskrepanzen<br />

bei den nationalen und internationalen<br />

Statistiken.<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele bieten<br />

eine einmalige Gelegenheit, sowohl natio-<br />

nal als auch international klare, effektive Verantwortlichkeiten<br />

festzulegen. Zum Beispiel<br />

könnten <strong>die</strong> nationalen statistischen Ämter<br />

eine zentralere Rolle bei der Koordination nationaler<br />

Statistiken für den nationalen und internationalen<br />

Bedarf spielen. Es sollten praktische<br />

Mechanismen geschaffen werden, um <strong>die</strong><br />

internationale Hilfe zu koordinieren und zu<br />

<strong>über</strong>wachen.<br />

Um den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />

zu koordinieren, wurde im Jahr 1999 das Konsortium<br />

„Partnerschaft für Statistik im Dienste<br />

der Entwicklung im 21. Jahrhundert“ (Partnership<br />

in Statistics for Development in the<br />

21st Century/PARIS21) gegründet. Dieses<br />

Konsortium verbindet nationale und internationale<br />

Statistiker und Statistik-Nutzer in ihren<br />

Bemühungen, Strategien zum Aufbau statistischer<br />

Kapazitäten zu entwickeln und <strong>die</strong> wirksame<br />

Zusammenarbeit zwischen armen und<br />

reichen Ländern zu fördern. Obwohl es relativ<br />

neu ist, hat PARIS21 sich vieler Herausforderungen<br />

angenommen – den Bedarf an besseren<br />

Daten zu betonen, Ressourcen zu mobilisieren,<br />

Instrumente zur Bewertung statistischer Kapazitäten<br />

und zur Identifizierung von Prioritäten<br />

zu entwickeln und <strong>die</strong> Länder dazu zu ermutigen,<br />

<strong>die</strong> Entwicklung ihrer Statistiken langfristig<br />

zu planen.<br />

Erhöhung der Leistungsfähigkeit<br />

internationaler Datensysteme<br />

Die steigende Nachfrage nach kohärenten,<br />

konsistenten internationalen Statistiken stellt<br />

eine bedeutende Herausforderung dar. Zwar<br />

sind bessere internationale Statistiken von besseren<br />

nationalen Statistiken abhängig, doch<br />

sind auch in den internationalen statistischen<br />

Organisationen Veränderungen nötig. Um auf<br />

neue Messprobleme zu reagieren und aktuelle<br />

Statistiken zur Verfügung zu stellen, müssen<br />

• Lateinamerika und <strong>die</strong> Karibik – zögerliche<br />

Fortschritte. Am anderen Ende des<br />

Spektrums der Entwicklungsregionen nähern<br />

sich <strong>die</strong> Indikatoren für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

in Lateinamerika und der Karibik dem<br />

Niveau der reichen Länder an. Doch obwohl<br />

in einigen Bereichen (Bildung, Sterblichkeit<br />

von Kindern unter fünf Jahren) weiter Fortschritte<br />

gemacht wurden, gab es in den 1990er<br />

Jahren nur sehr langsames Wirtschaftswachstum<br />

und einen leichten Anstieg der Armut. Im<br />

Ergebnis holt Ostasien auf, der Einkommens-<br />

<strong>die</strong> Organisationen ihre Kapazitäten erweitern.<br />

Sie müssen Datenlücken und Widersprüche<br />

reduzieren und besser mit nationalen<br />

Statistik-Systemen zusammenarbeiten. Und<br />

sie müssen <strong>die</strong> Koordination untereinander<br />

verstärken, um internationale Standards und<br />

Methoden zu verbessern und um <strong>die</strong> Vereinbarkeit<br />

internationaler Datenreihen sicherzustellen.<br />

Die internationale Gemeinschaft spielt<br />

eine wichtige Rolle bei der statistischen Entwicklung,<br />

indem sie international vereinbarte<br />

Standards, Methoden und Rahmenbedingungen<br />

für statistische Tätigkeiten umsetzt. Zu<br />

den bedeutenden Meilensteinen gehören <strong>die</strong><br />

Entwicklung und Annahme des Systems der<br />

Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen,<br />

des Allgemeinen Datenveröffentlichungs-Systems<br />

und des Rahmens zur Bewertung der<br />

Qualität von Daten (Data Quality Assessment<br />

Framework). Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />

haben neue Impulse geliefert, für geeignete<br />

Konzepte und Methoden internationale<br />

Richtlinien zu entwickeln, auf denen jedes<br />

Land aufbauen kann – wie zum Beispiel Messgrößen<br />

für <strong>die</strong> extreme Armut und <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />

in den Slums der Städte.<br />

Diese Bereiche sind besonders wichtig, um<br />

den Bedarf der Länder mit hoher und höchster<br />

Priorität zu decken.<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele haben<br />

<strong>die</strong> internationale Gemeinschaft mobilisiert<br />

und Entwicklungsländer inspiriert, Verantwortung<br />

für den Aufbau statistischer Kapazitäten<br />

zu <strong>über</strong>nehmen. Die enormen statistischen<br />

Lücken zu schließen wird von Gebern wie<br />

Empfängern Engagement und Anstrengungen<br />

erfordern. Der Aufbau von Kapazitäten ist keine<br />

Aufgabe, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Länder erledigt werden<br />

kann – sie müssen sie selbst erledigen. Dennoch<br />

ist <strong>die</strong> Hilfe von außen unverzichtbar.<br />

Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von David <strong>2003</strong>; De Vries <strong>2003</strong>; Johnston 2002, <strong>2003</strong>; UNDP 2002a, <strong>2003</strong>e, McEwin <strong>2003</strong>; Simonpietri <strong>2003</strong>; UN 2002g; World<br />

Bank. 2002a, <strong>2003</strong>d, <strong>2003</strong>h.<br />

unterschied zu Lateinamerika sinkt. Auch der<br />

Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> Hunger leidet, ist<br />

in Ostasien inzwischen geringer. Obwohl in<br />

den 1990er Jahren in den meisten lateinamerikanischen<br />

und karibischen Ländern das Pro-<br />

Kopf-Einkommen nur langsam stieg, wuchs es<br />

in fünf Ländern um <strong>über</strong> drei Prozent jährlich<br />

– darunter Chile und Guyana mit einem Pro-<br />

Kopf-Wachstum von fast fünf Prozent. Auch<br />

beim Hunger gab es große Unterschiede: In<br />

Kuba hat sich der Anteil der Menschen, <strong>die</strong><br />

Hunger leiden, fast verdreifacht, von fünf auf<br />

46 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


13 Prozent, während Peru den größten Rückgang<br />

verzeichnete, von 40 auf elf Prozent. Die<br />

Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren<br />

sank in Bolivien (von zwölf auf acht Prozent)<br />

und in Ecuador (von sechs auf drei Prozent),<br />

während es in Barbados, Jamaika und<br />

St. Vincent und den Grenadinen fast keine<br />

Verbesserungen gab.<br />

Ostasien und der Pazifikraum – insgesamt<br />

gutes Abschneiden. Die ostasiatische<br />

Wirtschaft wuchs in den 1990er Jahren um<br />

jährlich fast sechs Prozent, während <strong>die</strong> Armut<br />

um rund 15 Prozentpunkte sank, und <strong>die</strong>s<br />

trotz der akuten Finanzkrise von 1997/98. Unter<br />

allen Regionen konnte hier der Hunger am<br />

schnellsten verringert werden. Der Anteil der<br />

Menschen, <strong>die</strong> Hunger leiden, sank von 17 auf<br />

elf Prozent – und ist damit nun geringer als in<br />

den arabischen Staaten oder in Lateinamerika<br />

und der Karibik. Der allgemeine Primarschulbesuch<br />

und -abschluss sind greifbar nah, und<br />

<strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren<br />

ist merklich gesunken. Chinas Erfolge waren<br />

von zentraler Bedeutung für <strong>die</strong> Region.<br />

Mit 1,2 Milliarden Menschen macht China<br />

rund 70 Prozent der Bevölkerung Ostasiens<br />

aus (Chinas Erfolge und seine ungleichgewichtige<br />

Verteilung werden später in <strong>die</strong>sem<br />

Kapitel behandelt). Zu den weiteren Erfolgsgeschichten<br />

gehören höhere Einschulungsquoten<br />

in der Demokratischen Volksrepublik<br />

Laos und niedrigere Sterblichkeitsraten bei<br />

Kindern unter fünf Jahren in Indonesien.<br />

Dennoch haben viele Länder in der Region in<br />

den 1990er Jahren nicht von derartigen Fortschritten<br />

profitiert. In den Philippinen ist das<br />

Einkommen nur langsam gestiegen – und in<br />

Brunei Darussalam, der Mongolei, den Salomonen<br />

und Vanuatu ist es gesunken. In Kambodscha<br />

stieg <strong>die</strong> Sterblichkeit von Kindern<br />

unter fünf Jahren um zwei Prozentpunkte.<br />

• Mittel- und Osteuropa und <strong>die</strong> Gemeinschaft<br />

Unabhängiger Staaten – wachsende<br />

Armut und sinkende Lebenserwartung. Für<br />

<strong>die</strong> Menschen in Mittel- und Osteuropa und<br />

in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten<br />

(GUS) gingen <strong>die</strong> 1990er Jahre mit schlechterer<br />

Gesundheit und mit geringeren Durchschnittseinkommen<br />

zu Ende, als für <strong>die</strong> Menschen<br />

in Lateinamerika und der Karibik. Die-<br />

se negativen Trends reichen in <strong>die</strong> 1980er Jahre<br />

zurück, doch <strong>die</strong> Zahlen für <strong>die</strong> 1990er Jahre<br />

vermitteln eine Vorstellung vom Ausmaß<br />

der Verschlechterungen. So verdreifachte sich<br />

<strong>die</strong> Armut auf fast 100 Millionen Menschen –<br />

25 Prozent der Bevölkerung der Region. 2 Die<br />

Erfahrungen mit dem Übergang zur Marktwirtschaft<br />

sind in den beiden Regionen – Mittel-<br />

und Osteuropa einerseits und der GUS<br />

andererseits – unterschiedlich. Einige Länder<br />

in Mittel- und Osteuropa haben sich seit Ende<br />

der 1990er Jahre beachtlich verbessert. Die<br />

Tschechische Republik, Ungarn, Polen, <strong>die</strong><br />

Slowakei und Slowenien sind kurz davor, der<br />

Europäischen Union beizutreten. Die Herausforderung<br />

besteht darin, <strong>die</strong>se Erfolge in den<br />

Ländern der GUS zu wiederholen, <strong>die</strong> darum<br />

kämpfen, voranzukommen. Die sieben Länder<br />

der GUS – Armenien, Aserbaidschan, Georgien,<br />

Kirgisistan, <strong>die</strong> Republik Moldau, Tadschikistan<br />

und Usbekistan – befanden sich<br />

Ende der 1990er Jahre auf einem Einkommensniveau,<br />

das dem der am wenigsten entwickelten<br />

Länder nahe kommt.<br />

• Arabische Staaten – anhaltende Unterschiede.<br />

In den arabischen Staaten haben sich<br />

seit 1970 dank des hohen Einkommensniveaus<br />

viele Aspekte der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

verbessert. Doch klafft in den arabischen Staaten<br />

unter allen Regionen <strong>die</strong> größte Lücke zwischen<br />

dem Einkommen und anderen Aspekten<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung. Trotz sich verringernder<br />

geschlechterspezifischer Unterschiede<br />

bei der Einschulung bleibt <strong>die</strong> Ungleichbehandlung<br />

der Geschlechter ein Thema.<br />

In Ländern, in denen es Parlamente gibt,<br />

sind nur fünf Prozent der Abgeordneten Frauen.<br />

3 Die politischen und <strong>die</strong> Bürgerrechte stellen<br />

<strong>die</strong> größte Herausforderung dar. 1999 hatten<br />

nur vier der 17 Länder der Region, für <strong>die</strong><br />

Daten zur Verfügung stehen, Mehrparteiensysteme.<br />

4 Dennoch verzeichneten der Libanon,<br />

der Sudan und Tunesien trotz allgemeiner<br />

wirtschaftlicher Stagnation in den 1990er Jahren<br />

ein Wachstum von <strong>über</strong> drei Prozent pro<br />

Jahr. Kuwait reduzierte den Anteil seiner Bevölkerung,<br />

<strong>die</strong> Hunger leidet, von 22 auf vier<br />

Prozent. Ägypten schaffte <strong>die</strong> stärkste Senkung<br />

der Sterblichkeit von Kindern unter fünf<br />

Jahren, von rund zehn auf vier Prozent. Doch<br />

Sieben Länder der GUS<br />

befanden sich Ende der<br />

1990er Jahre auf einem<br />

Einkommensniveau, das<br />

dem der am wenigsten<br />

entwickelten Länder nahe<br />

kommt<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 47


Die Fragen in Bezug auf<br />

<strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />

des Einkommens<br />

geben Anlass<br />

zu einigen der strittigsten<br />

internationalen Debatten:<br />

Die Antworten hängen<br />

davon ab, wie <strong>die</strong> Fragen<br />

gestellt werden<br />

Höheres<br />

Todesrisiko<br />

5 mal höher<br />

10 mal höher<br />

15 mal höher<br />

andere Länder bleiben auf der Strecke. Im<br />

Irak kam es in den 1990er Jahren fast zu einer<br />

Verdreifachung der Sterblichkeitsrate bei Kindern<br />

unter fünf Jahren, auf 13 Prozent. Auch<br />

Länder in weniger extremen Situationen hatten<br />

zu kämpfen. Im Jemen stieg der Anteil der<br />

Kinder mit Untergewicht sprunghaft an, von<br />

30 Prozent 1992 auf 46 Prozent 1997. 5<br />

UNTERSCHIEDE ZWISCHEN REICHEN UND<br />

ARMEN LÄNDERN: ÜBER EINKOMMENS-<br />

UNTERSCHIEDE ALLEIN HINAUSGEHEN<br />

Die Fragen in Bezug auf <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />

des Einkommens geben Anlass zu<br />

einigen der strittigsten internationalen Debatten.<br />

Die Antworten hängen davon ab, wie <strong>die</strong><br />

Fragen gestellt werden. Und selbst wenn <strong>die</strong><br />

Fragen <strong>die</strong> gleichen zu sein scheinen, können<br />

<strong>die</strong> Antworten sehr unterschiedlich ausfallen<br />

(Kasten 2.2). Man schaut auf <strong>die</strong> Daten <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Einkommensunterschiede wie auf einen<br />

Börsenindex, um zu beurteilen, wie es der<br />

Welt gerade geht. Sind <strong>die</strong> Dinge auf dem<br />

richtigen Weg? Wird genug getan? Die Debatten<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />

des Einkommens geben jedoch kaum mehr<br />

Hinweise als den, dass Volkswirtschaftler und<br />

Statistiker viele Antworten auf <strong>die</strong> scheinbar<br />

gleichen Fragen finden können.<br />

Nobelpreisträger Amartya Sen hat vorgeschlagen,<br />

dass sorgfältig geprüft werden sollte,<br />

was mit Ungleichheit gemeint ist. 6 Wenn man<br />

nur auf <strong>die</strong> Ungleichverteilung des Einkommens<br />

schaut, kann <strong>die</strong>s den Blick auf Unter-<br />

GRAFIK 2.2<br />

Kindersterblichkeit in OECD-Ländern und anderen Regionen im Vergleich:<br />

Die Ungleichheit nimmt zu, Zeitraum 1990 bis 2001<br />

Kindersterblichkeit vor dem sechsten Lebensjahr in OECD-Ländern mit hohem Einkommen<br />

1990<br />

20 mal höher<br />

in Afrika<br />

südlich<br />

25 mal höher der Sahara<br />

Quelle: World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

2001<br />

in<br />

Südasien<br />

in den<br />

Arabischen<br />

Staaten<br />

in Ostasien<br />

und im<br />

Pazifikraum<br />

in Lateinamerika<br />

und der<br />

Karibik<br />

in Mittel-<br />

und<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

schiede im Leben der Menschen verstellen,<br />

auf ihre ungleichen Fähigkeiten und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen<br />

Veränderungen. Oft ist es schwierig<br />

zu erfassen, wie sich <strong>die</strong> Kluft zwischen reichen<br />

und armen Menschen und Regionen in<br />

anderen Bereichen als dem Einkommen verändert.<br />

Denn <strong>die</strong> meisten Grundindikatoren<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung sind nach oben begrenzt.<br />

Wenn fast alle Kinder zur Schule gehen,<br />

alle Erwachsenen lesen und schreiben<br />

können und <strong>die</strong> Lebenserwartung sich der<br />

biologischen Grenze nähert, kann ein Land<br />

kaum noch weitere Fortschritte machen.<br />

Während also <strong>die</strong> reichen Länder sich nach<br />

<strong>die</strong>sen Indikatoren nur noch wenig verbessern<br />

können, bedeutet jede Verbesserung in den<br />

armen Ländern eine Verringerung der Ungleichheit.<br />

Selbst wenn ein Land in Bezug auf einen<br />

der Grundindikatoren für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung nicht weiter voran kommen kann,<br />

können sich <strong>die</strong> Dinge doch weiter verbessern.<br />

Die Qualität der Bildung kann sich verbessern.<br />

Die Gesundheitsversorgung kann das Leben<br />

drastisch verbessern, auf eine Art und Weise,<br />

<strong>die</strong> sich in den Daten bezüglich der Lebenserwartung<br />

nicht widerspiegelt. Hinter dem Einkommensniveau<br />

kann sich mehr Spaß bei der<br />

Arbeit und mehr Freizeit verbergen. Frauen<br />

können zuhause und bei der Arbeit mehr Einflussmöglichkeiten<br />

erlangen. Solche Indikatoren<br />

sind an der Grenze der Messbarkeit der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung – und solche Indikatoren<br />

sind es, mit denen viele Veränderungen<br />

der nicht einkommensbezogenen Ungleichheit<br />

identifiziert werden.<br />

Doch <strong>die</strong> Ungleichheit bei den Grundindikatoren<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung sinkt<br />

nicht immer. Während es zum Beispiel eine<br />

hitzige Debatte dar<strong>über</strong> gibt, ob <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

des Einkommens zwischen den reichen<br />

und den armen Ländern zunimmt, ist <strong>die</strong><br />

Ungleichheit in Bezug auf <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

eindeutig gestiegen. Anfang der 1990er<br />

Jahre war in Afrika südlich der Sahara <strong>die</strong><br />

Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor Erreichen<br />

seines sechsten Lebensjahres stirbt,<br />

19mal höher als in den reichen Ländern – und<br />

heute ist sie 26mal höher (Grafik 2.2). In den<br />

vergangenen zehn Jahren hat sich unter allen<br />

48 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 2.2<br />

Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung 2002<br />

wurde festgestellt, dass <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung<br />

des Einkommens zwar nicht genau definiert<br />

werden kann und ihre Trends zweideutig sind, es<br />

jedoch allgemeinen Konsens bezüglich ihres grotesken<br />

Ausmaßes gibt. Dies hat sich bislang nicht<br />

geändert. Das Einkommen ist (mit einem Gini-Koeffizienten<br />

von 0,66) unter der Weltbevölkerung<br />

ungerechter verteilt als innerhalb der Länder mit<br />

der größten Ungleichverteilung (Brasilien hat zum<br />

Beispiel einen Gini-Koeffizienten von 0,61). (Der<br />

Gini-Koeffizient ist ein Maß für <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

des Einkommens. Er liegt zwischen null, was<br />

perfekte Gleichverteilung bedeutet, und eins, was<br />

auf völlige Ungleichverteilung hinweist.) Die reichsten<br />

fünf Prozent der Weltbevölkerung beziehen<br />

ein 114-mal höheres Einkommen als <strong>die</strong> ärmsten<br />

fünf Prozent. Die reichsten ein Prozent beziehen<br />

genauso viel Einkommen wie <strong>die</strong> ärmsten 57 Prozent.<br />

Und <strong>die</strong> reichsten 25 Millionen Amerikaner<br />

haben ein Einkommen, dass dem von fast zwei Milliarden<br />

ärmsten Menschen der Welt entspricht (Milanovic<br />

2002, S. 51-92).<br />

Die Ungleichverteilung des Einkommens zu<br />

<strong>über</strong>wachen und in Grenzen zu halten ist nicht nur<br />

wichtig, um <strong>die</strong> Chancen für möglichst viele Menschen<br />

zu verbessern, sondern auch um soziale<br />

Spannungen in (meist städtischen) Regionen mit<br />

großer Ungleichheit zu mindern. Mit zunehmender<br />

Globalisierung und dem billiger und breiter werdenden<br />

Zugang zu Informationen steigt auch das<br />

Bewusstsein für <strong>die</strong> globale Ungleichheit. Die Menschen<br />

vergleichen sich selbst nicht mehr nur mit<br />

ihren Mitbürgern, sie sind sich auch der internationalen<br />

Unterschiede bewusst, was <strong>die</strong> Divergenzen<br />

zwischen den einzelnen Ländern schlimmer – und<br />

gefährlicher – macht. Um <strong>die</strong> wachsenden Spannungen<br />

zu mindern ist es entscheidend, dass alle<br />

Länder von der Entwicklung profitieren.<br />

Es gibt sehr unterschiedliche Erkenntnisse<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung. Sie hängen<br />

von der Methode ab, mit der <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

analysiert wurde. Ungleichverteilung lässt<br />

sich länder<strong>über</strong>greifend berechnen (indem man<br />

das durchschnittliche Volkseinkommen verwendet),<br />

oder auf alle Menschen der Welt bezogen<br />

(ohne Berücksichtigung von Staatsgrenzen), oder<br />

in Bezug auf <strong>die</strong> Bevölkerung innerhalb eines<br />

Landes.<br />

Länder<strong>über</strong>greifende Ungleichheit<br />

Die internationale Ungleichheit wird für gewöhnlich<br />

durch Vergleiche des jeweiligen Volkseinkommens<br />

pro Kopf gemessen. Die Länder, <strong>die</strong> zu Beginn<br />

des 19. Jahrhunderts das höchste Pro-Kopf-<br />

Einkommen hatten, sind auch heute noch <strong>die</strong> reichsten<br />

Länder, was zeigt, wie hartnäckig <strong>die</strong> Strukturen<br />

der internationalen Ungleichverteilung fortbestehen.<br />

Wie entwickelt sich <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung des Einkommens?<br />

Groteske Ausmaße, zweideutige Trends<br />

Westeuropa war im Jahr 1820 gemessen am<br />

Pro-Kopf-Einkommen 2,9-mal reicher als Afrika –<br />

und im Jahr 1992 sogar 13,2-mal reicher (Maddison<br />

2001). In den 1990er Jahren ist das Pro-Kopf-Einkommen<br />

in den reichen OECD-Ländern langsam<br />

aber stetig gestiegen, doch viele Transformationsländer<br />

in Mittel- und Osteuropa, insbesondere <strong>die</strong><br />

GUS, viele Teile Afrikas südlich der Sahara, sowie<br />

einige Länder in Lateinamerika und der Karibik erlebten<br />

wirtschaftliche Stagnation. Gleichzeitig erzielten<br />

bevölkerungsreiche Entwicklungsländer wie<br />

China und In<strong>die</strong>n rasches Wachstum.<br />

Daraus ergibt sich, dass sich innerhalb der<br />

Gruppe der reichen Länder <strong>die</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />

annähern, während sich in den Entwicklungsländern<br />

ein gemischtes Bild ergibt. Wenn man <strong>die</strong><br />

Einkommensdaten entsprechend der Bevölkerungszahl<br />

gewichtet, um <strong>die</strong> relative Bedeutung der<br />

Leistung jedes einzelnen Landes zu erfassen, dann<br />

scheinen sich <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen der<br />

Länder einander anzunähern. Die bevölkerungsreichen<br />

Länder sind maßgeblich für solche Trends.<br />

China und In<strong>die</strong>n holen mit ihrem schnellen<br />

Wachstum gegen<strong>über</strong> Industrieländern z.B. in Nordamerika<br />

und Westeuropa auf.<br />

Ungleichverteilung in Bezug auf <strong>die</strong><br />

Weltbevölkerung<br />

In einigen Untersuchungen hat man versucht, <strong>die</strong><br />

Trends der wirklich globalen Ungleichverteilung zu<br />

erfassen – d.h. <strong>die</strong> Verteilung der Einkommen auf<br />

alle Weltbürger, unabhängig von Ländergrenzen.<br />

Aus Einkommenserhebungen lässt sich ablesen,<br />

dass <strong>die</strong> globale Ungleichverteilung, wenn man sie<br />

auf <strong>die</strong>se Weise misst, zwischen 1987 und 1998 gestiegen<br />

ist. Die treibenden Kräfte hinter <strong>die</strong>ser Auseinander<strong>entwicklung</strong><br />

waren:<br />

• ein zunehmendes Einkommensgefälle zwischen<br />

den Reichsten und den Ärmsten aufgrund des im<br />

Verhältnis zu den reichen OECD-Ländern langsamen<br />

Einkommenszuwachses in den ländlichen Regionen<br />

der bevölkerungsreichen asiatischen Länder,<br />

• schnellere Fortschritte in den chinesischen<br />

Städten im Verhältnis zu den ländlichen Regionen<br />

Chinas und im Verhältnis zu In<strong>die</strong>n,<br />

• und ein Rückgang bei der mittleren Einkommensgruppe<br />

der Weltbevölkerung (Milanovic<br />

2002, S. 51-92).<br />

Doch <strong>die</strong>se Schlussfolgerungen halten nicht jeder<br />

Kritik stand, denn der abgedeckte Zeitrahmen<br />

ist zu begrenzt, und es werden Kaufkraftparitäten<br />

(KKP) verwendet, deren Kurse oft ungeeignet sind<br />

und <strong>die</strong> internationalen Preisunterschiede nicht zutreffend<br />

widerspiegeln (siehe Kasten 2.3).<br />

Beim Einsatz alternativer Methoden sind andere<br />

Analysten zu optimistischeren Schlüssen gekommen,<br />

<strong>die</strong> auf eine weltweite Konvergenz bei<br />

den globalen Individual-Einkommen hindeuten.<br />

Nach einem Höhepunkt im Jahr 1970 hatte sich danach<br />

<strong>die</strong> Kluft bis 1995 wieder auf das Niveau von<br />

1950 verringert (Dollar und Kraay 2002, S. 120-<br />

133); Bhalla 2002; Sala-i-Martin 2002). Ein treibender<br />

Faktor in <strong>die</strong>ser Debatte ist der Maßstab der<br />

Ungleichverteilung, der zu Grunde gelegt wird, um<br />

daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Wenn man<br />

mit zusammenfassenden Indikatoren wie dem Gini-<br />

Koeffizienten misst, <strong>die</strong> sich einer einzigen Zahl<br />

darstellen lassen, so scheinen sich <strong>die</strong> Einkommen<br />

einander anzunähern. (Denn so, wie der Gini-Koeffizient<br />

konstruiert ist, legt er größeres Gewicht auf<br />

<strong>die</strong> mittleren Einkommensgruppen und weniger<br />

auf <strong>die</strong> Extremfälle). Dennoch hat in den vergangenen<br />

Jahrzehnten ohne Frage das Einkommensgefälle<br />

zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern<br />

zugenommen.<br />

Ungleichverteilung unter der Bevölkerung<br />

einzelner Länder<br />

Das Konzept der nationalen Einkommensunterschiede<br />

wird zu Analyse auf Länderebene angewandt.<br />

Dieses Konzept ist geeignet, um <strong>die</strong> Korrelation<br />

zwischen der Politik eines Landes (meist in<br />

Bezug auf seine wirtschaftliche Offenheit und seine<br />

Umverteilungsmaßnahmen) und seiner Einkommensverteilung<br />

zu analysieren.<br />

In vielen Ländern scheint <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

des Vermögens und insbesondere des Einkommens<br />

zuzunehmen. In zahlreichen Untersuchungen<br />

hat man versucht, <strong>die</strong> Trends bei der Einkommensverteilung<br />

in großen Länderstichproben im Zeitablauf<br />

zu erfassen. Cornia und Kiiski (2001) schätzen,<br />

dass zwischen den 1980er Jahren und<br />

Mitte/Ende der 1990er Jahre <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

in 42 von 73 Ländern, für <strong>die</strong> vollständige und vergleichbare<br />

Daten vorliegen, gestiegen ist. In nur<br />

sechs der untersuchten 33 Entwicklungsländer (ausgenommen<br />

Transformationsländer) ist <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

zurückgegangen, während sie in 17<br />

Ländern gestiegen ist. Mit anderen Worten, innerhalb<br />

der Grenzen <strong>die</strong>ser einzelnen Länder konzentriert<br />

sich <strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> Vermögen und Ressourcen<br />

zunehmend in den Händen einiger weniger.<br />

Auch wenn <strong>die</strong>s nicht auf alle <strong>die</strong>se Länder zutrifft,<br />

so begann doch in vielen <strong>die</strong>ser Länder <strong>die</strong><br />

Ungleichverteilung während der Schuldenkrise Anfang<br />

der 1980er Jahre zuzunehmen (Kanbur und<br />

Lustig 1999). Seitdem hat <strong>die</strong> Ungleichverteilung<br />

rasant zugenommnen, insbesondere in der Gemeinschaft<br />

Unabhängiger Staaten (GUS) und in Südosteuropa.<br />

In vielen Ländern Lateinamerikas ist <strong>die</strong><br />

Ungleichverteilung nach wie vor extrem hoch.<br />

Wenn <strong>die</strong> deutliche Zunahme der Ungleichverteilung<br />

anhält, könnte sie schreckliche Auswirkungen<br />

auf <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung und <strong>die</strong> soziale<br />

Stabilität haben (auch auf <strong>die</strong> Gewalt und <strong>die</strong> Kriminalitätsquoten;<br />

siehe Fajnzylber, Lederman und<br />

Loayza 1998 und Bourguignon 2001).<br />

Quelle: Ravallion 2002; Schultz 1998, pp. 307-344; Korzeniewicz und Moran 1997, pp. 1000-1039; Sprout und Weaver 1992, pp. 237-258; Maddison 2001; Milanovic 2002, pp. 51-92, <strong>2003</strong>; Dollar und Kraay<br />

2002, pp. 120-133; Kanbur und Lustig 1999; Bhalla 2002; Sala-i-Martin 2002; Cornia und Kiiski 2001; UNDP 2002e; Fajnzylber, Lederman und Loayza 1998; Bourguignon 2001.<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 49


GRAFIK 2.3<br />

Rückschritte bei der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

Index für<br />

<strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung<br />

.900<br />

.800<br />

.700<br />

.600<br />

.500<br />

1990 2001<br />

Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />

Russische<br />

Förderation<br />

Republik<br />

Moldau<br />

Botsuana<br />

Lesotho<br />

GRAFIK 2.4<br />

Schnelles Wachstum ist<br />

<strong>die</strong> Ausnahme – Erfolge in<br />

bevölkerungsreichen<br />

Ländern<br />

Jährliches Wachstum des<br />

Pro-Kopf-Einkommens (1990-2001)<br />

Anzahl der<br />

Länder<br />

Über 3%<br />

30 Länder<br />

0–3%<br />

71 Länder<br />

Negatives<br />

Wachstum<br />

54 Länder<br />

Quelle: Indikatorentabelle 12.<br />

Anteil an der<br />

Weltbevölkerung<br />

47%<br />

26%<br />

12%<br />

Entwicklungs-Regionen nur in Lateinamerika<br />

und der Karibik <strong>die</strong> Lage im Vergleich zu den<br />

reichen Ländern nicht verschlechtert, und<br />

auch hier ist es immer noch fünf mal wahrscheinlicher,<br />

dass ein Kind vor seinem fünften<br />

Geburtstag stirbt.<br />

RÜCKSCHRITTE BEI DER MENSCHLICHEN<br />

ENTWICKLUNG IN DEN 1990ER JAHREN<br />

In Bezug auf <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

waren <strong>die</strong> 1990er Jahre zugleich <strong>die</strong> besten<br />

und <strong>die</strong> schlechtesten Jahre. In einigen Ländern<br />

und Regionen gab es noch nie dagewesene<br />

Fortschritte, während andere stagnierten<br />

oder zurückfielen. Was am stärksten auffällt,<br />

ist das Ausmaß des Stillstands und der Rückschritte.<br />

Es weist auf eine Krise <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung hin, wie es sie in früheren Jahrzehnten<br />

noch nie gegeben hat.<br />

Das wird nicht nur deutlich, wenn man<br />

sich <strong>die</strong> Zielvorgaben für <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele ansieht, sondern auch beim<br />

Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (<strong>Human</strong><br />

Development Index - HDI), dem zusammenfassenden<br />

Maß für <strong>die</strong> Schlüsseldimensionen<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung (Feature 2.2). Der<br />

Index entwickelt sich normalerweise beständig<br />

nach oben – wenn auch normalerweise<br />

langsam, weil bei drei seiner Schlüsselkomponenten<br />

(Alphabetisierung, Einschulungsquoten<br />

und Lebenserwartung) Veränderungen im<br />

Allgemeinen Zeit brauchen. Wenn also der<br />

HDI sinkt, weißt <strong>die</strong>s auf eine Krise hin, darauf,<br />

dass Nationen Raubbau an der Grundlage<br />

ihrer Entwicklung betreiben – an den Menschen,<br />

ihrem eigentlichen Reichtum.<br />

VERLANGSAMUNG MENSCHLICHER<br />

ENTWICKLUNG<br />

Obwohl <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen im<br />

Laufe der Zeit mal gestiegen, mal gefallen<br />

sind, hat es in der Geschichte der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung anhaltende Verbesserungen<br />

gegeben, insbesondere gemessen durch<br />

den HDI. Wie aber bereits festgestellt, gab es<br />

in den 1990er Jahren eine noch nie dagewesene<br />

Stagnation und Verschlechterung. Der<br />

HDI ist in den 1990er Jahren in insgesamt 21<br />

TABELLE 2.1<br />

Länder, in denen der Index für<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung gefallen ist,<br />

1980er und 1990er Jahre<br />

Zeitraum Anzahl Länder<br />

1980–90 4 Kongo (Demokratische<br />

Republik); Guyana;<br />

Ruanda; Sambia<br />

1990–2001 21 Armeniena , Belarusa ,<br />

Botsuana, Burundi, Cote<br />

d’Ivoire, Kamerun,<br />

Kasachstana , Kenia, Kongo,<br />

Kongo (Demokratische<br />

Republik), Lesotho,<br />

Republik Moldau, Russische<br />

Föderation, Südafrika,<br />

Swasiland, Sambia,<br />

Simbabwe, Tadschikistana ,<br />

Tansaniaa , Ukrainea ,<br />

Zentralafrikanische<br />

Republik<br />

Anmerkung: : Auf Grundlage einer Stichprobe von 113 Ländern, für <strong>die</strong><br />

vollständige Daten vorliegen.<br />

Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />

Ländern gefallen. In vielen <strong>die</strong>ser Länder gibt<br />

es keine ausreichenden Daten, um den HDI<br />

für <strong>die</strong> Zeit vor 1990 zu berechnen, so dass wir<br />

nicht wissen, ob der HDI <strong>die</strong>ser Länder auch<br />

in den 1980er Jahren gefallen ist. Von den 114<br />

Ländern, für <strong>die</strong> seit 1980 Daten vorliegen, ist<br />

der HDI in den 1980er Jahren in nur vier Ländern<br />

gefallen, während in den 1990er Jahren<br />

in 15 Ländern Rückgänge zu verzeichnen waren<br />

(Tabelle 2.1). Ein großer Teil des Rückgangs<br />

in den 1990er Jahren kann auf <strong>die</strong> Ausbreitung<br />

von HIV/AIDS zurückgeführt werden,<br />

durch <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Lebenserwartung verringert<br />

hat, und auf den Einbruch bei den<br />

Einkommen, insbesondere in den Ländern<br />

der GUS.<br />

Beides führte dazu, dass sich nach einem<br />

stetigen Aufwärtstrend seit Mitte der 1970er<br />

Jahre <strong>die</strong> Fortschritte beim HDI verlangsamten.<br />

Angeführt wurde <strong>die</strong>se Verlangsamung,<br />

insbesondere Ende der 1980er Jahre und in<br />

der ersten Hälfte der 1990er Jahre, durch <strong>die</strong><br />

Länder Mittel- und Osteuropas und der GUS.<br />

Viele <strong>die</strong>ser Länder hatten bereits Mitte der<br />

1980er Jahre begonnen, sich auf einer Abwärtsspirale<br />

zu bewegen, doch zwischen 1990<br />

und 1995 sank auch der regionale Durchschnittswert<br />

des HDI. In Afrika südlich der<br />

Sahara haben sich <strong>die</strong> Fortschritte beim HDI<br />

insgesamt zwar nur verlangsamt, doch einige<br />

Länder erlitten schwere Rückschläge (Grafik<br />

2.3).<br />

50 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


FEHLENDES WIRTSCHAFTSWACHSTUM<br />

Fehlendes Wirtschaftswachstum ist eine der<br />

Ursachen für <strong>die</strong> stockende Entwicklung des<br />

HDI, und dafür, dass viele Länder und Regionen<br />

nicht in der Lage sind, <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />

und <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut zu reduzieren<br />

(Grafik 2.4). Selten, wenn <strong>über</strong>haupt, lässt sich<br />

<strong>die</strong> Einkommensarmut in einer stagnierenden<br />

Wirtschaft reduzieren, und <strong>die</strong> Regionen, deren<br />

Wirtschaft schneller wächst, sind auch <strong>die</strong>jenigen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Einkommensarmut am stärksten<br />

reduziert haben (Tabelle 2.2). Dies beinhaltet<br />

eine klare Botschaft: Wirtschaftliches<br />

Wachstum ist zur Minderung der Einkommensarmut<br />

unentbehrlich. Doch <strong>die</strong> Verbindung<br />

zwischen Wirtschaftswachstum und einer<br />

Minderung der Einkommensarmut funktioniert<br />

bei weitem nicht automatisch. Trotz Wirtschaftswachstum<br />

nahm in Indonesien, Polen<br />

und Sri Lanka in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Armut<br />

zu (Grafik 2.5). (In Kapitel 3 geht es um<br />

Wachstum, das den Armen zugute kommt,<br />

und darum, wie es erreicht werden kann).<br />

Wenn <strong>die</strong> Ungleichverteilung konstant<br />

bleibt, muss das Wachstum in einem Land<br />

jährlich mindestens drei Prozent betragen, um<br />

das Einkommen innerhalb einer Generation<br />

zu verdoppeln— zum Beispiel von einem auf<br />

zwei US-Dollar pro Tag. Doch nur 30 von 153<br />

Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen, verzeichneten<br />

beim Pro-Kopf-Einkommen in den 1990er<br />

Jahren Wachstumsraten von jährlich <strong>über</strong> drei<br />

Prozent. In 54 Ländern fiel das Durchschnittseinkommen,<br />

und in den restlichen 71 Ländern<br />

betrug das jährliche Einkommenswachstum<br />

weniger als drei Prozent.<br />

Und <strong>die</strong> Konsequenzen <strong>die</strong>ses bedrückenden<br />

Abschneidens beim Wachstum? Zur Jahrtausendwende<br />

kämpften <strong>über</strong> 1,2 Milliarden<br />

Menschen mit weniger als einem US-Dollar<br />

pro Tag ums Überleben – und mehr als doppelt<br />

so viele, 2,8 Milliarden, mit weniger als<br />

zwei US-Dollar pro Tag. Von einem US-<br />

Dollar am Tag zu leben bedeutet nicht, sich<br />

das leisten zu können, was man mit einem US-<br />

Dollar kaufen könnte, wenn man ihn in <strong>die</strong><br />

einheimische Währung umrechnet. Es entspricht<br />

viel mehr dem, was man in den Vereinigten<br />

Staaten für einen US-Dollar kaufen<br />

TABELLE 2.2<br />

Wirtschaftswachstum und<br />

Einkommensarmut: Enge Verbindungen<br />

Wachstum in Armutsden<br />

1990er minderung<br />

Jahren in den 1990er<br />

(jährliches Jahren<br />

Wachstum (Minderung<br />

des Pro-Kopf- in Prozent-<br />

Region Einkommens) punkten)<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum6.4 14.9<br />

Südasien 3.3 8.4<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik 1.6 –0.1<br />

Naher Osten und<br />

Nordafrika 1.0 –0.1<br />

Afrika südl. der Sahara –0.4 –1.6<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS –1.9 –13.5 a<br />

a. Veränderungen gemessen auf der Basis der Armutsgrenze von zwei<br />

US-Dollar pro Tag, <strong>die</strong> für Mittel- und Osteuropa und <strong>die</strong> GUS als eine<br />

geeignetere Grenze extremer Armut angesehen wird.<br />

Quelle: World Bank 2002f.<br />

kann: eine Zeitung, eine Busfahrkarte im Nahverkehr,<br />

einen Beutel Reis.<br />

Es gibt hitzige Debatten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Stichhaltigkeit<br />

der Armutsdaten, <strong>die</strong> von der Weltbank<br />

kommen und von einem US-Dollar pro<br />

Tag ausgehen. Denn ihre Berechnung ist mit<br />

konzeptionellen und praktischen Problemen<br />

behaftet. Einige Experten halten <strong>die</strong> Daten<br />

zwar nur für Annäherungswerte, jedoch annehmbar.<br />

Andere glauben, dass sie wenig <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Einkommensarmut und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen<br />

Trends aussagen (Kasten 2.3).<br />

Wie dem auch sei, <strong>die</strong> Daten zeigen, dass<br />

weltweit der Anteil der Menschen, <strong>die</strong> von weniger<br />

als einem US-Dollar pro Tag leben, von<br />

fast 30 Prozent 1990 auf 23 Prozent 1999 gefallen<br />

ist (Tabelle 2.3). 7 Doch es ist keine Ge-<br />

GRAFIK 2.5<br />

Wachstum und Einkommensarmut<br />

– kein automatischer<br />

Zusammenhang<br />

Anteil der<br />

Bevölkerung, <strong>die</strong> in<br />

Einkommensarmut<br />

lebt<br />

39%<br />

Jährliches<br />

Wachstum des<br />

Pro-Kopf-<br />

Einkommens<br />

Sri Lanka<br />

1991–96<br />

4.1%<br />

Indonesien<br />

1990–99<br />

3.2%<br />

Polen<br />

1987/88–93/95<br />

2.4%<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 51<br />

33%<br />

18%<br />

15%<br />

20%<br />

+6%<br />

+3%<br />

+14%<br />

6%<br />

Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der<br />

Grundlage von World Bank <strong>2003</strong>i und World Bank<br />

2000a.<br />

TABELLE 2.3<br />

Die Veränderungen des Anteils und der Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> von<br />

weniger als einem US-Dollar pro Tag leben, waren unterschiedlich<br />

Anteil in Prozent Anzahl<br />

Region 19901999 19901999<br />

Afrika südlich der Sahara 47.4 49.0 241 315<br />

Ostasien und Pazifikraum30.5 15.6 486 279<br />

ohne China 24.2 10.6 110 57<br />

Südasien 45.0 36.6 506 488<br />

Lateinamerika und Karibik 11.0 11.1 48 57<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS a 6.8 20.3 31 97<br />

Naher Osten und Nordafrika 2.1 2.2 5 6<br />

Insgesamtb 29.6 23.2 1,292 1,169<br />

ohne China 28.5 25.0 917 945<br />

a. Veränderungen gemessen auf der Basis der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag, <strong>die</strong> für Mittel- und Osteuropa und<br />

<strong>die</strong> GUS als eine geeignetere Grenze extremer Armut angesehen wird.<br />

b. Daten auf der Basis der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag für alle Regionen<br />

Quelle: World Bank 2002f.


KASTEN 2.3<br />

Die lebhafte Debatte, ob das Millenniums-Entwicklungsziel<br />

der Halbierung der Armut erreicht wird, wird<br />

zum großen Teil durch <strong>die</strong> fehlende Einigkeit dar<strong>über</strong><br />

angeheizt, wie Armut am besten gemessen werden<br />

kann. (Zu den Hauptbeteiligten an <strong>die</strong>ser Debatte<br />

gehören Surjit Bhalla, Angus Deaton, Thomas Pogge,<br />

Sanjay Reddy und Martin Ravallion sowie Xavier Salai-Martin.)<br />

Schlussfolgerungen, ob das Armutsziel erreicht<br />

werden wird, müssen daher durch Definitionen,<br />

und, was noch wichtiger ist, durch Methodik qualifiziert<br />

werden.<br />

Die absolute Armut ist der Hauptindikator, mit<br />

dem <strong>die</strong> Fortschritte auf dem Weg zum Ziel bewertet<br />

werden. Mit <strong>die</strong>sem Indikator misst man den Anteil an<br />

der Bevölkerung, der mit weniger als einem bestimmten<br />

Einkommensbetrag pro Tag <strong>über</strong>lebt. Dieser festgelegte<br />

Betrag ist <strong>die</strong> Armutsgrenze – der wohl strittigste<br />

Punkt in der Debatte. Wenn man <strong>die</strong> internationale<br />

Armutsgrenze um nur ein paar Cents verschiebt, kann<br />

das <strong>die</strong> Schätzungen der Armut in der Welt gewaltig<br />

verändern und Millionen von Menschen in <strong>die</strong> Armut<br />

oder aus der Armut heraus „bewegen“.<br />

Armutsquoten auf der Basis von nationalen Armutsgrenzen<br />

können <strong>die</strong> Dynamik der Armut innerhalb<br />

einzelner Länder im Zeitlauf erfassen. Nationale<br />

Armutsgrenzen basieren im Allgemeinen auf dem Betrag,<br />

den ein Mensch braucht, um in einem Land angemessen<br />

leben zu können. Um in der Russischen Föderation<br />

zu <strong>über</strong>leben braucht man andere Güter des<br />

Mindestbedarfs als in Haiti. Weil <strong>die</strong> Kosten des Warenkorbs,<br />

der zu Grunde gelegt wird, um <strong>die</strong> Armutsgrenze<br />

zu schätzen, in den einzelnen Ländern unterschiedlich<br />

sind, weichen auch <strong>die</strong> Armutsgrenzen voneinander<br />

ab. Auch unterscheiden sich <strong>die</strong> Konzepte<br />

und Kriterien, <strong>die</strong> in den einzelnen Ländern zu Grunde<br />

gelegt werden, um Armutsgrenzen zu definieren.<br />

Das macht <strong>die</strong> nationalen Armutsgrenzen dann problematisch,<br />

wenn der analytische Zweck der ist, internationale<br />

Armutsvergleiche anzustellen – wie bei der<br />

Überwachung der regionalen und globalen Fortschritte<br />

in Richtung des Millenniums-Entwicklungsziels der<br />

Armutsminderung.<br />

Eine internationale Armutsgrenze –<br />

unsauber, aber nötig<br />

Um Armutsquoten länder<strong>über</strong>greifend vergleichen zu<br />

können wären Armutsdaten, <strong>die</strong> auf einer international<br />

festgelegten Armutsgrenze basieren, geeigneter, zumindest<br />

theoretisch. Zu <strong>die</strong>sem Zweck verwendet <strong>die</strong><br />

Weltbank eine Grenze extremer Armut von etwa einem<br />

US-Dollar pro Tag (gemessen anhand US-amerikanischer<br />

Kaufkraftparität). Hinter <strong>die</strong>sem Ansatz<br />

steht <strong>die</strong> Annahme, dass angepasst an <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />

Lebenshaltungskosten ein US-Dollar pro Tag in<br />

Entwicklungsländern im Durchschnitt das Existenzminimum<br />

darstellt. Diese Annahme basiert auf nationalen<br />

Armutsgrenzen aus einer Stichprobe von Entwicklungsländern.<br />

An <strong>die</strong>sem Ansatz wird jedoch massiv<br />

kritisiert, dass er bei der Erfassung des Existenzminimums<br />

in den verschiedenen Entwicklungsländern konzeptionell<br />

und methodisch ungenau sei.<br />

Einige Analysten sehen Armut als ein Konzept an,<br />

dass von der Gesellschaft festgelegt wird, was besagt,<br />

dass eine Person im Verhältnis zum Rest ihrer Mitbürger<br />

als arm gilt (Oster, Lake und Oksman 1978). Wenn<br />

das Einkommen steigt, hebt <strong>die</strong>s nach <strong>die</strong>ser Sichtweise<br />

zwangsläufig <strong>die</strong> Armutsgrenze an, was <strong>die</strong> Argu-<br />

Einkommensarmut messen: Wo soll <strong>die</strong> Grenze gezogen werden?<br />

mente für eine länder<strong>über</strong>greifende gemeinsame Armutsgrenze<br />

schwächt. Reddy und Pogge (2002) argumentieren<br />

in ähnlicher Weise gegen <strong>die</strong> Armutsgrenze<br />

von einem US-Dollar pro Tag und schlagen eine Armutsgrenze<br />

vor, <strong>die</strong> auf einem lokal definierten Minimum<br />

an Fähigkeiten basiert. Ravallion (2000, S. 3245-<br />

3252) dagegen verteidigt <strong>die</strong> Armutsgrenze von einem<br />

US-Dollar pro Tag aufgrund ihrer Einfachheit. Einer<br />

der Hauptvorteile <strong>die</strong>ser Armutsgrenze sei, dass sie als<br />

rhetorisches Mittel und als Instrument zur Vertretung<br />

von Interessen <strong>die</strong>ne. Intuitiv wirke sie appellierend,<br />

denn sie lasse auf das Ausmaß der Entbehrungen der<br />

Armen in Entwicklungsländern schließen. Doch aufgrund<br />

der enormen methodischen und konzeptionellen<br />

Unstimmigkeiten sind <strong>die</strong> Armutsdaten, <strong>die</strong> auf der<br />

Basis internationaler Armutsgrenzen berechnet werden,<br />

extrem problematisch und können zu irreführenden<br />

Armutsquoten führen.<br />

Die Problematik länder<strong>über</strong>greifender<br />

Preisvergleiche<br />

Eines der Hauptprobleme mit den Armutsdaten auf<br />

der Basis von einem US-Dollar pro Tag leitet sich aus<br />

den zu Grunde gelegten Anpassungen an internationale<br />

Preisunterschiede ab. Wenn man – als eine Hauptannahme<br />

– davon ausgeht, dass ein US-Dollar pro Tag<br />

der korrekte durchschnittliche Preis des Warenkorbs<br />

ist, der in Entwicklungsländern das Existenzminimum<br />

darstellt, dann muss der Preis <strong>die</strong>ses Warenkorbs in<br />

einheimische Währungen umgerechnet werden. Die<br />

Weltbank tut <strong>die</strong>s, indem sie den Kurs der Kaufkraftparität<br />

verwendet, einen Preisindex, mit dem der Preis<br />

eines Warenkorbs in einem Land mit seinem Preis in<br />

einem anderen Land verglichen werden kann.<br />

Doch das Vorgehen, mit dem man zu <strong>die</strong>sen Kursen<br />

kommt, ist nicht ganz transparent. Außerdem entstehen<br />

daraus ungenaue Armutsgrenzen, denn viele der<br />

Preise, auf denen <strong>die</strong>se Armutsgrenzen basieren, beziehen<br />

sich auf Güter, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen gar nicht konsumieren<br />

(Reddy und Pogge 2002; Deaton <strong>2003</strong>). Was <strong>die</strong><br />

Sache noch schwieriger macht: In <strong>die</strong>sen Umrechnungen<br />

werden <strong>die</strong> erheblichen Preisunterschiede zwischen<br />

den städtischen und ländlichen Regionen eines<br />

Landes nicht berücksichtigt. Außerdem müssen <strong>die</strong> Armen<br />

für viele Güter und Dienstleistungen höhere<br />

Stückpreise zahlen, weil sie es sich nicht leisten können,<br />

größere Mengen auf einmal einzukaufen (Ward <strong>2003</strong>).<br />

Die Verwendung der volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtrechnung anstelle von Einkommenserhebungen<br />

– besser oder verzerrend?<br />

Die von der Weltbank verwendete Armutsgrenze von<br />

einem US-Dollar pro Tag basiert auf Einkommensund<br />

Budgeterhebungen, <strong>die</strong> Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Einkommensverteilung und das Einkommens- (oder<br />

Konsum-)Niveau liefern. Diese beiden Indikatoren bestimmen<br />

bei festgelegter Armutsgrenze <strong>die</strong> Einkommensarmutsquote.<br />

Es wird diskutiert, ob das aus <strong>die</strong>sen<br />

Erhebungen abgeleitete Einkommensniveau durch ein<br />

anderes konsumbezogenes zusammengesetztes Maß ersetzt<br />

werden soll (Sala-i-Martin 2002; UNCTAD<br />

2002a; Bhalla 2002). Befürworter weisen darauf hin,<br />

dass in den Erhebungen aus verschiedenen Gründen<br />

das Einkommen der besonders Reichen in den armen<br />

Ländern stark unterschätzt wird (Székely und Hilgert<br />

1999). Eine Möglichkeit, <strong>die</strong>ses Problem zu vermeiden,<br />

besteht darin, <strong>die</strong> erhobenen Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Einkommensverteilung zwar im Gedächtnis zu behalten,<br />

<strong>die</strong> Armutsquote jedoch auf der Basis der (normalerweise<br />

höheren) Angaben zum durchschnittlichen<br />

Konsum zu berechnen, <strong>die</strong> aus der volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtrechnung hervorgehen.<br />

Zwar mag der auf der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />

basierende Ansatz länder<strong>über</strong>greifend<br />

stimmiger sein, doch ist ein durch Erhebungen ermitteltes<br />

Einkommensniveau nicht unbedingt weniger zutreffend,<br />

als <strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> auf der Basis von volkwirtschaftlichen<br />

Gesamtrechnungen ermittelt wurden. Die<br />

Konsumdaten aus der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />

mögen zwar vollständiger sein als Erhebungen,<br />

denn sie beinhalten Güter wie Finanz<strong>die</strong>nstleistungen,<br />

zugerechnete Mieten und Einkommen aus Arbeitgeberbeiträgen<br />

zur Altersvorsorge. Doch <strong>die</strong>s sind<br />

Güter, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen nicht konsumieren. Zwar mag in<br />

Erhebungen das Durchschnittseinkommen zu niedrig<br />

geschätzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, das <strong>die</strong><br />

Armut zu hoch geschätzt wird. Wenn Länder reicher<br />

werden, könnten außerdem <strong>die</strong> Posten, <strong>die</strong> in Erhebungen<br />

nicht erfasst werden, zu einer <strong>über</strong>höhten Einschätzung<br />

des Konsumzuwachses der Armen führen.<br />

Was ist am Ende das Ergebnis? Wenn man statt<br />

Einkommenserhebungen <strong>die</strong> volkwirtschaftliche Gesamtrechnung<br />

verwendet, um daraus das Einkommensniveau<br />

der Armen abzuleiten, riskiert man, <strong>die</strong><br />

Rückgangsrate der Armut zu <strong>über</strong>schätzen. Außerdem<br />

kann es passieren, dass man bei der Verwendung der<br />

volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung <strong>die</strong> Armutszahlen<br />

in allen Ländern außer den ärmsten zu niedrig<br />

schätzt. In den ärmsten Ländern wiederum kann es<br />

passieren, dass von einem zu hohen Armutsniveau ausgegangen<br />

wird, da <strong>die</strong> volkwirtschaftliche Gesamtrechnung<br />

wichtige informelle Wirtschaftsaktivitäten nicht<br />

erfasst. Verwendet man das Einkommensniveau aus<br />

Erhebungen, vermeidet man <strong>die</strong>se Probleme, indem<br />

man direkt auf das Einkommen und <strong>die</strong> Konsumgüter<br />

abzielt, <strong>die</strong> für arme Haushalte relevant sind (Lebensmittel,<br />

ein Dach <strong>über</strong> dem Kopf, Gesundheit, Bildung).<br />

Erhebungen sind jedoch nicht frei von ernsten<br />

Mess- und Interpretationsproblemen. Vor allem sind<br />

Erhebungen aufgrund der hohen Kosten und der beträchtlichen<br />

Fachkenntnis, <strong>die</strong> zur ihrer Planung und<br />

Durchführung nötig ist, gerade in den Ländern, in denen<br />

sie am meisten gebraucht werden, nicht besonders<br />

üblich. Außerdem kann es irreführend sein, auf Erhebungen<br />

basierende Armutsquoten zu verwenden, um<br />

daraus länder<strong>über</strong>greifend Schlussfolgerungen bezüglich<br />

des Armutsniveaus zu ziehen – oder sogar bezüglich<br />

dessen Veränderungen. Denn Definitionen, Methodik,<br />

Umfang und Genauigkeit variieren von Land<br />

zu Land und im Zeitablauf.<br />

Angesichts <strong>die</strong>ser Bedenken sollten auf nationaler<br />

und internationaler Ebene mehr Anstrengungen unternommen<br />

werden, um <strong>die</strong> Bemühungen zur Erfassung<br />

der den Kaufkraftparitäten zu Grunde liegenden Preise<br />

zu perfektionieren (Die Weltbank unternimmt derzeit<br />

Anstrengungen in <strong>die</strong>se Richtung und rechnet damit,<br />

im Jahr 2005 neue Kurse veröffentlichen zu können.),<br />

<strong>die</strong> Planungs- und Erhebungsmethoden für Einkommens-<br />

und Konsumerhebungen zu harmonisieren<br />

und sich auf ein jeweils den Bedingungen vor Ort angepasstes<br />

Bündel an Fähigkeiten zu einigen, dass das<br />

Minimum darstellen soll und auf dem <strong>die</strong> Armutsdaten<br />

basieren sollen. Dazu ist es entscheidend, Feedback<br />

und Anleitung von Ländern und Gemeinden zu bekommen.<br />

Quelle: Sala-i-Martin 2002; Ravallion 2000; Reddy und Pogge 2002; Deaton <strong>2003</strong>; UNCTAD 2002a; Székely und Hilgert 1999; Bhalla 2002; Oster, Lake und Oksman 1978; Ward <strong>2003</strong>.<br />

52 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


schichte insgesamt guter Fortschritte. Es ist<br />

eher eine Entwicklung, bei der einige Länder<br />

sich mühsam vorankämpfen, während sich in<br />

anderen Ländern <strong>die</strong> schlimme Lage sogar<br />

noch weiter verschlechtert. Ein großer Teil<br />

der eindrucksvollen Minderung der weltweiten<br />

Armut in den 1990er Jahren wurde durch<br />

Chinas unglaubliches Wirtschaftswachstum<br />

von <strong>über</strong> neun Prozent pro Jahr vorangetrieben,<br />

durch das 150 Millionen Menschen der<br />

Armut entkommen sind. 8<br />

In 37 von 67 Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />

ist <strong>die</strong> Armutsquote in den 1990er Jahren<br />

gestiegen. 9 Doch anderen Ländern – Brasilien,<br />

Chile, In<strong>die</strong>n, Uganda, Thailand, Vietnam<br />

– gelang eine eindrucksvolle Senkung ihrer<br />

Armutsquote. Viele der Länder, in denen<br />

<strong>die</strong> Armutsquote in <strong>die</strong> Höhe schnellte, liegen<br />

in Osteuropa, und auch in Zentralasien. Zu<br />

den weiteren beachtenswerten Fällen gehören<br />

Algerien, <strong>die</strong> Mongolei, Nigeria, Pakistan, Venezuela<br />

und Simbabwe. 10<br />

Bei wachsender Bevölkerung kann eine<br />

Reduzierung des Anteils der Armen dennoch<br />

eine zahlenmäßige Zunahme bedeuten. Nur in<br />

Ostasien ist <strong>die</strong> Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> in<br />

extremer Armut leben, in den 1990er Jahren<br />

bedeutend gesunken. In Südasien, wo fast eine<br />

halbe Milliarde Menschen arm ist, hat sich<br />

ihre Anzahl kaum verändert. In allen anderen<br />

Regionen ist <strong>die</strong> Anzahl der Armen gestiegen,<br />

vor allem in Afrika südlich der Sahara, wo zum<br />

Ende des Jahrzehnts weitere 74 Millionen<br />

Menschen in extremer Armut lebten – was der<br />

Bevölkerung der Philippinen entspricht. In<br />

Osteuropa und der GUS hat sich <strong>die</strong> Anzahl<br />

der Armen mehr als verdreifacht, von 31 Millionen<br />

auf fast 100 Millionen (siehe Tabelle<br />

2.3). 11<br />

ZUNEHMENDE AUSBREITUNG VON<br />

HIV/AIDS<br />

Der größte Schlag für <strong>die</strong> Entwicklung war in<br />

den vergangenen Jahrzehnten HIV/AIDS. Die<br />

ersten Fälle hatte man Anfang der 1980er Jahre<br />

erkannt, und bis 1990 hatten sich bereits<br />

rund 10 Millionen Menschen infiziert (Grafik<br />

2.6). Seitdem hat sich <strong>die</strong> Zahl der Infizierten<br />

mehr als vervierfacht, auf etwa 42 Millionen.<br />

Dar<strong>über</strong> hinaus sind bereits 22 Millionen<br />

Menschen an der Krankheit gestorben und 13<br />

Millionen Kinder sind in der Folge zu Waisen<br />

geworden.<br />

Die Krankheit beeinflusst den HDI durch<br />

ihre verheerenden Auswirkungen auf <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />

in den am schlimmsten betroffenen<br />

Ländern (Grafik 2.7).<br />

Doch HIV/AIDS zerstört mehr als Leben.<br />

Indem Erwachsene in den besten Lebensjahren<br />

daran sterben oder außer Gefecht gesetzt<br />

werden, wirft es <strong>die</strong> Entwicklung aus der<br />

Bahn.<br />

HIV/AIDS lähmt ganze Teile Afrikas – in<br />

Botsuana, Lesotho, Swasiland und Simbabwe<br />

ist mindestens rund einer von drei Erwachsenen<br />

infiziert, in Namibia, Südafrika and Sambia<br />

einer von fünf, und in 19 weiteren Ländern<br />

mehr als einer von 20. Die Krankheit tötet<br />

reich und arm, darunter Lehrerinnen, Bauern,<br />

Fabrikarbeiterinnen und Beamte. Sambia verlor<br />

1998 durch <strong>die</strong> Krankheit 1.300 Lehrer –<br />

zwei Drittel derer, <strong>die</strong> pro Jahr ausgebildet<br />

werden. 12 Bis 2020 könnten <strong>die</strong> am schlimmsten<br />

betroffenen afrikanischen Länder mehr<br />

als ein Viertel ihrer Arbeitskräfte verlieren. 13<br />

Diese <strong>menschliche</strong> Tragö<strong>die</strong> ist unermesslich.<br />

Uganda ist das einzige Land südlich der<br />

Sahara, das <strong>die</strong> Epidemie aufgehalten und begonnen<br />

hat, den Trend umzukehren, als <strong>die</strong><br />

Epidemie ein krisenhaftes Ausmaß erreicht<br />

hatte. In Sambia sank <strong>die</strong> HIV-Prävalenz bei<br />

jungen Frauen zwischen 1996 und 1999 um<br />

vier Prozentpunkte. Das gibt Anlass zur Hoffnung,<br />

dass Sambia das zweite Land in der Region<br />

werden könnte, dass beginnt, den Krisentrend<br />

umzukehren. Eine weitere Erfolgsgeschichte<br />

ist der Senegal. Dort wurde<br />

HIV/AIDS von Anfang an durch eine sofortige<br />

konzertierte Reaktion unter Kontrolle gehalten.<br />

14<br />

Doch in anderen Teilen Afrikas südlich<br />

der Sahara stehen <strong>die</strong> Zeichen nicht gut. In<br />

Kamerun und Nigeria wähnte man <strong>die</strong> Infektionsraten<br />

stabil, doch sie beginnen zu steigen.<br />

In einer Umfrage waren sich <strong>die</strong> Hälfte der befragten<br />

afrikanischen Teenager nicht dar<strong>über</strong><br />

im klaren, dass ein gesund aussehender<br />

Mensch HIV/AIDS haben könnte. Und von<br />

allen Personen weltweit, <strong>die</strong> Verhütungsmittel<br />

GRAFIK 2.6<br />

Die Zahl der HIV/AIDS-Fälle<br />

ist sprunghaft gestiegen<br />

Zahl der HIV/AIDS-Fälle<br />

10<br />

Millionen<br />

25,5<br />

Millionen<br />

42<br />

Millionen<br />

1990 1996 2002<br />

Quelle: UNAIDS 2002b.<br />

Alle anderen<br />

Regionen<br />

Lateinamerika<br />

Süd- und<br />

Südostasien<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

GRAFIK 2.7<br />

Verringerung der<br />

Lebenserwartung aufgrund<br />

von HIV/AIDS<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 53<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

–35 Jahre<br />

Simbabwe<br />

–28 Jahre<br />

Botsuana<br />

Lebenserwartung<br />

ohne<br />

HIV/AIDS<br />

–28 Jahre<br />

Swasiland<br />

–24 Jahre<br />

Lesotho<br />

Verringerung der Lebenserwartung<br />

zwischen 2000 – 2005<br />

Quelle: UNDP 2001c.


„Länder mit höchster<br />

Priorität“ brauchen <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit der Welt,<br />

ihre Ressourcen und ihr<br />

Engagement am<br />

dringendsten<br />

benutzen, verwenden nur sieben Prozent<br />

Kondome, <strong>die</strong> wirksam vor HIV schützen. 15<br />

Obwohl fast 70 Prozent aller HIV/AIDS-<br />

Fälle in Afrika südlich der Sahara vorkommen,<br />

breitet sich <strong>die</strong> Epidemie auch in anderen<br />

Regionen aus. In der Karibik sind fast 0,5<br />

Millionen Menschen infiziert, in Ostasien 1,2<br />

Millionen, in Osteuropa und der GUS 1,2 Millionen,<br />

in Lateinamerika 1,5 Millionen und in<br />

Südasien 6 Millionen. 16<br />

China, In<strong>die</strong>n und <strong>die</strong> Russische Föderation<br />

– alle mit großen Bevölkerungszahlen und<br />

dem Risiko, dass <strong>die</strong> Infektionsraten in <strong>die</strong><br />

Höhe schnellen – geben besonderen Anlass<br />

zur Sorge. In <strong>die</strong>sen Ländern sind rund sieben<br />

Millionen Menschen infiziert. In Afrika südlich<br />

der Sahara ist <strong>die</strong> Anzahl der Fälle innerhalb<br />

eines Jahrzehnts explosionsartig von sieben<br />

Millionen auf 25 Millionen gestiegen. 17<br />

Der Verlauf der Epidemie hängt von sozialen<br />

Faktoren ab, und davon, wie auf <strong>die</strong> Bedrohung<br />

reagiert wird. Aber selbst bei einem moderaten<br />

Szenario könnten sich allein in <strong>die</strong>sen<br />

drei Ländern bis 2025 fast 200 Millionen Menschen<br />

infiziert haben (Tabelle 2.4).<br />

ANSTRENGUNGEN, UM DIE<br />

ZIELE ZU ERREICHEN<br />

Dass der HDI in vielen Länder gefallen ist,<br />

weist auf ein Problem hin. Wenn man sich <strong>die</strong><br />

Schlüsselindikatoren für <strong>die</strong> Fortschritte auf<br />

dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

anschaut, offenbart sich das Ausmaß<br />

<strong>die</strong>ses Problems. Wenn es nicht zu bedeutenden<br />

Veränderungen kommt, haben <strong>die</strong> Länder,<br />

in denen es Stillstand oder Rückschritte<br />

gibt, wenig Chancen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

TABELLE 2.4<br />

Große Länder sind bis 2025 durch<br />

HIV/AIDS auch bei moderater Epidemie<br />

stark bedroht<br />

Geschätzte<br />

Geschätzte Verringerung<br />

Zahl der der Lebens-<br />

HIV/AIDS-Fälle erwartung<br />

Land im Jahr 2025 (um Jahre)<br />

China 70 Millionen 8<br />

In<strong>die</strong>n 110 Millionen 13<br />

Russland 13 Millionen 16<br />

Quelle: Eberstadt 2002.<br />

FÜR JEDES ZIEL – LÄNDER MIT HOHER UND<br />

HÖCHSTER PRIORITÄT<br />

Bei jedem Ziel gibt es Länder, in denen <strong>die</strong> Situation<br />

besonders dringlich ist – wo mangelnde<br />

Fortschritte mit einem unmenschlich niedrigen<br />

Ausgangsniveau zusammenfallen. Diese<br />

„Länder mit höchster Priorität“ brauchen <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit der Welt, ihre Ressourcen<br />

und ihr Engagement am dringendsten (Kasten<br />

2.4 und technische Erläuterung 2). 18<br />

In „Ländern mit hoher Priorität“ ist <strong>die</strong><br />

Lage weniger verzweifelt, aber <strong>die</strong> Fortschritte<br />

reichen noch nicht aus (siehe Feature 2.1).<br />

Diese Länder machen entweder von einem<br />

niedrigen Entwicklungsstand aus Fortschritte,<br />

oder sie schaffen von einem höheren Ausgangsniveau<br />

aus langsame Fortschritte (oder<br />

verzeichnen sogar Rückschritte).<br />

• Wie bereits festgestellt, fiel das Durchschnittseinkommen<br />

pro Kopf in den 1990er<br />

Jahren in 54 Ländern (siehe Grafik 2.5). Von<br />

<strong>die</strong>sen Ländern sind 32 Länder mit wirtschaftlichen<br />

Krisen konfrontiert und werden als<br />

Länder mit höchster Priorität angesehen. Viele<br />

davon sind ohnehin schon extrem arm, und<br />

<strong>die</strong> meisten liegen in Afrika südlich der Sahara.<br />

Doch auch in Mittel- und Osteuropa und<br />

der GUS, in Lateinamerika und der Karibik<br />

und in Ostasien und dem Pazifikraum gibt es<br />

Krisenländer. Außerdem gibt es 20 Länder<br />

mit hoher Priorität.<br />

• In 21 Ländern nahm der Hunger in den<br />

1990er Jahren zu. In 19 Ländern mit höchster<br />

Priorität leiden mehr als ein Viertel der Menschen<br />

Hunger und <strong>die</strong> Lage verbessert sich<br />

nicht wesentlich – oder sie verschlechtert sich<br />

sogar. In 19 Ländern mit hoher Priorität ist <strong>die</strong><br />

Lage besser, doch der Hunger bleibt eine bedeutende<br />

Herausforderung.<br />

• In 11 Ländern mit höchster Priorität gehen<br />

mindestens 25 Prozent der Kinder nicht<br />

zur Primarschule und es gibt wenig Fortschritte<br />

in Hinblick auf das Ziel allgemeiner<br />

Einschulung. Wieder liegen <strong>die</strong> meisten<br />

<strong>die</strong>ser Länder in Afrika südlich der Sahara.<br />

Dies ist jedoch ein Entwicklungsbereich,<br />

wo ein großer Mangel an verlässlichen Daten<br />

herrscht. Weiterhin gibt es 13 Länder mit<br />

hoher Priorität.<br />

54 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 2.4<br />

Der Kampf um <strong>die</strong> Erreichung der Ziele – Definition von Ländern mit hoher und höchster Priorität<br />

Bei jedem Ziel Länder mit Priorität<br />

In <strong>die</strong>sem Bericht werden in Bezug auf jedes<br />

Millenniums-Entwicklungsziel Länder mit ‘hoher‘<br />

und Länder mit ’höchster‘ Priorität identifiziert<br />

(siehe Feature 2.1). Ziel ist es, <strong>die</strong> Länder<br />

zu identifizieren, wo dringend gehandelt<br />

werden muss, um das jeweilige Ziel zu erreichen<br />

(Länder mit höchster Priorität), sowie <strong>die</strong><br />

Länder, wo <strong>die</strong> Situation weniger verzweifelt<br />

ist, aber nach wie vor bedeutende Verbesserungen<br />

bei den Fortschritten erforderlich sind<br />

(Länder mit hoher Priorität; siehe technische<br />

Erläuterung 2).<br />

In Ländern mit höchster Priorität fällt tief<br />

verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut mit fehlenden<br />

Fortschritten oder sogar Rückschritten zusammen<br />

(siehe Matrix). Es sind <strong>die</strong> Krisenländer in<br />

Bezug auf jedes Ziel, <strong>die</strong> Länder, auf <strong>die</strong> sich<br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Welt und ihre Ressourcen<br />

konzentrieren müssen.<br />

In Ländern mit hoher Priorität ist <strong>die</strong> Situation<br />

weniger verzweifelt, doch es gibt nach<br />

wie vor einen großen Bedarf. Dies sind entweder<br />

Länder mit mittlerem Ausgangniveau aber<br />

fehlenden Fortschritten oder Rückschritten,<br />

oder sie leiden unter extremer <strong>menschliche</strong>r<br />

Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Feature 2.1.<br />

• Die Kindersterblichkeitsraten stiegen in<br />

14 Ländern in den 1990er Jahren so stark wie<br />

in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht.<br />

Armut, machen aber moderate Fortschritte,<br />

<strong>die</strong> jedoch noch immer viel zu langsam verlaufen,<br />

um das entsprechende Ziel zu erreichen.<br />

Länder, <strong>die</strong> bei allen oder fast allen Zielen<br />

hohe Priorität haben<br />

Es gibt 28 Länder mit hoher, ziel<strong>über</strong>greifender<br />

Priorität. Diese Länder fallen nicht in <strong>die</strong><br />

Kategorie ’höchste Priorität‘, <strong>die</strong> aber entweder<br />

in Bezug auf drei Ziele hohe oder höchste<br />

Priorität haben, oder <strong>die</strong> in Bezug auf zwei Ziele<br />

höchste Priorität haben, oder <strong>die</strong> in Bezug<br />

auf mindestens <strong>die</strong> Hälfte der Ziele, für <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong>sen Ländern Daten vorliegen, hohe oder<br />

höchste Priorität haben, wobei es für mindestens<br />

drei Zeitpunkte bzw. Zeiträume Daten<br />

geben muss. Wenn es bei nur zwei Zielen Daten<br />

gibt, hat das Land in beiden Bereichen<br />

hohe oder höchste Priorität.<br />

Es gibt 31 Länder mit höchster, ziel<strong>über</strong>greifender<br />

Priorität. Das bedeutet, sie haben<br />

’höchste Priorität‘ bei mindestens drei Zielen,<br />

oder bei mindestens der Hälfte der Ziele, für<br />

<strong>die</strong> in <strong>die</strong>sen Ländern Daten vorliegen, wobei<br />

für mindestens drei Zeitpunkte bzw. Zeiträume<br />

Daten vorliegen müssen. Wenn es nur für<br />

Länder mit hoher und höchster Priorität<br />

Länder Länder<br />

mit höchster mit hoher<br />

Priorität Priorität<br />

Afrika südlich der Sahara 25 13<br />

Ostasien und Pazifikraum 0 4<br />

Südasien 1 1<br />

Arabische Staaten<br />

Lateinamerika<br />

3 3<br />

und Karibik<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

1 3<br />

sowie GUS 1 4<br />

Insgesamt gibt es in 32 Ländern mit höchster<br />

Priorität keine Verbesserung der schlechten<br />

Situation. In einigen <strong>die</strong>ser Länder werden<br />

zwei Ziele Daten gibt, erhält das Land in beiden<br />

Bereichen höchste Priorität.<br />

Weitere 78 Länder verfügen <strong>über</strong> ausreichend<br />

Daten, <strong>die</strong> ausgewertet werden können,<br />

doch sie fallen nicht in <strong>die</strong> Kategorie der Länder<br />

mit hoher oder höchster Priorität. Und in<br />

weiteren 32 Ländern gibt es zu wenig Daten,<br />

um eine verlässliche Bewertung vorzunehmen.<br />

Die Eingruppierung in Länder mit hoher<br />

und höchster Priorität und weitere Kategorien<br />

ist nützlich, aber mit Vorsicht zu betrachten.<br />

Die Klassifikation verdeutlicht <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong> Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong> größte Gefahr laufen,<br />

<strong>die</strong> Ziele nicht zu erreichen, in Afrika südlich<br />

der Sahara und in Zentralasien liegen. Doch<br />

<strong>die</strong> Daten, <strong>die</strong> den einzelnen Millenniums-Entwicklungszielen<br />

zu Grunde liegen, werden oft<br />

unpräzise gemessen, und <strong>die</strong> Klassifikation einiger<br />

Länder wird sich in Folge einer besseren<br />

Datenlage ändern. Außerdem fehlen in vielen<br />

Ländern zu einzelnen Zielen zu viele Daten, als<br />

dass <strong>die</strong>se Länder insgesamt korrekt eingeordnet<br />

werden könnten. Wenn <strong>die</strong> zu Grunde liegenden<br />

Daten vollständiger wären, wären daher<br />

einige der 32 Länder, <strong>die</strong> in der Kategorie<br />

„Sonstige“ eingestuft sind, Länder mit hoher<br />

oder höchster Priorität (Beispiele sind Kirgisistan<br />

und Pakistan).<br />

Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> hier verwendeten<br />

Klassifikationskriterien plausibel, aber nur<br />

eine von vielen vernünftigen Möglichkeiten<br />

sind. Einige Länder sind an der Grenze zwischen<br />

zwei Kategorien, und würden in eine andere<br />

Kategorie wechseln, wenn nur geringfügig<br />

andere Klassifikationskriterien verwendet werden<br />

würden. Schließlich fallen viele Länder,<br />

<strong>die</strong> keine Länder mit hoher oder höchster Priorität<br />

sind, bei einem oder mehreren Zielen<br />

zurück und brauchen erhebliche internationale<br />

Aufmerksamkeit und Hilfe.<br />

Keine Angaben Stand der <strong>menschliche</strong>n Armut<br />

(in Bezug auf das Ziel)<br />

Fortschritt auf das Ziel hin<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 55<br />

Niedrig<br />

Mittel<br />

Hoch<br />

HOHE<br />

PRIORITÄT<br />

HÖCHSTE<br />

PRIORITÄT<br />

Langsam oder<br />

rückläufig<br />

HOHE<br />

PRIORITÄT<br />

Mäßig Schnell


KASTEN 2.5<br />

Gewaltsame Konflikte sind ein entscheidendes<br />

Hindernis bei der Erreichung der<br />

Millenniums-Entwicklungsziele. Zwischen<br />

1990 und 2001 gab es 57 größere bewaffnete<br />

Konflikte an 45 Schauplätzen. Am<br />

schlimmsten betroffen waren <strong>die</strong> Länder<br />

Afrikas südlich der Sahara, doch keine<br />

Entwicklungsländer-Region blieb davon<br />

verschont.<br />

Die Zahl der auf Konflikte zurückzuführenden<br />

Todesfälle ist schwierig zu erfassen<br />

und <strong>die</strong> Schätzungen schwanken. Es<br />

sind seit 1990 jedoch nicht weniger als 3,6<br />

Millionen Menschen durch Konflikte ums<br />

Leben gekommen, und viele weitere Millionen<br />

Menschen wurden verletzt. Besonders<br />

tragisch ist es, dass <strong>die</strong> Opfer in zunehmendem<br />

Maße keine Soldaten sondern<br />

Zivilisten sind. Zivilisten machen mehr als<br />

90 Prozent aller Toten und Verletzten aus.<br />

Erschreckend ist, dass mindestens <strong>die</strong><br />

Hälfte aller zivilen Opfer Kinder sind.<br />

Über <strong>die</strong>se tragischen direkten Auswirkungen<br />

hinaus kann der Zusammenbruch<br />

von Volkswirtschaften und von Infrastruktur<br />

weitere <strong>menschliche</strong> Opfer fordern.<br />

Von den Ländern mit hoher oder<br />

höchster Priorität bei der Erreichung der<br />

fast ein Dritter der Kinder keine fünf Jahre alt.<br />

Alle bis auf sechs <strong>die</strong>ser Länder – Afghanistan,<br />

Kambodscha, Irak, Somalia, Sudan, Tadschikistan<br />

– liegen in Afrika südlich der Sahara. In<br />

24 Ländern mit hoher Priorität Ländern geben<br />

<strong>die</strong> Kindersterblichkeitsraten Anlass zu<br />

größter Besorgnis.<br />

ZIELÜBERGREIFEND – 31 LÄNDER<br />

MIT HÖCHSTER PRIORITÄT,<br />

28 LÄNDER MIT HOHER PRIORITÄT<br />

Die Zahlen für <strong>die</strong> Länder mit hoher und<br />

höchster Priorität sind in Kasten 2.4 zusammengefasst.<br />

Es gibt 31 solcher Länder: 25 in<br />

Afrika südlich der Sahara, drei in den arabischen<br />

Staaten, und je eins in Südasien, in der<br />

Region Lateinamerika und Karibik und in der<br />

Region Mittel- und Osteuropa und GUS. In<br />

<strong>die</strong>sen Ländern versagt <strong>die</strong> Entwicklung ziel<strong>über</strong>greifend.<br />

Hier braucht es <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

und <strong>die</strong> Ressourcen der Welt, wenn<br />

Gewaltsame Konflikte und <strong>die</strong> Ziele<br />

Quelle: Stewart <strong>2003</strong>; Marshall 2000; UNHCR 2000; UNICEF 1996; SIPRI 2002b.<br />

Ziele erlebten in den 1990er Jahren 13<br />

Länder schwere Konflikte. Es ist <strong>über</strong>raschend,<br />

dass einige Länder (wie Sri Lanka<br />

und Indonesien), <strong>die</strong> größere Konflikte<br />

durchgemacht haben, in Hinblick auf <strong>die</strong><br />

Ziele dennoch weiter gute Fortschritte machen.<br />

Für <strong>die</strong>se unwahrscheinlich scheinenden<br />

Erfolge gibt es zwei Erklärungen.<br />

Erstens ist eine gute Politik von zentraler<br />

Bedeutung – starke Regierungen, <strong>die</strong><br />

weiterhin alle Menschen versorgen, können<br />

einen großen Unterschied machen,<br />

was <strong>die</strong> Folgen für <strong>die</strong> Menschen angeht.<br />

In Kasten 3.5 in Kapitel 3 werden Maßnahmen<br />

behandelt, mit denen Regierungen<br />

und Geber <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Kosten<br />

von Konflikten mildern können.<br />

Zweitens erstrecken sich Konflikte oft<br />

nicht auf ein ganzes Land, sondern sind<br />

auf bestimmte Regionen beschränkt. In<br />

solchen Fällen kann es sein, dass sich <strong>die</strong><br />

Auswirkungen des Krieges in den Sozialindikatoren<br />

auf nationaler Ebene nicht niederschlagen.<br />

Doch wo der Konflikt tobt,<br />

können seine Auswirkungen dennoch verheerend<br />

sein. In Kasten 2.8 in <strong>die</strong>sem Kapitel<br />

werden Länder untersucht, in denen<br />

isolierte Gebiete unter Konflikten leiden.<br />

<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreicht<br />

werden sollen.<br />

Weitere 28 Länder werden ziel<strong>über</strong>greifend<br />

als Länder mit hoher Priorität definiert.<br />

Wieder liegen viele davon, nämlich 13, in Afrika<br />

südlich der Sahara. Doch je vier liegen in<br />

der Region Mittel- und Osteuropa und GUS<br />

und in der Region Ostasien/Pazifik, je drei in<br />

den arabischen Staaten und in der Region<br />

Lateinamerika und Karibik sowie eines in<br />

Südasien.<br />

Obwohl kein einzelner Faktor <strong>die</strong> missliche<br />

Lage <strong>die</strong>ser Länder erklären kann, haben<br />

viele der Länder mit hoher und höchster Priorität<br />

in Afrika südlich der Sahara gemeinsame<br />

Merkmale. Viele sind Binnenländer oder ein<br />

großer Teil der Bevölkerung lebt weit von der<br />

Küste entfernt. Außerdem sind <strong>die</strong> meisten<br />

<strong>die</strong>ser Länder klein – nur vier von ihnen haben<br />

eine Bevölkerung von mehr als 40 Millionen.<br />

Von den Weltmärkten abgeschnitten zu<br />

sein und nur eine kleine Volkswirtschaft zu<br />

haben, kann es sehr viel schwieriger machen,<br />

zu diversifizieren, von Rohstoffen hin zu weniger<br />

schwankungsanfälligen Exportprodukten,<br />

bei denen <strong>die</strong> Wertschöpfung höher ist. In der<br />

Tat machen in 14 von 17 Ländern südlich der<br />

Sahara, für <strong>die</strong> Daten vorliegen und <strong>die</strong> hohe<br />

und höchste Priorität haben, <strong>die</strong> Rohstoffe<br />

mehr als zwei Drittel der Exporte aus. Viele<br />

der Länder stehen auch vor noch akuteren Bedrohungen.<br />

In 23 Ländern liegt <strong>die</strong><br />

HIV/AIDS-Prävalenz bei <strong>über</strong> fünf Prozent,<br />

und neun Länder waren in den 1990er Jahren<br />

in schwere Konflikte verwickelt (Kasten<br />

2.5). 19<br />

In anderen Regionen unterscheiden sich<br />

<strong>die</strong> Probleme der Länder mit höchster Priorität<br />

ziemlich von denen der afrikanischen<br />

Länder. Zwar sind sie ebenfalls mit einigen<br />

der strukturellen Probleme konfrontiert, <strong>die</strong><br />

auch Afrika südlich der Sahara betreffen. Zudem<br />

versuchen zum Beispiel einige Länder<br />

der GUS den Übergang zur Marktwirtschaft<br />

zu schaffen – ein Prozess, der in den Ländern<br />

Mittel- und Osteuropas sehr viel erfolgreicher<br />

war. In den arabischen Staaten stehen <strong>die</strong> Hindernisse<br />

nicht im Zusammenhang mit dem<br />

Einkommen. Sie ergeben sich stattdessen aus<br />

dem Versäumnis, Einkommen in <strong>menschliche</strong><br />

56 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Entwicklung und in Fortschritte zur Erreichung<br />

der Ziele umzusetzen.<br />

Was also ist zu tun, um <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele zu erreichen? Egal, wie<br />

man <strong>die</strong>se Frage beantwortet, <strong>die</strong> Länder mit<br />

hoher und höchster Priorität müssen im Mittelpunkt<br />

stehen. Die Probleme, mit denen sie<br />

konfrontiert sind, und <strong>die</strong> Wege, <strong>die</strong>se Probleme<br />

zu lösen, werden in den folgenden Kapiteln<br />

ausführlich behandelt.<br />

Aber arme Länder, <strong>die</strong> keine Fortschritte<br />

schaffen, sind nicht <strong>die</strong> einzige Sorge. Im Verlauf<br />

<strong>die</strong>ses Kapitels wird eine weitere Gruppe<br />

von Ländern untersucht: Länder, in denen <strong>die</strong><br />

Fortschritte ungleichmäßig verteilt sind, so<br />

dass eine große Zahl von Menschen weiter in<br />

schrecklichen Verhältnissen lebt.<br />

GUTES ABSCHNEIDEN EINIGER<br />

DER ÄRMSTEN LÄNDER<br />

Viele der ärmsten Länder der Welt machen<br />

gute Fortschritte in Bezug auf <strong>die</strong> meisten der<br />

Ziele. In der Tat haben bei allen Zielen <strong>die</strong><br />

ärmsten Länder einige der schnellsten Fortschritte<br />

gemacht. Es stimmt zwar, dass <strong>die</strong>se<br />

Länder mit niedrigem Ausgangsniveau den<br />

größten Spielraum für Verbesserungen haben.<br />

Doch das sollte nicht von den Erfolgen ablenken,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>se Länder unter Bedingungen gemacht<br />

haben, <strong>die</strong> in vielen anderen Entwicklungsländern<br />

zu Stillstand oder Rückschritten<br />

geführt haben. Die Erfolge der südafrikanischen<br />

Länder stehen auf einer besonders<br />

wackligen Grundlage, denn HIV/AIDS und<br />

<strong>die</strong> Trockenheiten aus jüngster Zeit bedrohen<br />

ernsthaft <strong>die</strong> weiteren Fortschritte. Doch in<br />

den 1990er Jahren zeigten sich folgende positive<br />

Entwicklungen:<br />

• In Kap Verde, Mauritius, Mosambik und<br />

Uganda wuchs das Durchschnittseinkommen<br />

pro Kopf um mehr als drei Prozent jährlich.<br />

• In den Ländern Afrikas südlich der Sahara<br />

gelangen einige der weltweit größten Erfolge<br />

bei der Minderung des Hungers. Ghana reduzierte<br />

den Anteil seiner Hunger leidenden Bevölkerung<br />

von 35 auf 12 Prozent, Mosambik<br />

von 69 auf 55 Prozent.<br />

• Benin steigerte seine Einschulungsquote<br />

im Primarschulbereich von 49 auf 70 Prozent.<br />

Mali und der Senegal steigerten ihre Einschulungsquoten<br />

im Primarschulbereich um mindestens<br />

15 Prozentpunkte. Auch <strong>die</strong> Abschlussquoten<br />

im Primarschulbereich stiegen<br />

in einigen der ärmsten Länder – in Mali um<br />

mehr als zwanzig Prozentpunkte.<br />

• Viele der ärmsten Länder machten gute<br />

Fortschritte auf dem Weg zur Gleichstellung<br />

der Geschlechter in der Primar- und Sekundarschulbildung.<br />

Mauretanien war dabei<br />

führend. Hier stieg das Verhältnis von<br />

Mädchen zu Jungen im Primar- und Sekundarschulbereich<br />

zwischen 1990 und 1996 von<br />

67 auf 93 Prozent. Mali und Nepal verringerten<br />

den Abstand in den 1990er Jahren um<br />

mindestens 10 Prozentpunkte.<br />

• Trotz HIV/AIDS gab es einige bemerkenswerte<br />

Verbesserungen in Bezug auf das<br />

Überleben von Kindern in Afrika südlich der<br />

Sahara. Guinea senkte <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

um sieben Prozentpunkte, Malawi und Niger<br />

um fünf Prozentpunkte oder mehr. Auch in einigen<br />

der ärmsten Länder in Asien gab es drastische<br />

Senkungen. Bhutan und <strong>die</strong> Demokratische<br />

Volksrepublik Laos reduzierten <strong>die</strong><br />

Sterblichkeit der Kinder unter fünf Jahren von<br />

rund 16 auf zehn Prozent, Bangladesch von 14<br />

auf acht Prozent.<br />

• Obwohl HIV/AIDS in Afrika südlich der<br />

Sahara insgesamt eine erdrückende Zahl von<br />

Todesopfern forderte, kristallisieren sich einige<br />

beachtenswerte Ausnahmen heraus. Uganda<br />

reduzierte in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Infektionsraten<br />

in acht aufeinander folgenden Jahren,<br />

und Sambia könnte das zweite Land in<br />

der Region werden, das den Ausbreitungstrend<br />

von HIV/AIDS von einem Krisenniveau<br />

ausgehend umkehrt. Außerdem hat es der Senegal<br />

geschafft, <strong>die</strong> Ausbreitung der Krankheit<br />

zu verhindern. 20<br />

• Côte d’Ivoire und Mali erhöhten in den<br />

1990er Jahren den Anteil der Menschen, <strong>die</strong><br />

Zugang zu sauberem Wasser haben, um 10<br />

Prozentpunkte und mehr. Ghana und der Senegal<br />

erhöhten den Anteil ihrer Bevölkerung<br />

mit Zugang zu verbesserter Sanitärversorgung<br />

um 10 Prozentpunkte und mehr.<br />

Diese Erfolge, zusammen mit rascheren<br />

Verbesserungen in den entwickelteren Länder,<br />

zeigen, dass alle Länder <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Viele der ärmsten Länder<br />

der Welt machen gute<br />

Fortschritte in Bezug auf<br />

<strong>die</strong> meisten der Ziele<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 57


KASTEN 2.6<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele zielen<br />

darauf ab, das Leben der Menschen innerhalb<br />

einer Generation enorm zu verbessern.<br />

Solche Zielvorgaben sind ehrgeizig,<br />

aber erreichbar: Viele Länder haben innerhalb<br />

kurzer Zeit in allen Bereichen<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung große Sprünge<br />

nach vorne gemacht.<br />

Innerhalb von sieben Jahren, von<br />

1946 bis 1953, hat sich in Sri Lanka <strong>die</strong><br />

durchschnittliche Lebenserwartung um<br />

unglaubliche zwölf Jahre erhöht. Zwischen<br />

1970 und 1985 hat Botsuana den<br />

Anteil der Kinder, <strong>die</strong> zur Primarschule<br />

gehen, verdoppelt – und hat damit das<br />

Ziel allgemeiner Primarschulbildung fast<br />

erreicht. In den 1990er Jahren hat China<br />

den Anteil der Menschen, <strong>die</strong> in Armut leben,<br />

fast halbiert. Und Südafrika hat von<br />

1994 bis 2001 <strong>die</strong> Anzahl der Menschen<br />

ohne Zugang zu sauberem Wasser halbiert.<br />

Diese Erfolge sind <strong>die</strong> Ergebnisse geeigneter<br />

Strategien unter bestimmten Umständen,<br />

und sie zu wiederholen ist nicht<br />

so einfach. Aber <strong>die</strong> Erfolge zeigen, was<br />

Entwicklungsziele erreichen können (Kasten<br />

2.6); (In Kapitel 4 und 5 wird analysiert, wodurch<br />

einige <strong>die</strong>ser Erfolge gestützt werden).<br />

WACHSENDE UNTERSCHIEDE INNERHALB<br />

EINZELNER LÄNDER: WER BLEIBT AUF DER<br />

STRECKE?<br />

Nationale Leistungsindikatoren helfen zu vermitteln,<br />

was mit den Bewohnern eines Landes<br />

geschieht, doch in den verschiedenen Regionen<br />

eines Landes sind <strong>die</strong> Fortschritte oft sehr unterschiedlich.<br />

In vielen Ländern mit guten<br />

durchschnittlichen Leistungen in Bezug auf <strong>die</strong><br />

Ziele gibt es Bevölkerungsgruppen, und manchmal<br />

ganze Gebiete, <strong>die</strong> auf der Strecke bleiben.<br />

Wo bestehen Lücken in der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

innerhalb einzelner Länder, und wie<br />

haben sie sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts<br />

entwickelt (siehe auch Feature 2.3)?<br />

Nationale Statistiken sind Mittelwerte mit<br />

internen Unterschieden oder Zusammenfas-<br />

Große Sprünge nach vorn sind innerhalb von<br />

Jahren statt Jahrzehnten möglich<br />

In 7 Jahren<br />

LEBENS-<br />

ERWARTUNG<br />

ZUGANG ZU<br />

SAUBEREM WASSER<br />

58 Jahre<br />

15 Millionen<br />

Personen ohne<br />

verbesserten<br />

Wasserzugang<br />

46 Jahre<br />

7 Millionen<br />

Sri Lanka<br />

Südafrika<br />

1946–53 1994–2001<br />

In 9 Jahren<br />

ARMUT<br />

getan werden kann. In weiteren Kapiteln<br />

<strong>die</strong>ses Berichts wird untersucht, was funktioniert<br />

und was nicht, und es werden zentrale<br />

Strategien zu Erreichung der Ziele<br />

identifiziert.<br />

Quelle: Millennium Project Task Force 7 <strong>2003</strong>; WSP 2002b; Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

auf der Grundlage von World Bank 2002f und <strong>2003</strong>i; Caldwell 1986, S. 171-220; World Bank. <strong>2003</strong>i.<br />

33%<br />

18%<br />

China<br />

1990–1999<br />

Bevölkerung, <strong>die</strong> in<br />

extremer Armut lebt<br />

In 15 Jahren<br />

EINSCHULUNG IM<br />

PRIMARSCHULBEREICH<br />

89%<br />

Netto-Einschulungsrate<br />

46%<br />

Botsuana<br />

1970–85<br />

sungen nationaler Eigenarten, bei denen<br />

durch <strong>die</strong> Darstellung von Durchschnittswerten<br />

wirtschaftliche, soziale, kulturelle, geschlechterspezifische<br />

und ethnische Spaltungen<br />

innerhalb der Ländergrenzen nicht deutlich<br />

werden. Bei den Indikatoren, <strong>die</strong> man verwendet,<br />

um <strong>die</strong> nationalen Fortschritte in<br />

Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele zu beurteilen, kann es<br />

also passieren, dass <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />

vieler Einwohner nicht ausreichend abgebildet<br />

werden (Kasten 2.7).<br />

Aufgrund ihrer wahrscheinlichen, negativen<br />

Auswirkungen auf das Entwicklungstempo<br />

sollte <strong>die</strong> in verschiedenen Bereichen große<br />

– und wachsende – Kluft Anlass zur Sorge geben.<br />

Diese Kluft weist auch darauf hin, dass<br />

<strong>die</strong> Chancen ungleichmäßig verteilt sind, und<br />

dass sich <strong>die</strong> Mächtigen einen größeren Teil<br />

der Früchte der Entwicklung sichern. Wenn<br />

<strong>die</strong> Kluft in verschiedenen Bereichen wächst<br />

und sehr groß wird, kann sie sich in Folge sozialer<br />

Unruhen, politischer Kontroversen,<br />

Verzerrungen bei der Mittelverteilung und<br />

Gewalt und Konflikten destabilisierend auf<br />

<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auswirken (Kasten<br />

2.8).<br />

Aus <strong>die</strong>sen Gründen ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> Trends<br />

innerhalb einzelner Nationen Aufmerksamkeit,<br />

selbst bei Ländern, <strong>die</strong> scheinbar gute<br />

Fortschritte in Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele machen.<br />

Es kann sein, dass <strong>die</strong>se Länder aufgrund eines<br />

hierarchischen („top-down“) Ansatzes<br />

vorankommen, dass man sich mit den politischen<br />

Anstrengungen und Ressourcen<br />

zunächst auf <strong>die</strong> Menschen konzentriert, <strong>die</strong><br />

leichter zu erreichen sind, wie zum Beispiel <strong>die</strong><br />

Armen oder <strong>die</strong> Städter. Dieser Ansatz kann<br />

den nationalen Durchschnitt weit genug anheben,<br />

um ein Ziel oder eine andere Zielvorgabe<br />

als erreicht erklären zu können.<br />

Besonders im Gesundheitsbereich stellt<br />

<strong>die</strong>s ein Problem dar, denn <strong>die</strong> gesundheitsbezogenen<br />

Ziele und Zielvorgaben (z.B. <strong>die</strong> Senkung<br />

der Kinder- und Müttersterblichkeit um<br />

zwei Drittel bzw. drei Viertel) zielen auf <strong>die</strong><br />

Senkung der Durchschnittsraten ab, und beziehen<br />

sich damit auf <strong>die</strong> Gesamtbevölkerung.<br />

Die Ziele und Zielvorgaben in den Bereichen<br />

Ernährung, Bildung und Armut konzentrieren<br />

sich dagegen auf <strong>die</strong> Hunger leidenden, <strong>die</strong><br />

58 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Ungebildeten und <strong>die</strong> Armen. Aus <strong>die</strong>sem<br />

Grund kann man Verbesserungen bei den<br />

Zielvorgaben im Gesundheitsbereich erreichen,<br />

indem man auf irgendeine Gruppe,<br />

einschließlich der Wohlhabenderen, abzielt.<br />

Einige Regierungen könnten in <strong>die</strong> Versuchung<br />

kommen, <strong>die</strong> Gesundheitsziele zu erreichen,<br />

indem sie <strong>die</strong> Nutzen auf <strong>die</strong> Wohlhabenderen<br />

konzentrieren, und sich den Menschen,<br />

<strong>die</strong> schwieriger zu erreichen sind, erst<br />

später widmen. 21 Einige Analysten argumentieren,<br />

dass ein solcher hierarchischer Ansatz<br />

insofern seine Vorzüge hat, als dass er erlaubt,<br />

das Ziel auf nationaler Ebene zu erreichen,<br />

und dass <strong>die</strong>s letztendlich allen zugute komme<br />

– aber das muss nicht stimmen.<br />

Damit weiter Fortschritte gemacht werden<br />

und möglichst viele Menschen einbezogen<br />

sind, sollte der Prozess „von unten nach oben“<br />

ablaufen, mit Betonung der Gleichstellung<br />

und es sollte zuerst um <strong>die</strong> Menschen gehen,<br />

KASTEN 2.7<br />

Seit 1992 haben etwa 135 Länder in eigener<br />

Regie mehr als 450 nationale und regionale Berichte<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung erstellt.<br />

Viele <strong>die</strong>ser Berichte liefern Daten, <strong>die</strong><br />

nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit,<br />

Alter, Rasse, geographischen oder sonstigen<br />

Kriterien aufgeschlüsselt sind. Sie erlauben so<br />

eine tiefergehende Analyse der länderspezifischen<br />

Ursachen von Ungleichverteilung und<br />

Armut – und manchmal decken sie systematische<br />

Diskriminierung oder andere schwere<br />

Mängel auf. Die Berichte sind zu einer wichtigen<br />

Quelle für <strong>die</strong> aktuellsten aufgeschlüsselten<br />

Länderdaten geworden. Sie leisten einen<br />

Beitrag zu den politischen Strategien, mit denen<br />

Fortschritte bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

vorangebracht werden sollen, und zu<br />

den Instrumenten, mit denen <strong>die</strong>se Fortschritte<br />

gemessen werden können. Die folgenden<br />

Beispiele zeigen, was <strong>die</strong> Berichte erreichen<br />

können:<br />

• Seit 1997 berechnet Brasilien jährlich den<br />

Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung (HDI) für<br />

jeden der <strong>über</strong> 5.000 Kommunen des Landes.<br />

Der Bundesstaat Minas Gerais reagierte, indem<br />

er das Robin Hood-Gesetz einführte, mit<br />

dem ein Teil der Steuereinnahmen Stadtbezirken<br />

zugewiesen wird, <strong>die</strong> beim HDI und anderen<br />

Indikatoren niedrige Werte aufweisen.<br />

<strong>die</strong> den größten Bedarf an Unterstützung haben.<br />

Beim Verfolgen des Gesundheitsziels<br />

sollte den Menschen, denen es am schlechtesten<br />

geht und <strong>die</strong> am schwierigsten zu erreichen<br />

sind nicht erst in letzter Minute Aufmerksamkeit<br />

geschenkt werden. Für politische<br />

Entscheidungsträger ist es einfacher und<br />

kurz- und mittelfristig weniger kostspielig, <strong>die</strong><br />

Armen bei der Versorgung mit sozialen<br />

Dienstleistungen ans Ende der Schlange zu<br />

stellen. 22 Aber der trügerische Fortschritt,<br />

der dadurch zustande kommt, könnte sich<br />

langfristig als nicht nachhaltig erweisen.<br />

DIE KLUFT ZWISCHEN<br />

SOZIO-ÖKONOMISCHEN GRUPPEN<br />

Die Erfahrungen aus vielen Ländern legen<br />

nahe, dass einige Gruppen weniger von nationalen<br />

Verbesserungen in Bezug auf Einkommen,<br />

Gesundheit und Bildung profitieren als<br />

Aufgeschlüsselte Daten auf Länderebene: Nationale Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

• In Nepals Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung 2001 wurden umfassende aufgeschlüsselte<br />

Daten verwendet. Sie zeigten<br />

eine deutlich ungleiche Verteilung von Ressourcen<br />

und Chancen, was zu der Schlussfolgerung<br />

führte, dass <strong>die</strong> tiefere Ursache<br />

für <strong>die</strong> enttäuschenden Ergebnisse bei der<br />

Armutsbekämpfung eine schwache Staats- und<br />

Regierungsführung sei. In dem Bericht<br />

wurde herausgefunden, dass <strong>die</strong> durchschnittliche<br />

Lebenserwartung der am meisten benachteiligten<br />

Kasten bei 51 Jahren liegt – und<br />

bei der ethnischen Gruppe der Newar bei 63<br />

Jahren.<br />

• Ägyptens jährlicher Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung liefert aufgeschlüsselte<br />

sozioökonomische, umweltbezogene, demographische<br />

und andere Indikatoren für jedes<br />

der 26 Governorate des Landes. Diese Daten<br />

und <strong>die</strong> Erkenntnisse aus dem Bericht bilden<br />

<strong>die</strong> Grundlage für <strong>die</strong> Jahrestreffen der<br />

Gouverneure des Landes. Die Treffen <strong>die</strong>nen<br />

dazu, gemeinsam Disparitäten zu analysieren<br />

und politische Maßnahmen festzulegen, mit<br />

denen auf <strong>die</strong> Erkenntnisse reagiert werden<br />

soll.<br />

• In Litauens Bericht des Jahres 2000 wurden<br />

<strong>die</strong> zwischen Stadt und Land bestehenden<br />

Disparitäten bei der <strong>menschliche</strong>n Entwick-<br />

Quelle: Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung; Stelle für <strong>die</strong> nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung (NHDR Unit).<br />

lung analysiert. Aufgeschlüsselte Daten für<br />

Schlüsselindikatoren wie Sterblichkeit, Selbstmorde,<br />

Beschäftigung und Bildung zeigten,<br />

dass <strong>die</strong> in den ländlichen Regionen lebenden<br />

Litauer immer weniger in der Lage sind, durch<br />

traditionelle Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt<br />

zu sichern, und es gibt bislang keine produktive<br />

alternative Lebensgrundlage, <strong>die</strong> nachhaltig<br />

wäre. In dem Bericht wird gewarnt, dass<br />

<strong>die</strong>ser Trend den sozialen Zusammenhalt untergraben<br />

könnte.<br />

• In Namibias Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung wurde <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut<br />

untersucht, indem man den HDI nach<br />

Sprachgruppen aufgeschlüsselte. Diese Aufschlüsselung<br />

zeigt ein hohes Niveau <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung bei den hauptsächlich europäisch<br />

geprägten Gruppen auf – bei Menschen,<br />

<strong>die</strong> Afrikaans, Englisch oder Deutsch<br />

sprechen – und ein sehr niedriges Niveau bei<br />

den San (Buschleuten). Diese Erkenntnisse<br />

hatten gezielte Investitionen in Gesundheit,<br />

Bildung und neue Arbeitsplätze zur Folge.<br />

Die in den Berichten enthaltenen aufgeschlüsselten<br />

Daten sind online verfügbar unter<br />

http://sedac.ciesin.columbia.edu/hdr/. (Die<br />

nationalen Berichte <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklungen<br />

können eingesehen werden unter<br />

http://hdr.undp.org.).<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 59


KASTEN 2.8<br />

Oft treten gewaltsame Konflikte in bestimmten Gegenden<br />

einzelner Länder auf und werden durch ethnische,<br />

sprachliche oder ähnliche soziale Aus- und<br />

Abgrenzung angeheizt. Dies erklärt vielleicht, warum<br />

Länder wie Sri Lanka und Indonesien trotz jahrelanger<br />

Konflikte in den 1990er Jahren bei den<br />

Millenniums-Entwicklungszielen insgesamt gut abschnitten.<br />

Es ist wahrscheinlicher, dass das Niveau<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung in Konfliktregionen niedriger<br />

ist, als in Regionen, <strong>die</strong> nicht direkt von<br />

Konflikten betroffen sind. Manchmal sind auch<br />

Nachbarregionen mit Flüchtlingsströmen und humanitären<br />

Krisen konfrontiert und so von in der<br />

Nähe ausgetragenen Konflikten mit betroffen.<br />

Der Zusammenhang zwischen Konflikten und<br />

schwacher Entwicklung kann wechselseitig sein.<br />

Wirtschaftliches und soziales Elend kann Gewalt<br />

schüren, insbesondere wenn es von deutlicher Ungleichverteilung<br />

zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />

und Regionen begleitet ist. Zugleich<br />

können Konflikte oft wichtige Ursachen für schwache<br />

wirtschaftliche Entwicklung sein und unter anderem<br />

zu Krisen im Gesundheitssystem und zur Zerstörung<br />

der Infrastruktur des Landes führen. Dieser<br />

Zusammenhang lässt sich erfassen, indem man <strong>die</strong><br />

räumliche Verteilung von Konflikten mit subnationalen<br />

Entwicklungsindikatoren vergleicht. Da nur<br />

beschränkt Daten zur Verfügung stehen, ist eine solche<br />

Analyse in nur wenigen Ländern möglich. Für<br />

<strong>die</strong>sen Bericht war es möglich, für vier Länder Daten<br />

zu bekommen:<br />

• Indonesien. Auf den einzelnen indonesischen<br />

Inseln, aber auch insel<strong>über</strong>greifend gibt es deutliche<br />

regionale Disparitäten beim Index für <strong>menschliche</strong><br />

Armut (<strong>Human</strong> Poverty Index - HPI). In Gegenden<br />

mit großer Armut kam es zu gewaltsamen separatistischen<br />

Konflikten, wobei <strong>die</strong> deutlichen Spaltungen<br />

entlang religiöser, ethnischer und sozialer Abgrenzungen<br />

verlaufen.<br />

• Kolumbien. Es gibt ein mittleres oder hohes<br />

Ausmaß an Gewalt entlang der parallel verlaufenden<br />

Gebirgsketten, <strong>die</strong> Kolumbien von Norden nach Süden<br />

durchziehen, und in den Gebieten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />

Berge mit der Pazifikküste verbinden. Die Berge sind<br />

vorwiegend ländlich geprägte und oft unwirtliche<br />

Gegenden mit wenig Infrastruktur. Der Index für<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung (HDI) ist in den Gebieten<br />

am niedrigsten, wo der Konflikt am gewaltsamsten<br />

ausgetragen wurde (siehe Karte).<br />

• Nepal. Der Maoistenaufstand in Nepal, der 1996<br />

begann, hat seine Schwerpunktgebiete in den abgelegensten,<br />

ressourcenärmsten und am stärksten vernachlässigten<br />

Gegenden, wo es selbst an der grundlegendsten<br />

sozialen Infrastruktur fehlt. Dazu<br />

gehören abgelegene Dörfer ethnischer Minderheiten,<br />

darunter Gebiete mit niedrigem HDI im Nordwesten<br />

und einige Regionen im Norden.<br />

• Sri Lanka. Fast zwanzig Jahre herrschte Bürgerkrieg<br />

zwischen der tamilischen Bevölkerungsminderheit<br />

und der singhalesischen Mehrheit. Dabei sind<br />

<strong>über</strong> 65.000 Menschen ums Leben gekommen und<br />

fast eine Million vertrieben worden. Die Karte zeigt,<br />

wie <strong>die</strong> nördlichen und nord-östlichen tamilischen<br />

Provinzen von der Infrastruktur<strong>entwicklung</strong> in Sri<br />

Lanka ausgeschlossen worden sind.<br />

Quelle: UNDP <strong>2003</strong>a.<br />

Konflikte innerhalb einzelner Länder<br />

INDONESIEN<br />

Index für <strong>menschliche</strong><br />

Armut, 1998<br />

(Prozent)<br />

0–24<br />

25–34<br />

35–39<br />

KOLUMBIEN<br />

Index für <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung, 2001<br />

Über ,770<br />

,744–,770<br />

,710–,744<br />

Unter ,710<br />

NEPAL<br />

Index für <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung, 2000<br />

,500–,600<br />

,450–,500<br />

,200–,450<br />

Unter ,200<br />

SRI LANKA, 1998<br />

Straßen aller Kategorien (km), 1998<br />

Über 1.500<br />

1.000–1.500<br />

Weniger als 1.000<br />

Keine Angaben<br />

Gebiete mitŁ<br />

hohem Ausmaߣ<br />

an Gewalt<br />

Besonders<br />

sensible<br />

Gebiete<br />

Colombo<br />

Kathmandu<br />

Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.<br />

Quelle: Sarmiento Gómez<br />

et al. <strong>2003</strong>; BCPR <strong>2003</strong>.<br />

Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.<br />

Konfliktgebiete<br />

(hoher Anteil derŁ<br />

tamilischen Bevölkerung)<br />

60 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Jakarta<br />

Bogota<br />

Konfliktgebiete<br />

(große Anzahl an<br />

Binnenvertriebenen)<br />

Quelle: BCPR <strong>2003</strong>.


TABELLE 2.5<br />

Kindersterblichkeitsraten: Veränderungen beim Niveau und beim Vermögensgefälle,<br />

ausgewählte Länder, 1980er und 1990er Jahre<br />

Durchschnittsniveau<br />

verbessert sich<br />

bleibt gleich<br />

verschlechtert sich<br />

Source: Minujin and Delamonica <strong>2003</strong>.<br />

andere. Die Einkommensdisparitäten scheinen<br />

sich in mehreren Ländern zu verstärken.<br />

Dies weist auf eine tiefere Kluft zwischen den<br />

Menschen an der Spitze der Einkommensverteilung<br />

(im allgemeinen <strong>die</strong> städtische Mittelund<br />

Oberklasse) und den Menschen am unteren<br />

Ende (meist ländliche Haushalte indigener<br />

oder ethnisch marginalisierter Herkunft mit<br />

weiblichem Haushaltsvorstand) hin. Wenn <strong>die</strong><br />

anhaltenden Ungleichverteilung des Einkommens<br />

nicht in Angriff genommen wird, könnte<br />

dadurch der Nutzen des Wirtschaftswachstums<br />

für <strong>die</strong> Minderung der Armut geschmälert<br />

werden (siehe Kasten 2.2).<br />

Wahrscheinlich sogar mehr als das Einkommensniveau<br />

scheint das Vermögen eine<br />

entscheidende Rolle bei der Sicherung der sozialen<br />

Grundversorgung zu spielen (Vermögen<br />

wurde in den Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>sen Abschnitt<br />

herangezogen wurden, durch Haushaltserhebungen<br />

geschätzt, <strong>die</strong> sich auf Vermögensgegenstände<br />

in den Haushalten und<br />

deren Merkmale bezogen). 23 Zwischen Mitte<br />

der 1980er Jahre und Mitte der 1990er Jahre<br />

verringerte sich bei den Kindersterblichkeitsraten<br />

der Abstand zwischen der reichsten und<br />

der ärmsten Vermögensgruppe in nur drei von<br />

24 Entwicklungsländern, in denen Daten erhoben<br />

wurden. 24 In 13 Ländern, <strong>die</strong> bei der<br />

durchschnittlichen Senkung der Kindersterblichkeit<br />

als besonders erfolgreich gelten, gibt<br />

es Hinweise auf eine unveränderte oder steigende<br />

Diskrepanz zwischen den reichsten und<br />

den ärmsten Gruppen (Tabelle 2.5).<br />

Relatives Gefälle<br />

(zwischen reich und arm)<br />

verringert sich bleibt gleich nimmt zu<br />

Guatemala<br />

Togo<br />

Sambia<br />

Ägypten Mali<br />

Marokko Peru<br />

Senegal<br />

Burkina Faso<br />

Kamerun<br />

Niger<br />

Kenia<br />

Bangladesch Bolivien<br />

Brasilien Kolumbien<br />

Dominikan. Rep. Ghana<br />

Indonesien Uganda<br />

Philippinen<br />

Tansania<br />

Kazachstan<br />

Simbabwe<br />

Trotz einer bedeutenden Verringerung<br />

der vermögensbedingten Kluft bei der Versorgung<br />

mit Immunisierungen waren innerhalb<br />

der gleichen Stichprobe von 24 Ländern weniger<br />

als <strong>die</strong> Hälfte der Kinder aus den ärmsten<br />

Familien bis Ende der 1990er Jahre mit DPT3<br />

(drei Dosen von Diphtherie-, Pertussis- und<br />

Tetanusimpfungen) immunisiert worden. In<br />

Burkina Faso, Kamerun, Mali und Niger waren<br />

weniger als 30 Prozent der Kinder armer<br />

Familien versorgt. In vielen Ländern zeigte<br />

sich in den 1990er Jahren bei der Versorgung<br />

des ärmsten Fünftels der Bevölkerung keine<br />

Veränderung, oder sie ging leicht zurück. 25<br />

Die Disparitäten im Bildungsbereich geben<br />

weitere Hinweisen auf <strong>die</strong> Ungleichheit<br />

zwischen reichen und armen Haushalten. In<br />

vielen Ländern ist es sehr viel unwahrscheinlicher,<br />

dass Kinder aus armen Haushalten <strong>die</strong><br />

Schule besuchen, und es ist wahrscheinlicher,<br />

dass sie, wenn sie zur Schule gehen, <strong>die</strong> Schule<br />

vorzeitig abbrechen. In Afrika südlich der<br />

Sahara sind <strong>die</strong> Einschulungsquoten bei armen<br />

Haushalten besonders niedrig, und <strong>die</strong><br />

Schulabbrecherquoten besonders hoch. 26<br />

In Südasien zeigt sich ein ähnliches Muster,<br />

wenn auch <strong>die</strong> Abbrecherquoten sich auf<br />

das fünfte Schuljahr aufwärts konzentrieren.<br />

In Lateinamerika schicken arme Haushalte<br />

tendenziell mehr Kinder zur Schule, was zu<br />

höheren Einschulungsquoten führt, aber <strong>die</strong><br />

Abbrecherquoten sind genauso hoch wie in<br />

den anderen Regionen. 27 Selbst Länder mit<br />

niedriger Ungleichverteilung des Einkom-<br />

Wenn <strong>die</strong> anhaltenden<br />

Ungleichverteilung des<br />

Einkommens nicht in<br />

Angriff genommen wird,<br />

könnte dadurch der<br />

Nutzen des Wirtschaftswachstums<br />

für <strong>die</strong><br />

Minderung der Armut<br />

geschmälert werden<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 61


Die Gleichstellung der<br />

Geschlechter ist<br />

entscheidend dafür, ob<br />

<strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele erreicht<br />

werden oder nicht – von<br />

Gesundheit und Krankheit<br />

<strong>über</strong> Armut und Hunger,<br />

Bildung und Kindersterblichkeit<br />

bis hin zum<br />

Zugang zu sauberem<br />

Wasser und ökologischer<br />

Nachhaltigkeit<br />

mens, wie z.B. Vietnam, zeigen bei den einzelnen<br />

Vermögensgruppen große vermögensbedingte<br />

Unterschiede im Bildungsbereich. Die<br />

Daten zu den vermögensbedingten Unterschieden<br />

im Gesundheits- und Bildungsbereich<br />

stützen eine unbestreitbare Schlussfolgerung:<br />

Damit <strong>die</strong> Ziele von so vielen Ländern<br />

und so vielen Menschen wie möglich erreicht<br />

werden können, sollte der politische Schwerpunkt<br />

auf der Schließung der Vermögenskluft<br />

innerhalb der einzelnen Länder liegen.<br />

GEFÄLLE ZWISCHEN STADT UND LAND<br />

Auch das zunehmende Gefälle zwischen städtischen<br />

und ländlichen Regionen weist auf<br />

eine Entwicklungsschieflage hin. In einigen<br />

afrikanischen Ländern legen <strong>die</strong> Fortschritte<br />

auf dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

nahe, dass das Gefälle zwischen<br />

Stadt und Land trotz insgesamt zufriedenstellender<br />

Leistungen in Bezug auf <strong>die</strong> meisten Indikatoren<br />

fortbesteht – oder sich vergrößert. 28<br />

In acht von elf Ländern, für <strong>die</strong> Daten vorliegen,<br />

ist <strong>die</strong> allgemeine Armutsquote zurückgegangen<br />

– auf dem Lande hat sich <strong>die</strong>s weitaus<br />

langsamer abgespielt, besonders im Niger, Senegal<br />

und in Tansania.<br />

Wie beim Vermögensgefälle spiegelt sich<br />

<strong>die</strong> Kluft zwischen Stadt und Land auch in<br />

ungleichmäßigen Fortschritten im Gesundheits-<br />

und Bildungsbereich wider. In 26 Ländern<br />

in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />

haben <strong>die</strong> ländlichen Gebiete bei vielen der<br />

Millenniums-Entwicklungsziele zu kämpfen. 29<br />

Meistens ist <strong>die</strong>s im Verhältnis zu den städtischen<br />

Regionen zu sehen, doch in einigen Fällen<br />

sind es absolute Rückschritte (wobei sich<br />

<strong>die</strong> Bedingungen in ländlichen Gebieten verschlechtern<br />

und in städtischen Gebieten verbessern).<br />

Zwischen Ende der 1980er Jahre<br />

und Mitte bis Ende der 1990er Jahre vergrößerte<br />

sich der Abstand zwischen ländlichen<br />

und städtischen Haushalten bei der Kindersterblichkeit<br />

in 14 von 26 der untersuchten<br />

Länder.<br />

Entsprechend ist es auch sehr viel wahrscheinlicher,<br />

dass Kinder in den Städten eine<br />

anständige Schulbildung erhalten. Arme Eltern<br />

in ländlichen Regionen zögern oft, ihre<br />

Kinder zur Schule zu schicken, und <strong>die</strong> Kinder,<br />

<strong>die</strong> in armen ländlichen Regionen zur<br />

Schule gehen, leiden oft darunter, dass nicht<br />

genug Lehrer, Schulbücher und Klassenräume<br />

zu Verfügung stehen. In Entwicklungsländern<br />

ist <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />

Mann, der in einer ländlichen Region lebt,<br />

Analphabet ist, doppelt so hoch wie in der<br />

Stadt. 30 Die größten Disparitäten zwischen<br />

Stadt und Land gibt es im Bildungsbereich in<br />

Südasien.<br />

DIE KLUFT ZWISCHEN DEN<br />

GESCHLECHTERN<br />

Die Millenniums-Erklärung ruft dazu auf,<br />

Frauen politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich<br />

zu stärken. Das dritte Millenniums-<br />

Entwicklungsziel zielt deshalb darauf ab, <strong>die</strong><br />

Kluft zwischen Jungen und Mädchen bei<br />

der Primar- und Sekundarschulbildung und<br />

schließlich auch bei der höheren Bildung zu<br />

verringern. Doch <strong>die</strong> geschlechtsspezifischen<br />

Unterschiede im Bildungsbereich machen nur<br />

einen kleinen Teil der Ungleichheit zwischen<br />

den Geschlechtern aus. Wie in <strong>die</strong>sem Bericht<br />

argumentiert wird, ist <strong>die</strong> Gleichstellung der<br />

Geschlechter entscheidend dafür, ob <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erreicht werden<br />

oder nicht – von Gesundheit und Krankheit<br />

<strong>über</strong> Armut und Hunger, Bildung und Kindersterblichkeit<br />

bis hin zum Zugang zu sauberem<br />

Wasser und ökologischer Nachhaltigkeit.<br />

Ein deutlicher Indikator für <strong>die</strong> Krise im<br />

Geschlechterverhältnis ist <strong>die</strong> Kluft bei den<br />

Sterblichkeitsraten von Männern und Frauen.<br />

Trotz ihres biologischen Vorteils haben Frauen<br />

in einer Reihe von Ländern, hauptsächlich<br />

in Süd- und Ostasien, <strong>die</strong> höheren Sterblichkeitsraten.<br />

Das Phänomen der „fehlenden<br />

Frauen“ bezieht sich auf Frauen und<br />

Mädchen, von denen man schätzt, dass sie in<br />

Folge von Diskriminierung beim Zugang zu<br />

Gesundheit und Ernährung gestorben sind.<br />

Volkszählungsdaten weisen darauf hin, dass<br />

<strong>die</strong> Anzahl der fehlenden Frauen zugenommen<br />

hat, ihr Anteil an den heute lebenden<br />

Frauen jedoch gefallen ist. Verbesserungen<br />

gab es in Bangladesch, Pakistan und den meisten<br />

arabischen Staaten. In In<strong>die</strong>n fielen sie je-<br />

62 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


doch nur gering aus, und in China kam es zu<br />

Verschlechterungen. 31 Gerade umgekehrt<br />

sterben in einigen westlichen Staaten der GUS<br />

<strong>die</strong> Männer bis zu 15 Jahre früher als <strong>die</strong> Frauen.<br />

32<br />

Doch in den meisten Fällen fällt <strong>die</strong> geschlechtsspezifische<br />

Diskriminierung mit anderen<br />

Vorurteilen gegen persönliche Besonderheiten<br />

zusammen, wie Herkunft (ländliche<br />

Regionen), ethnische Zugehörigkeit (indigene<br />

Minderheiten) und sozio-ökonomische Gruppenzugehörigkeit<br />

(ärmste Haushalte). Geschlechterdisparitäten<br />

im Gesundheits- und<br />

besonders im Bildungsbereich sind wesentliche<br />

Ursachen für geschlechtsspezifische Diskriminierung.<br />

In vielen Entwicklungsländern<br />

ist <strong>die</strong> geschlechtsspezifische Kluft in der Primar-<br />

und Sekundarschulbildung beim ärmsten<br />

Fünftel der Bevölkerung sehr viel größer.<br />

Außerdem hat sich <strong>die</strong> Situation in den meisten<br />

<strong>die</strong>ser Länder in den 1990er Jahren nicht<br />

bedeutend geändert – was Hinweise auf <strong>die</strong><br />

Diskriminierung von Mädchen auf Haushaltsebene,<br />

insbesondere in armen Haushalten,<br />

stützt. 33<br />

Weltweit machen Frauen etwas weniger<br />

als <strong>die</strong> Hälfte der Erwachsenen aus, <strong>die</strong> mit<br />

HIV/AIDS leben. Doch in Afrika südlich der<br />

Sahara, wo sich das Virus hauptsächlich durch<br />

heterosexuelle Aktivitäten ausbreitet, sind<br />

mehr als 55 Prozent der infizierten Erwachsenen<br />

Frauen. 34 Junge Frauen sind in <strong>die</strong>ser Re-<br />

gion zwei- bis viermal gefährdeter, sich zu infizieren,<br />

als junge Männer. In Süd- und Südostasien<br />

sind 60 Prozent der jungen Menschen<br />

mit HIV/AIDS weiblich. 35<br />

* * *<br />

Dass alle Länder <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

sinnvoll erreichen können, steht<br />

außer Zweifel. In allen Regionen der Welt und<br />

von unterschiedlichem Entwicklungsstand ausgehend<br />

gibt es Länder, <strong>die</strong> bedeutende Fortschritte<br />

gemacht haben. Auch haben Länder<br />

Fortschritte gemacht, ohne dass dabei <strong>die</strong> Ungleichheit<br />

gestiegen ist. In den folgenden Kapiteln<br />

<strong>die</strong>ses Berichts wird untersucht, was hinter<br />

<strong>die</strong>sen Erfolgen steckt und wie <strong>die</strong>se Erfolge in<br />

Ländern wiederholt werden können, <strong>die</strong> es<br />

noch nicht geschafft haben. Viele der Schritte<br />

auf dem Weg zum Erfolg sind bekannt. Doch<br />

sicherzustellen, dass <strong>die</strong>ser Weg auch begangen<br />

wird, erfordert grundlegende Veränderungen<br />

im <strong>entwicklung</strong>spolitischen Denken. Die<br />

traditionellen Ansätze, bei denen man versucht,<br />

angesichts politischer Schwächen und<br />

stark beschränkter Mittel das Möglichste zu<br />

tun, werden nicht ausreichen. Im letzten Kapitel<br />

<strong>die</strong>ses Berichts geht es um <strong>die</strong> zentralen, bereichs<strong>über</strong>greifenden<br />

Maßnahmen, <strong>die</strong> erforderlich<br />

sind, um das für <strong>die</strong> Zielerreichung<br />

nötige Umfeld zu schaffen. Der Schwerpunkt<br />

liegt dabei auf den Maßnahmen, <strong>die</strong> auf Seiten<br />

der reichen Länder gefordert sind.<br />

Dass alle Länder <strong>die</strong><br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele sinnvoll<br />

erreichen können, steht<br />

außer Zweifel<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 63


Feature 2.1 Fortschritte in Richtung auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

Millenniums-Entwicklungsziele Regional<strong>über</strong>sicht<br />

Armut<br />

Prozentsatz der Bevölkerung mit weniger als 1 $ pro Tag<br />

GEGENWÄRTIGER TREND<br />

50<br />

Süd-<br />

Afrika<br />

asien<br />

40 südlich<br />

der Sahara<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Hunger<br />

Prozentsatz der unter Mangelernährung leidenden Bevölkerung<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Primarschulbildung<br />

Nettoeinschulungsquote in der Primarstufe (in Prozent)<br />

100<br />

Ziel = 100%<br />

2015<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

Afrika<br />

südlich<br />

der Sahara<br />

Ziel<br />

2015<br />

1990 2000<br />

Afrika<br />

südlich<br />

der Sahara<br />

Ziel<br />

2015<br />

GEGENWÄRTIGER TREND<br />

Südasien<br />

Südasien<br />

GEGENWÄRTIGER TREND<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

* bezieht sich auf <strong>die</strong> Bevölkerung mit weniger als 2$ pro Tag.<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Rückgang=Verbesserung<br />

1990 1999<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie<br />

GUS*<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Rückgang=Verbesserung<br />

1990–92 1998–2000<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

64 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Ziel<br />

2015<br />

Ziel<br />

2015<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS


Millenniums-Entwicklungsziele Regional<strong>über</strong>sicht<br />

Gleichstellung der Geschlechter<br />

Verhältnis Mädchen/Jungen in der Primar- und Sekundarschulbildung (in Prozent)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

Kindersterblichkeit<br />

Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren pro 1.000 Lebendgeburten<br />

175<br />

Afrika südlich<br />

150 der Sahara<br />

125<br />

100<br />

75<br />

50<br />

25<br />

0<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Ziel = 100%<br />

2005<br />

1990 1998<br />

GEGENWÄRTIGER TREND<br />

Zugang zu Wasser<br />

Prozentsatz der Bevölkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

1990 2000<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Südasien<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Zugang zu Sanitärversorgung<br />

Prozentsatz der Bevölkerung mit Zugang zu angemessener Sanitärversorgung<br />

1990 2000 Ziel<br />

2015<br />

Süd-<br />

Asien<br />

Südasien<br />

Ziel<br />

2015<br />

Südasien<br />

Ziel<br />

2015<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Rückgang=Verbesserung<br />

1990 2001 Ziel<br />

2015<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

Mittelund<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 65


Einkommensarmut<br />

BIP pro Kopf (Kaufkraftparität (PPP) in Tausend US$)<br />

Länder, <strong>die</strong> 1990 ein Einkommen von 10.000 Dollar oder weniger hatten<br />

Ländereinstufung nach<br />

Werten von 1990<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

TANSANIA, VER. REP.<br />

MALAWI<br />

ÄTHIOPIEN<br />

MALI<br />

MOSAMBIK<br />

BENIN<br />

NIGERIA<br />

BURKINA FASO<br />

MADAGASKAR<br />

SIERRA LEONE<br />

SAMBIA<br />

NIGER<br />

BURUNDI<br />

UGANDA<br />

TSCHAD<br />

KENIA<br />

GUINEA-BISSAU<br />

KONGO<br />

SENEGAL<br />

ZENTRALAFRIK. REPUBLIK<br />

RUANDA<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

GUINEA<br />

MAURETANIEN<br />

KONGO, DEM. REP.<br />

KAMERUN<br />

GHANA<br />

TOGO<br />

LESOTHO<br />

GAMBIA<br />

KOMOREN<br />

ANGOLA<br />

SIMBABWE<br />

KAP VERDE<br />

SWAZILAND<br />

NAMIBIA<br />

BOTSUANA<br />

GABUN<br />

MAURITIUS<br />

Süd-<br />

Asien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

NEPAL<br />

BANGLADESCH<br />

PAKISTAN<br />

INDIEN<br />

SRI LANKA<br />

IRAN, ISLAM. REP.<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

LAOS, DEM. VR.<br />

VIETNAM<br />

KAMBODSCHA<br />

CHINA<br />

MONGOLEI<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

INDONESIEN<br />

SALOMONEN<br />

VANUATU<br />

PHILIPPINEN<br />

FIDSCHI<br />

THAILAND<br />

SAMOA (WESTL.)<br />

MALAYSIA<br />

KOREA, REP.<br />

Regionale Verteilung<br />

der Menschen mit<br />

weniger als 1$ pro<br />

Tag (PPP)<br />

Weltgesamtzahl – 1,169<br />

Milliarden im Jahr 1999<br />

Südasien<br />

42%<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara 27%<br />

24%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik 5%<br />

Mitte- und Osteuropa<br />

sowie GUS 2%<br />

2 4 6 8 10 12<br />

RÜCKSCHRITT<br />

2001<br />

1990<br />

FORTSCHRITT<br />

2001<br />

2 4 6 8 10 12<br />

Arabische Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

YEMEN<br />

SUDAN<br />

LIBANON<br />

SYRIEN, ARAB. REP.<br />

ÄGYPTEN<br />

MAROKKO<br />

DSCHIBUTI<br />

JORDANIEN<br />

TUNESIEN<br />

ALGERIEN<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

BOLIVIEN<br />

HAITI<br />

HONDURAS<br />

GUAYANA<br />

ECUADOR<br />

PERU<br />

JAMAIKA<br />

GUATEMALA<br />

EL SALVADOR<br />

ST. VINCENT U. GRENADINEN<br />

PANAMA<br />

BELIZE<br />

DOMINIKANISCHE REP.<br />

DOMINICA<br />

ST. LUCIA<br />

GRENADA<br />

PARAGUAY<br />

CHILE<br />

VENEZUELA<br />

BRASILIEN<br />

KOLUMBIEN<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

URUGUAY<br />

COSTA RICA<br />

MEXIKO<br />

ANTIGUA UND BARBUDA<br />

ST. KITTS UND NEVIS<br />

ARGENTINIEN<br />

2 4 6 8 10 12<br />

Mittel- und<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

USBEKISTAN<br />

ALBANIEN<br />

TADSCHIKISTAN<br />

ARMENIEN<br />

KIRGISISTAN<br />

MOLDAU, REP.<br />

GEORGIEN<br />

RUMÄNIEN<br />

POLEN<br />

MAZEDONIEN, EHEM. JUGOSL. REP.<br />

TURKMENISTAN<br />

BULGARIEN<br />

KASACHSTAN<br />

BELARUS<br />

UKRAINE<br />

KROATIEN<br />

ESTLAND<br />

RUSSISCHE FÖDERATION<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Keine Daten<br />

Anzahl der Menschen mit weniger<br />

als 1$ pro Tag, 1999 (Millionen)<br />

Afrika südlich der Sahara 315<br />

Südasien 488<br />

Ostasien und Pazifikraum 279<br />

Arabische Staaten 6<br />

Lateinamerika und Karibik 57<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS* 97<br />

2 4 6 8 10 12<br />

66 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

n n n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

n n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

n<br />

2 4 6 8 10 12<br />

2 4 6 8 10 12<br />

* bezieht sich auf den Anteil der Bevölkerung mit weniger als 2$ pro Tag.


Hunger<br />

Unterernährte Menschen in Prozent der Gesamtbevölkerung<br />

LÄNDEREINSTUFUNG<br />

NACH WERTEN VON 1990<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

MOSAMBIK<br />

ANGOLA<br />

TSCHAD<br />

BURUNDI<br />

ZENTRALAFRIK. REPUBLIK<br />

MALAWI<br />

KENIA<br />

SIERRA LEONE<br />

SAMBIA<br />

SIMBABWE<br />

NIGER<br />

GUINEA<br />

KONGO<br />

TANSANIA, VER. REP.<br />

MADAGASKAR<br />

GHANA<br />

RUANDA<br />

LIBERIA<br />

KONGO, DEM. REP.<br />

KAMERUN<br />

TOGO<br />

LESOTHO<br />

MALI<br />

SENEGAL<br />

BURKINA FASO<br />

UGANDA<br />

GAMBIA<br />

BENIN<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

BOTSUANA<br />

NAMIBIA<br />

MAURETANIEN<br />

NIGERIA<br />

GABUN<br />

SWASILAND<br />

MAURITIUS<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

AFGHANISTAN<br />

BANGLADESCH<br />

SRI LANKA<br />

INDIEN<br />

PAKISTAN<br />

NEPAL<br />

IRAN, ISLAM. REP.<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

KAMBODSCHA<br />

MONGOLEI<br />

LAOS, DEM. VR<br />

THAILAND<br />

VIET NAM<br />

PHILIPPINEN<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

KOREA, DEM. VR<br />

CHINA<br />

MYANMAR<br />

Regionale Verteilung<br />

der unterernährten<br />

Menschen,<br />

1998-2000<br />

Insgesamt–<br />

827,5 Millionen<br />

RÜCKSCHRITT<br />

1998-2000<br />

1990-92<br />

Südasien<br />

40%<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara 22%<br />

24%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

FORTSCHRITT<br />

1998-2000<br />

Arabische<br />

Staaten 4%<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik 7%<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS 4%<br />

ZIEL<br />

2015<br />

70 60 50 40 30 20 10<br />

70 60 50 40 30 20 10 0<br />

Arabische<br />

0 Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

SOMALIA<br />

JEMEN<br />

SUDAN<br />

KUWAIT<br />

IRAK<br />

MAROKKO<br />

ALGERIEN<br />

ÄGYPTEN<br />

SYRIEN, ARAB. REP.<br />

JORDANIEN<br />

SAUDI-ARABIEN<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

70 60 50 40 30 20 10 0<br />

HAITI<br />

PERU<br />

NICARAGUA<br />

DOMINIKANISCHE REP.<br />

BOLIVIEN<br />

HONDURAS<br />

PANAMA<br />

GUYANA<br />

PARAGUAY<br />

KOLUMBIEN<br />

GUATEMALA<br />

JAMAIKA<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

BRASILIEN<br />

EL SALVADOR<br />

SURINAME<br />

VENEZUELA<br />

ECUADOR<br />

CHILE<br />

COSTA RICA<br />

URUGUAY<br />

KUBA<br />

MEXIKO<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Keine Daten<br />

Anzahl der mangelernährten Menschen<br />

1998-2000 (Millionen)<br />

Afrika südlich der Sahara 183.3<br />

Südasien 333.6<br />

Ostasien und Pazifikraum 193.3<br />

Arabische Staaten 32.2<br />

Lateinamerika und Karibik 54.9<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 30.2<br />

70 60 50 40 30 20 10 0<br />

70 60 50 40 30 20 10 0<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 67


Primarschulbidung<br />

Nettoeinschulungsverhältnis in der Primarstufe (in Prozent)<br />

LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />

WERTEN VON 1990<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

MALI<br />

ERITREA<br />

NIGER<br />

BURKINA FASO<br />

MOZAMBIK<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

SENEGAL<br />

BENIN<br />

MALAWI<br />

GAMBIA<br />

TANSANIA, VER. REP.<br />

BURUNDI<br />

ZENTRALAFRIK. REP.<br />

KONGO, DEM. REP.<br />

RUANDA<br />

LESOTHO<br />

TOGO<br />

SWASILAND<br />

NAMIBIA<br />

BOTSUANA<br />

MAURITIUS<br />

SÜDAFRIKA<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

BANGLADESCH<br />

IRAN, ISLAM. REP.<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

LAOS, DEM. VR<br />

CHINA<br />

INDONESIEN<br />

PHILIPPINEN<br />

KOREA, REP.<br />

FIDSCHI<br />

Regionale Verteilung<br />

der nicht eingeschulten<br />

Kinder im<br />

Primarschulalter<br />

1998-2000<br />

Gesamtzahl – 114<br />

Millionen im Jahr 2000<br />

RÜCKSCHRITT<br />

2000<br />

1990<br />

FORTSCHRITT<br />

2000<br />

ZIEL=100%<br />

40 50 60 70 80 90 100<br />

Arabische<br />

Staaten 40 50 60 70 80 90 100<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

40<br />

40<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara 37%<br />

Südasien<br />

35%<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik 2%<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS 3%<br />

Arabische Staaten 7%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum 14%<br />

50 60 70 80 90 100<br />

50 60 70 80 90 100<br />

DSCHIBUTI<br />

KUWAIT<br />

MAROKKO<br />

SAUDI-ARABIEN<br />

JORDANIEN<br />

OMAN<br />

IRAK<br />

KATAR<br />

ALGERIEN<br />

TUNESIEN<br />

VER. ARAB. EMIRATE<br />

SYRIEN, ARAB. REP.<br />

BAHRAIN<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

KOLUMBIEN<br />

NICARAGUA<br />

EL SALVADOR<br />

BARBADOS<br />

COSTA RICA<br />

BRASILIEN<br />

CHILE<br />

VENEZUELA<br />

HONDURAS<br />

BOLIVIEN<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

URUGUAY<br />

PANAMA<br />

KUBA<br />

PARAGUAY<br />

GUYANA<br />

JAMAIKA<br />

BAHAMAS<br />

BELIZE<br />

MEXIKO<br />

Mittel- und<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

RUMÄNIEN<br />

LETTLAND<br />

BULGARIEN<br />

UNGARN<br />

ESTLAND<br />

MAZEDONIEN, EHEM. YUGOSL. REP.<br />

POLEN<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Keine Daten<br />

50 60 70 80 90 100<br />

68 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

40<br />

40<br />

Nettoeinschulung Primarstufe, 2000 (Millionen)<br />

Afrika südlich der Sahara 42.5<br />

Südasien 39.9<br />

Ostasien und Pazifikraum 15.4<br />

Arabische Staaten 8.1<br />

Lateinamerika und Karibik 2.2<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 3.6<br />

50 60 70 80 90 100


Gleichstellung der Geschlechter<br />

Verhältnis Mädchen/Jungen in der Primar- und Sekundarbildung (in Prozent)<br />

COUNTRY RANKING<br />

BY 1990 VALUE<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

GUINEA<br />

NIGER<br />

MALI<br />

TOGO<br />

BURKINA FASO<br />

GAMBIA<br />

SIERRA LEONE<br />

MAURETANIEN<br />

ÄTHIOPIEN<br />

SENEGAL<br />

KONGO, DEM. REP.<br />

MOSAMBIK<br />

MALAWI<br />

ERITREA<br />

BURUNDI<br />

KAMERUN<br />

KONGO<br />

SIMBABWE<br />

TANZANIA, VER. REP.<br />

RUANDA<br />

MAURITIUS<br />

SÜDAFRIKA<br />

BOTSUANA<br />

NAMIBIA<br />

LESOTHO<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

NEPAL<br />

INDIEN<br />

BANGLADESCH<br />

IRAN, ISLAM. REP.<br />

SRI LANKA<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

LAOS, DEM. VR<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

CHINA<br />

VANUATU<br />

INDONESIA<br />

TONGA<br />

KOREA, REP.<br />

BRUNEI DARUSSALAM<br />

THAILAND<br />

MYANMAR<br />

MALAYSIA<br />

SAMOA (WESTL.)<br />

MONGOLEI<br />

Regionale Verteilung<br />

der nicht eingeschulten<br />

Mädchen im<br />

Primaralter<br />

1998-2000<br />

Weltgesamtzahl 63<br />

Millionen im Jahr 2000<br />

REVERSAL<br />

2000<br />

1990<br />

Südasien<br />

41%<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara 35%<br />

PROGRESS<br />

2000<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik 2%<br />

Arabische<br />

Staaten 8%<br />

Mittel- und<br />

Osteuropa 3%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum 11%<br />

GOAL=100%<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

MAROKKO<br />

DSCHIBUTI<br />

IRAK<br />

SUDAN<br />

ÄGYPTEN<br />

ALGERIEN<br />

TUNESIEN<br />

SAUDI-ARABIEN<br />

SYRIEN, ARAB. REP.<br />

OMAN<br />

JORDANIEN<br />

KATAR<br />

VER. ARAB. EMIRATE<br />

KUWAIT<br />

BAHRAIN<br />

Lateiamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

BOLIVIEN<br />

PERU<br />

PARAGUAY<br />

MEXIKO<br />

COSTA RICA<br />

PANAMA<br />

BELIZE<br />

ECUADOR<br />

JAMAIKA<br />

CHILE<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

BAHAMAS<br />

EL SALVADOR<br />

VENEZUELA<br />

KUBA<br />

SURINAME<br />

ST. LUCIA<br />

KOLUMBIEN<br />

Mittel- und<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

ALBANIEN<br />

LITAUEN<br />

TSCHECH. REP.<br />

MAZEDONIEN, EHEM. JUGOSL. REP.<br />

GEORGIEN<br />

ASERBEIDSCHAN<br />

BULGARIEN<br />

RUMÄNIEN<br />

UNGAN<br />

POLEN<br />

LETTLAND<br />

SLOWAKEI<br />

ESTLAND<br />

KIRGISISTAN<br />

MOLDAU, REP.<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Anzahl nicht eingeschulter Mädchen im<br />

Primarschulalter, 2000 (Millionen)<br />

Afrika südlich der Sahara 22.1<br />

Südasien 26.1<br />

Ostasien und Pazifikraum 6.9<br />

Arabische Staaten 4.8<br />

Lateinamerika und Karibik 1.2<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 1.9<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

50 60 70 80 90 100 110<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 69


Kindersterblichkeit<br />

Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren (pro 1.000 Lebendgeburten)<br />

LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />

WERTEN VON 1990<br />

Afrika südlich der Sahara<br />

REGIONADURCHSCHNITT<br />

SIERRA LEONE<br />

NIGER<br />

ANGOLA<br />

MALI<br />

GUINEA-BISSAU<br />

MALAWI<br />

GUINEA<br />

LIBERIA<br />

MOSAMBIK<br />

BURKINA FASO<br />

ÄQUATORIALGUINEA<br />

KONGO, DEM. REP.<br />

TSCHAD<br />

ÄTHIOPIEN<br />

SAMBIA<br />

BURUNDI<br />

NIGERIA<br />

BENIN<br />

MAURETANIEN<br />

ZENTRALAFRIK. REP.<br />

RUANDA<br />

MADAGASKAR<br />

UGANDA<br />

TANZANIA, VER. REP.<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

ERITREA<br />

GAMBIA<br />

TOGO<br />

SENEGAL<br />

LESOTHO<br />

KAMERUN<br />

GHANA<br />

KOMOREN<br />

SWASILAND<br />

KONGO<br />

KENIA<br />

GABUN<br />

SAO TOME UND PRINCIPE<br />

NAMIBIA<br />

SIMBABWE<br />

SÜDAFRIKA<br />

KAP VERDE<br />

BOTSUANA<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

AFGHANISTAN<br />

BHUTAN<br />

NEPAL<br />

BANGLADESCH<br />

PAKISTAN<br />

INDIA<br />

MALEDIVEN<br />

IRAN, ISLAM. REP.<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

LAOS, DEM. VR<br />

MYANMAR<br />

KAMBODSCHA<br />

MONGOLEI<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

MARSHALLINSELN<br />

INDONESIEN<br />

KIRIBATI<br />

VANUATU<br />

PHILIPPINEN<br />

KOREA, DEM. VR<br />

VIETNAM<br />

CHINA<br />

SAMOA (WESTL.)<br />

THAILAND<br />

SALOMONEN<br />

MIKRONESIEN, FÖD. STAATEN<br />

FIDSCHI<br />

RÜCKSCHRITT<br />

2001<br />

1990<br />

FORTSCHRITT<br />

2001<br />

ZIEL<br />

2015<br />

200 150 100 50<br />

0<br />

Anzahl der Todesfälle unter fünf<br />

Jahren, 2000 (millions)<br />

Afrika südlich der Sahara 4.5<br />

Südasien 3.6<br />

Ostasien und Pazifikraum 1.4<br />

Arabische Staaten 0.6<br />

Lateinamerika und Karibik 0.4<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 0.2<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

SOMALIA<br />

DSCHIBUTI<br />

JEMEN<br />

SUDAN<br />

ÄGYPTEN<br />

MAROKKO<br />

ALGERIEN<br />

TUNESIEN<br />

IRAK<br />

SYRIEN, ARAB. REP.<br />

SAUDI-ARABIEN<br />

JORDANIEN<br />

LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />

LIBANON<br />

OMAN<br />

200 150 100 50 0<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

HAITI<br />

BOLIVIEN<br />

GUYANA<br />

GUATEMALA<br />

PERU<br />

NICARAGUA<br />

DOMINIKANISCHE REP.<br />

HONDURAS<br />

EL SALVADOR<br />

BRASILIEN<br />

ECUADOR<br />

BELIZE<br />

MEXIKO<br />

SURINAME<br />

200 150 100 50 0<br />

PARAGUAY<br />

GRENADA<br />

ST. KITTS UND NEVIS<br />

KOLUMBIEN<br />

PANAMA<br />

Mittel- und<br />

Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

TADSCHIKISTAN<br />

ASERBEIDSCHAN<br />

TURKMENISTAN<br />

KIRGISISTAN<br />

USBEKISTAN<br />

ARMENIEN<br />

KASACHSTAN<br />

ALBANIEN<br />

MOLDAU, REP.<br />

RUMÄNIEN<br />

MAZEDONIEN, EHEM. JUG. REP.<br />

Länder mit<br />

höchster Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Regionale Verteilung<br />

der Todesfälle<br />

unter 5 Jahren,<br />

2000 (Millionen<br />

Weltgesamtzahl 10,8<br />

Millionen im Jahr 2000<br />

Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

42%<br />

200 150 100 50 0<br />

200 150 100 50 0<br />

200 150 100 50 0<br />

70 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Südasien<br />

34%<br />

Länder mit<br />

hoher Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS 2%<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik 4%<br />

Arabische<br />

Staaten 6%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum 13%


Zugang zu Wasser<br />

Menschen ohne Zugang zu besseren Wasserquellen (prozentualer Anteil der Bevölkerung)<br />

LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />

WERTEN VON 1990<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

ÄTHIOPIEN<br />

MAURETANIEN<br />

TANSANIA, VER. REP.<br />

MADAGASKAR<br />

GUINEA<br />

UGANDA<br />

KENIA<br />

ZENTRALAFRIK. REP.<br />

MALAWI<br />

TOGO<br />

KAMERUN<br />

SAMBIA<br />

NIGER<br />

NIGERIA<br />

GHANA<br />

MALI<br />

BURUNDI<br />

NAMIBIA<br />

SENEGAL<br />

SIMBABWE<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

SÜDAFRIKA<br />

KOMOREN<br />

BOTSUANA<br />

MAURITIUS<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

NEPAL<br />

SRI LANKA<br />

INDIEN<br />

PAKISTAN<br />

BANGLADESCH<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

VIETNAM<br />

CHINA<br />

INDONESIEN<br />

THAILAND<br />

PHILIPPINEN<br />

SINGAPUR<br />

Regionale Verteilung<br />

der Menschen ohne<br />

Zugang zu besseren<br />

Wasserquellen, 2000<br />

Weltgesamtzahl – 1,16<br />

Milliarden im Jahr 2000<br />

RÜCKSCHRITT<br />

2000<br />

1990<br />

Südasien<br />

19%<br />

38%<br />

Ostasien<br />

und Pazifikraum<br />

Afrika<br />

südlich<br />

der Sahara<br />

23%<br />

FORTSCHRITT<br />

2000<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik 6%<br />

Arabische<br />

Staaten 3%<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS3%<br />

ZIEL<br />

2015<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100 Arabische Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

OMAN<br />

SUDAN<br />

LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />

TUNESIEN<br />

MAROKKO<br />

ÄGYPTEN<br />

JORDANIEN<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

HAITI<br />

PARAGUAY<br />

EL SALVADOR<br />

NICARAGUA<br />

BOLIVIEN<br />

ECUADOR<br />

PERU<br />

GUATEMALA<br />

MEXIKO<br />

DOMINIKANISCHE REP.<br />

BRASILIEN<br />

HONDURAS<br />

CHILE<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

JAMAIKA<br />

KOLUMBIEN<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Keine Daten<br />

Anzahl der Menschen ohne Zugang zu<br />

besseren Wasserquellen, 2000 (millions)<br />

Afrika südlich der Sahara 264.5<br />

Südasien 215.8<br />

Ostasien und Pazifikraum 440.3<br />

Arabische Staaten 39.6<br />

Lateinamerika und Karibik 69.4<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 29.6<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 71


Zugang zu Sanitärversorgung<br />

Menschen mit Zugang zu angemessener Sanitärversorgung (prozentualer Anteil der Bevölkerung)<br />

LÄNDEREINSTUFUNG NACH<br />

WERTEN VON 1990<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

ÄTHIOPIEN<br />

NIGER<br />

TSCHAD<br />

BENIN<br />

ZENTRALAFRIK. REP.<br />

MAURETANIEN<br />

NAMIBIA<br />

MADAGASKAR<br />

TOGO<br />

GUINEA-BISSAU<br />

CÔTE D'IVOIRE<br />

NIGERIA<br />

GUINEA<br />

SIMBABWE<br />

SENEGAL<br />

BOTSUANA<br />

GHANA<br />

SAMBIA<br />

MALI<br />

MALAWI<br />

KAMERUN<br />

KENIA<br />

TANSANIA, VER. REP.<br />

SÜDAFRIKA<br />

BURUNDI<br />

KOMOREN<br />

MAURITIUS<br />

Südasien<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

INDIEN<br />

NEPAL<br />

PAKISTAN<br />

BANGLADESCH<br />

SRI LANKA<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

CHINA<br />

VIETNAM<br />

INDONESIEN<br />

PHILIPPINEN<br />

THAILAND<br />

PAPUA-NEUGUINEA<br />

SINGAPUR<br />

Regionale Verteilung<br />

der Menschen ohne<br />

Zugang zu angemessenerSanitärversorgung,<br />

2000<br />

Weltgesamtzahl – 2,361<br />

Milliarden im Jahr 2000<br />

RÜCKSCHRITT<br />

2000<br />

1990<br />

Südasien<br />

38%<br />

42%<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

FORTSCHRITT<br />

2000<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara 12%<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik 5%<br />

Arab. Staaten 2%<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS 1%<br />

ZIEL<br />

2015<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100 Arabische Staaten<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

20 30 40 50 60 70 80 90<br />

Lateinamerika<br />

und Karibik<br />

REGIONALDURCHSCHNITT<br />

HAITI<br />

BOLIVIEN<br />

PERU<br />

HONDURAS<br />

DOMINIKANISCHE REP.<br />

MEXIKO<br />

GUATEMALA<br />

ECUADOR<br />

BRASILIEN<br />

EL SALVADOR<br />

NICARAGUA<br />

KOLUMBIEN<br />

PARAGUAY<br />

CHILE<br />

JAMAIKA<br />

TRINIDAD UND TOBAGO<br />

100<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

JEMEN<br />

SUDAN<br />

MAROKKO<br />

TUNESIEN<br />

OMAN<br />

ÄGYPTEN<br />

LIBYSCH-ARAB. DSCHAM.<br />

JORDANIEN<br />

Länder mit höchster<br />

Priorität<br />

(in Fettdruck und Farbe)<br />

Länder mit hoher<br />

Priorität<br />

(in Farbe)<br />

Keine Daten<br />

Anzahl der Menschen ohne Zugang zu angemessener<br />

Sanitärversorgung, 2000 (millions)<br />

Afrika südlich der Sahara 281.9<br />

Südasien 907.1<br />

Ostasien und Pazifikraum 995.3<br />

Arabische Staaten 44.8<br />

Lateinamerika und Karibik 108.8<br />

Mittel- und Osteuropa sowie GUS 16.5<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

Quelle: : Einkommen: Berechnungen des Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten der Weltbank für BIP zu Marktpreisen (konstant 1995 US$), Bevölkerung<br />

und BIP pro Kopf (PPP US$), World Bank <strong>2003</strong>i; World Bank 2002f. Hunger: MEZ Indikatortabelle 1; FAO 2002b. Primarschulbildung:MEZ Indikatortabelle 1; UNESCO 2002a. Gleichstellung der<br />

Geschlechter: World Bank <strong>2003</strong>i; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; UNESCO 2002a. Kindersterblichkeit:World Bank<br />

<strong>2003</strong>i; UNICEF <strong>2003</strong>b. Zugang zu Wasser: UN <strong>2003</strong>c; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; Berechnungen des Büro für den<br />

Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von UN <strong>2003</strong>c, <strong>2003</strong>h. Zugang zu Sanitärversorgung: UN <strong>2003</strong>c; aggregierte Werte berechnet für das Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung von der Weltbank; Berechnungen des Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von UN <strong>2003</strong>c, <strong>2003</strong>h.<br />

72 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Feature 2.2 Menschliche Entwicklung messen: Die Indizes für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

Unterschiedliche Verläufe<br />

des HDI<br />

0,950<br />

0,900<br />

0,850<br />

0,800<br />

0,750<br />

0,700<br />

0,650<br />

0,600<br />

1975 2001<br />

Quelle: Indikatorentabelle 2.<br />

Schweiz<br />

Finnland<br />

Venezuela<br />

Brasilien<br />

Der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

Der Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung(human development<br />

index - HDI) ist ein einfaches zusammengefasstes Maß der drei<br />

Dimensionen des Konzepts <strong>menschliche</strong>r Entwicklung: ein langes<br />

und gesundes Leben zu führen und einen angemessenen Bildungs-<br />

und Lebensstandard zu haben (siehe technische Erläuterung).<br />

Es sind darin also Maße der Lebenserwartung, des Schulbesuchs,<br />

der Fähigkeit lesen und schreiben zu können und des<br />

Einkommens enthalten. Dies bietet eine breitere Sicht auf <strong>die</strong><br />

Entwicklung eines Landes, als <strong>die</strong>s mit der alleinigen Berücksichtigung<br />

des Einkommen möglich wäre — das zudem allzu oft mit<br />

Wohlergehen gleichgesetzt wird. Seit der Einführung des HDI<br />

im Jahr 1990 sind drei ergänzende Indices entwickelt worden,<br />

um besondere Aspekte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung hervorzuheben:<br />

der Index für <strong>menschliche</strong> Armut (human poverty index -<br />

HPI), der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex (gender-related<br />

development index - GDI) und das Maß für geschlechtsspezifische<br />

Ermächtigung (gender empowerment measure - GEM).<br />

Der HDI kann <strong>die</strong> Erfolge einiger Länder und <strong>die</strong> langsameren<br />

Fortschritte anderer Länder hervorheben. Venezuela startete<br />

1975 mit einem höheren HDI als Brasilien, doch Brasilien<br />

hat sehr viel schnellere Fortschritte gemacht. Finnland hatte 1975<br />

einen niedrigeren HDI als <strong>die</strong> Schweiz, liegt aber heute etwas<br />

weiter vorn. Die Rangfolgen beim HDI und beim Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) pro Kopf können ebenfalls voneinander abweichen.<br />

Dies zeigt, dass ein hohes Niveau <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

auch ohne hohes Einkommen erreicht werden kann, und<br />

dass ein hohes Einkommen keine Garantie für ein hohes Niveau<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung ist (siehe Indikatorentabelle 1). Pakistan<br />

und Vietnam haben ein ähnlich hohes Einkommen, aber Vietnam<br />

hat sehr viel mehr getan, um <strong>die</strong>ses Einkommen in<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung umzusetzen. In ähnlicher Weise hat Jamaika<br />

einen sehr viel besseren HDI erreicht als Marokko mit<br />

etwa gleich hohem Einkommen.<br />

Swasiland erreicht mit weniger als zwei Dritteln des Einkommens<br />

den gleichen HDI wie Botsuana, und das Gleiche gilt<br />

für <strong>die</strong> Philippinen und Thailand. Mit den richtigen politischen<br />

Strategien können also selbst Länder mit niedrigem Einkommen<br />

<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung voranbringen.<br />

Die meisten Regionen haben im Laufe der vergangenen<br />

zwanzig Jahre beim HDI stetige Fortschritte gemacht. Dabei<br />

schnitten Ostasien und der Pazifikraum in den 1990er Jahren be-<br />

HDI, HPI-1, HPI-2, GDI—gleiche Komponenten, unterschiedliche Messungen<br />

sonders gut ab. Auch in den arabischen Staaten hat es bedeutendes<br />

Wachstum gegeben, das <strong>über</strong> dem Entwicklungsländer-<br />

Durchschnitt lag. In Afrika südlich der Sahara dagegen hat es fast<br />

nur Stagnation gegeben. Befand sich Afrika im Jahr 1985 noch<br />

auf gleichem Niveau wie Südasien, ist es seitdem weit zurückgefallen.<br />

Es waren zwei Ländergruppen, <strong>die</strong> derartige Rückschritte<br />

erlitten haben: Die Länder der GUS, <strong>die</strong> einen Übergang zur<br />

Marktwirtschaft durchmachen, der für viele von ihnen lang und<br />

schmerzhaft ist, und <strong>die</strong> armen afrikanischen Länder, deren Entwicklung<br />

aus einer Vielzahl von Gründen behindert oder umgekehrt<br />

wurde, darunter HIV/AIDS sowie inner- und zwischenstaatliche<br />

Konflikte.<br />

Der HDI ist zwar ein nützlicher Ausgangspunkt, lässt jedoch<br />

entscheidende Aspekte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung unberücksichtigt,<br />

insbesondere <strong>die</strong> Möglichkeit, an den Entscheidungen<br />

teilzuhaben, <strong>die</strong> das eigene Leben beeinflussen. Man<br />

kann reich, gesund und gebildet sein, doch ohne <strong>die</strong>se Möglichkeit<br />

wird <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufgehalten.<br />

Dass <strong>die</strong> Freiheitsdimensionen beim HDI ausgelassen werden,<br />

wurde seit den ersten Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

betont — und brachte <strong>die</strong> Entwicklung eines Index der<br />

<strong>menschliche</strong>n Freiheit (human freedom index - HFI) im Jahr<br />

1991 und eines Index der politischen Freiheit (political freedom<br />

index - PFI) im Jahr 1992 voran. Weder das eine noch das andere<br />

Maß hatte allerdings <strong>über</strong> das erste Jahr hinaus Bestand, was<br />

beweist, wie schwierig es ist, so komplexe Aspekte <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung in einem einzigen Index angemessen zu erfassen.<br />

Das bedeutet jedoch nicht, dass bei der Zustandsbetrachtung der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung eines Landes Indikatoren für politische<br />

und bürgerliche Freiheiten völlig ignoriert werden können.<br />

Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen den Indices<br />

für <strong>menschliche</strong> Entwicklung und den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />

Die drei Dimensionen <strong>menschliche</strong>r Entwicklung,<br />

<strong>die</strong> durch den HDI erfasst werden, sind den Zielen 1 –7 sehr ähnlich,<br />

<strong>die</strong> den Schwerpunkt ebenfalls auf Bildung, Gesundheit<br />

und einen angemessenen Lebensstandard legen (siehe auch Kasten<br />

1.2 in Kapitel 1).Außerdem liegt der Schwerpunkt des GDI<br />

und des GEM (<strong>die</strong> jeweils darauf abzielen, <strong>die</strong> Ungleichheit der<br />

Geschlechter in Bezug auf <strong>menschliche</strong> Fähigkeiten und in politischen<br />

und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen zu erfassen)<br />

sehr stark auf den Bestrebungen von Ziel 3 zur Gleichstellung<br />

der Geschlechter und zur Ermächtigung der Frau.<br />

Index Lebensdauer Wissen Angemessener Lebensstandard Partizipation oder Ausgrenzung<br />

HDI Lebenserwartung bei 1. Alphabetenquote bei Erwachsenen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf —<br />

der Geburt 2. Kombinierte Einschulungsquote (US-Dollar-Kaufkraftparität)<br />

HPI-1 Wahrscheinlichkeit zum Analphabetenquote bei Erwachsenen Mängel bei der wirtschaftlichen Versorgung gemessen durch —<br />

Zeitpunkt der Geburt, 1. Anteil der Bevölkerung ohne nachhaltigen Zugang zu<br />

keine 40 Jahre alt einer besseren Wasserquelle<br />

zu werden 2. Anteil der Kinder unter fünf Jahren, <strong>die</strong> für ihr Alter<br />

Untergewicht haben<br />

HPI-2 Wahrscheinlichkeit zum Anteil der Erwachsenen, <strong>die</strong> funktionale Anteil der Bevölkerung unter der Einkommensarmutsgrenze Langzeitarbeitslosenquote<br />

Zeitpunkt der Geburt, Analphabeten sind (mit einem bereinigten verfügbaren Haushaltseinkommen (12 Monate oder länger)<br />

keine 60 Jahre alt von weniger als 50 Prozent des Medians)<br />

zu werden<br />

GDI Lebenserwartung von 1. Alphabetenquote bei erwachsenen Geschätztes Erwerbseinkommen von Frauen und Männern, —<br />

Frauen und Männern Frauen und Männern das <strong>die</strong> Verfügungsgewalt von Frauen und Männern<br />

zum Zeitpunkt der Geburt 2. Kombinierte Einschulungsquoten von <strong>über</strong> finanzielle Mittel widerspiegelt<br />

Mädchen und Jungen im Primar-,<br />

Sekundar- und Teritärbildungsbereich<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 73


Der Index für <strong>menschliche</strong> Armut<br />

Während der HDI <strong>die</strong> Gesamtfortschritte bei der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung in einem Land misst, spiegelt der Index für <strong>menschliche</strong><br />

Armut (HPI) wider, wie sich <strong>die</strong> Fortschritte verteilen, und<br />

misst <strong>die</strong> immer noch vorhandenen Entbehrungen. Der HPI<br />

misst <strong>die</strong> Mängel in denselben Dimensionen grundlegender<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung wie der HDI.<br />

HPI-1<br />

Der HPI-1 misst <strong>die</strong> Armut in Entwicklungsländern. Er konzentriert<br />

sich auf <strong>die</strong> Entbehrungen in drei Dimensionen: ein langes<br />

Leben, gemessen durch <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt<br />

der Geburt, keine 40 Jahre alt zu werden; Wissen, gemessen<br />

durch <strong>die</strong> Analphabetenquote bei Erwachsenen; und <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />

Versorgung, öffentlich und privat, gemessen durch<br />

den Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> keine besseren Wasserquellen<br />

nutzt, durch den Anteil ohne nachhaltigen Zugang zu einer besseren<br />

Wasserquelle und durch den Anteil der Kinder, <strong>die</strong> für ihr<br />

Alter Untergewicht haben.<br />

HPI-2<br />

Da sich <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Entbehrungen je nach gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Bedingungen einer Gemeinschaft unterscheiden,<br />

wurde ein gesonderter Index, der HPI-2, entwickelt,<br />

um <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Armut in ausgewählten OECD-Ländern zu<br />

messen, in denen auf mehr verfügbare Daten zurückgegriffen<br />

werden kann. Der HPI-2 legt den Schwerpunkt auf Mängel in<br />

denselben drei Dimensionen wie der HPI-1 sowie auf eine zusätzliche<br />

Dimension: <strong>die</strong> gesellschaftliche Ausgrenzung. Die verwendeten<br />

Indikatoren sind <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt<br />

der Geburt, keine 60 Jahre alt zu werden; der Anteil der<br />

funktionalen Analphabeten an der Bevölkerung im Erwachsenenalter,<br />

der Anteil der Bevölkerung, <strong>die</strong> unterhalb der Einkommensarmutsgrenze<br />

lebt (mit bereinigtem verfügbarem Haushaltseinkommen<br />

von weniger als 50 Prozent des Mittelwertes) und <strong>die</strong><br />

Langzeitarbeitslosenquote (12 Monate oder länger).<br />

Der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex<br />

Der geschlechtsbezogene Entwicklungsindex (GDI) misst <strong>die</strong><br />

Erfolge in denselben Dimensionen wie der HDI und verwendet<br />

<strong>die</strong>selben Indikatoren, doch er erfasst auch <strong>die</strong> ungleichen Fortschritte<br />

bei Frauen und Männern. Der Index ist einfach der HDI,<br />

der auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten heruntergebrochen<br />

wurde. Je größer <strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten bei der<br />

grundlegenden <strong>menschliche</strong>n Entwicklung sind, desto niedriger<br />

ist der GDI eines Landes im Vergleich zu seinem HDI.<br />

Das Maß für geschlechtsspezifische Ermächtigung<br />

Das Maß für geschlechtsspezifische Ermächtigung (GEM) gibt<br />

Aufschluss dar<strong>über</strong>, ob Frauen am wirtschaftlichen und politischen<br />

Leben aktiv teilnehmen können. Es legt den Schwerpunkt<br />

auf <strong>die</strong> Partizipation und misst <strong>die</strong> Ungleichheit der Geschlechter<br />

in Schlüsselbereichen wirtschaftlicher und politischer Beteiligung<br />

und Entscheidungsfindung. Es verfolgt den Frauenanteil<br />

im Parlament, in der Gesetzgebung, bei höheren Beamten und<br />

Führungskräften, bei Freiberuflern und Facharbeitern — und<br />

<strong>die</strong> Geschlechterdisparitäten beim Erwerbseinkommen, das wirtschaftliche<br />

Unabhängigkeit widerspiegelt. Im Unterschied zum<br />

GDI deckt <strong>die</strong>ses Maß <strong>die</strong> Chancenungleichheit in ausgewählten<br />

Bereichen auf.<br />

1,00<br />

,900<br />

,800<br />

,700<br />

,600<br />

,500<br />

,400<br />

,300<br />

Gleiches Einkommen,<br />

unterschiedlicher HDI<br />

Einkommen<br />

Reales BIP pro Kopf<br />

(US-Dollar Kaufkraftparität)<br />

4,000<br />

3,500<br />

3,000<br />

2,500<br />

2,000<br />

Quelle: Indikatorentabelle 1.<br />

Südasien<br />

2001<br />

1995<br />

1990<br />

1985<br />

1980<br />

1975<br />

Index für<br />

<strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung<br />

FORTSCHRITTE RÜCKSCHRITTE<br />

74 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Afrika<br />

südlich<br />

der<br />

Sahara<br />

1995<br />

0.800<br />

Globale Disparitäten beim HDI<br />

Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

2001<br />

Jamaika<br />

0.700<br />

Vietnam<br />

Marokko<br />

0.600<br />

0.500<br />

Pakistan<br />

2001<br />

1990<br />

Arabische<br />

Staaten<br />

Alle<br />

Entwicklungsländer<br />

2001<br />

1990<br />

Ostasien<br />

und<br />

Pazifikraum<br />

Gleicher HDI, unterschiedliches<br />

Einkommen<br />

Einkommen<br />

Reales BIP pro Kopf<br />

(US-Dollar Kaufkraftparität)<br />

7,000<br />

6,000<br />

5,000<br />

4,000<br />

Quelle: Indikatorentabelle 1.<br />

Lateinamerika<br />

und<br />

Karibik<br />

1990<br />

1995<br />

2000<br />

MittelundOsteuropa<br />

sowie GUS<br />

Quelle: Berechnungen des UNDP-Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von<br />

Indikatorentabelle 2.<br />

Index für<br />

<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung<br />

0.800<br />

Thailand<br />

Philippinen<br />

0.700<br />

Botsuana<br />

0.600<br />

Swasiland<br />

0.500<br />

OECD-<br />

Länder mit<br />

hohem<br />

Einkommen


Feature 2.3 Die wachsende Kluft innerhalb einzelner Länder – zwischen Regionen und Bevölkerungsgruppen<br />

KARTE 1 Geographische Einkommensverteilung in China, 2000<br />

BIP pro Kopf nach<br />

Verwaltungsbezirk (10,000 Yuan)<br />

0–0,50<br />

0,50–1.00<br />

1,00–3,03<br />

Keine Angaben<br />

Subnationale sozioökonomische Daten geben wichtige Hinweise<br />

auf <strong>die</strong> Ungleichverteilung — selbst in Ländern, <strong>die</strong> im Durchschnitt<br />

bislang gute Fortschritte auf dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

gemacht haben. Hinweise auf eine unausgewogene<br />

Entwicklung helfen politische Prioritäten festzulegen.<br />

Insbesondere sollten <strong>die</strong> Bemühungen dahin gehen, <strong>die</strong> tief<br />

verwurzelte <strong>menschliche</strong> Armut zu beseitigen, von der bestimmte<br />

Gegenden und Bevölkerungsgruppen in Ländern betroffen sind,<br />

<strong>die</strong> ansonsten eine sehr viel höhere <strong>menschliche</strong> Entwicklung aufweisen.<br />

Einige Länder stellen detaillierte subnationale Daten für<br />

eingehende sozioökonomische Analysen bereit sowie, wo möglich,<br />

räumliche Kartendarstellungen sozioökonomischer Variablen.<br />

Einige <strong>die</strong>ser Daten werden im Folgenden untersucht, denn<br />

sie bieten gute Beispiele für <strong>die</strong> langsam entstehende oder wachsende<br />

Kluft, bei der ganze Regionen oder Bevölkerungsgruppen<br />

(oder sowohl als auch) in einem oder mehreren Entwicklungsbereichen<br />

auf der Strecke bleiben.<br />

China: Schnelle Fortschritte, angeführt von den<br />

Küstenregionen<br />

China gehört zu den wenigen Ländern, <strong>die</strong> bei den Indikatoren<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele insgesamt gut abschneiden.<br />

Doch in den jüngsten Jahrzehnten zeigen sich bei den Ergebnissen<br />

von Chinas wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung große<br />

Disparitäten zwischen den Küstenregionen und dem Hinterland.<br />

Dieser Trend spiegelt auch <strong>die</strong> Spaltung zwischen städtischen und<br />

ländlichen Regionen wider. In den Küstenregionen hat es durchweg<br />

das schnellste Wirtschaftswachstum gegeben. Zwischen 1978<br />

und 1998 stieg das Pro-Kopf-Einkommen um erstaunliche 11<br />

Prozent pro Jahr. Wenn man <strong>die</strong> Inflation unberücksichtigt lässt,<br />

heißt das, dass ein Einkommen von 100 US-Dollar im Jahr 1978<br />

innerhalb von 20 Jahren auf 800 US-Dollar gestiegen wäre.<br />

Außerdem machten <strong>die</strong> Küstenregionen in den 1990er Jahren<br />

noch schnellere Fortschritte. Das durchschnittliche Wachstum<br />

lag bei 13 Prozent pro Jahr – fünfmal so hoch wie in Chinas<br />

Peking<br />

Anmerkung: Verwaltungsbezirke mit sehr geringer Bevölkerungsdichte (<strong>die</strong> niedrigste bei 20 Prozent) wurden zusammengefasst,<br />

um dafür ein aggregiertes BIP pro Kopf zu berechnen, denn aufgrund der geringen Bevölkerung in <strong>die</strong>sen Gebieten lässt sich das<br />

Pro-Kopf-Einkommen nicht in hoher Auflösung in der Karte darstellen.<br />

Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />

am langsamsten wachsenden Regionen im Nordwesten, <strong>die</strong> weitab<br />

von der Küste liegen, wo der Handel boomt. Daraus folgt, dass<br />

sich der größte Teil des Volkseinkommens auf <strong>die</strong> Metropolen<br />

und <strong>die</strong> Küstenregionen konzentriert. Karte 1 zeigt <strong>die</strong> Verteilung<br />

der Höhe des Bruttoinlandsprodukts auf <strong>die</strong> verschiedenen Verwaltungseinheiten<br />

im Jahr 2000. Die Küstenregionen mit ihren<br />

großen Häfen und Hafenstädten verdanken ihren Wohlstand vor<br />

allem dem Export.<br />

Im Jahr 1999 standen <strong>die</strong> drei reichsten Metropolen Chinas<br />

– Shanghai, Peking und Tianjin – beim Index für <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung (HDI) an der Spitze der Rangfolge. Diejenigen, <strong>die</strong><br />

am unteren Ende standen, waren allesamt westliche Provinzen.<br />

Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> Ungleichverteilung in den ärmsten Provinzen<br />

am höchsten ist. Tibet hatte <strong>die</strong> niedrigsten Werte beim<br />

Erwerb von Schulbildung und bei der Lebenserwartung. In den<br />

Bereichen Einkommen, Bildung und Gesundheit werden nur einige<br />

Teile Chinas <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreichen.<br />

Riesige Teile des Hinterlandes und insbesondere <strong>die</strong> westlichen<br />

Provinzen bleiben dahinter zurück.<br />

Brasilien: Bleibt der Norden auf der Strecke?<br />

Brasilien blickt auf ein langes Erbe starker Ungleichverteilung<br />

zurück. Das Einkommen der reichsten zehn Prozent der Haushalte<br />

ist 70-mal so hoch wie das der ärmsten zehn Prozent. Im Laufe<br />

der vergangenen zehn Jahre stieg bei der Analphabetenquote <strong>die</strong><br />

Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Bundesstaaten<br />

(siehe Tabelle 1). Zwar begann <strong>die</strong> Armut Anfang der 1990er Jahre<br />

abzunehmen, doch geschah <strong>die</strong>s ungleichmäßig. Die Armutsquote<br />

sinkt nicht schnell genug, als dass Brasilien das erste Millenniums-Entwicklungsziel<br />

erreichen könnte. Beim gegenwärtigen<br />

Fortschrittstempo ist der Süden <strong>die</strong> einzige Region, von der<br />

erwartet werden kann, dass sie bis zum Jahr 2015 <strong>die</strong> Armut halbiert<br />

haben wird. Doch auch <strong>die</strong> ärmste Region, der Nordosten,<br />

hat <strong>die</strong> Armut drastisch reduziert, ebenso wie <strong>die</strong> Zentralregion<br />

und <strong>die</strong> südöstlichen Regionen.<br />

Der Norden ist <strong>die</strong> einzige Region, in der <strong>die</strong> Armut zugenommen<br />

hat. Sie stieg von 36 Prozent im Jahr 1990 auf 44 Prozent<br />

im Jahr 2001. (Die Daten für den Norden sind auf <strong>die</strong> städtischen<br />

Regionen beschränkt.) Warum bleiben so viele Menschen auf der<br />

Strecke, wenn das allgemeine Wachstum gut ausfällt? Schuld daran<br />

ist nicht ein durchschnittlicher Mangel an Ressourcen, sondern<br />

<strong>die</strong> anhaltend hohe Ungleichverteilung (Mendonça <strong>2003</strong>). Im<br />

Norden nimmt nicht nur <strong>die</strong> Armut zu, <strong>die</strong> Region hinkt auch<br />

beim HDI hinterher, im Gegensatz zu den Städten im reichen Süden<br />

(São Paulo, Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul), und im<br />

Gegensatz zum Nordosten, der sich beim HDI bedeutend verbessert<br />

hat. Die politische Konsequenz ist, dass mehr Ressourcen in<br />

<strong>die</strong> bedürftigsten Regionen gelenkt werden sollten – in den Norden,<br />

aufgrund seiner ungünstigen Trends, und in den Nordosten,<br />

aufgrund seines noch immer niedrigen Niveaus <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />

TABELLE 1<br />

Analphabetenquoten in Brasilien nach<br />

Region, bei <strong>über</strong> 15-jährigen, 1990-2001<br />

Prozent<br />

Region 1990 2001 Veränderung<br />

Brasilien 18,7 12,4 –6,4<br />

Norden 12,4 11,2 –1,2<br />

Nordosten 36,4 24,3 –12,2<br />

Zentralbrasilien/<br />

Osten 16,9 10,2 –6,7<br />

Südosten 11,4 7,5 –3,9<br />

Süden 11,7 7,1 –4,6<br />

Quelle: Mendonça <strong>2003</strong>.<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 75


Mexiko: Entwicklung, <strong>die</strong> den Süden ausschließt<br />

Seit Anfang der 1990er Jahre kann das wirtschaftliche, soziale und<br />

politische Abschneiden Mexikos bestenfalls als gemischt bezeichnet<br />

werden. Die Erholung von der Schuldenkrise der 1980er Jahre<br />

erlitt durch <strong>die</strong> Finanzkrise 1994–95 einen Rückschlag. Insgesamt<br />

ist Mexiko jedoch auf dem Weg, <strong>die</strong> meisten der Ziele zu erreichen.<br />

Die Armutsquote fiel im Jahr 2000 geringer aus als 1992.<br />

Sie sank von 15 auf 13 Prozent (obwohl sie im Jahr 1995 sprunghaft<br />

auf 18 Prozent gestiegen war). Die ärmsten Regionen sind der<br />

Süden und der Südosten. Auch das Vermögensgefälle verschlechterte<br />

sich in der 1990er Jahren. Am Ende des Jahrzehnts betrug<br />

das Einkommen der zehn Prozent besten Ver<strong>die</strong>ner das 35-fache<br />

des Einkommens der ärmsten zehn Prozent, verglichen mit dem<br />

33-fachen im Jahr 1992. Doch bei anderen Entwicklungsindikatoren<br />

– hauptsächlich in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und<br />

Bildung – gab es in den 1990er Jahren Verbesserungen.<br />

Die Ungleichverteilung spaltet <strong>die</strong> mexikanische Gesellschaft<br />

entlang ethnischer und sozialer Trennlinien. Dabei ist <strong>die</strong><br />

deutlichste Kluft jene, <strong>die</strong> den Süden vom Norden trennt, wobei<br />

der Süden in Bezug auf fast alle Millenniums-Entwicklungsziele<br />

hinterher hinkt. Die südlichen Bundesstaaten haben eine<br />

hauptsächlich indigene Bevölkerung, es sind ländliche Regionen,<br />

ihre Wirtschaft ist weitgehend durch <strong>die</strong> Landwirtschaft geprägt,<br />

es fehlt an Infrastruktur. Aufgrund des schlechten Abschneidens<br />

des Südens und der Fortschritte im Norden besteht <strong>die</strong> historische<br />

Spaltung auch seit der Öffnung Mexikos für den internationalen<br />

Handel in den 1990er Jahren fort. Der Norden und der<br />

Nordwesten haben tendenziell davon profitiert, während der Süden<br />

aufgrund seiner Entfernung zur Grenze mit den USA von der<br />

wirtschaftlichen Integration mit Kanada und den Vereinigten<br />

Staaten bislang ausgeschlossen war.<br />

Im südlichen Bundesstaat Chiapas leben <strong>über</strong> 30 Prozent der<br />

Bevölkerung in extremer Armut. Häufig kommt es – wie auch anderswo<br />

im Süden – zu Gewalt. Außerdem sind viele der Menschen<br />

im Süden Analphabeten (siehe Karte 2). Dieses Muster<br />

spiegelt auch <strong>die</strong> Kluft zwischen Männern und Frauen bei den<br />

Analphabetenquoten wider. In den am wenigsten alphabetisierten<br />

Bundesstaaten des Südens ist <strong>die</strong>se Kluft sehr viel tiefer.<br />

Die Philippinen: Integration ethnischer Minderheiten<br />

Die Philippinen sind wirtschaftlich und gesellschaftlich stark gespalten.<br />

Die schwierige Topographie und das ungünstige Klima<br />

machen den Südosten anfälliger für Naturkatastrophen als <strong>die</strong><br />

milderen zentralen und nordwestlichen Bundesstaaten (einschließlich<br />

des Großraums Manila).<br />

Zu einigen Regionen gibt es eine starke Konzentration von<br />

Bevölkerungsminderheiten: Moro-Sezessionisten in der Autonomen<br />

Region Muslimisches Mindanao (ARMM) im Südwesten,<br />

Zentral-Mindanao im Süden und <strong>die</strong> von indigenen Bevölkerungsgruppen<br />

dominierte Verwaltungsregion Cordillera im Norden.<br />

Im Verhältnis zum nationalen Durchschnitt hinken bei vielen<br />

sozioökonomischen Indikatoren große Gebiete in <strong>die</strong>sen Regionen<br />

hinterher. Die ostasiatische Finanzkrise 1997, verbunden mit<br />

dem Wetterphänomen El Niño im Jahr darauf, trug dazu bei, dass<br />

<strong>die</strong> Armutsquote im Jahr 2000 wieder auf 28 Prozent anstieg. Dieser<br />

Trend verlief nicht einheitlich. Die Armut nahm in den Bergregionen<br />

im Zentrum der Insel Luzon im Norden des Landes zu,<br />

und im Süden in den westlichen Regionen von Mindanao.<br />

Es gibt anhaltend große regionale Disparitäten bei der Einkommensarmut,<br />

von niedrigen 12 Prozent in der Region Manila<br />

bis zu 74 Prozent in der Autonomen Region Muslimisches Mindanao.<br />

Diese Disparitäten zeigen sich auch in der Ungleichverteilung<br />

beim HDI. Sie spiegeln <strong>die</strong> ethnische Verteilung der Bevölkerung<br />

ziemlich genau wider, wobei <strong>die</strong> Gebiete ethnischer Minderheiten<br />

am schlechtesten abschneiden (siehe Karte 3). Ein ähnlich<br />

heterogenes Abschneiden zeigt sich, wenn man andere Indikatoren<br />

betrachtet, zum Beispiel <strong>die</strong> Kindersterblichkeitsraten,<br />

bei denen <strong>die</strong> geringsten Verbesserungen wieder in der Region<br />

Mindanao zu verzeichnen waren.<br />

KARTE 2<br />

Alphabetenquote bei Erwachsenen in Mexiko, 2000<br />

Anteil der Bevölkerung im<br />

Alter von <strong>über</strong> 15 Jahren, <strong>die</strong><br />

lesen und schreiben kann nach<br />

Stadtbzirk (in Prozent)<br />

25,0–79,0<br />

79,1–92,3<br />

92,4–98,9<br />

Keine Angaben<br />

KARTE 3<br />

Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den<br />

Phillipinen, 1994<br />

HDI<br />

Manila<br />

0,372–0,560<br />

0,561–0,657<br />

0,658–0,925<br />

Keine Angaben<br />

Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />

Mexico City<br />

Quelle: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />

76 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


In<strong>die</strong>n: Allgemeine, doch in einigen Regionen langsamere<br />

Fortschritte<br />

In<strong>die</strong>n, wo ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt, hat in den meisten<br />

Bereichen großartige Fortschritte erzielt. Die Armut ist drastisch<br />

reduziert worden und im Bildungsbereich hat es sowohl für<br />

Jungen als auch für Mädchen Verbesserungen gegeben. Bei der<br />

Alphabetisierung wurden <strong>die</strong> Kluft zwischen den Geschlechtern<br />

enorm vermindert, insbesondere im armen zentralindischen Bundesstaat<br />

Madhya Pradesh und in gewissem Grad auch in Rajasthan,<br />

Uttar Pradesh und Bihar.<br />

Dennoch scheinen einige Gegenden von <strong>die</strong>sen Trends ausgeschlossen<br />

zu sein, insbesondere entlang der Grenzen zu Pakistan<br />

und Nepal. Außerdem ist bei der Alphabetisierung <strong>die</strong> Kluft<br />

zwischen den unteren sozialen Klassen und dem Rest der Bevölkerung<br />

nach wie vor extrem hoch, insbesondere in den ärmsten<br />

Bundesstaaten Rajasthan, Uttar Pradesh und Bihar sowie in<br />

Karnataka. Shariff und Sudarshan (1996) fanden heraus, das der<br />

Anteil der weiblichen Personen, <strong>die</strong> lesen und schreiben können,<br />

bei Angehörigen der nach der indischen Verfassung gelisteten<br />

Volksstämme („scheduled tribes“) in Rajasthan bei nur sieben<br />

Prozent und in Madhya Pradesh bei neun Prozent liegt.<br />

Auch im Gesundheitsbereich gibt es Anlass zu großer Sorge.<br />

Hauptsächlich aufgrund der weit verbreiteten Unterernährung<br />

und schlechten Infrastruktur sind <strong>die</strong> Sterblichkeitsraten in den<br />

ärmsten, ländlich geprägten Bundesstaaten mit einem hohen Anteil<br />

der nach der indischen Verfassung gelisteten Kasten („scheduled<br />

castes“) anhaltend hoch, insbesondere bei Müttern und<br />

Kindern (Bajpay <strong>2003</strong>). Zwischen 1992/93 und 1997/98 ist <strong>die</strong><br />

Säuglings- und Kindersterblichkeit in allen Bundesstaaten außer<br />

Madhya Pradesh und Rajasthan gesunken. Außerdem ist in den<br />

ländlichen Gegenden <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeit bedeutend<br />

höher, insbesondere in Maharashtra und Andhra Pradesh (siehe<br />

Tabelle 2). Hohe Immunisierungsquoten sind nach wie vor fast<br />

ausschließlich ein Merkmal südlicher und südwestlicher Bundesstaaten.<br />

In zahlreichen Regionen, insbesondere im Norden und<br />

Nordosten, wurden im Jahr 1999 weniger als ein Drittel der Kinder<br />

immunisiert.<br />

Guatemala: Fortschritte bei der Gleichstellung<br />

der Geschlechter und bei ethnischen Spaltungen<br />

Seit 1990 ist Guatemala in Richtung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

nur langsam und ungleichmäßig vorangekommen. Zu<br />

den Katastrophen der vergangenen Jahre gehörten schlimme<br />

Trockenheiten und <strong>die</strong> niedrigeren Weltmarktpreise für Kaffee,<br />

das Hauptexportprodukt des Landes. Zwar gab es in den 1990er<br />

Jahren für viele Bevölkerungsgruppen und Regionen Verbesserungen<br />

bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung, doch waren im Norden<br />

und Nordwesten <strong>die</strong> Ergebnisse enttäuschend. In <strong>die</strong>sen Regionen,<br />

wo <strong>die</strong> meisten indigenen Guatemalteken leben, war im<br />

Jahr 2000 das Ausmaß der extremen Armut am höchsten. Es<br />

scheint einige Überlappungen bei der Diskriminierung zu geben,<br />

mit der <strong>die</strong> indigenen ethnischen Minderheiten und mit der Frauen<br />

konfrontiert sind. Karte 4 zeigt zum Beispiel, dass <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />

im Norden und Nordwesten am höchsten ist, was<br />

auf schwach ausgebildete Gesundheitssysteme in ländlichen Gebieten<br />

hindeutet, wo vor allem ethnische Minderheiten und Frauen<br />

leben.<br />

Die Alphabetenquoten verdeutlichen einen weiteren Aspekt<br />

des Problems. Die Frauen im Nordwesten waren <strong>die</strong> einzige<br />

Gruppe, bei der <strong>die</strong> Alphabetenquote sich nicht verbesserte. Geschlechtsspezifische<br />

und Rassendiskriminierung tritt in den gleichen<br />

Regionen auf, und betrifft vermutlich <strong>die</strong> selben Menschen:<br />

indigene Frauen. Diese Trends werden durch anhaltende Ungleichverteilungen<br />

– insbesondere durch <strong>die</strong> Konzentration von<br />

Grund und Boden – noch verstärkt, <strong>die</strong> alle Guatemalas Entwicklung<br />

beeinträchtigen könnten. Nach einer aktuellen Stu<strong>die</strong><br />

stieg <strong>die</strong> Konzentration von Grund und Boden zwischen 1979<br />

und 2000 und behinderte <strong>die</strong> Diversifizierung und bessere Verteilung<br />

von Eigentum und Risiken (Fuentes, Balsells und Arriola<br />

<strong>2003</strong>).<br />

TABELLE 2<br />

Säuglings- und Kindersterblickeit in<br />

In<strong>die</strong>n nach Bundesstaaten, 1990er Jahre<br />

Säuglingssterblichkeitsfaktor<br />

(auf 1.000 Verhältnis<br />

Lebendgeburten) Land/Stadt<br />

Bundesstaat 1992/93 1997/98 1995<br />

Andhra Pradesh 70,4 65,0 1,72<br />

Bihar 89,2 73,0 1,30<br />

Gujarat 73,5 62,2 1,45<br />

Karnataka 65,4 51,5 1,60<br />

Kerala 23,8 16,3 1,23<br />

Madhya Pradesh 85,2 86,1 1,70<br />

Maharashtra 50,5 43,7 1,94<br />

Orissa 112,1 82,0 1,65<br />

Rajasthan 76,3 80,4 1,45<br />

Tamil Nadu 67,7 48,2 1,56<br />

Uttar Pradesh 99,9 86,7 1,35<br />

Quelle: International Institute of Population Sciences 2000.<br />

Doch während <strong>die</strong> Situation absolut gesehen besorgniserregend<br />

ist, so gab es doch in den 1990er Jahren bei den indigenen<br />

Haushalten <strong>die</strong> größte prozentuale Verringerung der extremen<br />

Armut, von 32 Prozent auf 26 Prozent. Auch bei den Haushalten<br />

mit weiblichen Familienvorstand sank <strong>die</strong> Einkommensarmut<br />

schnell. Während <strong>die</strong> Einkommensfortschritte, <strong>die</strong> bei vielen der<br />

für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele relevanten Indikatoren<br />

verzeichnet wurden, zufriedenstellend waren, hat (hauptsächlich<br />

aufgrund von Trockenheiten) <strong>die</strong> Unterernährung im Nordwesten<br />

und insbesondere im Norden zugenommen. Die ländliche<br />

indigene Bevölkerung war davon besonders stark betroffen, was<br />

wohl auch ein Hinweis auf Defizite bei der Infrastruktur ist.<br />

Mali: Frauen bleiben auf der Strecke<br />

Mali hat bei vielen Indikatoren der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

wichtige Fortschritte gemacht. Trotz einiger Unbeständigkeiten<br />

gab es 1992–99 in allen Regionen Verbesserungen bei der<br />

Gesamt<strong>entwicklung</strong>. Dennoch sind in vielen wichtigen Entwicklungsbereichen<br />

noch immer zu viele Frauen <strong>die</strong> Leidtragenden.<br />

Im Bildungsbereich können 40 von 100 Männern lesen und<br />

schreiben – aber nur 33 von 100 Frauen. Die ländlichen Regionen<br />

des Nordens sind ein Beispiel für das nationale Gesamtbild, ins-<br />

KARTE 4<br />

Müttersterblichkeit in Guatemala, 1997<br />

Todesfälle pro 100.000<br />

Lebendgeburten<br />

0–41,2<br />

41,3–113,5<br />

113,6–267,2<br />

Guatemala Stadt<br />

Source: CIESIN <strong>2003</strong>.<br />

DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE 77


esondere als ein Ergebnis der kulturell bedingten Einstellungen<br />

gegen<strong>über</strong> Frauen in ländlichen Gegenden.<br />

Auch sind Frauen <strong>über</strong>proportional von HIV/AIDS betroffen.<br />

Im Jahr 1992 lag <strong>die</strong> Infektionsrate bei ca. drei Prozent.<br />

Weibliche Sex-Arbeiterinnen haben <strong>die</strong> höchsten Infektionsraten<br />

(Backiny-Yetna, Raffinot, und Coulibaly <strong>2003</strong>). Die Krankheit<br />

hat zu der hohen Müttersterblichkeit von rund 580 Todesfällen<br />

pro 100.000 Lebendgeburten beigetragen, <strong>die</strong> in den vergangenen<br />

fünf Jahren fast unverändert geblieben ist.<br />

Burkina Faso: Trockenheit und Krankheiten ausgesetzt<br />

Burkina Faso ist nach dem Index für <strong>menschliche</strong> Armut (HPI)<br />

und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf eines der ärmsten<br />

Länder der Welt. Das Land weist deutliche Entwicklungsunterschiede<br />

zwischen den östlichen und den westlichen Regionen auf.<br />

Der Osten hat ein trockenes Klima, was <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />

schwierig macht. Der Westen ist feuchter, was ein Klima schafft,<br />

dass für <strong>die</strong> Baumwollproduktion geeignet ist. Außerdem ist <strong>die</strong><br />

Armutsquote in ländlichen Gebieten fünfmal höher. Sie lag in<br />

den ländlichen Gebieten in den Jahren 1994 und 1998 bei 50 Prozent.<br />

Zwischen 1993 und 1999 nahm <strong>die</strong> Unterernährung in allen<br />

Provinzen zu. Es kam zu einem Anstieg der Wachstumsstörungen<br />

in Folge chronischer Mangelernährung, von 29 Prozent in<br />

Jahr 1993 auf 37 Prozent im Jahr 1999, wobei vor allem <strong>die</strong> ländlichen<br />

Regionen <strong>die</strong>sen Trend maßgeblich beeinflussen. In der<br />

Hauptstadt Ouagadougou wird der Anteil der Kinder, <strong>die</strong> an Unterernährung<br />

leiden, auf ein Fünftel geschätzt. In den restlichen<br />

Landesteilen ist es ein Drittel der Kinder. Bei der ländlichen Bevölkerung<br />

haben sich <strong>die</strong> Einschulungsquoten im Primarschulbereich<br />

kaum verbessert. Im Jahr 1994 lag <strong>die</strong> Einschulungsquote<br />

bei Mädchen auf dem Lande bei 22 Prozent, im Vergleich zu 69<br />

Prozent bei Mädchen in den Städten. Vier Jahre später waren <strong>die</strong>se<br />

Zahlen auf 24 Prozent und 99 Prozent gestiegen, was darauf<br />

hindeutet, dass in den ländlichen Regionen extrem langsame<br />

Fortschritte gemacht werden.<br />

Russische Föderation: Entwicklungskrisen und<br />

Geschlechtergefälle<br />

Die Russische Föderation hat seit ihrem Übergang zur Marktwirtschaft<br />

eine starke Transformation durchgemacht. Hinzu<br />

kam, dass in den 1990er Jahren zwei große Problemfelder <strong>die</strong><br />

Entwicklungsindikatoren unterminierten. Das erste war<br />

HIV/AIDS; <strong>die</strong> Anzahl der Menschen, <strong>die</strong> HIV-positiv waren,<br />

lag im Jahr 2001 bei 178.000 (Zubarevich <strong>2003</strong>). Die Krankheit<br />

betrifft hauptsächlich Menschen im Alter zwischen 15 und 29 sowie<br />

städtische Einwohner (Moskau. St. Petersburg, Swerdlowsk<br />

Oblast).<br />

Das zweite enorme Problem war <strong>die</strong> Zunahme der Armut<br />

und der Ungleichverteilung zwischen den Regionen und innerhalb<br />

einzelner Regionen. Im Jahr 2000 waren Moskau, Tatarstan<br />

und der Öl und Erdgas fördernde Tjumen Oblast <strong>die</strong> einzigen<br />

Regionen, deren HDI-Niveau mit dem der reicheren Länder, wie<br />

der Tschechischen Republik, Ungarn und Slowenien, vergleichbar<br />

war. Am anderen Ende des Spektrums lagen <strong>die</strong> Verwaltungsbezirke<br />

Sibirien und Fernost, deren HDI-Niveau mit dem<br />

von Gabun oder Nicaragua vergleichbar ist (siehe Karte 5).<br />

Diese Kluft zwischen den Regionen spiegelt sich in den Unterschieden<br />

innerhalb einzelner Regionen wider. Die drei reichsten<br />

Regionen sind auch <strong>die</strong>jenigen, in denen Vermögen und Armut<br />

am deutlichsten polarisiert sind. Die Armut in Russland ist<br />

sowohl in städtischen als auch in ländlichen Regionen angestiegen,<br />

insbesondere zwischen 1997 und 1999. Sie erreichte mit 57<br />

Prozent in den ländlichen Gebieten, im Vergleich zu 47 Prozent<br />

in den städtischen Gebieten, ihren Höhepunkt. Die Armut betrifft<br />

<strong>die</strong> einzelnen Regionen in unterschiedlicher Weise: Insbesondere<br />

<strong>die</strong> wirtschaftliche Instabilität (wie zum Beispiel <strong>die</strong> finanzielle<br />

Krise Ende der 1990er Jahre) scheint <strong>die</strong> regionalen<br />

Disparitäten beim Lebensstandard verschärft zu haben, wobei<br />

<strong>die</strong> weniger entwickelten Regionen schneller ärmer werden (Zubarevich<br />

<strong>2003</strong>).<br />

Die zunehmende Armut hat ältere Frauen und Haushalte<br />

mit weiblichem Familienvorstand besonders hart getroffen, was<br />

eine besorgniserregende „Feminisierung“ der Armut in Russland<br />

veranschaulicht. Eine treibende Kraft hinter <strong>die</strong>sem Trends ist<br />

<strong>die</strong> Unsicherheit der Arbeitsplätze, und noch mehr <strong>die</strong> Diskriminierung<br />

von Frauen bei den Löhnen. Anfang 1999 lag das Lohnverhältnis<br />

von Frauen zu Männern bei 56 Prozent. Am Ende des<br />

Jahres war es auf 52 Prozent gesunken, und Mitte 2000 auf 50<br />

Prozent (Zubarevich <strong>2003</strong>). Einer anderen Stu<strong>die</strong> zufolge sank<br />

das Verhältnis von 70 Prozent im Jahr 1998 auf 63 Prozent im<br />

Jahr 2000. Außerdem waren in der Übergangszeit Frauen in der<br />

Politik nur sehr schwach vertreten. Die geschlechtsspezifische<br />

Kluft in Bildungsbereich ist jedoch nach wie vor niedrig, etwa auf<br />

dem gleichen Niveau, wie vor dem Systemwechsel.<br />

KARTE 5<br />

Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung in den Regionen der Russischen Förderation, 2000<br />

Moskau<br />

78 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

HDI<br />

,800–,900<br />

,750–,800<br />

,700–,750<br />

,600–,700<br />

Quelle: : Büro für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von verschiedenen nationalen Berichten <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

(NHDRs) und Mendonça <strong>2003</strong>; Bajpay <strong>2003</strong>; Baumeister 2002, zitiert in Fuentes, Balsells und Arriola <strong>2003</strong>; Backiny-Yetna, Coulibaly und Raffinot <strong>2003</strong>a, b;<br />

Zubarevich <strong>2003</strong>.<br />

Quelle: Zubarevich <strong>2003</strong>.


KAPITEL 3<br />

Strukturbedingte Wachstumshindernisse<br />

<strong>über</strong>winden, um <strong>die</strong> Ziele zu<br />

erreichen<br />

Die zentrale Botschaft des Millenniums-Entwicklungspakts<br />

– und <strong>die</strong>ses Kapitels – ist,<br />

dass viele der ärmsten Länder und Regionen<br />

auf der Welt mit strukturbedingten Hindernissen<br />

konfrontiert sind, <strong>die</strong> es wesentlich erschwert<br />

haben, dauerhaftes wirtschaftliches<br />

Wachstum zu erzielen. Es ist daher kein Zufall,<br />

dass sie <strong>die</strong> ärmsten sind.<br />

Dauerhaftes Wachstum erfordert, dass<br />

Länder zuerst in einer Reihe von Bereichen<br />

Mindeststandards erreichen: solides Regierungs-<br />

und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen,<br />

grundlegende Gesundheitsversorgung<br />

und Grundschulbildung, Kerninfrastruktur,<br />

Zugang zu Auslandsmärkten. Wenn<br />

ein Land auf Grund von Strukturbedingungen<br />

wie einer grassierenden Krankheit oder eines<br />

abgelegenen Standortes in großer Entfernung<br />

von den Weltmärkten oder besonders<br />

fragiler Böden und geringer Nahrungsmittelproduktion<br />

oder großer Anfälligkeit für Naturkatastrophen<br />

einen oder mehrere <strong>die</strong>ser<br />

Standards nicht erreicht, besteht <strong>die</strong> Gefahr,<br />

dass es in eine Armutsfalle gerät. Dies macht<br />

dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum unwahrscheinlich.<br />

Weil <strong>die</strong>se Länder hohe Hürden<br />

<strong>über</strong>winden müssen und begrenzte Ressourcen<br />

haben, können sie <strong>die</strong> Mindeststandards<br />

für Wachstum nicht aus eigener Kraft<br />

erreichen, sondern benötigen externe Unterstützung.<br />

Selbst in Ländern, <strong>die</strong> im Großen und<br />

Ganzen erfolgreich sind, können strukturbedingte<br />

Hindernisse zu „Inseln“ verfestigter<br />

Armut beitragen. Die Regionen im abgelegenen<br />

Landesinneren Chinas beispielsweise sind<br />

mit wesentlich größeren Entfernungen zu Häfen,<br />

wesentlich schlechterer Infrastruktur und<br />

wesentlich härteren biophysikalischen Bedingungen<br />

konfrontiert als <strong>die</strong> Küstenregionen<br />

des Landes, <strong>die</strong> das rascheste langanhaltende<br />

wirtschaftliche Wachstum in der Geschichte<br />

der Menschheit aufweisen. Um in so stark bevölkerten<br />

Ländern wie China, Brasilien und<br />

In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Armut wirksam bekämpfen zu können,<br />

muss man sich darauf konzentrieren, Ressourcen<br />

im Inland für <strong>die</strong> Verringerung von<br />

Armut und Ungleichheit bereitzustellen. Diese<br />

Aufgabe unterscheidet sich jedoch stark<br />

von der in Ländern mit höchster Priorität, <strong>die</strong><br />

gewöhnlich in einer Armutsfalle stecken. Dort<br />

kann mit den inländischen Ressourcen der Bedarf<br />

der Durchschnittsbürger, geschweige<br />

denn der der Ärmsten, nicht gedeckt werden.<br />

Dieser Ressourcenmangel ist auf unzureichendes<br />

wirtschaftliches Wachstum zurückzuführen<br />

(Kasten 3.1).<br />

Um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

(MEZ) erreichen zu können, ist wirtschaftliches<br />

Wachstum aus zwei Gründen erforderlich:<br />

Erstens ist wirtschaftliches Wachstum ein<br />

direktes Mittel zur Verringerung der Einkommensarmut<br />

vieler Haushalte. Diese werden so<br />

KASTEN 3.1<br />

Zur Halbierung der Einkommensarmut ist Wachstum erforderlich<br />

Wirtschaftliches Wachstum ist wichtig,<br />

um alle Millenniums-Entwicklungsziele zu<br />

erreichen. Es wird jedoch am dringendsten<br />

für <strong>die</strong> erste Zielvorgabe benötigt, wonach<br />

zwischen 1990 und 2015 eine Halbierung<br />

des Anteils armer Menschen herbeigeführt<br />

werden soll. In vielen Untersuchungen<br />

wurde eine „Einkommenselastizität<br />

der Armut“ berechnet, d.h. der prozentuelle<br />

Rückgang des Anteils der Armen<br />

pro 1 Prozent Anstieg des Pro-Kopf-<br />

Einkommens. Eine gängige Schätzung in<br />

der umfangreichen ökonometrischen<br />

Fachliteratur ist, dass bei konstanter Einkommensverteilung<br />

und einer Elastizität<br />

von 2 <strong>die</strong> Armutsquote pro 1 Prozent Anstieg<br />

des durchschnittlichen Pro-Kopf-<br />

Einkommens um 2 Prozent sinkt (Bruno,<br />

Ravallion und Squire 1998; siehe auch<br />

Adams 2002).<br />

Aus <strong>die</strong>ser Elastizitätsschätzung folgt,<br />

dass für <strong>die</strong> Halbierung der Zahl der Armen<br />

ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens<br />

von 41 Prozent erforderlich ist.<br />

Wenn <strong>die</strong>se 41 Prozent <strong>über</strong> 25 Jahre<br />

(1990 bis 2015) verteilt werden, wird ein<br />

jährliches Wachstum von 1,4 Prozent<br />

benötigt. Wenn ein Land <strong>die</strong> kompletten<br />

41 Prozent zwischen <strong>2003</strong> und 2015 bewerkstelligen<br />

muss, ist eine wesentliche<br />

höhere jährliche Rate (2,9 Prozent) notwendig.<br />

Doch selbst <strong>die</strong> höhere Rate liegt<br />

für ein Land mit niedrigem Einkommen<br />

durchaus im Bereich des Möglichen –<br />

wenn <strong>die</strong> Wachstumsvoraussetzungen erfüllt<br />

sind und <strong>die</strong> richtigen politischen<br />

Maßnahmen für Wachstum ergriffen werden.<br />

Quelle: Bruno, Ravallion und Squire 1996; Adams 2002.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 79


GRAFIK 3.1<br />

Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut, 1990er Jahre<br />

Armutsrate, Vorjahresstand (Anteil der Bevölkerung mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag, KKP,<br />

logarithmische Skala)<br />

100<br />

50<br />

10<br />

5<br />

1<br />

Niger<br />

Sambia<br />

Uganda<br />

Bangladesch<br />

Tansania<br />

Mauretannien<br />

500 1.000<br />

5.000 10.000<br />

Pro-Kopf-BIP, Vorjahresstand, KKP US-Dollar (logarithmische Skala)<br />

Quelle: World Bank 2002j und Maddison 2001.<br />

Tadschikistan<br />

Nicaragua<br />

Nigeria<br />

Simbabwe<br />

in <strong>die</strong> Lage versetzt, mehr zu sparen und Ressourcen<br />

für Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung zu verwenden. Ohne wirtschaftliches<br />

Wachstum kann ein Land nicht erwarten,<br />

den Anteil der Menschen zu halbieren,<br />

<strong>die</strong> unterhalb der einkommensbezogenen Armutsgrenze<br />

leben. Dies ist das erste Millenniums-Entwicklungsziel.<br />

Zweitens bedeutet<br />

wirtschaftliches Wachstum gewöhnlich höhere<br />

Staatseinnahmen. Weil <strong>die</strong> meisten Investitionen<br />

in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung – zu<br />

Gunsten von Gesundheit, Ernährung, Bildung,<br />

grundlegender Infrastruktur – aus dem<br />

öffentlichen Sektor kommen, ist eine Verbesserung<br />

der Staatsfinanzen eine wichtige Voraussetzung,<br />

um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu können.<br />

Natürlich ist wirtschaftliches Wachstum<br />

eine notwendige, aber kaum ausreichende Bedingung<br />

für solche Erhöhungen der öffentlichen<br />

Ausgaben zu Gunsten der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung. Manche Regierungen unterlassen<br />

<strong>die</strong>se Investitionen oder diskriminieren<br />

dabei Untergruppen der Bevölkerung. Mit einem<br />

solchen Verhalten schwächen sie <strong>die</strong> potenziellen<br />

Vorteile wirtschaftlichen Gesamtwachstums<br />

auf dem Weg zum Erreichen der<br />

MEZ. Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Ent-<br />

wicklung wurde in der Vergangenheit der Begriff<br />

„rücksichtsloses Wachstum“ verwendet,<br />

um wirtschaftliches Wachstum zu beschreiben,<br />

das <strong>die</strong> Armen nicht erreicht, weil entweder<br />

der größte Teil der Einkommenszuwächse<br />

an reichere Haushalte geht oder dort bleibt<br />

oder weil das politische System <strong>die</strong> zusätzlichen<br />

Staatseinnahmen nicht in den Bedarf der<br />

Armen an <strong>menschliche</strong>r Entwicklung investiert.<br />

Und ohne dauerhafte Verbesserungen<br />

von Bildung und Gesundheit kann das wirtschaftliche<br />

Wachstum auf Dauer nicht aufrechterhalten<br />

werden (siehe HDR 1996).<br />

In Ländern mit höheren Einkommen lebt<br />

ein geringerer Bevölkerungsanteil unterhalb<br />

der Armutsgrenze. Dies lässt darauf<br />

schließen, dass zur Verringerung der Armutsrate<br />

ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erforderlich<br />

ist. Aber <strong>die</strong> negative Beziehung zwischen<br />

der Einkommensarmut und der Einkommenshöhe<br />

ist zwar klar, erklärt jedoch<br />

bei weitem nicht alle Facetten. Länder mit<br />

ähnlicher Einkommenshöhe können sehr unterschiedliche<br />

Armutsraten haben: Obwohl<br />

Bangladesch und Sambia sehr ähnliche Pro-<br />

Kopf-Einkommen aufweisen, gibt es in Bangladesch<br />

sehr viel weniger Armut (Grafik 3.1).<br />

80 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong><br />

Senegal<br />

Vietnam<br />

In<strong>die</strong>n Namibia<br />

Pakistan<br />

Jemen<br />

Philippinen<br />

China<br />

Peru<br />

Indonesien<br />

Sri Lanka<br />

Rumänien<br />

Venezuela<br />

Brasilien Trinidad<br />

und Tobago<br />

Mexiko<br />

Costa Rica<br />

Bulgarien


GRAFIK 3.2<br />

Menschliche Entwicklung und Einkommen<br />

HDI*<br />

1.00<br />

,900<br />

,800<br />

,700<br />

,600<br />

,500<br />

,400<br />

,300<br />

,200<br />

Tansania<br />

Malawi<br />

Sierra Leone<br />

Nigeria<br />

Mali<br />

Kongo<br />

Niger<br />

Tadschikistan<br />

Vietnam<br />

Angola<br />

Georgien<br />

Indonesien China<br />

In<strong>die</strong>n<br />

Pakistan<br />

Simbabwe<br />

500 5.000<br />

Pro-Kopf-BIP (US-Dollar, KKP von 2001)<br />

50.000<br />

Anmerkung: Diese Grafik verwendet den <strong>Human</strong> Development Index (Index <strong>über</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung), indem sie <strong>die</strong> Bildungs- und<br />

Lebenserwartungskomponenten des HDI zusammenführt und das pro-Kopf-BIP dabei auslässt.<br />

Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

Das Pro-Kopf-Einkommen ist auch eng<br />

mit der nicht einkommensbezogenen Armut<br />

verknüpft. Manche Länder (beispielsweise<br />

Vietnam) verzeichnen für ihr Einkommensniveau<br />

einen recht guten Stand der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung, während andere Länder<br />

(beispielsweise Simbabwe) schlechter als<br />

solche mit einem ähnlichen Stand der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung abschneiden<br />

(Grafik 3.2).<br />

Die engen Verknüpfungen zwischen wirtschaftlichem<br />

Wachstum und der Verringerung<br />

der Armut beruhen also auf politischen<br />

Entscheidungen und strukturellen Faktoren.<br />

Mehrere Länder mit einem jährlichen wirtschaftlichen<br />

Wachstum von mehr als 4 Prozent<br />

seit 1990 haben bei einigen nicht einkommensbezogenen<br />

Armutsdimensionen keine<br />

großen Fortschritte erzielt (<strong>die</strong> Dominikanische<br />

Republik, Mosambik). 1 Wirtschaftliches<br />

Wachstum kann gewiss Ressourcen zur Verbesserung<br />

einer Vielzahl von Ergebnissen liefern.<br />

Die politischen Entscheidungsträger<br />

dürfen <strong>die</strong> staatlichen Maßnahmen und <strong>die</strong> Investitionen<br />

der öffentlichen Hand jedoch<br />

nicht nur am Wachstum ausrichten, sondern<br />

müssen sich auch auf nicht wirtschaftliche Er-<br />

Ägypten<br />

Kuba<br />

Swasiland<br />

Russ.<br />

Föd.<br />

Japan<br />

Frankreich Ver. Königreich<br />

Korea, Rep. USA<br />

Botsuana<br />

Ver. Arab. Emirate<br />

Equatorial Guinea<br />

gebnisse konzentrieren. Aus <strong>die</strong>sem Grund<br />

wird im Millenniums-Entwicklungspakt für<br />

den Einsatz staatlicher Maßnahmen zur Verringerung<br />

der diversen Dimensionen nicht<br />

einkommensbezogener Armut plä<strong>die</strong>rt.<br />

VONMENSCHLICHER ENTWICKLUNG<br />

ZU WIRTSCHAFTLICHEM WACHSTUM –<br />

UND ZURÜCK<br />

Gute Bildung und gute Gesundheit haben einen<br />

intrinsischen Wert für das Wohlergehen<br />

von Menschen. Die beiden Bereiche sind zudem<br />

eng miteinander verknüpft. Bildung hilft<br />

<strong>die</strong> Gesundheit verbessern, und gute Gesundheit<br />

trägt zu besserer Bildung bei. Außerdem<br />

trägt Grundschulbildung zu wirtschaftlichem<br />

Wachstum bei und steigert das Einkommen<br />

armer Menschen. Gesundheitliche Verbesserungen<br />

erzeugen auch beträchtliche wirtschaftliche<br />

Renditen. 2<br />

Dies lässt sich anhand des durchschnittlichen<br />

Wachstums des Pro-Kopf-Einkommens<br />

in einer größeren Gruppe von Entwicklungsländern<br />

für den Zeitraum zwischen 1965 und<br />

1995 veranschaulichen. Die Länder wurden<br />

nach ihrem Einkommen und der Säuglings-<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 81<br />

Südafrika<br />

Luxemburg


GRAFIK 3.3<br />

Von <strong>menschliche</strong>r Entwicklung zu Wachstum – und zurück<br />

Fähigkeiten<br />

Arbeiter und Bauern<br />

Unternehmer<br />

Manager<br />

Produktion, Forschung,<br />

Entwicklung und Technologie<br />

Quelle: UNDP 1996.<br />

Beschäftigung<br />

Verhältnis von Produktion<br />

und Export<br />

Ausländische<br />

Kapitalguthaben<br />

Physisches<br />

Kapital<br />

Gesundheit und<br />

Bildung<br />

Soziales Kapital, NRO und Bürgerorganistionen<br />

Institutionen und Regierungsführung<br />

Wirtschaftwachstum<br />

Inländische<br />

Guthaben<br />

Ausgaben<br />

für soziale<br />

Prioritäten<br />

Regierungspolitik<br />

und<br />

Staatsausgaben<br />

Haushaltsausgaben<br />

für<br />

Grundbedürfnisse<br />

Haushaltsaktivitäten und<br />

Privatausgaben einschließlich<br />

sozialer Reproduktion<br />

Verteilung von privaten und öffentlichen Mitteln<br />

Beschäftigung<br />

Soziale<br />

Reproduktion<br />

sterblichkeitsrate im Jahr 1965 gruppiert. (Die<br />

Säuglingssterblichkeitsrate ist ein allgemeiner<br />

Indikator für <strong>die</strong> Gesamtkrankheitsbürde.) In<br />

Ländern, beginnend mit Pro-Kopf-Einkommen<br />

unter 750 US-Dollar (konstante US-<br />

Dollar, umgerechnet auf <strong>die</strong> Kaufkraftparität<br />

- KKP von 1990) und einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

von mehr als 150 Todesfällen pro<br />

1.000 Lebendgeburten, wuchs das Einkommen<br />

jährlich um durchschnittlich 0,1 Prozent,<br />

während es in jenen mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

zwischen 100 und 150 um durchschnittlich<br />

1,0 Prozent und in solchen mit einer<br />

Säuglingssterblichkeitsrate unter 100 Todesfällen<br />

um durchschnittlich 3,7 Prozent<br />

wuchs. Von den Ländern mit anfänglichen<br />

Einkommen von 750 bis 1.500 US-Dollar<br />

wuchsen jene mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

von mehr als 150 jährlich um durch-<br />

schnittlich -0,7, jene zwischen 100 und 150 erzielten<br />

ein durchschnittliches jährliches<br />

Wachstum von 1,1 Prozent und jene unter 100<br />

ein durchschnittliches jährliches Wachstum<br />

von 3,4 Prozent. 3 Selbst nach Berücksichtigung<br />

des anfänglichen Einkommens waren<br />

Länder mit besseren Gesundheitsbedingungen<br />

danach systematisch erfolgreicher bei<br />

ihren Bemühungen, höheres Wachstum zu erreichen.<br />

Außerdem liefert wirtschaftliches<br />

Wachstum mehr Ressourcen für Investitionen<br />

in Bildung und Gesundheit. Es wurde bereits<br />

darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong>se Investitionen<br />

zu höherem Wachstum beitragen.<br />

Diese wechselseitige Verknüpfung zwischen<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung und wirtschaftlichem<br />

Wachstum verweist auf einen positiven<br />

Kreislauf, in dem gute <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung das wirtschaftliche Wachstum<br />

fördert und jenes wiederum <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung begünstigt (Grafik 3.3). Aber sie<br />

macht auch den Teufelskreis deutlich, in dem<br />

schlechte <strong>menschliche</strong> Entwicklung zu wirtschaftlichem<br />

Niedergang beiträgt, was wiederum<br />

zu einer weiteren Verschlechterung bei der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung führt. Viele Länder,<br />

insbesondere <strong>die</strong>jenigen mit höchster Priorität,<br />

werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

nur erreichen können, wenn sie aus dem<br />

Teufelskreis ausbrechen (oder aus der Armutsfalle,<br />

um ein eng verwandtes Konzept zu<br />

verwenden) und in einen positiven Kreislauf<br />

eintreten.<br />

Die Synergien zwischen den unterschiedlichen<br />

Aspekten der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

sind ebenfalls wichtig: Die Verbesserung von<br />

Gesundheit und Bildung erfordert entsprechende<br />

politische Maßnahmen in den Bereichen<br />

Schule, Familienplanung, Gesundheitsversorgung,<br />

Ernährung, Wasser- und Sanitärversorgung.<br />

Beispielsweise verbessert <strong>die</strong><br />

Bekämpfung von Durchfallerkrankungen und<br />

Masern nicht nur <strong>die</strong> Gesundheit, sondern<br />

verringert auch <strong>die</strong> Unterernährung. Unterernährung<br />

untergräbt in hohem Maße <strong>die</strong><br />

Fähigkeit eines Menschen, zu lernen und zu<br />

wachsen, und hat demzufolge wichtige Implikationen<br />

für Bildung und <strong>die</strong> Entstehung<br />

einer produktiven Erwerbsbevölkerung. Die<br />

Bekämpfung von Durchfallerkrankungen ist<br />

82 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


jedoch von verbesserter Wasser- und Sanitärversorgung<br />

abhängig – sowie von hygienischen<br />

Verhaltensweisen, <strong>die</strong> durch Bildung begünstigt<br />

werden.<br />

Vielen <strong>die</strong>ser Synergien liegen Aktivität<br />

und Gleichstellung zugrunde. Wenn arme<br />

Menschen durch bürgerliche und politische<br />

Rechte geschützten politischen Einfluss haben,<br />

können sie wirksamer politische Maßnahmen<br />

fordern, <strong>die</strong> soziale und wirtschaftliche<br />

Chancen mit sich bringen. 4 Ein solcher Einfluss<br />

ist besonders für Frauen wichtig, aber<br />

auch für ethnische Gruppen und Angehörige<br />

von Rassen, <strong>die</strong> diskriminiert werden. Die Förderung<br />

der Gleichstellung der Geschlechter<br />

und der Fähigkeiten von Frauen ist eine wichtige<br />

Voraussetzung, um <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />

Entwicklung voranzubringen und <strong>die</strong> Ziele zu<br />

erreichen (siehe Kapitel 4). 5<br />

Um <strong>die</strong> Ergänzungseffekte der grundlegenden<br />

sozialen Dienste möglichst umfassend<br />

zu nutzen, sollte <strong>die</strong> allgemeine Grundschulbildung,<br />

insbesondere für Mädchen, ein möglichst<br />

früh verfolgtes und wesentliches Ziel<br />

sein – in Verbindung mit hohen Investitionen<br />

in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung<br />

sowie Wasser- und Sanitärversorgung. 6<br />

Die meisten <strong>die</strong>ser Investitionen ergeben sich<br />

nicht automatisch als Nebenwirkung wirtschaftlichen<br />

Wachstums, sondern erfordern<br />

große Anstrengungen des öffentlichen Sektors.<br />

NEUERE MUSTER – UND PROBLEME –<br />

DES WELTWIRTSCHAFTSWACHSTUMS<br />

Von den 128 Ländern auf der Welt mit einer<br />

Bevölkerung von mindestens eine Million<br />

Menschen im Jahr 1990 und ausreichenden<br />

verfügbaren Daten verzeichneten im Zeitraum<br />

von 1980 bis 1998 76 ein positives Pro-Kopf-<br />

Wachstum ihrer Volkswirtschaft. In 52 war es<br />

jedoch negativ (siehe Feature 3.1, Tabelle 1).<br />

Länder mit großer Bevölkerung ten<strong>die</strong>rten zu<br />

Wachstum. Wenn wirtschaftliche Trends anhand<br />

der Anzahl von Menschen gemessen<br />

werden, wirken <strong>die</strong> Ergebnisse deshalb wesentlich<br />

besser. Heute leben grob gerechnet<br />

mehr als 4 Milliarden Menschen in Ländern,<br />

<strong>die</strong> im Zeitraum von 1980 bis 1998 im Durch-<br />

schnitt ein jährliches reales Pro-Kopf-BIP-<br />

Wachstum von mehr als 1,4 Prozent auswiesen.<br />

Dazu zählten auch China und In<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />

beiden bevölkerungsreichsten Länder. 7 Dieser<br />

Wert von 1,4 Prozent liefert eine grobe Schätzung<br />

für das wirtschaftliche Wachstum pro<br />

Kopf, das erforderlich ist, um <strong>die</strong> MEZ zur<br />

Einkommensarmut zu erreichen (siehe<br />

Kasten 3.1).<br />

Wirtschaftlicher Fortschritt garantiert jedoch<br />

nicht, dass Entwicklungsländer <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erreichen werden.<br />

Wachstum könnte einseitig Haushalten<br />

mit höherem Einkommen zugute kommen<br />

oder seine Dividenden in den Staatsfinanzen<br />

könnten nicht zu Gunsten der ärmsten Menschen<br />

investiert werden. Dennoch akkumulieren<br />

viele Entwicklungsländer Ressourcen, um<br />

Investitionen mit der Absicht vorzunehmen,<br />

<strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

Ungefähr 1,5 Milliarden Menschen leben<br />

in Entwicklungsländern, <strong>die</strong> im Zeitraum von<br />

1980 bis 1998 im Durchschnitt ein jährliches<br />

Pro-Kopf-Wachstum von weniger als 0,7 Prozent<br />

aufwiesen. Dazu zählen auch viele der<br />

ärmsten Länder. 8 Wenn <strong>die</strong>se Länder weiterhin<br />

stagnieren, werden sie nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ressourcen<br />

verfügen, um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

Um insbesondere in Ländern mit höchster Priorität,<br />

<strong>die</strong> sich durch verbreitete Armut und<br />

geringes oder kein wirtschaftliches Wachstum<br />

auszeichnen (siehe Kapitel 2), Wege zu finden,<br />

damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden können, muss<br />

man verstehen, warum solche Länder geringes<br />

oder kein Wachstum verzeichnen, während so<br />

viele andere rasch wachsen.<br />

Erfolg – oder Versagen – beim wirtschaftlichen<br />

Wachstum hängt eng damit zusammen,<br />

wie eine Volkswirtschaft in <strong>die</strong> globalen Märkte<br />

integriert ist. Manche Erscheinungsformen<br />

der Globalisierung begünstigen wirtschaftliches<br />

Wachstum, andere jedoch nicht. Erfolg<br />

oder Versagen ist weniger vom anfänglichen<br />

Einkommensniveau eines Landes als von seiner<br />

Exportstruktur abhängig. Wenn man <strong>die</strong><br />

Transformationsländer und <strong>die</strong> Erdöl exportierenden<br />

Länder bei den Berechnungen nicht<br />

berücksichtigt, betrug im Zeitraum von 1980<br />

bis 1998 das durchschnittliche jährliche<br />

Wachstum bei Ländern mit mittlerem Ein-<br />

Wenn arme Menschen<br />

durch bürgerliche und<br />

politische Rechte<br />

geschützten politischen<br />

Einfluss haben, können<br />

sie wirksamer politische<br />

Maßnahmen fordern, <strong>die</strong><br />

soziale und<br />

wirtschaftliche Chancen<br />

mit sich bringen<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 83


KASTEN 3.2<br />

Bangladesch – ein großes Binnenland mit Zugang zur Küste<br />

Seit der Gründung im Jahr 1971 hat sich Bangladesch<br />

zu einer Demokratie entwickelt und große<br />

Rückgänge der einkommensbezogenen und nicht<br />

einkommensbezogenen Armut erzielt. Zwischen<br />

1989 und 2000 sank <strong>die</strong> Einkommensarmut von 48<br />

auf 34 Prozent.<br />

Grundlegende sozialpolitische Maßnahmen zur<br />

Verbesserung von Gesundheit, Bildung, Leistungen<br />

im Bereich der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung<br />

halfen, das Bevölkerungswachstum<br />

zu senken und <strong>die</strong> Erwerbsbevölkerung zu verringern.<br />

Außerdem wird <strong>die</strong> Bevölkerung zunehmend<br />

alphabetisiert. Die durch <strong>die</strong> Exportoffensive erzielten<br />

positiven Veränderungen verstärkten <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

der Verbesserung des Bildungsstands<br />

der Bevölkerung.<br />

Eine wichtige Ursache für <strong>die</strong>sen Erfolg war<br />

das Wachstum der Industriegüterproduktion.<br />

Außerdem unterstützten staatliche Stellen den privaten<br />

Sektor durch Investitionen in Infrastruktur<br />

und Qualifizierung – entscheidende Voraussetzungen<br />

für den Anschub und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

der Exportoffensive. Die Regierung konnte auch<br />

Source: World Bank <strong>2003</strong>i; Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association <strong>2003</strong>.<br />

kommen 1,3 Prozent, bei Ländern mit niedrigem<br />

Einkommen jedoch -0,1 Prozent. 9 Andererseits<br />

schnitten viele Länder mit niedrigem<br />

Einkommen einschließlich Chinas und In<strong>die</strong>ns<br />

außerordentlich gut ab.<br />

Die meisten erfolgreichen Länder mit<br />

niedrigem Einkommen konzentrierten sich auf<br />

den Export von Industriegütern (Feature 3.1).<br />

Von den Entwicklungsländern mit ausreichendem<br />

wirtschaftlichem Wachstum und verfügbaren<br />

Handelsdaten für den Zeitraum von<br />

1980 bis 1998 exportierten 1995 24 in erster<br />

Linie Industriegüter und 61 vorwiegend Rohstoffe<br />

außer Erdöl.10 Nur eines der Länder,<br />

<strong>die</strong> hauptsächlich Industriegüter exportierten,<br />

verzeichnete im Zeitraum von 1980 bis 1998<br />

kein wirtschaftliches Wachstum, verglichen<br />

mit 32 der Länder, <strong>die</strong> vornehmlich Rohstoffe<br />

exportierten.<br />

Wenn man <strong>die</strong> Verknüpfungen zwischen<br />

wirtschaftlichem Wachstum und Wirtschaftsstruktur<br />

berücksichtigt, kann man sich auf <strong>die</strong><br />

Probleme konzentrieren, mit denen <strong>die</strong> ärmsten<br />

Länder konfrontiert sind. Warum wurde<br />

China zu einem Exportland für Industriegüter,<br />

Mali beispielsweise dagegen nicht? War<br />

<strong>die</strong>s ausschließlich auf <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik<br />

<strong>die</strong> Stabilität wahren, <strong>die</strong> für eine Wachstumspolitik<br />

zu Gunsten der Armen so wichtig ist. Infolge<br />

<strong>die</strong>ser politischen Initiativen stiegen <strong>die</strong> Exporte<br />

der arbeitsintensiven bangladeschischen Bekleidungsindustrie<br />

zwischen 1991 und 2002 von 867<br />

Millionen auf 4,6 Milliarden US-Dollar (Bangladesh<br />

Garment Manufacturers and Exporters Association<br />

<strong>2003</strong>).<br />

Aber obwohl Bangladesch in den letzten 30<br />

Jahren beeindruckende Erfolge bei der Befreiung<br />

aus tiefer Armut erzielt und <strong>die</strong> Gesundheit von<br />

Müttern und Kindern verbessert hat, sind seine Erfahrungen<br />

möglicherweise nicht weltweit wiederholbar,<br />

weil es eine große Volkswirtschaft mit einer<br />

Bevölkerung von 133 Millionen Menschen ist.<br />

Außerdem ist Bangladesch trotz seiner Erfolge<br />

noch weit davon entfernt, mehrere der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen – einschließlich<br />

derjenigen zu Hunger und sanitärer Versorgung.<br />

Deshalb gilt <strong>die</strong> zentrale Empfehlung des Millenniums-Entwicklungspakts<br />

weiterhin: Um <strong>die</strong> Ziele in<br />

allen Sektoren zu erreichen, ist ein mehrgleisiger<br />

Ansatz erforderlich.<br />

zurückzuführen, oder spielten Strukturbedingungen<br />

eine Rolle? Und wenn Strukturbedingungen<br />

eine Rolle spielten, wie können <strong>die</strong> zugrunde<br />

liegenden Strukturen in Mali so verbessert<br />

werden, dass es ein erfolgreiches Exportland<br />

für Industriegüter werden kann?<br />

Bei Produkten jenseits herkömmlicher<br />

Rohstoffe international wettbewerbsfähig zu<br />

werden ist nicht einfach. In Mali sind <strong>die</strong> Renditen<br />

aus Investitionen im verarbeitenden Gewerbe<br />

nicht sehr hoch, und zwar nicht nur aus<br />

wirtschaftspolitischen Gründen. Das Land ist<br />

ein Binnenland und verzeichnet eine hohe Inzidenz<br />

von Malaria, Tuberkulose, HIV/AIDS<br />

und anderen Krankheiten. Fragile Böden und<br />

unbeständige Niederschläge <strong>über</strong> viele Jahrzehnte<br />

haben niedrige Nahrungsmittelproduktivität<br />

zur Folge gehabt. Wegen geringer<br />

Energieressourcen müssen fossile Energieträger<br />

importiert werden. Über<strong>die</strong>s ist der Inlandsmarkt<br />

auf Grund der kleinen Bevölkerung<br />

winzig. Für Investoren ist das Bildungsund<br />

Qualifikationsniveau in dem Land zu<br />

niedrig, um <strong>die</strong> Kosten zu rechtfertigen, <strong>die</strong><br />

durch den fehlenden Zugang zum Meer,<br />

schlechte Gesundheitsbedingungen, schlechten<br />

Ernährungsstand, winzige Inlandsmärkte<br />

84 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


und damit zusammenhängende Beschränkungen<br />

verursacht werden. Kurzum, Mali erreicht<br />

nicht <strong>die</strong> Mindeststandards, um außerhalb der<br />

herkömmlichen Sektoren viele in- oder ausländische<br />

Investoren anzuziehen.<br />

Damit in Mali – und in vielen anderen<br />

Ländern in einer ähnlichen Situation – <strong>die</strong><br />

Millenniums-Entwicklungsziele erreicht werden<br />

können, bedarf es daher Sonderinvestitionen<br />

in einer Vielzahl von Sektoren. Um <strong>die</strong> für<br />

private, marktorientierte Investitionen notwendigen<br />

Mindeststandards zu erreichen,<br />

sind bessere Gesundheit, Bildung, Wasserund<br />

Sanitärversorgung, Straßen, Häfen und<br />

Energieversorgung notwendig (Kasten 3.2<br />

verdeutlicht <strong>die</strong> Erfolge in Bangladesh). Mali<br />

könnte unter anderem erfolgreiches Exportland<br />

für Textilerzeugnisse, Touristenziel und<br />

Verarbeitungsland für tropische Agrarprodukte<br />

werden. Aber solche Aktivitäten entwickeln<br />

sich nur dann erfolgreich, wenn Gesundheits-,<br />

Bildungs- und andere entscheidende<br />

Mindeststandards erreicht werden. Weil<br />

das Land viel zu arm sind, um <strong>die</strong>se Investitionen<br />

aus eigener Kraft tätigen zu können, müssen<br />

Partnerländer <strong>die</strong> Anschubfinanzierung<br />

<strong>über</strong>nehmen.<br />

STRUKTURPROBLEME AUF GRUND<br />

UNGÜNSTIGER GEOGRAFIE, KLEINER<br />

MÄRKTE UND HOHER HANDELSKOSTEN<br />

Um zu verstehen, warum manche Länder<br />

höhere Hürden <strong>über</strong>winden müssen, um Mindeststandards<br />

für wirtschaftliches Wachstum<br />

zu erreichen, muss man zuerst <strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Auswirkungen der physischen Geografie<br />

betrachten. Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />

Smith bereits vor mehr als 200 Jahren darlegte,<br />

hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines Landes, <strong>die</strong> für<br />

ein international wettbewerbsfähiges verarbeitendes<br />

Gewerbe erforderliche komplexe Arbeitsteilung<br />

dauerhaft zu leisten, von der<br />

„Größe des Marktes“ ab.<br />

DIE AUSWIRKUNGEN DER GEOGRAFIE<br />

AUF MÄRKTE, HANDEL UND WACHSTUM<br />

Es gibt zwei Möglichkeiten für ein Land, den<br />

Markt zu vergrößern. Die erste führt <strong>über</strong> eine<br />

große Bevölkerung: Länder mit einer kleinen<br />

Bevölkerung weisen im Allgemeinen kleine Inlandsmärkte<br />

auf. (Unter Ländern mit einer<br />

kleinen Bevölkerung werden hier solche mit<br />

weniger als 40 Millionen Menschen im Jahr<br />

1990 verstanden.) Die zweite ist durch kostengünstigen<br />

Handel mit den Weltmärkten unter<br />

Ausnutzung des Umstandes, dass <strong>die</strong> Geografie<br />

einen großen Einfluss auf <strong>die</strong> Handelskosten<br />

hat. Länder in der Nähe großer Märkte<br />

(für Mexiko <strong>die</strong> Vereinigten Staaten, für Polen<br />

<strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland) oder Küstenländer<br />

mit einfachem Zugang zu kostengünstigem<br />

Seetransport sind gegen<strong>über</strong> Binnenländern<br />

in großer Entfernung von wichtigen<br />

Märkten oder Seehäfen im Vorteil. (Unter<br />

Binnenländern werden hier Länder verstanden,<br />

deren Bevölkerung zu mehr als 75 Prozent<br />

in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer<br />

von der Küste lebt.)<br />

Im Zeitraum von 1980 bis 1998 erreichten<br />

Entwicklungsländer mit einer großen Bevölkerung,<br />

Küstenregionen oder beidem ein wesentlich<br />

höheres wirtschaftliches Wachstum<br />

als Länder mit einer kleinen Bevölkerung und<br />

Binnenregionen. Große Küstenländer wuchsen<br />

in 3 von 4 Fällen, und zwar pro Kopf um<br />

durchschnittlich 3,2 Prozent (siehe Feature<br />

3.1, Tabelle 2). Große Binnenländer wuchsen<br />

in 10 von 10 Fällen, und zwar um durchschnittlich<br />

2,5 Prozent. Und kleine Küstenländer<br />

wuchsen in 15 von 17 Fällen, und zwar um<br />

durchschnittlich 1,9 Prozent (siehe Feature<br />

3.1).<br />

Von 53 kleinen Binnenländern wuchsen<br />

jedoch nur 24. Außerdem war das durchschnittliche<br />

Pro-Kopf-Wachstum der Gruppe<br />

negativ.<br />

Obwohl es den Eindruck erwecken könnte,<br />

dass <strong>die</strong>se Daten durch Afrika südlich der<br />

Sahara verzerrt werden, weil der Teilkontinent<br />

mehr als 30 kleine Binnenländer umfasst, gilt<br />

das gleiche Muster für nicht afrikanische Länder:<br />

Von den 50 nicht afrikanischen Ländern<br />

in der Gruppe verzeichneten 27 von 30, <strong>die</strong><br />

groß, Küstenland oder beides sind, wirtschaftliches<br />

Wachstum, während <strong>die</strong>s nur für 11 von<br />

20 kleinen Binnenländern galt.<br />

Bei weiterer Betrachtung derselben Gruppe<br />

von Entwicklungsländern lässt sich feststel-<br />

Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />

Smith bereits vor mehr als<br />

200 Jahren darlegte,<br />

hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines<br />

Landes, <strong>die</strong> für ein<br />

international<br />

wettbewerbsfähiges<br />

verarbeitendes Gewerbe<br />

erforderliche komplexe<br />

Arbeitsteilung dauerhaft<br />

zu leisten, von der „Größe<br />

des Marktes“ ab<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 85


KASTEN 3.3<br />

Zu den Andenländern zählen Bolivien, Ecuador,<br />

Kolumbien, Peru und Venezuela. Von <strong>die</strong>sen<br />

sind Kolumbien, Ecuador, Bolivien und<br />

Peru mit ähnlichen strukturbedingten Beschränkungen<br />

und politischen Problemen konfrontiert.<br />

Diese Länder liegen bei den Indikatoren<br />

für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung im Mittelfeld,<br />

aber dennoch leidet <strong>die</strong> Region unter verfestigter<br />

Armut und Ungleichheit in hohem<br />

Maße. Bei Kaufkraftparität betrug im Jahr 2001<br />

das Pro-Kopf-BIP in Bolivien 2.424, in Ecuador<br />

3.202, in Peru 4.799 und in Kolumbien<br />

6.248 US-Dollar. Obwohl <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen<br />

in <strong>die</strong>sen vier Ländern also stark<br />

variieren, lebt immer noch mehr als ein Drittel<br />

der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar<br />

täglich. Obwohl Venezuela der sechstgrößte<br />

Erdölproduzent auf der Welt ist, ist das Land<br />

mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert. Das<br />

Pro-Kopf-BIP-Wachstum betrug in den letzten<br />

beiden Jahrzehnten im Durchschnitt -0,7 und -<br />

1,0 Prozent, und mehr als 23,5 Prozent der Bevölkerung<br />

leben von weniger als 1 US-Dollar<br />

täglich.<br />

Mehrere Strukturmerkmale können das<br />

Anhalten von wirtschaftlicher Stagnation und<br />

Armut in <strong>die</strong>sen Andenländern erklären helfen.<br />

• Ein erster seit langem bekannter Faktor ist<br />

das Andauern von Ungleichheit. Jedes Land hat<br />

einen Gini-Koeffizienten von mehr als 0,5. Diese<br />

Ungleichheit ist auf Grund ethnischer Spaltung<br />

besonders ausgeprägt. Ein wichtiges Element<br />

jeder Entwicklungspolitik für <strong>die</strong>se Länder,<br />

<strong>die</strong> Erfolg haben soll, muss <strong>die</strong> öffentliche<br />

Bereitstellung zentraler sozialer Dienste in den<br />

Bereichen Bildung, Gesundheit sowie Wasserund<br />

Sanitärversorgung sein, um <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

<strong>die</strong>ser ausgeschlossenen Gruppen zu erweitern.<br />

• Ein zweiter und häufiger <strong>über</strong>sehener Strukturfaktor,<br />

der zu den Entwicklungsproblemen<br />

<strong>die</strong>ser Länder beiträgt, ist, dass in jedem von ihnen<br />

ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in<br />

hochgelegenen Binnenregionen lebt. Der Zu-<br />

len, dass etwa <strong>die</strong> Hälfte der Weltbevölkerung<br />

in großen Binnenländern lebt, <strong>die</strong> positives<br />

dauerhaftes Wachstum verzeichnet haben.<br />

Dazu zählen China und In<strong>die</strong>n. Dagegen leben<br />

etwa 420 Millionen Menschen in großen<br />

Küstenländern und 341 Millionen davon in<br />

stabil wachsenden Volkswirtschaften. (Die anderen<br />

77 Millionen leben auf den Philippinen.)<br />

Die meisten der 130 Millionen Men-<br />

Herausforderungen in der Andenregion<br />

gang zu den Weltmärkten ist deshalb für ihre<br />

Volkswirtschaften mit sehr hohen Transportkosten<br />

verbunden. Bolivien ist zwar das einzige<br />

Binnenland, aber auch in Ecuador und Peru<br />

lebt <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung weiter als 100<br />

Kilometer von der Küste entfernt. Ungefähr ein<br />

Viertel der Bevölkerung Kolumbiens lebt ebenfalls<br />

im Landesinneren.<br />

• Dieser fehlende Marktzugang trägt zu einem<br />

dritten Problem bei: Die Länder sind von<br />

natürlichen Ressourcen abhängig und deshalb<br />

großen Schwankungen der Rohstoffpreise ausgesetzt.<br />

Erdöl macht beispielsweise mehr als 80<br />

Prozent der Exporte Venezuelas aus. Mehr als<br />

<strong>die</strong> Hälfte der Exporte Ecuadors entfallen auf<br />

Erdöl (30 Prozent) und Bananen (21 Prozent),<br />

jedoch weniger als ein Viertel auf Industriegüter<br />

(23 Prozent). Bolivien ist ebenfalls noch<br />

weitgehend von Erdgas und Soja abhängig (45<br />

Prozent der Gesamtexporte), während Industriegüter<br />

nur einen kleinen Teil darstellen (14<br />

Prozent).<br />

• Ein viertes Problem beruht auf El Niño, einer<br />

zyklischen klimatischen Fluktuation der<br />

Temperatur und der Niederschlagsmenge mit<br />

großen Auswirkungen auf <strong>die</strong> Agrarproduktion.<br />

Um <strong>die</strong> Anfälligkeit für externe Schwankungen<br />

zu <strong>über</strong>winden, brauchen <strong>die</strong>se Länder eine aktive<br />

Infrastrukturpolitik, insbesondere für Häfen<br />

und Straßen, <strong>die</strong> ihnen Zugang zu den Weltmärkten<br />

verschafft. Ebenso notwendig ist eine<br />

aktive Industriepolitik als Beitrag zur Entwicklung<br />

eines breit gefächerten verarbeitenden Gewerbes<br />

für <strong>die</strong> Produktion von Exportgütern.<br />

• Fünftens sind <strong>die</strong>se Länder mit einer strukturbedingten<br />

Beschränkung konfrontiert, in der<br />

sich ihre anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />

widerspiegeln: Schulden<strong>über</strong>hang. Im<br />

Verlauf der letzten 20 Jahre wurden durch den<br />

Pariser Club für Bolivien, Ecuador und Peru<br />

mindestens fünf Umschuldungsabkommen mit<br />

Gläubigerländern vermittelt. Diese Schuldenprobleme<br />

erschwerten notwendige Investitionen<br />

im Inland, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong>n Befähigun-<br />

Source: World Bank 1998b, 2002h, 2002i; UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa Economica Aplicada 2002.<br />

schen in kleinen Küstenländern leben in wachsenden<br />

Volkswirtschaften. Aber fast 420 Millionen<br />

Menschen leben in kleinen Binnenvolkswirtschaften,<br />

<strong>die</strong> nicht wachsen (Kasten<br />

3.3).<br />

Diese Zahlen bedeuten nicht, dass jeder in<br />

wachsenden Volkswirtschaften in den Genuss<br />

von mehr Wohlergehen kommt. Strukturbedingte<br />

Beschränkungen können innerhalb von<br />

gen hätten verbessern und das wirtschaftliche<br />

Wachstum hätten stimulieren können.<br />

Im Falle Venezuelas haben fehlende Exportdiversifikation<br />

und sinkende Produktivität<br />

zur wirtschaftlichen Stagnation beigetragen. In<br />

der jüngsten Zeit sind zu <strong>die</strong>sen Problemen politische<br />

Unruhen, zunehmende Ungleichheit<br />

und schlechte Wirtschaftsplanung hinzugekommen.<br />

Neben <strong>die</strong>sen strukturbedingten Schwierigkeiten<br />

gab es eine Wechselwirkung zwischen<br />

der sozialen, wirtschaftlichen und politischen<br />

Instabilität der Region und der Produktion von<br />

Koka-Blättern und Kokain, im Wesentlichen<br />

für <strong>die</strong> illegalen Märkte in den Vereinigten Staaten<br />

und Europa. Die Drogenindustrie hat zu einer<br />

Ausweitung des organisierten Verbrechens<br />

sowie von Korruption und anderen Übeln der<br />

öffentlichen Verwaltung geführt. Dies wiederum<br />

resultierte in einer Militarisierung der Gesellschaften<br />

und anhaltenden Bedrohungen des<br />

sozialen Friedens und der Demokratie.<br />

Aktuelle Schätzungen auf der Basis bisheriger<br />

Entwicklungen weisen darauf hin, dass nur<br />

Kolumbien annähernd in der Lage scheint, das<br />

Armutsziel umzusetzen. Für <strong>die</strong> anderen Länder<br />

wird sogar von einer zunehmenden Armut<br />

ausgegangen, weitgehend infolge der zunehmenden<br />

Ungleichheit, der wirtschaftlichen Stagnation<br />

oder beiden Gründen zusammen<br />

(UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa<br />

Economica Aplicada 2002).<br />

Trotz der Schwere <strong>die</strong>ser Kombination von<br />

Problemen können politische Maßnahmen ergriffen<br />

werden, um sie zu <strong>über</strong>winden. Straßen<br />

und Häfen können gebaut werden. Die Regierungen<br />

können in ausgeschlossene Gruppen investieren.<br />

Märkte können diversifiziert werden.<br />

Und Abkommen mit Gläubigern können neu<br />

verhandelt werden. Entscheidend ist, dass, wie<br />

im Millenniums-Entwicklungspakt dargelegt,<br />

alle <strong>die</strong>se Probleme im Rahmen eines Pakts zwischen<br />

dem einzelnen Land und seinen Partnern<br />

gleichzeitig angegangen werden.<br />

86 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Ländern bestehen, aber auch zwischen ihnen,<br />

und es können andere Erscheinungsformen<br />

von Ungleichheit existieren. In China und In<strong>die</strong>n<br />

gibt es weiterhin große „Inseln“ verfestigter<br />

Armut, auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Politik dort ihre Aufmerksamkeit<br />

richten muss (Kasten 3.4).<br />

KASTEN 3.4<br />

In China und In<strong>die</strong>n zusammengenommen<br />

lebt ein Drittel der Weltbevölkerung. Beide<br />

Länder haben im letzten Jahrzehnt enormes<br />

wirtschaftliches Wachstum erzielt. Ihre Erfolge<br />

bei der Steigerung des durchschnittlichen<br />

Wohlergehens implizieren wichtige Verbesserungen<br />

für einen großen Teil der Menschheit.<br />

Aber ihre Erfahrungen machen auch deutlich,<br />

wie wichtig es ist, <strong>über</strong> nationale Durchschnitte<br />

hinauszuschauen, um Unterschiede zwischen<br />

Ländern zu verstehen.<br />

Obwohl beide Länder rasches, anhaltendes<br />

wirtschaftliches Wachstum erzielt haben,<br />

waren ihre Fortschrittsraten durchaus unterschiedlich.<br />

Mit einem durchschnittlichen realen<br />

Pro-Kopf-Wachstum von 8 Prozent jährlich<br />

im letzten Jahrzehnt verzeichnete China<br />

den raschesten dauerhaften wirtschaftlichen<br />

Fortschritt in der Geschichte der Menschheit.<br />

Bei Kaufkraftparität (KKP) beträgt das Pro-<br />

Kopf-Einkommen dort jetzt 3.976 US-Dollar.<br />

Im gleichen Zeitraum wuchs das reale Pro-<br />

Kopf-Einkommen in In<strong>die</strong>n gleichmäßig, aber<br />

langsamer um durchschnittlich 4,4 Prozent auf<br />

2.358 US-Dollar im Jahr 2001. Parallel zum erfolgreichen<br />

wirtschaftlichen Wachstum verzeichneten<br />

beide Länder eine beträchtliche<br />

Verringerung der Armut. Nach Weltbank-<br />

Schätzungen sank der Anteil der Menschen,<br />

<strong>die</strong> von weniger als 1 US-Dollar pro Tag leben,<br />

in China zwischen 1990 und 2000 von 33 auf<br />

16 und in In<strong>die</strong>n zwischen 1993/94 und 2001<br />

von 42 auf 35 Prozent.<br />

Trotz beträchtlicher Unterschiede in Bezug<br />

auf Methodik, Aufbau und Auswahl der<br />

Bezugsgrößen liefern <strong>die</strong>se Berechnungen einen<br />

groben Überblick <strong>über</strong> <strong>die</strong> Armuts<strong>entwicklung</strong><br />

in beiden Ländern.<br />

Marktreformen<br />

Chinas außergewöhnliches Wachstum lässt<br />

sich zum Teil auf seine marktorientierten Reformen<br />

zurückführen. Diese begannen zudem<br />

bereits 1978 und damit deutlich früher als in<br />

In<strong>die</strong>n, wo ähnliche Reformen erst 1991 eingeleitet<br />

wurden. Diese Reformen ermöglichten es<br />

China, sich in einem phänomenalen Tempo in<br />

<strong>die</strong> Weltwirtschaft zu integrieren. Heute ist es<br />

In <strong>die</strong>sen Zahlen spiegelt sich auch kein<br />

hoher Wachstumsstandard wider, weil ein armes<br />

Land auch dann als wachsend eingestuft<br />

wird, wenn es im Zeitraum von 1980 bis 1998<br />

nur ein durchschnittliches jährliches Wachstum<br />

von 0,1 Prozent verzeichnete. Aber <strong>die</strong><br />

China und In<strong>die</strong>n – beeindruckendes Wachstum, wichtige Unterschiede<br />

unter den Entwicklungsländern der größte<br />

Empfänger ausländischer Direktinvestitionen.<br />

Zwischen 1978 und 2002 stiegen <strong>die</strong> jährlichen<br />

Investitionen von fast Null auf etwa 52 Milliarden<br />

US-Dollar (fast 5 Prozent des BIP). Die<br />

ausländischen Direktinvestitionen haben auch<br />

in In<strong>die</strong>n beträchtlich zugenommen, wenn<br />

auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Zwischen<br />

1991 und 2002 stiegen sie von 129 Millionen<br />

auf 4 Milliarden US-Dollar (weniger als<br />

1 Prozent des BIP).<br />

Robustes Exportwachstum hat zur wirtschaftlichen<br />

Leistung beider Länder beigetragen.<br />

Dabei nahm der Export von Industriegütern<br />

eine zunehmend vorherrschende Stellung<br />

ein. Aber auch in <strong>die</strong>sem Bereich war China erfolgreicher.<br />

Seine Exporte erreichten 2001 ein<br />

Volumen von 320 Milliarden US-Dollar, verglichen<br />

mit 35 Milliarden US-Dollar in In<strong>die</strong>n.<br />

Auf <strong>die</strong> Industriegüterexporte entfielen 53<br />

Prozent der chinesischen Gesamtexporte im<br />

Jahr 1981 und 90 Prozent im Jahr 2001; in In<strong>die</strong>n<br />

stieg <strong>die</strong>ser Anteil von 60 auf 77 Prozent.<br />

China war besonders erfolgreich beim Übergang<br />

von arbeitsintensiven zu technologieintensiven<br />

Exportgütern: Telekommunikationsausrüstung<br />

und Computer machen mittlerweile<br />

ein Viertel seiner Exporte aus.<br />

Soziale Investitionen<br />

Für dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum<br />

bedarf es Investitionen im Sozialbereich. In<br />

China belaufen sich <strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben<br />

für Bildung auf 2,3 Prozent des BIP und <strong>die</strong><br />

für Gesundheit auf etwa 2,1 Prozent des BIP.<br />

Die Ergebnisse für <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

sind klar: 84 Prozent der Bevölkerung<br />

sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />

beträgt 32 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten<br />

und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate von Kindern<br />

unter fünf Jahren 40 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

Im Gegensatz dazu lagen <strong>die</strong><br />

Ausgaben in In<strong>die</strong>n traditionell auf einem<br />

niedrigeren Niveau. Die Gesundheitsausgaben<br />

belaufen sich auf 1,3 Prozent des BIP (Zentralregierung<br />

und Regierungen der Bundesstaaten<br />

zusammengenommen). Die Bildungsausgaben<br />

stiegen beträchtlich von 0,8 Prozent des BIP<br />

im Jahr 1950 auf derzeit 3,2 Prozent, obwohl<br />

sie damit noch immer unter der Zielvorgabe<br />

der Regierung von 6 Prozent des BIP liegen.<br />

Trotz <strong>die</strong>ses Anstiegs bleiben <strong>die</strong> Indikatoren<br />

für <strong>menschliche</strong> Entwicklung für In<strong>die</strong>n wesentlich<br />

niedriger als für China. 65 Prozent der<br />

Bevölkerung sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />

beträgt 68 Todesfälle pro<br />

1.000 Lebendgeburten und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

von Kindern unter fünf Jahren 96 Todesfälle<br />

pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

Religiöse Vielfalt und andere<br />

Herausforderungen<br />

Es wäre irreführend, bei zwei Ländern mit einer<br />

so großen Bevölkerung und Fläche lediglich<br />

auf <strong>die</strong> nationalen Durchschnittswerte zu<br />

blicken. In Kapitel 2 wurde bereits darauf hingewiesen,<br />

dass in China das höchste wirtschaftliche<br />

Wachstum in den Küstenprovinzen verzeichnet<br />

wurde, während <strong>die</strong> geografisch abgelegenen<br />

Nordwestprovinzen ein wesentlich geringeres<br />

Wachstum aufwiesen. Auch in In<strong>die</strong>n<br />

gibt es große regionale Unterschiede. Im Zeitraum<br />

von 1992 bis 1997 schwankte das Pro-<br />

Kopf-Wirtschaftswachstum zwischen -0,2 Prozent<br />

in Bihar und 7,8 Prozent in Gujarat. Ähnliche<br />

Divergenzen ergeben sich bei anderen Indikatoren<br />

für <strong>menschliche</strong> Entwicklung wie jenen<br />

für Bildung und Gesundheit.<br />

Beide Länder sind noch mit Problemen<br />

wie der Ausbreitung von HIV/AIDS und anderer<br />

sexuell <strong>über</strong>tragener Krankheiten als Nebeneffekt<br />

der Zunahme der Arbeitsmigration<br />

und des internationalen Handels konfrontiert.<br />

Und beide stehen vor der Aufgabe, eine wissensbasierte<br />

Wirtschaft zu fördern, um bei steigender<br />

durchschnittlicher Qualifikation ein<br />

ständig hohes wirtschaftliches Wachstum aufrechtzuerhalten.<br />

Beide müssen sich auch darauf<br />

konzentrieren, <strong>die</strong> Wachstumsdividenden<br />

an Regionen, Gemeinschaften und ethnische<br />

Gruppe zu verteilen, <strong>die</strong> bislang kaum an dem<br />

neuen Wohlstand teilhatten. Schwerpunkt integrativer<br />

politischer Maßnahmen sollten Investitionen<br />

in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />

zur Förderung zukünftiger Entwicklung<br />

sein.<br />

Quelle: Woo und Bao <strong>2003</strong>; World Bank <strong>2003</strong>e, <strong>2003</strong>f, <strong>2003</strong>i und Berechnungen von Shaohua Chen, World Bank, und Angus Deaton, Princeton University; In<strong>die</strong>n <strong>2003</strong>; China <strong>2003</strong>; Bajpay <strong>2003</strong>; UNCTAD 2002b.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 87


Die Erörterung der<br />

Geografie hier macht<br />

deutlich, dass politische<br />

Maßnahmen benötigt<br />

werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong><br />

Probleme jedes Landes<br />

zugeschnitten sind. Mit<br />

guten politischen<br />

Maßnahmen lassen sich<br />

selbst <strong>die</strong> Schwierigkeiten<br />

<strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> durch<br />

kleine Märkte – oder<br />

schlechte Böden oder<br />

Klimaschwankungen –<br />

verursacht werden<br />

Zahlen machen deutlich, welche Art von Ländern<br />

<strong>die</strong> größten Probleme haben werden, <strong>die</strong><br />

Ziele zu erreichen, und deshalb <strong>die</strong> meiste Unterstützung<br />

vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />

benötigen. Es sind kleine Binnenvolkswirtschaften.<br />

Sie ver<strong>die</strong>nen daher <strong>die</strong><br />

größte Aufmerksamkeit im Rahmen des Millenniums-Entwicklungspakts.<br />

Dies bedeutet<br />

jedoch nicht, dass einige große Länder mit bedeutenden<br />

Küstenregionen wie Pakistan vernachlässigt<br />

werden sollten. Sie stehen vor beträchtlichen<br />

Problemen in den Bereichen Armut<br />

und <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />

Einige zusätzliche Anmerkungen zur Geografie:<br />

• Geografie kann sowohl Segen als auch<br />

Fluch sein. Es ist kein Zufall, dass alle der<br />

Ende des 20. Jahrhunderts erfolgreichen ostasiatischen<br />

Länder Zugang zu Küsten und<br />

wichtigen Schifffahrtsrouten haben. Der Zugang<br />

zu großen Märkten kann helfen, den<br />

Nachteil einer kleinen Bevölkerung auszugleichen.<br />

• Natürliche Ressourcen – eine andere<br />

Erscheinungsform von Geografie – können<br />

einen großen Vorteil darstellen, wenn ihre<br />

finanziellen Dividenden klug eingesetzt<br />

werden. Das beste Beispiel bieten <strong>die</strong><br />

Diamantenfunde in Botsuana, wo <strong>die</strong> in<br />

Bildung und Gesundheit investierten Einnahmen<br />

einem recht kleinen Binnenland<br />

halfen, sein Pro-Kopf-Einkommen innerhalb<br />

von 25 Jahren zu vervierfachen (wenngleich<br />

<strong>die</strong>se Fortschritte in der jüngsten Zeit durch<br />

eine schwere HIV/AIDS Bürde erschwert<br />

wurden).<br />

• Die Marktgröße und <strong>die</strong> Küstenlage eines<br />

Landes sind nicht <strong>die</strong> einzigen geophysikalischen<br />

Merkmale, denen dringend Aufmerksamkeit<br />

gewidmet werden muss. Manche Regionen<br />

sind anfällig für Klimaschocks (wie El<br />

Niño), andere dagegen nicht. Manche Regionen<br />

sind anfällig für Naturkatastrophen (Erdbeben,<br />

Tropenstürme, Vulkanausbrüche,<br />

Überschwemmungen), andere dagegen nicht.<br />

Manche Regionen sind anfällig für umweltbedingte<br />

Krankheiten (Malaria), andere dagegen<br />

nicht. Manche Regionen leiden unter extremem<br />

Wassermangel, andere dagegen nicht.<br />

Alle <strong>die</strong>se geophysikalischen Beschränkungen<br />

können eine Volkswirtschaft schwer belasten<br />

– und erfordern <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Politik.<br />

GEOGRAFIE IST JEDOCH KEIN SCHICKSAL<br />

Die Geografie kann Probleme bereiten; sie definiert<br />

jedoch nicht das Schicksal eines Landes.<br />

Die Erörterung der Geografie hier macht<br />

deutlich, dass politische Maßnahmen benötigt<br />

werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong> Probleme jedes<br />

Landes zugeschnitten sind. Mit guten politischen<br />

Maßnahmen lassen sich selbst <strong>die</strong><br />

Schwierigkeiten <strong>über</strong>winden, <strong>die</strong> durch kleine<br />

Märkte – oder schlechte Böden oder Klimaschwankungen<br />

– verursacht werden. In geografisch<br />

isolierten Ländern können bessere<br />

Straßen und Kommunikationswege viele entfernungsbedingten<br />

Nachteile ausgleichen.<br />

In Ländern mit einer kleinen Bevölkerung<br />

kann <strong>die</strong> Integration mit Nachbarländern <strong>die</strong><br />

erforderliche Marktgröße bewirken. Außerdem<br />

können reiche Länder ihre Märkte für<br />

Exporte aus kleinen Entwicklungsländern öffnen.<br />

Das war das Erfolgsrezept kleiner Länder<br />

oder Binnenländer in Westeuropa: <strong>die</strong> enge<br />

wirtschaftliche Integration der Europäischen<br />

Union.<br />

Wenn eine Volkswirtschaft durch schlechte<br />

Böden benachteiligt ist, müssen ihnen<br />

Nährstoffe zugeführt werden (durch Dünger,<br />

Leguminosen-Bäume, bessere Fruchtfolge<br />

und andere Mittel). Und Tropenkrankheiten<br />

können durch Maßnahmen wie mit Insektiziden<br />

imprägnierte Moskitonetze zur Bekämpfung<br />

von Malaria eingedämmt werden. Das<br />

Problem besteht nicht darin, dass geophysikalisch<br />

bedingte Hindernisse un<strong>über</strong>windbar<br />

sind. Das Problem ist, dass sie zu häufig <strong>über</strong>sehen<br />

werden – und es Geld kostet, ihnen entgegenzuwirken.<br />

GUTE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />

WIRTSCHAFTLICHES WACHSTUM UND<br />

MENSCHLICHE ENTWICKLUNG<br />

Ein erster Anlauf zu wirtschaftlichem Fortschritt<br />

ist oft <strong>die</strong> Steigerung der Produktivität<br />

von Kleinbauern. Diese kann erzielt werden,<br />

wenn Marktkräfte landwirtschaftliche Fort-<br />

88 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


schritte ermöglichen oder Regierungen in Forschung<br />

und Entwicklung investieren. Arme<br />

Bauernhaushalte produzieren häufig Nahrungsmittel<br />

für den eigenen Verbrauch, sodass<br />

nur wenig für den Markt übrig bleibt. Die<br />

Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität<br />

– beispielsweise durch verbessertes Saatgut<br />

und Düngemittel wie während der „Grünen<br />

Revolution“ der siebziger Jahre – erhöht<br />

das Haushaltseinkommen und verbessert <strong>die</strong><br />

Ernährungssituation. Sie ermöglicht armen<br />

Haushalten auch, mehr in <strong>die</strong> Gesundheit und<br />

Bildung ihrer Kinder zu investieren. Viele <strong>die</strong>ser<br />

Kinder wandern später in urbane Gebiete<br />

ab, insbesondere weil der Nahrungsmittelbedarf<br />

jetzt von weniger (aber produktiveren)<br />

Bauern gedeckt werden kann.<br />

Im verarbeitenden Gewerbe beruht höhere<br />

Produktivität auf einem stabilen makroökonomischen<br />

Umfeld, wirksamen öffentlichen<br />

Institutionen und zuverlässiger physischer Infrastruktur.<br />

Wachsende Stadtbevölkerungen<br />

begünstigen ebenfalls ein größeres und produktiveres<br />

verarbeitendes Gewerbe. Außerdem<br />

erhält <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden<br />

Gewerbe oft einen wichtigen Schub<br />

durch Hochtechnologieimporte. In Ostasien<br />

stieg <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden Gewerbe,<br />

als einheimische Unternehmen Zulieferer<br />

multinationaler Konzerne wurde, indem<br />

sie <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen Konzernen bereitgestellten<br />

Technologien und Produktspezifikationen anwendeten.<br />

Zu den häufig anzutreffenden exportierten<br />

Industriegütern der frühen Phase<br />

zählen Spielzeug, Textilien, Schuhe, Elektronikbauteile,<br />

Automobilzubehör und Ähnliches.<br />

Steigende Einkommen bewirken, dass<br />

Haushalte mehr für Gesundheit und Bildung<br />

ausgeben. Sie investieren in sauberes Wasser,<br />

lassen ihre Kinder <strong>die</strong> Schule besuchen oder<br />

kaufen im Krankheitsfall Arzneimittel. Sie verbessern<br />

auch ihre Ernährung. Die Menschen<br />

können sich sicherere Häuser leisten: Sie kaufen<br />

Fliegengitter für Fenster, um Krankheiten<br />

<strong>über</strong>tragende Mücken draußen zu halten,<br />

oder Herde, <strong>die</strong> mit Propangas und nicht mit<br />

hochgradig <strong>die</strong> Umwelt belastendem Holz beheizt<br />

werden. Investitionen von Haushalten in<br />

Gesundheit und Bildung gehen oft mit öffent-<br />

lichen Investitionen in soziale Dienste einher.<br />

Parallel zu den Einkommen steigen <strong>die</strong> nationalen<br />

Sparquoten (der nach Haushalts- und<br />

Staatsausgaben übrig bleibende Teil des<br />

Volkseinkommens). Bei sehr niedrigen Einkommen<br />

sind Haushalte zu arm, um sparen zu<br />

können: Sie müssen alles ausgeben, was sie haben,<br />

um einfach nur <strong>über</strong>leben zu können.<br />

Der größte Teil der Ausgaben entfällt auf<br />

Nahrungsmittel, Unterkunft und Bekleidung<br />

– und im Krankheitsfall auf <strong>die</strong> medizinische<br />

Versorgung. Wenn <strong>die</strong> Einkommen <strong>über</strong> das<br />

Überlebensminimum ansteigen, können<br />

Haushalte es sich leisten, Geld für ihr zukünftiges<br />

Wohlergehen und ihre wirtschaftliche<br />

Absicherung zu sparen. Die nationalen Ersparnisse<br />

bedeuten einen weiteren Schub für<br />

das wirtschaftliche Wachstum, weil sie Investitionen<br />

durch <strong>die</strong> Privatwirtschaft und <strong>die</strong> Regierung<br />

ermöglichen. Solche Investitionen<br />

führen zu einer Zunahme des Sachkapitalstocks<br />

und des Infrastrukturbestands pro Person.<br />

Ein weiterer Schub für das wirtschaftliche<br />

Wachstum stellt sich ein, wenn <strong>die</strong> Fertilität<br />

infolge politischer Maßnahmen und steigender<br />

Haushaltseinkommen sinkt. Arme Haushalte<br />

mit vielen Kindern können selten ausreichend<br />

in <strong>die</strong> Gesundheit und <strong>die</strong> Bildung jedes<br />

Kindes investieren. Vielleicht erhält nur<br />

der älteste Sohn <strong>die</strong> Chance, mehr als ein paar<br />

Jahre <strong>die</strong> Schule zu besuchen. Aber wenn <strong>die</strong><br />

Fertilität sinkt, haben arme Familien vielleicht<br />

nur noch zwei statt früher sechs Kinder und<br />

können <strong>die</strong>sen eine gute Bildung ermöglichen.<br />

Auch verringert sich dann möglicherweise <strong>die</strong><br />

Ungleichbehandlung von Söhnen und Töchtern.<br />

Eine Volkswirtschaft, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong>ser Stufe<br />

angekommen ist, befindet sich auf einem stabilen,<br />

selbsttragenden Wachstumspfad. Nicht<br />

länger gehemmt durch <strong>die</strong> Subsistenzlandwirtschaft<br />

entfaltet sich <strong>die</strong> Dynamik für dauerhaftes<br />

wirtschaftliches Wachstum.<br />

Auf einer späteren Stufe zeigt sich ein anderer<br />

wichtiger Trend. Wenn sich der Bildungsstand<br />

verbessert und einheimische Unternehmen<br />

komplexere Güter produzieren<br />

und Dienstleistungen erbringen (oft unterstützt<br />

durch Investitionen, Know-how und<br />

Technologie, <strong>die</strong> von ausländischen Konzer-<br />

Wenn sich der<br />

Bildungsstand verbessert<br />

und einheimische<br />

Unternehmen komplexere<br />

Güter produzieren und<br />

Dienstleistungen<br />

erbringen, fangen<br />

einheimische<br />

Wissenschaftler und<br />

Ingenieure an, neue<br />

Produkte zu entwickeln<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 89


nen bereitgestellt werden), fangen einheimische<br />

Wissenschaftler und Ingenieure an, neue<br />

Produkte zu entwickeln. Die privaten Ausgaben<br />

für Forschung und Entwicklung steigen,<br />

ebenso <strong>die</strong> Staatsausgaben. Zusätzlich leisten<br />

Hochschulen vor Ort wichtige Beiträge zum<br />

wirtschaftlichen Wachstum, indem sie Wissenschaftler<br />

und Ingenieure ausbilden und in<br />

zunehmendem Maße Stätte von Forschung<br />

und Entwicklung werden.<br />

SCHWACHE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />

WIRTSCHAFTLICHER NIEDERGANG UND<br />

ARMUT<br />

Was geschieht – oder was fehlt – in Ländern,<br />

<strong>die</strong> es nicht schaffen, <strong>die</strong>se Art wirtschaftlichen<br />

Aufstiegs zu bewerkstelligen? Wie zuvor<br />

beginnen solche Volkswirtschaften arm und<br />

primär agrarisch mit begrenzter Industriegüterproduktion<br />

in urbanen Gebieten. Aber im<br />

Gegensatz zu wachsenden Volkswirtschaften<br />

ist <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität – und<br />

damit <strong>die</strong> Wirtschaft im ländlichen Raum –<br />

wegen erschöpfter Böden und Klimakatastrophen<br />

stagnierend oder rückläufig. Parallel<br />

zum Bevölkerungswachstum haben <strong>die</strong> Entwaldung<br />

und <strong>die</strong> Wasserknappheit zugenommen.<br />

Es wurden weder von öffentlicher noch<br />

von privater Seite neue Technologien eingeführt,<br />

um <strong>die</strong> Landwirtschaft voranzubringen.<br />

Bauern können nicht einmal ihre Produkte zu<br />

den Märkten bringen, weil <strong>die</strong> Regierungen es<br />

sich nicht leisten können, Straßen zu bauen<br />

oder instand zu halten.<br />

In <strong>die</strong>sen Ländern müssen Kinder in<br />

Agrarhaushalten bereits ab sehr frühem Alter<br />

arbeiten – beispielsweise oft mehrere Kilometer<br />

am Tag zurücklegen, um Wasser und<br />

Brennholz zu holen. Selbst wenn eine schulische<br />

Ausbildung möglich wäre, haben Kinder<br />

keine Zeit oder Energie für den Schulbesuch.<br />

Sie haben auch keinen Zugang zu der Art von<br />

Primärgesundheitsversorgung, <strong>die</strong> notwendig<br />

ist, um Malaria, Wurmparasiten und andere<br />

Leiden zu verhindern oder zu behandeln, weil<br />

sich ihre Familien keine Ärzte und Regierungen<br />

keine Arztgehälter oder benötigten Arzneimittel<br />

leisten können. Viele Kinder – vielleicht<br />

15 von jeweils 100 – sterben, bevor sie<br />

das fünfte Lebensjahr erreichen. Eine Folge<br />

ist, dass Eltern viele Kinder haben.<br />

Weiter verschlimmert wird <strong>die</strong> Situation<br />

durch niedrige Produktivität in urbanen Gebieten.<br />

Außerdem ist das verarbeitende Gewerbe<br />

vielleicht von den Weltmärkten abgeschnitten,<br />

weil es sich um ein Binnenland handelt<br />

und weitab von Häfen liegt oder weil sein<br />

Hauptexportgut auf der ganzen Welt Handelsschranken<br />

unterliegt. Vielleicht führt <strong>die</strong><br />

Straße von der Hauptstadt zum nächsten Hafen<br />

durch ein anderes Land, das den wirtschaftlichen<br />

Interessen seines landumschlossenen<br />

Nachbarn feindlich gegen<strong>über</strong>steht. Oder<br />

vielleicht ist das Küstenland schlecht geführt,<br />

so dass – selbst wenn ein Binnenland eine gut<br />

funktionierende Fernverkehrsstraße zur<br />

Grenze des Transitlandes baut – das Küstenland<br />

<strong>die</strong> Straße nicht den ganzen Weg bis zum<br />

Hafen weiterführt, instand hält und polizeilich<br />

kontrolliert.<br />

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass<br />

eine kleine Bevölkerung <strong>die</strong> Probleme vieler<br />

armer Binnenvolkswirtschaften vergrößert.<br />

Als eine Folge haben internationale Investoren<br />

nur geringes Interesse daran, vor Ort Produktionsstätten<br />

zu errichten, um <strong>die</strong> örtlichen<br />

Märkte zu beliefern. Wenn sie irgend etwas<br />

verkaufen, handelt es sich um Importgüter<br />

und nicht um Waren aus örtlicher Produktion.<br />

Unter solchen Umständen ist es unwahrscheinlich,<br />

dass das örtliche verarbeitende Gewerbe<br />

selbst bei hocheffizienter staatlicher Politik<br />

selbsttragendes Wachstum auslösen kann.<br />

Örtliche Produzenten können vielleicht einige<br />

grundlegende Artikel – Seife, verarbeitete Lebensmittel,<br />

Holzmöbel, Ziegelsteine und anderes<br />

Baumaterial, ein paar Chemikalien – an<br />

<strong>die</strong> örtlichen Märkte liefern, aber wenig sonst.<br />

Die Technologie ist einfach, und Unternehmen<br />

sind nicht wettbewerbsfähig genug, um<br />

auf den Weltmärkten zu verkaufen, insbesondere<br />

angesichts der hohen Kosten für den Warentransport<br />

zu Häfen (und der unerschwinglich<br />

hohen Kosten für den Lufttransport von<br />

Artikeln des Grundbedarfs). Ohne einen<br />

Wachstumsmotor im verarbeitenden Gewerbe<br />

ist es unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong>se Länder<br />

beginnen zu wachsen.<br />

90 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Selbst wenn der öffentliche Sektor seine<br />

Ressourcen optimal nutzt, sind solche Länder<br />

mit zahlreichen Engpässen konfrontiert, <strong>die</strong><br />

Wachstum verhindern:<br />

• Die Sparquote der Privathaushalte ist<br />

niedrig, wenn nicht sogar negativ.<br />

• Die Regierung wendet ihre Einnahmen<br />

größtenteils oder vollständig für <strong>die</strong> Bezahlung<br />

von Angestellten des öffentlichen Dienstes<br />

(Armee, Polizei, Lehrer, öffentliche Verwaltung)<br />

auf, so dass wenig oder gar nichts für<br />

Investitionen in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />

übrig bleibt.<br />

• Die landwirtschaftliche Produktivität<br />

bleibt gering, teils weil es wenig Einsatzmittel<br />

aus einheimischer Produktion wie Düngemittel<br />

gibt. Und wegen gravierender Transportprobleme<br />

ist <strong>die</strong> Einfuhr von Düngemitteln<br />

für <strong>die</strong> meisten Kleinbauern unerschwinglich<br />

teuer.<br />

• Die Fertilität bleibt hoch – eine Folge geringen<br />

Bildungsstands von Frauen und<br />

Mädchen, großer ländlicher Bevölkerung, hoher<br />

Kindersterblichkeitsrate sowie eines fehlenden<br />

Angebots in den Bereichen Familienplanung<br />

und reproduktive Gesundheit.<br />

• Die mütterliche Gesundheit wird beeinträchtigt,<br />

weil Frauen kaum Zugang zu Bildung<br />

und Gesundheitsversorgung haben, was<br />

auch negative Auswirkungen auf ihre Kinder<br />

hat. Die meisten Menschen bleiben in ländlichen<br />

Gebieten, weil sie für den Anbau von<br />

Kulturpflanzen für <strong>die</strong> Nahrungsmittelversorgung<br />

der rasch wachsenden Landesbevölkerung<br />

gebraucht werden. Daraus resultieren<br />

hohe Nahrungsmittelpreise für Bewohner urbaner<br />

Gebiete.<br />

• Angesichts steigender Bevölkerung im<br />

ländlichen Raum sinkt <strong>die</strong> Agrarfläche pro<br />

Landarbeiter und damit <strong>die</strong> Produktion pro<br />

Bauer. In Verbindung mit fehlender Gesundheitsversorgung<br />

verschlechtert <strong>die</strong>s <strong>die</strong> öffentliche<br />

Gesundheit, trägt zur Ausbreitung ansteckender<br />

Krankheiten (teils verursacht<br />

durch eine Schwächung des Immunsystems<br />

infolge Unterernährung) bei und verringert<br />

<strong>die</strong> Produktivität der Erwerbsbevölkerung.<br />

Kurzum, solche Länder stecken in einer<br />

Armutsfalle. Sie verfügen <strong>über</strong> unzureichende<br />

Ressourcen zur Überwindung strukturbeding-<br />

ter Hindernisse und können wichtige Mindeststandards<br />

in den Bereichen Gesundheit,<br />

Bildung und Infrastruktur nicht erreichen, <strong>die</strong><br />

eine Voraussetzung für selbsttragendes<br />

Wachstum sind. Viele der in Kapitel 2 benannten<br />

Länder mit höchster Priorität fallen<br />

in <strong>die</strong>se Kategorie. Gutes Regierungs- und<br />

Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen sowie<br />

eine kluge Wirtschaftspolitik sind Voraussetzungen,<br />

um der Armutsfalle zu entkommen,<br />

reichen aber nicht aus. In den meisten<br />

Fällen müssen auch enorme strukturbedingte<br />

Beschränkungen <strong>über</strong>wunden werden, um <strong>die</strong><br />

Mindeststandards für dauerhaftes Wachstum<br />

zu erreichen.<br />

Es sei explizit auf den Unterschied zwischen<br />

strukturbedingten Schwierigkeiten für<br />

das Erreichens der Mindeststandards für dauerhaftes<br />

Wachstum und durch das Regierungs-<br />

und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />

bedingte Schwierigkeiten für<br />

das Erreichen der Mindeststandards hingewiesen.<br />

Korrupte oder inkompetente Regierungen<br />

richten in vielen Ländern große Schäden<br />

an und verhindern <strong>die</strong> für wirtschaftliche<br />

Entwicklung notwendigen Investitionen. Ursache<br />

für <strong>die</strong>se Last können kleptokratische<br />

Politiker, schwache rechtliche Institutionen,<br />

korrupte Bürokraten oder politische oder bewaffnete<br />

Konflikte sein (siehe Kasten 3.5).<br />

DEN ARMUTSFALLENENTKOMMEN<br />

Was kann also für Länder getan werden, <strong>die</strong> in<br />

Armutsfallen stecken? Der Millenniums-Entwicklungspakt<br />

<strong>die</strong>ses Berichts zielt auf der<br />

Grundlage klugen makroökonomischen Managements<br />

darauf ab, <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

durch <strong>die</strong> Verknüpfung von sechs<br />

Bündeln politischer Maßnahmen zu fördern:<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> Sozialsektoren.<br />

Wenn zusätzliche Gebermittel verfügbar sind,<br />

können in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

in den Bereichen Gesundheit,<br />

Ernährung, Bildung sowie Wasser- und Sanitärversorgung<br />

große Fortschritte erzielt werden,<br />

weil <strong>die</strong> benötigten Interventionen gut<br />

bekannt und lang bewährt sind und <strong>die</strong><br />

Hauptinvestitionen vom öffentlichen Sektor<br />

mit finanzieller Unterstützung von Gebern<br />

Gutes Regierungs- und<br />

Verwaltungshandeln in<br />

Wirtschaftsfragen sowie<br />

eine kluge<br />

Wirtschaftspolitik sind<br />

Voraussetzungen, um der<br />

Armutsfalle zu<br />

entkommen, reichen aber<br />

nicht aus<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 91


KASTEN 3.5<br />

Bei jedem ernst gemeinten Versuch, eine erfolgreiche<br />

Kampagne zum Erreichen der Millenniums-<br />

Entwicklungsziele zu starten, muss den von Konflikten<br />

betroffenen Gebieten besondere Aufmerksamkeit<br />

gewidmet werden. In etwa 60 Ländern wurde in<br />

den neunziger Jahren ein gewaltsamer Konflikt ausgetragen.<br />

Abgesehen von den durch sie verursachten<br />

unmittelbaren Verlusten an Menschenleben<br />

können solche Konflikte Volkswirtschaften untergraben,<br />

Regierungen destabilisieren, <strong>die</strong> Infrastruktur<br />

schädigen, <strong>die</strong> Versorgung durch Sozial<strong>die</strong>nste<br />

unterbrechen und Massenfluchten auslösen. Mehr<br />

als 14 Millionen Menschen sind auf Grund von aktuellen<br />

Konflikten oder Konflikten in der jüngeren<br />

Vergangenheit von Hunger betroffen. In Konfliktgebieten<br />

können sich HIV/AIDS und andere Infektionskrankheiten<br />

oft ungebremst ausbreiten. In<br />

Afrika südlich der Sahara sind bei einigen Armeen<br />

mehr als <strong>die</strong> Hälfte aller Soldaten HIV-positiv. Weil<br />

in Kriegszonen <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung zusammenbricht<br />

und Frauen auf der Flucht Kinder zur<br />

Welt bringen, steigen <strong>die</strong> Mütter- und Säuglingssterblichkeitsraten<br />

dort häufig steil an.<br />

Eine Analyse der 25 am schlimmsten von Konflikten<br />

betroffenen Länder (zwischen 1960 und<br />

1995) ergibt beträchtliche Unterschiede hinsichtlich<br />

der Verluste an Menschenleben und der wirtschaftlichen<br />

Schäden auf Grund von Kriegen. Äthiopien,<br />

Liberia und Uganda wiesen in Konfliktzeiten beispielsweise<br />

wesentlich höhere Säuglingssterblichkeitsraten<br />

auf als in Friedenszeiten. Im Gegensatz<br />

dazu verzeichneten El Salvador, Guatemala und<br />

Mosambik selbst während des Krieges Raten, <strong>die</strong><br />

unter dem regionalen Durchschnitt lagen. Die Ergebnisse<br />

lassen darauf schließen, dass selbst<br />

während eines laufenden Konflikts politische Maßnahmen<br />

ergriffen werden können, um <strong>die</strong> Verluste<br />

an Menschenleben und <strong>die</strong> wirtschaftlichen Folgen<br />

zu verringern.<br />

Konfliktfolgen für Menschen verringern<br />

Angesichts der Heterogenität und der Komplexität<br />

vom Krieg betroffener Volkswirtschaften lassen sich<br />

nur schwer allgemeingültige politische Rezepte nennen.<br />

Zu den Kriegszielen kann zählen, bestimmte<br />

Regionen von lebenswichtigen Diensten abzuschneiden<br />

(Sudan). Ein Konflikt kann auch Regierungen<br />

empfindlich schwächen und sie der Fähigkeit<br />

berauben, <strong>über</strong>haupt noch Leistungen für irgendeine<br />

Gruppe zu erbringen (wie in Afghanistan,<br />

Sierra Leone und Somalia). Wenn <strong>die</strong> Regierung<br />

ohne andere tragende Strukturen vollständig zusammenbricht,<br />

so kann <strong>die</strong>s besonders gravierende Folgen<br />

für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft haben<br />

(Uganda). Ländern, <strong>die</strong> in der Lage waren, <strong>die</strong> Folgen<br />

für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft zu verringern<br />

und in einigen Fällen sogar Fortschritte in<br />

Richtung auf <strong>die</strong> Einhaltung von Entwicklungszielen<br />

zu machen, gelang <strong>die</strong>s nur, wenn alle Haushalte<br />

– auf beiden Seiten der Kampflinie – Zugang zu<br />

Nahrungsmitteln, Basisgesundheitsversorgung und<br />

Grundschulbildung hatten (Guatemala, Mosambik<br />

und Sri Lanka).<br />

Die ausreichende Finanzierung lebenswichtiger<br />

Dienste durch <strong>die</strong> öffentliche Hand kann häufig<br />

selbst dann aufrechterhalten werden, wenn <strong>die</strong> Militärausgaben<br />

kriegsbedingt steigen. Mosambik, Nicaragua<br />

und der Sudan steigerten <strong>die</strong> Sozialausga-<br />

Quelle: Stewart <strong>2003</strong>; Fitzgerald 2001.<br />

Die MEZ und Konfliktländer<br />

ben pro Kopf während ihrer Konfliktzeiten deutlich.<br />

Aber selbst wenn Kürzungen der Sozialausgaben<br />

notwendig sind, sollten <strong>die</strong>se nicht automatisch<br />

<strong>die</strong> Etats für <strong>die</strong> grundlegenden Sozial<strong>die</strong>nste betreffen.<br />

Selbst in Friedenszeiten entfällt auf <strong>die</strong>se<br />

Dienste nur ein Bruchteil der Gesamtsozialausgaben.<br />

Kürzungen der Sozialausgaben werden oft<br />

durch eine Verringerung der <strong>Human</strong>ressourcen verschärft.<br />

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Lehrer<br />

und Ärzte Konfliktgebiete verlassen. Und <strong>die</strong> Kürzungen<br />

sind mit unvorhersehbaren Zusammenbrüchen<br />

der Mechanismen zur Erbringung von Leistungen<br />

verbunden. Deshalb werden flexible Ansätze<br />

für <strong>die</strong> Bereitstellung von Diensten benötigt, bei<br />

denen man sich auf verschiedene Akteure wie NRO<br />

und quasistaatliche Strukturen stützen sollte. Als in<br />

Mosambik Gebäude des Gesundheits- und Bildungswesens<br />

zu Kriegszielen wurden, experimentierte<br />

man dort mit mobilen Gesundheitsposten und<br />

mobilen Unterrichtsräumen. In El Salvador stellten<br />

beide Konfliktparteien bei drei unterschiedlichen<br />

Gelegenheiten erfolgreich <strong>die</strong> Kämpfe ein, damit<br />

Kinder geimpft werden konnten.<br />

Menschen in Konfliktgebieten sind besonders<br />

anfällig für schwere Unterernährung, weil während<br />

Konflikten <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion zurückgeht<br />

und normale Hilfsmaßnahmen unterbrochen<br />

werden müssen. Steigende Nahrungsmittelpreise<br />

sind eine enorme Bedrohung für <strong>die</strong> Ernährungssicherheit.<br />

Viele Industrieländer subventionierten<br />

und rationierten zu Zeiten, in denen sie in Kriege<br />

verwickelt waren, Nahrungsmittel, um drastische<br />

Preissteigerungen zu verhindern. Nicaragua vertraute<br />

ebenfalls auf <strong>die</strong>se Mechanismen, um <strong>die</strong><br />

Ernährungssituation von Menschen in Kriegsgebieten<br />

zu verbessern.<br />

In urbanen Gebieten sind solche Maßnahmen<br />

relativ leicht durchzuführen. Gemeinschaften in<br />

ländlichen Gebieten nutzt aber vielleicht eher Unterstützung<br />

für den Agrarsektor in Form von Lieferungen,<br />

Krediten und entlohnter Arbeit. Die Nahrungsmittelausgabe<br />

in Schulen und Gesundheitseinrichtungen<br />

kann den Zugang zu Hilfe ebenfalls verbessern,<br />

ohne <strong>die</strong> Menschen zu zwingen, sich in Lager<br />

zu begeben. Sie fördert zudem den Schulbesuch<br />

und verringert <strong>die</strong> Anreize für Kinder, Soldaten<br />

oder Diebe zu werden.<br />

Die wirtschaftlichen Folggeschäden<br />

von Konflikten begrenzen<br />

Die wirtschaftlichen Konfliktfolgen beeinträchtigen<br />

das <strong>menschliche</strong> Wohlergehen ebenfalls auf vielfältige<br />

Weise. Sie reichen von steigenden Nahrungsmittelkosten<br />

bis zu sinkenden Beschäftigungschancen.<br />

Länder, <strong>die</strong> zwischen 1960 und 1995 am härtesten<br />

von Konflikten betroffen waren, mußten im<br />

Vergleich zu Friedenszeiten alle enorme Rückschläge<br />

beim Wirtschaftswachstum hinnehmen sowie<br />

eine sinkende Exportgüterprouktion, sinkende<br />

Nachfrage und ein verringertes Staatseinkommen<br />

(als Anteil am Bruttoinlandsprodukt). Fast alle Länder<br />

mußten durch <strong>die</strong> enorme Steigerung der Militärausgaben<br />

und gleichzeitig sinkender Staatseinnahmen<br />

steigende Haushaltsdefizite und eine wachsende<br />

Schuldenspirale in Kauf nehmen. Dennoch<br />

konnten einige Länder <strong>die</strong>sen Trend abwenden<br />

oder sogar trotz Kriegen eine beeindruckende Wirt-<br />

schaftsleistung vorzeigen. Sri Lanka beispielsweise<br />

konnte trotz der Konflikte im Land ein Wirtschaftswachstum<br />

von 2 Prozent erzielen.<br />

Länder, <strong>die</strong> in laufende Konflikte verwickelt<br />

sind, sollten sich auf (mindestens) vier zentrale Politikbereiche<br />

konzentrieren:<br />

• Wegen des Zusammentreffens sinkender<br />

Steuereinnahmen mit drastisch steigenden Militärausgaben<br />

ist es in Ländern, <strong>die</strong> in einen Krieg verwickelt<br />

sind, schwierig, <strong>die</strong> Staatseinnahmen aufrechtzuerhalten.<br />

Die für <strong>die</strong> Einnahmenerhebung<br />

verwendeten institutionellen Strukturen müssen<br />

während des Krieges aufrechterhalten werden.<br />

Außerhalb sollten <strong>die</strong> Steuersätze aus der Zeit vor<br />

dem Krieg beibehalten werden, selbst wenn daneben<br />

zusätzliche Abgaben beispielsweise auf Luxuswaren<br />

und kriegsrelevante Güter erhoben werden.<br />

Regierungen könnten auch obligatorische Sparbriefe<br />

ausgeben und Nahrungsmittelhilfe verkaufen, um<br />

neue Einnahmequellen zu erschließen. Nigeria, Sri<br />

Lanka und dem Sudan gelang es in der Tat, in Konfliktzeiten<br />

das Einnahmeniveau (als prozentualer<br />

Anteil am BIP) aufrechtzuerhalten.<br />

• Weil eine drastisch steigende Inflation Unsicherheit<br />

erzeugt und im privaten Sektor zu Spekulation<br />

führt, muss eine galoppierende Inflation verhindert<br />

werden. Sie würde <strong>die</strong> Kontrolle der öffentlichen<br />

Haushalte und der Staatsfinanzen extrem erschweren.<br />

Die Preisfreigabe während Konflikten als<br />

Reaktion auf eine geringe Angebotselastizität ist<br />

eine Hauptursache für eine drastisch steigende Inflation.<br />

In Mosambik beispielsweise führte eine solche<br />

Freigabe zu einem enormen Anstieg der Preise<br />

für rationierte Waren wie Mais, Speiseöl und<br />

Zucker.<br />

• Weil rückläufige Devisenguthaben zu einem<br />

Produktionsrückgang beitragen, ist es wichtig, <strong>die</strong><br />

Devisenguthaben zu sichern. Einige Länder in<br />

Afrika südlich der Sahara erlitten verheerende Hungersnöte<br />

auf Grund einer Kombination von Konflikt,<br />

Produktionsrückgang und Dürre. Um <strong>die</strong> Produktion<br />

aufrechtzuerhalten, sollten sowohl nationale<br />

als auch internationale politische Maßnahmen<br />

darauf abzielen, produktive Importe zu finanzieren.<br />

Hierzu müssen Exportmärkte offen gehalten und<br />

unterstützt werden sowie solche Importe durch Finanzhilfe/Kredite<br />

erleichtert werden. Nationale politische<br />

Maßnahmen sollten auch sicherstellen, dass<br />

verfügbare Devisenguthaben verwendet werden,<br />

um lebenswichtige Güter wie Arzneimittel und Einsatzmittel<br />

für <strong>die</strong> Landwirtschaft zu kaufen. Importkontrollen<br />

wie Quoten und Zölle können genutzt<br />

werden, um zu gewährleisten, dass <strong>die</strong>s geschieht.<br />

• Es muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />

beibehalten werden. Konfliktbetroffene<br />

Länder stehen vor enormen Schwierigkeiten, unter<br />

Bedingungen unsicherer Exporteinnahmen und<br />

Entwicklungshilfezusagen <strong>die</strong> Zahlungsbilanz im<br />

Gleichgewicht zu halten. Mit politischen Maßnahmen<br />

muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />

beibehalten werden, um Exporte nicht zu erschweren.<br />

Angesichts der unvermeidlichen makroökonomischen<br />

Ungleichgewichte, <strong>die</strong> ein Krieg mit<br />

sich bringt, sollten Länder auch danach trachten,<br />

<strong>die</strong> nominalen Wechselkurse zu kontrollieren. In<br />

Angola beispielsweise stieg <strong>die</strong> Inflation zwischen<br />

1991 und 1992 von 160 auf 246 Prozent. Davon waren<br />

arme Angolaner am stärksten betroffen.<br />

92 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


getätigt werden können. Große Fortschritte in<br />

den Bereichen Gesundheit und Bildung sind<br />

notwendig, bevor <strong>die</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />

beträchtlich gesteigert werden können.<br />

• Investitionen zur Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität. Die landwirtschaftliche<br />

Produktivität kann durch <strong>die</strong> Einführung<br />

besserer Technologie (verbessertes<br />

Saatgut, Bodenbearbeitung und Fruchtfolgewechsel,<br />

Bodennährstoffmanagement, Schädlingsbekämpfung)<br />

und <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

ländlichen Infrastruktur (Bewässerungsprojekte,<br />

Lagerungs- und Transporteinrichtungen,<br />

Straßenverbindungen von den Dörfern<br />

zu größeren Märkten) gesteigert werden. Zusätzlich<br />

kann sichere Bodennutzung <strong>die</strong> Rechte<br />

der Bauern schützen und sie ermutigen, in<br />

Bodenverbesserungen zu investieren, <strong>die</strong> langfristig<br />

<strong>die</strong> Produktivität steigern.<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur. Ein<br />

angemessenes Niveau an Straßen, Energieversorgung,<br />

Häfen und Kommunikation zu erreichen,<br />

um <strong>die</strong> wirtschaftliche Diversifikation in<br />

nicht traditionelle Bereiche zu unterstützen,<br />

wird an einigen Standorten wie Küstenhafenstädten<br />

sehr einfach sein. Aber an anderen Orten<br />

wie Binnen- oder Gebirgsländern, <strong>die</strong> unter<br />

hohen Transportkosten leiden, wird es<br />

sehr viel schwerer sein.<br />

• Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

zur Unterstützung privater Aktivitäten.<br />

Die erfolgreiche Entwicklung nicht traditioneller<br />

Aktivitäten erfordert häufig besondere<br />

industriepolitische Maßnahmen wie selektive,<br />

zeitlich begrenzte und klug ausgelegte<br />

Steuerbefreiungen, Freihandelszonen, Sonderwirtschaftszonen,Technologieparks,Investitionssteuergutschriften,<br />

Förderung von Wissenschaft<br />

und Technologie, zielgerichtete Forschungs-<br />

und Entwicklungsfinanzierung sowie<br />

<strong>die</strong> staatliche Bereitstellung von Infrastruktur<br />

und Flächen.<br />

• Die umfassende Betonung auf Gleichstellung<br />

in der Gesamtgesellschaft. Politische<br />

Institutionen müssen armen Menschen –<br />

insbesondere Frauen – ermöglichen, an Entscheidungen<br />

teilzuhaben, <strong>die</strong> ihr Leben betreffen,<br />

und sie vor willkürlichen und unverantwortlichen<br />

Handlungen von Regierungen<br />

und Verwaltungen sowie anderen Kräften<br />

schützen. Strategien zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

müssen daher<br />

Rechte von Frauen auf Bildung, Leistungen im<br />

Bereich der reproduktiven Gesundheit,<br />

Grundbesitz, Erwerbsbeteiligung und sichere<br />

Nutzung von Grund und Boden gewährleisten.<br />

Strategien müssen auch auf <strong>die</strong> Beseitigung<br />

aller anderen Formen von Diskriminierung<br />

einschließlich der Diskriminierung auf<br />

Grund von Rasse, Ethnizität oder geografischer<br />

Herkunft ausgerichtet sein.<br />

• Die Betonung auf ökologische Nachhaltigkeit<br />

und Stadtmanagement. Viele der<br />

ärmsten Orte auf der Welt liegen in Regionen<br />

mit enormen Klimaschwankungen und hoher<br />

Anfälligkeit, <strong>die</strong> ein solides ökologisches Management<br />

erfordern. Dazu zählen tropische<br />

und subtropische Regionen, <strong>die</strong> für durch das<br />

El-Niño-Phänomen verursachte Fluktuationen<br />

der Niederschlagsmenge und der Temperatur<br />

anfällig sind – Regionen, <strong>die</strong> auch mit<br />

den negativen Auswirkungen langfristiger Klimaänderungen<br />

konfrontiert sind. Eine andere<br />

ökologische Herausforderung ist <strong>die</strong> Steuerung<br />

und Bewältigung der raschen Urbanisierung<br />

durch sorgfältige Stadtplanung und hohe<br />

Investitionen der öffentlichen Hand.<br />

Diese politischen Maßnahmen können einen<br />

Aufstieg aus der Armut auslösen. Länder<br />

können beginnen, arbeitsintensive Waren<br />

(Textilien, Elektronikbauteile) für Auslandsmärkte<br />

zu liefern. Tourismus und EDV-<br />

Dienstleistungen (wie Dateneingabe und der<br />

Betrieb von Backoffice-Rechenzentren) können<br />

zu einem vergleichbaren Boom bei<br />

Dienstleistungsexporten führen. Dieses<br />

Wachstum bei nicht traditionellen Exporten<br />

kann <strong>die</strong> weiter oben beschriebenen kumulativen<br />

Wachstumsprozesse antreiben. Dazu<br />

zählen auch steigende Sparquoten, steigende<br />

Staatseinnahmen, zunehmende Urbanisierung,<br />

sinkende Fertilität und steigende landwirtschaftliche<br />

Produktivität (teils auf Grund<br />

von mehr Einsatzmitteln aus dem verarbeitenden<br />

Gewerbe).<br />

Um langfristiges Wachstum zu erreichen,<br />

müssen alle <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen unabhängig<br />

vom Stand der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

eines Landes gleichzeitig ergriffen<br />

werden. Die ärmsten Länder können sich <strong>die</strong>-<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 93


Stagnierende oder im<br />

Niedergang befindliche<br />

arme Länder können bis<br />

jenseits der<br />

grundlegenden<br />

Mindeststandards<br />

geschoben werden und<br />

selbsttragendes<br />

Wachstum erreichen,<br />

wenn sie genug Mittel<br />

erhalten, um in<br />

Gesundheit, Bildung und<br />

Basisinfrastruktur<br />

investieren zu können<br />

se Investitionen jedoch nicht aus eigenen Mitteln<br />

leisten. Für sie betont der Millenniums-<br />

Entwicklungspakt, dass Geber helfen sollten,<br />

<strong>die</strong> Kosten zu tragen. Dabei wird vorausgesetzt,<br />

dass <strong>die</strong> Länder mit niedrigem Einkommen<br />

ihren Teil der Abmachung einhalten, indem<br />

sie gutes Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />

in Wirtschaftsfragen fördern, <strong>die</strong><br />

Menschenrechte schützen sowie eine transparente<br />

und effiziente Politik verfolgen (siehe<br />

Kasten 3.6).<br />

Dahinter steckt <strong>die</strong> Vorstellung, dass stagnierende<br />

oder im Niedergang befindliche<br />

arme Länder bis jenseits der grundlegenden<br />

Mindeststandards geschoben werden und<br />

selbsttragendes Wachstum erreichen können,<br />

wenn sie genug Mittel erhalten, um in Gesundheit,<br />

Bildung und Basisinfrastruktur investieren<br />

zu können. Mittel aus dem Ausland<br />

werden benötigt, um den gesamten Wachstumsprozess<br />

zu finanzieren – nicht nur <strong>die</strong> Anschubfinanzierung.<br />

In den meisten Fällen<br />

kann selbsttragendes Wachstum innerhalb einer<br />

Generation erreicht werden.<br />

WACHSTUMSPOLITIK ZU<br />

GUNSTEN ARMER MENSCHEN<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel wurde herausgestellt, dass<br />

umfassende, multisektorale Strategien einschließlich<br />

politischer Maßnahmen zur Förderung<br />

von Industriegüterexporten erforderlich<br />

sind, um wirtschaftliches Wachstum zu erreichen.<br />

Angesichts der unterschiedlichen strukturbedingten<br />

Schranken, mit denen Länder<br />

konfrontiert sind, ist klar, dass jedes Land ein<br />

Bündel politischer Maßnahmen ergreifen<br />

muss, <strong>die</strong> vor dem Hintergrund seiner spezifischen<br />

Bedingungen Sinn machen (siehe den<br />

Sonderbeitrag von Nobelpreisträger Joseph<br />

Stiglitz). Dieser Abschnitt versucht Antworten<br />

auf zwei damit zusammenhängende Fragen zu<br />

geben. Ziel ist, sicherzustellen, dass das<br />

Wachstum armen Menschen zugute kommt.<br />

Erstens: Welche politischen Maßnahmen können<br />

<strong>die</strong> Zunahme arbeitsintensiver (im Gegensatz<br />

zu kapitalintensiven) Industriegüterexporte<br />

fördern? Solche Produkte können unmittelbar<br />

<strong>die</strong> Beschäftigungschancen armer<br />

Menschen verbessern und ihre Reallöhne stei-<br />

gern. Zweitens: Welche politischen Maßnahmen<br />

können höhere Einkommen auch für<br />

arme Menschen gewährleisten, <strong>die</strong> nicht unmittelbar<br />

im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt<br />

sind? Solche politischen Maßnahmen<br />

werden in Ländern mit niedrigem und mittlerem<br />

Einkommen mit „Inseln“ verfestigter Armut<br />

benötigt.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR<br />

FÖRDERUNG ARBEITSINTENSIVER<br />

INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />

In den letzten 20 Jahren wurde in der <strong>entwicklung</strong>sbezogenen<br />

Theorie und Praxis zu oft<br />

marktorientiertes wirtschaftliches Wachstum<br />

mit wirtschaftsliberalem Verhalten verwechselt.<br />

Selbst wenn wirtschaftliches Wachstum<br />

auf Privateigentum und Marktkräften basiert,<br />

muss der Staat mit geeigneten politischen<br />

Maßnahmen effiziente und wettbewerbsfähige<br />

einheimische Industriezweige fördern. Die<br />

Entstehung eines Exportsektors für Industriegüter<br />

zu unterstützen kann beispielsweise<br />

schon den halben Sieg auf dem Weg zum Erreichen<br />

anhaltenden Wachstums bedeuten.<br />

Dies gilt insbesondere, wenn ein Land in der<br />

Vergangenheit bereits Rohstoffe exportiert<br />

hat.<br />

Ähnlich wichtig können politische Maßnahmen<br />

zur Förderung arbeitsintensiver statt<br />

kapitalintensiver Aktivitäten sein, weil sie Arbeitsplätze<br />

schaffen sowie langfristig <strong>die</strong> Produktivität<br />

und <strong>die</strong> Reallöhne steigern. Politische<br />

Maßnahmen haben lange eine wichtige<br />

Rolle bei der Förderung der industriellen Entwicklung<br />

gespielt, beispielsweise in den Volkswirtschaften<br />

der ostasiatischen „Tigerstaaten“<br />

seit den sechziger Jahren. Dies hing jedoch<br />

von einer Reihe von Umständen ab – insbesondere<br />

von disziplinierter institutioneller Kapazität<br />

in Regierungen und Verwaltungen.<br />

Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

zu Gunsten der Armen sollten sich an einigen<br />

allgemeinen Richtlinien orientieren. Erstens<br />

sind, wie in <strong>die</strong>sem Kapitel gezeigt wurde,<br />

Industriegüterexporte eine wichtige Voraussetzung<br />

für langfristiges Wachstum. Zu<br />

<strong>die</strong>sem Zweck bedarf es makroökonomischer<br />

und handelspolitischer Maßnahmen zur Di-<br />

94 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 3.6<br />

Uganda hat im letzten Jahrzehnt sehr gute<br />

wirtschaftliche Fortschritte erzielt. Aber trotz<br />

eines realen Wachstums von durchschnittlich<br />

3,7 Prozent im Zeitraum von 1992 bis 1997<br />

weist das Land immer noch ein Pro-Kopf-Einkommen<br />

von lediglich 330 US-Dollar auf.<br />

Uganda ist ein kleines Binnenland, in dem<br />

80 Prozent der Erwerbsbevölkerung in der<br />

Landwirtschaft beschäftigt sind. 1997 wurden<br />

44 Prozent der Bevölkerung als arm eingestuft,<br />

<strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate betrug 83 Todesfälle<br />

pro 1.000 Lebendgeburten (im Jahr<br />

2000), <strong>die</strong> Müttersterblichkeitsrate 505 Todesfälle<br />

pro 100.000 Mütter und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

von Kindern unter fünf Jahren 161<br />

Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

1997 leistete Uganda mit der Aufstellung<br />

des Aktionsplans zur Beseitigung der Armut<br />

(Poverty Eradication Action Plan) Pionierarbeit<br />

im Bereich armutsorientierter Entwicklungsstrategien.<br />

Dieser Aktionsplan wurde<br />

2000 in Abstimmung mit der Weltbank und<br />

dem Internationalen Währungsfonds in einer<br />

<strong>über</strong>arbeiteten Fassung als Strategiedokument<br />

zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction<br />

Strategy Paper – PRSP) vorgelegt. In dem<br />

Dokument setzte Uganda vier Ziele:<br />

• bis 2017 <strong>die</strong> absolute Armut auf 10 Prozent<br />

der Bevölkerung verringern,<br />

• den Bildungsstand der Ugander erhöhen,<br />

• <strong>die</strong> Volksgesundheit verbessern,<br />

• armen Menschen Gehör verschaffen.<br />

Um <strong>die</strong>se Ziele zu erreichen, formulierte<br />

Quelle: Uganda 2002; IMF 2002a; World Bank 2000b.<br />

Was notwendig ist, damit der Millenniums-Entwicklungspakt in Uganda funktioniert<br />

versifizierung der wirtschaftlichen Strukturen.<br />

Eine <strong>über</strong>bewertete Währung, <strong>die</strong> Exporteuren<br />

schadet, kann <strong>die</strong> Möglichkeiten für Beschäftigungswachstum<br />

gravierend einschränken.<br />

Der Übergang zur Exportorientierung ist<br />

komplex (und wird an anderer Stelle umfassend<br />

erörtert). Aber insbesondere für kleine<br />

Volkswirtschaften setzen makroökonomische<br />

politische Maßnahmen eine Exportorientierung<br />

voraus. In China und der Republik<br />

Korea ging staatlicher Schutz der Inlandsmärkte<br />

mit Exportanreizen einher. Korea gewährte<br />

Exporteuren steuerliche Anreize und<br />

zollfreie Importe von Einsatzmitteln, was <strong>die</strong><br />

Rendite des in erwünschten Sektoren investierten<br />

Kapitals erhöhte.<br />

Zweitens werden in kapitalknappen<br />

Volkswirtschaften Finanzierungsanreize be-<br />

<strong>die</strong> Regierung Handlungskonzepte auf der<br />

Grundlage von vier Säulen, <strong>die</strong> sich in vielfacher<br />

Hinsicht mit den handlungsbezogenen<br />

Dimensionen im Millenniums-Entwicklungspakt<br />

decken. Dazu zählen: <strong>die</strong> Schaffung eines<br />

Rahmens für wirtschaftliche Entwicklung und<br />

den Umbau der Wirtschaft durch makroökonomische<br />

Stabilität, Konzentration auf strategische<br />

Exporte und Förderung des privaten<br />

Sektors. Hierfür wird Uganda wesentlich mehr<br />

ausländische Direktinvestitionen ins Land holen<br />

und seine Wirtschaft diversifizieren müssen.<br />

Weil es ein Binnenstaat ist und daraus<br />

hohe Transportkosten resultieren, sind <strong>die</strong>s<br />

schwierige Aufgaben.<br />

Die vierte Säule betrifft <strong>die</strong> Förderung<br />

guten Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />

in Wirtschaftsfragen und wirtschaftliche Sicherheit,<br />

einen Plan zur Modernisierung der<br />

Landwirtschaft, um unmittelbar <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

armer Menschen zur Steigerung ihres<br />

Einkommens zu verbessern, und Maßnahmen<br />

zur Verbesserung von Gesundheit, Bildung<br />

sowie Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />

um unmittelbar <strong>die</strong> Lebensqualität armer<br />

Menschen zu erhöhen. Die entscheidende Frage<br />

ist jedoch, ob Uganda in der Lage sein wird,<br />

<strong>die</strong> Investitionen vorzunehmen, um <strong>die</strong>se<br />

Strategien umzusetzen und <strong>die</strong>se Ziele zu<br />

erreichen.<br />

Die Haushaltsplanung wird mit dem Strategiedokument<br />

zur Armutsbekämpfung in<br />

Übereinstimmung gebracht, und <strong>die</strong> Sozialaus-<br />

nötigt, um <strong>die</strong> Entstehung von Industriezweigen<br />

zu fördern. Eine Reihe politischer Maßnahmen<br />

wurde eingesetzt: gelenkte und subventionierte<br />

Kredite, Unterstützung ausgewählter<br />

Untersektoren, Exportsubventionen,<br />

Institutionen für den Technologieerwerb und<br />

eine Fülle anderer sektorspezifischer Interventionen.<br />

Mehrere südostasiatische Länder haben<br />

Exportkredite und steuerliche Anreize<br />

verwendet, um <strong>die</strong> Renditen von Exportinvestitionen<br />

zu erhöhen. Als relative Nachzügler<br />

spielten jedoch im Allgemeinen ausländische<br />

Direktinvestitionen bei ihnen – und bei China<br />

– eine größere Rolle bei der Förderung der<br />

Exportorientierung als bei den ostasiatischen<br />

Tigerstaaten.<br />

Drittens bedarf es zur Unterstützung solcher<br />

Maßnahmen einer kompetenten, profes-<br />

gaben werden um Mittel erhöht, <strong>die</strong> durch<br />

Schuldenerleichterungen frei werden. Nach einer<br />

Schätzung des ugandischen Economic Policy<br />

Research Center aus dem Jahr 2002 würde<br />

<strong>die</strong> Umsetzung der Pläne in dem Dokument im<br />

Jahr <strong>2003</strong> eine Haushaltslücke von 417 Millionen<br />

US-Dollar oder 6,4 Prozent des BIP verursachen.<br />

Diese Annahme basiert zudem auf einem<br />

recht niedrigen Schätzwert der Kosten für<br />

<strong>die</strong> Gesundheitsversorgung. Die Lücke wäre<br />

noch größer, wenn dar<strong>über</strong> hinaus <strong>die</strong> Kosten<br />

für das Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

wie Bereitstellung von Wasser- und<br />

Sanitärversorgung, Minderung des Hungers<br />

und Bereitstellung von Infrastruktur berücksichtigt<br />

würden.<br />

Diese Prognosen sind für <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft von großem Wert, weil sie<br />

einen Hinweis auf <strong>die</strong> notwendigen Zusatzausgaben<br />

auf der nationalen Ebene liefern.<br />

Die Ausgaben für HIV/AIDS müssen um 83<br />

Prozent, <strong>die</strong> Bildungsausgaben um 109 Prozent<br />

und <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben um 212<br />

Prozent gesteigert werden. Trotz größer Entschlossenheit<br />

und bester Planung auf der Länderebene<br />

werden <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

deshalb unerreichbar bleiben, wenn<br />

sie nicht durch wesentlich größere Mitteltransfers<br />

vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />

unterstützt werden. Diese Transfers<br />

bilden einen wichtigen Aspekt der Rolle<br />

reicher Länder im Millenniums-Entwicklungspakt.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 95


In mehreren neueren ökonometrischen Untersuchungen<br />

wurde versucht, eine systematische<br />

Beziehung zwischen Globalisierung und Wachstum<br />

nachzuweisen – und zwischen Wachstum<br />

und Armutsminderung. Die Botschaft <strong>die</strong>ser Untersuchungen<br />

ist klar: Die Öffnung der Volkswirtschaft<br />

und <strong>die</strong> Liberalisierung ziehen Wachstum<br />

nach sich, und mit dem Wachstum geht <strong>die</strong><br />

Verringerung der Armut einher. Diese Forschungsarbeiten<br />

sollen <strong>die</strong> Angriffe gegen <strong>die</strong><br />

Globalisierung zum Schweigen bringen und –<br />

wenngleich der Begriff vermieden wird – der seit<br />

langem in Misskredit geratenen Trickle-down-<br />

Wirtschaftstheorie neues Leben einhauchen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Auffassung vertrat, dass „eine steigende Flut<br />

alle Boote anhebt“.<br />

Die Trickle-down-Wirtschaftstheorie geriet<br />

aus einem offensichtlichen Grund in Misskredit:<br />

Sie war nicht wahr. Manchmal hilft Wachstum armen<br />

Menschen, manchmal aber auch nicht. Einigen<br />

Messgrößen zufolge nahm in Lateinamerika<br />

<strong>die</strong> Armut in den neunziger Jahren zu. Dies galt<br />

sogar für viele Länder, <strong>die</strong> Wachstum verzeichneten.<br />

Es war nicht nur so, dass reiche Menschen<br />

unverhältnismäßig vom Wachstum profitierten –<br />

ihre Gewinne könnten zum Teil sogar auf Kosten<br />

armer Menschen gegangen sein.<br />

Bei <strong>die</strong>sen neueren Untersuchungen gibt es<br />

eine Reihe technischer Probleme. Das aufschlussreichste<br />

Problem besteht jedoch darin, dass darin<br />

<strong>die</strong> falschen Fragen gestellt wurden: Globalisierung<br />

und Wachstum sind endogen, das Ergebnis<br />

bestimmter politischer Maßnahmen. Es geht<br />

nicht darum, ob Wachstum gut oder schlecht ist,<br />

sondern ob bestimmte politische Maßnahmen –<br />

einschließlich solcher, <strong>die</strong> vielleicht zu engerer<br />

globaler Integration führen – zu Wachstum<br />

führen und ob <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen zu<br />

der Art von Wachstum führen, das das Wohlergehen<br />

armer Menschen verbessert. Ein Blick auf<br />

<strong>die</strong> erfolgreichsten Länder – beim Wachstum und<br />

bei der Armutsbekämpfung – zeigt, wie irreführend<br />

<strong>die</strong>se Untersuchungen sind.<br />

China und andere ostasiatische Länder haben<br />

sich nicht an den Washingtoner Konsens gehalten.<br />

Sie haben Zollschranken nur langsam abgebaut,<br />

und China hat seinen Kapitalverkehr immer<br />

noch nicht vollständig liberalisiert. Obwohl<br />

<strong>die</strong> ostasiatischen Länder „globalisiert“ haben,<br />

ergriffen sie gegen den Rat der internationalen<br />

ökonomischen Institutionen industrie- und handelspolitische<br />

Maßnahmen, um Exporte und den<br />

globalen Technologietransfer zu fördern. Am<br />

wichtigsten war vielleicht jedoch, dass im Gegensatz<br />

zum Washingtoner Konsens politische Maßnahmen<br />

zur Förderung der Gerechtigkeit ein expliziter<br />

Bestandteil ihrer Entwicklungsstrategien<br />

war. Das gleiche gilt möglicherweise für das<br />

SONDERBEITRAG<br />

Armut, Globalisierung und Wachstum: Ausblicke auf einige der statistischen Verknüpfungen<br />

erfolgreichste Land in Lateinamerika, Chile, das<br />

in der Zeit seines hohen Wachstums Anfang der<br />

1990er Jahre in der Tat eine Steuer auf kurzfristige<br />

Kapitalzuflüsse erhob.<br />

Die Politik steht nicht vor der Entscheidung,<br />

„Globalisierung ja oder nein“ oder „Wachstum ja<br />

oder nein“. In manchen Fällen geht es nicht einmal<br />

um „Liberalisierung ja oder nein“. Stattdessen<br />

muss sie beschließen, den Kapitalverkehr kurzfristig<br />

zu liberalisieren, und sich anschließend fragen,<br />

wie sie das am besten bewerkstelligt. Mit welchem<br />

Tempo soll der Handel liberalisiert werden,<br />

und welche politischen Maßnahmen sollten damit<br />

einhergehen? Gibt es Wachstumsstrategien zu<br />

Gunsten der Armen, <strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> Förderung des<br />

Wachstums hinaus mehr leisten, damit <strong>die</strong> Armut<br />

verringert werden kann? Und gibt es Wachstumsstrategien,<br />

<strong>die</strong> nicht nur das Wachstum fördern,<br />

sondern auch zu mehr Armut führen – Strategien,<br />

<strong>die</strong> gemieden werden sollten?<br />

Beispielsweise unterstützen keine Theorie<br />

und keine Belege <strong>die</strong> These, dass <strong>die</strong> Öffnung der<br />

Märkte für kurzfristige, spekulative Kapitalzuflüsse<br />

das wirtschaftliche Wachstum steigert. Es<br />

gibt jedoch zahlreiche Belege und Argumente<br />

dafür, dass sie <strong>die</strong> wirtschaftliche Instabilität vergrößern<br />

und dass wirtschaftliche Instabilität zu<br />

Unsicherheit und Armut beiträgt. Deshalb könnten<br />

solche Formen der Kapitalmarktliberalisierung<br />

auf manche Weise zu mehr "Globalisierung"<br />

führen. Sie führen jedoch nicht zu mehr<br />

Wachstum. Und selbst wenn das Wachstum geringfügig<br />

zunehmen würde, könnte <strong>die</strong>se Form<br />

insbesondere in Ländern ohne angemessene Netze<br />

der sozialen Sicherheit <strong>die</strong> Armut vergrößern.<br />

In ähnlicher Weise soll <strong>die</strong> Handelsliberalisierung<br />

Ressourcen aus geschützten Sektoren mit<br />

niedriger Produktivität in Exportsektoren mit hoher<br />

Produktivität verlagern. Aber was geschieht,<br />

wenn Exportmärkte in Bereichen mit komparativem<br />

Vorteil (wie für Agrarerzeugnisse) in der Praxis<br />

geschlossen sind oder <strong>die</strong> zur Schaffung der<br />

neuen Arbeitsplätze im Exportsektor benötigten<br />

Kredite nicht (oder nur zu exorbitanten Zinssätzen)<br />

verfügbar sind? Dann verlieren Arbeitnehmer<br />

ihre geschützten Arbeitsplätze in Sektoren<br />

mit niedriger Produktivität und werden arbeitslos.<br />

Das Wachstum wird nicht gesteigert, und <strong>die</strong><br />

Armut nimmt zu.<br />

Selbst häufig gepriesene Maßnahmen wie <strong>die</strong><br />

Tarifizierung haben sich als zweischneidiges<br />

Schwert erwiesen, weil sie <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

zusätzlichen Risiken ausgesetzt haben, für deren<br />

Bewältigung sie schlecht gerüstet sind. Zudem<br />

ist erneut nicht klar, ob <strong>die</strong> Tarifizierung zu<br />

rascherem Wachstum führt. Viel mehr Belege<br />

gibt es jedoch dafür, dass <strong>die</strong> höhere Variabilität<br />

<strong>die</strong> Armut vergrößert.<br />

Es gibt politische Maßnahmen, <strong>die</strong> auf lange<br />

Sicht vielleicht das Wachstum steigern und <strong>die</strong><br />

Armut verringern. Dazu zählt <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der Bildungschancen für benachteiligte Gruppen,<br />

was Ländern ermöglicht, einen riesigen Bestand<br />

an zu wenig genutzten Befähigungen anzuzapfen.<br />

Aber <strong>die</strong> Erträge aus Investitionen in <strong>die</strong> Vorschulbildung<br />

heute werden sich erst in zwei Jahrzehnten<br />

oder noch später einstellen. Dies ist nicht<br />

<strong>die</strong> Art von Ergebnissen, <strong>die</strong> gewöhnlich in ökonometrischen<br />

Untersuchungen erscheinen.<br />

In <strong>die</strong>sen ökonometrischen Globalisierungsstu<strong>die</strong>n<br />

verbirgt sich unter der Oberfläche ein anderer<br />

Subtext: Weil <strong>die</strong> Globalisierung so positive<br />

Auswirkungen auf das Wachstum und <strong>die</strong> Armutsbekämpfung<br />

hatte, müssen ihre Kritiker irren.<br />

Aber <strong>die</strong>se Querschnittuntersuchungen können<br />

nicht <strong>die</strong> grundlegendste Kritik an der Globalisierung<br />

widerlegen, wie sie praktiziert wurde:<br />

dass sie unfair ist und ihre Vorteile unverhältnismäßig<br />

oft reichen Menschen zugute gekommen<br />

sind. Nach der letzten Verhandlungsrunde zum<br />

Welthandel, der Uruguay-Runde, wies eine Untersuchung<br />

der Weltbank nach, dass Afrika südlich<br />

der Sahara schlechter da stand als zuvor. Die<br />

asymmetrische Liberalisierung hatte globale Auswirkungen<br />

auf <strong>die</strong> Austauschrelationen. Den<br />

Globalisierungsstu<strong>die</strong>n zufolge musste Afrika<br />

dafür büßen, dass es nicht an der Globalisierung<br />

teilnahm. Das mag teilweise stimmen. Es ist jedoch<br />

auch wahr, dass <strong>die</strong> Art und Weise, wie <strong>die</strong><br />

Globalisierung gesteuert wurde, Afrika benachteiligt<br />

hat.<br />

Von daher waren <strong>die</strong>se ökonometrischen<br />

Untersuchungen zu Globalisierung, Wachstum<br />

und Armut ein irreführendes Ablenkungsmanöver.<br />

Sie lenkten <strong>die</strong> Debatte von den richtigen<br />

Fragen ab, <strong>über</strong> <strong>die</strong> diskutiert werden sollte:<br />

nach der Angemessenheit bestimmter politischer<br />

Maßnahmen für bestimmte Länder, nach den<br />

Möglichkeiten, <strong>die</strong> Globalisierung zu gestalten<br />

(und auch nach den Spielregeln) und nach internationalen<br />

ökonomischen Institutionen zur besseren<br />

Wachstumsförderung und Armutsbekämpfung<br />

in den Entwicklungsländern. Der Antiglobalisierungsbewegung<br />

wurde oft Gedankenlosigkeit<br />

vorgeworfen, wenn sie einfach fragte, ob <strong>die</strong> Globalisierung<br />

gut oder schlecht sei. Aber trotz all<br />

der scheinbaren Komplexität ihrer Statistiken<br />

sind <strong>die</strong> ökonometrischen Stu<strong>die</strong>n genauso schuldig.<br />

Joseph E. Stiglitz<br />

Nobelpreisträger für Wirtschaft, 2002<br />

96 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


sionellen, ausreichend unabhängigen staatlichen<br />

Bürokratie. Unsachgemäße Einmischung<br />

der Politik hat staatlichen Institutionen geschadet<br />

und in einigen Fällen zu Staatsversagen<br />

geführt. Die Reaktion sollte nicht sein,<br />

den Staat abzuschaffen. Die Wiederbelebung<br />

staatlicher Institutionen kann unabhängig davon,<br />

wie schwierig <strong>die</strong>s sein mag, eine entscheidende<br />

Voraussetzung zur Beseitigung<br />

von Wachstumsschranken sein, <strong>die</strong> durch das<br />

Regierungs- und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />

bedingt sind (siehe Feature 3.1).<br />

Die Beschäftigungspolitik für den öffentlichen<br />

Sektor ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang von<br />

Interesse. Der Staat kann kein „employer of<br />

last resort“ sein. In Ostasien bewirken recht<br />

hohe Gehälter im öffentlichen Dienst, insbesondere<br />

für Leitungsfunktionen, dass er für<br />

qualifizierte Kräfte attraktiv ist und bleibt.<br />

Diese technokratischen Gruppen sind relativ<br />

frei von politischen Zwängen, was zu klaren<br />

Entscheidungsprozessen beiträgt und Marktvertrauen<br />

schafft. Dies in richtige Bahnen zu<br />

lenken, war genauso wichtig wie jede politische<br />

Intervention, weil <strong>die</strong> „richtigen“ politischen<br />

Maßnahmen bei fehlender institutioneller<br />

Kohärenz widersinnige Effekte haben können.<br />

Viertens muss der öffentliche Sektor den<br />

privaten Sektor unterstützen und stärken, statt<br />

mit ihm zu konkurrieren. Öffentliche Organe<br />

können private Kapazität in mehrfacher Weise<br />

unterstützen. Japan, <strong>die</strong> Republik Korea, Malaysia<br />

und Thailand richteten formelle Beiräte<br />

ein, um <strong>die</strong> Informations- und Transaktionskosten<br />

privater Akteure zu verringern. Für <strong>die</strong><br />

Technologiepolitik wird eine neue Form von<br />

Beirat genutzt. In Costa Rica und Irland verbinden<br />

Technologie-Foresight-Programme<br />

und -Prozesse Ministerien, den privaten Sektor,<br />

internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen,<br />

um <strong>die</strong> Informations-<br />

und Transaktionskosten zu senken – und<br />

um Einvernehmen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

nationalen technologischen Kapazität zu erzielen.<br />

Diese Organe können insbesondere für<br />

<strong>die</strong> Entwicklung kleiner und mittlerer exportorientierter<br />

Unternehmen von Bedeutung<br />

sein. Außerdem sollten Anstrengungen hin zu<br />

größerer sozialer Verantwortung und Trans-<br />

parenz von Unternehmen unternommen werden.<br />

Internationalen privaten Unternehmen<br />

kommt auch eine wichtige Rolle bei der Förderung<br />

der Kapitalbildung und der Entwicklung<br />

des privaten Sektors vor Ort zu. Dies hat<br />

erwünschte Auswirkungen auf <strong>die</strong> Entstehung<br />

zusätzlicher Arbeitsplätze in den lokalen Arbeitsmärkten.<br />

Schlussendlich kann Wachstum<br />

zu Gunsten der Armen durch ambitioniertere<br />

Partnerschaften zwischen dem privaten und<br />

dem öffentlichen Sektor, insbesondere beim<br />

Bau von Basisinfrastruktur und der Bereitstellung<br />

von Diensten in Entwicklungsregionen<br />

(beispielsweise Stromversorgung) erreicht<br />

werden.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN AUSSERHALB<br />

DER INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />

Die vorgenannten Maßnahmen zur industriellen<br />

Entwicklung können helfen, den Wachstumsmotor<br />

einer Volkswirtschaft zu entwickeln.<br />

Aber viele arme Menschen, wenn<br />

nicht gar <strong>die</strong> meisten, arbeiten außerhalb der<br />

Industriegüterproduktion – insbesondere in<br />

den frühen Entwicklungssta<strong>die</strong>n. Genauso,<br />

wie Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

ergriffen werden, bedarf es daher politischer<br />

Maßnahmen, um ihren Bedarf zu<br />

decken.<br />

Erstens braucht <strong>die</strong> Regierung ein wirksames<br />

Steuersystem, um genug Einnahmen zu<br />

erzielen, <strong>die</strong> sie in den Grundbedarf armer<br />

Menschen investieren kann. In den ärmsten<br />

Ländern erfordert <strong>die</strong>s nicht nur höhere<br />

Staatseinnahmen, <strong>die</strong> klug investiert werden,<br />

sondern auch mehr Finanzhilfe der Geber.<br />

Ein wirksames Steuersystem ist nicht gleichbedeutend<br />

mit höheren Steuern. Ein sinnvollerer<br />

Weg ist, relativ niedrige Sätze für <strong>die</strong> direkte<br />

Einkommensteuer einzuführen, dabei aber<br />

gleichzeitig auf <strong>die</strong> Steuerehrlichkeit zu pochen<br />

und Missbrauch sowie politisch motivierte<br />

Ausnahmeregelungen abzuschaffen. Ein<br />

großes Einnahmenproblem in vielen Ländern<br />

ist, dass reiche Menschen einfach keine direkten<br />

Steuern zahlen.<br />

Zweitens sollten Ländern mit vielen Bauern<br />

in <strong>die</strong> Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität und <strong>die</strong> Diversifizierung von<br />

Ein großes<br />

Einnahmenproblem in<br />

vielen Ländern ist, dass<br />

reiche Menschen einfach<br />

keine direkten Steuern<br />

zahlen<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 97


Feldfrüchten für Exportmärkte investieren.<br />

(In Kapitel 4 wird <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />

detaillierter analysiert.) Solche<br />

Bemühungen könnten <strong>die</strong> Entwicklung standortspezifischer<br />

Saat- und Bodennährstoffstrategien<br />

umfassen, um unter den örtlichen<br />

Gegebenheiten hohe Erträge zu erzielen. Regierungen<br />

können Exporteuren auch finanzielle<br />

Anreize und Vertriebsunterstützung bieten,<br />

um <strong>die</strong> zum Verkauf bestimmten Feldfrüchte<br />

zu diversifizieren. Sie könnten Bauern<br />

in Gebieten mit fragilen Märkten auch Mindestpreise<br />

garantieren. Thailand tat <strong>die</strong>s<br />

während des Übergangs von traditionellen<br />

Feldfrüchten zu ausgefalleneren Arten für den<br />

Export wie Spargel, der im Land nicht konsumiert<br />

wird.<br />

Drittens müssen politische Maßnahmen<br />

den Zugang armer Menschen zu wirtschaftlichen<br />

Aktiva sicherstellen. Ohne Aktiva können<br />

arme Menschen nicht an Märkten teilnehmen.<br />

Sie benötigen Grund und Boden, Finanzen<br />

und Qualifikationen – und öffentliches<br />

Handeln, um sie zu erwerben. Investitionen in<br />

<strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung zur Erweiterung<br />

der sozialen Aufstiegschancen für alle ist eines<br />

der sechs Bündel politischer Maßnahmen, <strong>die</strong><br />

in Kapitel 4 erörtert werden. Wir konzentrieren<br />

uns hier auf Grund und Boden und Finanzen.<br />

Zugang zu Grund und Boden. Mehr als<br />

500 Millionen Menschen oder etwa 100 Millionen<br />

Haushalte in Entwicklungsländern fehlen<br />

Eigentums- oder Besitzrechte an dem<br />

Grund und Boden, den sie bestellen. Die meisten<br />

sind Pachtbauern, Landarbeiter oder<br />

frühere Kolchosenarbeiter. In <strong>die</strong>se Gruppe<br />

fallen auch Agrarhaushalte mit unsicheren<br />

Nutzungsrechten wie Slumbewohner oder Inhaber<br />

von Gewohnheits- oder <strong>über</strong>lieferten<br />

Rechten, <strong>die</strong> keine formellen Rechte an dem<br />

von ihnen besetzten Land haben.<br />

Fehlende formelle gesetzlich verbriefte<br />

Rechte an Grund und Boden schränken <strong>die</strong><br />

Fähigkeit <strong>die</strong>ser Menschen ein, Einkommen<br />

zu erzeugen und ihren Lebensunterhalt zu<br />

ver<strong>die</strong>nen, was das wirtschaftliche Wachstum<br />

untergräbt. Weil Grund und Boden ihre<br />

Haupterwerbsquelle ist und Sicherheit und<br />

gesellschaftlichen Status verleiht, würde <strong>die</strong><br />

Legalisierung ihrer Besitzrechte durch eine<br />

Agrarreform mehreren Zwecken <strong>die</strong>nen:<br />

• Die Schaffung <strong>über</strong>tragbarer Rechte an<br />

Grund und Boden mit bestimmbarem Marktwert<br />

macht Grund und Boden zu einem generations<strong>über</strong>greifenden<br />

Aktivposten.<br />

• Kleinere Betriebe sind pro Hektar oft produktiver<br />

als große, insbesondere wenn sie in<br />

Familienbesitz sind und von Familien bewirtschaftet<br />

werden. 11<br />

• Grundbesitzer haben einen Anreiz und<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit, langfristige Kapitalinvestitionen<br />

zu tätigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />

unmittelbar steigern.<br />

• Der Zugang zu Grund und Boden verbessert<br />

<strong>die</strong> Ernährung von Haushalten – und erhöht<br />

bei manchen Agrarhaushalten das außerlandwirtschaftliche<br />

Einkommen.<br />

• Gesetzlich fest verbriefte Besitzrechte für<br />

Frauen, <strong>die</strong> oft <strong>die</strong> Nahrungsmittelerzeuger in<br />

einem Haushalt sind, führen zu gerechterer<br />

Einkommens- und Wohlfahrtsverteilung.<br />

• Sichere Rechte stärken das Umweltmanagement<br />

und erhöhen <strong>die</strong> Beteiligung der Gemeinschaft.<br />

Obwohl – wie viele Erfahrungen in den<br />

siebziger und achtziger Jahren gezeigt haben –<br />

Bodenreformen politisch umstritten und<br />

schwierig durchzuführen waren, sind sie auf<br />

Grund ihrer engen Verknüpfung mit der Gerechtigkeitsfrage<br />

in vielen Ländern wie Brasilien<br />

und China auf <strong>die</strong> politische Tagesordnung<br />

zurückgekehrt.<br />

Damit <strong>die</strong> meisten Menschen in den<br />

Genuss der Vorteile gesicherten Grundbesitzes<br />

kommen können, müssen solche Rechte<br />

auf einer breiten Basis gewährt werden,<br />

und zwar insbesondere weiblichen Mitgliedern<br />

von Agrarhaushalten. Außerdem sollten<br />

private Grundbesitzer, deren Boden umverteilt<br />

wird, angemessen entschädigt werden.<br />

Ebenso sollten Reformen im Bereich<br />

der gewohnheitsmäßigen Bodennutzungssysteme<br />

vorgenommen werden, damit Grundbesitzer<br />

mit <strong>über</strong>lieferten Rechten <strong>die</strong>se<br />

nicht verlieren. Die potenziellen Nutznießer<br />

sollten in <strong>die</strong> Planungen solcher Reformen<br />

einbezogen werden. Letzter Punkt: Die<br />

begleitenden Bestimmungen sollten <strong>die</strong> sichere<br />

Nutzung gewährleisten und <strong>die</strong> richtigen<br />

98 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Anreize beinhalten, damit <strong>die</strong> Übertragung<br />

von Grundbesitz oder Nutzungsrechten<br />

tatsächlich und nicht nur auf dem Papier<br />

erfolgt.<br />

Zugang zu Krediten. Mikrofinanzinstitutionen<br />

– sowohl Mikrokredit- als auch Mikrosparinstitutionen<br />

– bieten armen Menschen<br />

einen Weg, sich Kapital zu beschaffen und<br />

Kapital zu akkumulieren. Sie ermutigen Kreditnehmer,<br />

in produktive Aktivitäten zu<br />

investieren, und Sparer, Kapital zu akkumulieren<br />

und Zinsen zu ver<strong>die</strong>nen. Kreditnehmer<br />

können <strong>die</strong> Mittel auch verwenden,<br />

um Einkommensflüsse zu glätten und wirtschaftliche<br />

Entscheidungen <strong>über</strong> längere<br />

Zeiträume zu planen. Die Zahl der armen<br />

Menschen mit Zugang zu Mikrokreditprogrammen<br />

stieg von 7,6 Millionen im Jahr<br />

1997 auf 26,8 Millionen im Jahr 2001.<br />

21,0 Millionen davon waren Frauen, <strong>die</strong> auf<br />

<strong>die</strong>se Weise <strong>über</strong> Mittel verfügten, wirtschaftliche<br />

Entscheidungen treffen konnten und<br />

<strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> ihr Leben gewonnen haben.<br />

12 Manchen Schätzungen zufolge könnten<br />

jedes Jahr 5 Prozent der Teilnehmer an<br />

Mikrofinanzprogrammen ihre Familien aus<br />

der Armut befreien. 13<br />

Aus einem makroökonomischen Blickwinkel<br />

sind Mikrofinanzinstitutionen nützlich,<br />

um Kreditmittel für arme Menschen zu kanalisieren<br />

und entstehen zu lassen. Sie bleiben ein<br />

wichtiges politisches Instrument für <strong>die</strong> Verringerung<br />

der Armut im großen Maßstab. Ihr<br />

Erfolg hängt jedoch vom Programm, der teilnehmenden<br />

Gemeinschaft und der Unterstüt-<br />

zung durch Geber, der Gebietskörperschaft<br />

und der verwaltenden Behörde ab. Ihre Ausweitung<br />

hängt von makroökonomischer Stabilität,<br />

der Gesundheit, Absicherung und Wirksamkeit<br />

des Finanzsektors und (langfristig)<br />

von der Fähigkeit der Regierung ab, arme<br />

Menschen durch den Finanzsektor landesweit<br />

zu erreichen.<br />

* * *<br />

Dieses Kapitel beleuchtet <strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Probleme, <strong>die</strong> das wirtschaftliche Wachstum<br />

in den Ländern mit höchster und hoher<br />

Priorität für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erschweren. Es bietet zudem praktische<br />

Ratschläge zur Überwindung <strong>die</strong>ser Probleme.<br />

Diese Länder müssen weit <strong>über</strong> Marktreformen<br />

hinausschauen, um <strong>die</strong> grundlegenden<br />

Herausforderungen auf Grund von weitverbreiteten<br />

Krankheiten, geografischer Isolation,<br />

schlechter Infrastruktur, geringem <strong>Human</strong>kapital<br />

und begrenzten Märkten bewältigen<br />

zu können. Es bedarf dort umfangreicher<br />

Investitionen der öffentlichen Hand, um <strong>die</strong><br />

grundlegenden Mindeststandards für Gesundheit,<br />

Bildung und andere Ergebnisse zu<br />

erreichen. Weil <strong>die</strong>se Länder zu arm sind, um<br />

<strong>die</strong>se Investitionen finanzieren zu können,<br />

müssen <strong>die</strong> reichen Länder ihre Zusagen im<br />

Zusammenhang mit den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

einhalten und helfen, zentrale<br />

Investitionen der öffentlichen Hand zu finanzieren,<br />

<strong>die</strong> langfristige Erfolge bei der wirtschaftlichen<br />

und <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

herbeiführen werden.<br />

Dieses Kapitel beleuchtet<br />

<strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Probleme, <strong>die</strong> das<br />

wirtschaftliche Wachstum<br />

in den Ländern mit<br />

höchster und hoher<br />

Priorität für <strong>die</strong><br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele<br />

erschweren<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 99


Feature 3.1 Entwicklungsprobleme – aus dem Blickwinkel der Geografie<br />

Auf der ersten Karte sind <strong>die</strong> Länder auf der Welt in fünf<br />

Kategorien unterteilt. Die erste bilden <strong>die</strong> dunkelblau dargestellten<br />

Länder, <strong>die</strong> ein hohes Maß an wirtschaftlicher Innovation<br />

zeigen, gemessen anhand der Zahl der Patente pro<br />

eine Million Einwohner. Dabei handelt es sich im Allgemeinen<br />

um <strong>die</strong> Länder mit hohem Einkommen. Die zweite<br />

Gruppe bilden <strong>die</strong> mittelblau dargestellten Industriegüter<br />

exportierenden Entwicklungsländer. Dies sind <strong>die</strong> sich entwickelnden<br />

Volkswirtschaften, deren Exporte im Jahr 1995<br />

zu mindestens 50 Prozent auf das verarbeitende Gewerbe<br />

entfielen. Die dritte Gruppe bilden <strong>die</strong> blaugrau dargestellten<br />

Erdöl exportierenden Volkswirtschaften. Die vierte<br />

Gruppe bilden <strong>die</strong> grau dargestellten Transformationsländer<br />

und <strong>die</strong> fünfte Gruppe <strong>die</strong> auf der Karte schwarz dargestellten<br />

Entwicklungsländer, <strong>die</strong> andere Rohstoffe als Erdöl<br />

exportieren.<br />

Die zweite Karte veranschaulicht <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen<br />

Wachstums im Zeitraum von 1980 bis 1998. Dabei<br />

wird als Maß das konstante Pro-Kopf-BSP, umgerechnet auf<br />

Kaufkraftparitäten verwendet. Man beachte <strong>die</strong> bemerkenswerte<br />

Ähnlichkeit mit der ersten Karte. Die dunkelblau dargestellten<br />

Länder mit entweder einem hohen Maß an Innovation<br />

oder Industriegüterexporten wiesen im Allgemeinen<br />

Wachstum auf, während <strong>die</strong> andere Gruppe von Ländern<br />

(Erdöl exportierende Länder, Transformationsländer und<br />

Rohstoffe exportierende Länder) im Allgemeinen wirtschaftlichen<br />

Niedergang verzeichneten. Zu den wachsenden<br />

Volkswirtschaften zählen <strong>die</strong> Großregionen Nordamerika,<br />

Westeuropa, Ozeanien, Ostasien und Südasien. Die rückläufigen<br />

Länder finden sich vor allem in Afrika südlich der Sahara,<br />

der früheren Sowjetunion, im erdölreichen Nahen<br />

Osten und in Teilen von Lateinamerika, vor allem in den Anden<br />

und in Mittelamerika. Afrika südlich der Sahara ist <strong>die</strong><br />

Weltregion mit dem schlechtesten Ergebnis: Zwei Drittel<br />

der Länder und drei Viertel der Bevölkerung erlebten dort<br />

im Zeitraum von 1980 bis 1998 wirtschaftlichen Niedergang<br />

statt wirtschaftlichen Wachstums.<br />

Tabelle 1 schlüsselt <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen Wachstums<br />

nach der wirtschaftlichen Struktur des Landes auf.<br />

Wenn wir <strong>die</strong> Länder in <strong>die</strong>selben fünf Kategorien wie in<br />

Karte 1 einteilen, erkennen wir, dass sich <strong>die</strong> Hauptprobleme<br />

beim wirtschaftlichen Wachstum in drei Arten von<br />

Volkswirtschaften stellen: den sowjetischen (und postsowjetischen)<br />

Volkswirtschaften, <strong>die</strong> in den neunziger Jahren in<br />

den Übergang zur Marktwirtschaft eintraten, den Erdöl exportierenden<br />

Volkswirtschaften, <strong>die</strong> auf Grund ihres einzigen<br />

oder dominierenden Exportguts einen riesigen Kaufkraftverlust<br />

hinnehmen mussten, und den Rohstoffe exportierenden<br />

Entwicklungsländern. Die meisten der Rohstoffe<br />

exportierenden Länder liegen in Afrika südlich der Sahara,<br />

Lateinamerika und Zentralasien. Die Volkswirtschaften mit<br />

einem hohen Maß an Innovation und <strong>die</strong> Industriegüter exportierenden<br />

Länder unter den Entwicklungsländern haben<br />

im Großen und Ganzen wirtschaftliches Wachstum verzeichnet.<br />

KARTE 1<br />

Klassifikation der Länder nach ihrer wirtschaftlichen Struktur, 1995<br />

Technologische Innovationen, hoher Stand an Patenten<br />

Industriegüter exportierender Länder<br />

Erdöl exportierende Länder<br />

Transformationsländer<br />

Rohstoffe (außer Erdöl) exportierende Länder<br />

KARTE 2<br />

Klassifikation der Ländern nach durchschnittlicher jährlicher Pro-Kop-BIP<br />

Wachstumsrate, 1990<br />

KKP Dollars, 1980–98<br />

Pro-Kopf-BIP-Wachstumsrate<br />

größer als 2,5 Prozent<br />

kleiner als -2,5 Prozent<br />

zwischen 0 und 2,5 Prozent keine Daten<br />

zwischen -2,5 und 0 Prozent<br />

Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

TABELLE 1<br />

Wirtschaftswachstumsraten nach Ländergruppen, 1980-98<br />

Zahl der Länder mit Durchschnittliches Pro-Kopf-<br />

Gruppe wachsendendem Pro-Kopf-BIP BIP-Wachstum (in Prozent)<br />

Reiche Volkswirtschaften 18 von 18 1,7<br />

Transformationsländer 4 von 12 –1,7<br />

Erdöl exportierende Länder 2 von 13 –1,5<br />

Industriegüter exportierende Länder 23 von 24 2,7<br />

Rohstoffe exportierende Länder 29 von 61 –0,1<br />

Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />

Quelle: Maddison 2001; World Bank 2002j.<br />

100 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


TABELLE 2<br />

Wirtschaftswachstumsraten nach Bevölkerungsgröße und geografischer<br />

Lage, 1980-98<br />

Kleine Länder Große Länder<br />

Durchschnittliches Bevölkerung Bevölkerung<br />

jährliches in Ländern Durchschnittliches in Ländern<br />

Zahl der Pro-Kopf-BIP mit positivem Zahl jährliches mit positivem<br />

Länder mit Wachstum Wachstum Länder mit Pro-Kopf-BIP Wachstum<br />

Geografische wachsendem 2001, 2001 wachsendem Wachstum 2001<br />

Lage Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen) Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen)<br />

Binnenländer 24 von 53 –0.2 379 von 799 10 von 10 2.5 3,087 von 3,087<br />

Küstenländer 15 von 17 1.9 118 von 130 3 von 4 3.2 341 von 418<br />

Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />

Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

Tabelle 2 veranschaulicht Muster wirtschaftlichen Wachstums<br />

aus einem anderen Blickwinkel, dem der Geografie.<br />

Diese Tabelle zeigt <strong>die</strong> Wachstumsquoten für alle Entwicklungsländer,<br />

Transformationsländer und nicht Erdöl exportierenden<br />

Länder mit verfügbaren Daten. Die Länder sind<br />

darin nach der Größe ihrer Bevölkerung und der Konzentration<br />

der Bevölkerung nahe Seehandelsrouten unterteilt.<br />

„Kleine Länder“ sind solche mit einer Bevölkerung von weniger<br />

als 40 Millionen Menschen im Jahr 1990, „Binnenländer“<br />

solche, in denen mehr als 75 Prozent der Bevölkerung<br />

in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer von der<br />

Küste lebt. Die Daten machen deutlich, wie <strong>die</strong> Gruppen<br />

der Länder, <strong>die</strong> entweder groß oder Küstenländer sind, im<br />

Zeitraum von 1980 bis 1998 im Durchschnitt ein systematisches<br />

wirtschaftliches Pro-Kopf-Wachstum erzielten. Die<br />

Länder, <strong>die</strong> klein und Binnenländer sind, waren im selben<br />

Zeitraum in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich weniger<br />

erfolgreich.<br />

Weil 33 der 53 Länder, <strong>die</strong> als klein und als Binnenland<br />

eingestuft wurden, in Afrika liegen, sind <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

für <strong>die</strong>sen Kontinent von besonderer Relevanz.<br />

Quelle: McArthur und Sachs 2002; World Bank 2002j, <strong>2003</strong>i; IMF 2002b;<br />

Maddison 2001.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 101


KAPITEL 4<br />

Politische Maßnahmen zur<br />

Verbesserung der Gesundheit und<br />

Bildung der Bevölkerung<br />

Im Millenniums-Entwicklungspakt wird empfohlen,<br />

dass für Länder mit hoher und höchster<br />

Priorität Investitionen in den Bereichen<br />

Gesundheit und Bildung zu den allerersten<br />

politischen Maßnahmen zählen müssen, um<br />

aus der Armutsfalle wieder herauszufinden.<br />

Diese Investitionen tragen zum Wirtschaftswachstum<br />

bei, das sich wiederum auf <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung auswirkt (siehe Kapitel<br />

3). Bildung, Gesundheit, Ernährung sowie<br />

Wasser- und Sanitärversorgung ergänzen<br />

einander, da Investitionen in einem der Bereiche<br />

zu besseren Resultaten in den anderen Bereichen<br />

führen. Die wichtigste Botschaft <strong>die</strong>ses<br />

Kapitels lautet, dass <strong>die</strong> politischen Entscheidungsträger<br />

erkennen müssen, welche<br />

Synergien es zwischen den vielen Aspekten<br />

der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung gibt, wenn sie<br />

in <strong>die</strong> Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

investieren.<br />

Bildung wirkt sich auf alle Gebiete der<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung aus. Bildung ist<br />

mehr als nur eine Quelle von Wissen, sie fördert<br />

auch eine bessere Hygiene und führt zu<br />

einer häufigeren Nutzung von Dienstleistung<br />

im Gesundheitsbereich. Auch sauberes Wasser<br />

und eine angemessene sanitäre Versorgung<br />

sind entscheidend für den Gesundheitszustand.<br />

Da dadurch ansteckende Krankheiten<br />

reduziert werden, verbessert sich der Ernährungszustand<br />

der Kinder und ihre Lernfähigkeit<br />

wird gesteigert. Zusammengenommen<br />

tragen solche Maßnahmen zu einem<br />

Wandel im Gesundheitsbereich bei – größtes<br />

Krankheitsrisiko in einem Land wären dann<br />

nicht mehr ansteckende Krankheiten, sondern<br />

vor allem <strong>die</strong> chronischen Krankheiten.<br />

Durch den Wandel im Gesundheitsbereich<br />

wird sehr schnell ein Wandel im demografischen<br />

Bereich von hohen zu niedrigen<br />

Geburten- und Sterberaten möglich. Hinzu<br />

kommt, dass ein höheres Bildungsniveau in<br />

engem Zusammenhang zu einer besseren Familienplanung<br />

steht. Wenn mehr Kinder am<br />

Leben bleiben, reduzieren <strong>die</strong> Familien <strong>die</strong><br />

Zahl der Kinder, <strong>die</strong> sie bekommen. Die gewünschte<br />

Familiengröße wird kleiner, ein Prozess,<br />

der noch durch <strong>die</strong> freie Verfügbarkeit<br />

von Verhütungsmitteln unterstützt wird. So<br />

spielt im Laufe der Zeit eine niedrigere Säuglings-<br />

und Kindersterblichkeitsrate für ein Sinken<br />

der Fruchtbarkeitsraten eine entscheidende<br />

Rolle. 1 Eine solches Verständnis von Synergien<br />

bei sozialen Investionen ist für <strong>die</strong> Reduzierung<br />

von Hunger, Unterernährung, Krankheit<br />

und Analphabetismus – und auch für <strong>die</strong><br />

Förderung des <strong>menschliche</strong>n Entwicklungspotentials<br />

– von zentraler Bedeutung.<br />

Um den größtmöglichen Nutzen aus den<br />

Synergien bei den grundlegenden sozialen<br />

Dienstleistungen zu ziehen, ist es von entscheidender<br />

Bedeutung, schon zu einem sehr<br />

frühen Zeitpunkt den Schwerpunkt auf <strong>die</strong><br />

allgemeine Grundschulbildung zu legen, insbesondere<br />

für Mädchen. Dazu ist der Zugang<br />

zu einer wirklich funktionierenden Familienplanung,<br />

zu Wasser und zu sanitärer Versorgung<br />

erforderlich. Insofern sind <strong>die</strong>se Dienst-<br />

GRAFIK 4.1<br />

Mädchen mit Schulausbildung führen ein anderes Leben<br />

Auswir- Hat weniger Kinder, <strong>die</strong> Nimmt früher medizinische<br />

kungen in gleichmäßigeren Abstän- Hilfe für sich selbst und<br />

auf den den zur Welt kommen <strong>die</strong> Kinder in Anspruch<br />

Haushalt<br />

Erhöht <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit,<br />

dass<br />

<strong>die</strong> Kinder <strong>über</strong>leben;<br />

Übergang bei der<br />

Gesundheit<br />

Auswirkungen auf<br />

<strong>die</strong> Gesellschaft<br />

Quelle: Mehrotra und Jolly 2000.<br />

Ein Mädchen mit<br />

Schulausbildung<br />

heiratet später<br />

Versorgt und ernährt<br />

sich selbst und <strong>die</strong><br />

Kinder besser<br />

Reduziert <strong>die</strong> Gesamt- Verbessert <strong>die</strong> Lernchancen<br />

Fruchtbarkeit; demographischer und <strong>die</strong> Schulausbildung<br />

Übergang<br />

der Kinder<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 103


KASTEN 4.1<br />

Wenn das Potenzial der Frauen nicht ausgeschöpft<br />

und <strong>die</strong> Geschlechtergerechtigkeit<br />

nicht verbessert wird, können <strong>die</strong> anderen Millenniumsziele<br />

nicht erreicht werden. Den<br />

Handlungsspielraum von Frauen zu erweitern<br />

und ihnen Gehör zu verschaffen, ist unverzichtbar<br />

für <strong>die</strong> Entwicklung ihres Potenzials –<br />

und <strong>die</strong> Verbesserung ihrer Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten ist unverzichtbar, wenn man ihren<br />

Handlungsspielraum erweitern und ihnen<br />

Gehör verschaffen will. Obwohl Ausbildung<br />

das einzige offizielle Ziel ist („Beseitigung der<br />

Geschlechterunterschiede bei der Primar- und<br />

Sekundarschulbildung, möglichst bis 2005,<br />

und auf allen Bildungsebenen bis 2015“), das<br />

zur Bewertung des Fortschritts hinsichtlich des<br />

Ziels der Gleichberechtigung der Geschlechter<br />

herangezogen wird, haben sich verschiedene<br />

weitere Indikatoren zur Beurteilung der Fortschritte<br />

etabliert:<br />

• Das Verhältnis von Mädchen zu Jungen in<br />

der Grundschul-, weiterführenden Schul- und<br />

Hochschulausbildung<br />

• Das Verhältnis alphabetisierter weiblicher<br />

und männlicher 15–24 Jähriger.<br />

• Der Anteil von Frauen an bezahlten Arbeitsplätzen<br />

außerhalb der Landwirtschaft.<br />

• Der Anteil von Frauen in nationalen Parlamenten.<br />

Geschlechtergleichberechtigung in der<br />

Ausbildung hilft Frauen dabei, einen Arbeitsplatz<br />

außerhalb des eigenen Haushalts und politische<br />

Macht zu erlangen, was wiederum zu<br />

ihrem Handlungsspielraum in der Öffentlichkeit<br />

beiträgt. Aber Geschlechtergleichberechtigung<br />

muss sich auch auf den privaten Bereich<br />

erstrecken.<br />

Heute unterminiert <strong>die</strong> fehlende Gleichberechtigung<br />

das Potenzial der Frauen in Bildung<br />

und Gesundheit. Trotzdem werden einige<br />

Fortschritte erreicht, beispielsweise stieg<br />

von 1990 bis 2001 das Verhältnis alphabetisierter<br />

weiblicher und männlicher 15-24 Jähriger<br />

in Ländern mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

von 70 auf 81 Frauen pro 100 Männer,<br />

während es in Ländern mit mittlerer<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung nur von 91 auf 93<br />

leistungen integraler Bestandteil für das Erreichen<br />

aller Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel wird auch dargelegt,<br />

dass <strong>die</strong> Gleichstellung der Geschlechter nicht<br />

nur ein Ziel um seiner selbst willen ist – es ist<br />

für das Erreichen aller anderen Ziele von zen-<br />

stieg. Das Geschlechterverhältnis im Primarbereich<br />

machte ebenfalls gewisse Fortschritte<br />

und stieg in den Entwicklungsländern zwischen<br />

1990 und 1999–2000 von 86 auf 92<br />

Mädchen pro 100 Jungen. Beim gegenwärtigen<br />

Fortschrittstempo wird <strong>die</strong> Gleichheit der Geschlechter<br />

nicht vor 2025 erreicht werden – 20<br />

Jahre nach dem Zieljahr der Millenniumsziele.<br />

Bei jungen Frauen (15–24 Jahre) in Entwicklungsländern<br />

liegt <strong>die</strong> Alphabetisierungsrate<br />

bei 60%, verglichen mit 80% für junge<br />

Männer. Zusätzlich leiden mehr Frauen an<br />

HIV/AIDS. Die Müttersterblichkeit ist ein<br />

weiterer Aspekt der Bürde der Frauen. Und<br />

trotz biologischer Gründe für eine höhere Lebenserwartung<br />

der Frauen gibt es in vielen<br />

Entwicklungsländern Millionen „fehlender“<br />

Frauen durch Ermordung von weiblichen<br />

Säuglingen, Abtreibungen aufgrund des Geschlechts<br />

oder systematischer lebenslänglicher<br />

Diskriminierung (was zu einer niedrigeren<br />

weiblichen Bevölkerung führt, mit 35–37 Millionen<br />

weniger Frauen in Südasien und 38–40<br />

Millionen in China).<br />

Ohne Maßnahmen zur Steigerung des Potenzials<br />

von Frauen in Gesundheit und Bildung<br />

werden sie nur begrenzte Aussichten auf<br />

Arbeitsplätze außerhalb des Haushalts und auf<br />

eigene, unabhängige Ver<strong>die</strong>nstmöglichkeiten<br />

haben. In den neunziger Jahren stagnierte in<br />

den Entwicklungsländern das Verhältnis von<br />

Frauen, <strong>die</strong> außerhalb der Landwirtschaft tätig<br />

waren, bei 40% des Anteils der Männer.<br />

Viele Herausforderungen beeinträchtigen<br />

<strong>die</strong> Gleichberechtigung der Geschlechter auf<br />

dem Arbeitsmarkt sowie bei der Partizipation<br />

in der Gemeinschaft und der Politik. In Entwicklungsländern<br />

sind <strong>die</strong> meisten armen Arbeiterinnen<br />

außerhalb der Landwirtschaft in<br />

informellen Arbeitsverhältnissen beschäftigt<br />

und erhalten niedrige, unregelmäßige Bezahlung.<br />

Weltweit beträgt der Frauenanteil bei<br />

den Parlamentssitzen gerade einmal in sieben<br />

Ländern mehr als 30%. Einer besseren politischen<br />

Vertretung muss oft durch Quoten<br />

nachgeholfen werden.<br />

Geschlechterbeziehungen werden großenteils<br />

durch soziale und kulturelle Verhältnisse<br />

traler Bedeutung. Anhand der Lebensläufe<br />

von Mädchen mit Schulbildung lassen sich <strong>die</strong><br />

Synergien zwischen den einzelnen Interventionen<br />

im sozialen Bereich gut verdeutlichen (siehe<br />

Grafik 4.1). Mädchen mit Schulbildung<br />

heiraten in der Regel später – insbesondere,<br />

Potenzial und Handlungsspielraum von Frauen – Schlüssel für das Erreichen der Millenniumsziele<br />

Quelle: Christiansen, Conway, und Poston <strong>2003</strong>; Drèze und Sen 2002; Landuyt 1998.<br />

bestimmt. Patriarchalische Werte aus der<br />

Kindheit beeinflussen <strong>die</strong> Einstellungen und<br />

Ansichten sowohl von Frauen als auch von<br />

Männern ihr ganzes Leben lang. Diese Werte<br />

manifestieren sich oft in Gesetzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Rechte und Ansprüche von Frauen beschränken<br />

– insbesondere wenn es um Ehe, Scheidung,<br />

Vergewaltigung, Gewalt und Erbschaftsrecht<br />

geht. Frauenrechtsbewegungen<br />

konzentrieren sich oft auf <strong>die</strong> Reform solcher<br />

Gesetze.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Berufstätigkeit und <strong>die</strong> Ausbildung<br />

als grundlegende Strategien betrachtet<br />

werden, um den Handlungsspielraum von<br />

Frauen zu erweitern und ihnen mehr Gehör zu<br />

verschaffen, erfordert <strong>die</strong> Schaffung von mehr<br />

Handlungsspielraum nicht nur:<br />

• Anerkennung der Bedeutung von Ausbildung,<br />

sondern auch <strong>die</strong> Verbesserung ihrer Inhalte,<br />

Vermittlung und ihres Nutzens.<br />

• Schaffung von mehr Arbeitsplätzen für<br />

Frauen, sondern auch <strong>die</strong> Verbesserung ihrer<br />

Qualität und ihrer Bedingungen – einschließlich<br />

nachhaltiger Lebensweisen.<br />

• Erhöhung der zahlenmäßigen Repräsentanz<br />

von Frauen in Parlamenten, sondern<br />

auch bessere Sichtbarkeit von Frauen in hochrangigen<br />

Positionen mit Entscheidungskompetenz<br />

– von der lokalen bis zur nationalen<br />

Ebene.<br />

Das bedeutet, dass sowohl <strong>die</strong> praktischen<br />

Bedürfnisse (wie etwa <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

Lebensverhältnisse, des Arbeitsplatzangebots,<br />

der Gesundheitsversorgung und des Angebots<br />

von sauberem Wasser) als auch <strong>die</strong> strategischen<br />

Bedürfnisse (den Frauen mehr Gehör<br />

verschaffen und ihren Handlungsspielraum<br />

durch geregelte Ansprüche auf Vermögen und<br />

gleichen Lohn, reproduktive Rechte und Freiheit<br />

vor Gewalt zu erweitern, damit sie ihre<br />

Rolle in der Familie und der Gesellschaft neu<br />

definieren können) politisch angegangen werden<br />

müssen, um Frauen mehr Macht zu geben.<br />

Diese Politik muss zudem noch durch Gesetze<br />

untermauert werden, <strong>die</strong> gleiche Rechte für<br />

Frauen und Männer garantieren - im privaten<br />

wie im öffentlichen Bereich, d.h. persönlich<br />

wie politisch.<br />

104 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 4.2<br />

Politische Erfahrungen aus Ländern mit ausgezeichneter Gesundheits- und Bildungsbilanz<br />

Es gibt kein global einheitliches Rezept, wie <strong>die</strong> Millenniumsziele am<br />

besten erreicht werden können, und keinen festgelegten Weg, wie<br />

man „auf Kurs“ kommt. Unterschiedliche nationale Ausgangsbedingungen<br />

erfordern, dass <strong>die</strong> Länder unterschiedliche Strategien<br />

entwickeln, um <strong>die</strong> international festgelegten Ziele für Gesundheit<br />

und Bildung zu erreichen. Aber es gibt jede Menge Erfolgsgeschichten.<br />

• In den 1980er Jahren machte Botsuana große Fortschritte bei Bildung<br />

und Gesundheit, <strong>die</strong> weit <strong>über</strong> <strong>die</strong> Erwartungen angesichts seines<br />

Einkommensniveaus hinausgingen.<br />

• Der indische Bundesstaat Kerala weist Gesundheitsindikatoren<br />

auf, <strong>die</strong> mit denen der USA vergleichbar sind – trotz eines um 99 Prozent<br />

niedrigeren Pro-Kopf-Einkommens und jährlichen Pro-Kopf-<br />

Gesundheitsausgaben von ganzen 28 US-Dollar.<br />

• Kubas Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur einen Bruchteil desjenigen<br />

der USA, dennoch weist das Land <strong>die</strong>selbe Säuglingssterblichkeitsrate<br />

auf und hat HIV/AIDS unter Kontrolle gehalten.<br />

Länder mit guten Leistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung<br />

zeigen den beachtlichen Fortschritt, der innerhalb einer Generation<br />

erreicht werden kann, und Ähnlichkeiten bei <strong>die</strong>sen Erfolgsbeispielen<br />

liefern nützliche Hinweise darauf, was funktioniert:<br />

• Die staatliche Haushaltspolitik war angemessen und gerecht.<br />

In Ländern mit guten Ergebnissen spiegelt sich der politische Wille<br />

nicht nur in den Haushaltstiteln für Gesundheit und Bildung wider,<br />

sondern auch in ihrer gerechten Verteilung. Die Ausgaben konzen-<br />

Source: Chen and Desai 2000; Mehrotra 2000; Drèze and Sen 1995.<br />

wenn sie eine weiterführende Schule besucht<br />

haben und sie einer bezahlten Arbeit außerhalb<br />

des Elternhauses nachgehen. Mädchen<br />

und Frauen mit Schulbildung haben auch weniger<br />

Kinder, nehmen schneller medizinische<br />

Hilfe für sich und ihre Kinder in Anspruch,<br />

sorgen besser für ihre Kinder und ernähren sie<br />

besser. 2 Ein solches Verhalten reduziert das<br />

Auftreten von Krankheiten und erhöht <strong>die</strong><br />

Wahrscheinlichkeit, dass <strong>die</strong> Kinder nicht vor<br />

dem fünften Lebensjahr sterben.<br />

Im Laufe der Zeit führt <strong>die</strong> Reduzierung<br />

der Kindersterblichkeit zu kleineren Familien<br />

und einer verstärkten Anwendung von Verhütungsmitteln<br />

– und damit wird <strong>die</strong> Fruchtbarkeit<br />

insgesamt gesenkt. Kleinere Haushalte ermöglichen<br />

auch eine bessere Betreuung der<br />

Kinder, und bei niedrigeren Fruchtbarkeitsraten<br />

sinkt <strong>die</strong> Zahl der Kinder in schulpflichtigem<br />

Alter. Auf <strong>die</strong>se Weise werden <strong>die</strong> Vorteile<br />

der Schulbildung von Mädchen von Generation<br />

zu Generation größer. Es ist auf der einen<br />

Seite wichtig, <strong>die</strong> Gesundheit der Frauen<br />

und ihr Bildungspotenzial auf <strong>die</strong>se Weise zu<br />

stärken, auf der anderen Seite sind auch Maß-<br />

trieren sich eher auf <strong>die</strong> medizinische Grundversorgung, statt auf<br />

weiterführende Gesundheits<strong>die</strong>nstleistungen und auf Grundschul-,<br />

statt auf höhere Bildung.<br />

• Bildungserrungenschaften gingen verbesserten Gesundheitsergebnissen<br />

voraus. Schon zu Beginn ihres Entwicklungsprozesses haben<br />

alle Länder mit guten Ergebnissen hohe Einschulungsraten für<br />

alle Kinder, insbesondere Mädchen, angestrebt. Die Ungleichheit der<br />

Geschlechter in der Bildung war daher von Anfang an niedriger, und<br />

<strong>die</strong> Geschlechterunterschiede wurden viel schneller reduziert als in<br />

Ländern mit schlechten Ergebnissen. In dem Maße, in dem Investitionen<br />

in <strong>die</strong> öffentliche Gesundheitsfürsorge stiegen, drückte sich<br />

das gute Bildungsniveau in hoher Nachfrage nach und effektiver Nutzung<br />

von Gesundheits<strong>die</strong>nsten aus.<br />

• Gebildete Frauen konnten Veränderungen vorantreiben. Ergebnisse<br />

bei der Gesundheit und Bildung von Kindern sind nicht nur<br />

das Ergebnis von angemessener Nahrungsmittelversorgung und Gesundheits<strong>die</strong>nsten,<br />

sondern auch von richtiger Kinderbetreuung. In<br />

<strong>die</strong>ser Hinsicht kommt den Fähigkeiten und Rollen von Frauen im<br />

Haushalt und in der Gesellschaft große Bedeutung zu. Wenn Frauen<br />

gebildet sind, Eigentumsrechte haben und frei sind, außerhalb des<br />

Haushalts zu arbeiten und ein eigenes Einkommen zu ver<strong>die</strong>nen, verbessert<br />

sich der Wohlstand des gesamten Haushalts (Drèze und Sen<br />

1995). In Ländern mit guten Ergebnissen erzielten Frauen nicht nur<br />

nahezu Gleichstand bei der Bildung, sondern auch ihre Partizipationsraten<br />

am Arbeitsmarkt außerhalb der Landwirtschaft waren hoch.<br />

nahmen erforderlich, um ihre Rolle in der Gesellschaft<br />

als Akteurinnen von Veränderung<br />

nachhaltig zu fördern (siehe Kasten 4.1).<br />

Fortschritte in der Vergangenheit zeigen,<br />

was möglich ist. In den vergangenen 50 Jahren<br />

erzielten <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />

Fortschritte in den Bereichen Gesundheit und<br />

Bildung, für <strong>die</strong> <strong>die</strong> reichen Länder fast 200<br />

Jahre brauchten. Etwa ein Dutzend Entwicklungsländer<br />

machten sogar besonders schnelle<br />

Fortschritte und erreichten soziale Indikatoren,<br />

<strong>die</strong> durchaus mit denen in reichen Ländern<br />

vergleichbar sind. Diese Länder können<br />

anderen Ländern politische Nachhilfe erteilen,<br />

wie man <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erreichen kann (siehe Kasten 4.2).<br />

Wer noch daran zweifelt, dass <strong>die</strong> Ziele in<br />

weniger als einer Generation erreicht werden<br />

können, sollte sich folgende Erfolge vor Augen<br />

führen. In Sri Lanka konnte <strong>die</strong> Lebenserwartung<br />

zum Zeitpunkt der Geburt in nur<br />

sieben Jahren (1945-52) um 12 Jahre erhöht<br />

werden. 3 In China waren es in neun Jahren<br />

(1953–62) 13 Jahre. 4 Von 1960 bis 1980<br />

konnte Botsuana seine Bruttoeinschulungsra-<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 105


Millenniums-<br />

Entwicklungsziele und<br />

Zielvorgaben<br />

Ziel 1: Beseitigung der<br />

extremen Armut und<br />

des Hungers<br />

Zielvorgabe 1: Zwischen<br />

1990 und 2015 den<br />

Anteil der Menschen<br />

halbieren, deren<br />

Einkommen weniger als<br />

1$ pro Tag beträgt<br />

Zielvorgabe 2: Zwischen<br />

1990 und 2015 den<br />

Anteil der Menschen<br />

halbieren, <strong>die</strong> Hunger<br />

leiden<br />

te in der Primarbildung von 40 Prozent auf<br />

91 Prozent mehr als verdoppeln. 5 Und in<br />

Simbabwe stieg <strong>die</strong> Bruttoeinschulungsrate,<br />

fünf Jahre nach der Unabhängigkeit von 75<br />

Prozent im Jahr 1960 auf 124 Prozent im Jahr<br />

1985. 6<br />

Einige Entwicklungsländer machten gewaltige<br />

wirtschaftliche und soziale Sprünge –<br />

und haben jetzt Hochleistungs-Ökonomien<br />

(Republik Korea, Malaysia und Mauritius). Sie<br />

erzielten soziale Fortschritte schon zu einem<br />

frühen Zeitpunkt ihres Entwicklungsprozesses,<br />

als <strong>die</strong> nationalen Einkommen noch niedrig<br />

waren – was auf eine bestimmte Abfolge<br />

bei den Investitionen hindeutet. In anderen<br />

erfolgreichen Ländern war das Wirtschaftswachstum<br />

langsamer und nicht so stetig. Und<br />

trotzdem zeigen einige <strong>die</strong>ser Länder, dass<br />

eine soziale Entwicklung auf hohem Niveau<br />

auch ohne eine blühende Wirtschaft möglich<br />

Wenn man von den bisherigen Erfolgen ausgeht,<br />

müsste das Ziel, den Anteil der hungernden<br />

Menschen bis 2015 um <strong>die</strong> Hälfte zu verringern,<br />

leicht zu erreichen sein. 1996 wurde<br />

auf dem Welternährungsgipfel ein ähnliches<br />

Ziel verabschiedet: <strong>die</strong> Anzahl der hungernden<br />

Menschen in den Entwicklungsländern<br />

auf 400 Millionen zu verringern. 7<br />

Seit den frühen 1970er Jahren hat sich <strong>die</strong><br />

Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern<br />

verdreifacht und mit dem Bevölkerungswachstum<br />

mehr als Schritt gehalten. 8<br />

Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> realen Preise der wichtigsten<br />

Getreideerzeugnisse um 76 Prozent gefallen<br />

sind. 9 Von 1980 bis 1995 stieg <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion<br />

pro Kopf der Bevölkerung<br />

in Asien um 27 Prozent und in Lateinamerika<br />

um 12 Prozent. In Afrika südlich der<br />

Sahara sank sie jedoch um 8 Prozent. 10 Die<br />

Anzahl der Hungernden ist zwar in Südasien<br />

am höchsten, sie sinkt jedoch – während in<br />

Afrika etwa ein Drittel der Bevölkerung unterernährt<br />

ist und <strong>die</strong> Zahl der Hungernden<br />

wächst. 11 Wenn alle Nahrungsmittel, <strong>die</strong> weltweit<br />

erzeugt werden, gerecht verteilt würden,<br />

könnte jeder Mensch 2.760 Kalorien am Tag<br />

ist, wenn <strong>die</strong> Regierung <strong>die</strong> richtigen Prioritäten<br />

setzt und <strong>die</strong> entsprechenden politischen<br />

Maßnahmen ergreift.<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel geht es darum, <strong>die</strong> richtigen<br />

politischen Prioritäten zu setzen – nämlich<br />

<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Länder mit guten Erfolgen<br />

gesetzt haben – um <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele zu erreichen. Die Ziele in<br />

den Bereichen Hunger, Bildung, Gesundheit<br />

und Wasser und sanitäre Versorgung werden<br />

der Reihe nach untersucht – nach dem Grad<br />

der Herausforderung, <strong>die</strong> sie darstellen, bis<br />

hin zu den Maßnahmen, <strong>die</strong> erforderlich sind,<br />

um sie zu erreichen. In dem Kapitel wird dann<br />

ein Aktionsplan vorgeschlagen, um das Niveau,<br />

<strong>die</strong> gerechte Verteilung und <strong>die</strong> Effizienz<br />

der öffentlichen Ausgaben für grundlegende<br />

Dienstleistungen – ebenso wie <strong>die</strong><br />

Quantität und Qualität der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

- zu verbessern.<br />

WIE KANN DAS ZIEL DER REDUZIERUNG DES HUNGERS ERREICHT WERDEN?<br />

konsumieren (Hunger ist so definiert, dass ein<br />

Mensch weniger als 1.960 Kalorien täglich zu<br />

sich nimmt). 12 Wenn man den Hunger<br />

bekämpfen will, muss man gewährleisten, dass<br />

<strong>die</strong> Menschen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ressourcen (insbesondere<br />

Einkommen) verfügen, <strong>die</strong> erforderlich<br />

sind, um Nahrungsmittel zu erwerben.<br />

Hunger ist mehr als nur das Fehlen verfügbarer<br />

Nahrung. Er ist auch ein Problem<br />

des nicht vorhandenen Rechts auf Nahrung<br />

und der Nichtversorgung mit damit in Zusammenhang<br />

stehenden grundlegenden Dienstleistungen<br />

(Gesundheitsversorgung, Bildung,<br />

sauberes Trinkwasser, angemessene sanitäre<br />

Versorgung). Im Unterschied zur Verfügbarkeit<br />

von Nahrung bedeutet das Recht auf<br />

Nahrung, was eine Person mit Einkommen<br />

verlangen und daher konsumieren kann, und<br />

nicht, was auf dem Markt verfügbar ist.<br />

DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />

Jeden Tag müssen 799 Millionen Menschen in<br />

den Entwicklungsländern Hunger leiden – das<br />

sind etwa 18 Prozent der Weltbevölkerung . 13<br />

In Südasien hungert eine von vier Personen<br />

106 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


und in Afrika südlich der Sahara sogar eine<br />

von drei Personen. 14 Die größte Anzahl hungernder<br />

Menschen, nämlich 233 Millionen, ist<br />

in In<strong>die</strong>n zu Hause, während in Afrika südlich<br />

der Sahara 183 Millionen leben, in China 119<br />

Millionen, im Rest von Ostasien und im Pazifik<br />

74 Millionen, in Lateinamerika 55 Millionen<br />

und in den arabischen Staaten 32 Millionen.<br />

15<br />

In den Jahren 1990–92 und 1998–2000<br />

sank der Anteil der hungernden Menschen in<br />

den Entwicklungsländern von 21 Prozent auf<br />

18 Prozent. 16 Der bei weitem größte Rückgang<br />

fand in China statt, obwohl auch in Südostasien<br />

ein beachtlicher Rückgang zu verzeichnen<br />

war. 17 Aufgrund des Bevölkerungswachstums<br />

sinkt <strong>die</strong> Zahl der hungernden Menschen jedoch<br />

nicht ganz so schnell. Weltweit sank <strong>die</strong><br />

Anzahl der hungernden Menschen von 1991<br />

bis 1999 um 20 Millionen. 18 Dieser Fortschritt<br />

war jedoch nur möglich, weil 80 Millionen<br />

Chinesen nicht mehr hungern mussten: in 25<br />

Entwicklungsländern nahm dagegen <strong>die</strong> Zahl<br />

der hungernden Menschen zu (siehe Grafik<br />

4.2). 19<br />

Das Ziel, den Hunger zu reduzieren, beinhaltet<br />

auch, <strong>die</strong> Unterernährung von Kindern<br />

zu verringern. Auf <strong>die</strong>sem Gebiet waren<br />

bei 10 von 33 Ländern, <strong>über</strong> <strong>die</strong> Daten vorlagen,<br />

Rückschläge zu verzeichnen, oder es gelang<br />

ihnen nicht, in den 1990er Jahren Verbesserungen<br />

zu erzielen. 20 Und da es <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Unterernährung von Kindern verlässlichere<br />

Daten gibt, sind solche Trends beunruhigend.<br />

21<br />

Mehr als drei Viertel der hungernden<br />

Menschen leben in ländlichen Gebieten der<br />

Entwicklungsländer. 22 Ungefähr <strong>die</strong> Hälfte<br />

lebt in kleinbäuerlichen Haushalten auf marginalen<br />

Böden, wo <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />

Produktion durch Umweltzerstörung bedroht<br />

ist. 23 Fast ein Drittel lebt in landlosen, nichtbäuerlichen<br />

Haushalten, wie beispielsweise<br />

<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> als Hirten, Fischer oder als<br />

Waldbauern beschäftigt sind. 24 Arme Fischer<br />

müssen jedoch mit ansehen, wie ihre Erträge<br />

beim Fischfang durch <strong>die</strong> kommerzielle Fischerei<br />

reduziert werden, und <strong>die</strong> Waldbauern<br />

verlieren ihre Rechte an Holzfällerfirmen,<br />

<strong>die</strong> mit Genehmigung der Regierung in <strong>die</strong><br />

Wälder vordringen. Hinzu kommt, dass <strong>die</strong><br />

Anzahl der Menschen ohne Landbesitz in den<br />

meisten ländlichen Gebieten aufgrund einer<br />

größeren Anbaudichte und ungerechter Landverteilung<br />

steigt. Der Anteil durchschnittlich<br />

pro Kopf verfügbaren Landes sank bei Bauern<br />

in den Entwicklungsländern von 3,6 Hektar<br />

im Jahr 1972 auf 0,26 Hektar im Jahr 1992 –<br />

und er wird vermutlich bis zum Jahr 2020 weiter<br />

sinken. 25<br />

Ein weiterer beunruhigender Trend ist,<br />

dass <strong>die</strong> Unterernährung auf <strong>die</strong> Städte <strong>über</strong>greift.<br />

26 Inzwischen beträgt der Anteil städtischer<br />

armer Menschen mehr als ein Fünftel<br />

der hungernden Menschen in den Entwicklungsländern.<br />

Dieser Anteil wird wahrscheinlich<br />

noch größer werden, weil <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

in den Städten schneller wächst als auf dem<br />

Land. 27<br />

Jährlich sind in der Regel 5-10 Prozent der<br />

hungernden Menschen von Dürren, Seuchen,<br />

Überschwemmungen, Hurrikanen, extremen<br />

Stürmen oder gewaltsamen Konflikten betroffen.<br />

28 Von den 21 Ländern, in denen 2002 extreme<br />

Nahrungsmittelengpässe auftraten,<br />

wurden <strong>die</strong>se in 15 Ländern durch Kriege, zivile<br />

Konflikte oder Nachwirkungen früherer<br />

Konflikte ausgelöst. 29<br />

Wenn man das Millenniums-Entwicklungsziel<br />

der Reduzierung des Hungers erreichen<br />

will, ist eine bessere Nahrungsmittelverteilung<br />

und eine Steigerung der Produktion<br />

erforderlich. Zu den wichtigsten Prioritäten<br />

bei der Steigerung der Produktion gehören:<br />

• Den Schwerpunkt auf Technologien setzen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />

steigern. Wenn man <strong>die</strong>s tut, werden<br />

auch <strong>die</strong> Einkommen von Menschen steigen,<br />

<strong>die</strong> <strong>über</strong> nicht viel mehr verfügen als <strong>über</strong><br />

Landbesitz.<br />

• Mehr Mittel in <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />

investieren. Viele arme Länder haben ihre<br />

Landwirtschaft vernachlässigt – ein Trend,<br />

der rückgängig gemacht werden muss.<br />

• Die Umweltzerstörung verhindern.<br />

Neue politische Maßnahmen und Technologien<br />

zur Steigerung der Produktivität müssen<br />

auch für den Schutz wichtiger Ökosysteme<br />

sorgen. Arme Menschen leiden am stärksten<br />

unter Umweltzerstörung, Armut führt<br />

GRAFIK 4.2<br />

Die Ernährungsunsicherheit<br />

nimmt zu<br />

Anzahl der Menschen, deren Ernährung<br />

nicht gesichert ist, in allen<br />

Entwicklungsländern ohne China<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 107<br />

800<br />

700 1997-99<br />

1990-92<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

WFS Ziel<br />

2015<br />

Anmerkung: WFS steht für Welternährungsgipfel<br />

Quelle: FAO 2001c.


Gerecht verteiltes Land<br />

verringert auch <strong>die</strong> Armut<br />

und verbessert <strong>die</strong><br />

Einkommensverteilung<br />

jedoch auch zu Umweltzerstörung. In den<br />

Entwicklungsländern ist meist <strong>die</strong> niedrige<br />

Produktivität der Grund für solche Zerstörungen,<br />

während in Europa und Nordamerika<br />

<strong>die</strong> hohe Produktivität dafür verantwortlich<br />

ist.<br />

• Die Ressourcen gerechter verteilen.<br />

Frauen, <strong>die</strong> fast alle Nahrungsmittel erzeugen,<br />

<strong>die</strong> in Afrika südlich der Sahara und in Asien<br />

konsumiert werden, müssen einen gesicherteren<br />

Zugang zu Landbesitz haben. Das gleiche<br />

gilt für Menschen ohne Landbesitz.<br />

• Der Erderwärmung entgegentreten und<br />

<strong>die</strong> Agrarzölle und –subventionen in den<br />

reichen Ländern reduzieren. Protektionistische<br />

Maßnahmen manipulieren <strong>die</strong> internationalen<br />

Märkte zum Nachteil der Bauern in den<br />

Entwicklungsländern. Die Erderwärmung<br />

kann inzwischen <strong>die</strong> klimatischen Bedingungen<br />

für Bauern, <strong>die</strong> von Regen abhängig sind,<br />

negativ beeinflussen.<br />

NAHRUNGSMITTELVORRÄTE FÜR EINE<br />

BESSERE VERTEILUNG UND VORBEUGUNG<br />

GEGEN PREISSCHWANKUNGEN<br />

Die Regierungen können Reserven der wichtigsten<br />

Verbrauchsgüter, insbesondere von<br />

Getreide, anlegen und <strong>die</strong>se auf den Markt<br />

bringen, wenn <strong>die</strong> Nahrungsmittelpreise unmäßig<br />

ansteigen – damit arme Menschen sie<br />

sich dann leisten können. Teil solcher Systeme<br />

könnte möglicherweise auch <strong>die</strong> öffentliche<br />

Verteilung der wichtigsten Verbrauchsgüter<br />

zu Preisen unter Marktniveau sein. In China<br />

und In<strong>die</strong>n gibt es eine lange Tradition<br />

der Nahrungsmittel-Reservehaltung, normalerweise<br />

auf staatliche Kosten.<br />

In<strong>die</strong>n hat seit den siebziger Jahren Nahrungsmittelvorräte<br />

angelegt und war dadurch<br />

in der Lage, einer Ausbreitung von Hungersnöten<br />

entgegenzuwirken. Diese Bemühungen<br />

wurden noch unterstützt durch <strong>die</strong> gesteigerte<br />

Weizen- und Reisproduktivität – ein Ergebnis<br />

der Grünen Revolution. Getreide und wichtige<br />

Verbrauchsgüter (Zucker, Öl zum Kochen)<br />

wurden dabei im Rahmen eines staatlichen<br />

Verteilungssystems zur Verfügung gestellt.<br />

Zusätzlich gewährleisten in Zeiten der Dürre<br />

„food for work“-Programme (Nahrungsmittel<br />

als Entlohnung für geleistete Arbeit) eine Versorgung<br />

auf Subsistenzniveau.<br />

Es ist sehr wichtig, dass Nahrungsmittel<br />

für arme Haushalte weiterhin erschwinglich<br />

bleiben, egal ob im Rahmen von staatlichen<br />

Verteilungssystemen oder Getreideabgaben<br />

an <strong>die</strong> Märkte (etwas, das <strong>die</strong> indische Regierung<br />

in den letzten Jahren nicht mehr getan<br />

hat). Ein Grund für <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />

armer Haushalte in Kerala, einem indischen<br />

Bundesstaat mit guten Ergebnissen (siehe Kasten<br />

4.3), ist, dass staatlich subventionierte Läden<br />

selbst in ländlichen Gebieten Getreide<br />

verteilen. 30 In anderen indischen Bundesstaaten<br />

findet <strong>die</strong> öffentliche Nahrungsmittelverteilung<br />

fast nur in städtischen Gebieten statt.<br />

In China werden Nahrungsmittelvorräte als<br />

Reserve auf kommunaler Ebene bereitgehalten.<br />

In Sri Lanka – einem weiteren Land mit<br />

hohem Niveau bei den sozialen Indikatoren –<br />

wurden Nahrungsmittelsubventionen seit der<br />

Unabhängigkeit im Jahr 1947 beibehalten.<br />

1979 wurden <strong>die</strong> Subventionen für <strong>die</strong> wichtigsten<br />

Verbrauchsgüter (Reis, Weizenmehl,<br />

Linsen, getrockneter Fisch, Milchpulver)<br />

durch ein Lebensmittelmarken-System ersetzt,<br />

mit dem 40 Prozent der Bevölkerung erreicht<br />

wurden.<br />

In Afrika wurden Nahrungsmittelvorräte<br />

nicht in dem Maße angelegt, wie man es bei<br />

der niedrigen Produktivität im Agrarbereich,<br />

den empfindlichen Böden und den häufigen<br />

Hungersnöten auf <strong>die</strong>sem Kontinent erwarten<br />

könnte. Ein Grund für <strong>die</strong> Hungersnot im<br />

südlichen Afrika im Jahr 2002 war, dass <strong>die</strong><br />

begrenzten Vorräte zur Neige gegangen waren;<br />

zum Teil deshalb, weil <strong>die</strong> Regierungen<br />

<strong>die</strong>se aufgrund finanzieller Schwierigkeiten<br />

nicht mehr aufrechterhalten konnten.<br />

Insbesondere für Binnenländer ist es wichtig,<br />

Reserven anzulegen, denn <strong>die</strong> Kosten für<br />

den Bau und <strong>die</strong> Verwaltung von Lagerhäusern<br />

sind gerechtfertigt, wenn dadurch Leben<br />

gerettet, Leiden abgewendet und Produktivität<br />

gewonnen werden können. In Ländern<br />

mit Häfen müssen <strong>die</strong> Kosten für das Anlegen<br />

von Vorräten gegen<strong>über</strong> dem Nutzen abgewogen<br />

werden. Sogar in Küstenländern können<br />

jedoch Reserven <strong>die</strong> negativen Auswirkungen<br />

108 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 4.3<br />

Der Auslaugung von Bodennährstoffen wird<br />

üblicherweise durch den Einsatz von Mineraldüngern<br />

entgegengewirkt. Aber Düngemittel<br />

kosten für den Endverbraucher in<br />

Afrika zwei- bis sechsmal so viel wie in Europa,<br />

Nordamerika und Asien. Allerdings ist es<br />

den Pflanzen egal, ob sie ihre Nitrate und<br />

Phosphate aus einem Sack Dünger oder aus<br />

verrottenden Blättern aufnehmen. Es kommt<br />

also darauf an, pflanzliche Nährstoffe in ausreichender<br />

Menge aufzufrischen, und ob <strong>die</strong>s<br />

durch Mineraldünger oder organische Materialien<br />

geschieht, hängt im wesentlichen vom<br />

Geldbeutel der Bauern ab.<br />

Am besten ist es, den Einsatz beider<br />

Nährstoffquellen in agronomisch vernünftiger<br />

Weise zu kombinieren. Das Sasakawa<br />

Global 2000-Netzwerk und andere Organisationen<br />

haben auf Tausenden afrikanischer<br />

Bauernhöfe gezeigt, dass Mineraldünger <strong>die</strong><br />

Ernten um das Doppelte bis Vierfache steigern<br />

können. Aber selbst Bauern, <strong>die</strong> sich zugekauften<br />

Dünger nicht leisten oder ihn nicht<br />

erhalten konnten, können durch alternative<br />

Ansätze zum Bodenaufbau und zur Nährstoffauffrischung<br />

langfristige Ertragssteigerungen<br />

erzielen:<br />

• Stickstoffbindende Baumbrachen. Leguminosenbäume<br />

werden gemeinsam mit jungen<br />

Maispflanzen gepflanzt, damit sie in Bra-<br />

fluktuierender Nahrungsmittelpreise abmildern.<br />

Bei politischen Konzepten für Afrika hat<br />

man aber eher in <strong>die</strong> entgegengesetzte Richtung<br />

gedrängt und argumentiert, dass sich <strong>die</strong><br />

Versorgung des Kontinents mit Lebensmitteln<br />

<strong>über</strong> den freien Markt regulieren sollte. Regierungen,<br />

<strong>die</strong> mit Haushaltsdefiziten konfrontiert<br />

sind, sollten keine Mittel für Subventionen<br />

von Düngemitteln, Erzeugerpreissubventionen<br />

oder billige Kredite bereitstellen. Ein<br />

neuer Weltbank<strong>bericht</strong> schlägt vor, dass afrikanische<br />

Agrarländer cash crops für den Export<br />

anbauen sollten – um Einkommen für <strong>die</strong><br />

armen Bauern zu schaffen und Devisen für<br />

Nahrungsmittelimporte zu erwirtschaften.<br />

Der Bericht gibt zwar zu, dass größere Ernteerträge<br />

einigen Bauern helfen würden, er<br />

kommt jedoch auch zu dem Schluss, dass viele<br />

so isoliert leben, dass sie nur das anbauen sollten,<br />

was sie für sich selbst benötigen, und das<br />

so billig wie möglich. 31<br />

Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit in Afrika südlich der Sahara<br />

chen während der Trockenzeiten wachsen.<br />

Sie erzeugen in 6–24 Monaten in den subhumiden<br />

tropischen Regionen im östlichen und<br />

südlichen Afrika 100–200 Kilogramm Stickstoff<br />

pro Hektar. Diese Brachen sind ökonomisch<br />

und ökologisch sinnvoll und passen<br />

gut in den Alltag der Bauern und ihren Arbeitsrhythmus<br />

– was auch kaum <strong>über</strong>raschen<br />

kann, da <strong>die</strong> Bauern <strong>die</strong>ses Verfahren mitentwickelt<br />

haben.<br />

• Einheimisches Gesteinsphosphat. Einheimische<br />

Gesteinsphosphatlagerstätten sind<br />

eine Alternative zu importierten Superphosphaten.<br />

Die milde Säure der meisten <strong>die</strong>ser<br />

Böden (pH 5–6) trägt zur langsamen Auslösung<br />

von Gesteinsphosphaten zu Düngezwecken<br />

<strong>über</strong> Jahre hinweg bei. Über einen<br />

Zeitraum von fünf Jahren kann ihre Verwendung<br />

Maisernten verdoppeln oder verdreifachen<br />

und 90 Prozent der Wirkung von<br />

Superphosphaten erzielen – zu weitaus geringeren<br />

Kosten.<br />

• Biomassen<strong>über</strong>tragung durch Blätter<br />

nährstoffakkumulierender Sträucher. Die<br />

Übertragung von Blätter-Biomasse des nährstoffanreichernden<br />

Strauches Tithonia diversifolia<br />

von Straßenrändern und Hecken in<br />

bewirtschaftete Felder bringt zusätzliche<br />

Nährstoffe und verdoppelt Maisernten regelmäßig<br />

ohne weiteren Düngerzusatz.<br />

UNGLEICHHEIT – UND WAS<br />

MAN DAGEGEN TUN KANN<br />

Der Zugang zu Nahrungsmitteln könnte stark<br />

verbessert werden, wenn <strong>die</strong> Regierungen<br />

Maßnahmen ergreifen würden, den schwächsten<br />

Bevölkerungsgruppen Besitz zu ermöglichen<br />

und ihr Einkommen zu steigern.<br />

MARGINALE BEVÖLKERUNGSGRUPPEN.<br />

Gemessen pro Einheit Landbesitz sind kleine<br />

Bauernhöfe produktiver als große. Eine gerechtere<br />

Landverteilung steigert daher <strong>die</strong><br />

landwirtschaftliche Effizienz und <strong>die</strong> Ernteerträge.<br />

In Piaui, in Brasilien, stiegen <strong>die</strong> Bodenerträge<br />

auf nicht bewässerten Feldern um 10-<br />

40 Prozent und auf bewässerten Feldern um<br />

30-70 Prozent, nachdem Land an Kleinbauern<br />

verteilt worden war. 32 Gerecht verteiltes Land<br />

verringert auch <strong>die</strong> Armut und verbessert <strong>die</strong><br />

Einkommensverteilung. In El Salvador konnte<br />

Zehntausende von Bauernfamilien in Kenia,<br />

Malawi, Mosambik, Tansania, Uganda,<br />

Sambia und Simbabwe nutzen <strong>die</strong>se Verfahren<br />

mit guten Ergebnissen. Verbesserte Bracheperioden<br />

sind <strong>die</strong> am häufigsten angewandten<br />

Methoden. Das Wissen wird unter<br />

Bauern, Dörfern und örtlichen Organisationen,<br />

aber auch durch nationale Forschungsund<br />

Anwendungsinstitute, Universitäten,<br />

nichtstaatliche Organisationen und Entwicklungsprojekte<br />

weitergegeben.<br />

Die Herausforderung ist nun, <strong>die</strong> Akzeptanz<br />

und Übernahme solcher Verfahren<br />

durch Abermillionen von Bauernfamilien zu<br />

beschleunigen. Die Haupthindernisse hierfür<br />

sind das unzureichende Angebot von qualitativ<br />

hochwertigem Baum-Keimplasma (Saatgut<br />

und Setzlinge) und von Gesteinsphosphat<br />

sowie unzureichendes Bewusstsein und<br />

Wissen <strong>über</strong> <strong>die</strong> technologischen Komponenten.<br />

Aber auf <strong>die</strong> zunehmende Anwendung<br />

<strong>die</strong>ser Verfahren kommt es an, da <strong>die</strong>s<br />

bedeutende Chancen auf drastisch und nachhaltig<br />

erhöhte Nahrungsmittelproduktion<br />

mit sich bringt – und damit den Hunger in einer<br />

Weise zurückdrängt, <strong>die</strong> auch noch <strong>die</strong><br />

natürlichen Ressourcengrundlagen verbessert.<br />

Quelle: Millennium Project Task Force 2 <strong>2003</strong>a.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 109


Weniger als 1 von 10<br />

Bäuerinnen in In<strong>die</strong>n,<br />

Nepal und Thailand<br />

besitzen Land<br />

durch eine zehnprozentige Erhöhung des<br />

Landbesitzanteils der Bevölkerung, <strong>die</strong> das<br />

Land bebaute, das Pro-Kopf-Einkommen um<br />

4 Prozent gesteigert werden. Auf ganz ähnliche<br />

Weise konnte beobachtet werden, dass in<br />

den indischen Bundesstaaten, <strong>die</strong> eine Bodenreform<br />

durchführten, <strong>die</strong> Armut in den Jahren<br />

1958 bis 1992 schneller zurückging. 33<br />

Damit arme Menschen in natürliche Ressourcen<br />

investieren können, <strong>die</strong> sie brauchen,<br />

um <strong>die</strong> Produktivität zu steigern, müssen sie<br />

gesicherten Zugang zu <strong>die</strong>sen Ressourcen haben.<br />

In Thailand gibt es einen klaren Zusammenhang<br />

zwischen dem gesicherten Recht auf<br />

Landbesitz und dem Selbstvertrauen, eine<br />

nachhaltige Landwirtschaft zu praktizieren. 34<br />

Arme, hungernde Menschen profitieren<br />

ebenfalls von Ressourcen in Gemeinschaftsbesitz.<br />

In den letzten Jahren ist in Brasilien, Kamerun,<br />

Gambia, In<strong>die</strong>n, Nepal und Tansania<br />

öffentlicher Grund und Boden zur Nutzung<br />

beziehungsweise Mitnutzung durch indigene<br />

Gemeinschaften bereitgestellt worden. Auf<br />

vergleichbare Weise wurde <strong>die</strong> gemeinschaftliche<br />

Waldnutzung in Bolivien, Kolumbien,<br />

Indonesien, Mosambik, den Philippinen,<br />

Uganda und Sambia gestärkt. In China und<br />

Vietnam ist den Haushalten öffentlicher<br />

Waldbesitz <strong>über</strong>tragen worden. Die Anerkennung<br />

indigener Rechte und gemeinschaftlichen<br />

Besitzes - und der offenere Umgang mit<br />

öffentlichem Waldbesitz – eröffnen Möglichkeiten,<br />

das Leben von Millionen Waldbewohnern<br />

entscheidend zu verbessern. Das Recht<br />

armer Bevölkerungsgruppen auf Wasser muss<br />

ebenfalls anerkannt werden – und zwar nicht<br />

nur für Bedürfnisse des Haushalts, sondern<br />

auch für Bewässerung, Weiterverarbeitung<br />

von landwirtschaftlichen Produkten und für<br />

das Tränken von Vieh. 35<br />

FRAUEN<br />

Frauen erzeugen fast alle Nahrungsmittel, <strong>die</strong><br />

in Afrika südlich der Sahara und (in geringerem<br />

Ausmaß) in Asien konsumiert werden. Sie<br />

haben jedoch selten ein gesichertes Anrecht<br />

auf das Land, das sie bebauen. Weniger als 1<br />

von 10 Bäuerinnen in In<strong>die</strong>n, Nepal und Thailand<br />

besitzen Land. Ohne sicheren Besitztitel<br />

fehlt den Frauen <strong>die</strong> finanzielle Sicherheit, sie<br />

haben keinen Zugang zu Kredit und keine finanziellen<br />

Mittel, um in Produktivitätssteigerungen<br />

zu investieren – und <strong>die</strong> Gesundheit<br />

und Ernährung ihrer Familien wird dadurch<br />

beeinträchtigt. 36 In einigen Gegenden haben<br />

Frauen nur begrenzte Ansprüche auf Nahrungsmittel<br />

innerhalb des Haushalts – ein besonderes<br />

Problem für schwangere und stillende<br />

Frauen, <strong>die</strong> mehr Kalorien benötigen.<br />

DIE ARME STADTBEVÖLKERUNG<br />

In den meisten Städten gibt es Land, das zum<br />

Anbau genutzt werden kann – das informelle<br />

Sicherheitsnetz für viele arme Stadtbewohner,<br />

<strong>die</strong> Nahrungsmittel in Parks, auf Hausdächern,<br />

auf Feuchtflächen, Friedhöfen, in<br />

Containern, auf freien Grundstücken, auf Wegerechten<br />

und an <strong>die</strong> Eisenbahn angrenzenden<br />

Parzellen anbauen. Sie lassen auch ihr<br />

Vieh auf Hügeln, unbebauten Flächen und<br />

Wegerechten grasen. Diesen Einwohnern sollte<br />

das Recht, <strong>die</strong>se Böden zu nutzen, um sich<br />

zu ernähren, nicht verwehrt werden.<br />

MENSCHEN IN ERNÄHRUNGS-NOTLAGEN<br />

Kriegsflüchtlinge und Flüchtlinge vor Naturkatastrophen<br />

brauchen Nothilfe, um zu <strong>über</strong>leben.<br />

Die Reaktionen auf Ernährungs-Notlagen<br />

müssen viel schneller erfolgen, damit verhungernde<br />

Menschen viel schneller mit Nahrungsmitteln<br />

versorgt werden können.<br />

Frühwarnsysteme für politische Krisen, wie<br />

<strong>die</strong>jenigen für Umweltkatastrophen, wären<br />

eine große Hilfe, weil politische Krisen inzwischen<br />

zur Hauptursache für Hungersnöte geworden<br />

sind.<br />

Außerdem sollte ein permanenter Fonds<br />

eingerichtet werden, damit internationale Organisationen<br />

sofort auf Krisen reagieren können<br />

und nicht erst während sie zu helfen versuchen,<br />

Geldmittel einwerben müssen. Ein<br />

voll kapitalisierter Fonds würde das Welternährungsprogramm<br />

in <strong>die</strong> Lage versetzen,<br />

viel mehr strategische Planung für Nahrungsmittel-Nothilfelieferungen<br />

und Saatgut nach<br />

Hungersnöten sowie <strong>die</strong> Erholung des Viehbestands<br />

zu leisten. Die Ernährungs- und<br />

110 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Landwirtschaftsorganisation der Vereinten<br />

Nationen schätzt, dass es 5,2 Milliarden US-<br />

Dollar jährlich kosten würde, <strong>die</strong> 214 Millionen<br />

hungrigsten Menschen der Welt mit Nahrung<br />

zu versorgen. 37<br />

Wenn man den Nutzen der Ernährungssicherheit<br />

noch erweitern wollte, könnten <strong>die</strong><br />

Nahrungsmittel für solche Programme in den<br />

Entwicklungsländern eingekauft werden. Die<br />

internationale Finanzierung für Ernährung<br />

und Nahrungsmittel-Banken auf kommunaler<br />

Ebene könnte unter dem Dach des Welternährungsprogramms<br />

als internationale Bank<br />

organisiert werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />

weltweit gewährleistet. 38<br />

DIE PRODUKTIVITÄT STEIGERN<br />

Viele Technologien sind zur Steigerung der<br />

landwirtschaftlichen Produktivität und zur<br />

Reduzierung der Hungers entwickelt worden.<br />

Bei einigen Technologien zum Wohle der Armen<br />

wird der Schwerpunkt auf nachhaltige<br />

Produktivität gesetzt und darauf, dass sie für<br />

Frauen geeignet sind. Vielversprechende Management-Ansätze<br />

finden sich in den Bereichen<br />

Agroforstwirtschaft, Permakultur, Erhaltungs-Landwirtschaft,<br />

biologische Stickstoff-<br />

Fixierung, effiziente Wassernutzung, Geschlechtertrennung<br />

in der Viehwirtschaft, integriertes<br />

Schädlingsmanagement, integriertes<br />

Pflanzen-Nährstoffmanagement, integrierte<br />

Intensivlandwirtschaftssysteme sowie integriertes<br />

Boden- und Wassermanagement. 39<br />

Für viele afrikanische Bauern ist eine der<br />

dringendsten Notwendigkeiten <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der Bodenqualität. Auf vielen Höfen<br />

können Düngemittel <strong>die</strong> Ernteerträge bei den<br />

Grundnahrungsmitteln verdoppeln oder sogar<br />

vervierfachen. 40 Selbst Bauern, <strong>die</strong> sich<br />

solche Mittel nicht leisten oder sie nicht bekommen<br />

können, haben viele Möglichkeiten,<br />

<strong>die</strong> Bodenfruchtbarkeit zu steigern, insbesondere<br />

in Afrika (siehe Kasten 4.4).<br />

Die staatliche Politik muss besonderen<br />

Wert darauf legen, <strong>die</strong> natürlichen Lebensgrundlagen<br />

wiederherzustellen. Seit 1996 sind<br />

in China 5 Millionen Hektar Ackerland mit<br />

niedrigen und mittleren Ernteerträgen rehabilitiert<br />

worden. In einigen indischen bäuerli-<br />

chen Gemeinschaften sind flächendeckend<br />

bessere Brachen und Bodendecker angewendet<br />

worden – 145 Systeme konnten identifiziert<br />

werden – angewendet von Bauern auf<br />

marginalen Böden, <strong>die</strong> gezwungen waren, ihre<br />

Brache-Perioden zu reduzieren. 41 Landwirtschaftliche<br />

Systeme können auch verbessert<br />

werden, wenn man Bauern, Fischer, Hirten<br />

und Förster für ihre Funktion beim Management<br />

der Ökosysteme entlohnt. In vielen Gebieten<br />

gibt es schon solche Systeme: in einer<br />

neueren Untersuchung fand man heraus, dass<br />

75 Ausgleichszahlungen für Kohlendioxid-<br />

Emissionen leisten, 72 für <strong>die</strong> Artenvielfalt<br />

und 61 für Dienstleistungen in Wassereinzugsgebieten.<br />

42<br />

Man kann durch Initiativen auch <strong>die</strong> nachhaltige<br />

Landwirtschaft in bäuerlichen Gemeinschaften<br />

fördern. Eine Stu<strong>die</strong> <strong>über</strong> 17<br />

afrikanische Länder ergab, dass 730.000 arme<br />

Haushalte in 45 Projekten nachhaltige Landwirtschaft<br />

praktizierten – <strong>die</strong> Definition bezog<br />

sich auf intensivierte Bodennutzung, diversifizierten<br />

Feldfruchtanbau und Viehhaltung,<br />

verstärkte Nutzung erneuerbarer Ressourcen<br />

und andere Kriterien. 43 In acht asiatischen<br />

Ländern konnten etwa 2,9 Millionen arme<br />

Haushalte, <strong>die</strong> nachhaltige Landwirtschaft<br />

praktizierten, <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion<br />

auf 4,9 Millionen Hektar steigern. 44 Diese Programme<br />

müssen in viel größerem Umfang betrieben<br />

werden und Millionen und Abermillionen<br />

von Haushalten miteinbeziehen.<br />

Bauern in Entwicklungsländern verfügen<br />

oft nicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Straßen, Lagerhäuser, Elektrizität<br />

und Kommunikations-Verbindungen,<br />

<strong>die</strong> erforderlich wären, um sie näher an <strong>die</strong><br />

Märkte heranzubringen – sie sind dadurch<br />

stärker den Zwischenhändlern ausgeliefert,<br />

<strong>die</strong> hohe Preise für ihre Dienste verlangen<br />

oder den Monopol-Käufern, <strong>die</strong> ihre Einnahmen<br />

drücken. Leider wird der Landwirtschaft<br />

weltweit von den Regierungen, aber auch von<br />

den Gebern nur geringe Priorität eingeräumt.<br />

Viele Regierungen haben viel weniger in marginale<br />

Böden investiert als in günstiger gelegene<br />

landwirtschaftliche Gebiete. 45 In Afrika investieren<br />

<strong>die</strong> meisten Länder weniger als 5<br />

Prozent ihrer Haushalte in <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />

Entwicklung – <strong>die</strong>s obwohl 75 Prozent<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 111


KASTEN 4.4<br />

Landwirtschaftspolitik und Ernährungssicherung<br />

Wie <strong>die</strong> Interventionen der indischen Regierung<br />

auf den Getreidemärkten zeigen,<br />

kann <strong>die</strong> Politik für andere Gewinner –<br />

und Verlierer – bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen<br />

sorgen.<br />

Die Mindestaufkaufpreise, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

staatliche Food Corporation of India festsetzt,<br />

wurden zur Preisstabilisierung und<br />

zur Unterstützung von Getreidebauern<br />

eingeführt und sind stattdessen viel<br />

schneller als <strong>die</strong> Inflation gestiegen. Dieses<br />

Ergebnis kann teilweise durch starke<br />

Agrarlobbies (besonders für Reis und<br />

Weizen) erklärt werden, ferner durch <strong>die</strong><br />

staatliche Politik, für <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />

Produktionskosten der Bauern aufzukommen.<br />

Die wirtschaftlichen Produktionskosten<br />

basieren auf den Materialkosten, auf<br />

Quelle: Kannan, Mahendra Dev und Sharma 2000; India 2002a.<br />

berechneten Werten für Ackerland und<br />

Arbeitskräfte sowie auf einem Bonus.<br />

Theoretisch beruhen <strong>die</strong> Preise im öffentlichenNahrungsmittel-Verteilungssystem<br />

auf den wirtschaftlichen Kosten (und<br />

damit auf den Mindestaufkaufpreisen).<br />

Aber <strong>die</strong> Marktpreise liegen unter den<br />

Preisen des Systems, was zu steigenden<br />

Nahrungsmittelvorräten in den Lagerhäusern<br />

der Regierung führt, obwohl In<strong>die</strong>n<br />

<strong>die</strong> weltweit höchste Zahl von Hungernden<br />

hat und fast <strong>die</strong> Hälfte der indischen<br />

Kinder unterernährt ist. Gegen <strong>die</strong> Agrarlobbies<br />

wirkt allerdings der Druck auf <strong>die</strong><br />

Politiker, den Wählern entgegenzukommen<br />

und dementsprechend <strong>die</strong> Preise des<br />

öffentlichen Nahrungsmittel-Verteilungssystems<br />

zu kontrollieren.<br />

ihrer Bürger (direkt oder indirekt) von der<br />

Landwirtschaft abhängig sind. 46<br />

Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> landwirtschaftliche<br />

Forschung stark unterfinanziert ist. Viele<br />

Länder mit niedrigem Einkommen geben<br />

dafür nur 0,5 Prozent ihres landwirtschaftlichen<br />

Bruttoinlandsprodukts aus – und fast der<br />

gesamte Betrag wird für Böden mit besserer<br />

Qualität und für den kommerziellen Anbau<br />

eingesetzt. 47 Wenn arme Bauern auf marginalen<br />

Böden von der landwirtschaftlichen Forschung<br />

profitieren sollen, muss <strong>die</strong>se Unterstützung<br />

für vielversprechende Initiativen wie<br />

Mehrfruchtanbausysteme, Ökolandbau, frühreifende<br />

Samensorten und kostengünstige<br />

Methoden der Bodenverbesserung bieten.<br />

Landwirtschaftliche Dienstleistungen,<br />

wenn <strong>über</strong>haupt verfügbar, werden hauptsächlich<br />

von Privatfirmen angeboten, <strong>die</strong> Leistungen<br />

verkaufen und Beratung anbieten, <strong>die</strong> oft<br />

falsch ist und fast immer unvollständig. Die<br />

landwirtschaftlichen Beratungs<strong>die</strong>nste der Regierungen<br />

setzen meist den Schwerpunkt auf<br />

<strong>die</strong> Verteilung von Saatgut und Düngemitteln<br />

und bieten oft Sorten und Rezepturen an, <strong>die</strong><br />

für <strong>die</strong> Bedingungen vor Ort ungeeignet sind.<br />

Bei der Zuweisung von Subventionen für<br />

Leistungen oder beim Kauf von Getreide,<br />

subventionieren <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />

Großproduzenten und –verarbeiter bezie-<br />

hungsweise gewähren ihnen privilegierten Zugang.<br />

Die Regeln für <strong>die</strong>se Mechanismen<br />

führen oft zu einer Marktverzerrung, belasten<br />

Kleinproduzenten in unfairer Weise, etablieren<br />

offizielle Monopol-Käufer und setzen eine<br />

extrem hohe Besteuerung und hohe Gebühren<br />

für Dienstleistungen fest. 48 Politische<br />

Maßnahmen der Regierungen, <strong>die</strong> Kleinproduzenten<br />

diskriminieren, sollten sofort<br />

zurückgenommen werden, und <strong>die</strong> staatliche<br />

Finanzierung von Subventionen sollte so reformiert<br />

werden, dass sie armen Bauern Unterstützung<br />

bietet (siehe Kasten 4.3).<br />

DIE INTERNATIONALE VERANTWORTUNG<br />

Die bilaterale öffentliche Entwicklungshilfe in<br />

den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft<br />

und Fischerei stieg zwischen 1971 und<br />

1990, aber sank im Anschluss daran wie auch<br />

<strong>die</strong> allgemeine öffentlich Entwicklungshilfe.<br />

Die multilaterale öffentliche Entwicklungshilfe<br />

stieg in den Jahren 1973-74 von 1,2 Milliarden<br />

US-Dollar jährlich auf 3,6 Milliarden US-<br />

Dollar jährlich in den Jahren 1982-83, sank<br />

aber in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten<br />

wieder auf einen jährlichen Stand von 1,4 Milliarden<br />

US-Dollar in den Jahren 1999-2000<br />

(US-Dollarkurs aus dem Jahr 2000). Der Anteil<br />

an den Gesamtkrediten der Weltbank für<br />

<strong>die</strong> Bereiche Land- und Forstwirtschaft sowie<br />

Fischerei reduzierte sich von 15 Prozent der<br />

Gesamtsumme im Jahr 1997 auf 10 Prozent<br />

im Jahr 1999. 49<br />

Um jedoch den Hunger in den Entwicklungsländern<br />

zu bekämpfen, sind nicht nur im<br />

Bereich Hilfe internationale Maßnahmen erforderlich,<br />

sondern auch bezüglich zweier anderer<br />

Probleme, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Zunahme der<br />

Nahrungsmittelproduktion und der kleinbäuerlichen<br />

Produktivität von entscheidender Bedeutung<br />

sind. Erstens behindern <strong>die</strong><br />

Agrarsubventionen in den reichen Ländern –<br />

sie beliefen sich im Jahr 2002 auf eine Gesamtsumme<br />

von 311 Milliarden US-Dollar – das<br />

landwirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern<br />

(siehe Kapitel 8).<br />

Zweitens führt <strong>die</strong> Erderwärmung, <strong>die</strong><br />

durch Treibhausgasemissionen verursacht<br />

wird, zu häufigeren extremen Wetterbedin-<br />

112 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


gungen – Überschwemmungen, Dürren,<br />

Schlammlawinen, Taifunen, Zyklonen –, und<br />

dadurch steigt <strong>die</strong> Zahl der Menschen, <strong>die</strong> in<br />

einen Nahrungsmittel-Notstand geraten. In<br />

den kommenden Jahrzehnten werden durch<br />

den Klimawandel wahrscheinlich <strong>die</strong> Niederschläge<br />

zwischen dem 30. nördlichen Breitengrad<br />

und dem 30. südlichen Breitengrad zunehmen.<br />

In manchen tropischen und subtropischen<br />

Gebieten wird sich <strong>die</strong> Niederschlagsmenge<br />

jedoch vermutlich verringern<br />

und stark schwanken, wodurch <strong>die</strong> Ernteerträge<br />

in Ländern, in denen schon jetzt<br />

Ernährungsunsicherheit herrscht, zurückgehen<br />

werden.<br />

WIE KÖNNEN DIE BILDUNGSZIELE ERREICHT WERDEN?<br />

In den 1990er Jahren stiegen <strong>die</strong> Einschulungsraten<br />

im Primarbereich <strong>über</strong>all auf<br />

der Welt, und in vielen Regionen geht ein hoher<br />

Prozentsatz der Kinder zur Schule. In<br />

Ostasien und dem Pazifik, in Mittel- und<br />

Osteuropa und in der Gemeinschaft unabhängiger<br />

Staaten (GUS) ebenso wie in Lateinamerika<br />

und der Karibik besuchen mehr<br />

als 90 Prozent der Kinder <strong>die</strong> Grundschule.<br />

In Südasien sind es 79 Prozent und in den<br />

arabischen Staaten 77 Prozent. In Afrika<br />

südlich der Sahara stiegen <strong>die</strong> Netto-Einschulungsraten<br />

im Primarbereich in den<br />

1990er Jahren um 3 Prozentpunkte, 50 trotzdem<br />

gehen weniger als 60 Prozent der Kinder<br />

zur Schule. 51<br />

DAS AUSMASS DES<br />

PROBLEMS<br />

In den Entwicklungsländern besuchen von<br />

den 680 Millionen Kindern im Grundschulalter<br />

115 Millionen keine Schule – drei Fünftel<br />

davon sind Mädchen. 52 In In<strong>die</strong>n gehen 40<br />

Millionen Kinder nicht zur Grundschule, das<br />

ist mehr als ein Drittel aller Kinder auf der<br />

Welt. 53<br />

Hinzu kommt, dass Einschulung noch<br />

nicht bedeutet, dass <strong>die</strong> Schule auch abgeschlossen<br />

wird. Nur etwas mehr als <strong>die</strong> Hälfte<br />

Die Niederschläge in Afrika sind seit 1968<br />

gesunken. Außerdem haben sich <strong>die</strong> Fluktuationen<br />

bei den Niederschlägen <strong>über</strong>all auf<br />

dem Kontinent ausgeweitet, was zu katastrophalen<br />

Überschwemmungen wie der geführt<br />

hat, <strong>die</strong> im März 2000 Mosambik verwüstet<br />

hat. Afrika südlich der Sahara ist für den Klimawandel<br />

besonders anfällig, weil <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />

dort fast ausschließlich im Regenfeldbau<br />

betrieben wird – und weil <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />

70 Prozent der Arbeitsplätze in der<br />

Region stellt und 35 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts<br />

erwirtschaftet. Durch <strong>die</strong> Erderwärmung<br />

wird Afrika noch stärker von<br />

Nahrungsmittelimporten abhängig werden.<br />

der Kinder, <strong>die</strong> eingeschult wurden, erreichen<br />

auch einen Schulabschluss – und in Afrika<br />

südlich der Sahara ist es nur ein Kind von dreien.<br />

54 Diese Versäumnisse spiegeln sich darin<br />

wieder, dass ein Viertel der Erwachsenen in<br />

den Entwicklungsländern nicht lesen und<br />

schreiben kann. 55 Und zwei Drittel der 879<br />

Millionen erwachsenen Analphabeten der<br />

Welt sind Frauen. 56<br />

Bei der Ausweitung der Grundschulbildung<br />

sehen sich <strong>die</strong> Entwicklungsländer drei<br />

zentralen Herausforderungen gegen<strong>über</strong>:<br />

• Begrenzte finanzielle Mittel. Im Vergleich<br />

zu reichen Ländern geben <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

auf allen Bildungsstufen viel<br />

weniger pro Schüler und als Anteil am BSP<br />

aus.<br />

• Ungleichheit. Wenn wenig Mittel ausgegeben<br />

werden können, sichert sich <strong>die</strong> reiche<br />

Bevölkerung oft einen viel größeren Anteil davon<br />

– und <strong>die</strong> arme Bevölkerung profitiert<br />

nicht in gleichem Maße.<br />

• Ineffizienz. Ineffiziente Mittelverwendung<br />

bedeutet, dass ein hoher Anteil der ständigen<br />

Ausgaben für Lehrergehälter aufgewendet<br />

wird und nur wenig für Lehrmaterial<br />

übrig bleibt. Hinzu kommt, dass ein qualitativ<br />

schlechter Unterricht bedeutet, dass <strong>die</strong><br />

Schüler nicht so viel lernen wie sie eigentlich<br />

lernen könnten.<br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele und<br />

Zielvorgaben<br />

Ziel 2: Verwirklichung der<br />

allgemeinen Primarschulbildung<br />

Zielvorgabe 3: Bis zum<br />

Jahr 2015 sicherstellen,<br />

dass Kinder in der<br />

ganzen Welt, Jungen wie<br />

Mädchen, eine<br />

Primarschulbildung<br />

vollständig abschließen<br />

können<br />

Ziel 3: Förderung der<br />

Gleichheit der<br />

Geschlechter und<br />

Ermächtigung der<br />

Frau<br />

Zielvorgabe 4: Das<br />

Geschlechtergefälle in<br />

der Primar- und Sekundarschulbildungbeseitigen,<br />

vorzugsweise bis<br />

2005, und auf allen<br />

Bildungsebenen bis<br />

spätestens 2015<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 113


KASTEN 4.5<br />

Was können Entwicklungsländer tun, um<br />

<strong>die</strong> Ausgaben für Bildung, insbesondere<br />

für Grundbildung zu erhöhen? Eine Möglichkeit<br />

sind Einschnitte bei den Ausgaben<br />

für andere Prioritäten (wie zum Beispiel<br />

das Militär). Die Verteidigungsausgaben<br />

gingen in den 1990er Jahren weltweit<br />

zurück – außer in Lateinamerika und<br />

Südasien. Zwischen 1991 und 2000 stiegen<br />

<strong>die</strong> Verteidigungsausgaben in Südasien<br />

um 59 Prozent.<br />

In Afrika südlich der Sahara gingen<br />

<strong>die</strong> Verteidigungsausgaben in den 1990er<br />

Jahren zurück, von 9,3 Milliarden US-<br />

Dollar Anfang der 1990er Jahre auf 7,1<br />

Milliarden US-Dollar im Jahr 1996. Doch<br />

in den Jahren 1999 und 2000 stiegen sie<br />

wieder steil an, auf durchschnittlich 9,8<br />

Milliarden US-Dollar. In <strong>die</strong>sem plötzlichen<br />

Anstieg sind nicht <strong>die</strong> gesamten Verteidigungsausgaben<br />

in der Region erfasst.<br />

Die Daten geben lediglich <strong>die</strong> offiziellen<br />

Zahlen wider. Im Jahr 2001 gab Angola,<br />

einer der größten Empfänger beim Transfer<br />

wichtiger konventioneller Waffen, 3,1<br />

Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für<br />

das Militär aus— im Vergleich zu 2,7 Pro-<br />

Quelle: SIPRI 2002b.<br />

Verteidigungsausgaben oder Bildung?<br />

Die Inkonsistenz des Regierungshandelns<br />

zent für den Bildungsbereich. Sierra Leone<br />

gibt 3,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts<br />

für das Militär und 1,0 Prozent<br />

für <strong>die</strong> Bildung aus.<br />

Alle Regierungen wichtiger waffenexportierender<br />

Länder haben sich den Millenniums-Entwicklungszielen<br />

verpflichtet.<br />

Also können <strong>die</strong> Regierungen der reichen<br />

Länder zu einer Verschiebung in <strong>die</strong>ser<br />

Ausgabenstruktur beitragen, indem sie<br />

ihre Waffenexporte einer Überprüfung<br />

unterziehen. Die G-8 gehören zu den zehn<br />

größten Lieferanten konventioneller Waffen.<br />

Die Waffenexporte aus den Vereinigten<br />

Staaten (49,2 Milliarden US-Dollar),<br />

der Russischen Föderation (15,6 Milliarden<br />

US-Dollar), Frankreich (10,8 Milliarden<br />

US-Dollar), dem Vereinigten Königreich<br />

(7,0 Milliarden US-Dollar), Deutschland<br />

(5,6 Milliarden US-Dollar), Italien<br />

(1,7 Milliarden US-Dollar) und Kanada<br />

(0,7 Milliarden US-Dollar) machen 85<br />

Prozent des Weltvolumens aus. Ohne Reformen<br />

auf Seiten der Exporteure wie<br />

auch der Empfänger scheinen <strong>die</strong> Verpflichtungen<br />

auf <strong>die</strong> Ziele auf beiden Seiten<br />

fragwürdig.<br />

BEGRENZTE FINANZMITTEL –<br />

UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />

Die Regierungen spielen in den Ökonomien<br />

von Ländern mit einem hohen Niveau<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung eine viel wichtigere<br />

Rolle als in Ländern mit mittlerem oder niedrigem<br />

Niveau. Im Jahr 1999 lag der Mittelwert<br />

bei den öffentlichen Ausgaben in Ländern mit<br />

hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung bei 35 Prozent<br />

des Bruttoinlandsprodukts (BIP) –<br />

während er in Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung bei 25 Prozent lag und bei<br />

Ländern mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

bei 21 Prozent.<br />

SCHLECHT AUSGESTATTETE<br />

BILDUNGSHAUSHALTE<br />

In reichen Ländern werden selten weniger als<br />

4 Prozent des BIP für das staatliche Bildungswesen<br />

ausgegeben. In Ländern mit hoher<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung liegen <strong>die</strong> mittleren<br />

Ausgaben für das öffentliche Bildungswesen<br />

bei 4,8 Prozent des BIP, im Vergleich zu<br />

4,2 Prozent in Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung und 2,8 Prozent in Ländern<br />

mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />

Außerdem bedeuten niedrigere Einkommen,<br />

dass <strong>die</strong> Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung<br />

in den armen Ländern viel geringer sind als in<br />

den reichen.<br />

Wenn man bei den öffentlichen Ausgaben<br />

anderen Bereichen als der Bildung und Gesundheit<br />

höhere Priorität einräumt, leiden<br />

darunter <strong>die</strong> Ausgaben im sozialen Bereich.<br />

Der Schulden<strong>die</strong>nst ist in vielen Ländern mit<br />

niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung eine<br />

wichtige Komponente der öffentlichen Ausgaben,<br />

bei der es keinen Ermessensspielraum<br />

gibt (siehe Kapitel 8). Aber auch <strong>die</strong> Ausgaben<br />

im militärischen Bereich – Ausgaben, <strong>die</strong> im<br />

Ermessen der Länder liegen – können sich negativ<br />

auf <strong>die</strong> Ausgaben im Bildungsbereich<br />

auswirken (siehe Kasten 4.5).<br />

In den Jahren 1975–97 wiesen <strong>die</strong> einzelnen<br />

Regionen der Entwicklungsländer unterschiedliche<br />

Muster beim Schulbesuch und bei<br />

den ständigen Ausgaben für <strong>die</strong> Grundschulbildung<br />

auf. 57 In Südasien, Westasien und in<br />

Afrika südlich der Sahara verdoppelte sich <strong>die</strong><br />

Anzahl der Schüler fast, während <strong>die</strong> ständigen<br />

Ausgaben (US-Dollarkurs von 1995) nur<br />

geringfügig anstiegen. 58 In Ostasien und in Lateinamerika<br />

und der Karibik dagegen blieb <strong>die</strong><br />

Anzahl der Schüler gleich, während <strong>die</strong> ständigen<br />

Ausgaben rasch anstiegen. Einige Regionen<br />

investierten anscheinend in Quantität<br />

(mehr Schüler) und andere in Qualität (höhere<br />

Ausgaben pro Schüler). Wenn <strong>die</strong> Qualität<br />

sich auch in der Gruppe der erstgenannten<br />

Regionen verbessern soll, werden mehr Mittel<br />

benötigt.<br />

In einigen Untersuchungen wird argumentiert,<br />

dass <strong>die</strong> Höhe der staatlichen Ausgaben<br />

für <strong>die</strong> erzielten Bildungsresultate nicht wichtig<br />

ist. 59 Das ist nicht korrekt. Es stimmt zwar,<br />

dass ein effizienter Einsatz der Mittel entscheidend<br />

für das Erzielen der erwünschten Ergebnisse<br />

ist, <strong>die</strong> Höhe der Ausgaben ist jedoch<br />

auch wichtig. 60 Jedwede zusätzlichen Mittel<br />

könnte man grundsätzlich dazu nutzen, mehr<br />

114 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Lehrer einzustellen. Wenn man von einer Zahl<br />

von 26 Millionen Grundschullehrern in den<br />

Entwicklungsländern im Jahr 2000 ausgeht,<br />

bewegt sich <strong>die</strong> geschätzte Anzahl der bis 2015<br />

benötigten zusätzlichen Lehrer zwischen 15<br />

und 35 Millionen – davon mehr als 3 Millionen<br />

in Afrika südlich der Sahara, mehr als 1<br />

Million allein in Nigeria.<br />

DIE FINANZIERUNGSLÜCKE<br />

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen,<br />

UNICEF, schätzt, dass es zusätzliche 9 Milliarden<br />

US-Dollar jährlich kosten würde, wenn<br />

man bis 2015 das Ziel des allgemeinen Grundschulzugangs<br />

(nicht den Grundschulabschluss,<br />

das zweite Millenniums-Entwicklungsziel)<br />

in den Entwicklungsländern und<br />

den Transformationsländern erreichen will. 61<br />

Diese Schätzung beinhaltet sowohl zusätzliche<br />

erforderliche Kapitalkosten als auch <strong>die</strong> Notwendigkeit,<br />

<strong>die</strong> Schulqualität zu verbessern –<br />

und ist mehr als viermal so hoch wie das, was<br />

<strong>die</strong> Geber derzeit ausgeben, und viel höher als<br />

<strong>die</strong> derzeitigen Regierungsausgaben. Die Ausgaben<br />

für Bildung sind in stark verschuldeten<br />

armen Ländern besonders niedrig. Eine andere<br />

Schätzung, <strong>die</strong> von einer ganzen Palette von<br />

Szenarien ausgeht, liegt sogar noch höher. 62<br />

WER WIRD DIE RECHNUNG BEZAHLEN?<br />

Es ist unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

durch das Wirtschaftswachstum<br />

ausreichende Mittel erwirtschaften werden,<br />

um bis 2015 das Ziel des allgemeinen Grundschulabschlusses<br />

zu erreichen. In Afrika müsste<br />

das Wirtschaftswachstum jährlich höher<br />

als 8 Prozent liegen, um <strong>die</strong> erforderlichen<br />

Mittel zur Verfügung zu stellen – ein sehr unwahrscheinliches<br />

Ergebnis. 63 Daher ist eine<br />

viel stärkere Unterstützung durch <strong>die</strong> Geber<br />

erforderlich. 64<br />

Die Hilfe der Geberländer im Bildungsbereich<br />

ist jedoch unzureichend: Im Jahr 2000<br />

betrug sie insgesamt 4,1 Milliarden US-Dollar,<br />

wovon nur 1,5 Milliarden US-Dollar für <strong>die</strong><br />

Grundschulbildung bestimmt waren. In den<br />

1990er Jahren sank <strong>die</strong> bilaterale Hilfe im Bildungsbereich<br />

von 5,0 Milliarden US-Dollar<br />

auf 3,5 Milliarden und sank damit auf gerade<br />

einmal 7 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

– ein vorher unerreichter Tiefstand.<br />

65 Nur Frankreich, Deutschland, Japan,<br />

Großbritannien und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten<br />

geben einen nennenswerten Anteil ihrer Hilfe<br />

für Bildung aus. Die Lücke zwischen der Rhetorik<br />

der Geberländer und der Realität muss<br />

dringend geschlossen werden.<br />

Zwischen 1996 und 1998 gaben multilaterale<br />

Institutionen im Schnitt 954 Millionen<br />

US-Dollar jährlich für bildungsgebundene öffentliche<br />

Entwicklungshilfe. 66 Die Summe<br />

ging in den darauf folgenden Jahren 1999-<br />

2001 auf 799 Millionen US-Dollar zurück. Die<br />

Verpflichtungen für <strong>die</strong> Grundbildung betrugen<br />

in den Jahren 1996-1998 402 Millionen<br />

US-Dollar jährlich und sanken rapide auf 222<br />

Millionen US-Dollar pro Jahr im Zeitraum<br />

von 1999-2001. Das Programm Bildung für<br />

alle (Education for all Fast-Track Initiative)<br />

könnte <strong>die</strong> Mittel für einige Länder wieder erhöhen.<br />

UNGLEICHHEIT –<br />

UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />

Wer profitiert von den öffentlichen Ausgaben<br />

für Grundschul-, weiterführende und höhere<br />

Bildung: <strong>die</strong> arme oder <strong>die</strong> nicht arme Bevölkerung?<br />

In den meisten Ländern profitieren<br />

<strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung von<br />

weniger als 20 Prozent der öffentlichen Ausgaben<br />

im Bildungsbereich – und in einigen Ländern<br />

von noch weniger. 67 Die reichsten 20<br />

Prozent dagegen sichern sich wesentlich mehr<br />

als 20 Prozent. Es gibt aber auch Ausnahmen<br />

– so zum Beispiel in Kolumbien, Costa Rica<br />

und insbesondere Chile – wo ein großer Anteil<br />

der öffentlichen Ausgaben für Grundschulbildung<br />

den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung<br />

zugute kommt. Nicht zufällig haben alle<br />

drei Länder beeindruckende Fortschritte in<br />

Richtung auf den allgemeinen Grundschulzugang<br />

gemacht.<br />

Länder, <strong>die</strong> im Bildungsbereich gute Leistungen<br />

aufweisen können, investieren mehr<br />

Mittel in <strong>die</strong> Grundschulbildung (im Durchschnitt<br />

1,7 Prozent des BIP) als Länder, <strong>die</strong><br />

nur durchschnittliche Leistungen erbringen<br />

In Afrika müsste das<br />

Wirtschaftswachstum<br />

jährlich höher als 8<br />

Prozent liegen, um <strong>die</strong><br />

erforderlichen Mittel zur<br />

Verfügung zu stellen – ein<br />

sehr unwahrscheinliches<br />

Ergebnis<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 115


In Malawi stiegen <strong>die</strong><br />

Einschulungsquoten<br />

drastisch, nachdem 1994<br />

Schulgebühren und<br />

Uniformen abgeschafft<br />

wurden<br />

(1,4 Prozent). Länder mit hohem Leistungsniveau<br />

geben auch mehr für Grundschulbildung<br />

im Verhältnis zu ihrem Pro-Kopf-Einkommen<br />

aus. Und sie veranschlagen einen geringeren<br />

Anteil ihres Bildungshaushalts für Hochschulbildung.<br />

Trotz Verbesserungen in den 1990er Jahren<br />

geben <strong>die</strong> Länder mit den niedrigsten Raten<br />

beim Grundschulbesuch mehr pro<br />

Schüler für <strong>die</strong> höhere Bildung aus als für <strong>die</strong><br />

Grundschulbildung. 68 Je niedriger <strong>die</strong> Raten<br />

beim Grundschulbesuch tatsächlich sind,<br />

umso größer ist der Unterschied bei den Ausgaben.<br />

69 Solche Länder müssen sich auf <strong>die</strong><br />

Grundschulbildung konzentrieren und nicht<br />

mehr Geld für <strong>die</strong> Hochschulausbildung ausgeben.<br />

Für <strong>die</strong> Hochschulbildung sind jedoch<br />

ebenfalls zusätzliche Mittel erforderlich, wenn<br />

<strong>die</strong> Länder Kapazitäten aufbauen wollen, um<br />

in der Weltwirtschaft wettbewerbsfähig zu<br />

sein – jedoch nicht auf Kosten der Grundschulbildung.<br />

Die Bildungshaushalte insgesamt<br />

müssen besser ausgestattet werden.<br />

DEN SCHLECHTEN ZUGANG DER ARMEN<br />

BEVÖLKERUNG ZUR GRUNDSCHULE<br />

VERBESSERN<br />

Die Bildungsausgaben fallen bei den ärmsten<br />

Familien stärker ins Gewicht, weil sie einen<br />

größeren Anteil des ohnehin begrenzten<br />

Haushaltsbudgets verschlingen. 70 In einer beachtlichen<br />

Ansammlung von Literatur wird<br />

argumentiert, dass Schulabbrüche und Kinderarbeit<br />

reduziert werden können, indem <strong>die</strong><br />

direkten und indirekten Kosten des Schulbesuchs<br />

gesenkt werden. 71 In Bhutan, Burkina<br />

Faso und Uganda stellen hohe Schulbesuchskosten<br />

pro Schüler – <strong>die</strong> zwischen 10 und 20<br />

Prozent des Pro-Kopf-Einkommens liegen –<br />

ein Hindernis für den Grundschulbesuch dar,<br />

während in Myanmar und Vietnam niedrige<br />

Kosten zu einer höheren Einschulungsrate<br />

beitragen (siehe Grafik 4.3). 72<br />

Uniformen verursachen für <strong>die</strong> Eltern oft<br />

<strong>die</strong> höchsten Kosten. In acht indischen Bundesstaaten<br />

– in denen zusammen zwei Drittel<br />

der nicht zur Schule gehenden Kinder In<strong>die</strong>ns<br />

leben – gehören Uniformen zu den höchsten<br />

Bildungskostenfaktoren, <strong>die</strong> aus eigener Ta-<br />

sche bezahlt werden müssen. 73 Eine politische<br />

Option ist es daher, das Tragen von Uniformen<br />

nicht mehr zur Pflicht zu machen und<br />

Schulleitungen und Eltern-Lehrer-Vereinigungen<br />

dar<strong>über</strong> entscheiden zu lassen, ob sie<br />

verlangt werden sollen.<br />

Schulgebühren werden seit langem heftig<br />

umstritten, und in den 1980er und frühen<br />

1990er Jahren haben internationale Finanzinstitutionen<br />

gemischte Signale hierzu ausgesandt.<br />

Aber Anfang und Mitte der 1990er Jahre<br />

äußerte sich <strong>die</strong> Weltbank, nach scharfer<br />

Kritik an den Konsequenzen für den Grundschulbesuch,<br />

zwar spät, aber dafür um so<br />

deutlicher gegen Gebühren für den Grundschulbesuch.<br />

74 Wiederum zeigen Länder mit<br />

guten Ergebnissen den Weg. Um bereits in einer<br />

frühzeitigen Entwicklungsphase den allgemeinen<br />

Grundschulbesuch und –abschluss sicherzustellen,<br />

verzichteten sie im wesentlichen<br />

auf direkte Schulgebühren – und hielten auch<br />

<strong>die</strong> indirekten Kosten niedrig.<br />

Es gibt also gute Gründe, <strong>die</strong> von den Eltern<br />

direkt zu bezahlenden Kosten für den<br />

Schulbesuch zu senken. Sri Lanka schaffte<br />

Schulgebühren 1945 ab und begann in den<br />

fünfziger Jahren, kostenlose Schulbücher und<br />

Schulmittagessen und 1991 kostenlose Schuluniformen<br />

bereitzustellen. Botsuana erhöhte<br />

<strong>die</strong> Einschulungsraten deutlich, als es im Jahr<br />

1973 <strong>die</strong> Schulgebühren um <strong>die</strong> Hälfte reduzierte<br />

und sie 1980 ganz abschaffte. 75 Auch in<br />

Malawi stiegen <strong>die</strong> Einschulungsquoten drastisch,<br />

nachdem 1994 Schulgebühren und<br />

Uniformen abgeschafft wurden.<br />

BEENDIGUNG DER DISKRIMINIERUNG<br />

VON MÄDCHEN<br />

Geschlechterunterschiede bei Einschulungsund<br />

Schulabbruchraten sind in Südasien und<br />

Afrika südlich der Sahara am größten. Wie<br />

können dann Geschlechterunterschiede in der<br />

Schule bis 2005 beseitigt werden – also in gerade<br />

einmal zwei Jahren – wie das <strong>die</strong> Millenniums-Ziele<br />

vorsehen? Länder, <strong>die</strong> solche Unterschiede<br />

beseitigt haben, lehren uns folgendes:<br />

76<br />

• Mädchen in <strong>die</strong> Schule zu bekommen und<br />

dort zu halten erfordert, dass <strong>die</strong> Schulen in<br />

116 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


ihrer Nähe sind. Die kartografische Erfassung<br />

von Schulen kann <strong>die</strong> am schlechtesten versorgten<br />

Gebiete aufzeigen, und damit <strong>die</strong> Einrichtung<br />

von mehrklassigen Schulen in entlegenen<br />

Gebieten erleichtern.<br />

• Wenn <strong>die</strong> von den Eltern aus eigener Tasche<br />

zu bezahlenden Kosten für den Schulbesuch<br />

gesenkt werden, hält <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Eltern davon<br />

ab, sich zwischen Mädchen und Jungen zu<br />

entscheiden, wenn es darum geht, ob Kinder<br />

zur Schule gehen sollen – und in Zeiten sinkender<br />

Haushaltseinkommen kann verhindert<br />

werden, dass Kinder <strong>die</strong> Schule abbrechen.<br />

• Flexible Stundenpläne ermöglichen<br />

Mädchen mit Aufgaben im Haushalt und bei<br />

der Kinderbetreuung den Schulbesuch. 77<br />

• Lehrerinnen stellen für Mädchen auch<br />

Rollenmodelle dar – und geben Eltern ein Gefühl<br />

der Sicherheit für ihre Töchter. 78<br />

INEFFIZIENZ – UND WASMAN<br />

DAGEGEN TUN KANN<br />

Effizienz bedeutet, bessere Ergebnisse mit<br />

demselben Einsatz von Ressourcen zu erzielen<br />

– und eine Politik zu machen, <strong>die</strong> zum Lernen<br />

beiträgt statt es zu behindern.<br />

INEFFIZIENZ IN DER UMSETZUNG<br />

Ein großes Problem in nahezu allen Entwicklungsländern<br />

ist das Sitzenbleiben. Dies trägt<br />

zu höheren Schulabbruchraten bei und zu einer<br />

bedeutenden Ressourcenverschwendung.<br />

Länder mit einer guten Bilanz in der Grundschulbildung<br />

haben sich <strong>die</strong>ser Ineffizienz angenommen.<br />

Costa Rica halbierte Klassenwiederholungen,<br />

indem automatische Versetzungen<br />

in den 1960er Jahren eingeführt wurden.<br />

Malaysia und Zimbabwe haben ebenfalls automatische<br />

Versetzungen eingeführt. 79 Um ein<br />

gewisses Niveau aufrechtzuerhalten, sollten<br />

automatische Versetzungen jedoch von gewissen<br />

Mindestvoraussetzungen begleitet werden,<br />

insbesondere hinsichtlich der Materialausstattung<br />

in den Klassenzimmern und der<br />

Lehrerausbildung.<br />

Kinder in der angemessenen Sprache zu<br />

unterrichten verbesserte ebenfalls <strong>die</strong> Bil-<br />

dungsergebnisse, wie man an den Ländern mit<br />

guten Ergebnissen sieht. In allen <strong>die</strong>sen Ländern<br />

wurde für den Unterricht an der Grundschule<br />

<strong>die</strong> Muttersprache verwendet. Die<br />

Schüler lernen schneller lesen, wenn sie in der<br />

Sprache unterrichtet werden, <strong>die</strong> ihnen vertraut<br />

ist und können dann auch eine zweite<br />

Sprache schneller lernen.<br />

Dies ist eine wichtige Schlussfolgerung<br />

beispielsweise für das frankophone Afrika, wo<br />

in den meisten Ländern Französisch als Unterrichtssprache<br />

auf allen Ebenen verwendet<br />

wird. 80 Diese schulischen Erfahrungen führten<br />

nur zu Entfremdung und trugen schwerlich<br />

dazu bei, das Lernen zu erleichtern.<br />

Schulspeisungsprogramme tragen ebenfalls<br />

dazu bei, Kinder in <strong>die</strong> Schulen zu bekommen<br />

und dort auch zu behalten. Einer der<br />

Faktoren hinter den steigenden Einschulungsraten<br />

in In<strong>die</strong>n in der zweiten Hälfte der<br />

1990er Jahre war ein Mittagsmahlzeit-Programm<br />

in allen Bundesstaaten.<br />

FINANZIELLE INEFFIZIENZ<br />

Etwa 55 Entwicklungsländer haben niedrige<br />

Grundschul-Einschulungsraten und benötigen<br />

neue Gebäude und Einrichtungen, um allgemeine<br />

Grundschulbildung zu erreichen. 81<br />

Aber solche Kapitalinvestitionen sind auch oft<br />

ineffizient, und der Einsatz staatlicher Bauunternehmen<br />

und großer privater Auftragnehmer<br />

führt oft zu inflationären Kosten. 82<br />

Wie können <strong>die</strong> Baukosten für Schulen<br />

niedrig gehalten werden? Eine Möglichkeit<br />

GRAFIK 4.3<br />

Hohe Haushaltskosten führen zu niedrigeren Einschulungsquoten<br />

im Primarschulbereich<br />

Prozent<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Myanmar<br />

Private Kosten<br />

pro Schüler/in<br />

als Anteil am Pro-Kopf-<br />

Einkommen<br />

Burkina Faso<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 117<br />

Vietnam<br />

Quelle: Mehrotra und Delamonica 1998.<br />

Uganda<br />

Bhutan<br />

Nettoeinschulungsquote


In den OECD-Ländern ist<br />

das höchste Gehalt bei<br />

Lehrern durchschnittlich<br />

1,4 mal so hoch wie das<br />

niedrigste, während <strong>die</strong><br />

Bandbreite in<br />

Entwicklungsländern sich<br />

zwischen 1,0 und 2,5<br />

bewegt<br />

ist, lokale statt importierte Baumaterialien zu<br />

verwenden – ein Ansatz, den Kamerun und<br />

Niger fördern, um <strong>die</strong> Effizienz zu steigern. 83<br />

Seit 1994 werden in In<strong>die</strong>n nicht nur lokale<br />

Baumaterialien und Konstruktionstechniken<br />

verwendet, sondern auch Bauunternehmer<br />

vor Ort beauftragt, damit sich <strong>die</strong> Kosten des<br />

dortigen District Primary Education Programmes<br />

in Grenzen halten.<br />

Das Management der ständigen Kosten –<br />

für ein besseres Gleichgewicht zwischen den<br />

Gehaltskosten und den nicht-gehaltsbezogenen<br />

Kosten – ist <strong>die</strong> bei weitem entmutigendste<br />

finanzielle Herausforderung für Länder<br />

mit niedrigen Einschulungsraten. Die Lohnkosten<br />

für Lehrer und Verwaltungspersonal<br />

machen oft 90 Prozent oder mehr der ständigen<br />

Kosten im Grundschulbereich aus, nichtgehaltsbezogene<br />

Kosten werden dadurch<br />

zurückgedrängt und es bleibt wenig Geld für<br />

andere Leistungen wie zum Beispiel Lehrmaterial<br />

übrig. 84 Länder mit guten Erfolgen – wie<br />

zum Beispiel Botsuana, Kuba, Sri Lanka – haben<br />

<strong>die</strong>ses Problem erkannt und geben einen<br />

angemessenen Betrag für Lehrmaterialien<br />

aus. 85<br />

Begrenzte Haushaltsmittel erschweren es<br />

den Ländern ebenfalls, mehr Lehrer einzustellen,<br />

was für <strong>die</strong> allgemeine Grundschulbildung<br />

von grundlegender Bedeutung ist. Eine<br />

Erhöhung der Gehälter kann zwar nützlich<br />

sein, aber ebenso eine Veränderung der Gehaltsstruktur<br />

– wodurch vielleicht sogar <strong>die</strong><br />

Kosten gesenkt werden können. Eine Option<br />

ist, <strong>die</strong> Kluft zwischen den niedrigsten und<br />

höchsten Lehrergehältern zu verringern. In<br />

den OECD-Ländern ist das höchste Gehalt<br />

bei Lehrern durchschnittlich 1,4 mal so hoch<br />

wie das niedrigste, während <strong>die</strong> Bandbreite in<br />

Entwicklungsländern sich zwischen 1,0 und<br />

2,5 bewegt. 86 Die Organisation der Vereinten<br />

Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur<br />

(United Nations Educational, Scientific<br />

and Cultural Organization – UNESCO) und<br />

<strong>die</strong> Internationale Arbeitsorganisation (International<br />

Labour Organization – ILO) haben<br />

empfohlen, dass ein Lehrer erst nach 10-15<br />

Jahren das Höchstgehalt erhalten sollte. 87 Eine<br />

weitere Option ist, <strong>die</strong> Lehrergehälter nicht<br />

mehr mit einer Hochschulausbildung zu kop-<br />

peln, ein Ansatz, der in Südafrika ausprobiert<br />

wird. 88<br />

Eine bessere zeitliche Auslastung und ein<br />

besserer Einsatz der Lehrer könnte ebenfalls<br />

viel dazu beitragen, <strong>die</strong> Lehrerkosten zu regulieren.<br />

In Botsuana hat man einen Versuch<br />

gestartet, <strong>die</strong> Lehrer besser zu bezahlen, wenn<br />

sie doppelte Unterrichtsstunden gaben – und<br />

dadurch <strong>die</strong> Anzahl der unterrichteten<br />

Schüler bei einer geringen Steigerung der Gehaltskosten<br />

verdoppelt. Auch Investitionen in<br />

Informationstechnologie, um „Scheinlehrer“<br />

und falsche Gehaltszahlungen auszumerzen,<br />

zahlen sich verhältnismäßig schnell aus, wie<br />

<strong>die</strong> nationalen statistischen Inforationssysteme<br />

zu Bildung (National Education Statistical<br />

Information Systems) in mehreren Ländern<br />

in Afrika südlich der Sahara zeigen.<br />

Gehälter, <strong>die</strong> von der Inflation aufgefressen<br />

werden, können sich auch negativ auf <strong>die</strong><br />

Moral der Lehrer auswirken, da sie dadurch<br />

gezwungen sind, noch einen zweiten Job anzunehmen.<br />

Die Abwesenheit von Lehrern, ein<br />

großes Problem in Südasien und Afrika, kann<br />

teilweise dadurch verhindert werden, dass<br />

man Lehrer aus den Stadtvierteln rekrutiert, in<br />

denen sie auch unterrichten sollen. In Indonesien<br />

und Thailand, <strong>die</strong> schon sehr früh <strong>die</strong> allgemeine<br />

Grundschulbildung umgesetzt haben,<br />

wurden Lehrer üblicherweise vor Ort rekrutiert<br />

und angestellt. Die Lehrergehälter<br />

sind jedoch oft ein Grund für <strong>die</strong> Abwesenheit<br />

des Personals vom Arbeitsplatz.<br />

In vielen Ländern mit mittlerem Einkommen<br />

hat sich <strong>die</strong> Situation für <strong>die</strong> Lehrer positiv<br />

entwickelt – insbesondere in China, Mauritius,<br />

Thailand und Uruguay, wo <strong>die</strong> Regierungen<br />

tatsächlich <strong>die</strong> Lehrergehälter erhöhen<br />

konnten. In vielen Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

sind <strong>die</strong> Lehrergehälter jedoch allmählich<br />

immer stärker zusammengeschrumpft,<br />

so zum Beispiel in Kambodscha, der Zentralafrikanischen<br />

Republik, Kirgisistan, Madagaskar,<br />

Moldavien, Myanmar, Sierra Leone und<br />

Sambia. In solchen Ländern wird es zunehmend<br />

schwieriger, <strong>die</strong> Moral der Lehrer<br />

ohne höhere Löhne aufrechtzuerhalten. Einige<br />

<strong>die</strong>ser Länder müssen auch wesentlich mehr<br />

Lehrer einstellen, wenn sie das Millenniums-Entwicklungsziel<br />

der allgemeinen<br />

118 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Grundschulbildung erreichen wollen. Für solche<br />

Länder ist <strong>die</strong> Hilfe der Geberländer zumindest<br />

für einen begrenzten Zeitraum entscheidend,<br />

damit sie <strong>die</strong> ständigen Kosten bezahlen<br />

können.<br />

Bei einem letzten Punkt zur Steigerung<br />

der finanziellen Effizienz geht es um <strong>die</strong> öffentliche<br />

Entwicklungshilfe im Bildungsbereich.<br />

Bei <strong>die</strong>ser Hilfe geht es vorrangig um<br />

Ausstattung, Ausbildung in Übersee und technische<br />

Hilfe. Etwa 60–80 Prozent der Hilfe im<br />

Bildungsbereich werden in den Empfängerländern<br />

ausgegeben, der Rest in den Geberländern<br />

– für <strong>die</strong> Bildung und Ausbildung von<br />

Staatsbürgern aus den Entwicklungsländern<br />

und für Berater und Ausbilder aus den reichen<br />

Ländern. 89 Die Mittel werden auf <strong>die</strong>se Weise<br />

nicht wirklich effizient eingesetzt. Technische<br />

Hilfe kann <strong>die</strong> Institutionen vor Ort unterminieren,<br />

insbesondere wenn <strong>die</strong> Bildungsbehörden<br />

schließlich durch den Zustrom von<br />

Beratern, <strong>die</strong> zu ausgeklügelte Systeme durchsetzen<br />

wollen, <strong>über</strong>fordert sind. Von 1994 bis<br />

1997 wurden in Äthiopien 66 Untersuchungen<br />

<strong>über</strong> das Bildungssystem durchgeführt,<br />

<strong>die</strong> Hälfte davon wurde von bilateralen Hilfsorganisationen<br />

finanziert – sie waren jedoch<br />

relativ nutzlos. 90<br />

WIE KÖNNEN DIE ZIELE IM GESUNDHEITSBEREICH ERREICHT WERDEN?<br />

Die Tatsache, dass es für viele Entwicklungsländer<br />

kaum Daten <strong>über</strong> Trends gibt, macht es<br />

schwierig einzuschätzen, wie hoch <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />

ist, das Millenniums-Entwicklungsziel<br />

der Reduzierung der Müttersterblichkeit<br />

um drei Viertel bis zum Jahr 2015 zu<br />

erreichen. Viele Experten glauben jedoch,<br />

dass <strong>die</strong> jetzt schon hohe Müttersterblichkeitsrate<br />

– ein eklatantes Versagen der Entwicklungsbemühungen<br />

– in vielen Ländern weiter<br />

steigt. Am dringlichsten ist <strong>die</strong> Situation in<br />

Afrika südlich der Sahara, wo <strong>die</strong> Hälfte aller<br />

Todesfälle durch Müttersterblichkeit in den<br />

Entwicklungsländern auftritt – dort stirbt <strong>die</strong><br />

Mutter des Kindes bei 1 von 100 Lebendgeburten.<br />

Wegen fehlender Daten können auch <strong>die</strong><br />

Fortschritte im Hinblick auf das Ziel, bis 2015<br />

<strong>die</strong> Ausbreitung von HIV/AIDS zum Stillstand<br />

und zum Rückgang zu bringen, nicht gemessen<br />

werden. Fortschritte sind jedoch möglich<br />

– wie zum Beispiel in Brasilien, Senegal,<br />

Thailand (siehe Kasten 4.6), Uganda und Sambia.<br />

Bei den messbaren Zielen im Gesundheitsbereich<br />

ist <strong>die</strong> Welt weiter von der Umsetzung<br />

des Ziels für <strong>die</strong> Kindersterblichkeit – eine Reduzierung<br />

um zwei Drittel bis 2015 – entfernt<br />

als bei irgendeinem anderen Ziel. Hier liegen<br />

<strong>die</strong> Länder mit der höchsten Priorität in Afrika<br />

südlich der Sahara und in Südasien. In<br />

Südasien sind Fortschritte zu verzeichnen. Die<br />

Kindersterblichkeitsrate ist dort in den 1990er<br />

Jahren von 12,6 Prozent auf etwa 10,0 Prozent<br />

gesunken. Afrika südlich der Sahara liegt jedoch<br />

weit zurück: dort erreichen 17 Prozent<br />

der Kinder nicht das sechste Lebensjahr.<br />

Wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt,<br />

wird <strong>die</strong> Region auch in den nächsten 150 Jahren<br />

das Ziel für <strong>die</strong> Kindersterblichkeit nicht<br />

erreichen. 91<br />

DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />

Täglich sterben mehr als 30.000 Kinder weltweit<br />

aufgrund von Ursachen, <strong>die</strong> verhindert<br />

werden könnten – Austrocknung, Hunger,<br />

Krankheiten. 92 In Sierra Leone, einem Land<br />

mit höchster Prioritätsstufe, sterben 18 Prozent<br />

der Kinder noch vor Vollendung ihres ersten<br />

Lebensjahres.<br />

Jedes Jahr sterben mehr als 500.000 Frauen<br />

durch Schwangerschaft und Geburt – eine<br />

Frau in jeder Minute am Tag. Das Risiko für<br />

eine schwangere Frau während der Schwangerschaft<br />

oder der Niederkunft in Afrika südlich<br />

der Sahara zu sterben ist 100mal eher als<br />

in einem OECD-Land mit hohem Einkommen.<br />

93<br />

42 Millionen Menschen weltweit leben mit<br />

HIV/AIDS. Außerdem haben durch <strong>die</strong><br />

Krankheit 13 Millionen Kinder <strong>die</strong> Mutter<br />

oder beide Elternteile verloren. 94 Durch Tuberkulose,<br />

<strong>die</strong> andere weit verbreitete Infekti-<br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele und<br />

Zielvorgaben<br />

Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit<br />

Zielvorgabe 5: Zwischen<br />

1990 und 2015 <strong>die</strong><br />

Sterblichkeitsrate von<br />

Kindern unter fünf<br />

Jahren um zwei Drittel<br />

senke<br />

Ziel 5: Verbesserung der<br />

Gesundheit von<br />

Müttern<br />

Zielvorgabe 6: Zwischen<br />

1990 und 2015 <strong>die</strong><br />

Müttersterblichkeitsrate<br />

um drei Viertel senken<br />

Ziel 6: Bekämpfung von<br />

HIV/AIDS, Malaria<br />

und anderen Krankheiten<br />

Zielvorgabe 7: Bis 2015<br />

<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS zum Stillstand<br />

bringen und allmählich<br />

umkehren<br />

Zielvorgabe 8: Bis 2015<br />

<strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

Malaria und anderen<br />

schweren Krankheiten<br />

zum Stillstand bringen<br />

und allmählich<br />

umkehren<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 119


KASTEN 4.6<br />

Thailands Präventionsprogramm ist eine der<br />

wenigen erfolgreichen Antworten auf<br />

HIV/AIDS in Entwicklungsländern. Nachdem<br />

<strong>die</strong> Zahl der HIV-Neuinfektionen in Thailand<br />

Anfang der 1990er Jahre einen Höhepunkt erreicht<br />

hatte, ist sie dann um <strong>über</strong> 80 Prozent<br />

gefallen. Wie war das möglich?<br />

Politischer Wille<br />

In Thailand wurde AIDS zum ersten Mal im<br />

Jahr 1984 diagnostiziert. Im Jahr 1987 führte<br />

<strong>die</strong> Regierung ein nationales Programm zu<br />

AIDS-Prävention und Kontrolle (National<br />

AIDS Prevention und Control Program -<br />

NAPCP) ein, mit dem Premierminister als<br />

Vorsitzendem. Der politische Wille wurde<br />

durch finanzielles Engagement ergänzt. Zwischen<br />

1987 und 1991 stiegen <strong>die</strong> Ausgaben der<br />

Regierung und der Geber sprunghaft an, von<br />

684.000 auf zehn Millionen US-Dollar. Im Jahr<br />

1997 hatten <strong>die</strong> staatlichen Ausgaben für Programme<br />

zur Kontrolle von AIDS ein Niveau<br />

von 82 Millionen US-Dollar pro Jahr erreicht.<br />

Zusammenarbeit mehrerer Akteure<br />

Viele Beteiligte, von Patienten <strong>über</strong> Privatärzte<br />

bis hin zu buddhistischen Mönchen, arbeiten<br />

in der Planung und Umsetzung der AIDS-Programme<br />

mit der thailändischen Regierung zusammen.<br />

Zum Beispiel bieten 150 Gruppen<br />

von Menschen mit HIV/AIDS Unterstützung<br />

für andere Patienten an und vertreten ihre Interessen.<br />

Die thailändische NRO-Koalition zu<br />

AIDS koordiniert <strong>die</strong> AIDS-Aktivitäten der<br />

Nichtregierungsorganisationen. Die Regierung<br />

hat ein innovatives Programm entwickelt, dass<br />

unter dem Titel „Die Anfälligkeit von<br />

Mädchen verringern“ Stipen<strong>die</strong>n an junge<br />

Thailands Erfolge beim Verhindern der Ausbreitung von HIV/AIDS<br />

Frauen vergibt, damit sie weiter zur Schule gehen<br />

können. Ziel <strong>die</strong>ser Stipen<strong>die</strong>n ist es, <strong>die</strong><br />

Mädchen davon abzuhalten, Prostituierte zu<br />

werden.<br />

Auf besonders gefährdete<br />

Gruppen abzielen<br />

Im Jahr 1989 fand man heraus, dass 44 Prozent<br />

der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Chiang<br />

Mai HIV-positiv waren. Statt zu bestreiten,<br />

dass es <strong>die</strong> Prostitution gibt, konzentrierte<br />

sich <strong>die</strong> thailändische Regierung darauf, <strong>die</strong><br />

Anzahl der Bordellbesuche von Männern zu<br />

verringern und bei den Sexarbeitern und –arbeiterinnen<br />

<strong>die</strong> Verwendung von Kondomen<br />

zu fördern. Im Jahr 1991 wurde ein Programm<br />

zur Förderung der 100-prozentigen Verwendung<br />

von Kondomen auf den Weg gebracht,<br />

das pro Jahr 31 Millionen Kondome an besonders<br />

gefährdete Gruppen verteilte. Weitere<br />

600 Millionen Kondome pro Jahr wurden von<br />

Kliniken abgegeben.<br />

Diese Maßnahmen führten zu enormen<br />

Ergebnissen: Von 1988 bis 1992 stieg <strong>die</strong> Verwendung<br />

von Kondomen in Bordellen von 14<br />

auf 90 Prozent. Außerdem sank <strong>die</strong> durchschnittliche<br />

Anzahl von Männern, <strong>die</strong> solche<br />

Etablissements besuchten je Bordell von 4,0<br />

auf 1,5 pro Tag. Dies führte dazu, dass <strong>die</strong><br />

HIV-Prävalenz unter Sexarbeiterinnen und<br />

–arbeitern von 50 Prozent im Jahr 1991 auf<br />

weniger als zehn Prozent im Jahr 2001 zurückging.<br />

Bildungskampagnen<br />

Das Programm zur 100-prozentigen Verwendung<br />

von Kondomen war von einer nationalen<br />

Informations- und Öffentlichkeitskampagne<br />

onskrankheit <strong>die</strong> zum Tod von Erwachsenen<br />

führt, sterben bis zu 2 Millionen Menschen im<br />

Jahr. 95 Malaria tötet 1 Million Menschen jährlich,<br />

und ohne wirksame Gegenmaßnahmen<br />

könnte sich <strong>die</strong> Zahl der Fälle in den nächsten<br />

20 Jahren verdoppeln. 96<br />

Von vielen Krankheiten ist <strong>die</strong> arme Landbevölkerung<br />

viel stärker betroffen als <strong>die</strong><br />

Stadtbewohner. Bei akuten Atemwegsinfektionen,<br />

einer häufige Todesursache bei Kindern,<br />

werden in den Entwicklungsländern weniger<br />

als <strong>die</strong> Hälfte der Kinder auf dem Land<br />

medizinisch behandelt. 97<br />

Viele <strong>die</strong>ser Todesfälle können leicht verhindert<br />

werden (siehe Kasten 4.7). Moskito-<br />

begleitet. Überall wurden Informationen <strong>über</strong><br />

AIDS zugänglich gemacht – von Reklameflächen<br />

<strong>über</strong> Zerealien-Kartons bis hin zum<br />

Fernsehen. Stündlich liefen einminütige Radio-<br />

und Fernsehspots zur AIDS-Sensibilisierung.<br />

Botschaften halfen so, das mit einer<br />

HIV-Infektion verbundene Stigma zu zerstreuen.<br />

Überwachung und Evaluierung<br />

Drei Überwachungssysteme sammeln Informationen<br />

zu HIV und sexuell <strong>über</strong>tragbaren Infektionskrankheiten.<br />

Diese Informationen<br />

werden dazu verwendet, Veränderungen bei<br />

der Verteilung der HIV-Neuinfektionen zu<br />

verfolgen, und sie <strong>die</strong>nen politischen Entscheidungsträgern<br />

als Anhaltspunkte bei der Entwicklung<br />

von Kontrollmaßnahmen.<br />

Internationale Unterstützung<br />

Thailand hat für seine AIDS-Programme<br />

reichlich internationale finanzielle und technische<br />

Unterstützung erhalten. Das Gemeinsame<br />

Programm der Vereinten Nationen gegen<br />

HIV/AIDS (United Nations Joint Programme<br />

for HIV/AIDS - UNAIDS) hat zum Beispiel<br />

aktiv Mittel akquiriert, Programme evaluiert<br />

und HIV/AIDS-Patienten geholfen. Im<br />

Bereich der bilateralen Kooperation gibt es<br />

Partnerschaften mit der US-amerikanischen<br />

Organisation für internationale Entwicklung<br />

USAID (US Agency for International Development),<br />

der Europäischen Union und der<br />

australischen Organisation für internationale<br />

Entwicklung AusAID (Australian Agency for<br />

International Development).<br />

Quelle: Avert.org <strong>2003</strong>; Kongsin et al. 1998;<br />

Forster-Rothbart et al. 2002.<br />

netze um <strong>die</strong> Betten, preisgünstige Antibiotika,<br />

ausgebildete Geburtshelfer und eine<br />

grundlegende Hygiene- und Gesundheitsausbildung<br />

sind keine hochtechnisierten Lösungen.<br />

Wie jedoch im Bildungsbereich sind solche<br />

Lösungen aus tieferliegenden systemischen<br />

Gründen tragischerweise für Millionen<br />

armer Menschen nicht erreichbar:<br />

• Begrenzte Mittel. Die Regierungen geben<br />

für <strong>die</strong> Gesundheit insgesamt nicht genug aus<br />

und sie geben für <strong>die</strong> medizinische Grundversorgung<br />

sogar noch weniger aus.<br />

• Ungleichheit. Die Gesundheitssysteme<br />

im ländlichen Raum verfügen nicht <strong>über</strong> ausreichendes<br />

Personal beziehungsweise ausrei-<br />

120 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 4.7<br />

Ziel 4: Die Sterblichkeitsrate von Kindern<br />

unter 5 Jahren um zwei Drittel senken<br />

Um das Millenniums-Entwicklungsziel 4 – <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

von Kindern unter fünf Jahren von 1990 bis<br />

2015 um zwei Drittel zu senken – zu erreichen, muss gegen<br />

<strong>die</strong> Hauptursachen der Kindersterblichkeit vorgegangen<br />

werden. Die Maßnahmen der technischen Hilfe<br />

müssen sich auf <strong>die</strong> Unterernährung und auf ansteckende<br />

und durch Parasiten <strong>über</strong>tragene Krankheiten und<br />

Immunisierungen konzentrieren und von einem leistungsfähigeren<br />

gesundheitlichen Grundversorgungssystem<br />

umgesetzt werden.<br />

Unterernährung. Auf ein niedriges Geburtsgewicht<br />

folgt oft eine Unterernährung des Kindes. Sie<br />

hängt direkt mit der Gesundheit der Mutter vor und<br />

während der Schwangerschaft zusammen. Auch lässt<br />

sich <strong>die</strong> Gesundheit von Müttern und ihren Kindern erheblich<br />

verbessern, wenn man den Zugang zu Leistungen<br />

im Bereich der reproduktiven Gesundheitsversorgung<br />

ausweitet und eine ausreichende Ernährung sicherstellt.<br />

Wenn Säuglinge in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten<br />

ausschließlich gestillt werden, hat das sehr<br />

positive Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand.<br />

Wenn <strong>die</strong> Mutter jedoch HIV-positiv ist, sollte ein Ersatz<br />

für <strong>die</strong> Muttermilch gefunden werden. Als ersten<br />

Schritt sollten <strong>die</strong> Länder den internationalen Kodex<br />

zum Marketing von Substitutionserzeugnissen für Muttermilch<br />

(International Code of Marketing of Breastmilk<br />

Substitutes, verbreitet durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten<br />

Nationen UNICEF) umgehend in nationales<br />

Recht umsetzen.<br />

Die Gesundheit von Kindern kann durch einen<br />

Mangel an Vitaminen und Spurenelementen (Vitamin A,<br />

Eisen, Zink und Jod) extrem beeinträchtigt werden.<br />

Eine Möglichkeit, das Problem anzugehen, sind Nahrungszusätze<br />

(wie zum Beispiel Jod-Zusätze im Salz). Vitamin<br />

A-Mangel lässt sich reduzieren, indem man einfach<br />

zwei Kapseln hochdosiertes Vitamin A verabreicht.<br />

In Ländern ohne funktionierendes Gesundheitssystem<br />

sollten Vitaminzusätze <strong>über</strong> Kampagnen verteilt werden,<br />

ähnlich wie bei Massenimpfkampagnen. Durch solche<br />

Maßnahmen gelang es im Jahr 1999 den am wenigsten<br />

entwickelten Ländern, eine Versorgung mit Nahrungszusätzen<br />

von 80 Prozent zu erreichen.<br />

Ansteckende und durch Parasiten <strong>über</strong>tragene<br />

Krankheiten. Es wird erwartet, dass sich in den am<br />

schlimmsten betroffenen Gebieten <strong>die</strong> HIV/AIDS-bedingte<br />

Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren bis<br />

zum Jahr 2010 mehr als verdoppeln wird. In vielen Ländern<br />

ist <strong>die</strong> Bekämpfung von HIV/AIDS – und <strong>die</strong> ausdrückliche<br />

Berücksichtigung von spezifischen Problemen<br />

der Frauen und Kinder— eine der obersten Entwicklungsprioritäten<br />

(siehe Kasten 4.1). Unterdessen<br />

sterben jedes Jahr mehr als 400.000 Kinder an Malaria –<br />

was <strong>die</strong>se Krankheit in vielen Ländern zu einer weiteren<br />

Priorität macht.<br />

Zwar sind in den 1990er Jahren weniger Kinder<br />

unter fünf Jahren an Durchfall gestorben, doch <strong>die</strong><br />

Krankheit fordert bei Kindern weiterhin viele Opfer.<br />

Ob <strong>die</strong> Zahlen weiter zurückgehen, wird davon abhängen,<br />

ob <strong>die</strong> Familien Durchfallerkrankungen zu Hause<br />

behandeln können (durch verstärkte Flüssigkeitszufuhr<br />

und indem sie erkrankten Kindern weiter zu Essen geben)<br />

und ob sie, wenn erforderlich, Gesundheits<strong>die</strong>nste<br />

in Anspruch nehmen. Wie in <strong>die</strong>sem Kapitel ausgeführt,<br />

wird auch <strong>die</strong> Ausweitung des Zugangs zu sauberem<br />

Wasser und sanitären Einrichtungen dazu beitragen,<br />

Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen<br />

dass nicht mehr so viele Durchfallerkrankungen auftreten.<br />

Schließlich sind fast 20 Prozent aller Todesfälle bei<br />

Kindern in Entwicklungsländern auf akute Atemwegsinfektionen<br />

zurückzuführen. Doch <strong>die</strong> meisten <strong>die</strong>ser Infektionen<br />

ließen sich leicht verhindern. Daten aus 42<br />

Ländern zeigen, dass nur bei der Hälfte der Kinder mit<br />

solchen Infektionen medizinische Hilfe in Anspruch genommen<br />

wird. In Westafrika liegt ihr Anteil bei nur einem<br />

Fünftel. Wie in <strong>die</strong>sem Kapitel ausgeführt, ist ein<br />

funktionierendes Gesundheitssystem, dass <strong>die</strong> Zahl der<br />

Stellen, wo medizinische Hilfe geleistet wird, in unterversorgten<br />

Gebieten erhöht, eine entscheidende Voraussetzung,<br />

um gegen <strong>die</strong>se Todesursache vorzugehen.<br />

Immunisierungen. Nachdem Immunisierungen in<br />

Südasien <strong>über</strong> viele Jahre zugenommen hatten, stagnieren<br />

sie auf dem Niveau von 1990, und in Afrika südlich<br />

der Sahara sind sie zurückgegangen. Doch wie <strong>die</strong> in regelmäßigen<br />

Abständen durchgeführten staatlichen Kampagnen<br />

gegen Kinderlähmung zeigen, ist es möglich, einen<br />

höheren Immunisierungsgrad zu erreichen. Zwischen<br />

1998 und 2000 wurde durch <strong>die</strong> Kampagne <strong>die</strong><br />

Zahl der neuen Polio-Fälle um 99 Prozent reduziert. Zu<br />

den Maßnahmen der Kampagne gehörten breite Bildungs-<br />

und Öffentlichkeitskampagnen und bessere Routine-Immunisierungen<br />

sowie eine bessere Überwachung.<br />

Ziel 5: Die Müttersterblichkeit um drei Viertel<br />

senken<br />

Jedes Jahr sterben rund 500.000 Frauen weltweit an<br />

Komplikationen während einer Schwangerschaft oder<br />

Geburt. Dreißig Mal mehr Frauen leiden unter Verletzungen,<br />

Infektionen oder anderen Komplikationen, <strong>die</strong><br />

mit einer Schwangerschaft in Zusammenhang stehen.<br />

Um das Millenniums-Entwicklungsziel 5 – <strong>die</strong> Müttersterblichkeitsrate<br />

von 1990 bis 2015 um drei Viertel zu<br />

senken – zu erreichen, müssen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

den Zugang zu qualifizierter Geburtshilfe, zur Notfallversorgung<br />

bei Entbindungen und zur Versorgung im<br />

Bereich reproduktive Gesundheit ausweiten, indem sie<br />

<strong>die</strong>se Dienste in einem funktionierenden Gesundheitsund<br />

Überweisungssystem zusammenfassen. Die Länder<br />

müssen sich auch den breiteren sozialen Problemen widmen,<br />

<strong>die</strong> Frauen davon abhalten, gesundheitliche Versorgung<br />

in Anspruch zu nehmen.<br />

Qualifizierte Geburtshilfe. Bei weniger als der<br />

Hälfte aller Geburten in Entwicklungsländern sind ausgebildete<br />

Geburtshelferinnen anwesend. Um <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />

zu reduzieren, muss <strong>die</strong> Zahl der qualifizierten<br />

Hebammen und Geburtshelfer wesentlich erhöht<br />

werden, insbesondere in Gegenden, <strong>die</strong> durch das<br />

Gesundheitssystem nicht ausreichend versorgt sind. Medizinisches<br />

Fachpersonal kann auf zwei Arten helfen,<br />

<strong>die</strong> Müttersterblichkeit zu senken. Erstens durch ein sicheres<br />

und hygienisches Vorgehen bei Routinegeburten<br />

und <strong>die</strong> Überweisung komplizierter Geburten an Kliniken<br />

und Krankenhäuser. Zweitens, indem <strong>die</strong> Wehen<br />

während des Geburtsvorgangs aktiv kontrolliert werden<br />

—wodurch potentiell nach der Geburt auftretende Blutungen<br />

verringert werden können. Dies erfordert eine<br />

spezielle Ausbildung, <strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> Verteilung von Utensilien-Sets<br />

für sichere Geburt („safe birthing kits“) hinausgeht.<br />

Ausgebildete Geburtshelferinnen und –helfer<br />

müssen in der Lage sein, zu erkennen, wenn Komplikationen<br />

eintreten, sie müssen notwendige Eingriffe vornehmen,<br />

mit der Behandlung beginnen und, wenn nötig,<br />

<strong>die</strong> Überweisung von Mutter und Kind an einen Notfall<strong>die</strong>nst<br />

<strong>über</strong>wachen.<br />

Notfallversorgung bei Entbindungen. Selbst unter<br />

günstigsten Umständen kommt es bei mehr als zehn<br />

Prozent aller schwangeren Frauen zu potentiell tödlichen<br />

Komplikationen. Um <strong>die</strong> Müttersterblichkeit zu<br />

senken, müssen ausgebildete Geburtshelferinnen und<br />

–helfer in der Lage sein, komplizierte Geburten an Entbindungsnotfall<strong>die</strong>nste<br />

zu <strong>über</strong>weisen. In Entwicklungsländern<br />

fehlt es in großem Umfang an Einrichtungen zur<br />

Notfallversorgung bei Entbindungen. Mehr als 80 Prozent<br />

aller Geburten finden in Gegenden ohne derartige<br />

Einrichtungen statt. Daher müssen sich <strong>die</strong> Länder dem<br />

ersten Indikator der Vereinten Nationen in <strong>die</strong>sem Bereich<br />

verpflichten: <strong>über</strong> je eine solche Einrichtung pro<br />

500.000 Menschen zu verfügen.<br />

Versorgung im Bereich reproduktive Gesundheit.<br />

Den Zugang zu Verhütungsmitteln zu erhöhen,<br />

kann <strong>die</strong> Müttersterblichkeit wesentlich senken, indem<br />

einfach <strong>die</strong> Zahl der Schwangerschaften pro Frau reduziert<br />

wird – und damit das Risiko der damit zusammenhängenden<br />

Komplikationen. Wenn der ungedeckte Bedarf<br />

an Verhütungsmitteln gedeckt würde und Frauen<br />

nur <strong>die</strong> Anzahl der Schwangerschaften in den Abständen<br />

hätten, in denen sie es wollen, würde <strong>die</strong> Müttersterblichkeit<br />

um 20 bis 35 Prozent sinken. Hinzu kommen<br />

<strong>die</strong> unsicheren Abtreibungen, <strong>die</strong> von Anbietern<br />

ohne entsprechende Ausbildung bzw. unter unhygienischen<br />

Bedingungen vorgenommen werden. An solchen<br />

Abtreibungen sterben schätzungsweise 78.000 Frauen<br />

pro Jahr. Sie machen rund 13 Prozent aller Todesfälle<br />

von Müttern aus. Ziel 5 zu erreichen erfordert <strong>die</strong> rasche<br />

Ausweitung des Zugangs zu reproduktiver Gesundheitsversorgung.<br />

Ziel 6: Die Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS stoppen<br />

Im Jahr 2002 starben 3,1 Millionen Menschen an AIDS.<br />

Weitere 42 Millionen Menschen sind mit HIV/AIDS infiziert.<br />

AIDS ist eine der lähmendsten Geißeln der jüngeren<br />

Geschichte. Die Krankheit hat jedes Land getroffen<br />

und hat in vielen Länder Afrikas südlich der Sahara<br />

verheerende Auswirkungen. Wenn <strong>die</strong>s auch beängstigend<br />

ist, so kann doch bei der ersten Zielvorgabe von<br />

Millenniums-Entwicklungsziel 6 – den Ausbreitungstrend<br />

der Krankheit bis 2015 umzukehren – auf <strong>über</strong><br />

zwanzig Jahre erfolgreiche Prävention und Behandlungsmaßnahmen<br />

zurückgegriffen werden. Ferner verabschiedete<br />

<strong>die</strong> Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />

im Jahr 2001 eine eindeutige Erklärung zum<br />

Schweregrad der Epidemie und betonte <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

entscheidender Maßnahmen als politische Wegweiser.<br />

Der Umgang mit HIV/AIDS erfordert eine starke<br />

Führung, um der Trägheit der Institutionen zu begegnen<br />

und um sich den sozialen Themen zu widmen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Epidemie vorantreiben. Dazu gehören Stigmatisierung,<br />

Diskriminierung und ungleiche Machtverhältnisse<br />

zwischen Männern und Frauen. Der Frauenanteil der<br />

Menschen, <strong>die</strong> mit HIV/AIDS leben, ist stetig gestiegen,<br />

von 41 Prozent im Jahr 1997 auf 50 Prozent Ende 2002.<br />

Im südlichen Afrika ist <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass<br />

eine junge Frau HIV-positiv ist, vier- bis sechsmal<br />

größer, als bei Männern der gleichen Altersgruppe. In<br />

Präventions- und Behandlungsprogrammen muss ausdrücklich<br />

auf <strong>die</strong> Bedingungen eingegangen werden, <strong>die</strong><br />

einige Gruppen anfälliger für eine Infektion machen,<br />

und auf <strong>die</strong> es zurückzuführen ist, dass <strong>die</strong>se Gruppen<br />

Fortsetzung auf der nächsten Seite<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 121


KASTEN 4.7 (Fortsetzung)<br />

mit geringerer Wahrscheinlichkeit medizinische Hilfe in<br />

Anspruch nehmen.<br />

Eine starke Führung auf Gemeinde-Ebene kann<br />

dazu beitragen, vor Ort akzeptable Maßnahmen zu entwickeln,<br />

zum Beispiel durch Diskussionen <strong>über</strong> das Verhalten<br />

und <strong>die</strong> Werte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS begünstigen.<br />

Eine starke Führung ist auch nötig, um mit dem<br />

Problem desorganisierter, <strong>über</strong>lasteter und stark unterfinanzierter<br />

Gesundheitssysteme umzugehen, um multisektorale<br />

Antworten auf <strong>die</strong> Epidemie zu fördern, um in<br />

wirkungsvolle Präventionstechniken (wie Kondome und<br />

Einweg-Spritzen) zu investieren und um durch <strong>die</strong> bessere<br />

Ausbildung von Mitarbeitern im Gesundheitswesen<br />

und auf Gemeinde-Ebene <strong>die</strong> Kapazitäten zu erhöhen.<br />

Solche Maßnahmen werden durch Entwicklungsländer-<br />

Kooperationen zur HIV/AIDS-Kontrolle unterstützt.<br />

Thailand stellt Kambodscha seine Expertise zur Verfügung,<br />

ebenso wie Brasilien seinen Nachbarländern.<br />

Um <strong>die</strong> Ausbreitung der Krankheit einzudämmen,<br />

müssen außerdem <strong>die</strong> Präventionsanstrengungen intensiviert<br />

werden. Zwar werden sich Kontrollprogramme<br />

entsprechend den lokalen Bedürfnissen unterscheiden,<br />

doch es stehen viele wirksame Maßnahmen zur Verfügung<br />

(siehe Kasten 4.6). Wirkungsvolle Prävention hat<br />

viele Länder in <strong>die</strong> Lage versetzt, bei der Senkung der<br />

Infektionsraten bemerkenswerte Fortschritte zu machen.<br />

Auch <strong>die</strong> Ausweitung der Behandlung wird breit<br />

unterstützt – insbesondere durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO), <strong>die</strong> anti-retrovirale Medikamente<br />

auf ihre Liste unentbehrlicher Arzneimittel gesetzt hat.<br />

Auch hat <strong>die</strong> WHO Richtlinien veröffentlicht, wie <strong>die</strong><br />

Krankheit behandelt werden sollte, wenn nur begrenzte<br />

Mittel vorhanden sind. Doch es gibt wesentliche Beschränkungen<br />

beim Ausbau <strong>die</strong>ser Programme. Der<br />

Zeitrahmen für <strong>die</strong> Ausweitung der Behandlung sollte<br />

ehrgeizig, aber realistisch sein. Die Einbeziehung verschiedener<br />

Gruppen in <strong>die</strong> Planung und Umsetzung von<br />

Behandlungsprogrammen hat in Brasilien, Thailand und<br />

Uganda Erfolge gezeigt.<br />

Schwache Gesundheitssysteme bedeuten ernste<br />

Beschränkungen bei der Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Um sicherzustellen, dass sich Patienten<br />

an <strong>die</strong> Behandlungsanweisungen halten, und um <strong>die</strong><br />

Arzneimittelresistenz zu <strong>über</strong>wachen, wird mehr gut<br />

ausgebildetes medizinisches Fachpersonal gebraucht sowie<br />

neue Verteil- und Lagerungssysteme für Arzneimittel<br />

und mehr Kliniken und Laboratorien in Gebieten<br />

mit hohen Infektionsraten.<br />

Ziel 6: Die Ausbreitung von Malaria und anderen<br />

schweren Krankheiten stoppen<br />

Malaria und Tuberkulose gehören zu den Infektionskrankheiten,<br />

<strong>die</strong> insbesondere in Entwicklungsländern<br />

eine der Haupttodesursachen bei Erwachsenen darstellen.<br />

Um <strong>die</strong> zweite Zielvorgabe von Millenniums-Entwicklungsziel<br />

6 – den Ausbreitungstrend von Malaria<br />

und anderen schweren Krankheiten bis 2015 umzukehren<br />

– zu erreichen, muss jedes Entwicklungsland <strong>die</strong><br />

Krankheiten identifizieren, <strong>die</strong> seiner Bevölkerung den<br />

größten Schaden zufügen, und damit umgehen.<br />

Malaria. Jedes Jahr infizieren sich 500 Millionen<br />

Menschen – fast zehn Prozent der Weltbevölkerung –<br />

mit Malaria, und <strong>über</strong> eine Million sterben daran. Viele<br />

Forscher befürchten, dass sich <strong>die</strong> Situation aufgrund<br />

von Umweltveränderungen, Unruhen unter der Zivilbe-<br />

Politische Prioritäten und technische Hilfsmaßnahmen<br />

völkerung, Bevölkerungswachstum, ausgedehntem Reisen<br />

und der zunehmenden Resistenz gegen Medikamente<br />

und Insektizide sogar noch verschlechtern könnte.<br />

Aber es gibt neue Ansätze zur Malariakontrolle, und das<br />

wachsende internationale Bewusstsein hat zu einer Erhöhung<br />

der Mittel für Forschung und Kontrollmaßnahmen<br />

geführt. Doch den Ausbreitungstrend der Malaria<br />

umzukehren erfordert dauerhafte politische und finanzielle<br />

Verpflichtungen, um erfolgreiche Programme auszuweiten<br />

und in <strong>die</strong> Forschung zu investieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Bemühungen großen Auftrieb verleihen würde.<br />

Da <strong>die</strong> Malariafälle regional sehr ungleich verteilt<br />

sind, müssen Kontrollprogramme an <strong>die</strong> Bedürfnisse vor<br />

Ort angepasst sein. Eine Reihe von Maßnahmen kann in<br />

lokale Strategien integriert werden:<br />

• Moskitonetze, <strong>die</strong> mit Insektiziden behandelt sind,<br />

an Menschen in Gebieten mit hohem Risiko zu verteilen<br />

und sicherzustellen, dass <strong>die</strong>se Netze jedes Jahr neu behandelt<br />

werden;<br />

• Gesundheitshelfer auf Gemeinde-Ebene darin auszubilden,<br />

Malaria zu diagnostizieren und zu behandeln,<br />

indem einfache Diagnose-Instrumente und abgepackte<br />

Behandlungssets zur Verfügung gestellt werden;<br />

• sicherzustellen, dass Säuglinge und schwangere<br />

Frauen präventiv behandelt werden, als Bestandteil von<br />

Routine-Immunisierungen und vorgeburtlicher Versorgung<br />

(wenngleich letztere ein funktionierendes Gesundheitssystem<br />

voraussetzt);<br />

• eine Kombination von Anti-Malariamitteln zur Verfügung<br />

zu stellen, um <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit zu verringern,<br />

dass sich <strong>die</strong> Parasiten als resistent erweisen;<br />

• neue Methoden einzusetzen, um <strong>die</strong> Arbeit der Gesundheits<strong>die</strong>nste<br />

zu erleichtern, indem man <strong>die</strong> Bevölkerungsverteilung,<br />

<strong>die</strong> Gesundheitseinrichtungen und <strong>die</strong><br />

Transportnetze kartiert. Es stehen auch Instrumente zur<br />

Verfügung, um Malaria-Epidemien vorauszusagen – was<br />

dazu beiträgt, Kontrollmaßnahmen in epidemiegefährdeten<br />

Gebieten zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten und<br />

sie effektiver zu machen.<br />

• Es ist auch dringend erforderlich, <strong>die</strong> Forschung<br />

nach neuen Medikamenten und Impfstoffen auszuweiten,<br />

denn <strong>die</strong> Resistenz gegen <strong>die</strong> zurzeit eingesetzten<br />

Mittel untergräbt ihre Wirksamkeit. Kooperationen zwischen<br />

öffentlichen und privaten Trägern, wie zum Beispiel<br />

das Medicines for Malaria Venture, haben Wissenschaftler,<br />

finanzielle Mittel und Führungsfähigkeiten<br />

zusammengeführt, um <strong>die</strong> Entwicklung neuer Medikamente<br />

zu beschleunigen. Schließlich müssen <strong>die</strong> Kapazitäten<br />

der Gesundheitssysteme bedeutend erweitert<br />

werden, um sicherzustellen, dass existierende und neu<br />

aufkommende Behandlungsmethoden wirkungsvoll eingesetzt<br />

werden.<br />

Tuberkulose. Fünfzig Jahre nach der Einführung<br />

einer wirksamen Chemotherapie sterben noch immer<br />

fast zwei Millionen Menschen pro Jahr an Tuberkulose.<br />

Dies macht <strong>die</strong> Tuberkulose neben AIDS zu der Infektionskrankheit,<br />

an der weltweit <strong>die</strong> meisten Erwachsenen<br />

sterben, und sie fordert eine zunehmende Zahl von Todesopfern.<br />

Von 1997 bis 1999 stieg <strong>die</strong> Zahl der neuen<br />

Tuberkulose-Fälle von 8,0 auf 8,4 Millionen. Wenn <strong>die</strong>ser<br />

Trend anhält, wird <strong>die</strong> Tuberkulose bis <strong>über</strong> das Jahr<br />

2015 hinaus zu den Haupttodesursachen bei Erwachsenen<br />

zählen.<br />

Es ist jedoch möglich, <strong>die</strong>sen Trend umzukehren.<br />

Die im Jahr 2000 gegründete Partnerschaftsinitiative<br />

Stop TB hat bemerkenswerte Fortschritte bei der Formulierung<br />

eines Plans gemacht, <strong>die</strong> Ausbreitung der Tuberkulose<br />

zum Stillstand zu bringen. Dieser Plan umfas-<br />

Quelle: Millennium Project Task Force 5 <strong>2003</strong>a, S. 2; Millennium Project Task Force 4 <strong>2003</strong>; Weiss 2002; WHO <strong>2003</strong>; Forster-Rothbart et al. 2002.<br />

st auch den vollständigen finanziellen Bedarf, um <strong>die</strong> internationalen<br />

Zielvorgaben zu erreichen. In <strong>die</strong>sem Rahmen<br />

wird dazu aufgerufen, <strong>die</strong> Kurzzeitbehandlung unter<br />

Direktbeobachtung DOTS (directly observed therapy<br />

short-course) zu verbreiten, anzupassen und zu verbessern.<br />

DOTS ist ein bemerkenswert wirkungsvolles<br />

Programm, in dem <strong>die</strong> Gesundheitshelferinnen und<br />

–helfer während der Überwachung des Behandlungsablaufs<br />

ihren Patienten eng verbunden sind.<br />

Eine solche Therapie auszuweiten, erfordert <strong>die</strong><br />

Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Tuberkulose-<br />

Kontrollprogrammen sowie des Gesundheitssystems<br />

insgesamt, in viererlei Hinsicht:<br />

• Erhöhung der politischen Unterstützung für <strong>die</strong><br />

Ausweitung von DOTS.<br />

• Erhöhung der finanziellen Unterstützung für <strong>die</strong><br />

Ausweitung von DOTS.<br />

• Verbesserung der Kapazitäten der Gesundheitssysteme<br />

zur Ausweitung von DOTS.<br />

• Anhaltende Beschaffung von Nachschub an qualitativ<br />

hochwertiger Arzneimitteln zur Ausweitung von<br />

DOTS.<br />

Die Anpassung von DOTS, um mit dem Problem<br />

der Resistenz gegen Arzneimittel umzugehen, wird beinhalten,<br />

zu einer „DOTS plus“-Therapie zu gelangen –<br />

dem Grundstein beim Umgang mit Tuberkulose-Erregern,<br />

<strong>die</strong> gegen mehrere Arzneimittel resistent sind.<br />

DOTS plus erfordert <strong>die</strong> strenge Überwachung des Therapieplans.<br />

In der Russischen Föderation sind <strong>die</strong> Tuberkulosefälle<br />

von 1990 bis 1996 um <strong>über</strong> 300 Prozent<br />

angestiegen, und ein erheblicher Teil der Fälle erwies<br />

sich als arzneimittelresistent.. Es gibt einen dringenden<br />

Bedarf an klinischer, epidemiologischer und operationaler<br />

Forschung, um <strong>die</strong> wirksamsten Ansätze zur Umsetzung<br />

von DOTS plus herauszufinden.<br />

Durch <strong>die</strong> zunehmende Anzahl von Tuberkulosefällen,<br />

<strong>die</strong> mit HIV/AIDS in Zusammenhang stehen,<br />

entsteht ein enormer Druck auf <strong>die</strong> Kontrollprogramme<br />

gegen Tuberkulose – ein Druck, der durch den Mangel<br />

an ausgebildetem Gesundheitspersonal, durch zu wenig<br />

Labor-Ressourcen und fehlenden Nachschub an Arzneimitteln<br />

noch verschärft wird. Die Einführung gemeinsamer<br />

Programme gegen Tuberkulose und HIV/AIDS<br />

würde Überlappungen bei den beiden Epidemien<br />

berücksichtigen. Aber sie würde auch eine wesentliche<br />

Neugestaltung und eine größere Reichweite von Organisationen<br />

auf nationaler und kommunaler Ebene erfordern.<br />

Schließlich ließe sich DOTS auch verbessern, indem<br />

man in folgenden Bereichen <strong>die</strong> Forschungstätigkeiten<br />

ausweitet:<br />

• Neue Diagnose-Instrumente, um akute Tuberkulose-Fälle<br />

schneller, leichter und sicherer erkennen zu<br />

können;<br />

• bessere Arzneimittel zur Vereinfachung des Behandlungsablaufs<br />

und zur Verbesserung der Maßnahmen<br />

bei Resistenzen der Tuberkuloseerreger gegen<br />

mehrere Arzneimittel und bei latenten Infektionen;<br />

• einen besseren Impfstoff.<br />

Ein Schritt in Richtung einer Verbesserung von<br />

DOTS war <strong>die</strong> Gründung eines globalen Bündnisses für<br />

<strong>die</strong> Entwicklung von Arzneimitteln gegen Tuberkulose<br />

(Global Alliance for Tuberculosis Drug Development),<br />

<strong>die</strong> solche Forschungsvorhaben voranbringen<br />

soll.<br />

122 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


chende Mittel speziell für Frauen und Kinder.<br />

• Ineffizienz. Vertikale Programme für spezielle<br />

Krankheiten sind nicht in <strong>die</strong> allgemeinen<br />

Gesundheitssysteme integriert.<br />

Genau an <strong>die</strong>sem Punkt treten <strong>die</strong> Verbindungen<br />

zwischen Gesundheit, Bildung und<br />

Einkommen am klarsten zutage, denn es sind<br />

<strong>die</strong> Armen, <strong>die</strong> keinen Zugang zu Wasser und<br />

sanitärer Versorgung haben, <strong>die</strong> sich keine<br />

Medikamente leisten können und <strong>die</strong> nicht<br />

<strong>über</strong> HIV-Vorsorge und Familienplanung informiert<br />

werden.<br />

Frauen tragen dabei ein größeres Risiko<br />

als Männer. Weltweit sind etwa <strong>die</strong> Hälfte der<br />

von HIV/AIDS betroffenen Erwachsenen<br />

Frauen. Bei jungen Frauen ist der Anteil jedoch<br />

weit höher und wird sich wahrscheinlich<br />

noch verschlimmern. In vielen karibischen<br />

Ländern sind <strong>die</strong> Mehrheit der neuen HIV-Infizierten<br />

Frauen. Und in vielen afrikanischen<br />

Ländern sind von den 15-24Jährigen sechsmal<br />

mehr Frauen HIV-infiziert als Männer. 98<br />

Arme Frauen sind besonders anfällig für<br />

HIV - aufgrund ihres schlechten Ernährungszustands,<br />

ihrer begrenzten Bildung und ihrer<br />

eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt,<br />

und wegen ihres niedrigen sozialen Status<br />

und dem daraus resultierenden Unvermögen,<br />

sicheren Sex zu verlangen. Und wenn sie<br />

sich erst angesteckt haben, vermeiden Frauen<br />

eher, Hilfe in Anspruch zu nehmen beziehungsweise<br />

verschieben <strong>die</strong>s auf einen späteren<br />

Zeitpunkt aufgrund von geschlechtsbedingten<br />

Zwängen wie zum Beispiel häusliche<br />

Pflichten und Fahrt- und Behandlungskosten.<br />

Auch <strong>die</strong> Autonomie ist ein Problem: in Südasien<br />

entscheiden oft <strong>die</strong> Männer dar<strong>über</strong>, ob<br />

<strong>die</strong> Frauen sich einer medizinischen Behandlung<br />

unterziehen sollen. 99<br />

BEGRENZTE FINANZMITTEL –<br />

UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />

Jedes OECD-Land mit hohem Einkommen<br />

gibt mindestens 5 Prozent seines BIP für <strong>die</strong><br />

öffentliche Gesundheitsversorgung aus. Nur<br />

wenige Entwicklungsländer erreichen jedoch<br />

<strong>die</strong>sen Prozentsatz – und in den meisten ist es<br />

weniger als <strong>die</strong> Hälfte davon. (Costa Rica – ein<br />

Land ohne Militär, das in den Bereichen Gesundheit<br />

und Bildung gute Erfolge aufzuweisen<br />

hat – ist hier eine seltene Ausnahme.) In<br />

Ländern mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

lagen <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben im Jahr 2000<br />

bei 5.2 Prozent des BIP – während sie in Ländern<br />

mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

bei 2.7 Prozent lagen und in Ländern mit<br />

niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung bei 2.1<br />

Prozent. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf<br />

der Bevölkerung sind in den meisten Entwicklungsländern<br />

sehr niedrig: im Jahr 2000 lag<br />

der Durchschnitt bei 1.061 US-Dollar in Ländern<br />

mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung,<br />

194 US-Dollar in Ländern mit mittlerer<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung – und gerade einmal<br />

bei 38 US-Dollar in Ländern mit niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung (in Kaufkraftparitäten).<br />

100<br />

Die Kommission für Makroökonomie und<br />

Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation<br />

(World Health Organization – WHO)<br />

hat empfohlen, <strong>die</strong> Geberhilfe und <strong>die</strong> Eigenausgaben<br />

der jeweiligen Sataaten für Gesundheitssysteme<br />

in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

erheblich zu erhöhen. Die Kommission<br />

geht davon aus, dass eine Erhöhung der<br />

Geberzuschüsse für Gesundheit auf 35 Millionen<br />

US-Dollar jährlich bis 2015 (von 5 Millionen<br />

im Jahr 2001) bei einer entsprechenden<br />

Investition in <strong>die</strong> hochprioritären Bereiche<br />

(Infektionskrankheiten, Mangelernährung,<br />

Schwangerschaftskomplikationen) zusammen<br />

mit höheren Gesundheitsausgaben in den jeweiligen<br />

Ländern 8 Millionen Menschenleben<br />

im Jahr retten könnte und einen wirtschaftlichen<br />

Zuwachs von 360 Milliarden US-Dollar<br />

bringen könnte.<br />

Die meisten Entwicklungsländer, <strong>die</strong> sich<br />

wirtschaftlichen Stabilisierungsprogrammen<br />

oder Anpassungsprogrammen unterwerfen,<br />

haben keine Möglichkeit, ihre Gesundheitsausgaben<br />

zu erhöhen, ohne <strong>die</strong> Einnahmen aus<br />

anderen Quellen zu erhöhen. Insbesondere<br />

hochverschuldete arme Länder haben keinen<br />

fiskalischen Spielraum, ihre Sozialausgaben zu<br />

erhöhen. Soziale Grund<strong>die</strong>nste machen jedoch<br />

nicht einmal <strong>die</strong> Hälfte der Staatsausgaben<br />

für Gesundheit und Bildung in solchen<br />

Ländern aus. 101 (Die Rolle des Privatsektors<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 123


GRAFIK 4.4<br />

Ein großer Teil der<br />

Entwicklungshilfe im<br />

Gesundheitsbereich geht in<br />

<strong>die</strong> Grundversorgung<br />

Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich von<br />

Mitgliedern des Entwicklungsausschusses<br />

der OECD<br />

Allgemeine Gesundheitsversorgung,<br />

Aus- und Fortbildung,<br />

22,7%<br />

Forschung, Politk und<br />

Verwaltung<br />

36,9%<br />

40,4%<br />

Gesundheitliche Grundversorgung,<br />

Infrastruktur und<br />

Kontrolle von Infektionskrankheiten<br />

Familienplanung, reproduktive<br />

Gesundheit, Bevölkerungspolitik<br />

und Verwaltung<br />

Quelle: OECD, Development Assistance<br />

Committee <strong>2003</strong>a.<br />

im Gesundheitswesen wird in Kapitel 5 beschrieben.)<br />

Was können Regierungen angesichts<br />

schwerwiegender Haushaltsbeschränkungen<br />

tun? Eine Quelle für zusätzliche Mittel ist <strong>die</strong><br />

öffentliche Entwicklungshilfe, und für das Gesundheitswesen<br />

sind <strong>die</strong> Entwicklungshilfeleistungen<br />

gestiegen – mit Zusagen von durchschnittlich<br />

3,6 Milliarden US-Dollar in den<br />

Jahren 1999–2001, gegen<strong>über</strong> 3,3 Milliarden<br />

in den Jahren 1996–98. Dennoch macht <strong>die</strong><br />

Entwicklungshilfe für Gesundheit ganze 0,01<br />

US-Dollar pro 100 US-Dollar BIP der Entwicklungshilfe<br />

leistenden Geberländer aus –<br />

zuwenig, um auch nur <strong>die</strong> gesundheitlichen<br />

Grundbedürfnisse der Entwicklungsländer<br />

abdecken zu können.<br />

In den Jahren 1996–98 stellten multilaterale<br />

Institutionen durchschnittlich 872 Millionen<br />

US-Dollar jährlich an Entwicklungshilfe<br />

im Zusammenhang mit Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />

bereit, in den Jahren 1999–2001 ging <strong>die</strong>ser<br />

Betrag jedoch auf 673 Millionen US-Dollar<br />

jährlich zurück. 102 Zusagen für gesundheitliche<br />

Grundversorgung lagen in den Jahren<br />

1996–98 jedoch bei 264 Millionen US-Dollar<br />

jährlich und blieben in den Jahren 1999–2001<br />

weitgehend auf demselben Niveau (249 Millionen<br />

US-Dollar jährlich).<br />

Ende der 1990er Jahre gingen 37 Prozent<br />

der Hilfe im Gesundheitsbereich von Mitgliedsländern<br />

des OECD-Entwicklungshilfeausschusses<br />

in <strong>die</strong> Grundversorgung, 23<br />

Prozent in <strong>die</strong> allgemeine Gesundheitsversorgung<br />

und der Rest in <strong>die</strong> reproduktive Gesundheitsvorsorge<br />

(siehe Grafik 4.4). Dementsprechend<br />

konzentriert sich im Gegensatz<br />

zum Bildungsbereich <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

für Gesundheit auf Grund<strong>die</strong>nste – gut für <strong>die</strong><br />

Ziele. In den 1990er Jahren stieg <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

für reproduktive Gesundheit von<br />

572 Millionen US-Dollar auf 897 Millionen<br />

US-Dollar jährlich. 103<br />

UNGLEICHHEIT – UND WASMAN<br />

DAGEGEN TUN KANN<br />

Wie sollten gering ausgestattete Gesundheitsbudgets<br />

zwischen Dienstleistungen und Nutzern<br />

aufgeteilt werden? Das ist <strong>die</strong> zentrale<br />

Frage für <strong>die</strong> Gerechtigkeit, denn <strong>die</strong> armen<br />

Menschen sind derzeit <strong>die</strong> Verlierer. Eine<br />

kürzlich in den Entwicklungsländern durchgeführte<br />

Untersuchung kam zu dem Schluss,<br />

dass in jedem Fall <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent der<br />

Bevölkerung von weniger als 20 Prozent der<br />

Ausgaben für öffentliche Gesundheit profitieren.<br />

Sie bekommen auch weniger als <strong>die</strong> reichsten<br />

20 Prozent (zu denen in vielen Ländern<br />

auch ein großer Teil der Mittelklasse zählt). 104<br />

Die Ausgaben für <strong>die</strong> medizinische<br />

Grundversorgung sind jedoch gerechter verteilt<br />

als <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben insgesamt.<br />

In einigen Ländern nutzen arme Menschen<br />

<strong>die</strong> grundlegenden Gesundheits<strong>die</strong>nste in wesentlich<br />

größerem Ausmaß. In Kenia werden<br />

22 Prozent der Ausgaben der Regierung für<br />

<strong>die</strong> medizinische Grundversorgung für <strong>die</strong><br />

ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung ausgegeben,<br />

im Vergleich zu 14 Prozent der Gesundheitsausgaben<br />

insgesamt. In Chile – einem<br />

Land mit einem hohen Gesundheitsstandard –<br />

gehen 30 Prozent der Ausgaben für <strong>die</strong> medizinische<br />

Grundversorgung an <strong>die</strong> ärmsten 20<br />

Prozent. Und in Costa Rica, einem weiteren<br />

Land mit hohem Standard, erhalten <strong>die</strong> ärmsten<br />

20 Prozent der Bevölkerung 43 Prozent.<br />

105 Wenn also <strong>die</strong> arme Bevölkerung profitieren<br />

soll, müssen mehr Mittel in <strong>die</strong> medizinische<br />

Grundversorgung fließen.<br />

Eine gerechtere Ausgabenverteilung spiegelt<br />

sich stark bei den gesundheitlichen Resultaten<br />

wieder. In Ländern, in denen weniger als<br />

70 von 1.000 Kindern vor Vollendung ihres<br />

fünften Lebensjahres sterben, erhalten <strong>die</strong><br />

ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung mehr als<br />

25 Prozent der öffentlichen Ausgaben für <strong>die</strong><br />

medizinische Grundversorgung – während in<br />

Ländern mit Kindersterblichkeitsraten <strong>über</strong><br />

140 <strong>die</strong> ärmsten 20 Prozent weniger als 15<br />

Prozent erhalten. Außerdem liegt in Ländern<br />

mit hohen Kindersterblichkeitsraten <strong>die</strong> Krankenhausnutzer-Rate<br />

bei den ärmsten 20 Prozent<br />

der Bevölkerung bei weniger als 10 Prozent<br />

- bei den reichsten 20 Prozent liegt sie bei<br />

etwa 40 Prozent. 106<br />

Wenn nur begrenzte Mittel zur Verfügung<br />

stehen, müssen weniger entwickelte ländliche<br />

Gebiete <strong>die</strong> größten Kürzungen beim medizinischen<br />

Personal hinnehmen. Außerdem sind<br />

124 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


normalerweise Bemühungen, medizinisches<br />

Personal in unterversorgten Gebieten einzusetzen,<br />

nicht sonderlich erfolgreich. In Kambodscha<br />

leben 85 Prozent der Bevölkerung in<br />

ländlichen Gebieten, nur 13 Prozent des Gesundheitspersonals<br />

der Regierung sind jedoch<br />

dort angesiedelt. In Angola leben 65 Prozent<br />

der Bevölkerung auf dem Land und nur 15<br />

Prozent des medizinischen Personals der Regierung<br />

arbeiten in <strong>die</strong>sen Gegenden. 107 In<br />

Nepal sind auf dem Land nur 20 Prozent der<br />

Arztposten besetzt, im Vergleich zu 96 Prozent<br />

in den Städten. 108<br />

Verschiedene Maßnahmen können ergriffen<br />

werden, um das Ungleichgewicht bei der<br />

gesundheitlichen Versorgung zu beheben:<br />

• Die Anzahl der Krankenschwestern,<br />

Krankenpfleger und des Gesundheitspersonals<br />

auf kommunaler Ebene muss erhöht<br />

werden. Krankenschwestern, ausgebildete<br />

Geburtshelfer und kommunales Gesundheitspersonal<br />

sind <strong>die</strong> Gliedmaßen des Gesundheitssystems,<br />

weil durch sie <strong>die</strong> Breitenwirkung<br />

ermöglicht wird, <strong>die</strong> für erfolgreiche<br />

Dienstleistungen im reproduktiven Gesundheitsbereich<br />

entscheidend ist. So kommen beispielsweise<br />

in Ländern mit guten Erfolgen – in<br />

denen <strong>die</strong> Lebenserwartung hoch ist und <strong>die</strong><br />

Sterblichkeitsraten bei Unter-Fünfjährigen im<br />

Vergleich zum Durchschnitt in den Entwicklungsländern<br />

niedrig sind – in der Regel mehr<br />

Krankenschwestern auf einen Arzt. Dies zeigt<br />

der Vergleich von Simbabwe (9,5 Krankenschwestern<br />

pro Arzt im Jahr 1990) und Thailand<br />

(4 im Jahr 1990) mit In<strong>die</strong>n (1,5 in den<br />

späten 1980er Jahren) und Bangladesch (1 im<br />

Jahr 1990). Neuere Daten bestätigen <strong>die</strong>se Beobachtung.<br />

109<br />

• Dienstverträge müssen abgeschlossen<br />

werden, damit das medizinische Personal<br />

eine bestimmte Anzahl von Jahren im öffentlichen<br />

Dienst bleibt. Solche Verträge,<br />

<strong>die</strong> in Lateinamerika üblich sind, wurden inzwischen<br />

auch auf den Philippinen und in<br />

Tansania eingeführt. In den siebziger Jahren<br />

verlangte Malaysia, ein weiteres Land mit guten<br />

Erfolgen, von allen Ärzten mit einem medizinischen<br />

Abschluss, dass sie drei Jahre lang<br />

im Gesundheits<strong>die</strong>nst der Regierung arbeiteten<br />

– wodurch <strong>die</strong> Regierung Ärzte in ländli-<br />

che Gebiete schicken konnte, <strong>die</strong> sie bisher<br />

gemieden hatten. Außerdem wurde durch<br />

politische Maßnahmen sichergestellt, dass <strong>die</strong><br />

ärmsten Bevölkerungsgruppen einen größeren<br />

Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben<br />

erhielten als <strong>die</strong> Mittel- und Oberschichten.<br />

110<br />

• Die Geberländer müssen Unterstützung<br />

bei den ständigen Ausgaben leisten. Die<br />

Weltgesundheitsorganisation hat ein Paket<br />

grundlegender Gesundheits<strong>die</strong>nstleistungen<br />

für <strong>die</strong> Entwicklungsländer empfohlen, das<br />

das öffentliche Gesundheitswesen und <strong>die</strong> stationäre<br />

Behandlung in Krankenhäusern mit<br />

einschließt. Dieses Paket kann jedoch nur mit<br />

mehr Personal angeboten werden, weshalb <strong>die</strong><br />

Geberländer einen Teil der ständigen Personalkosten<br />

<strong>über</strong>nehmen sollten.<br />

INEFFIZIENZ – UND WASMAN<br />

DAGEGEN TUN KANN<br />

Wenn <strong>die</strong> Leistungen der Gesundheitssysteme<br />

nicht verbessert werden, könnten sämtliche<br />

zusätzlichen Mittel sich als Verschwendung<br />

erweisen.<br />

SICH AUF DIE WICHTIGSTEN<br />

MASSNAHMEN KONZENTRIEREN<br />

Regierungen, denen es an Geld fehlte, haben<br />

bisher versucht, <strong>die</strong> Gesundheitsvorsorge zu<br />

rationalisieren, indem sie <strong>die</strong> Budgets insgesamt<br />

eingeschränkt haben – und nicht, indem<br />

sie Mittel für spezielle Krankheiten bereitgestellt<br />

haben. Ein anderer Ansatz wäre, <strong>die</strong> Mittel<br />

auf Grundlage der wichtigsten Maßnahmen<br />

zu rationalisieren. In Mexiko hat man<br />

<strong>die</strong>sen Ansatz gewählt, und in Bangladesch,<br />

Kolumbien und Sambia hat man gerade damit<br />

begonnen. 111<br />

EINEN INTEGRIERTEN ANSATZWÄHLEN<br />

Mit den Pocken- und Malaria-Ausrottungskampagnen<br />

der sechziger Jahre begann ein<br />

Trend zu von den Geberländern vorangetriebenen,<br />

krankheitsspezifischen vertikalen Programmen,<br />

<strong>die</strong> den Gesundheitssystemen der<br />

Entwicklungsländer aufgezwungen wurden.<br />

Seit den 1980er Jahren – als unzählige Strukturanpassungsprogramme<br />

aufgelegt wurden,<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 125


und insbesondere seit der Kampagne von<br />

Weltgesundheitsorganisation und UNICEF<br />

(United Nations Children’s Fund)zur Förderung<br />

der weltweiten Impfung von Kindern<br />

(1985-90) – haben <strong>die</strong> Geber das Gewicht<br />

noch mehr auf solche Bemühungen verlagert.<br />

Und seit dem verstärkten Auftreten von Tuberkulose,<br />

Malaria und HIV/AIDS ist <strong>die</strong>ser<br />

Trend noch weiter verstärkt worden.<br />

Solche Programme bergen Risiken. Auf<br />

<strong>die</strong>sen Gebieten werden Mittel auf Kosten des<br />

allgemeinen Gesundheitssystems konzentriert.<br />

Das kann dazu führen, dass Bemühungen zur<br />

öffentlichen Gesundheitsvorsorge außerhalb<br />

solcher vertikaler Strukturen zum Scheitern<br />

verurteilt sind. Und sogar vertikale Programme,<br />

deren Aufrechterhaltung teuer ist, können<br />

bedroht sein, wenn <strong>die</strong> Finanzierung durch <strong>die</strong><br />

Geber eingestellt wird. Vertikale Programme<br />

sind wahrscheinlich nur bezahlbar und sinnvoll<br />

bei Krankheiten, bei denen <strong>die</strong> berechtigte<br />

Hoffnung besteht, dass sie in absehbarer Zeit<br />

ausgerottet werden können.<br />

Krankheitsspezifische Programme sollten<br />

in <strong>die</strong> allgemeinen Strukturen des Gesund-<br />

KASTEN 4.8<br />

Integration vertikaler Programme in funktionierende<br />

Gesundheitssysteme<br />

Wo krankheitsspezifische Programme in<br />

eine funktionierende Struktur des Gesundheitswesens<br />

integriert werden, ist –<br />

wie das indische Tuberkulose-Programm<br />

zeigt, – <strong>die</strong> Erfolgswahrscheinlichkeit<br />

hoch. Über 200.000 Gesundheitshelfer<br />

wurden ausgebildet. Rund 436 Millionen<br />

Menschen (mehr als 40 Prozent der Bevölkerung)<br />

haben Zugang zu Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />

und 200.000 Menschen konnte<br />

das Leben gerettet werden, was indirekte<br />

Einsparungen von <strong>über</strong> 400 Millionen US-<br />

Dollar bedeutet – mehr als das achtfache<br />

der Kosten für <strong>die</strong> Umsetzung des Programms.<br />

Beim Einsatz der Kurzzeitbehandlung<br />

unter Direktbeobachtung DOTS (directly<br />

observed therapy short-course) nutzt In<strong>die</strong>n<br />

für sein Programm <strong>die</strong> existierenden<br />

Strukturen im Gesundheitswesen, ergänzt<br />

aber <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Rahmen durchgeführten<br />

Maßnahmen durch zusätzliche Ressourcen<br />

und Medikamente und durch zusätzliches<br />

Personal. Diagnose und Be-<br />

Quelle: Khatri und Frieden 2002, S. 1420–25.<br />

handlung sind für <strong>die</strong> Patienten kostenfrei.<br />

Wenn <strong>die</strong> Entscheidung getroffen wurde,<br />

in einem Distrikt ein Programm gegen Tuberkulose<br />

einzuführen, gründet <strong>die</strong> Gesundheitsbehörde<br />

eine Gesellschaft, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Mitarbeiter einer Tuberkulose-Einheit<br />

einstellt, welche 500.000 Menschen versorgt.<br />

Die Zentralregierung bildet <strong>die</strong> Ärzte<br />

aus und stellt <strong>die</strong> Labortechniker ein.<br />

Strategie, Arzneimittel und Mikroskope<br />

liefert <strong>die</strong> Zentralregierung, mit finanzieller<br />

Hilfe der Weltbank und bilateraler Geber.<br />

Es gibt mehrere Ebenen der Unterstützung,<br />

der Überwachung und Kontrolle.<br />

Mitarbeiter der Regierung und der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO) machen<br />

Besuche vor Ort. Von der WHO angestellte<br />

Berater mit Mobiltelefon und Internet-Zugang<br />

unterstützen <strong>die</strong> Tuberkulose-Einheiten.<br />

Die Regierung erstattet<br />

vierteljährlich detaillierte Rückmeldungen<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Leistungen jedes Bundesstaates<br />

und jedes Distrikts.<br />

heitswesens integriert werden, wie das erfolgreiche<br />

Tuberkulose-Programm in In<strong>die</strong>n zeigt<br />

(siehe Kasten 4.8). Auch bei den Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />

für Mütter und Kinder wird der Ruf<br />

nach Integration laut: in vielen Ländern wurde<br />

in der grundlegenden Gesundheitsversorgung<br />

der Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Familienplanung gelegt,<br />

wodurch <strong>die</strong>se anderen Dienstleistungen<br />

ausgeschlossen wurden. Damit weitere Fälle<br />

von Müttersterblichkeit vermieden werden<br />

können, muss <strong>die</strong> Versorgung während der<br />

Schwangerschaft und insbesondere während<br />

der Entbindung mit verlässlichen Systemen<br />

gekoppelt werden, <strong>die</strong> eine qualifizierte Behandlung<br />

bei Entbindungs-Notfällen gewährleisten.<br />

DIE WICHTIGSTEN MEDIKAMENTE MÜSSEN<br />

IN DEN KRANKENHÄUSERN ANGEBOTEN<br />

WERDEN, DAMIT DIE PATIENTEN DORTHIN<br />

GEHEN<br />

Eine äußerst unangemessene Versorgung mit<br />

Medikamenten ist eine Grund dafür, dass öffentliche<br />

Gesundheitssysteme nicht mehr<br />

funktionsfähig sind. Wenn Patienten keine<br />

Medikamente für Therapien bekommen, gibt<br />

es für sie kaum einen Anreiz, öffentliche Gesundheitsvorsorge<br />

in Anspruch zu nehmen.<br />

Dadurch lässt <strong>die</strong> Nachfrage nach medizinischen<br />

Dienstleistungen nach, und ausgebildetes<br />

medizinisches Personal und Krankenpfleger<br />

erscheinen nicht mehr zur Arbeit.<br />

In In<strong>die</strong>n funktionieren <strong>die</strong> Gesundheitseinrichtungen<br />

in vier südlichen Bundesstaaten<br />

– Andhra Pradesh, Karnataka, Kerala, Tamil<br />

Nadu – besser, weil im Rahmen des medizinischen<br />

Grundversorgungs-Netzwerks auch<br />

Medikamente ausgegeben werden, wodurch<br />

<strong>die</strong> Patienten einen Grund haben, <strong>die</strong> Einrichtungen<br />

zu besuchen. In anderen Ländern<br />

könnte <strong>die</strong> Ausgabe wichtiger Medikamente<br />

durch dezentralisierte Einrichtungen dazu<br />

beitragen, <strong>die</strong> medizinischen Grundversorgungssysteme<br />

wiederzubeleben. Wenn auch<br />

Behandlungsmöglichkeiten angeboten würden,<br />

würde dadurch das Netz der Vorsorge<strong>die</strong>nste<br />

ebenfalls erweitert.<br />

In Ländern mit hoher <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

hat fast <strong>die</strong> gesamte Bevölkerung<br />

126 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 4.9<br />

Unentbehrliche Arzneimittel für alle garantieren – Erfolge in Bhutan<br />

Bhutan, ein kleines Königreich in Asien ohne Zugang<br />

zum Meer, zeigt, wie durch eine kohärente nationale<br />

Arzneimittelpolitik — unterstützt durch gemeinschaftliche<br />

internationale Hilfe — bei der Bereitstellung<br />

unentbehrlicher Arzneimittel beeindruckende<br />

Ergebnisse erzielt werden können. Bis<br />

1986 war das Arzneimittelangebot im öffentlichen<br />

Gesundheitswesen in Bhutan chaotisch: mangelnde<br />

Verfügbarkeit, unberechenbare Qualität, irrationale<br />

Verordnungen und hohe Kosten. Dann begann das<br />

Land mit einem Programm zur Bereitstellung unentbehrlicher<br />

Arzneimittel (essential drugs programme),<br />

mit umfassender technischer und finanzieller<br />

Hilfe der Weltgesundheitsorganisation und aus<br />

Geberländern. Im Jahr 1987 wurden eine umfassende<br />

nationale Arzneimittelstrategie und <strong>die</strong> zur Umsetzung<br />

nötige Gesetzgebung verabschiedet. Zu den<br />

Schlüsselkomponenten des Programms gehören:<br />

• Nationale Beschaffungs- und Verteilungseinrichtungen;<br />

• Qualitätssicherung durch sorgfältige Auswahl<br />

der Lieferanten und durch Produkttests;<br />

• rationalere Verordnungen durch <strong>die</strong> Entwicklung<br />

von Richtlinien zur Standardbehandlung und<br />

bessere Ausbildung und Kontrolle von Fachleuten<br />

im Pharma-Bereich;<br />

Quelle: Stapleton 2000, S. 2.<br />

Zugang zu den wichtigsten Medikamenten.<br />

In Ländern mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

gibt es eine große Bandbreite: in<br />

China haben 80-94 Prozent der Bevölkerung<br />

Zugang (je nach Region), in In<strong>die</strong>n 0-49 Prozent.<br />

In den meisten Ländern mit niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung ist der Zugang gering<br />

(definiert durch <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

als Wert von 50-79 Prozent).<br />

Bhutan ist zwar ein Land mit niedriger<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung, hat es jedoch geschafft,<br />

80-94 Prozent seiner Bevölkerung mit<br />

den wichtigsten Medikamenten zu versorgen<br />

(siehe Kasten 4.9).<br />

• Abfallreduktion und Effizienzerhöhung durch<br />

Workshops für Lagerverwalter zur ordnungsgemäßen<br />

Lagerung und Verwaltung von Arzneimitteln;<br />

• kostenfreie staatliche Bereitstellung unentbehrlicher<br />

Arzneimittel und Impfstoffe.<br />

Seit 1993 wird das Programm von bhutanischem<br />

Personal durchgeführt, mit minimaler Hilfe internationaler<br />

Experten. Zu den Ergebnissen zählen:<br />

• der Zugang zu qualitativ hochwertigen unentbehrlichen<br />

Arzneimitteln für mehr als 90 Prozent<br />

der Bevölkerung, wobei 90 Prozent der wichtigsten<br />

unentbehrlichen Arzneimittel erhältlich sind;<br />

• ein Rückgang der Fehlerquote in der buchhalterischen<br />

Erfassung der Verordnungen, von 76 Prozent<br />

im Jahr 1989 auf 14 Prozent im Jahr 1997;<br />

• weniger Abfall: nur 0,75 Prozent des Arzneimittel-Budget<br />

werden für Medikamente ausgegeben,<br />

deren Verfallsdatum erreicht ist, bevor sie verwendet<br />

werden;<br />

• sehr viel niedrigere Preise, <strong>die</strong> durch das Programm<br />

zur Bereitstellung unentbehrlicher Arzneimittel<br />

bezahlt werden. Über <strong>die</strong>ses Programm werden<br />

85 bis 90 Prozent aller Arzneimittel beschafft.<br />

Die Preise sind auf rund <strong>die</strong> Hälfte der durchschnittlichen<br />

internationalen Preise gesunken.<br />

Viele Länder mit niedrigem Einkommen<br />

werden zinsvergünstigte Finanzierung von<br />

den Geberländern benötigen, damit sie <strong>die</strong><br />

Bevölkerung mit den wichtigsten Medikamenten<br />

versorgen können. In Ländern mit guten<br />

Erfolgen werden <strong>die</strong> wichtigsten Medikamente<br />

in öffentlichen Gesundheitszentren ausgegeben<br />

– wodurch <strong>die</strong> lokale Nachfrage nach<br />

anderen Dienstleistungen <strong>die</strong>ser Zentren gefördert<br />

wird. Durch ein gesteigertes Interesse<br />

der Nutznießer am öffentlichen Gesundheitssystem<br />

wird auch <strong>die</strong> Kontrolle des öffentlichen<br />

Gesundheitspersonals durch eine Überprüfung<br />

seitens der Kommunen verbessert.<br />

WIE KÖNNEN DIE ZIELE IM BEREICH WASSER UND SANITÄRE VERSORGUNG<br />

ERREICHT WERDEN?<br />

Zugang zu sauberem Wasser und angemessener<br />

sanitärer Versorgung ist entscheidend zum<br />

Überleben. Wasser ist für <strong>die</strong> Umwelt, <strong>die</strong><br />

Ernährungssicherheit und eine nachhaltige<br />

Entwicklung von entscheidender Bedeutung.<br />

Und eine angemessene sanitäre Versorgung<br />

kann ebenfalls <strong>über</strong> Leben und Tod entscheiden.<br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele und<br />

Zielvorgaben<br />

Ziel 7: Sicherung der ökologischenNachhaltigkeit<br />

Zielvorgabe 9: Die<br />

Grundsätze der<br />

nachhaltigen<br />

Entwicklung in<br />

einzelstaatliche Politiken<br />

und Programme<br />

einbauen und den<br />

Verlust von<br />

Umweltressourcen<br />

umkehren<br />

Zielvorgabe 10: Bis 2015<br />

den Anteil der Menschen<br />

um <strong>die</strong> Hälfte senken,<br />

<strong>die</strong> keinen nachhaltigen<br />

Zugang zu sauberem<br />

Trinkwasser haben<br />

Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />

eine erhebliche<br />

Verbesserung der<br />

Lebensbedingungen von<br />

mindestens 100<br />

Millionen<br />

Slumbewohnern<br />

herbeiführen<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 127


GRAFIK 4.5<br />

In vielen städtischen<br />

Haushalten fehlt es an<br />

Trinkwasser und<br />

Sanitärversorgung<br />

Anteil städtischer Haushalte<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Wasseranschluss<br />

im Haus oder Hof<br />

Anschluss an<br />

<strong>die</strong> Abwasserkanalisation<br />

Afrika<br />

Asien<br />

Lateinamerika und<br />

<strong>die</strong> Karibik<br />

Ozeanien<br />

Fehlender<br />

Zugang<br />

Quelle: WHO, UNICEF und WSSCC 2000.<br />

DAS AUSMASS DES PROBLEMS<br />

Im Jahr 2000 hatten mindestens 1,1 Milliarde<br />

Menschen weltweit – etwa einer von fünf<br />

Menschen – keinen Zugang zu sauberem Wasser.<br />

112 Zweimal so viele (2,4 Milliarden Menschen)<br />

hatten keinen Zugang zu einer verbesserten<br />

sanitären Versorgung. 113 In Asien leben<br />

65 Prozent der Menschen, <strong>die</strong> keinen Zugang<br />

zu sauberem Wasser hat, und in Afrika 28<br />

Prozent. Bei der sanitären Versorgung sind es<br />

in Asien 80 Prozent der unversorgten Bevölkerung<br />

und in Afrika 13 Prozent. 114<br />

In den 1990er Jahren gab es einige positive<br />

Entwicklungen: etwa 438 Millionen Menschen<br />

in den Entwicklungsländern bekamen Zugang<br />

zu sauberem Wasser und etwa 542 Millionen in<br />

städtischen Gebieten erhielten Zugang zu einer<br />

angemessenen sanitären Versorgung. 115 Durch<br />

das rasche Bevölkerungswachstum stieg <strong>die</strong> Anzahl<br />

der Stadtbewohner ohne Zugang zu sauberem<br />

Wasser jedoch um fast 62 Millionen. 116<br />

In den größeren europäischen und nordamerikanischen<br />

Städten sind mehr als 90 Prozent<br />

der Haushalte an Wasserleitungen und<br />

Abwassersysteme angeschlossen. Im Rest der<br />

Welt ist <strong>die</strong> Situation jedoch völlig anders.<br />

Wenn man unter angemessener sanitärer Versorgung<br />

eine Toilette versteht, <strong>die</strong> an eine Abwasserleitung<br />

angeschlossen ist, dann herrscht<br />

<strong>über</strong>all in den Entwicklungsländern starker<br />

Mangel an angemessener sanitärer Versorgung<br />

– sogar in den großen Städten. Und das<br />

sanitäre Versorgungsnetz ist in jeder Region<br />

noch viel schlechter als das Wasserversorgungsnetz<br />

(siehe Grafik 4.5).<br />

In den 1990er Jahren war <strong>die</strong> Anzahl der<br />

Kinder, <strong>die</strong> an Durchfallerkrankungen starben<br />

– ein Ergebnis unsauberen Wassers und<br />

fehlender sanitärer Einrichtungen – größer als<br />

<strong>die</strong> Zahl der Menschen, <strong>die</strong> seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg bei bewaffneten Konflikten starben.<br />

117 Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> Hälfte der<br />

Krankenhausbetten weltweit mit Patienten<br />

belegt ist, <strong>die</strong> an Krankheiten leiden, <strong>die</strong><br />

durch Wasser <strong>über</strong>tragen werden. Das bedeutet,<br />

dass teuere medizinische Dienstleistungen<br />

zur Behandlung von Krankheiten in Anspruch<br />

genommen werden, <strong>die</strong> leicht hätten verhindert<br />

werden können.<br />

In Südasien haben nur 37 Prozent der Bevölkerung<br />

Zugang zu angemessener sanitärer<br />

Versorgung. Etwa 1,4 Millionen Menschen in<br />

der Region verrichten ihre Notdurft immer<br />

noch irgendwo in der Landschaft oder benutzen<br />

unhygienische Eimer-Latrinen. 118 In Afrika<br />

südlich der Sahara ist sauberes Wasser das<br />

dringlichste Problem, da dar<strong>über</strong> nur 57 Prozent<br />

der Bevölkerung verfügen 119 – ein Durchschnittswert,<br />

hinter dem sich noch eine große<br />

Kluft zwischen städtischen und ländlichen<br />

Gebieten verbirgt. 120<br />

Arme Menschen auf dem Land leiden stärker<br />

darunter, wenn sie kein sauberes Wasser<br />

haben, denn sie sind in der Regel von den Ressourcen<br />

Boden und Wasser abhängig, um<br />

ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die arme<br />

Stadtbevölkerung leidet stärker unter einer<br />

unangemessenen sanitären Versorgung, <strong>die</strong><br />

sich durch <strong>die</strong> <strong>über</strong>völkerten Städte noch<br />

schlimmer auswirkt.<br />

Wie bei den anderen Millenniums-Entwicklungszielen<br />

muss auch bei der Verbesserung<br />

des Zugangs zu sauberem Wasser und<br />

sanitärer Versorgung mehr Augenmerk auf<br />

<strong>die</strong> Ungleichheit der Geschlechter gerichtet<br />

werden. Afrikanische Frauen und Mädchen<br />

verbringen drei Stunden täglich mit Wasserholen<br />

und verbrauchen dabei mehr als ein<br />

Drittel ihrer Kalorienaufnahme. Solche Haushaltspflichten<br />

hindern viele Mädchen am<br />

Schulbesuch – und wenn sie doch eine Schule<br />

besuchen, untergräbt ihr Energieverbrauch<br />

für das Erledigen haushaltlicher Pflichten<br />

sehr stark ihre schulischen Leistungen. Hinzu<br />

kommt, dass, wenn andere Familienmitglieder<br />

krank werden, oft aufgrund von Krankheiten,<br />

<strong>die</strong> in Zusammenhang mit Wasser- oder fehlender<br />

sanitärer Versorgung stehen, <strong>die</strong><br />

Mädchen viel eher zu Hause bleiben müssen,<br />

um für sie zu sorgen. Und wenn in den Schulen<br />

Wasser benötigt wird, werden <strong>die</strong><br />

Mädchen geschickt, um es zu holen, und sie<br />

haben dann weniger Zeit zum Lernen und<br />

Spielen.<br />

Die politischen Prioritäten für das Erreichen<br />

der Ziele im Bereich Wasser und sanitäre<br />

Versorgung sind folgende:<br />

• Mehr finanzielle Mittel. Preisgünstige<br />

Technologien zur Verbesserung des Zugangs<br />

128 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


zu sauberem Wasser und sanitärer Versorgung<br />

für Haushalte und Kommunen sind<br />

durchaus verfügbar. Angesichts der knappen<br />

Kassen der Regierungen ist <strong>die</strong> Installierung<br />

und Wartung einer Abwasserentsorgungs-Infrastruktur<br />

jedoch extrem teuer.<br />

• Gerechtere Verteilung. Die arme Bevölkerung<br />

kann sich <strong>die</strong> Kosten für Wasser und<br />

sanitäre Versorgung oft nicht leisten, weil <strong>die</strong><br />

reicheren Nutzer nicht genug bezahlen. Und<br />

in armen Haushalten leiden Mädchen und<br />

Frauen stärker unter einem erschwerten Zugang<br />

zu Wasser und sanitärer Versorgung.<br />

• Verbesserte, angemessene Wartung. Zu<br />

oft werden Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssysteme<br />

von den Regierungen<br />

schlecht gewartet und entsprechen nicht den<br />

örtlichen Erfordernissen.<br />

• Begrenzung der Umweltschäden. Für<br />

eine nachhaltige Wasserversorgung ist eine rationelle<br />

Wassernutzung erforderlich – insbesondere<br />

in der Landwirtschaft.<br />

ANGEMESSENE TECHNOLOGIEN<br />

FÜR EINE EFFIZIENTE NUTZUNG<br />

Bei der Wasserversorgung umfassen Technologien<br />

auf niedrigem technischen und kostengünstigen<br />

Niveau Haushalts-Anschlüsse, öffentliche<br />

Steigrohre, Bohrlöcher, Regenwassersammel-Becken<br />

und geschützte Quellen<br />

und Brunnen. Diese Technologien sind bei<br />

weitem besser als alternative Lösungen wie<br />

zum Beispiel in Flaschen abgefülltes Wasser,<br />

Wasserversorgung <strong>über</strong> Tanklastzüge und ungeschützte<br />

Quellen und Brunnen. Einige <strong>die</strong>ser<br />

Alternativen sind unhygienisch, während<br />

andere ungeeignet sind, weil sie nicht in ausreichenden<br />

Mengen gewährleistet werden<br />

können.<br />

Bei der sanitären Versorgung ist es dringend<br />

erforderlich, Technologien anzubieten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen auch benutzen wollen,<br />

denn Entscheidungen <strong>über</strong> sanitäre Einrichtungen<br />

werden auf Haushaltsebene getroffen.<br />

Man muss <strong>die</strong> Haushalte nicht von den Vorzügen<br />

eines Brunnens oder einer Steigleitung<br />

<strong>über</strong>zeugen. Es ist aber eventuell erforderlich,<br />

sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> Vorzüge direkt verfügbarer<br />

sanitärer Einrichtungen zu informieren und<br />

KASTEN 4.10<br />

In In<strong>die</strong>n geschieht ein großer Teil der Defäkation<br />

noch immer im Freien. Doch <strong>die</strong><br />

Pionierarbeit der Nichtregierungsorganisation<br />

Sulabh International hat gezeigt,<br />

dass <strong>menschliche</strong> Fäkalien auf erschwingliche<br />

und gesellschaftlich akzeptable Weise<br />

entsorgt werden können. Der Ansatz von<br />

Sulabh basiert auf Partnerschaften mit<br />

Kommunalverwaltungen, unterstützt<br />

durch <strong>die</strong> Beteiligung der Gemeinschaften.<br />

Die Umweltqualität in ländlichen und<br />

städtischen Slums, <strong>die</strong> von Armen bewohnt<br />

werden, hat sich dadurch wesentlich<br />

verbessert.<br />

Die von Sulabh angebotene Lösung<br />

ist eine kostengünstige Toilette mit Wassereimerspülung,<br />

Geruchsverschluss und<br />

Sickergruben zur Entsorgung <strong>menschliche</strong>r<br />

Fäkalien vor Ort. Die Technologie ist<br />

für <strong>die</strong> Armen erschwinglich, denn es gibt<br />

Designs für verschiedene Einkommensniveaus.<br />

Die Spülung erfordert nur zwei<br />

Liter Wasser, im Vergleich zu den zehn<br />

Litern, <strong>die</strong> andere Toiletten verbrauchen.<br />

Außerdem ist das System nie außer Betrieb,<br />

denn es gibt zwei Sickergruben, so<br />

dass eine immer benutzt werden kann,<br />

während <strong>die</strong> andere gereinigt wird. Die<br />

Latrine kann mit vor Ort verfügbaren Materialien<br />

gebaut werden und ist leicht in<br />

Quelle: WSSCC 2002, <strong>2003</strong>.<br />

Erschwingliche Sanitärversorgung in In<strong>die</strong>n<br />

ihnen eine angemessene Hygiene-Aufklärung<br />

zu bieten. Die beste Möglichkeit, <strong>die</strong>s zu tun,<br />

ist mittels Produkten, <strong>die</strong> den Ansprüchen<br />

der Verbraucher im Hinblick auf Preis und<br />

Qualität gerecht werden (siehe Kasten 4.10).<br />

Angemessene Technologien sind zum Beispiel<br />

Druckspülungs-Latrinen, einfache<br />

Plumpsklos, Plumpsklos mit Lüftung und<br />

Verbindungen zu septischen Tanks oder geschlossenen<br />

öffentliche Abwasserleitungen.<br />

In ländlichen Gegenden ist mitunter <strong>die</strong> Abfallbeseitigung<br />

mittels Kompostierung angemessen.<br />

Arme Kommunen können sich solche<br />

Technologien leisten, und sie sind leicht<br />

zu handhaben und zu warten. In der Vergangenheit<br />

handelten Regierungen oft von<br />

oben herab und installierten Handpumpen,<br />

Tiefbrunnen und sogar Plumpsklos mit<br />

Lüftung, ohne darauf Rücksicht zu nehmen,<br />

ob dafür <strong>über</strong>haupt Akzeptanz in der Bevöl-<br />

Stand zu halten. Auch hat sie ein hohes<br />

Verbesserungspotential, denn sie kann<br />

leicht an ein Abwassersystem angeschlossen<br />

werden, wenn in der betreffenden Gegend<br />

eines gebaut wird.<br />

Seit 1970 wurden in Häusern mehr<br />

als eine Million solcher Einheiten gebaut.<br />

Außerdem wurden 5.500 solcher Einheiten<br />

in öffentlichen kostenpflichtigen<br />

Toiletten installiert, wo rund um <strong>die</strong><br />

Uhr ein Betreuer angestellt ist, der Seife<br />

zum Händewaschen ausgibt. Die öffentlichen<br />

Toiletten sind auch mit Duschmöglichkeiten<br />

und Möglichkeiten zum Wäschewaschen<br />

ausgestattet. Die Benutzung<br />

ist für Kinder, Behinderte und Arme kostenlos.<br />

So sind mehr als zehn Millionen<br />

Menschen mit verbesserten kostengünstigen<br />

sanitären Einrichtungen versorgt<br />

worden, und es wurden 50.000 Stellen<br />

geschaffen.<br />

Mit Haus-zu-Haus-Kampagnen bietet<br />

Sulabh auch freie Gesundheitserziehung<br />

für Millionen von Menschen an. Die Organisation<br />

bildet Einheimische darin aus,<br />

selbst mehr Latrinen zu bauen, und sie hat<br />

dabei geholfen, in Slums und anderen Gebieten<br />

gebührenpflichtige Gemeinschaftstoiletten<br />

zu bauen und in Stand zu<br />

halten.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 129


KASTEN 4.11<br />

Als im Jahr 1994 in Südafrika eine neue<br />

demokratische Regierung an <strong>die</strong> Macht<br />

kam, hatten mehr als 15 Millionen Südafrikaner<br />

keinen Zugang zu 25 Litern sauberem<br />

Wasser am Tag in einer Entfernung<br />

von höchstens 200 Metern von ihrem Zuhause.<br />

Bis 2001 war <strong>die</strong>se Zahl auf sieben<br />

Millionen gesunken. Wie war das möglich?<br />

• Eine entscheidende Voraussetzung<br />

war <strong>die</strong> politische Unterstützung von<br />

höchster Ebene. Südafrikas Verfassung garantiert<br />

– als ein Menschenrecht – den Zugang<br />

zur Grundversorgung mit Wasser<br />

und eine Umwelt, <strong>die</strong> nicht gesundheitsgefährdend<br />

ist. Darauf folgte eine kürzlich<br />

verabschiedete politische Richtlinie, welche<br />

<strong>die</strong> kostenfreie Grundversorgung mit<br />

Wasser sicherstellen soll. Jedem Haushalt<br />

werden <strong>die</strong> ersten 6.000 Liter Wasser im<br />

Monat kostenfrei geliefert.<br />

• Klare Gesetze und Richtlinien haben<br />

<strong>die</strong> Rolle der Wasserbehörden und der<br />

Versorger geklärt. Außerdem haben nationale<br />

Standards und eine ähnliche Gesetzgebung<br />

geholfen, <strong>die</strong> Wasserqualität und<br />

<strong>die</strong> Gebührenstrukturen zu regulieren.<br />

• Von der neuen Regierung wurde<br />

schnell ein umfassendes Infrastruktur-Programm<br />

durchgeführt, um <strong>die</strong> Gebiete mit<br />

Quelle: Millennium Project Task Force <strong>2003</strong>; WSP 2002b.<br />

Südafrika und das „Recht“ auf Wasser<br />

dem größten Bedarf zu versorgen. Dieses<br />

Programm profitierte von einer beträchtlichen<br />

finanziellen Ausstattung mit staatlichen<br />

Mitteln und von der Unterstützung<br />

verschiedener Akteure, darunter Nichtregierungsorganisationen,Privatunternehmen<br />

und Basisgruppen.<br />

• Die Übertragung von Verantwortlichkeiten<br />

auf <strong>die</strong> lokale Ebene gibt den Kommunalverwaltungen<br />

mehr Kontrolle <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Projekte und ermöglicht <strong>die</strong> bessere<br />

Anpassung an <strong>die</strong> Bedürfnisse vor Ort.<br />

Trotz <strong>die</strong>ser Erfolge steht Südafrika<br />

immer noch vor Hindernissen bei der Aufrechterhaltung<br />

und Ausweitung des Zugangs<br />

zur Grundversorgung mit Wasser. Es<br />

wird weiterhin politisches und finanzielles<br />

Engagement nötig sein, um anhaltende Erfolge<br />

sicherzustellen. Die Tragfähigkeit der<br />

Strategie, <strong>die</strong> Grundversorgung mit Wasser<br />

kostenfrei zur Verfügung zu stellen, hängt<br />

zum Beispiel stark von den Staatseinnahmen<br />

ab sowie von der Anzahl der vorhandenen<br />

reichen Haushalte zur Quersubventionierung<br />

der ärmeren Haushalte. Außerdem<br />

waren <strong>die</strong> Erfahrungen mit der Beteiligung<br />

des Privatsektors gemischt, so dass<br />

ungewiss ist, welchen Umfang seine Rolle<br />

bei der zukünftigen Bereitstellung von Versorgungsleistungen<br />

haben wird.<br />

kerung besteht. Daraus folgte, dass <strong>die</strong><br />

Kommunen generell <strong>die</strong> Wartung vernachlässigten<br />

oder darauf vertrauten, dass <strong>die</strong> Regierung<br />

sich darum kümmerte. Wenn jedoch <strong>die</strong><br />

Kommunen – insbesondere <strong>die</strong> Frauen – bei<br />

der Einrichtung und Finanzierung von Örtlichkeiten<br />

mit einbezogen und in der Wartung<br />

ausgebildet werden, fördert <strong>die</strong>s <strong>die</strong> eigenverantwortliche<br />

Übernahme und <strong>die</strong><br />

Nachhaltigkeit.<br />

Viele Stadtverwaltungen wollen nicht gern<br />

in grundlegende sanitäre Versorgung investieren<br />

ohne <strong>die</strong> dar<strong>über</strong> hinausgehenden Herausforderungen<br />

der Drainage und der Entsorgung<br />

von festen Abfällen ebenfalls anzugehen.<br />

In den Entwicklungsländern wird das Abwasser<br />

in den Städten in der Regel nicht aufbereitet,<br />

bevor es wieder in <strong>die</strong> Umwelt entsorgt<br />

wird. Eine Abwasseraufbereitung ist jedoch<br />

wesentlich teurer als einfach nur für Zugang<br />

zu sauberem Wasser und sanitärer Versor-<br />

gung der Haushalte zu sorgen. Es ist daher erforderlich,<br />

Forschung <strong>über</strong> umsetzbare, bezahlbare<br />

Ansätze im Hinblick auf ein Gesamtangebot<br />

sanitärer Dienstleistungen zu betreiben.<br />

Es ist vielleicht auch nötig, als ersten<br />

Schritt zu einer Verbesserung der sanitären<br />

Versorgung eine stärkere Umweltverschmutzung<br />

zu akzeptieren. In Europa und Nordamerika<br />

beispielsweise ging eine Verbesserung<br />

der sanitären Versorgung der Haushalte anfangs<br />

auf Kosten der Flüsse und Wasserwege,<br />

<strong>die</strong> verschmutzt wurden.<br />

BEGRENZTE FINANZIELLE MITTEL –<br />

UND WASMAN DAGEGEN TUN KANN<br />

In den Entwicklungsländern finanziert der öffentliche<br />

Sektor in dem jeweiligen Land 65-70<br />

Prozent der Wasserversorgungs-Infrastruktur,<br />

Geber finanzieren 10-15 Prozent, internationale<br />

private Unternehmen 10-15 Prozent und<br />

der Privatsektor des Landes 5 Prozent. 121 In<br />

90 Prozent der Entwicklungsländer werden<br />

<strong>die</strong> Dienstleistungen im Bereich Wasser- und<br />

sanitäre Versorgung vom öffentlichen Sektor<br />

<strong>über</strong>nommen. Die Finanzierung erfolgt <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> Nutzer, <strong>die</strong> ihre Rechnungen an <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />

bezahlen – <strong>die</strong> normalerweise<br />

<strong>die</strong> Dienstleistungen anbieten – <strong>die</strong> Einnahmen<br />

decken jedoch normalerweise nur einen<br />

Teil der Kapital- und ständigen Kosten der<br />

Wasserversorgungs-Infrastruktur und der<br />

Dienstleistungen. Die Finanzierungslücke<br />

wird durch Steuereinnahmen und Geberfinanzierung<br />

geschlossen. Mit politischem Engagement<br />

und Geld kann der Zugang zu sauberem<br />

Wasser verbessert werden – wie man in<br />

Südafrika in den 1990er Jahren sehen konnte<br />

(siehe Kasten 4.11).<br />

Viele Entwicklungsländer haben mit der<br />

Bezahlung für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgungs-Infrastruktur<br />

zu kämpfen, da <strong>die</strong> Finanzierung<br />

aus den Einnahmen für <strong>die</strong> Versorgungs<strong>die</strong>nstleistungen<br />

sehr unzuverlässig<br />

ist. 122 Unangemessene Gebühren sind ein<br />

großes Problem. Wenn <strong>die</strong> grundlegende Infrastruktur<br />

jedoch fehlt, können bei den Wasseranschlüssen<br />

und der sanitären Versorgung<br />

der Haushalte keine Fortschritte erzielt wer-<br />

130 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


den. Und ohne Hauptsammler und Kläranlagen<br />

fließt das Abwasser normalerweise in offene<br />

Bäche und Drainage-Kanäle – und stellt dadurch<br />

ein Gesundheitsrisiko dar beziehungsweise<br />

schädigt <strong>die</strong> Umwelt.<br />

Die internationalen Privatinvestitionen in<br />

Wasserversorgungs-Dienstleistungen sind,<br />

nachdem sie 1996-99 auf einem Höhepunkt<br />

angekommen waren, wieder rückläufig, anscheinend,<br />

weil <strong>die</strong> Gewinne zu gering sind. 123<br />

Hinzu kommt, dass bei Wasserversorgungs-<br />

Projekten höhere Anfangsinvestitionen erforderlich<br />

sind als bei Elektrizität, Telekommunikation<br />

und Erdgas. Währungsabwertungen –<br />

wie in der jüngsten Wirtschaftskrise in Argentinien<br />

– sind ebenfalls kein Anreiz zu Investitionen.<br />

In den 1990er Jahren wurden im Jahr<br />

durchschnittlich 3 Milliarden US-Dollar der<br />

öffentlichen Entwicklungshilfe für Wasserund<br />

Sanitärversorgungsprojekte bereitgestellt.<br />

1996–98 lagen <strong>die</strong>se Mittel bei 3,5 Milliarden<br />

US-Dollar jährlich, 1999–2001 sanken sie jedoch<br />

auf 3,1 Milliarden US-Dollar jährlich.<br />

Der Anteil für Wasser- und Sanitärversorgung<br />

an der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

war in den 1990er Jahren relativ stabil, nämlich<br />

6 Prozent der bilateralen und 4-5 Prozent<br />

der multilateralen Hilfe. Durch Kredite zu<br />

Marktbedingungen vor allem der Weltbank<br />

kamen noch 1,0-1,5 Milliarden jährlich hinzu.<br />

Japan leistete hier den bei weitem größten Beitrag.<br />

124<br />

Drei Viertel der Hilfe im Wasserbereich<br />

flossen in den Jahren 1997-2001 in <strong>die</strong> Wasser-<br />

und Sanitärversorgung. Der größte Anteil<br />

der Hilfe für Wasser und Sanitärversorgung<br />

fließt in große Systeme. 125 Die Zahl der Projekte,<br />

<strong>die</strong> sich auf preisgünstige Technologien<br />

stützen und damit <strong>die</strong> besten Aussichten für<br />

eine bessere Versorgung der armen Bevölkerung<br />

bieten – Handpumpen, schwerkraftausnutzende<br />

Systeme, Regenwasser-Sammelbecken,<br />

Latrinen – ist nur sehr gering. 126 Die<br />

Zusammensetzung der Hilfe für Wasser- und<br />

Sanitärversorgung muss daher verändert werden.<br />

Die Hälfte der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

im Wasserbereich wird von zehn<br />

Ländern geleistet, und nur ein Geber allein –<br />

Japan – leistet ein Drittel <strong>die</strong>ser Hilfe. 127 Noch<br />

schlechter ist, dass nur 12 Prozent der öffentlichen<br />

Entwicklungshilfe im Wasserbereich an<br />

Länder ging, in denen weniger als 60 Prozent<br />

der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser<br />

haben. 128<br />

UNGLEICHHEIT – UND WAS<br />

MAN DAGEGEN TUN KANN<br />

Um einen Teil der Finanzierungslücke für das<br />

Erreichen der Ziele im Wasser- und Sanitärversorgungsbereich<br />

zu schließen, müssen Kosten<br />

reduziert und <strong>die</strong> Einnahmen von den<br />

Nutzern erhöht werden. Um Kosten zu reduzieren,<br />

müssen <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />

das Management verbessern – dafür sollte es<br />

mehr Unterstützung seitens der Geberländer<br />

und Austausch unter den Entwicklungsländern<br />

geben.<br />

Im Hinblick auf <strong>die</strong> Einnahmen rechnen<br />

<strong>die</strong> Kommunalverwaltungen üblicherweise<br />

<strong>die</strong> Kapitalkosten bei ihren politischen Maßnahmen<br />

zur Kostendeckung nicht mit – und<br />

decken dadurch nur teilweise <strong>die</strong> laufenden<br />

Kosten. Es wurde der Vorschlag gemacht,<br />

dass „im Wasser- und Sanitärversorgungsbereich<br />

<strong>die</strong> volle Kostendeckung durch <strong>die</strong> Nutzer<br />

das langfristige Idealziel ist“. 129 Bei einer<br />

solchen Strategie würden <strong>die</strong> städtischen<br />

Nutzer <strong>die</strong> vollen Kosten für Investitionen<br />

zahlen, während <strong>die</strong> Nutzer am Stadtrand<br />

und <strong>die</strong> Nutzer auf dem Land nicht zu den<br />

Kapitalkosten beitragen würden. Die Betriebs-<br />

und Wartungskosten würden von den<br />

städtischen Nutzern voll bezahlt, Nutzer am<br />

Stadtrand würden ebenfalls voll bezahlen,<br />

wenn möglich, und <strong>die</strong> Nutzer auf dem Land<br />

würden einen Teil der laufenden Kosten zahlen.<br />

Ein solcher Ansatz wäre jedoch unfair. Da<br />

der soziale Nutzen durch sauberes Wasser<br />

und angemessene sanitäre Versorgung bei<br />

weitem <strong>die</strong> Kosten <strong>über</strong>steigt, spricht vieles<br />

für eine Preispolitik, <strong>die</strong> den weitergehenden<br />

Nutzen für alle durch beispielsweise <strong>die</strong> Reduzierung<br />

des Auftretens von Durchfällen wiederspiegelt.<br />

Das impliziert, dass <strong>die</strong>jenigen mit<br />

einem direkten Haushaltsanschluss auch <strong>die</strong><br />

vollen Kosten zahlen sollten. Derzeit sind sie<br />

<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> unter Kostenniveau zahlen –<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 131


und so <strong>die</strong> höchsten Subventionen erhalten.<br />

Wenn sie den vollen Preis bezahlen müssten,<br />

könnten dadurch Einnahmen für den Bereich<br />

insgesamt geschaffen werden, und es wäre<br />

möglich, <strong>über</strong>greifend <strong>die</strong>jenigen zu subventionieren,<br />

<strong>die</strong> nicht <strong>über</strong> sauberes Wasser oder<br />

sanitäre Einrichtungen verfügen oder nicht so<br />

viel bezahlen können. Solche <strong>über</strong>greifenden<br />

Subventionen wären auch möglich, wenn den<br />

industriellen und landwirtschaftlichen Nutzern<br />

höhere Kosten in Rechnung gestellt würden.<br />

Je nach Armutsniveau sollte in den städtischen<br />

Randgebieten und auf dem Land nur<br />

ein Teil der laufenden Kosten kostendeckend<br />

erhoben werden. In vielen Gegenden bezahlt<br />

<strong>die</strong> arme Bevölkerung extrem hohe Preise an<br />

Wasserverkäufer. Eine Form der Kostendeckung<br />

ist oft wünschenswert, weniger, um<br />

Finanzmittel zu erwirtschaften als vielmehr,<br />

um eine effiziente Nutzung zu gewährleisten.<br />

Die Kommunen sollten dazu ermutigt werden,<br />

Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, damit<br />

eine zügige Installation von Handpumpen und<br />

öffentlichen Toiletten gewährleistet werden<br />

kann.<br />

Wie schwierig ist es für arme Menschen,<br />

<strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgungs-Infrastruktur<br />

aufzubringen? Dazu ein<br />

Beispiel aus Bolivien und einige Kostenschätzungen<br />

für <strong>die</strong> Wasser- und Sanitärversorgung<br />

aus einem Projekt in El Alto:<br />

• Durchschnittliches monatliches Einkommen:<br />

122 US-Dollar (0,80 US-Dollar pro<br />

Kopf pro Tag).<br />

• Anschlusskosten: 229 US-Dollar für traditionelles<br />

Wasser, 276 US-Dollar für sanitäre<br />

Versorgung (ausschließlich Sammel-Infrastruktur).<br />

• Anschlusskosten für <strong>die</strong> technischen Anlagen<br />

in Wohnblocks, an denen <strong>die</strong> Kommunen<br />

beteiligt sind: 139 US-Dollar für<br />

Wasser, 172 US-Dollar für sanitäre Versorgung.<br />

130<br />

Wichtige zusätzliche Kosten für arme<br />

Haushalte entstehen durch den Bau eines Badezimmers<br />

oder einer ähnlichen Einrichtung<br />

innerhalb des Hauses, einschließlich einer<br />

Toilette. In El Alto beliefen sich <strong>die</strong>se Kosten<br />

auf durchschnittlich 400 US-Dollar plus 16<br />

Tage Arbeit. Diese Kosten werden normalerweise<br />

bei den Kostenaufstellungen für Wasser-<br />

und sanitäre Versorgung nicht berücksichtigt.<br />

Selbst wenn Kleinkredite zur Verfügung<br />

standen, waren <strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> meisten<br />

armen Menschen zu hoch. Nach einer<br />

Aufklärung <strong>über</strong> Hygienefragen stieg <strong>die</strong><br />

Nachfrage nach Toiletten jedoch um das Doppelte.<br />

Wenn arme Menschen mit Zahlungsproblemen<br />

zu kämpfen haben, sollte ihnen durch<br />

Kreditprogramme geholfen werden. Die Grameen<br />

Bank in Bangladesch hat den Kredit für<br />

Wasser- und Sanitärversorgung auf Gruppenbasis<br />

auf Jahre hinaus verlängert.<br />

Die Frauen sind mit mehr Problemen in<br />

Bezug auf <strong>die</strong> Arbeitslast, Privatsphäre, Sicherheit<br />

und Hygiene konfrontiert als Jungen<br />

oder Männer – und sie haben daher ein größeres<br />

Interesse an einer Verbesserung der sanitären<br />

Versorgung. Sie besitzen jedoch oft<br />

weniger finanzielle Mittel, daher ist es wichtig,<br />

<strong>die</strong> Männer zu <strong>über</strong>zeugen, dass Verbesserungen<br />

bei der sanitären Versorgung <strong>die</strong>s auch<br />

wert sind. Die Verbesserungen sollten auch<br />

für von Frauen geführte Haushalte, <strong>die</strong> oft<br />

weniger Geld und weniger Arbeitskraftressourcen<br />

haben als Haushalte mit einem Mann<br />

und einer Frau, finanziell tragbar sein. Da<br />

Frauen vermutlich eher wissen, welche Typen<br />

und Räumlichkeiten sich für <strong>die</strong> Nutzung<br />

durch Frauen und Kinder eignen, sollten<br />

Männer und Frauen sich gemeinsam informieren<br />

und Entscheidungen gemeinsam treffen.<br />

Frauen erweisen sich auch als verlässlicher<br />

bei der Wartung der Anlagen, wie zum Beispiel<br />

Handpumpen – teilweise deshalb, weil<br />

sie gewöhnlich dafür zuständig sind, Wasser<br />

für <strong>die</strong> Familie zu holen. Sie sollten daher dazu<br />

ermutigt werden, den Maurer- oder Klempnerberuf<br />

zu ergreifen, denn sie würden sich<br />

wohler dabei fühlen, einer anderen Frau zu<br />

zeigen, an welcher Stelle in einem Haus sie<br />

eine Latrine bauen sollte, als wenn sie es einem<br />

Mann zeigen müssten. Und wenn sie einen Arbeitsplatz<br />

im Wartungsbereich haben, werden<br />

sie vermutlich nicht so schnell aus der Kommune<br />

wegziehen, um anderswo Arbeit zu suchen.<br />

132 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


ÜBERGREIFENDE PRIORITÄTEN<br />

Die Diskussion hat sich bisher auf <strong>die</strong> politischen<br />

Prioritäten in den einzelnen Bereichen<br />

konzentriert. Sie verlagert sich jetzt auf themen<strong>über</strong>greifende<br />

politische Prioritäten, <strong>die</strong><br />

ziel<strong>über</strong>greifend für alle Ländergruppen gelten.<br />

DAS NIVEAU, DIE EFFIZIENZ UND DIE<br />

GERECHTE VERTEILUNG DER ÖFFENTLICHEN<br />

AUSGABEN FÜR GRUNDLEGENDE<br />

DIENSTLEISTUNGEN VERBESSERN<br />

In den meisten reichen Ländern beträgt<br />

<strong>die</strong> Staatsquote mehr als 40 Prozent des BIP–<br />

in den meisten Entwicklungsländern weniger<br />

als 20 Prozent. Man erwartet, dass mit zunehmender<br />

Entwicklung <strong>die</strong> Staatsquote wächst.<br />

Die ungeheuren Herausforderungen, den<br />

Hunger zu reduzieren, Todesfälle zu verhindern<br />

und <strong>die</strong> Alphabetisierung voranzutreiben,<br />

machen eine große Steigerung der öffentlichen<br />

Ausgaben erforderlich.<br />

Es ist jedoch schwierig, in Ländern mit<br />

niedrigem Einkommen, wo <strong>die</strong> Steuereinnahmen<br />

in der Regel weniger als 15 Prozent des<br />

BIP ausmachen, multisektorale Maßnahmen<br />

durchzusetzen. Und für <strong>die</strong> Umsetzung der<br />

Millenniums-Entwicklungsziele werden bedeutende<br />

zusätzliche Mittel benötigt, <strong>die</strong> mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein durch<br />

das Wirtschaftswachstum der armen Länder<br />

aufgebracht werden können (siehe Kapitel 3).<br />

Deren finanzielle Ressourcen werden durch<br />

<strong>die</strong> Schuldenrückzahlungen sehr stark eingeschränkt<br />

(siehe Kapitel 3 und 8). Und <strong>die</strong> Verwendung<br />

dessen, was übrig bleibt, ist viel zu<br />

sehr auf <strong>die</strong> Landesverteidigung ausgerichtet<br />

(siehe Kasten 4.5). Es wird nicht genug in <strong>die</strong><br />

Landwirtschaft investiert – weniger als 5 Prozent<br />

der Haushaltsmittel in Afrika – oder in<br />

Gesundheit und Bildung.<br />

Innerhalb der sozialen Dienstleistungen,<br />

insbesondere in den Bereichen Gesundheit<br />

und Bildung wurden Mittelzuweisungen tendenziell<br />

zum Nachteil von Dienstleistungen<br />

für medizinische Grundversorgung und<br />

Grundschulbildung vorgenommen. Ob <strong>die</strong><br />

Regierungen wieder mehr für <strong>die</strong> grundlegen-<br />

den Dienstleistungen ausgeben können, damit<br />

sie <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele erreichen,<br />

hängt einerseits davon ab, ob es ihnen<br />

gelingt, Mittel aus dem Verteidigungshaushalt<br />

oder Schulden<strong>die</strong>nst abzuziehen, andererseits<br />

davon, ob sie mehr Einkommen im Inland erwirtschaften<br />

können. Die Erfüllung der Aufgaben<br />

wird wesentlich einfacher, wenn <strong>die</strong> Regierungseinnahmen<br />

steigen, weil dann ein<br />

größerer Ermessensspielraum für <strong>die</strong> Ausgaben<br />

pro Individuum existiert.<br />

Das Problem, vor dem viele Regierungen<br />

in den Entwicklungsländern stehen, ist, dass<br />

sie durch große Haushaltsdefizite gezwungen<br />

sind, makroökonomische Stabilisierung und<br />

Anpassung vorzunehmen. Seit den frühen<br />

1980er Jahren jedoch haben sich <strong>die</strong> Strukturanpassungsmaßnahmen<br />

darauf konzentriert,<br />

<strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben zu reduzieren,<br />

um <strong>die</strong> Defizite abzubauen – statt Steuerund<br />

andere Einnahmen zu mobilisieren. In einer<br />

kürzlich durchgeführten externen Untersuchung<br />

der Erweiterten Strukturanpassungsfazilitäts-Programme<br />

(Extended Structural<br />

Adjustment Facility) des Internationalen<br />

Währungsfonds (IWF) kam eine Gruppe unabhängiger<br />

Experten zu dem Schluss, dass <strong>die</strong><br />

Grenzen für öffentliche Ausgaben oft zu eng<br />

gesetzt worden sind, was nachteilige Auswirkungen<br />

auf das <strong>Human</strong>kapital und das<br />

Wachstum hatte. Bei den politischen Konditionen,<br />

<strong>die</strong> mit der Reaktion des IWF auf <strong>die</strong><br />

1997 begonnene ostasiatische Wirtschaftskrise<br />

verbunden waren, war <strong>die</strong>s erneut der Fall –<br />

<strong>die</strong> Konditionen wurden erst nach einer weitverbreiteten<br />

Kritik des IWF wegen <strong>die</strong>ser und<br />

anderer Maßnahmen etwas gelockert. 131<br />

In einer weiteren kürzlich durchgeführten<br />

Untersuchung wird nachgewiesen, dass bei<br />

sämtlichen von mehr als einem Dutzend Ländern<br />

<strong>die</strong> realen öffentlichen Ausgaben pro<br />

Kopf der Bevölkerung für grundlegende soziale<br />

Dienstleistungen (medizinische Grundversorgung,<br />

grundlegende Bildung und Wasserund<br />

Sanitärversorgung) nur zurückgingen,<br />

wenn <strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben als Teil des<br />

BIP sanken. 132 Mit anderen Worten, wenn <strong>die</strong><br />

öffentlichen Ausgaben stagnieren oder sinken,<br />

Innerhalb der sozialen<br />

Dienstleistungen,<br />

insbesondere in den<br />

Bereichen Gesundheit und<br />

Bildung wurden<br />

Mittelzuweisungen<br />

tendenziell zum Nachteil<br />

von Dienstleistungen für<br />

medizinische<br />

Grundversorgung und<br />

Grundschulbildung<br />

vorgenommen<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 133


Wenn <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Ausgaben stagnieren oder<br />

sinken, ist es für<br />

Regierungen politisch<br />

nahezu unmöglich, mehr<br />

Mittel für soziale<br />

Dienstleistungen zur<br />

Verfügung zu stellen –<br />

insbesondere für soziale<br />

Grund<strong>die</strong>nste – ohne den<br />

Zorn der wohlhabenderen<br />

Bevölkerung auf sich zu<br />

ziehen<br />

ist es für Regierungen politisch nahezu unmöglich,<br />

mehr Mittel für soziale Dienstleistungen<br />

zur Verfügung zu stellen – insbesondere für soziale<br />

Grund<strong>die</strong>nste – ohne den Zorn der wohlhabenderen<br />

Bevölkerung auf sich zu ziehen.<br />

Es könnte noch viel mehr getan werden,<br />

um <strong>die</strong> Steuererhebung zu stärken, damit<br />

Steuerflucht und Steuervermeidung verhindert<br />

werden können. Und es könnte auch<br />

noch viel mehr getan werden, um <strong>die</strong> steuerliche<br />

Basis zu stärken, indem man das Steuernetz<br />

vergrößert, damit man <strong>die</strong>jenigen erreichen<br />

kann, <strong>die</strong> jetzt noch daraus entkommen.<br />

Die internationalen Finanzinstitutionen sollten<br />

viel ernster nehmen, dass <strong>die</strong> meisten Entwicklungsländer<br />

technische Unterstützung bei<br />

der Steuerverwaltung und –erhebung benötigen,<br />

insbesondere <strong>die</strong>jenigen in Afrika südlich<br />

der Sahara und in Lateinamerika.<br />

Die Aussichten für eine Verbesserung der<br />

Ausgabeneffizienz (durch eine bessere Verfügbarkeit<br />

von Textbüchern in den Schulen,<br />

von Medikamenten in öffentlichen Krankenhäusern<br />

und so weiter) und für mehr Gerechtigkeit<br />

bei den Ausgaben für soziale Dienstleistungen<br />

wären viel erfreulicher, wenn <strong>die</strong> Ausgaben<br />

auch steigen würden. Wie bereits festgestellt,<br />

wirken sich <strong>die</strong> Ausgaben im Gesundheitsbereich<br />

– selbst in Ländern mit stagnierendem<br />

Einkommen – stark auf <strong>die</strong> gesundheitlichen<br />

Resultate aus. Das gleiche gilt für<br />

<strong>die</strong> Ausgaben im Bildungsbereich: sie führen<br />

zu besseren Ergebnissen. 133<br />

DIE QUANTITÄT UND QUALITÄT DER HILFE<br />

FÜR GRUNDLEGENDE DIENSTLEISTUNGEN<br />

VERBESSERN<br />

Wenn man <strong>die</strong> Ziele erreichen will, muss man<br />

den Millenniums-Entwicklungspakt streng<br />

befolgen. Für <strong>die</strong> ärmsten Länder mit dem<br />

niedrigsten Einkommen wird ein bedeutender<br />

Teil der zusätzlichen Mittel, <strong>die</strong> für soziale Investitionen<br />

benötigt werden, aus externen<br />

Quellen kommen müssen. Für stark verschuldete<br />

arme Ländern aus der Schuldenstreichung<br />

– und das noch viel stärker als bisher.<br />

Und für alle Länder mit niedrigem Einkommen<br />

aus einer weiteren Erhöhung der öffentlichen<br />

Entwicklungshilfe.<br />

Wie hat <strong>die</strong> öffentliche Entwicklungshilfe<br />

darauf reagiert? Der Gesamtanteil für <strong>die</strong> soziale<br />

Grundversorgung (medizinische Grundversorgung,<br />

grundlegende Bildung und Wasser-<br />

und Sanitärversorgung) lag nie höher als<br />

10 Prozent, obwohl gegen Ende der 1990er<br />

Jahre eine Steigerung bei den bilateralen Mittelzuflüssen<br />

zu verzeichnen war. Die multilateralen<br />

Beiträge beliefen sich auf ein Drittel der<br />

öffentlichen Entwicklungshilfe, einschließlich<br />

UN-Organisationen, Weltbank und Regionalbanken.<br />

Die öffentliche Entwicklungshilfe für<br />

kleine Wasser- und Sanitärversorgungsprojekte<br />

in ländlichen Gebieten ist unzureichend.<br />

Die Öffentliche Entwicklungshilfe für<br />

grundlegende Dienstleistungen muss erhöht<br />

werden. Geberländer, <strong>die</strong> sich <strong>über</strong> <strong>die</strong> Austauschbarkeit<br />

der finanziellen Mittel der Regierungen<br />

der Empfängerländer Sorgen machen,<br />

sollten bedenken, dass, selbst wenn <strong>die</strong><br />

Regierungen Mittel teilweise in anderen Bereichen<br />

einsetzen, sie dennoch <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Ausgaben steigern. 134<br />

SEKTORALE PROGRAMME VERBESSERN.<br />

Von projektorientierten zu sektoralen Ansätzen<br />

zu kommen ist ein entscheidender Schritt<br />

vorwärts. Ein sektoraler Ansatz vermeidet <strong>die</strong><br />

Schwächen des projektbezogenen Ansatzes:<br />

schwache Verbindungen zu anderen Sektoren,<br />

geografische Isolation, fehlende Identifikation<br />

und an Bedingungen gebundene Hilfe.<br />

Von einem solchen Ansatz kann auch erwartet<br />

werden, dass ein integriertes Programm entwickelt<br />

wird, das politische Zielsetzungen, einen<br />

allgemeinen politischen Rahmen, einen<br />

Investitionsplan, einen Ausgabenplan und finanzielle<br />

Vorgaben für <strong>die</strong> Regierungen und<br />

Geber formuliert.<br />

Dahinter steckt der Gedanke, dass sektorbezogene<br />

Programme Teil des gesamten politischen<br />

Umfelds werden sollten – anstatt nationale<br />

Strukturen zu umgehen wie es <strong>die</strong> Projektfinanzierung<br />

tut. Solche Programme könnten<br />

auch klare finanzielle Zusagen seitens der<br />

Geber gewährleisten, was eine Verbesserung<br />

gegen<strong>über</strong> unvorhersehbaren Mittelflüssen in<br />

bestimmte Projekte wäre. Hier handelt es sich<br />

zwar um einen sehr komplexen Versuch, weil<br />

134 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


<strong>die</strong> Programme eine effektive sektorale Politik<br />

im Land selbt voraussetzen, aber zumindest<br />

werden <strong>die</strong> Empfänger miteinbezogen.<br />

Es hat allerdings Probleme mit dem sektoralen<br />

Ansatz gegeben, und in vielen Fällen hat<br />

ein „Poolen“ von Ressourcen noch nicht stattgefunden.<br />

Erstens vergehen Jahre bis der Ansatz<br />

wirklich entwickelt und in ein Abschlussstadium<br />

gebracht ist. Man schätzt, dass ein<br />

Planungszyklus für einen sektoralen Ansatz<br />

sich im Durchschnitt <strong>über</strong> fünf bis sieben Jahre<br />

erstreckt.<br />

Zweitens bleibt <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit<br />

(mit nicht-einheimischem technischen<br />

Personal), <strong>die</strong> beim Projekt-Ansatz vorherrschend<br />

ist, auch bei Sektorprogrammen<br />

ein Problem. Es wäre nützlich, einmal <strong>die</strong> fiktiven<br />

Kosten an Zeit und Finanzmitteln zu<br />

evaluieren, <strong>die</strong> für eine Geber-finanzierte Ausbildung<br />

anfallen würden.<br />

Drittens verhindern <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />

gesetzgeberischen Zwänge in den Geberländern<br />

<strong>über</strong> Ausgaben, rigide und unterschiedliche<br />

Verfahren für <strong>die</strong> Mittelzuweisung und<br />

Berichtserfordernisse und unzureichende Kapazitäten<br />

in den Empfängerländern, dass <strong>die</strong><br />

Maßnahmen wirklich aufeinander abgestimmt<br />

werden. Die Regierung kann nicht <strong>die</strong> Federführung<br />

<strong>über</strong>nehmen, wenn <strong>die</strong> Projektträger,<br />

<strong>die</strong> von den Gebern mit der Durchführung<br />

beauftragt sind, und <strong>über</strong> <strong>die</strong> das zuständige<br />

Ministerium keine Kontrolle hat, weiter existieren.<br />

In Sambia sind <strong>die</strong> Geber <strong>über</strong>eingekommen,<br />

<strong>die</strong> zweite Tranche ihrer Hilfe nur freizugeben,<br />

wenn <strong>die</strong> Regierung mindestens 20<br />

Prozent ihres Haushalts für Bildung ausgegeben<br />

hat. 135 Außerdem haben alle beteiligten<br />

externen Organisationen ihre finanziellen Mittelflüsse<br />

an bestimmte Programme gebunden.<br />

Tatsächlich ist <strong>die</strong> Bindung von Mitteln an bestimmte<br />

Elemente sektorbezogener Ansätze<br />

weitverbreitet und hängt oft von der Bewertung<br />

der politischen Führung vor Ort durch<br />

<strong>die</strong> Geber und vom Engagement in bestimmten<br />

Gebieten ab.<br />

Die Geber sind sich einiger <strong>die</strong>ser Probleme<br />

bewusst. Die Erklärung von Rom <strong>über</strong><br />

Harmonisierung vom Februar <strong>2003</strong> ruft <strong>die</strong><br />

Geber auf, sich darauf zu verpflichten, „finan-<br />

zielle Unterstützung für den Haushalt, für einzelne<br />

Sektoren oder für <strong>die</strong> Handelsbilanz zur<br />

Verfügung zu stellen, wenn das Mandat des<br />

Gebers <strong>die</strong>s zulässt, und wenn angemessene<br />

politische und treuhänderische Vereinbarungen<br />

getroffen wurden“. 136<br />

EINIGE LAUFENDE KOSTEN DECKEN<br />

Die meisten Geber waren bisher bereit, Investitionskosten<br />

zu finanzieren (Bau von Krankenhäusern),<br />

waren jedoch nicht bereit, laufende<br />

Kosten zu finanzieren (Arztgehälter).<br />

Diese Haltung ändert sich gerade – wenn <strong>die</strong><br />

Ziele jedoch erreicht werden sollen, müssen<br />

<strong>die</strong> Geber auf <strong>die</strong>sem Gebiet noch flexibler<br />

werden als in der Vergangenheit. Die Regierungen<br />

sind oft nicht in der Lage, multilaterale<br />

Mittel für Kapitalkosten zu absorbieren,<br />

wenn sie, wie es oft verlangt wird, nachweisen<br />

müssen, dass sie für <strong>die</strong>se Kapitalausgaben<br />

Mittel in gleicher Höhe aufbringen müssen,<br />

um <strong>die</strong> laufenden Kosten der entstehenden Infrastruktur<br />

zu decken.<br />

In der Zwischenzeit werden <strong>die</strong> Geber einige<br />

der laufenden Kosten, insbesondere für<br />

nicht gehaltsbezogene Zwecke auf Gebieten,<br />

<strong>die</strong> mit den Zielen in Zusammenhang stehen,<br />

für stark verschuldete arme Länder <strong>über</strong>nehmen<br />

müssen – sofern <strong>die</strong>se Länder auch finanzielle<br />

Einnahmen aus eigenen Quellen vorweisen<br />

können. In Fällen mit sehr starken finanziellen<br />

Schwierigkeiten werden <strong>die</strong> Geber eventuell<br />

dazu bereit sein müssen, sogar <strong>die</strong> Gehaltskosten<br />

der Lehrer an Schulen, der Krankenpfleger<br />

oder ausgebildeten Geburtshelfer<br />

für eine Übergangszeit zu <strong>über</strong>nehmen, bis<br />

der finanzielle Spielraum für <strong>die</strong> Regierung geschaffen<br />

werden kann, <strong>die</strong>se ständigen Kosten<br />

auf nachhaltiger Basis in Eigenregie zu tragen.<br />

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG<br />

AUF TECHNOLOGIEN FÜR DIE ARME<br />

BEVÖLKERUNG AUSRICHTEN<br />

In einigen Bereichen sind <strong>die</strong> fehlenden Forschungsmittel<br />

ein ernstes Problem. So wird<br />

zum Beispiel 90 Prozent der Medikamentenforschung<br />

weltweit <strong>über</strong> Krankheiten betrieben,<br />

<strong>die</strong> nur 10 Prozent der Krankheitslast in<br />

In einigen Bereichen sind<br />

<strong>die</strong> fehlenden<br />

Forschungsmittel ein<br />

ernstes Problem<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER GESUNDHEIT UND BILDUNG DER BEVÖLKERUNG 135


den Entwicklungsländern ausmachen. Es<br />

müssen daher internationale Anstrengungen<br />

mobilisiert werden, um dem Bedarf an Arzneimitteln<br />

bei Tropenkrankheiten gerecht zu<br />

werden. Ein eindeutiger Fall ist <strong>die</strong> rasche<br />

Entwicklung und Erprobung eines Impfstoffes<br />

gegen HIV/AIDS. Die Internationale Initiative<br />

für einen AIDS-Impfstoff (International<br />

AIDS Vaccine Initiative) geht auf <strong>die</strong>sem<br />

Gebiet mit großen Schritten voran und versucht,<br />

Impfstoffe zu entwickeln, <strong>die</strong> speziell<br />

bei den Arten von AIDS-Viren wirken, <strong>die</strong> in<br />

den verschiedenen Regionen der Entwicklungsländer<br />

vorkommen. Man hofft, bald mit<br />

der Erprobung von Impfstoffen in Uganda beginnen<br />

zu können - gegen <strong>die</strong> Art Virus, <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong>sem Teil von Afrika vorkommt, 2004 will<br />

man in In<strong>die</strong>n beginnen. Viele andere Forschungsbereiche<br />

werden jedoch weiterhin vernachlässigt.<br />

In vielen anderen Gebieten, <strong>die</strong> für das<br />

Erreichen der Ziele relevant sind, besteht das<br />

Problem, dass bereits existierende Technologien<br />

nicht weiterverbreitet werden. Die landwirtschaftlichen<br />

Erträge in Afrika südlich der<br />

Sahara beispielsweise sind stark durch <strong>die</strong><br />

niedrige Produktivität beeinträchtigt worden<br />

und <strong>die</strong>s obwohl Hochertragssorten bei Mais,<br />

Reis und Weizen verfügbar sind. Gleichzeitig<br />

sind jedoch keine Hochertragssorten für <strong>die</strong><br />

Getreidearten entwickelt worden, <strong>die</strong> von der<br />

armen Bevölkerung am häufigsten konsumiert<br />

werden, wie zum Beispiel Sorghum und Hirse.<br />

Die geringe kommerzielle Verfügbarkeit<br />

und <strong>die</strong> hohen Preise von anorganischem<br />

Dünger sind ein Teil des Problems. Ein weiterer<br />

Teil des Problems ist der eingeschränkte<br />

Einsatz von organischem Dünger, obwohl er<br />

sehr einfach aus Ressourcen vor Ort hergestellt<br />

werden kann. Der Einsatz von organischem<br />

Dünger würde <strong>die</strong> Produktivität steigern<br />

und den ökologisch nachhaltigen Anbau<br />

in einer Region fördern, in der <strong>die</strong> ohnehin<br />

schon geringen landwirtschaftlichen Erträge<br />

durch <strong>die</strong> Umweltzerstörung noch stärker reduziert<br />

werden.<br />

Ein weiteres Beispiel ist <strong>die</strong> geringe Verbreitung<br />

imprägnierter (oder ganz normaler)<br />

Moskitonetze, um <strong>die</strong> Malaria unter Kontrolle<br />

zu bekommen. Auf ähnliche Weise können<br />

Todesfälle durch Vergiftung in Innenräumen,<br />

verursacht durch den Rauch von Kochstellen,<br />

leicht vermieden werden, wenn man <strong>die</strong> kommerzielle<br />

Produktion rauchfreier Öfen ausweitet.<br />

Für eine solche kommerzielle Produktion<br />

wären natürlich angemessene Subventionen<br />

erforderlich, noch verstärkt durch eine<br />

Informationskampagne, mit der man <strong>die</strong> arme<br />

Bevölkerung in abgelegenen Gebieten erreichen<br />

könnte. Durch <strong>die</strong> Sulabh-Latrine kann<br />

eine umweltfreundliche sanitäre Versorgung<br />

in den am dichtesten bevölkerten städtischen<br />

Gebieten gefördert werden. Damit es jedoch<br />

dazu kommt, muss sie von den internationalen<br />

Organisationen als geeignetes Modell für einen<br />

weitverbreiteten Einsatz in den Entwicklungsländern<br />

anerkannt und <strong>über</strong>nommen<br />

werden.<br />

136 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KAPITEL 5<br />

Private Finanzierung und Bereitstellung von<br />

Gesundheit, Bildung und Wasser<br />

Aus einer Reihe von Gründen sind es häufig<br />

<strong>die</strong> Regierungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sozialen Basis<strong>die</strong>nste<br />

– gesundheitliche Grundversorgung, Primarschulbildung,<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

– finanzieren und bereitstellen.<br />

Ein Grund ist, dass es sich bei solchen Dienstleistungen<br />

um öffentliche Güter handelt. Ihr<br />

Marktpreis allein würde ihren intrinsischen<br />

Wert und ihren sozialen Nutzen nicht erfassen.<br />

Grundbildung nützt nicht nur dem Einzelnen,<br />

der etwas lernt, sie nützt auch allen<br />

Mitgliedern der Gesellschaft, indem sie das<br />

Gesundheits- und Hygieneverhalten verbessert<br />

und <strong>die</strong> Produktivität der Arbeitskräfte<br />

erhöht.<br />

Ein zweiter Grund für <strong>die</strong> Finanzierung<br />

durch <strong>die</strong> öffentliche Hand ist, dass sichergestellt<br />

werden soll, dass <strong>die</strong> soziale Grundversorgung<br />

für alle gleichermaßen zugänglich ist.<br />

Den Armen stehen <strong>die</strong>se Dienstleistungen in<br />

der Regel nicht zur Verfügung, und wenn sie<br />

dafür zahlen müssen, würden sie sie vielleicht<br />

nicht nutzen – was es schwierig machen würde,<br />

der Armut zu entkommen.<br />

Hinzu kommt, dass der Staat bei der Bereitstellung<br />

<strong>die</strong>ser Dienstleistungen oft eine<br />

dominante Rolle spielt. Eine Bereitstellung<br />

durch viele (öffentliche oder private) Versorger<br />

kann zu Doppelungen und höheren Kosten<br />

führen. Außerdem ist der Zugang zur sozialen<br />

Grundversorgung ein elementares Menschenrecht<br />

– verankert im Internationalen<br />

Pakt <strong>über</strong> wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />

Rechte – und <strong>die</strong> Regierungen sind verpflichtet<br />

sicherzustellen, dass <strong>die</strong>se Dienstleistungen<br />

ihrer Bevölkerung zur Verfügung stehen.<br />

Das Engagement der Regierungen für <strong>die</strong><br />

Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen<br />

und <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

spiegelt <strong>die</strong>se Verpflichtung wieder.<br />

Doch <strong>die</strong> Bereitstellung sozialer Dienstleistungen<br />

durch den Staat ist nicht immer <strong>die</strong><br />

beste Lösung, wenn <strong>die</strong> Institutionen schwach<br />

sind und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht bezüglich<br />

der Verwendung öffentlicher Mittel gering ist<br />

– wie es in Entwicklungsländern oft der Fall<br />

ist. (In Kapitel 7 wird beschrieben, wie <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />

von Regierungen für <strong>die</strong><br />

Verwendung öffentlicher Mittel für soziale<br />

Dienstleistungen besser eingefordert werden<br />

können.)<br />

In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts<br />

waren in den reichen Ländern <strong>die</strong><br />

privaten Versorger in der Gesundheitsversorgung,<br />

im Bildungswesen und im Bereich der<br />

Wasserversorgung in der Mehrheit. Doch <strong>die</strong>se<br />

Dienstleistungen waren beschränkt. In der<br />

zweiten Hälfte des Jahrhunderts begann <strong>die</strong><br />

Finanzierung und Bereitstellung durch <strong>die</strong> öffentliche<br />

Hand zu <strong>über</strong>wiegen. Tatsächlich<br />

wurden <strong>die</strong>se Dienstleistungen in Kanada,<br />

Westeuropa und den Vereinigten Staaten erst<br />

dann allgemein zugänglich, als <strong>die</strong> Regierungen<br />

eingriffen – in den letzten 25 Jahren des<br />

19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />

In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg gab es in armen Ländern im Gesundheits-<br />

und Bildungsbereich sowohl den<br />

wachsenden öffentlichen Sektor als auch private<br />

Versorger. Doch in den 1980er und besonders<br />

ab den 1990er Jahren nahm <strong>die</strong> Bereitstellung<br />

durch private Versorger rapide zu.<br />

So wie staatseigene Betriebe in produktiven<br />

Sektoren privatisiert wurden, wenn sie Verluste<br />

machten (sowohl in der Industrie als auch<br />

im Dienstleistungssektor), so wurde der gleiche<br />

Trend auch bei den sozialen Dienstleistungen<br />

gefördert.<br />

Die Erfahrungen der reichen Länder legen<br />

nahe, dass <strong>die</strong> Reihenfolge bei den sozialen<br />

Dienstleistungen zunächst <strong>die</strong> umfassende Bereitstellung<br />

durch den Staat, gefolgt von gezielteren<br />

Eingriffen und dann Kooperationen<br />

Gesundheitsversorgung,<br />

Bildung und<br />

Wasserversorgung<br />

wurden in Kanada,<br />

Westeuropa und den USA<br />

erst dann allgemein<br />

zugänglich, als <strong>die</strong><br />

Regierungen eingriffen<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 137


öffentlicher und privater Träger (public-private<br />

partnerships) sein sollte, um <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Märkte zu be<strong>die</strong>nen – abhängig von der<br />

Art der Dienstleistungen in den verschiedenen<br />

Sektoren.<br />

WARUM HAT DIE BEREITSTELLUNG DURCH<br />

PRIVATE VERSORGER IN DEN ARMEN<br />

LÄNDERN ZUGENOMMEN?<br />

In den Entwicklungsländern wurde <strong>die</strong> wachsende<br />

Bedeutung des privaten Sektors im Gesundheits-<br />

und Bildungswesen sowie der Privatisierungsschub<br />

bei der Wasserversorgung<br />

und den Krankenhausleistungen durch drei<br />

Faktoren vorangetrieben: durch fehlende öffentliche<br />

Mittel, durch <strong>die</strong> schlechte Qualität<br />

der staatlichen Versorgung und durch den<br />

Druck, <strong>die</strong> Wirtschaft zu liberalisieren.<br />

FEHLENDE ÖFFENTLICHE MITTEL<br />

Ohne finanzielle Mittel – ob einheimische Ressourcen<br />

oder ausländische Hilfe – können viele<br />

Regierungen armer Länder soziale Dienstleistungen<br />

nicht effektiv bereitstellen oder<br />

große Infrastrukturinvestitionen finanzieren.<br />

Eine Privatisierungspolitik wird oft in Hinblick<br />

darauf verfolgt, Einnahmen zu erzielen,<br />

doch am meisten lohnt es sich für Regierungen,<br />

ihre Subventionen für verlustreiche staatliche<br />

Unternehmen abzubauen.<br />

In einigen Fällen, wie zum Beispiel bei der<br />

einheimischen Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

(und bei der Bewässerung und Energieversorgung),<br />

wird der Mangel an staatlichen<br />

Mitteln durch verzerrte Gebührenstrukturen<br />

noch verschärft. Bei staatlichen Betrieben<br />

sind <strong>die</strong> Gebühren of zu niedrig, um <strong>die</strong><br />

Kosten zu decken, und wenn <strong>die</strong> Nutzer ihre<br />

Gebühren nicht zahlen, wird oft dar<strong>über</strong> hinweggesehen.<br />

Dieser Ansatz subventioniert im<br />

Wesentlichen <strong>die</strong> Reichen – während <strong>die</strong> Armen<br />

unter mangelndem Zugang leiden. Bei<br />

wachsender städtischer Bevölkerung können<br />

außerdem <strong>die</strong> finanziell ausgebluteten Kommunalverwaltungen<br />

das Leistungsangebot<br />

nicht ausweiten, um auch <strong>die</strong> Armen mit zu<br />

versorgen. In der Folge sinkt in den Mittelklasse-Gegenden<br />

<strong>die</strong> Qualität und Quantität<br />

der Trinkwasserversorgung, und <strong>die</strong> Armenviertel<br />

erreicht sie erst gar nicht.<br />

SCHLECHTE QUALITÄT ÖFFENTLICHER<br />

VERSORGUNGSLEISTUNGEN<br />

In vielen Ländern hängen <strong>die</strong> in der Vergangenheit<br />

schwachen öffentlichen Versorgungsleistungen<br />

mit dem Mangel an Ressourcen zusammen.<br />

Es wimmelt von Fällen, in denen Regierungen<br />

es versäumt haben, ihre Bürger, insbesondere<br />

<strong>die</strong> Armen, mit sozialen Basis<strong>die</strong>nstleistungen<br />

bzw. mit Dienstleistungen<br />

von guter Qualität zu versorgen.<br />

In In<strong>die</strong>n und Pakistan nannten arme<br />

Haushalte das häufige oder längere Fehlen<br />

von Lehrkräften in staatlichen Schulen als<br />

Hauptgrund, warum sie sich für Privatschulen<br />

entschieden. 1 Schlecht bezahlte Ärzte im öffentlichen<br />

Sektor bessern ihr Einkommen häufig<br />

auf, indem sie Medikamente verkaufen, <strong>die</strong><br />

eigentlich kostenlos abzugeben sind. 2 Folglich<br />

sind <strong>die</strong> Armen (und Nicht-Armen) gezwungen,<br />

private Anbieter in Anspruch zu nehmen,<br />

denn sie sind leichter zugänglich und geben in<br />

ihrer Sprechstunde oft Medikamente ab (im<br />

Gegensatz zu Regierungseinrichtungen, wo<br />

Medikamente nicht immer erhältlich sind).<br />

Um mehr und besseren Zugang zu Trinkwasser<br />

zu haben, müssen <strong>die</strong> Armen dafür oft<br />

Wucherpreise an Kleinhändler zahlen, <strong>die</strong> private<br />

Tankwagen betreiben. Die meisten Einwohner<br />

in den Städten Südasiens bekommen<br />

nur wenige Stunden am Stück Wasser, und<br />

das nicht jeden Tag. 3 Strom bekommen sie für<br />

ein paar mehr Stunden am Tag, doch <strong>die</strong><br />

Stromausfälle nehmen in der heißesten Zeit<br />

des Sommers zu – wenn <strong>die</strong> Temperaturen auf<br />

48 Grad Celsius steigen können.<br />

DRUCK, DIE WIRTSCHAFT<br />

ZU LIBERALISIEREN<br />

Der dritte Anstoß für <strong>die</strong> Bereitstellung durch<br />

private Anbieter kommt durch <strong>die</strong> Geberpolitik,<br />

<strong>die</strong> Wirtschaftsliberalisierungen und freie<br />

Märkte befürwortet, um Wachstum und Entwicklung<br />

voranzubringen. In dem Schritt, <strong>die</strong><br />

Rolle der Privatwirtschaft auszuweiten, wird<br />

mit den sozialen Dienstleistungen Neuland be-<br />

138 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


treten. In den 1990er Jahren unterstützten viele<br />

Geber <strong>die</strong> Ausweitung der privaten Bereitstellung<br />

und Finanzierung auf <strong>die</strong> soziale Versorgung,<br />

insbesondere <strong>die</strong> städtische Wasserversorgung.<br />

Auch das Allgemeine Abkommen<br />

<strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen der<br />

Welthandelsorganisation fördert den Einstieg<br />

der Privatwirtschaft in <strong>die</strong> sozialen Dienstleistungen<br />

(siehe Kasten 5.1).<br />

GESUNDHEIT<br />

In vielen Entwicklungsländern – in Lateinamerika,<br />

Südasien und Südostasien – gibt es<br />

eine kapitalkräftige, prosperierende Privatwirtschaft.<br />

Hinzu kommt, dass ein großer Teil<br />

der Gesundheitsausgaben in allen Regionen in<br />

den Privatsektor fließt. 4 In Ländern mit niedrigem<br />

Einkommen wird mehr als <strong>die</strong> Hälfte<br />

der gesundheitlichen Basisversorgung von privaten<br />

Dienstleistern bereitgestellt. 5 In Asien<br />

und Lateinamerika ist ein bedeutender Teil<br />

der Krankenhäuser und Gesundheitseinrich-<br />

KASTEN 5.1<br />

Das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel<br />

mit Dienstleistungen (General Agreement on<br />

Trade in Services-GATS) legt <strong>die</strong> rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen für den internationalen<br />

Handel mit Dienstleistungen fest, sowohl durch<br />

allgemeine Handelsregeln als auch durch spezifische<br />

nationale Verpflichtungen bezüglich des<br />

Zugangs zu inländischen Märkten. Viele Kritiker<br />

haben gefragt, ob das GATS weit genug darin<br />

geht, <strong>die</strong> Fähigkeit der Länder zu schützen,<br />

selbst zu entscheiden, wie soziale Dienstleistungen<br />

am besten bereitzustellen sind. Dazu gehört<br />

auch, den Umfang zu bestimmen, in dem ausländische<br />

Anbieter daran beteiligt sein sollen.<br />

Einerseits bietet das Abkommen den Regierungen<br />

beträchtlichen Ermessensspielraum<br />

bei der Entscheidung, wie, wann und ob<br />

Dienstleistungen für den internationalen Handel<br />

geöffnet werden sollen. Kein Land ist verpflichtet,<br />

irgendeinen spezifischen Sektor der<br />

ausländischen Konkurrenz zu öffnen, und <strong>die</strong><br />

Länder können Bedingungen in Bezug auf <strong>die</strong><br />

Art und das Tempo einer solchen Liberalisierung<br />

festlegen. Die Regierungen können auch,<br />

bei angemessener Kompensation, bestehende<br />

Liberalisierungsverpflichtungen aussetzen oder<br />

modifizieren. Außerdem beinhaltet das Ab-<br />

tungen in privaten Händen, wenngleich Vorbeugemaßnahmen<br />

hauptsächlich in der Verantwortung<br />

des öffentlichen Sektors liegen. 6<br />

Seit Lateinamerika in den 1990er Jahren<br />

das Management seines Gesundheitssektors<br />

für internationale Firmen öffnete, hat es dort<br />

mehr als in irgendeiner anderen Entwicklungsländerregion<br />

eine enorme Verlagerung<br />

hin zur privaten Gesundheitsversorgung gegeben.<br />

Mehrere multinationale Kapitalgesellschaften<br />

(Aetna, CIGNA, Prudential, American<br />

Insurance Group – alle mit Sitz in den<br />

USA) bieten in Lateinamerika Krankenversicherungen<br />

und Gesundheits<strong>die</strong>nste an. Und<br />

sie beabsichtigen Verwaltungsaufgaben für <strong>die</strong><br />

öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wahrzunehmen<br />

und sich den Zugang zu Mitteln der<br />

Sozialkassen für den Bereich der medizinischen<br />

Versorgung zu sichern. Diese Unternehmen<br />

investieren, indem sie:<br />

• bestehende Unternehmen kaufen, <strong>die</strong><br />

Schadensversicherungen oder im Voraus zu<br />

bezahlende Gesundheitspläne verkaufen;<br />

Soziale Dienste und das Allgemeine Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen (GATS)<br />

kommen eine Ausnahmeregelung bezüglich<br />

„hoheitlicher Gewalt“, in der <strong>die</strong> Dienstleistungen,<br />

<strong>die</strong> unter das GATS fallen, definiert sind<br />

als „jede Art von Dienstleistung in jedem Sektor<br />

mit Ausnahme solcher Dienstleistungen, <strong>die</strong><br />

in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht<br />

werden“. Schließlich können <strong>die</strong> Länder sich<br />

auch auf allgemeine Ausnahmen zum Schutz<br />

des öffentlichen Interesses berufen, wozu auch<br />

<strong>die</strong> nationale Sicherheit und <strong>die</strong> öffentliche<br />

Gesundheit gehören.<br />

Andererseits verpflichtet das GATS seine<br />

Mitglieder auf „aufeinanderfolgende Verhandlungsrunden<br />

… um schrittweise einen höheren<br />

Stand der Liberalisierung zu erreichen“. Die<br />

Länder werden unter zunehmenden Druck geraten,<br />

neue Dienstleistungsbereiche zu liberalisieren.<br />

Was noch beunruhigender ist: In dem<br />

Abkommen nicht definierte Begriffe könnten<br />

<strong>die</strong> oben genannten Sicherheitsklauseln unwirksam<br />

machen.<br />

Die Ausnahmeregelung für in Ausübung<br />

hoheitlicher Gewalt erbrachte Dienstleistungen<br />

gilt nur für Dienstleistungen, <strong>die</strong> weder zu kommerziellen<br />

Zwecken noch im Wettbewerb mit<br />

einem oder mehreren Dienstleistungserbringern<br />

erbracht werden. Die Bereitstellung sozialer<br />

Quelle: Mehrotra und Delamonica (noch nicht veröffentlicht); Save the Children 2001, Canadian Centre for Policy Alternatives <strong>2003</strong>, UNHCHR <strong>2003</strong>; WTO <strong>2003</strong><br />

Dienstleistungen erfolgt jedoch selten exklusiv<br />

durch Regierungen, sondern durch eine sich<br />

entwickelnde Mischung öffentlicher und privater<br />

Akteure, <strong>die</strong> um Kunden konkurrieren. Und<br />

der genaue Umfang der Dienstleistungen, <strong>die</strong><br />

den Ausschlusskriterien entsprechen, ist noch<br />

immer unklar. Wenn <strong>die</strong> Gesetzgebung der Regierung<br />

zur Sicherung der gerechten und effizienten<br />

Bereitstellung <strong>die</strong>ser Dienstleistungen<br />

nicht unter das Ausschlusskriterium fällt, könnte<br />

sie möglicherweise mit dem GATS in Konflikt<br />

geraten. Exklusiv angebotene staatliche<br />

Hilfen für Nichtregierungsorganisationen, <strong>die</strong><br />

Schulen und Kliniken in unterversorgten Gegenden<br />

betreiben, könnten bedroht sein, wenn<br />

eine Regierung ihren Gesundheits- und Bildungssektor<br />

liberalisieren und <strong>die</strong>se Marktbedingungen<br />

nicht offiziell registrieren würde.<br />

Das GATS könnte gestärkt werden, indem<br />

man <strong>die</strong> Ausnahmeregelung bezüglich der hoheitlichen<br />

Regierungsgewalt abschafft oder indem<br />

man den Text so neu formuliert, dass sichergestellt<br />

wird, dass Dienstleistungen, <strong>die</strong> in<br />

der „Ausübung hoheitlicher Gewalt“ erbracht<br />

werden, entsprechend ihrer Funktion verstanden<br />

werden, und nicht entsprechend ihrer Art<br />

der Bereitstellung.<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 139


Die vermeintlichen<br />

Vorteile aus der<br />

Privatisierung der sozialen<br />

Versorgung sind schwer<br />

zu fassen, <strong>die</strong> Beweise für<br />

<strong>die</strong> Effizienz und <strong>die</strong><br />

Qualitätsstandards im<br />

privaten verglichen mit<br />

dem öffentlichen Sektor<br />

sind nicht schlüssig<br />

• sich mit anderen Unternehmen zu Joint<br />

Ventures zusammenschließen;<br />

• sich dazu bereit erklären, <strong>die</strong> Verwaltung<br />

der Sozialversicherung und der öffentlichen<br />

Gesundheitseinrichtungen zu <strong>über</strong>nehmen. 7<br />

Rund 270 Millionen Lateinamerikaner –<br />

60 Prozent der Bevölkerung – erhalten Barauszahlungen<br />

und gesundheitliche Versorgungsleistungen<br />

aus den Sozialversicherungskassen.<br />

Die Dienstleistungen werden oft von<br />

Angestellten <strong>die</strong>ser Kassen erbracht. In Argentinien<br />

und Chile ist <strong>die</strong> Durchdringung<br />

der Sozialversicherungskassen durch multinationale<br />

Kapitalgesellschaften am stärksten<br />

vorangeschritten, aber auch in Brasilien<br />

nimmt sie zu, und in Ecuador hat sie begonnen.<br />

8<br />

AUSWIRKUNGEN DER ANWENDUNG<br />

BETRIEBLICHER MANAGEMENTPRINZIPIEN AUF<br />

DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG<br />

Alle Bürgerinnen und Bürger sollten Zugang<br />

zu gesundheitlicher Grundversorgung haben.<br />

Und eine Bereitstellung durch private Anbieter<br />

kann helfen, unterschiedliche Erfordernisse<br />

zu erfüllen. Aber wird <strong>die</strong> Frage nach Gerechtigkeit<br />

dabei ignoriert?<br />

Lateinamerika hat sich bei der Bereitstellung<br />

von Gesundheits<strong>die</strong>nsten lange auf <strong>die</strong><br />

öffentlichen Sozialversicherungskassen verlassen.<br />

Doch in den 1990er Jahren wurde dann<br />

ausländischen Krankenversicherungsunternehmen<br />

angeboten, das Management vieler<br />

Kassen zu <strong>über</strong>nehmen. Daraus folgte, dass<br />

mehr finanzielle Mittel dafür eingesetzt werden,<br />

höhere Verwaltungskosten zu decken<br />

und Erträge für <strong>die</strong> Investoren zu erwirtschaften.<br />

Dadurch sanken der Zugang für<br />

schwächere Gruppen und <strong>die</strong> Ausgaben für<br />

Krankenhausleistungen. Ende der 1990er Jahre<br />

entschieden sich in Chile rund ein Viertel<br />

der Patienten aus dem privaten Gesundheitswesen<br />

für <strong>die</strong> Versorgung in staatlichen Kliniken.<br />

Als Hauptgrund dafür gaben sie <strong>die</strong> hohe<br />

Selbstbeteiligung an, <strong>die</strong> im privaten Gesundheitswesen<br />

verlangt werde. 9<br />

In Argentinien sehen sich öffentliche<br />

Krankenhäuser, <strong>die</strong> nicht dazu <strong>über</strong>gegangen<br />

sind, betriebliche Managementprinzipien auf<br />

<strong>die</strong> medizinische Versorgung anzuwenden, einem<br />

Ansturm von Patienten gegen<strong>über</strong>, für<br />

<strong>die</strong> privatisierte Sozialversicherungskassen <strong>die</strong><br />

Kosten <strong>über</strong>nehmen. Diese Patienten mussten<br />

auf öffentliche Krankenhäuser ausweichen,<br />

weil sie sich <strong>die</strong> Zuzahlungen nicht leisten<br />

können oder weil Privatärzte sie gar nicht erst<br />

haben vorsprechen lassen (weil <strong>die</strong> Sozialversicherungskassen<br />

deren Honorare nicht zahlen).<br />

Argentiniens und Brasiliens staatliche<br />

Krankenhäuser sind nun auf Kostenerstattungen<br />

sowohl aus den Sozialversicherungskassen<br />

als auch aus Privatversicherungen und durch<br />

Selbstbeteiligungen angewiesen. Um in staatlichen<br />

Institutionen kostenfrei behandelt zu<br />

werden, müssen arme Patienten langatmige<br />

Überprüfungen ihrer Bedürftigkeit <strong>über</strong> sich<br />

ergehen lassen – mit Ablehnungsquoten von<br />

durchschnittlich 30–40 Prozent in einigen<br />

Krankenhäusern. 10 Und weil private Krankenversicherungen<br />

gesündere Patienten anziehen,<br />

werden kränkere Patienten in den öffentlichen<br />

Sektor abgeschoben. Dieses Zwei-Klassen-System<br />

unterhöhlt <strong>die</strong> Verteilung von Gesundheitsrisiken<br />

und untergräbt <strong>die</strong> Quersubventionierung<br />

zwischen gesünderen und<br />

schwächeren Gruppen.<br />

ANGEMESSENHEIT DER GESUNDHEITS-<br />

VERSORGUNG UND REGULIERUNG<br />

Die vermeintlichen Vorteile aus der Privatisierung<br />

der sozialen Versorgung sind schwer<br />

zu fassen, <strong>die</strong> Beweise für <strong>die</strong> Effizienz und<br />

<strong>die</strong> Qualitätsstandards im privaten verglichen<br />

mit dem öffentlichen Sektor sind nicht<br />

schlüssig. 11 Mittlerweile gibt es zahlreiche<br />

Beispiele für Marktversagen bei der privaten<br />

Versorgung.<br />

Krankenhausleistungen und Medikamente<br />

sind im wesentlichen private Güter, und es<br />

gibt viele Hinweise darauf, dass <strong>die</strong> Märkte in<br />

ihrem Fall versagen. Beschränkte Regulierungskapazitäten<br />

verschärfen das Problem.<br />

Zum Beispiel ist <strong>die</strong> Überversorgung im privaten<br />

Gesundheitswesen in vielen Entwicklungsländern<br />

ein großes Problem. In Brasilien<br />

sind Kaiserschnitte bei Privatpatienten sehr<br />

viel häufiger, weil <strong>die</strong> Ärzte an Operationen<br />

140 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


mehr ver<strong>die</strong>nen als an normalen Geburten. 12<br />

In Mumbai, In<strong>die</strong>n, lassen sich private Anbieter<br />

auf unnötige Überweisungen und Tests<br />

ein– wobei der Überweisende einen Anteil an<br />

den Gebühren desjenigen bekommt, an den<br />

er den Patienten <strong>über</strong>wiesen hat. 13 Im Gegensatz<br />

dazu stellen in Kanada und den USA, wo<br />

<strong>die</strong> meisten und in Europa, wo viele Ärzte Privatärzte<br />

sind, strenge Berufsrichtlinien sicher,<br />

dass es nicht zu einer Überversorgungskrise<br />

kommt.<br />

In Entwicklungsländern <strong>über</strong>behandeln<br />

auch private Apotheker, für <strong>die</strong> es keine<br />

Richtlinien gibt, Krankheiten oder verschreiben<br />

unnötig teure Medikamente. Solch<br />

unangebrachter Einsatz von Medikamenten<br />

führt zu gefährlichen Behandlungspraktiken,<br />

höheren Kosten bei der Gesundheitsversorgung<br />

und einer zunehmenden Arzneimittelresistenz.<br />

In armen Ländern machen<br />

Medikamente 30–50 Prozent der Ausgaben<br />

im Gesundheitswesen aus, im Vergleich<br />

zu 15 Prozent in reichen Ländern. 14 Wer<br />

sich eine professionelle Behandlung nicht<br />

leisten kann, muss in <strong>die</strong> Apotheke gehen,<br />

<strong>die</strong> oft keine Verordnungsrichtlinien beachtet<br />

– insbesondere in China, Südasien und<br />

Teilen Afrikas. In In<strong>die</strong>n entfallen mehr<br />

als <strong>die</strong> Hälfte der direkten Ausgaben im<br />

Gesundheitsbereich und fast drei Viertel<br />

der Ausgaben für stationäre Behandlungen<br />

auf Arzneimittel und Konsultationsgebühren.<br />

15<br />

KOSTEN<br />

In vielen Entwicklungsländern steigen <strong>die</strong><br />

Kosten, und <strong>die</strong> Technologien konzentrieren<br />

sich im privaten Gesundheitswesen. Thailands<br />

privater Gesundheitssektor hat in einigen<br />

Bereichen genauso viel oder mehr Hochtechnologie-Ausstattung<br />

wie der private Gesundheitssektor<br />

in den meisten europäischen<br />

Ländern, und das obwohl Thailands Pro-<br />

Kopf-Einkommen sehr viel niedriger ist und<br />

<strong>die</strong> Krankheitsbelastung eine ganz andere<br />

ist. 16<br />

Seit Beginn der Wirtschaftreformen haben<br />

sich in China durch <strong>die</strong> Schwerpunktverschiebung<br />

weg von präventiven, hin zu kura-<br />

tiven Gesundheits<strong>die</strong>nsten <strong>die</strong> Verkaufszahlen<br />

von Arzneimitteln wesentlich erhöht.<br />

Ausländer haben landesweit in rund 1.500<br />

Unternehmen zur Arzneimittelherstellung investiert.<br />

17 Das Ergebnis des begrenzten Zugangs<br />

zu professioneller Versorgung und einer<br />

aggressiven Arzneimittelproduktion in einem<br />

unregulierten Markt ist der irrationale<br />

Einsatz von Medikamenten – insbesondere<br />

unter den Armen. 1993 machten Arzneimittel<br />

52 Prozent der Gesundheitsausgaben Chinas<br />

aus, im Vergleich zu 15–40 Prozent in den<br />

meisten Entwicklungsländern. 18 In einigen<br />

ländlichen Gegenden Chinas geben Bauern<br />

das zwei- bis fünffache ihres durchschnittlichen<br />

täglichen Pro-Kopf-Einkommens für<br />

eine gewöhnliche verordnete Medizin aus.<br />

Abgesehen davon, dass das <strong>über</strong>mäßige, unangemessene<br />

Verschreiben von Medikamenten<br />

in ländlichen Gegenden zu unnötig hohen<br />

Kosten im Gesundheitswesen beiträgt, setzt<br />

es Patienten auch dem Risiko ineffektiver Behandlung<br />

und schädlicher Nebenwirkungen<br />

aus. 19<br />

Wie bereits festgestellt, haben in Lateinamerika<br />

private Krankenversicherungen <strong>die</strong><br />

Verwaltung staatlicher Gesundheitsinstitutionen<br />

<strong>über</strong>nommen – und leiten finanzielle<br />

Mittel für Krankhausleistungen um, um <strong>die</strong><br />

höheren Verwaltungskosten zu decken. Um<br />

Patienten mit privater Versicherung und Sozialversicherungsplänen<br />

anzuziehen, haben<br />

staatliche Krankenhäuser in Buenos Aires,<br />

Argentinien, Management-Firmen angeheuert,<br />

<strong>die</strong> einen festen Prozentsatz der Rechnungen<br />

erhalten, was <strong>die</strong> Verwaltungskosten<br />

auf 20 Prozent der Gesundheitsausgaben erhöht.<br />

20 In Chile machen <strong>die</strong> Verwaltungsund<br />

Werbekosten rund 19 Prozent der Ausgaben<br />

der auf betrieblichen Managementprinzipien<br />

basierenden medizinischen Versorgung<br />

aus. 21<br />

BRAIN-DRAIN<br />

In Entwicklungsländern zieht das Wachstum<br />

des privaten Gesundheitswesens oft dringend<br />

benötigte <strong>Human</strong>ressourcen von schwachen<br />

staatlichen Systemen ab – wie in Thailand in<br />

den 1980er und 1990er Jahren. 22 Die staatli-<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 141


Von armen Haushalten zu<br />

verlangen, dass sie für<br />

Schulbildung zahlen, ist<br />

für <strong>die</strong> Erreichung<br />

allgemeiner<br />

Primarschulbildung nicht<br />

förderlich. Deshalb ist es<br />

unwahrscheinlich, dass<br />

<strong>die</strong>s dazu beiträgt, <strong>die</strong><br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziele zu<br />

erreichen<br />

chen Kliniken müssen sich dann mit weniger<br />

gut ausgebildeten Ärzten um <strong>die</strong> schwächsten<br />

Gruppen kümmern – um <strong>die</strong> Armen, <strong>die</strong> Alten<br />

und <strong>die</strong> Behinderten.<br />

BILDUNG<br />

In den meisten OECD-Ländern gehen rund<br />

10 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf<br />

private Primarschulen (<strong>die</strong> unabhängig oder<br />

auch von der Regierung abhängig sein können).<br />

Dieser Anteil ist in Entwicklungsländern<br />

tendenziell höher. In Lateinamerika beträgt<br />

der Anteil der Privatschulen mehr als 14 Prozent<br />

aller Schulbesuche in der Primarstufe,<br />

wenn auch in Costa Rica mit seinen guten Leistungen<br />

der Anteil bei nur sieben Prozent<br />

liegt. 23 Von 22 Ländern in Afrika südlich der<br />

Sahara, für <strong>die</strong> Daten vorliegen, liegt in zehn<br />

Ländern der Anteil der Privatschulen bei zehn<br />

bis 40 Prozent – in den restlichen zwölf Ländern<br />

bei weniger als zehn Prozent. 24 In In<strong>die</strong>n<br />

ist der Anteil der Privatschulen in den Bundesstaaten<br />

am höchsten, wo <strong>die</strong> Einschulungsquoten<br />

im Primarschulbereich am niedrigsten<br />

sind (Bihar, Uttar Pradesh). Das deutet darauf<br />

hin, dass der private Sektor für einen leistungsschwachen<br />

öffentlichen Sektor der Ausweg<br />

ist. 25<br />

In vielen (wenn auch nicht in den meisten)<br />

Entwicklungsländern steigt mit dem Bildungsniveau<br />

auch <strong>die</strong> Einschulungsquote im privaten<br />

Sektor. 26 Doch für eine große Anzahl von<br />

Ländern in allen Regionen der Welt fehlen aktuelle<br />

Daten zu Einschulungsquoten in allen<br />

Stufen der Privatschulen– weshalb <strong>die</strong>ser Bereich<br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit von Regierungen<br />

und Gebern ver<strong>die</strong>nt.<br />

Drei Punkte sind entscheidend, wenn es<br />

um <strong>die</strong> private Finanzierung und Bereitstellung<br />

von Bildung geht. Der erste Punkt betrifft<br />

<strong>die</strong> Nachfrage. Hohe Haushaltskosten<br />

beeinträchtigen den allgemeinen Zugang zu<br />

Grundbildung. Die beiden anderen Punkte<br />

beziehen sich auf das Angebot, das einen Einfluss<br />

auf Gerechtigkeit und Effizienz hat. Zum<br />

einen geht es um <strong>die</strong> relative Leistung staatlicher<br />

und privater Schulen, zum anderen um<br />

<strong>die</strong> staatlichen Subventionen für private Schulen.<br />

HOHE GEBÜHREN, NIEDRIGERE<br />

EINSCHULUNGSQUOTEN<br />

Von armen Haushalten zu verlangen, dass sie<br />

für (private oder öffentliche) Schulbildung<br />

zahlen, ist für <strong>die</strong> Erreichung allgemeiner Primarschulbildung<br />

nicht förderlich. Deshalb ist<br />

es unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong>s dazu beiträgt,<br />

<strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen.<br />

In Ghana können sich zwei Drittel der<br />

ländlichen Familien nicht leisten, ihre Kinder<br />

durchgehend zur Schule zu schicken, und für<br />

drei Viertel der Straßenkinder in der Hauptstadt<br />

Accra war der Hauptgrund, warum sie<br />

<strong>die</strong> Schule abbrachen, dass sie nicht in der<br />

Lage waren, ihre Schulgebühren zu bezahlen.<br />

27 Wo immer in Afrika <strong>die</strong> Schulgebühren<br />

abgeschafft wurden, sind <strong>die</strong> Kinder in <strong>die</strong><br />

Schulen geströmt.<br />

QUALITÄTSFRAGEN<br />

Viele Befürworter privater Schulbildung behaupten,<br />

dass <strong>die</strong> Privatschulen leistungsfähiger<br />

seien als <strong>die</strong> staatlichen, dass sie schon von sich<br />

aus einer größeren Rechenschaftspflicht unterliegen<br />

und den Schülerinnen und Schülern helfen<br />

würden, bessere kognitive Fähigkeiten zu<br />

entwickeln und sich für ihre eigene Ausbildung<br />

stärker verantwortlich zu fühlen. 28 Es gibt jedoch<br />

wenig Beweise, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Behauptungen<br />

erhärten. 29 Privatschulen sind nicht grundsätzlich<br />

leistungsfähiger als staatliche Schulen, <strong>die</strong><br />

<strong>über</strong> vergleichbare Mittel verfügen. In Peru<br />

schneiden Schülerinnen und Schüler privater<br />

Primarschulen besser ab, als <strong>die</strong>jenigen in staatlichen<br />

Schulen – aber sie bezahlen auch bis zu<br />

zehnmal mehr für ihre Ausbildung. 30<br />

In Brasilien sind beim Leistungsstand in<br />

Mathematik und Sprachen <strong>die</strong> Schülerinnen<br />

und Schüler privater Schulen in gleichem Umfang<br />

im Vorteil, wie in verschiedenen OECD-<br />

Ländern (Griechenland, Irland, Spanien). 31<br />

Doch <strong>die</strong>ser Vorteil hängt mit den Schülerinnen<br />

und Schülern zusammen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Schultypen besuchen. In jedem der untersuchten<br />

Länder kommen <strong>die</strong> Schülerinnen<br />

und Schüler privater Sekundarschulen aus reicheren<br />

Haushalten, als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> auf<br />

staatliche Schulen gehen.<br />

142 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


STAATLICHE FINANZIERUNG VON<br />

PRIVATSCHULEN – POTENTIELLE<br />

NACHTEILE UND NUTZEN<br />

Die Hauptbegründung für <strong>die</strong> Unterstützung<br />

durch <strong>die</strong> Regierung ist, dass <strong>die</strong> Privatschulbildung<br />

<strong>die</strong> große Nachfrage nach Bildung<br />

decken würde. Doch in den meisten Fällen<br />

reagiert <strong>die</strong> gebührenpflichtige private Schulbildung<br />

auf eine andere, und nicht auf eine<br />

<strong>über</strong>schüssige Nachfrage – insbesondere in<br />

Ländern mit niedrigem Einkommen, wo arme<br />

Haushalte kaum in der Lage sind, selbst <strong>die</strong><br />

staatlichen Schulgebühren zu bezahlen. Die<br />

Unterstützung der Regierung für den privaten<br />

Bildungsbereich kann somit ungerecht sein,<br />

wenn sie nicht gezielt auf arme Haushalte abstellt.<br />

In OECD-Ländern macht <strong>die</strong> direkte<br />

Unterstützung privater Primar- und Sekundarschulbildung<br />

durchschnittlich rund 10 Prozent<br />

der Regierungsausgaben für den Bildungsbereich<br />

aus. Im Gegensatz dazu werden<br />

in In<strong>die</strong>n private Institutionen mit fast einem<br />

Drittel der direkten Ausgaben für den Bildungsbereich<br />

unterstützt – und doch leben in<br />

<strong>die</strong>sem Land mehr als ein Drittel aller Kinder<br />

der Welt, <strong>die</strong> im Primarschulalter sind und<br />

nicht zur Schule gehen. 32 In Indonesien sind<br />

<strong>die</strong> meisten ländlichen Privatschulen von<br />

staatlichen Subventionen genauso abhängig<br />

wie <strong>die</strong> staatlichen Schulen. 33<br />

Viele Entwicklungsländer–Regierungen<br />

zahlen auch <strong>die</strong> Gehälter von Privatschullehrern<br />

und machen <strong>die</strong> Lehrkräfte damit weniger<br />

rechenschaftspflichtig gegen<strong>über</strong> Eltern<br />

und Direktoren. 34 Solche Subventionen belasten<br />

<strong>die</strong> ohnehin schon schwachen staatlichen<br />

Systeme noch mehr, <strong>die</strong> nun mit weniger<br />

<strong>menschliche</strong>n und finanziellen Ressourcen <strong>die</strong><br />

Versorgung der schwächsten Gruppen sicherstellen<br />

müssen.<br />

In einer Untersuchung von 16 Entwicklungsländern<br />

stellte sich heraus, dass in den<br />

Ländern, wo <strong>die</strong> Einschulungsquote in der<br />

oberen Sekundarstufe in Privatschulen am<br />

höchsten ist, <strong>die</strong> Gesamteinschulungsquote in<br />

der gleichen Stufe am niedrigsten ist (In<strong>die</strong>n,<br />

Indonesien, Simbabwe). 35 Doch in China, Jamaika,<br />

Malaysia und Thailand – wo <strong>die</strong> Einschulungsquoten<br />

relativ hoch sind – gehen<br />

<strong>über</strong> 90 Prozent der direkten Bildungsausgaben<br />

an staatliche Schulen.<br />

DAFÜR SORGEN, DASS DIE PRIVATE<br />

BEREITSTELLUNG FÜR DIE ARMEN<br />

FUNKTIONIERT<br />

Trotz ihrer potentiellen Nachteile kann <strong>die</strong> Finanzierung<br />

von Privatschulen durch den Staat<br />

unter bestimmten Umständen helfen – insbesondere<br />

wenn Regierungen Probleme haben,<br />

<strong>die</strong> vollen Kosten der Maßnahmen zu tragen,<br />

<strong>die</strong> erforderlich sind, um <strong>die</strong> allgemeine Primarschulbildung<br />

zu erreichen (den Bau von<br />

Schulen, <strong>die</strong> Zahlung der Gehälter der Lehrkräfte).<br />

In einigen Ländern hat ein Mangel an<br />

staatlichen Schulen zur Ausbreitung von Privatschulen<br />

geführt. Um sicherzustellen, dass<br />

Kinder aus armen Familien, <strong>die</strong> nicht in der<br />

Lage sind, Schulgebühren zu zahlen, auf Privatschulen<br />

gehen können, könnte der Staat<br />

ihre Schulbildung <strong>über</strong> Gutscheine finanzieren.<br />

Zum Beispiel hat Kolumbien als Reaktion<br />

auf einen Mangel an staatlichen Sekundarschulen<br />

ein Gutschein-System eingeführt.<br />

Dieser Ansatz der staatlichen Finanzierung<br />

privater Schulbildung kann dem Staat helfen,<br />

das Schulwesen kostengünstiger auszubauen.<br />

Denn <strong>die</strong> einzigen Kosten, <strong>die</strong> der Staat <strong>über</strong>nimmt,<br />

sind <strong>die</strong> Gutscheine. Dies ist nicht<br />

ganz das gleiche, wie ein Gutschein-System,<br />

dass es Familien ermöglicht, ihre Kinder in <strong>die</strong><br />

Schule ihrer Wahl einzuschulen, sei sie nun<br />

staatlich oder privat. Um uneingeplante Vorteile<br />

für <strong>die</strong> Mittelklasse, <strong>die</strong> üblicherweise <strong>die</strong><br />

private Schulbildung nachfragt, zu verhindern,<br />

sollten <strong>die</strong> Gutscheine auf arme Familien<br />

beschränkt bleiben – wie es zum Beispiel in<br />

Bangladesch, Chile, Kolumbien, Puerto Rico<br />

und dem Vereinigten Königreich der Fall ist. 36<br />

TRINKWASSER- UND SANITÄRVERSORGUNG<br />

Nur rund fünf Prozent der Weltbevölkerung<br />

(etwa 300 Millionen Menschen) beziehen ihr<br />

Wasser von privaten Unternehmen. Der größte<br />

Teil der Privatisierung im Bereich der<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung geschah<br />

im Zuge von Kooperationen öffentlicher und<br />

In einer Untersuchung von<br />

16 Entwicklungsländern<br />

stellte sich heraus, dass in<br />

den Ländern, wo <strong>die</strong><br />

Einschulungsquote in der<br />

oberen Sekundarstufe in<br />

Privatschulen am<br />

höchsten ist, <strong>die</strong><br />

Gesamteinschulungsquote<br />

in der gleichen Stufe am<br />

niedrigsten ist (In<strong>die</strong>n,<br />

Indonesien, Simbabwe)<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 143


Die Zahl der<br />

Kooperationen<br />

öffentlicher und privater<br />

Träger (public-private<br />

partnerships) ist von fast<br />

null Anfang der 1990er<br />

Jahre auf heute mehr als<br />

2.350 gestiegen. Ihre<br />

Leistungen im Bereich der<br />

Trinkwasser- und<br />

Sanitärversorgung waren<br />

jedoch sehr<br />

unterschiedlich<br />

privater Träger (public-private partnerships)<br />

in städtischen Regionen, und in den 1990er<br />

Jahren fast vollständig in Ländern mit hohem<br />

Verstädterungsgrad (siehe Tabelle 5.1).<br />

Es ist unwahrscheinlich, dass Privatunternehmen<br />

daran Interesse haben könnten, in<br />

Ländern mit niedrigem Einkommen Wasserversorgungs<strong>die</strong>nstleistungen<br />

in ländlichen Gegenden<br />

bereitzustellen – denn ländliche Gegenden<br />

gelten in der Regel als nicht profitabel.<br />

Im Bereich Sanitärversorgung werden auch im<br />

Rahmen von Kooperationen öffentlicher und<br />

privater Träger (public-private partnerships)<br />

<strong>die</strong> Armen zuweilen als unprofitabel angesehen.<br />

Diese Tendenz spiegelt sich darin wieder,<br />

dass einige private Wasserunternehmen Wege<br />

gefunden haben, selbst in städtischen Gegenden<br />

<strong>die</strong> Armen von der Versorgung auszuschließen.<br />

In Cartagena, Kolumbien, wurde<br />

eine große Barackensiedlung nicht mit Wasser<br />

versorgt, weil sie nach Ansicht des Unternehmens<br />

außerhalb des Stadtgebiets lag. 37 Zudem<br />

wurden in einigen Ländern <strong>die</strong> Wasseranschlüsse<br />

nur noch beschränkt ausgebaut. In<br />

Dakar, Senegal, hatten 1994 etwa 80 Prozent<br />

der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser.<br />

Vier Jahre nachdem <strong>die</strong> Versorgung<br />

privatisiert wurde, hatten nur wenig mehr,<br />

nämlich 82 Prozent Zugang. 38<br />

In Ländern mit niedrigem Einkommen ist<br />

das Engagement der internationalen Privatwirtschaft<br />

in der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

städtischer Regionen nach wie vor beschränkt.<br />

Selbst in Ländern mit mittlerem Einkommen,<br />

wo der größte Teil der Bevölkerung<br />

in Städten lebt, lassen sich internationale Privatunternehmen<br />

vom Ausmaß der nötigen Investitionen<br />

abschrecken. Eine dauerhafte Versorgung<br />

lässt sich am besten durch <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

lokaler Gemeinschaften und (privater<br />

und staatlicher) Firmen erreichen. Die<br />

Kapazitäten dazu aufzubauen, ist eine wichtige<br />

Aufgabe des Staates.<br />

UNTERSCHIEDLICHE LEISTUNGEN,<br />

UNSICHERE FINANZIERUNG<br />

Die Zahl der Kooperationen öffentlicher und<br />

privater Träger (public-private partnerships)<br />

ist von fast null Anfang der 1990er Jahre auf<br />

TABELLE 5.1<br />

Investitionen in Projekte zur Trinkwasserund<br />

Sanitärversorgung mit Beteiligung<br />

der Privatwirtschaft in verschiedenen<br />

Ländern, 1990-94 und 1995 -2000<br />

(Millionen Dollar)<br />

Land 1990–94 1995–2000<br />

Argentinien 4.075 4.173<br />

Brasilien 3 2.891<br />

Chile 128 3.720<br />

Indonesien 4 883<br />

Malaysia 3.977 1.116<br />

Mali 0 697<br />

Mexiko 295 277<br />

Philippinen k.A. 5.820<br />

Rumänien k.A. 1.025<br />

Südafrika k.A. 209<br />

Tschechische Rep. 16 37<br />

Quelle: World Bank 2002j.<br />

heute mehr als 2.350 gestiegen. Ihre Leistungen<br />

im Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

waren jedoch sehr unterschiedlich.<br />

Eines der Hauptargumente für <strong>die</strong> Privatisierung<br />

ist, dass dadurch neues Kapital bereitgestellt<br />

wird, und dass öffentliche und private<br />

Trägern in Kooperationen <strong>die</strong> Möglichkeit haben,<br />

zusätzliche Mittel für <strong>die</strong> Grundversorgung<br />

zu mobilisieren. Doch nachdem <strong>die</strong> internationale<br />

private Finanzierung der Trinkwasser-<br />

und Sanitärversorgung 1996 ihren<br />

Höhepunkt erreicht hat, ist sie wieder zurückgegangen.<br />

Und es ist zu erwarten, dass <strong>die</strong>ser<br />

Rückgang sich fortsetzen wird. 39<br />

VERSORGUNGSGEBÜHREN<br />

Die Zurückhaltung des Privatsektors bei der<br />

Finanzierung weniger profitabler Investitionen<br />

in armen ländlichen Gegenden ist zum<br />

Nachteil der Nutzer. Doch oft geschieht <strong>die</strong>s<br />

auch bei Kooperationen öffentlicher und privater<br />

Träger, sogar direkter – durch Gebühren,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Armen <strong>über</strong>proportional stark<br />

treffen. Es muss aber berücksichtigt werden,<br />

dass <strong>die</strong>sen Gebühren <strong>die</strong> noch höheren Preise<br />

gegen<strong>über</strong>stehen, welche <strong>die</strong> Armen vorher<br />

für das Wasser bezahlten, das sie von Kleinhändlern<br />

bezogen.<br />

Kooperationen zwischen öffentlichen und<br />

privaten Trägern stützen sich auf <strong>die</strong> Annahme,<br />

dass <strong>die</strong> Kunden für Dienstleistungen bezahlen.<br />

Die Privatisierung der Trinkwasserund<br />

Sanitärversorgung hat zu sehr viel höheren<br />

Gebühren geführt, zuweilen von einem<br />

144 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 5.2<br />

Die Privatisierung der Wasserversorgung hat<br />

häufig zu höheren Gebühren geführt, <strong>die</strong> sich<br />

arme Haushalte in der Regel nicht leisten können.<br />

Unter einigen staatlichen Systemen kamen<br />

<strong>die</strong> Haushalte in den Genuss niedriger Wasserrechnungen,<br />

<strong>die</strong> weit unter dem lagen, was<br />

nötig gewesen wäre, um <strong>die</strong> Kosten zu decken,<br />

und wenn Rechnungen nicht bezahlt wurden,<br />

wurde in der Regel dar<strong>über</strong> hinweggesehen.<br />

Diese Vorgehensweise ist nicht wünschenswert,<br />

denn staatliche Unternehmen mit ihren<br />

fast leeren Kassen subventionieren im Grunde<br />

sowohl Reiche als auch Arme. Doch wenn ein<br />

Sprung von außergewöhnlich niedrigen auf<br />

unangemessen hohe Wasserrechnungen von<br />

einem Tag auf den anderen vollzogen wird, hat<br />

<strong>die</strong>s für arme Haushalte ebenfalls verheerende<br />

Konsequenzen.<br />

Südafrika<br />

Südafrika hat unglaubliche Fortschritte dabei<br />

gemacht, seine Bevölkerung mit Wasser zu versorgen,<br />

wenn auch das Management der Gebührenstrukturen<br />

noch immer eine Herausforderung<br />

ist. Im August 2000 brach jedoch in der<br />

Provinz KwaZulu-Natal eine Cholera-Epidemie<br />

aus – <strong>die</strong> fast 14.000 Menschen infizierte<br />

und mehr als 250 Menschenleben forderte. Die<br />

Epidemie brach aus, nachdem Kommunalbehörden<br />

<strong>die</strong> Wasserversorgung für Menschen<br />

in einer halblegalen Siedlung gekappt hatten,<br />

<strong>die</strong> sich <strong>die</strong> neuen Nutzungsgebühren nicht leisten<br />

konnten. Der Minister für Wasser und<br />

Quellen: : ICIJ <strong>2003</strong>c; Lobina 2000; Sidley 2001, S. 71.<br />

Tag auf den anderen, und manchmal mit verheerenden<br />

Folgen (siehe Kasten 5.2). Wenn<br />

Erfolg auch höhere Gebühren voraussetzt, so<br />

haben doch staatliche Wasserunternehmen<br />

gezeigt, dass es möglich ist, <strong>die</strong> zusätzlichen<br />

Einnahmen dafür zu nutzen, <strong>die</strong> Dienstleistungen<br />

zu verbessern und <strong>die</strong> Versorgung auszuweiten.<br />

PRIVATE BEREITSTELLUNG MIT<br />

POSITIVEN AUSWIRKUNGEN<br />

Nicht jede Privatisierung der Trinkwasserund<br />

Sanitärversorgung war ein Misserfolg. In<br />

Afrika südlich der Sahara haben zum Beispiel<br />

Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten<br />

Trägern <strong>die</strong> Wasserqualität verbessert. 40<br />

Im Allgemeinen hängt der Erfolg der Privati-<br />

Nutzungsgebühren in Südafrika und Bolivien<br />

Forstwirtschaft hat zugegeben, dass <strong>die</strong> Politik<br />

der Kostendeckung <strong>die</strong> Cholera-Epidemie verschärft<br />

hätte, indem Haushalte gezwungen<br />

wurden, alternative Wasserquellen zu suchen.<br />

In der Vorbereitung auf <strong>die</strong> Privatisierung<br />

der Wasserversorgung änderte Südafrika seine<br />

Politik, <strong>die</strong> Gebühren niedrig zu halten und<br />

<strong>über</strong> Zahlungsausfälle hinwegzusehen. Doch<br />

<strong>die</strong>se Trendwende geschah von einem Tag auf<br />

den anderen – und ohne gleichzeitige Maßnahmen<br />

zur Verringerung der finanziellen Belastungen<br />

der Armen.<br />

Bolivien<br />

Anfang 2000 brachen in Cochabamba, Bolivien,<br />

Proteste aus. Sie waren vor allem eine Reaktion<br />

auf <strong>die</strong> Verdreifachung und Vervierfachung<br />

der Wasserkosten der Haushalte. Dieser<br />

Preissprung kam nur einige Wochen nachdem<br />

Aguas del Tunari, ein Privatunternehmen mit<br />

Sitz in London, das städtische Wassersystem<br />

<strong>über</strong>nommen hatte. Die Proteste legten <strong>die</strong><br />

Stadt vier Tage lang wirkungsvoll lahm. Und<br />

als sich <strong>die</strong> Proteste auf ganz Bolivien ausbreiteten,<br />

wurden 50 Personen festgenommen und<br />

Dutzende verletzt. Sechs Menschen starben<br />

durch <strong>die</strong> Gewalt.<br />

Viele Experten sind sich einig, dass der<br />

deutliche Anstieg der Wassergebühren auf ein<br />

teures Bauprojekt zurückzuführen war, für<br />

dessen Kosten <strong>die</strong> Haushalte gezwungen wurden,<br />

direkt zu bezahlen. Das Misicuni-Projekt,<br />

eines der komplexesten Bauvorhaben in Süd-<br />

sierung der Wasserversorgung in hohem<br />

Maße von Regulierungsmaßnahmen durch <strong>die</strong><br />

Regierung, vom Interesse der Investoren und<br />

vom Ausgangszustand des betroffenen Unternehmens<br />

ab. 41 Länder, in denen <strong>die</strong> Versorgung<br />

vor der Privatisierung annehmbar war,<br />

bleiben oft auch danach auf gutem Niveau.<br />

Wo <strong>die</strong> Armen von der Privatisierung der<br />

Wasserversorgung profitiert haben, ist <strong>die</strong>s<br />

dem entsprechenden politischen Willen zu<br />

verdanken. In Bolivien wurden <strong>die</strong> Konzessionen<br />

für <strong>die</strong> Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

in La Paz und El Alto an den Bewerber<br />

vergeben, der versprach, in armen Bezirken<br />

<strong>die</strong> meisten Neuanschlüsse einzurichten. Der<br />

siegreiche Bewerber wurde dann verpflichtet,<br />

im Laufe von fünf Jahren 72.000 Familien an<br />

<strong>die</strong> Versorgung mit Leitungswasser und<br />

amerika, beinhaltet den Bau eines Damms für<br />

130 Million US-Dollar, eines Wasserkraftwerks<br />

und eines 20 Kilometer langen Stollens<br />

für 70 Millionen US-Dollar, durch den Wasser<br />

vom Misicuni-Fluss nach Cochabamba transportiert<br />

werden soll.<br />

Nutzungsgebühren bergen <strong>die</strong> große Gefahr,<br />

dass sie zur Verarmung der Nutzer beitragen<br />

können und Menschen davon abhalten<br />

können, dringend benötigte Dienstleistungen<br />

in Anspruch zu nehmen. Wenn <strong>die</strong> Nutzungsgebühren<br />

für <strong>die</strong> soziale Grundversorgung erhöht<br />

werden müssen, müssen <strong>die</strong> Regierungen<br />

sicherstellen, dass sie auf <strong>die</strong> Nutzer abgestimmt<br />

sind. Als erstes sollten Regierungen<br />

ihren Bürgerinnen und Bürgern gegen<strong>über</strong> offen<br />

dar<strong>über</strong> sein, warum <strong>die</strong> Erhöhungen nötig<br />

sind. Es sollte <strong>die</strong>sbezüglich eine klare Kommunikation<br />

zwischen Dienstleistern und Nutzern<br />

stattfinden. Zweitens sollten Regierungen<br />

<strong>die</strong> Gebühren strategisch so festlegen, dass <strong>die</strong><br />

reicheren Haushalte <strong>die</strong> ärmeren subventionieren<br />

können. Auch sollten weitere Wege gesucht<br />

werden, <strong>die</strong> Armen zu subventionieren.<br />

Zum Beispiel baten viele Aktivisten in Südafrika<br />

darum, dass <strong>die</strong> Regierung 50 Liter Wasser<br />

am Tag kostenfrei an arme Haushalte abgeben<br />

solle – das Minimum der Weltgesundheitsorganisation<br />

zur Aufrechterhaltung von Gesundheit<br />

und Hygiene. Drittens sollten Erhöhungen<br />

von Wasserrechnungen stufenweise eingeführt<br />

werden, und nicht von einem Tag auf den anderen.<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 145


38.000 Familien an <strong>die</strong> Abwasserentsorgung<br />

anzuschließen.<br />

Regierungen haben nicht nur private Anbieter<br />

vertraglich verpflichtet, <strong>die</strong> Versorgung<br />

auszuweiten, sie nutzen dazu auch <strong>die</strong> Einnahmen<br />

aus der Privatisierung. Anbieter, <strong>die</strong> arme<br />

Bezirke versorgen, bekommen finanzielle Anreize,<br />

wie zum Beispiel Investitionshilfen, angeboten.<br />

Außerdem können hohe Gebühren,<br />

<strong>die</strong> tendenziell mit einer Privatisierung verbunden<br />

sind, durch Subventionen für <strong>die</strong> Armen<br />

wieder ausgeglichen werden. In Chile<br />

wurde mit Hilfe staatlicher Subventionen sichergestellt,<br />

dass kein Haushalt mehr als fünf<br />

Prozent seines Einkommens für Wasser ausgeben<br />

muss. 42<br />

VIELVERSPRECHENDE ANSÄTZE<br />

Staatliche Programme waren bei der Bereitstellung<br />

der sozialen Grundversorgung für<br />

alle Bürgerinnen und Bürger in vielen Fällen<br />

erfolgreich. Privatisierungen dürfen also nicht<br />

als <strong>die</strong> einzige Möglichkeit zur Reform<br />

schlecht gemanagter öffentlicher Dienstleistungen<br />

angesehen werden.<br />

SICH AUF WIRKSAME STAATLICHE<br />

SYSTEME VERLASSEN<br />

Durch viele Maßnahmen im sozialen Sektor<br />

werden öffentliche Güter bereitgestellt. Aber<br />

<strong>die</strong> Aktivitäten in <strong>die</strong>sem Bereich bringen<br />

auch viele Außenbezüge mit sich, <strong>die</strong> es erfordern,<br />

dass der Staat sich einmischt, um <strong>die</strong> allgemeine<br />

Grundversorgung zu sichern. Bei<br />

dem aktuellen Privatisierungsschub im Bereich<br />

der sozialen Grundversorgung werden<br />

<strong>die</strong> Erfahrungen der reichen Länder – sowie<br />

vieler Entwicklungsländer heute – nicht<br />

berücksichtigt. Diese Länder verließen sich<br />

bei ihrer Entwicklung in der Vergangenheit<br />

auf staatliche Systeme, um soziale Grundversorgung<br />

der meisten (wenn nicht aller) ihrer<br />

Menschen bereitzustellen. Private Akteure<br />

spielten nur eine sehr beschränkte Rolle.<br />

Vielen der Entwicklungsländer, <strong>die</strong> heute<br />

gut abschneiden, war es in einem frühen Stadium<br />

ihrer Entwicklung gelungen, <strong>die</strong> Gesundheitsindikatoren<br />

zu verbessern – indem<br />

sie eine allgemeine Gesundheitsversorgung<br />

bereitstellten, <strong>die</strong> aus staatlichen Einnahmen<br />

finanziert wurde. In vielen Ländern (zum Beispiel<br />

in Botsuana, Costa Rica und Simbabwe)<br />

stiegen wohlhabendere Bürger aus <strong>die</strong>sem System<br />

aus, indem sie eine private Krankenversicherung<br />

abschlossen. 43 Oder wo es keine Privatversicherungen<br />

gab (zum Beispiel in Sri<br />

Lanka und in Kerala, In<strong>die</strong>n) bezahlten sie <strong>die</strong><br />

privaten Anbieter direkt. 44 Doch für <strong>die</strong> meisten<br />

Menschen in <strong>die</strong>sen Ländern war der verbesserte<br />

Gesundheitszustand das Ergebnis allgemeiner<br />

und erschwinglicher Versorgung –<br />

finanziert durch staatliche Einnahmen und<br />

durch <strong>die</strong> Umverteilung von Ressourcen auf<br />

der unteren Ebene des Gesundheitssystems<br />

wirksam umgesetzt. 45<br />

Die Entwicklungsländer, <strong>die</strong> gut abschneiden,<br />

haben auch frühzeitig in ihrer Entwicklung,<br />

als ihr Einkommen niedriger war, begonnen,<br />

das Ziel der allgemeinen Primarschulbildung<br />

zu verfolgen. In den Ländern, deren<br />

Analphabetenquoten 1980 unter denen ihrer<br />

Nachbarländer lagen, war auch der Anteil der<br />

Schülerinnen und Schüler, <strong>die</strong> in den vorangegangenen<br />

15 Jahren Privatschulen besucht<br />

hatten, geringer. In Südasien zum Beispiel lag<br />

der Alphabetisierungsgrad in Sri Lanka 1980<br />

bei 85 Prozent – während der Durchschnitt in<br />

der Region mit 38 Prozent außerordentlich<br />

niedrig war. 46 Und der Anteil der Schülerinnen<br />

und Schüler in der privaten Primar- und<br />

Sekundarschulbildung war in den 15 Jahren<br />

zuvor in Sri Lanka niedrig gewesen.<br />

Im Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

gibt es genügend Hinweise auf<br />

staatliche Unternehmen, <strong>die</strong> ineffizient, <strong>über</strong>dimensioniert<br />

und korrupt sind. Doch es gibt<br />

auch erfolgreiche staatliche Systeme, <strong>die</strong> von<br />

den Befürwortern der Privatisierung weitgehend<br />

ignoriert werden. So hat Chile es zum<br />

Beispiel bis 1990 geschafft, 97 Prozent seiner<br />

städtischen Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser<br />

und 80 Prozent mit sanitären Einrichtungen<br />

zu versorgen. Und in Bogota, Kolumbien,<br />

war <strong>die</strong> kommunale Wasserversorgung<br />

von Privatisierung bedroht, doch nach einer<br />

kompletten Reform konnte <strong>die</strong> Reichweite der<br />

Wasserversorgung sogar ausgedehnt werden<br />

(siehe Kasten 5.3).<br />

146 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


In Debrecen, Ungarn, hatte Mitte der<br />

1990er Jahre das staatlich gemanagte Wasserunternehmen<br />

einen hohen Investitionsbedarf.<br />

Es wurden Anläufe unternommen, mit der<br />

Versorgung erst ein multinationales Wasserunternehmen<br />

zu beauftragen, dann ein anderes<br />

– doch beide Versuche schlugen fehl. Im<br />

Jahr 1995 entschied der Stadtrat, dass einheimische<br />

Wasser-Manager das Fachwissen hätten,<br />

<strong>die</strong> Arbeit selbst auszuführen. Ein neues<br />

einheimisches staatliches Unternehmen tätigte<br />

<strong>die</strong> nötigen Investitionen zu sehr viel niedrigeren<br />

Kosten, als von den Privatunternehmen<br />

angeboten worden waren, zum Teil indem bei<br />

der Beschaffung auf lokale Zulieferer statt auf<br />

Importe zurückgegriffen wurde. Im Ergebnis<br />

liegen <strong>die</strong> Preise um 75 Prozent niedriger als<br />

von den Privatunternehmen vorausgesagt.<br />

ERHÖHUNG DER LEISTUNGSFÄHIGKEIT<br />

DES STAATES<br />

In Entwicklungsländern müssen <strong>die</strong> Regulierungskapazitäten<br />

ausgebaut werden, so dass<br />

KASTEN 5.3<br />

Die Maßnahmen der chilenischen Regierung im<br />

Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

zeigen, dass das staatliche Management solcher Systeme<br />

erfolgreich sein kann. 1990 hatten 97 Prozent<br />

der städtischen Bevölkerung Chiles Zugang zu sauberem<br />

Trinkwasser, und 80 Prozent hatten Zugang<br />

zu sanitären Einrichtungen. Die Eckpfeiler von Chiles<br />

Erfolg:<br />

• Trennung von zentraler Regulierung und regionalem<br />

Betrieb.<br />

• Erhöhung der Investitionen in <strong>die</strong>sem Sektor.<br />

• Entwicklung eines Systems zur objektiven Gebührenfestsetzung.<br />

• Einführung von Anreizen zur Steigerung der Effizienz.<br />

Zwischen 1988 und 1990 führten <strong>die</strong> chilenischen<br />

Behörden ein neues System zur objektiven<br />

Gebührenfestsetzung ein — was zur Wiederbelebung<br />

<strong>die</strong>ses Wirtschaftszweiges grundlegend war.<br />

Die Regulierungsbehörde legte anhand eines effizienten<br />

Modellversorgers eine Gebührenobergrenze<br />

fest, und jegliche Meinungsunterschiede zwischen<br />

dem Unternehmen, dass <strong>die</strong> Konzession hat, und<br />

der Regulierungsbehörde sollten durch eine Dreiparteien-Expertenkommission<br />

gelöst werden. Die<br />

Reform erlaubte <strong>die</strong> schrittweise Gebührenanpas-<br />

<strong>die</strong> öffentliche und private Versorgung bei allen<br />

Dienstleistungen und Nutzern funktioniert.<br />

Eine wesentliche Politikempfehlung ist,<br />

<strong>die</strong> staatlichen Mitarbeiter zu behalten. Dies<br />

bedeutet nicht notwendigerweise, dass <strong>die</strong> reichen<br />

Länder mehr technische Hilfe oder Zusammenarbeit<br />

bereitstellen sollen. Es bedeutet,<br />

dass sie den Transfer von Fähigkeiten und<br />

den Austausch von Erfahrungen unter den armen<br />

Ländern bezahlen sollen.<br />

Im Gesundheitswesen gibt es sowohl bei<br />

privatisierten Unternehmen als auch bei bestehenden<br />

privaten Dienstleistungen Regulierungsbedarf,<br />

sowohl in Hinblick auf den Verbraucherschutz<br />

als auch auf <strong>die</strong> Eindämmung<br />

der Kosten. In Entwicklungsländern sind <strong>die</strong><br />

Informationssysteme der meisten Gesundheitsministerien<br />

extrem schwach. Dies untergräbt<br />

ihre Fähigkeit (oder ist vielleicht ein<br />

Hinweis auf ihre mangelnde Bereitschaft<br />

dazu), <strong>die</strong> privaten Anbieter Vorschriften zu<br />

unterwerfen. Trotz weitverbreiteter privater<br />

Bereitstellung und hoher privater Ausgaben<br />

Erfolgreiche staatlich betriebene Wasserversorgungssysteme<br />

Quelle: ICIJ <strong>2003</strong>; Mehrotra und Delamonica (noch nicht veröffentlicht).<br />

sung an ein neues, höheres Niveau. Die objektive<br />

Gebührenfestsetzung war einer der Hauptfaktoren,<br />

<strong>die</strong> seit 1990 zum erfolgreichen Management der<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung beigetragen<br />

haben.<br />

Der private Sektor spielte im Bereich der Trinkwasser-<br />

und Sanitärversorgung in Chile eine Rolle,<br />

aber <strong>die</strong>se Rolle war beschränkt und durch <strong>die</strong> Zentralregierung<br />

streng reguliert. Es kam zu einem starken<br />

Anstieg der Auslagerung vieler Aktivitäten<br />

außer Haus durch alle Unternehmen, einschließlich<br />

des Betriebs, des Managements und der Kapitalinvestitionen<br />

ganzer Systeme sowie der Instandhaltung<br />

aller Bereiche der Versorgungsnetze, der Ablesung<br />

von Zählern und der Rechnungsstellung.<br />

Durch <strong>die</strong> Auslagerung wurde <strong>die</strong> Anzahl der pro<br />

Anschluss benötigten Arbeitskräfte reduziert. Und<br />

im Jahr 1995 lag der Durchschnitt der nicht erfassten<br />

Wassermenge bei 31 Prozent, sehr viel weniger<br />

als der lateinamerikanische Durchschnitt von 40–60<br />

Prozent.<br />

In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá<br />

wurde <strong>die</strong> Privatisierung Ende der 1990er Jahre verworfen.<br />

Die Stadt lehnte Geld von der Weltbank ab<br />

und machte sein Wasserwerk zu den erfolgreichsten<br />

in ganz Kolumbien.<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 147


ist es in Südasien alles andere als gelungen,<br />

durch Regulierung <strong>die</strong> Qualität der Versorgung<br />

für <strong>die</strong> meisten Nutzer der von Privatunternehmen<br />

angebotenen Dienstleistungen sicherzustellen.<br />

47<br />

Klinische Gesundheits<strong>die</strong>nste zu regulieren<br />

erfordert zum Beispiel, mit der Ausbreitung<br />

privater Anbieter umzugehen – <strong>die</strong> oft<br />

nicht ausgebildet sind, keine Lizenz haben<br />

und keinen Vorschriften unterworfen sind.<br />

Regierungen müssen <strong>die</strong>se Akteure unter den<br />

Einfluss des Staates bringen, was Lizenzen erfordert<br />

sowie regelmäßige Aus- und Fortbildung,<br />

um den Wissensstand und <strong>die</strong> Fähigkeiten<br />

zu verbessern. Durch Aus- und Fortbildung<br />

konnten in Kenia mehr Anti-Malaria-<br />

Mittel zur Verfügung gestellt und in Mexiko<br />

das Management akuter Atemwegsinfektionen<br />

und Durchfallerkrankungen verbessert werden.<br />

48 Außerdem hat <strong>die</strong> Rural Medical Association<br />

of West Bengal eine Liste der Weltgesundheitsorganisation<br />

(World Health Organization<br />

– WHO) von 40 lebenswichtigen<br />

Arzneimitteln <strong>über</strong>nommen, deren Einsatz <strong>die</strong><br />

WHO ihren Mitgliedern empfiehlt. Ärzte<br />

dazu zu bringen, den Einsatz <strong>die</strong>ser Arzneimittel<br />

einzuschränken, wird <strong>die</strong> Qualität und<br />

Kontrolle verbessern. Andere Maßnahmen<br />

zur Regulierung der Anbieter beinhalten <strong>die</strong><br />

Entwicklung einer Gesetzgebung zum Verbraucherschutz,<br />

<strong>die</strong> Förderung einer beruflichen<br />

Ethik und nicht-finanzielle Anreize, wie<br />

zum Beispiel höheres Prestige.<br />

Mit Hilfe von Zulassungen können Verbraucher<br />

dar<strong>über</strong> informiert werden, welche<br />

privaten Anbieter medizinischer Dienstleistungen<br />

registriert sind. Von einem berufsspezifischen<br />

Gremium, dass nicht registrierten<br />

Anbietern eine Zulassung sowie Aus- und<br />

Fortbildungen anbietet, würden sowohl <strong>die</strong><br />

Anbieter als auch <strong>die</strong> Öffentlichkeit profitieren.<br />

Es würde auf dem Wunsch der Anbieter<br />

nach sozialer Anerkennung und Prestige aufbauen.<br />

Und es würde helfen, durch Öffentlichkeitskampagnen<br />

den Einsatz lebenswichtiger<br />

Arzneimittel zu fördern.<br />

Auch <strong>die</strong> Verbesserung des Verbraucherverhaltens<br />

ist wichtig für <strong>die</strong> Regulierung der<br />

Gesundheitsversorgung. Dazu kann gehören,<br />

das Wissen der Verbraucher zu verbessern<br />

oder Subventionen anzubieten, um qualitativ<br />

hochwertige Dienste erschwinglicher zu machen.<br />

Regierungen können auch Institutionen<br />

schaffen, <strong>die</strong> es den Verbrauchern ermöglichen,<br />

private Anbieter in Regress zu nehmen,<br />

wenn sie eine schlechte Versorgung anbieten.<br />

Die Regulierung des Bildungs- und des<br />

Wassersektors ist oft gleichermaßen schwach.<br />

Bei der Wasserprivatisierung spielen staatliche<br />

Wasserbehörden oft <strong>die</strong> Rolle einer Kontrollbehörde.<br />

Doch internationale private Anbieter<br />

halten sich selten an ihre Vereinbarungen<br />

mit den Regierungen der Gastländer (siehe<br />

Kasten 5.4). 49 Es ist viel mehr internationale<br />

Unterstützung nötig, um <strong>die</strong> Regulierungskapazitäten<br />

in <strong>die</strong>sen und anderen Infrastrukturbereichen<br />

auszubauen, wenn der<br />

private Sektor mehr tun soll, damit <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

erreicht werden<br />

können.<br />

EINBEZIEHUNG VON<br />

NICHTREGIERUNGSORGANISATIONEN<br />

Die Bereitstellung sozialer Dienstleistungen<br />

durch Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />

wird als Mittelweg zwischen der Bereitstellung<br />

durch den Markt und der staatlichen Versorgung<br />

angesehen. Für einige Experten stellt<br />

<strong>die</strong>s eine Begründung dafür dar, <strong>die</strong> Rolle zivilgesellschaftlicher<br />

Organisationen bei der<br />

Bereitstellung <strong>die</strong>ser Dienstleistungen auszuweiten.<br />

Nichtregierungsorganisationen sind<br />

oft recht erfolgreich, wenn es darum geht, <strong>die</strong><br />

Lücken zu füllen, <strong>die</strong> das öffentliche System<br />

hinterlassen hat (wie zum Beispiel im Falle der<br />

Primarschulen, <strong>die</strong> vom Bangladesh Rural<br />

Advancement Committee eingerichtet wurden).<br />

Nichtregierungsorganisationen sind<br />

auch hilfreich, insbesondere für <strong>die</strong> Armen,<br />

wenn es darum geht, Gemeinschaftsbelange<br />

zu artikulieren, um Institutionen dazu zu bewegen,<br />

bessere Leistungen zu erbringen. Bei<br />

der Trinkwasser- und Sanitärversorgung werden<br />

ländliche Gegenden bislang am besten<br />

durch Nutzerkomitees versorgt, <strong>die</strong> von<br />

Nichtregierungsorganisationen unterstützt<br />

werden. Doch Nichtregierungsorganisationen<br />

sollten <strong>die</strong> Maßnahmen des Staates nur ergänzen,<br />

nicht ersetzen.<br />

148 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Nichtregierungsorganisationen gehen<br />

auch Partnerschaften mit Regierungen, Unternehmen<br />

und Organisationen der Zivilgesellschaft<br />

ein. Wenn private Firmen den Zuschlag<br />

für langfristige Konzessionen im Bereich der<br />

städtischen Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

bekommen, werden sie in der Regel vertraglich<br />

verpflichtet, <strong>die</strong> Reichweite der Versorgung<br />

merklich auszuweiten. Dieser Verpflichtung<br />

nachzukommen, könnte Fähigkeiten<br />

und Ressourcen erfordern, <strong>die</strong> außerhalb<br />

der Möglichkeiten privater, insbesondere ausländischer<br />

Firmen liegen. NRO-Partner können<br />

helfen, das Verständnis einer Firma für<br />

ihre armen Kunden zu verbessern (Ausbau<br />

der Kundenbasis, Verbesserung der Projektgestaltung).<br />

So lassen sich auch <strong>die</strong> Kosten für<br />

Kapital, Betrieb und Instandhaltung senken,<br />

wie im Falle der Wasserkonzessionen in La<br />

Paz und El Alto, Bolivien. Nichtregierungsorganisationen<br />

können auch Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen<br />

mehr Glaubwürdigkeit<br />

und Reichweite verleihen. Das französische<br />

Wasserunternehmen Vivendi initiierte<br />

eine Partnerschaft mit einer NRO in deren<br />

Projekt in KwaZulu-Natal, um <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

armer Gemeinschaften in Südafrika besser<br />

verstehen zu lernen. 50<br />

Indem sie Druck ausüben und sich engagieren,<br />

schaffen Nichtregierungsorganisationen<br />

neue Aufgaben für Unternehmen. Ein<br />

Kontinuum von Protest und Partnerschaften<br />

zwischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen<br />

schafft neue Möglichkeiten der<br />

Kontrolle der globalen Geschäftswelt – Regulierung<br />

durch <strong>die</strong> Bürgerschaft. 51<br />

IDENTIFIZIERUNG BESSERER WEGE ZUR<br />

FINANZIERUNG VON DIENSTLEISTUNGEN<br />

Neben der Erhöhung der Steuereinnahmen<br />

der Regierung gibt es Verbesserungsmöglichkeiten<br />

bei den Tarifen und Gebühren für<br />

Dienstleistungen, um sie zweckmäßiger und<br />

gerechter zu machen. Wenn es um ihre Gesundheit<br />

geht, können plötzliche, hohe Barausgaben<br />

Patienten in <strong>die</strong> Armut (oder noch weiter<br />

in <strong>die</strong> Armut) treiben. Untersuchungen aus<br />

60 Ländern zeigen, dass bei armen Bevölkerungsgruppen<br />

der Anteil der Haushalte, deren<br />

KASTEN 5.4<br />

Der Großraum Manila und Buenos Aires: Unterschiedliche<br />

Erfahrungen mit der Privatisierung der Wasserversorgung<br />

Manila<br />

Im Jahr 1995 erklärten <strong>die</strong> Philippinen<br />

den Wasser-Notstand. Die öffentlichen<br />

Wasserversorger hatten 3,6 Millionen<br />

Menschen nicht an <strong>die</strong> Wasserversorgung<br />

angeschlossen. Und für <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong><br />

Wasseranschlüsse hatten, gab es häufig<br />

Unregelmäßigkeiten bei der Versorgung.<br />

Im Jahr 1997 bekamen zwei private<br />

Wasserunternehmen <strong>die</strong> Konzessionen,<br />

das Wassersystem von Manila zu <strong>über</strong>nehmen.<br />

Das Stadtgebiet wurde dabei in eine<br />

östliche und eine westliche Zone aufgeteilt.<br />

Innerhalb von fünf Jahren hatten <strong>die</strong><br />

Unternehmen rund zwei Millionen Menschen<br />

mehr an das Versorgungsnetz angeschlossen,<br />

und <strong>die</strong> Versorgung hatte sich<br />

bedeutend verbessert. In <strong>die</strong>sem Zeitraum<br />

verdreifachte sich <strong>die</strong> Anzahl der Neuanschlüsse<br />

von 17.040 pro Jahr (vor der Privatisierung)<br />

auf 53.921 (danach).<br />

Doch sechs Jahre nach der Privatisierung<br />

haben <strong>die</strong> Wasserunternehmen ihre<br />

Zielvorgaben nicht erreicht — und bitten<br />

sogar darum, ihre Konzessionen wieder<br />

abtreten zu dürfen. Bis zum Jahr 2001 hatte<br />

eines der beiden Unternehmen 85 Prozent<br />

der Bevölkerung in seinem Gebiet mit<br />

Wasser versorgt, und damit etwas weniger<br />

als <strong>die</strong> geplanten 87 Prozent, während das<br />

andere Unternehmen seine Zielvorgabe<br />

<strong>über</strong>traf. Doch um <strong>die</strong> Berechnung <strong>die</strong>ser<br />

Zahlen gibt es zahlreiche Diskussionen,<br />

was möglicherweise dazu führen könnte,<br />

dass <strong>die</strong> gemeldeten Erfolgsquoten gesenkt<br />

werden. Zwar stellte das eine der privaten<br />

Wasserunternehmen keinen Rückgang<br />

der Anzahl der lecken Rohre und der<br />

Fälle von Wasser<strong>die</strong>bstahl fest, doch das<br />

andere verzeichnete steigende Zahlen. Bis<br />

zum Januar <strong>2003</strong> waren in beiden Zonen<br />

<strong>die</strong> Wassergebühren auf das Zwei- bis<br />

Fünffache der Gebühren von 1997 gestiegen.<br />

Im Jahr 2000 ergab eine Befragung<br />

der Einwohner von 100 Bezirken ein ge-<br />

Quelle: ICIJ <strong>2003</strong>b; Galiani, Gertler und Schargrodsky 2002; ICIJ <strong>2003</strong>d.<br />

Gesundheitsausgaben hoch sind, größer ist. 52<br />

Angesichts fehlender öffentlicher Finanzmittel<br />

können Vorauszahlungssysteme – <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

hohen Gesundheitskosten in Grenzen halten,<br />

indem sie <strong>die</strong> Risiken auf eine Gruppe von<br />

Personen aufteilen – helfen, mit dem Problem<br />

umzugehen. Solche Systeme haben nicht nur<br />

mischtes Bild bei der Wahrnehmung der<br />

Privatisierung. 33 Prozent der Befragten<br />

bemerkten, dass <strong>die</strong> Versorgung besser geworden<br />

sei, 55 Prozent bemerkten keine<br />

Veränderung und 12 Prozent stellten eine<br />

Verschlechterung fest.<br />

Buenos Aires<br />

Im Jahr 1993 privatisierte <strong>die</strong> argentinische<br />

Regierung <strong>die</strong> Wasserwerke von Buenos<br />

Aires. Daraufhin nahmen <strong>die</strong> Qualität<br />

und der Ausbau der Versorgung zu.<br />

Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen<br />

rund eine Million neue Nutzer an das<br />

Wassersystem angeschlossen, und im ersten<br />

Jahr senkte es <strong>die</strong> Gebühren um 27<br />

Prozent. Aber <strong>die</strong>se Senkung machte lediglich<br />

<strong>die</strong> starken Gebührenerhöhungen<br />

rückgängig, welche vor der Privatisierung<br />

von den Wasserwerken eingeführt worden<br />

waren. In den darauffolgenden Jahren erhöhte<br />

das Unternehmen mehrfach <strong>die</strong><br />

Wassergebühren, und 1996 kam es in Buenos<br />

Aires zu Protesten gegen <strong>die</strong> hohen<br />

Wasserrechnungen.<br />

Außerdem wurde 1997 durch eine<br />

staatliche Untersuchung herausgefunden,<br />

dass das Unternehmen nur rund ein Drittel<br />

der Pumpstationen und der unterirdischen<br />

Leitungen gebaut hatte, <strong>die</strong> es versprochen<br />

hatte bis dahin fertig zu stellen.<br />

Die Investitionen in <strong>die</strong> Abwassernetze<br />

beliefen sich auf insgesamt nur 9,4 Millionen<br />

US-Dollar — ein Fünftel der zugesagten<br />

Beträge. Nach aktuellen Schätzungen<br />

sieht das Bild jedoch anders aus, wenn<br />

man das gesamte Land betrachtet. In der<br />

zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben in<br />

Stadtbezirken mit privat gemanagter Wasserversorgung<br />

<strong>die</strong> Systeme besser funktioniert<br />

als in Bezirken mit staatlichen Betrieben,<br />

insbesondere in armen Gegenden.<br />

Das hat dazu beigetragen, dass <strong>die</strong> Kindersterblichkeit<br />

schneller gesenkt werden<br />

konnte.<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 149


geholfen, arme Haushalte vor katastrophalen<br />

Gesundheitskosten zu schützen, sie haben<br />

KASTEN 5.5<br />

Die Bamako-Initiative: Zusammenlegung kommunaler<br />

Mittel für <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung<br />

Die Bamako-Initiative ist eine Initiative, in<br />

der <strong>die</strong> Gemeinschaft ihre Ressourcen zusammenlegt,<br />

um <strong>die</strong> lokale Gesundheitsversorgung<br />

zu finanzieren. Die Initiative<br />

ist in unterschiedlichem Umfang in mehr<br />

als 40 Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

umgesetzt worden, wobei <strong>die</strong> Hälfte davon<br />

in Afrika südlich der Sahara liegen. Die Initiative<br />

hat nicht nur Haushalte vor katastrophal<br />

hohen Gesundheitskosten bewahrt,<br />

sondern hat auch Gemeinschaften<br />

organisiert, um dabei zu helfen <strong>die</strong> lokale<br />

öffentliche Gesundheitsversorgung leistungsfähiger<br />

zu machen und aufrecht zu<br />

erhalten. Diese Gemeinschaften steuern finanzielle<br />

Mittel zur Finanzierung lokaler<br />

Kliniken bei und haben eine Stimme im<br />

Management der Dienstleistungen.<br />

Die der Initiative zu Grunde liegende<br />

Strategie ist es, <strong>die</strong> öffentlichen Gesundheitssysteme<br />

zu revitalisieren, indem <strong>die</strong><br />

Entscheidungsstrukturen von der nationalen<br />

Ebene dezentral auf <strong>die</strong> Distrikt-Ebene<br />

verlagert werden. Ein Mindestpaket an unverzichtbaren<br />

Dienstleistungen soll durch<br />

gesundheitliche Grundversorgungseinheiten<br />

bereitgestellt werden. Die Finanzierung<br />

erfolgt durch <strong>die</strong> Gemeinschaft, und<br />

<strong>die</strong> Gemeinschaft ist auch am Management<br />

beteiligt. Ziel ist es, <strong>die</strong> Dienstleistungen<br />

zu verbessern, indem ein ausreichendes<br />

Einkommen erwirtschaftet wird,<br />

um einige der lokalen Betriebskosten zu<br />

decken, wie zum Beispiel <strong>die</strong> Versorgung<br />

mit unentbehrlichen Arzneimitteln, <strong>die</strong><br />

Gehälter einiger unterstützender Mitarbeiter<br />

oder Anreize für <strong>die</strong> Mitarbeiter im<br />

Gesundheitsbereich. Die Mittel aus der<br />

Gemeinschaftsfinanzierung fließen nicht<br />

in <strong>die</strong> zentrale Finanzkasse, sondern bleiben<br />

in der Gemeinschaft und werden<br />

durch sie kontrolliert, durch ein auf lokaler<br />

Ebene gewähltes Gesundheitskomitee.<br />

Aus reinen Empfängern gesundheitlicher<br />

Versorgung werden aktive Partner, deren<br />

Stimme zählt.<br />

Nach zehn Jahren Umsetzung der Initiative<br />

hat <strong>die</strong> Gemeinschaftsaktion in den<br />

meisten ländlichen Gesundheitszentren in<br />

Benin und Guinea fast <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung<br />

in <strong>die</strong> Lage versetzt, <strong>die</strong>se Dien-<br />

Quelle: Mehrotra und Delamonica in (noch nicht veröffentlicht).<br />

ste regelmäßig zu nutzen. Es konnte dadurch<br />

auch der Grad an Immunisierungen<br />

angehoben und fast auf dem Niveau der<br />

für das Jahr 2000 festgelegten "Gesundheit<br />

für alle"-Zielvorgaben gehalten werden.<br />

Es wird in einigen Fällen als <strong>die</strong> erschwinglichste<br />

Option für <strong>die</strong> Ärmsten der<br />

Armen gesehen, geringe Gebühren von<br />

den Nutzern zu erheben, <strong>die</strong> sonst teurere<br />

Alternativen in Anspruch nehmen müssen<br />

— wenngleich nicht unbedingt geklärt ist,<br />

ob es Schutzmechanismen für mittellose<br />

Mitglieder der Gemeinschaft gibt.<br />

Ein großer Teil der Erfolge bestand<br />

darin, dass sichergestellt wurde, dass erschwingliche<br />

unentbehrliche Arzneimittel<br />

in den Gesundheitszentren ohne weiteres<br />

zur Verfügung stehen, unter dem prüfenden<br />

Blick der Komitees. Ein weiterer Faktor<br />

ist das Verhalten der Mitarbeiter im<br />

Gesundheitswesen — traditionell ein<br />

Grund für <strong>die</strong> Menschen, insbesondere<br />

Frauen, Gesundheits<strong>die</strong>nste nicht zu nutzen.<br />

Auch hier gab es Verbesserungen.<br />

Diese Erfahrung legt nahe, dass bei<br />

mangelnder staatlicher Finanzierung der<br />

Gesundheitsversorgung <strong>die</strong> Zusammenlegung<br />

von Ressourcen der Gemeinschaft<br />

und einige Vorauszahlungen durch <strong>die</strong> Armen<br />

ein fairer und effizienter Mechanismus<br />

zur Bereitstellung von Gesundheits<strong>die</strong>nsten<br />

für <strong>die</strong> Armen ist. In Gesundheitssystemen,<br />

in denen <strong>die</strong> Menschen für<br />

viele der Kosten der Gesundheitsleistungen<br />

aus eigener Tasche aufkommen müssen,<br />

ist der Zugang auf <strong>die</strong>jenigen beschränkt,<br />

<strong>die</strong> es sich leisten können zu bezahlen.<br />

Die Ärmsten werden dabei sehr<br />

wahrscheinlich ausgeschlossen. Die Fairness<br />

beim Schutz vor finanziellen Risiken<br />

erfordert also <strong>die</strong> größtmögliche Trennung<br />

von Beiträgen und Nutzung. Es gibt<br />

einen Konsens bezüglich der zentralen<br />

Rolle der staatlichen Finanzierung der öffentlichen<br />

Gesundheit. Doch für <strong>die</strong> persönliche<br />

Gesundheitsversorgung ist es<br />

nicht <strong>die</strong> öffentlich-private Dichotomie,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Leistung eines Gesundheitssystems<br />

am meisten bestimmt, sondern der Unterschied<br />

zwischen Vorauszahlungen und<br />

Barausgaben.<br />

auch geholfen, Gemeinschaften zu organisieren,<br />

um kommunale Gesundheitssysteme zu<br />

stützen ( siehe Kasten 5.5).<br />

In den meisten Entwicklungsländern gibt<br />

es im staatlichen Schulwesen auf der höheren<br />

Bildungsebene Spielraum für eine sehr viel<br />

umfassendere Kostendeckung. In den 1990er<br />

Jahren erhöhten Afrika und In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Kostendeckung<br />

der staatlichen Universitäten. 53<br />

Dennoch ist das Potenzial bei weitem noch<br />

nicht ausgeschöpft. Eine höhere Bildung bietet<br />

enorme private Vorteile, und <strong>die</strong> meisten,<br />

<strong>die</strong> dazu Zugang haben, sind nicht arm. Es<br />

gibt also Spielraum für sehr viel umfassendere<br />

Kostendeckung (kombiniert mit Ausnahmen<br />

für <strong>die</strong> Armen).<br />

In Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

ist <strong>die</strong> strategische Gebührenfestsetzung<br />

(bei der <strong>die</strong> Nutzungsgebühren mit<br />

höherem Nutzungsgrad steigen) verbunden<br />

mit gezielten Subventionen ein guter Weg, um<br />

mehr Menschen mit Wasser zu versorgen. Dabei<br />

spielt es keine Rolle, ob es sich um einen<br />

öffentlichen oder einen privaten Anbieter handelt.<br />

Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist höher,<br />

wenn man sich dabei an geographischen Kriterien<br />

orientiert (und auf Orte abzielt, wo <strong>die</strong><br />

Armen leben), als wenn man nach dem Einkommen<br />

geht.<br />

MIT DEN RISIKEN DER<br />

PRIVATISIERUNG UMGEHEN<br />

Internationale Institutionen, <strong>die</strong> sich für <strong>die</strong><br />

Privatisierung sozialer Dienstleistungen einsetzen,<br />

müssen vorher sehr viel mehr Unterstützung<br />

anbieten, um Regulierungskapazitäten<br />

aufzubauen. Die Weltbank verfolgt einige Initiativen<br />

in <strong>die</strong>sem Bereich, wie zum Beispiel<br />

das Internationale Forum zur Regulierung öffentlicher<br />

Versorgungsbetriebe (International<br />

Forum for Utility Regulation), das 1996 als<br />

<strong>über</strong>geordnete Struktur für Lern- und Vernetzungsinitiativen<br />

für Regulierungsbehörden der<br />

öffentlichen Versorgungsbetriebe geschaffen<br />

wurde. Doch <strong>die</strong> internationalen Organisationen<br />

sollten mehr tun, als nur Beratung anzubieten.<br />

Sie sollten auch Besuche von Mitarbeitern<br />

solcher Regulierungsbehörden aus Entwicklungsländern<br />

in anderen Länder ermögli-<br />

150 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


chen, <strong>die</strong> mehr Erfahrungen in der Regulierung<br />

des Privatsektors haben. Es besteht auch ein<br />

Bedarf, Muster-Klauseln für Kooperationen<br />

zwischen öffentlichen und privaten Trägern im<br />

Wasserbereich zu erarbeiten. Solche Klauseln<br />

würden auf den Erkenntnissen aufbauen, <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong>sem Kapitel vorgestellt wurden, so dass in<br />

zukünftigen Verträgen <strong>die</strong> Fallstricke der Vergangenheit<br />

vermieden werden können.<br />

Im Wasserbereich sind alle Einnahmen in<br />

einheimischer Währung. Auslandskredite zu<br />

be<strong>die</strong>nen beinhaltet daher ein Wechselkursrisiko<br />

sowohl für Schuldner als auch für Investoren.<br />

Dies wurde nach den Währungsabwertungen<br />

in Argentinien, Indonesien und den Philippinen<br />

zum Problem. Es wurde Druck auf <strong>die</strong><br />

Tochtergesellschaften im Wasserbereich ausgeübt,<br />

<strong>die</strong> Wassergebühren der Verbraucher<br />

anzuheben, um <strong>die</strong> Kredite zu be<strong>die</strong>nen. Deshalb<br />

sollten zentrale Regierungsbehörden <strong>die</strong><br />

Kommunalverwaltungen, <strong>die</strong> in der Regel für<br />

<strong>die</strong> Wasserversorgung verantwortlich sind,<br />

dazu anhalten, einheimische Kredite bei nationalen<br />

Entwicklungsbanken aufzunehmen.<br />

Allzu oft wird angenommen, dass <strong>die</strong> Beteiligung<br />

des Privatsektors im Wasserbereich <strong>die</strong><br />

Beteiligung multinationaler ausländischer Unternehmen<br />

bedeutet. In vielen Städten in Entwicklungsländern<br />

versorgen Kleinanbieter bedeutende<br />

Teile der Bevölkerung: in Delhi, In<strong>die</strong>n,<br />

sechs Prozent, in Dhaka, Bangladesch,<br />

zehn Prozent, in Ho Chi Minh Stadt, Vietnam,<br />

19 Prozent und in Jakarta/Indonesien 44 Prozent.<br />

54<br />

In allen Sektoren sollten Regulierungskapazitäten<br />

aufgebaut werden, bevor privatisiert<br />

wird. Sonst kann es passieren, dass der Privatsektor<br />

lediglich auf eine andere Nachfrage, nicht<br />

auf eine zusätzliche Nachfrage reagiert, sei es<br />

im Bildungswesen, in der klinischen Gesundheitsversorgung<br />

oder bei der Trinkwasser- und<br />

Sanitärversorgung. Mit besseren Informationen<br />

<strong>über</strong> den Privatsektor und leistungsfähigeren<br />

Regulierungskapazitäten kann der Staat sicherstellen,<br />

dass der Privatsektor bei der Bereitstellung<br />

und Finanzierung der sozialen<br />

Grundversorgung eine komplementäre Rolle<br />

spielt.<br />

PRIVATE FINANZIERUNG UND BEREITSTELLUNG VON GESUNDHEIT, BILDUNG UND WASSER 151


KAPITEL 6<br />

Staatliche Maßnahmen zur Sicherung der<br />

ökologischen Nachhaltigkeit<br />

Zur Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit<br />

– das siebte Millenniums-Entwicklungsziel<br />

– müssen nachhaltige Entwicklungsmuster<br />

erreicht und <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit natürlicher<br />

Ökosysteme für zukünftige Generationen<br />

bewahrt werden. Beide Aufgaben erfordern<br />

eine Vielzahl politischer Maßnahmen zur Beseitigung<br />

von Umweltschäden und zur Verbesserung<br />

des Ökosystem-Managements. Das<br />

Problem hat zwei Dimensionen: <strong>die</strong> Verringerung<br />

der natürlichen Ressourcenknappheit<br />

der Armen und <strong>die</strong> Beseitigung von Umweltschäden<br />

als Folge des hohen Konsums der<br />

Reichen.<br />

Viele Umweltprobleme entstehen durch<br />

<strong>die</strong> Produktions- und Konsummuster der<br />

Nicht-Armen, insbesondere in den reichen<br />

Ländern. Die reichen Länder verbrauchen<br />

eine große Menge fossiler Brennstoffe und erschöpfen<br />

viele Fischgründe. Damit schädigen<br />

sie <strong>die</strong> globale Umwelt. Sie verwenden auch<br />

tropische Harthölzer in großen Mengen und<br />

Produkte gefährdeter Arten.<br />

Um <strong>die</strong> Nachhaltigkeit der Erde und ihrer<br />

Ressourcen einschließlich der Aussichten der<br />

armen Länder auf Entwicklung zu gewährleisten,<br />

müssen <strong>die</strong>se schädlichen Produktionsund<br />

Konsummuster geändert werden. Systeme<br />

zur Energieerzeugung müssen wesentlich<br />

weniger Treibhausgase freisetzen. Fischgründe<br />

müssen entsprechend ihrer ökologischer<br />

Tragfähigkeit statt in einem hochgradig subventionierten<br />

allgemeinen Wettbewerb bewirtschaftet<br />

werden. Und internationale Spielregeln<br />

müssen den <strong>über</strong>mäßigen Verbrauch<br />

eindämmen, der Ökosysteme und bestimmte<br />

Pflanzen- und Tierarten bedroht. Mit klugen<br />

politischen Maßnahmen und neuen Technologien<br />

können <strong>die</strong> Kosten <strong>die</strong>ser Veränderungen<br />

gleichwohl relativ niedrig gehalten werden.<br />

Gleichzeitig beruhen viele Umweltprobleme<br />

aber auch auf Armut. Sie tragen zu einer<br />

Abwärtsspirale bei, in der Armut den Zustand<br />

der Umwelt noch weiter verschlechtert, und<br />

Schädigungen der Umwelt wiederum <strong>die</strong> Armut<br />

verschärfen. Beispielsweise gibt es in armen<br />

ländlichen Gebieten enge Zusammenhänge<br />

zwischen hoher Säuglingssterblichkeit, hoher<br />

Fruchtbarkeit, starkem Bevölkerungswachstum<br />

und umfangreicher Entwaldung, zum Beispiel<br />

wenn Bauern Tropenwälder fällen, um Brennholz<br />

und neue Anbauflächen zu gewinnen.<br />

Angesichts <strong>die</strong>ser Kausalkette können politische<br />

Maßnahmen zur Verringerung der<br />

Kindersterblichkeit der Umwelt nutzen, indem<br />

sie das Bevölkerungswachstum reduzieren<br />

und den demographischen Druck auf fragile<br />

Ökosysteme verringern. Es gibt zahlreiche<br />

weitere Beispiele dafür, dass Armut zur Schädigung<br />

der Umwelt beiträgt.<br />

Armutsbekämpfung kann deshalb eine<br />

wichtige Rolle beim Umweltschutz spielen.<br />

Von der Verschlechterung der Umweltbedingungen<br />

– einschließlich der Erschöpfung<br />

natürlicher Ressourcen und der Verschlechterung<br />

des Zustands von Ökosystemen und<br />

ihren Leistungen – sind <strong>die</strong> Armen am stärksten<br />

betroffen. Und wenn arme Menschen <strong>die</strong><br />

Umwelt schädigen, geschieht <strong>die</strong>s häufig, weil<br />

reiche Eliten ihnen ihre Rechte auf natürliche<br />

Ressourcen verwehren. In vielen Fällen werden<br />

<strong>die</strong> Armen beispielsweise auf Grenzertragsböden<br />

abgedrängt, <strong>die</strong> anfälliger für Umweltschäden<br />

sind. 1<br />

Weltweit leben 900 Millionen Menschen<br />

in ländlichen Gebieten in absoluter Armut.<br />

Hinsichtlich ihres Lebensunterhalts sind sie<br />

weitgehend auf den Verbrauch und den Verkauf<br />

von Naturprodukten angewiesen. In<br />

Tansania erwirtschaften <strong>die</strong> Armen bis zu<br />

50 Prozent ihres Geldeinkommens durch den<br />

Verkauf von Produkten des Waldes wie Holzkohle,<br />

Honig, Brennholz und wild wachsende<br />

Früchte. 2 Die am wenigsten entwickelten Län-<br />

Ziel 7: Sicherung der<br />

ökologischen<br />

Nachhaltigkeit<br />

Zielvorgabe 9: Die Grundsätze<br />

der nachhaltigen Entwicklung<br />

in einzelstaatliche Politiken<br />

und Programme einbauen<br />

und den Verlust von Umweltressourcen<br />

umkehren<br />

Zielvorgabe 10: Bis 2015 den<br />

Anteil der Menschen um <strong>die</strong><br />

Hälfte senken, <strong>die</strong> keinen<br />

nachhaltigen Zugang zu hygienischem<br />

Trinkwasser haben<br />

Zielvorgabe 11: Bis 2020<br />

eine erhebliche Verbesserung<br />

der Lebensbedingungen von<br />

mindestens 100 Millionen<br />

Slumbewohnern herbeiführen<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 153


KASTEN 6.1<br />

Wie globale Klimaveränderungen <strong>die</strong><br />

Entwicklungsländer bedrohen<br />

Globale Klimaveränderungen dürften <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />

Disparitäten zwischen reichen und<br />

armen Ländern vergrößern. Dies dürfte insbesondere<br />

für einen Temperaturanstieg gelten. Die geschätzten<br />

Schäden für arme Länder spiegeln teilweise<br />

ihre schwächeren Anpassungskapazitäten<br />

wider. Deshalb ist der Klimawandel ein wichtiges<br />

Entwicklungsthema.<br />

Der Klimawandel kann zu weitreichenden,<br />

möglicherweise irreversiblen Veränderungen von<br />

Umweltsystemen mit globalen und kontinentalen<br />

Auswirkungen führen. Obwohl <strong>über</strong> <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />

und <strong>die</strong> Reichweite <strong>die</strong>ser Auswirkungen<br />

wenig bekannt ist, werden sie beträchtlich<br />

sein und müssen deshalb bei der Entwicklung politischer<br />

Handlungskonzepte berücksichtigt werden.<br />

Zu den potenziellen Auswirkungen zählen:<br />

• Geringere Ernteerträge in den meisten tropischen<br />

und subtropischen Regionen und größere<br />

Schwankungen der landwirtschaftlichen Produktivität<br />

infolge extremer Wetterbedingungen (Dürren<br />

und Überschwemmungen).<br />

• Größere Schwankungen der Niederschlagsmenge<br />

während des Sommer-Monsuns in Asien,<br />

<strong>die</strong> zu einer geringeren Nahrungsmittelproduktion<br />

und einer Zunahme des Hungers führen könnten.<br />

• Schlechtere Verfügbarkeit von Wasser in vielen<br />

Regionen mit Wasserknappheit, insbesondere<br />

in subtropischen Regionen. Bessere Verfügbarkeit<br />

von Wasser in einigen Regionen mit Wasserknappheit,<br />

beispielsweise in Teilen Südostasiens.<br />

• Stärkere Zerstörung von Korallenriffen und<br />

Küstenökosystemen sowie Veränderungen von<br />

durch <strong>die</strong> Meere beeinflussten Wettermustern.<br />

• Anstieg des Meeresspiegels. Bei einem teilweise<br />

durch <strong>die</strong> globale Erwärmung bedingten Anstieg<br />

des Meeresspiegels um einen Meter könnten<br />

zwölf Prozent der Fläche von Ägypten, auf denen<br />

sieben Millionen Menschen leben, verschwinden.<br />

Bei einem Anstieg des Meeresspiegels könnten<br />

mehrere kleine Inselstaaten wie <strong>die</strong> Malediven<br />

und Tuvalu unbewohnbar und große Teile anderer<br />

Länder <strong>über</strong>flutet werden.<br />

• Zunehmende Gefährdung durch Krankheiten,<br />

bei denen <strong>die</strong> Infektion durch Überträger (Malaria,<br />

Dengue-Fieber) oder durch Wasser (Cholera)<br />

erfolgt.<br />

Quelle: IPCC 2001a, b; UNDP 1998.<br />

der sind am stärksten von der Landwirtschaft<br />

und von natürlichen Ressourcen abhängig.<br />

Wenn Entwicklungsländer sich in Bezug auf<br />

Exporteinnahmen jedoch auf Primärprodukte<br />

– aus der Agrar- und Forstwirtschaft, dem Abbau<br />

von Bodenschätzen, der Fischerei – stüt-<br />

zen, setzen sie sich den Risiken der Ressourcenerschöpfung<br />

und sich verschlechternder<br />

Austauschverhältnisse im Außenhandel aus.<br />

Die Beziehung zwischen Armut und Umweltressourcen<br />

hat auch eine starke geschlechtsspezifische<br />

Dimension. Arme Frauen<br />

und Mädchen leiden unverhältnismäßig stark<br />

unter der Verschlechterung des Zustands der<br />

Umwelt, weil häufig sie dafür verantwortlich<br />

sind, Brennmaterial und Futter zu sammeln<br />

und Wasser zu holen. In vielen Ländern müssen<br />

Frauen und Mädchen in ländlichen Gebieten<br />

auf Grund der fortschreitenden Entwaldung<br />

zum Sammeln von Brennholz immer<br />

größere Entfernungen zurückzulegen und immer<br />

mehr Zeit und Energie aufwenden. In<br />

Afrika brauchen sie allein zum Wasserholen<br />

bis zu drei Stunden täglich und verbrauchen<br />

dabei mehr als ein Drittel ihrer täglich aufgenommenen<br />

Menge an Nahrung. 3<br />

Die Armen leiden gewöhnlich am stärksten<br />

unter Luft- und Wasserverschmutzung.<br />

Sie wenden einen größeren Teil ihres Haushaltseinkommens<br />

für Energie auf, aber <strong>die</strong><br />

Leistungen, <strong>die</strong> sie erhalten, sind oft qualitativ<br />

minderwertig – beispielsweise Biomassebrennstoffe,<br />

<strong>die</strong> in ineffizienten, zur Umweltverschmutzung<br />

beitragenden Öfen verbrannt<br />

werden, oder Petroleumlampen, <strong>die</strong> mehr pro<br />

Einheit Beleuchtungsstärke kosten als Lampen,<br />

<strong>die</strong> <strong>über</strong> ein Stromnetz versorgt werden.<br />

Die Armen sind auch am anfälligsten für<br />

Umweltkatastrophen und -belastungen einschließlich<br />

Überschwemmungen, anhaltender<br />

Dürren und der sich abzeichnenden Auswirkungen<br />

globaler Klimaveränderungen (Kasten<br />

6.1). Zudem sind sie am wenigsten im Stande,<br />

solche Katastrophen und Belastungen zu<br />

bewältigen. Die Armen in ländlichen Trockengebieten<br />

in In<strong>die</strong>n bestreiten normalerweise<br />

etwa 20 Prozent ihres Einkommens aus Produkten<br />

wie wild wachsenden Früchten oder<br />

Honig, <strong>die</strong> mit der biologischen Vielfalt zusammenhängen.<br />

In Dürreperioden steigt der Anteil<br />

<strong>die</strong>ser Produkte auf mehr als 40 Prozent, weil<br />

angebaute Feldfrüchte ausfallen. 4<br />

Die ökologische Nachhaltigkeit zu vernachlässigen<br />

kann zu kurzfristigen wirtschaftlichen<br />

Vorteilen führen. Es kann jedoch den<br />

Armen schaden und auf lange Sicht <strong>die</strong> Ar-<br />

154 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


mutsbekämpfung untergraben. 5 Der enge Zusammenhang<br />

zwischen Armut und Umwelt<br />

macht es notwendig, das Augenmerk auf den<br />

Bedarf der Menschen zu richten, <strong>die</strong> für ihren<br />

Lebensunterhalt auf natürliche Ressourcen<br />

und Umweltleistungen angewiesen sind.<br />

Theoretisch und in der Praxis sollte UmweltmanagementErwerbsmöglichkeitenschaffen,<br />

<strong>die</strong> Eigentums- und Nutzungsrechte der<br />

Menschen stärken und ihre Teilhabe an politischen<br />

Entscheidungsprozessen fördern.<br />

Der Zusammenhang zwischen Armut und<br />

Umwelt gilt auch umgekehrt. Die Armen sind<br />

oft der Mittel und Rechte beraubt, um mit verbesserter<br />

Wasseraufbereitung und Sanitärversorgung,<br />

saubereren Energietechnologien und<br />

so weiter in <strong>die</strong> nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen<br />

investieren zu können. Den<br />

Armen fehlen auch <strong>die</strong> finanziellen Mittel, um<br />

in Substitute für Umweltleistungen investieren<br />

zu können.<br />

Immer weiter zunehmender Konsum schadet<br />

der Umwelt durch Schadstoffe – Emissionen<br />

und Abfälle. Die zunehmende Erschöpfung<br />

und Degradation erneuerbarer Ressourcen<br />

untergräbt ebenfalls <strong>die</strong> Möglichkeiten,<br />

daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten. In<br />

den letzten 50 Jahren haben sich <strong>die</strong> Kohlendioxidemissionen<br />

vervierfacht, wobei ein<br />

großer Teil des Zuwachses in den reichen Ländern<br />

anfiel. 1999 belief sich in den OECD-<br />

Ländern mit hohem Einkommen der Kohlendioxidausstoß<br />

auf mehr als 12 metrische Tonnen<br />

pro Kopf – verglichen mit 0,2 Tonnen in<br />

den am wenigsten entwickelten Ländern.<br />

Weil reiche Länder in höherem Maße zur<br />

globalen Verschlechterung des Zustands der<br />

Umwelt beitragen und <strong>über</strong> größere finanzielle<br />

sowie technologische Ressourcen verfügen,<br />

fällt ihnen ein großer Teil der Verantwortung<br />

zu, sich Umweltbelangen zu widmen. Die reichen<br />

Länder müssen auch den armen Ländern<br />

helfen, eine ökologisch nachhaltige Entwicklung<br />

zu verfolgen. Um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen, sind politische<br />

Maßnahmen erforderlich, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Komplementarität<br />

zwischen nachhaltiger Entwicklung<br />

und Umweltmanagement berücksichtigen und<br />

<strong>die</strong> Tradeoffs minimieren. Die ökologische<br />

Nachhaltigkeit sicherzustellen ist zweifelsohne<br />

TABELLE 6.1<br />

Warum das Erreichen des Umweltziels so wichtig für <strong>die</strong> anderen Ziele ist<br />

Ziel Zusammenhang mit der Umwelt<br />

1. Beseitigung der extremen Armut Der Lebensunterhalt und <strong>die</strong> Ernährungssicherheit<br />

und des Hungers der Armen hängen oft von den Gütern und Leistungen<br />

von Ökosystemen ab. Die Armen haben<br />

gewöhnlich unsichere Rechte an Umweltressourcen<br />

und unzureichenden Zugang zu Märkten, Entscheidungsprozessen<br />

und Umweltinformationen.<br />

Dies beschränkt ihre Fähigkeit, <strong>die</strong> Umwelt zu<br />

schützen sowie ihren Lebensunterhalt und ihr<br />

Wohlergehen zu verbessern. Der mangelnde Zugang<br />

zu Energieversorgung beschränkt zudem <strong>die</strong><br />

Möglichkeiten für produktive Aktivitäten, insbesondere<br />

in ländlichen Gebieten.<br />

2. Verwirklichung der allgemeinen Die Zeit, <strong>die</strong> damit verbracht wird, Wasser und<br />

Primarschulbildung Brennholz zu sammeln, verringert <strong>die</strong> für den<br />

Schulbesuch verfügbare Zeit. Außerdem halten<br />

fehlende Energie-, Trinkwasser- und Sanitärversorgung<br />

in ländlichen Gebieten qualifizierte Lehrer<br />

davon ab, Stellen in armen Dörfern anzunehmen.<br />

3. Förderung der Gleichstellung der Weil Frauen und Mädchen Wasser holen und<br />

Geschlechter und Ermächtigung Brennmaterial sammeln müssen, sind sie einer<br />

der Frau besonderen Belastung ausgesetzt. Dies verringert<br />

ihre Chancen auf Bildung, Alphabetisierung sowie<br />

Einkommen schaffende Aktivitäten und <strong>die</strong> Zeit,<br />

<strong>die</strong> sie dafür aufwenden können. Frauen haben<br />

oft ungleiche Rechte an und unsicheren Zugang<br />

zu Grund und Boden und anderen natürlichen<br />

Ressourcen. Dies beschränkt ihre Möglichkeiten<br />

und ihren Zugang zu anderen produktiven Aktiva.<br />

4. Senkung der Kindersterblichkeit Durch unsauberes Wasser und unzureichende Sanitärversorgung<br />

bedingte Krankheiten (wie Diarrhöe)<br />

und durch Umweltverschmutzung bedingte<br />

Infektionen der Atemwege zählen zu den Haupttodesursachen<br />

bei Kindern unter fünf Jahren. Der<br />

Mangel an Brennmaterial zum Abkochen von<br />

Wasser trägt ebenfalls zu vermeidbaren durch<br />

Wasser <strong>über</strong>tragenen Krankheiten bei.<br />

5. Verbesserung der Gesundheit von Verschmutzte Raumluft einzuatmen und schwere<br />

Müttern Wasser- und Brennholzlasten zu tragen schadet<br />

der Gesundheit von Frauen und kann ihre Gebärfähigkeit<br />

beeinträchtigen, was das Risiko von<br />

Schwangerschaftskomplikationen erhöht. Fehlende<br />

Energieversorgung für Beleuchtung und Kühlung<br />

sowie unzureichende Sanitärversorgung untergraben<br />

insbesondere in ländlichen Gebieten <strong>die</strong><br />

Gesundheitsversorgung.<br />

6. Bekämpfung wichtiger Krankheiten Bis zu 20 Prozent der Krankheitsbelastungen in<br />

Entwicklungsländern können auf umweltbedingte<br />

Risikofaktoren zurückgehen (wie bei Malaria und<br />

parasitären Infektionen). Präventivmaßnahmen zur<br />

Verringerung solcher Gefahren sind genauso<br />

wichtig wie <strong>die</strong> Behandlung – und oft kostengünstiger.<br />

Neue aus der biologischen Vielfalt gewonnene<br />

Arzneimittel bieten Aussichten auf <strong>die</strong> erfolgreiche<br />

Bekämpfung wichtiger Krankheiten.<br />

8. Aufbau einer weltweiten Viele globale Umweltprobleme – Klimaverände-<br />

Entwicklungspartnerschaft rungen, Verlust der Artenvielfalt, Erschöpfung der<br />

weltweiten Fischgründe – können nur durch Partnerschaften<br />

zwischen reichen und armen Ländern<br />

gelöst werden. Außerdem können Investitionen<br />

mit dem Ziel der Ausbeutung natürlicher Ressourcen<br />

in armen Ländern <strong>die</strong> Gefahr der Übernutzung<br />

von Umweltkapital stark erhöhen.<br />

Quelle: Auf der Grundlage von UNDP; DFID; World Bank.<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 155


eine Voraussetzung, um <strong>die</strong> anderen Ziele erreichen<br />

zu können (Tabelle 6.1).<br />

UMWELTRESSOURCEN<br />

Ökosysteme und natürliche Ressourcen sind für<br />

viele produktive Aktivitäten von grundlegender<br />

Bedeutung. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag<br />

zur Weltwirtschaft. Ende der 1990er Jahre<br />

bestritt <strong>die</strong> Landwirtschaft fast ein Viertel des<br />

Bruttoinlandsprodukts von Ländern mit niedrigem<br />

Einkommen. 6 Anfang der 1990er Jahre trugen<br />

forstwirtschaftliche Produkte 400 Milliarden<br />

US-Dollar zur Weltwirtschaft bei, und der<br />

Fischfang hatte im Jahr 2000 ein Exportvolumen<br />

von 55 Milliarden US-Dollar. 7<br />

Knappe natürliche Ressourcen und Belastungen<br />

von Ökosystemen zwingen armen Gemeinschaften<br />

oft ungewollte Tradeoffs auf.<br />

Eine Gemeinschaft kann mehr Nahrungsmittel<br />

erzeugen, indem sie Wald in Ackerland<br />

umwandelt. Dabei kann sie jedoch Umweltleistungen<br />

des Waldes in den Bereichen Nutzholz,<br />

biologische Vielfalt, Trinkwasser, Hochwasserregulierung<br />

und Schutz vor Trockenheiten<br />

einbüßen.<br />

NAHRUNGSMITTEL<br />

Menschen sind für ihr Wohlergehen auf natürliche<br />

Ressourcen und Umweltleistungen angewiesen,<br />

<strong>die</strong> ihnen helfen, Nahrungsmittel zu<br />

erzeugen. Menschen sind von Böden für den<br />

Anbau von Kulturpflanzen abhängig, von<br />

Weiden für <strong>die</strong> Viehzucht sowie von Binnengewässern<br />

und Meeren für den Fischfang. Ein<br />

großer Teil <strong>die</strong>ser Produktivität beruht auf genetischen<br />

Ressourcen. Über den Zeitraum von<br />

Jahrhunderten haben <strong>die</strong> Bauern einen lebenswichtigen<br />

Bestand an Wissen und Produktivität<br />

hervorgebracht, indem sie Vieh züchteten<br />

sowie Pflanzensorten selektierten, aufbewahrten<br />

und vermehrten. Die Vielfalt an genetischen<br />

Ressourcen ermöglicht den Bauern, sich<br />

an Umweltveränderungen anzupassen, indem<br />

sie neue Vieh- und Pflanzensorten züchten,<br />

<strong>die</strong> besser auf <strong>die</strong> neuen Bedingungen eingestellt<br />

sind. In Zeiten des Mangels bietet <strong>die</strong><br />

biologische Vielfalt der Wildnis ebenfalls<br />

Nahrungsmittel-Alternativen.<br />

WASSER<br />

Das Missmanagement und <strong>die</strong> Degradation<br />

natürlicher Ressourcen bedrohen <strong>die</strong> lebenswichtige<br />

Versorgung mit Wasser. Dies untergräbt<br />

das wirtschaftliche Wachstum, das <strong>menschliche</strong><br />

Wohlergehen und <strong>die</strong> Widerstandskraft<br />

der Umwelt. Etwa 1,7 Milliarden Menschen<br />

– ein Drittel der Bevölkerung der Entwicklungsländer<br />

– leben in Ländern mit so genanntem<br />

„Wasserstress“ (definiert alsLänder, in<br />

denen jedes Jahr mehr als 20 Prozent des erneuerbaren<br />

Süßwasservorrats entnommen werden).<br />

Wenn <strong>die</strong> aktuellen Trends anhalten, könnte<br />

<strong>die</strong>se Zahl bis zum Jahr 2025 auf 5,0 Milliarden<br />

Menschen steigen. 8 Der begrenzte Zugang zu<br />

Wasser schwächt <strong>die</strong> Entwicklungsaussichten<br />

vieler Länder, und Dispute <strong>über</strong> <strong>die</strong> Wassernutzung<br />

und -verteilung sind eine verbreitete<br />

Ursache internationaler Konflikte.<br />

ENERGIE<br />

Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keinen<br />

Zugang zu Strom und den damit verbundenen<br />

Leistungen wie Beleuchtung, Kühlung,<br />

Telekommunikation und mechanischer Antriebskraft.<br />

9 Diese Leistungen sind wichtige<br />

Voraussetzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen<br />

sowie für <strong>die</strong> Schaffung produktiver<br />

Erwerbsmöglichkeiten.<br />

In den ärmsten Ländern werden mehr als<br />

80 Prozent der Energie aus traditionellen<br />

Quellen wie Dung, Ernteabfällen und Brennholz<br />

erzeugt. 10 Ineffiziente Öfen und Heiztechnologien<br />

zwingen <strong>die</strong> Menschen häufig,<br />

traditionelle Brennmaterialien in einer Menge<br />

zu sammeln, <strong>die</strong> <strong>die</strong> natürliche Regeneration<br />

<strong>die</strong>ser Ressourcen <strong>über</strong>steigt, was eine Verschlechterung<br />

der Bodenqualität zur Folge<br />

hat. Wenn man mit solchen Brennmaterialien<br />

kocht, kann das dazu führen, dass extrem<br />

große Mengen gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe<br />

sowohl in <strong>die</strong> Raum- als auch in<br />

<strong>die</strong> Außenluft freigesetzt werden. Zu den Lösungen<br />

für solche Probleme gehört auch, Veränderungen<br />

der Muster des Energieverbrauchs<br />

in den reichen Ländern mit dem Einsatz<br />

kostengünstiger emissionsarmer Technologien<br />

in Entwicklungsländern zu verbinden.<br />

156 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Das Transportwesen ist der energieintensivste<br />

Sektor. Es stellt eine zentrale Herausforderung<br />

für nachhaltigen Energieverbrauch dar.<br />

Die Regierungen sollten Verbrauchern und Erzeugern<br />

Anreize bieten, auf effizientere Fahrzeuge<br />

umzusteigen und Ressourcen nachhaltiger<br />

zu nutzen. Eine wichtige Rolle kann der<br />

Benzinpreis spielen (der entscheidend von den<br />

darauf erhobenen Steuern abhängt). Die Benzinpreise<br />

in Kanada und den Vereinigten Staaten<br />

gehören zu den niedrigsten in OECD-Ländern<br />

und – was nicht verwundert – <strong>die</strong>se beiden<br />

Länder haben auch den höchsten Pro-<br />

Kopf-Verbrauch. Österreich und Japan zählen<br />

zu den Ländern mit den höchsten Benzinpreisen<br />

und einem Pro-Kopf-Verbrauch von einem<br />

Viertel des amerikanischen und einem Drittel<br />

des kanadischen Verbrauchs (Grafik 6.1). In<br />

In<strong>die</strong>n kostet Benzin (zum Devisenmarktkurs)<br />

viermal so viel wie in den Vereinigten Staaten.<br />

LEBENSUNTERHALT<br />

Durch natürliche Ressourcen und Umweltleistungen<br />

bestreiten viele Menschen unmittelbar<br />

ihren Lebensunterhalt. Dies gilt insbesondere<br />

für <strong>die</strong> Armen in ländlichen Gebieten, <strong>die</strong> am<br />

stärksten betroffen sind, wenn <strong>die</strong> Umwelt geschädigt<br />

oder der Zugang zu Umweltkapital<br />

eingeschränkt oder verwehrt wird. Wenn <strong>die</strong><br />

Gesundheit und <strong>die</strong> Produktivität der Umwelt<br />

erhalten werden, bieten natürliche Ressourcen<br />

und Umweltleistungen Freiräume bei der Entscheidung<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Art des Lebenserwerbs sowie<br />

Potenzial für Diversifizierung. Vielfalt ist<br />

wichtig, weil <strong>die</strong> Armen bei sich ändernden Bedingungen<br />

im Stande sein müssen, ihre Nutzung<br />

von natürlichen Ressourcen und Umweltleistungen<br />

zu diversifizieren. 11<br />

REAKTIONEN DER POLITIK<br />

Um mit dem Mangel der Armen an natürlichen<br />

Ressourcen umzugehen und <strong>die</strong> Umweltschäden<br />

infolge des zu hohen Konsums in den<br />

reichen Ländern zu beseitigen, sind politische<br />

Maßnahmen erforderlich. Dabei müssen <strong>die</strong><br />

Vielfalt der natürlichen Umwelt, <strong>die</strong> mannigfachen<br />

und unterschiedlichen Ursachen von<br />

Umweltschäden sowie <strong>die</strong> komplexen Zusam-<br />

Grafik 6.1<br />

In OECD-Ländern hängt ein höherer Benzinverbrauch mit<br />

niedrigeren Preisen zusammen, 2001<br />

Benzinverkaufspreis (in US-Dollar pro Liter) Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch (in Kilogramm)<br />

0,90 0,60 0,30 0<br />

0 300 600 900 1.200<br />

Vereinigte<br />

Staaten<br />

Kanada<br />

Quelle: IEA und OECD <strong>2003</strong>.<br />

Australien<br />

Schweiz<br />

Schweden<br />

Deutschland<br />

Österreich<br />

menhänge zwischen Armut und der Umwelt<br />

berücksichtigt werden. Außerdem sollten <strong>die</strong><br />

Erkenntnisse aus früheren Anstrengungen zur<br />

Verbesserung des Umweltmanagements genutzt<br />

werden.<br />

• Umweltmanagement kann nicht separat<br />

von anderen Entwicklungsbelangen behandelt<br />

werden. Um signifikante, dauerhafte Ergebnisse<br />

zu erzielen, muss es mit Bemühungen<br />

verknüpft werden, <strong>die</strong> darauf abzielen, <strong>die</strong> Armut<br />

zu mindern und nachhaltige Entwicklung<br />

zu erreichen. Die Verbesserung des Umweltmanagements<br />

zu Gunsten der Armen erfordert<br />

sektoren<strong>über</strong>greifende politische und<br />

institutionelle Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>über</strong>wiegend<br />

außerhalb der Kontrolle von Umweltinstitutionen<br />

liegen. Dazu zählen Veränderungen<br />

des Regierungs- und Verwaltungshandelns,<br />

wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen<br />

im eigenen Land und Maßnahmen<br />

der internationalen Gemeinschaft und der reichen<br />

Länder. 12<br />

• Eine erfolgreiche Umweltpolitik darf <strong>die</strong><br />

Armen nicht als Teil des Problems verstehen,<br />

sondern muss in ihnen einen Teil der Lösung<br />

erkennen (Kästen 6.2 und 6.3).<br />

• Umweltprobleme müssen als Teil des<br />

Wachstumsprozesses aktiv bewältigt werden.<br />

Mit Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt<br />

kann nicht gewartet werden, bis durch<br />

steigende Einkommen mehr Mittel für den<br />

Umweltschutz verfügbar werden.<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 157<br />

Japan


KASTEN 6.2<br />

Das Leben von Slumbewohnern verbessern<br />

Schätzungsweise ein Drittel der Stadtbewohner in Entwicklungsländern leben in Slums.<br />

Sie leiden unter Enge, schlechten Wohnbedingungen und unzureichendem Zugang zu<br />

Trinkwasser- und Sanitärversorgung. Eine hohe Krankheits- und Säuglingssterblichkeitsrate<br />

ist <strong>die</strong> Folge.<br />

Das rasche Wachstum der Städte lässt darauf schließen, dass sich <strong>die</strong> Probleme der<br />

Slumbewohner in den Großstädten verschlimmern werden, <strong>die</strong> ohnehin schon anfällig<br />

dafür sind. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass zwischen 2000 und 2010 85<br />

Prozent des Wachstums der Weltbevölkerung in Städten stattfinden werden, und zwar<br />

fast vollständig in Afrika, Asien und Lateinamerika. In den am wenigsten entwickelten<br />

Ländern und in Afrika südlich der Sahara lebten im Jahr 2001 mehr als 70 Prozent der<br />

Stadtbewohner in Slums. Ohne substanzielle Gegenmaßnahmen wird <strong>die</strong>se Zahl steigen.<br />

Das Millenniums-Entwicklungsziel 7 fordert, bis 2020 eine erhebliche Verbesserung<br />

der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern herbeizuführen.<br />

Traditionell haben <strong>die</strong> Geber dem Bedarf von Stadtbewohnern weniger Aufmerksamkeit<br />

gewidmet. Aber angesichts der zunehmenden Dringlichkeit, das rasche Wachstum der<br />

Städte zu steuern, beginnt sich <strong>die</strong>s zu ändern.<br />

Obwohl Großstädte häufig mit Umweltzerstörung in Verbindung gebracht werden,<br />

bietet ihre hohe Bevölkerungsdichte Chancen, wichtige Infrastruktur zu schaffen, wie Abwasserkanäle,<br />

Nahverkehrs<strong>die</strong>nste und Gesundheits<strong>die</strong>nste, und <strong>die</strong>s zu niedrigeren Pro-<br />

Kopf-Kosten als in ländlichen Gebieten. Ein städtisches Umfeld bietet auch bessere Chancen<br />

dafür, dass <strong>die</strong> Regierungen stärker auf den Bedarf der Menschen eingehen und dar<strong>über</strong><br />

Rechenschaft ablegen. Die Erfolge von Vereinigungen von Slumbewohnern auf der<br />

ganzen Welt, beispielsweise im indischen Mumbai oder im kenianischen Nairobi, legen den<br />

Schluss nahe, dass <strong>die</strong> höhere Bevölkerungsdichte und <strong>die</strong> größere Nähe zu den politischen<br />

Entscheidungsträgern armen Stadtbewohnern ermöglichen, sich Gehör zu verschaffen.<br />

Gesamt-, Stadt- und Slumbevölkerung, Mitte 2001<br />

Gesamt- Anteil der Anteil der Slumbewohner<br />

bevölkerung städtischen Slumbewohner in Städten<br />

Bevölkerung an der städtischen<br />

Bevölkerung<br />

Region (in Milliarden) (in Prozent (in Prozent) (in 1.000)<br />

Welt 6,1 47,7 31,6 923.986<br />

Reiche Regionen 1,2 75,5 6,0 54.068<br />

Entwicklungsregionen 4,9 40,9 43,0 869.918<br />

Nordafrika 0,2 52,0 28.2 21.355<br />

Afrika südlich der Sahara 0,7 34,6 71,9 166.208<br />

Lateinamerika und Karibik 0,5 75,8 31,9 127.567<br />

Ostasien und Ozeanien 1,4 39,0 36,3 194.323<br />

Süd- und Zentralasien 1,5 30,0 58,0 262.354<br />

Südostasien 0,5 38,3 28,0 56.781<br />

Westasien 0,2 64,9 33,1 41.331<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS 0,4 62,9 9,6 24.831<br />

Schätzungen des African Population and Health Research Center, in Zusammenarbeit mit UN-HABITAT.<br />

Quelle: UN-HABITAT 2002; UN 2002i.<br />

Sechs politische Prinzipien sollten <strong>die</strong><br />

Richtschnur für umweltpolitische Maßnahmen<br />

darstellen:<br />

• Die Leistungsfähigkeit der Institutionen<br />

muss erhöht und das Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />

verbessert werden.<br />

• Die ökologische Nachhaltigkeit muss Teil<br />

aller sektorpolitischen Maßnahmen sein.<br />

• Die Märkte müssen verbessert und umweltschädliche<br />

Subventionen abgeschafft werden.<br />

• Die internationalen Mechanismen für das<br />

Umweltmanagement müssen gestärkt werden.<br />

• Es muss in Wissenschaft und Technologien<br />

zu Gunsten der Umwelt investiert werden.<br />

• Die Bemühungen zur Erhaltung wichtiger<br />

Ökosysteme müssen verstärkt werden.<br />

DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT DER INSTITUTIONEN<br />

ERHÖHEN UND DAS REGIERUNGS- UND<br />

VERWALTUNGSHANDELN VERBESSERN<br />

Viele Umweltprobleme gründen auf institutionellen<br />

Mängeln und schlechtem Regierungsund<br />

Verwaltungshandeln. Drei Arten von institutionellen<br />

Mängeln sind für das Umweltmanagement<br />

von besonderer Bedeutung: unzureichende<br />

Eigentums- und Nutzungsrechte,<br />

unzureichende Informationen und Möglichkeiten<br />

der Teilhabe an Entscheidungsprozessen<br />

für lokale Interessengruppen sowie eine<br />

schwache Überwachung und Durchsetzung<br />

von Umweltschutznormen (Kasten 6.4).<br />

Auf der internationalen Ebene sind <strong>die</strong><br />

Bemühungen zur Entwicklung fairer, wirksamer<br />

Systeme zur Bewirtschaftung der globalen<br />

Ressourcen wie der Ozeane und zum Klimamanagement<br />

ein Zeichen für institutionelle<br />

Probleme und Probleme des Regierungs- und<br />

Verwaltungshandelns. Auf der nationalen<br />

Ebene sind schwache Eigentums- und Nutzungsrechte<br />

eine verbreitete Ursache von Umweltproblemen<br />

wie Entwaldung, Überweidung<br />

und Überfischung. Die Verwaltung des<br />

offenen Zugangs zu einer Allmende ist schwierig,<br />

weil sich <strong>die</strong> Entscheidungen von Individuen<br />

und Unternehmen an privaten Vor- und<br />

Nachteilen orientieren – und deshalb das<br />

Wohlergehen der Umwelt und der Gemeinschaft<br />

beeinträchtigen können.<br />

Um reagieren zu können, müssen <strong>die</strong><br />

Menschen vor Ort <strong>die</strong> Vollmacht für <strong>die</strong> Bewirtschaftung<br />

der Umweltsysteme haben, von<br />

denen ihr Lebensunterhalt abhängt. Wie?<br />

Einen Teil bildet <strong>die</strong> Klärung der gesamten<br />

Eigentums- und Nutzungsrechte an Allmen-<br />

158 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


den. Hierzu kann es erforderlich sein, Prinzipien<br />

und Institutionen zu ändern, <strong>die</strong> den Zugang<br />

zu Grund und Boden und natürlichen<br />

Ressourcen regeln. Ein anderer Teil betrifft<br />

<strong>die</strong> Stärkung der Eigentumsrechte von Frauen,<br />

weil Frauen im Allgemeinen für ihren Lebensunterhalt<br />

in einem höheren Maß auf Umweltressourcen<br />

angewiesen sind.<br />

Dezentralisierung kann das umweltbezogene<br />

Regierungs- und Verwaltungshandeln verbessern<br />

(siehe Kapitel 7). Sie sollte jedoch mit<br />

Bemühungen einhergehen, in der Gemeinschaft<br />

Kapazitäten zur Bewirtschaftung von<br />

Umweltressourcen aufzubauen und Einfluss<br />

auf <strong>die</strong> Planung und <strong>die</strong> Politik zu nehmen. Besonders<br />

wichtig ist, dass <strong>die</strong> Rechte von Randgruppen<br />

und indigenen Gruppen geachtet werden,<br />

<strong>die</strong> häufig einen Großteil ihres Einkommens<br />

aus natürlichen Ressourcen bestreiten.<br />

In vielen Entwicklungsländern werden<br />

natürliche Ressourcen durch Korruption geplündert.<br />

Davon profitieren einflussreiche Eliten<br />

auf Kosten der Armen, <strong>die</strong> auf solche Ressourcen<br />

angewiesen sind. Um <strong>die</strong> Korruption<br />

zu bekämpfen, muss das Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />

durch bessere Durchsetzung,<br />

strengere Strafen und größere Beteiligung der<br />

Gemeinschaft verbessert werden. In mehreren<br />

Ländern beurteilen <strong>die</strong> Bürger, wie gut Regierungen<br />

und Verwaltungen den Zugang zu den<br />

<strong>die</strong> Umwelt betreffenden Entscheidungsprozessen<br />

ermöglichen, und <strong>über</strong>wachen regelmäßig<br />

das umweltbezogene Regierungs- und<br />

Verwaltungshandeln. Beide Maßnahmen dürften<br />

weitere Fortschritte erleichtern. 13<br />

DIE ÖKOLOGISCHE NACHHALTIGKEIT IN<br />

ALLE SEKTORPOLITISCHEN MASSNAHMEN<br />

INTEGRIEREN<br />

Die meisten sektorpolitischen Maßnahmen<br />

haben auch Einfluss auf <strong>die</strong> Umwelt. Zu oft<br />

bleiben jedoch ökologische Erwägungen bei<br />

Beratungen <strong>über</strong> politische Handlungskonzepte<br />

unberücksichtigt. Mehr wissenschaftliche<br />

Beratung kann sicherstellen, dass das Verständnis<br />

der natürlichen Prozesse auf allen<br />

Ebenen Eingang in <strong>die</strong> politischen Prozesse<br />

findet. Wirtschaftliche Analysen mit Bewertungen<br />

des Umweltkapitals sollten bei Bera-<br />

KASTEN 6.3<br />

Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung am Naturschutz<br />

in Guanacaste, Costa Rica<br />

Seit Beginn der Arbeiten im Jahr 1985 gilt<br />

das Naturschutzgebiet Guanacaste (Area<br />

de Conservación Guanacaste – ACG) in<br />

Costa Rica als Beispiel für ein neues<br />

Schutzmodell. Es zeichnet sich durch dezentralisierte<br />

Entscheidungsprozesse aus,<br />

durch <strong>die</strong> Entschlossenheit, aus der Wildnis<br />

einen produktiven Vermögenswert zu<br />

machen, und durch das Ziel, den Naturschutz<br />

ökologisch nachhaltig zu gestalten.<br />

Das ACG wurde von der Organisation der<br />

Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft,<br />

Kultur und Kommunikation<br />

(UNESCO) zu einer Stätte des Weltnaturerbes<br />

erklärt. Das Schutzgebiet umfasst<br />

zwei Prozent des Staatsgebiets von Costa<br />

Rica und beherbergt mehr als 235.000 Arten<br />

– 65 Prozent der biologischen Vielfalt<br />

des Landes.<br />

Durch einen lokalen Beirat ist <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />

an Entscheidungen beteiligt,<br />

<strong>die</strong> das Schutzgebiet betreffen. Es ist<br />

einer der größten Arbeitgeber in der Region<br />

und beschäftigt nur costa-ricanische<br />

Staatsangehörige. In <strong>die</strong> Entwicklung des<br />

Schutzgebiets wurden mehr als 45 Millio-<br />

Quelle: Janzen 2000, S. 122–132; UNDP 2001a.<br />

nen US-Dollar investiert, und sein Jahresetat<br />

von 1,5 Millionen US-Dollar wird unmittelbar<br />

in dem Gebiet und den angrenzenden<br />

Städten ausgegeben. Ortsansässige<br />

Unternehmen profitieren vom Besucherstrom.<br />

Außerdem <strong>die</strong>nt das ACG als gute<br />

Basis für <strong>die</strong> angewandte Forschung, <strong>die</strong><br />

vom Nationalen Institut für biologische<br />

Vielfalt durchgeführt wird: Durch <strong>die</strong> Sanierung<br />

des Ökosystems des Waldes wird<br />

der Lebensraum vergrößert, der für <strong>die</strong><br />

Suche nach profitablen natürlichen Chemikalien<br />

zur Verfügung steht. Andere<br />

Umweltleistungen des ACG umfassen den<br />

Ökotourismus, <strong>die</strong> Wassererzeugung und<br />

<strong>die</strong> Speicherung von Kohlenstoff.<br />

Die wichtigsten Einsichten, <strong>die</strong> Guanacaste<br />

bietet, sind, dass das Management<br />

von Schutzgebieten vollständig auf<br />

der lokalen Ebene erfolgen muss und dass<br />

<strong>die</strong> Ressourcen geeignet sein müssen, um<br />

<strong>die</strong> Nachhaltigkeit <strong>die</strong>ser Gebiete zu gewährleisten.<br />

Das ACG verwaltet und entwickelt<br />

zwei Prozent des Landes ohne<br />

nennenswerte Kosten für <strong>die</strong> costa-ricanischen<br />

Steuerzahler.<br />

KASTEN 6.4<br />

Förderung von Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt – ein kreatives<br />

Steuerbeispiel aus Brasilien<br />

1992 führten <strong>die</strong> meisten brasilianischen<br />

Bundesstaaten eine Öko-Mehrwertsteuer<br />

(Imposto sobre Circulação de Mercadorias<br />

e Serviços Ecológico – ICMS-E) ein.<br />

Eine Abgabe auf Waren, Dienstleistungen,<br />

Energie und Kommunikation ist <strong>die</strong> größte<br />

Einnahmequelle in Brasilien. Ein Viertel<br />

der Einnahmen aus der Steuer geht an <strong>die</strong><br />

Kommunen, wobei <strong>die</strong> Zuweisungen an<br />

<strong>die</strong> einzelnen Kommunen auf ihrem Abschneiden<br />

bei diversen Umweltindikatoren<br />

beruhen. Die Bundesstaaten Paraná<br />

und Minas Gerais verteilen <strong>die</strong> Einnahmen<br />

beispielsweise auf der Grundlage des<br />

Flächenanteils der Schutzgebiete in jeder<br />

Kommune, gewichtet nach einem Naturschutzfaktor,<br />

bezogen auf den Schutz jedes<br />

Gebiets.<br />

Die ICMS-E sollte <strong>die</strong> Kommunen<br />

Source: May and others 2002.<br />

mit großen Schutzgebieten für Einnahmenausfälle<br />

entschädigen. Steuereinnahmen<br />

werden oft für den Unterhalt von Naturparks<br />

und Reservaten einschließlich der<br />

Beschaffung der Arbeitsgeräte und der<br />

Personalkosten verwendet.<br />

In einigen Bundesstaaten scheint <strong>die</strong><br />

Steuer zu einer beträchtlichen Zunahme<br />

der Anzahl und der Größe der Schutzgebiete<br />

geführt zu haben. Im Bundesstaat<br />

Paraná wurden zwischen 1991 und 2000<br />

mehr als eine Million Hektar neu als<br />

Schutzgebiete ausgewiesen – was eine Zunahme<br />

der unter Schutz gestellten Fläche<br />

von 165 Prozent bedeutet. Auch in Minas<br />

Gerais wurde sie im Zeitraum von 1995<br />

bis 2000 um mehr als eine Million Hektar<br />

ausgedehnt – ein Zuwachs von 62 Prozent.<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 159


tungen <strong>über</strong> politische Maßnahmen in allen<br />

Bereichen ebenfalls berücksichtigt werden.<br />

Sektorpolitische Maßnahmen mit beträchtlichen<br />

Auswirkungen auf <strong>die</strong> Umwelt sollten rigorosen<br />

Umweltverträglichkeitsprüfungen unterzogen<br />

werden. Außerdem sollten der Umweltschutz<br />

und das Umweltmanagement in<br />

Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung<br />

(Poverty Reduction Strategy Papers – PRSP)<br />

sowie in nationalen Entwicklungs- und Sektorstrategien<br />

explizit berücksichtigt werden. Nationale<br />

Regierungen, multilaterale Organisationen<br />

und bilaterale Hilfsorganisationen müssen<br />

Umweltverträglichkeitsprüfungen systematisch<br />

in ihre politischen Handlungskonzepte und<br />

Programme integrieren.<br />

Sozialpolitische Maßnahmen im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele haben<br />

auch Auswirkungen auf <strong>die</strong> Umweltqualität<br />

(siehe Kapitel 4). Investitionen in <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung, insbesondere in <strong>die</strong> Bildung<br />

von Frauen und Mädchen, bieten vielfältigen<br />

ökologischen Nutzen einschließlich eines<br />

verringerten Bevölkerungsdrucks. Deshalb<br />

muss bei umweltpolitischen Maßnahmen<br />

<strong>die</strong> geschlechtsspezifische Dimension des Zusammenhangs<br />

zwischen Armut und der Umwelt<br />

berücksichtigt werden, und sie muss in<br />

<strong>die</strong> Formulierung, Umsetzung und Überwachung<br />

von Strategien zur Armutsbekämpfung<br />

und damit zusammenhängenden politischen<br />

Reformen eingebunden werden.<br />

Rahmenbedingungen wie nationale Nachhaltigkeitsstrategien<br />

sollten unter Berücksichtigung<br />

der spezifischen Ressourcen und Belange<br />

eines Landes Leitlinien für <strong>die</strong> Bewirtschaftung<br />

natürlicher Ressourcen liefern. Viele nationale<br />

Umweltaktionspläne vernachlässigen<br />

deren Auswirkungen auf andere Sektoren und<br />

auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der Armen. Zur Verbesserung<br />

umweltpolitischer Entscheidungsprozesse<br />

sollten in solchen Pläne <strong>die</strong>se Belange – und<br />

ihr Beitrag zur Erreichung der Ziele – explizit<br />

berücksichtigt werden.<br />

DIE MÄRKTE VERBESSERN UND UMWELT-<br />

SCHÄDLICHE SUBVENTIONEN ABSCHAFFEN<br />

Die normalen Marktprozesse treiben private<br />

Gewinne und Sozialkosten auseinander, weil<br />

produktive Aktivitäten den wirtschaftlichen<br />

Akteuren häufig privaten Nutzen einbringen,<br />

der Gesellschaft aber Kosten auferlegen. Um<br />

private und staatliche Anreize mit der Notwendigkeit<br />

des Umweltschutzes in Einklang<br />

zu bringen, können deshalb Regulierungsmaßnahmen<br />

oder <strong>die</strong> Erhebung korrigierender<br />

Steuern erforderlich sein.<br />

Besonders schädlich sind staatliche Maßnahmen<br />

wie direkte oder versteckte Subventionen,<br />

<strong>die</strong> falsche Signale setzen, indem sie zu unangemessenen<br />

Preisen für Umweltressourcen<br />

führen. Der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen<br />

ist oft wesentlich kostengünstiger als<br />

<strong>die</strong> unmittelbare Regulierung wirtschaftlicher<br />

Aktivitäten. Umweltkosten in Marktpreisen zu<br />

berücksichtigen – durch Umweltabgaben und<br />

andere marktorientierte Maßnahmen – fördert<br />

umweltverträgliches Verhalten und <strong>die</strong> nachhaltige<br />

Nutzung natürlicher Ressourcen.<br />

Der Preis von Wasser zur Bewässerung ist<br />

ein wichtiges Beispiel. Obwohl das Wasser in<br />

vielen Ländern knapper wird, wird es gewöhnlich<br />

fast umsonst an <strong>die</strong> Verbraucher abgegeben.<br />

Dieser Ansatz fördert Verschwendung,<br />

erhöht <strong>die</strong> Durchnässung und Versalzung<br />

der Böden und führt dazu, dass <strong>die</strong> Bauern<br />

nicht in wassersparende Techniken investieren.<br />

Zu den umweltschädlichen Maßnahmen<br />

zählen auch Subventionen, <strong>die</strong> in großem<br />

Stil <strong>die</strong> kommerzielle Fischerei und Forstwirtschaft<br />

sowie den <strong>über</strong>mäßigen Einsatz landwirtschaftlicher<br />

Chemikalien wie Düngemittel<br />

und Pestizide fördern (Kästen 6.5 und 6.6).<br />

Den Spitzenplatz auf der Liste der schädlichen<br />

Subventionen halten jedoch Subventionen<br />

des Verbrauchs fossiler Brennstoffe.<br />

Weltweit <strong>über</strong>steigt ihr Umfang den der gesamten<br />

Entwicklungshilfe aus allen Quellen. 14<br />

Es herrscht zunehmend Einigkeit dar<strong>über</strong>,<br />

dass Energiesubventionen primär dazu <strong>die</strong>nen<br />

sollten, den Zugang zu Technologie, <strong>die</strong> Entwicklung<br />

und Verbreitung saubererer Brennstoffe<br />

sowie <strong>die</strong> Verbesserung der Endverbrauchseffizienz<br />

zu fördern – nicht jedoch den<br />

Verbrauch. Wie <strong>die</strong> Erfahrungen in einigen<br />

europäischen Ländern gezeigt haben, können<br />

angemessene Preise fossiler Brennstoffe ein<br />

wirksamer Anreiz sein, erneuerbare Energien<br />

stärker zu nutzen. Von den niedrigeren Ko-<br />

160 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


sten pro Einheit bei Technologien, <strong>die</strong> erneuerbare<br />

Energien nutzen, profitieren sowohl<br />

<strong>die</strong> reichen Länder als auch Entwicklungsländer,<br />

<strong>die</strong> ihre Einführung in Erwägung ziehen.<br />

Bei politischen Maßnahmen sollten auch<br />

<strong>die</strong> Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten<br />

auf <strong>die</strong> Umweltressourcen erfasst werden. In<br />

Volkseinkommensrechnungen (wie der Berechnung<br />

des BIP) sollte unterschieden werden<br />

zwischen Einkommen aus der nachhaltigen<br />

Nutzung natürlicher Ressourcen (nachhaltige<br />

Land- und Forstwirtschaft) und Einkommen<br />

aus Aktivitäten, <strong>die</strong> den Naturkapitalstock verringern<br />

(Abbau von Bodenschätzen oder Erdölförderung).<br />

Darin sollten auch <strong>die</strong> Auswirkungen<br />

wirtschaftlicher Aktivitäten auf <strong>die</strong><br />

Umweltqualität und <strong>die</strong> Produktivität, wie beispielsweise<br />

<strong>die</strong> Verschlechterung der Bodenoder<br />

Wasserqualität, berücksichtigt werden.<br />

Solche „ökologisierten“ volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtrechnungen stellen Umweltprobleme<br />

in einen Kontext, den Wirtschaftsministerien<br />

verstehen. Sie ermutigen auch Entscheidungsträger<br />

in Finanz- Planungs- und<br />

Fachministerien, der Verschlechterung des<br />

Zustands der Umwelt mehr Aufmerksamkeit<br />

zu widmen. Wenn man <strong>die</strong> Kosten von Umweltschäden<br />

und der Erschöpfung natürlicher<br />

Ressourcen erfasst, sinkt <strong>die</strong> Nettosparquote<br />

in Afrika südlich der Sahara für <strong>die</strong> meisten<br />

Jahre zwischen 1976 und 2000 vom positiven<br />

in den negativen Bereich.<br />

DIE INTERNATIONALEN MECHANISMEN FÜR<br />

DAS UMWELTMANAGEMENT STÄRKEN<br />

Umweltschäden machen selten an Staatsgrenzen<br />

halt, während der Wirkungskreis vieler<br />

umweltpolitischer Maßnahmen und Institutionen<br />

dort endet. Grenz<strong>über</strong>greifende Wassereinzugsgebiete,<br />

Fischgründe, Umweltverschmutzung<br />

und Klimaveränderungen sind<br />

Aufgaben für <strong>die</strong> Umweltpolitik, <strong>die</strong> von den<br />

Ländern gemeinsam bewältigt werden müssen.<br />

Denn das, was ein Land tut, hat Auswirkungen<br />

auf das Wohlergehen anderer. Die ungleiche<br />

Verteilung des Nutzens von Umweltleistungen<br />

und <strong>die</strong> innerstaatliche und zwischenstaatliche<br />

Aufteilung der Kosten ihrer Verwaltung erschweren<br />

das Problem zusätzlich.<br />

KASTEN 6.5<br />

Die Fischgründe der Welt – durch Subventionen zerstört<br />

Weltweit werden durch uneingeschränkten,<br />

mit technisch fortschrittlichen Methoden<br />

durchgeführten Fischfang <strong>die</strong> Fischbestände<br />

erschöpft. Schauplatz der Überfischung sind<br />

Asien, Teile Afrikas und Lateinamerikas sowie<br />

viele kleine Inselstaaten, wobei <strong>die</strong> Überfischung<br />

durch <strong>die</strong> Einheimischen oft durch<br />

Fangflotten aus reichen Ländern verschärft<br />

wird. Nach Angaben der Ernährungs- und<br />

Landwirtschaftsorganisation der Vereinten<br />

Nationen (FAO) werden mehr als ein Viertel<br />

der weltweiten Fischgründe <strong>über</strong>fischt oder<br />

erschöpft.<br />

Die weltweiten Subventionen des Fischfangs<br />

belaufen sich nach konservativen<br />

Schätzungen auf zehn bis 15 Milliarden US-<br />

Dollar jährlich. Dies entspricht etwa einem<br />

Viertel des Jahresvolumens des Fischhandels<br />

in Höhe von 56 Milliarden US-Dollar. Diese<br />

Kredite, Steueranreize und Direktzahlungen<br />

unterstützen vielfach in großer Entfernung<br />

eingesetzte Fangflotten, <strong>die</strong> im Verhältnis zu<br />

den verfügbaren Fischbeständen zu groß<br />

sind. Die Vereinigten Staaten zahlen etwa<br />

400.000 US-Dollar pro Boot, um ihren Fischern<br />

zu helfen, im Südpazifik Thunfisch zu<br />

fangen. 1996 wendete <strong>die</strong> Europäische Union<br />

252 Millionen US-Dollar – ein Drittel ihres<br />

Fischereihaushalts – für Abkommen auf,<br />

um ihren Flotten Zugang zu Fischgründen in<br />

entfernten Gewässern zu verschaffen. Die<br />

Europäische Union gibt auch weiterhin mehr<br />

für schädliche Subventionen aus, beispielsweise<br />

für den Bau neuer Boote oder <strong>die</strong> Modernisierung<br />

alter Boote (1,2 Milliarden Euro<br />

aus dem EU-Haushalt und aus nationalen<br />

Haushalten für den Zeitraum 2000 und<br />

2006), als für Bemühungen zur Verringerung<br />

der Fischerei (1,1 Milliarden Euro). Der<br />

Weltbank zufolge haben nur fünf Prozent<br />

der Fischereisubventionen ein positives Umweltziel.<br />

Die meisten führen zur Verringerung<br />

der Fischbestände und schaden den<br />

Ökosystemen der Meere.<br />

Quelle: Institute for European Environmental Policy 2002; WWF 1998; IFPRI 2001; Milazzo 1998.<br />

KASTEN 6.6<br />

1998 verpflichteten sich <strong>die</strong> in der Gruppe<br />

der G-8 zusammengeschlossenen Länder<br />

(Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada,<br />

<strong>die</strong> Russische Föderation, das Vereinigte<br />

Königreich und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten)<br />

dem Schutz der Wälder <strong>die</strong>ser Welt. Einige<br />

G-8-Mitglieder subventionieren jedoch<br />

weiterhin <strong>die</strong> Holzindustrie. Damit untergraben<br />

sie den Waldschutz und beschleunigen<br />

den Verlust von Wäldern.<br />

Zu den am meisten verbreiteten Subventionen<br />

zählen niedrige Gebühren für Holz<br />

verarbeitende Unternehmen, <strong>die</strong> alte, urwaldähnliche<br />

(„old growth“) Wälder auf öffentlichem<br />

Grund und Boden abholzen, Steuerabschreibungen<br />

für Holz verarbeitende Unternehmen,<br />

Bau von Straßen durch den Staat<br />

zum Zweck des Holzeinschlags und kostenfrei<br />

für <strong>die</strong> Unternehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Straßen nutzen,<br />

sowie direkte Zuschüsse für Holz verarbeitende<br />

Unternehmen, beispielsweise zu den<br />

Planungskosten. Japan, Kanada und <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten zahlen unter den G-8-Ländern<br />

<strong>die</strong> höchsten Subventionen. Unter den<br />

europäischen Mitgliedern ist Frankreich das<br />

einzige Land mit Direktinvestitionen in Holz<br />

verarbeitende Unternehmen.<br />

Die Subventionen Kanadas belaufen<br />

sich auf zwei bis 2,7 Milliarden US-Dollar<br />

Quelle: Sizer 2000; Myers und Kent 1998.<br />

Abholzung der Wälder – mit Subventionen<br />

jährlich. Japan subventioniert Sägewerke,<br />

<strong>die</strong> importierte Stämme aus urwaldähnlichen<br />

Wäldern in Kanada, Sibirien und anderen<br />

Regionen verarbeiten. Dar<strong>über</strong> hinaus<br />

unterstützen <strong>die</strong> japanischen Exportförderungsagenturen<br />

Programme, <strong>die</strong> in Australien,<br />

Indonesien und anderen Ländern urwaldähnliche<br />

Wälder zerstören und traditionellen<br />

Gemeinschaften schaden. In den<br />

Vereinigten Staaten kosteten zwischen 1992<br />

und 1997 Holzverkaufsprogramme in nationalen<br />

Wäldern <strong>die</strong> Steuerzahler insgesamt<br />

mehr als zwei Milliarden US-Dollar.<br />

Frankreich baut Straßen und tätigt damit zusammenhängende<br />

Investitionen in <strong>die</strong><br />

Holzindustrie in ökologisch empfindlichen<br />

Gebieten Zentralafrikas. Zahlreiche Stu<strong>die</strong>n<br />

haben gezeigt, dass solche Straßenbaumaßnahmen<br />

schwerwiegende Schäden der<br />

tropischen Primärwälder in der Region nach<br />

sich ziehen. In den Wäldern in der Russischen<br />

Föderation ist der illegale Holzeinschlag<br />

in großem Maßstab verbreitet. Auf<br />

solche Aktivitäten keine Steuern und Lizenzgebühren<br />

zu erheben ist eine Form von<br />

Subvention, <strong>die</strong> nur dadurch ein wenig relativiert<br />

wird, dass wirtschaftliche Aktivitäten<br />

in <strong>die</strong>sem Land mit hohen Risiken verbunden<br />

sind.<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 161


KASTEN 6.7<br />

Mehrere internationale Umweltabkommen<br />

haben <strong>die</strong> Aufmerksamkeit auf <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

eines globalen Umweltmanagements<br />

gelenkt. Die Umsetzung <strong>die</strong>ser Abkommen<br />

könnte jedoch verbessert werden. Der<br />

Bedarf der Armen sollte stärker in den Vordergrund<br />

gerückt werden, insbesondere was<br />

das Erreichen der Ziele angeht. Es muss auch<br />

mehr getan werden, um <strong>die</strong> Kapazitäten der<br />

Entwicklungsländer zur Umsetzung <strong>die</strong>ser<br />

Abkommen und zu ihrer Einbindung in natio-<br />

Politische Reaktionen auf den Klimawandel<br />

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

spricht vieles ausdrücklich dafür, sofort zu<br />

handeln, um <strong>die</strong> Treibhausgasemissionen<br />

zu reduzieren, <strong>die</strong> <strong>die</strong> globale Erwärmung<br />

verursachen. Das Kyoto-Protokoll von<br />

1997 bürdet den größten Teil <strong>die</strong>ser Aufgabe<br />

den reichen Ländern auf, weil in <strong>die</strong>sen<br />

Ländern zwar nur 16 Prozent der<br />

Weltbevölkerung leben, sie jedoch für 51<br />

Prozent <strong>die</strong>ser Emissionen verantwortlich<br />

sind.<br />

In dem Protokoll werden <strong>die</strong> reichen<br />

Länder aufgefordert, <strong>die</strong> Kohlendioxidemissionen<br />

bis 2008/2012 um mindestens<br />

fünf Prozent zu verringern, ausgehend von<br />

ihrem Niveau von 1990. Die Befürworter<br />

des Protokolls betrachten <strong>die</strong>se Verringerung<br />

als einen wichtigen Schritt zur Abschwächung<br />

der Folgen des Klimawandels.<br />

Die Gegner kritisieren <strong>die</strong> unnötig hohen<br />

Umsetzungskosten – da der Emissionshandel<br />

Beschränkungen unterliegt – und <strong>die</strong><br />

fehlenden Begrenzungen der Emissionen<br />

in armen Ländern. Ein weiterer Kritikpunkt<br />

ist, dass das Protokoll selbst bei<br />

vollständiger Umsetzung bis zum Jahr 2100<br />

nur zu einer Verringerung der globalen<br />

Durchschnittstemperatur um weniger als<br />

0,15 Grad Celsius führen würde.<br />

Die Vereinigten Staaten, <strong>die</strong> für ein<br />

Viertel der globalen Emissionen von Treibhausgasen<br />

verantwortlich sind, haben <strong>die</strong><br />

Ratifizierung des Protokolls verweigert.<br />

Ohne US-amerikanische Beteiligung kann<br />

wahrscheinlich kein internationales Abkommen<br />

<strong>die</strong> Bedrohung der globalen Erwärmung<br />

deutlich verringern. Es bedarf jedoch<br />

der internationalen Zusammenarbeit,<br />

um dem Privatsektor, den Verbrauchern<br />

und den Regierungen Anreize zu bieten,<br />

<strong>die</strong> Treibhausgasemissionen zu verringern.<br />

Um <strong>die</strong> Akzeptanz des Protokolls zu<br />

erhöhen, sollte mehr Aufmerksamkeit darauf<br />

verwendet werden, <strong>die</strong> Kosten der<br />

Bekämpfung des Klimawandels zu minimieren.<br />

Es wäre auch wichtig, den Mechanismus<br />

für umweltverträgliche Entwicklung<br />

(Clean Development Mechanism) zu<br />

nutzen, der es erlaubt, durch innovative<br />

internationale Handelssysteme <strong>die</strong> Kohlenstoffemissionen<br />

zu verringern.<br />

Dar<strong>über</strong> hinaus eröffnen sich auch<br />

jenseits der Bestimmungen des Kyoto-Protokolls<br />

Möglichkeiten für langfristige Verringerungen<br />

der Treibhausgasemissionen<br />

in reichen und armen Ländern:<br />

• Die Entwicklung sauberer Energietechnologien<br />

(Solar- oder Windenergie,<br />

Brennstoffzellen, Wasserkraft, geothermische<br />

Energie), <strong>die</strong> wenig oder gar kein<br />

Kohlendioxid freisetzen. Um <strong>die</strong>se Technologien<br />

unter Kostenaspekten wettbewerbsfähig<br />

zu machen, muss der Staat<br />

mehr in <strong>die</strong> Forschung und Entwicklung<br />

investieren und <strong>die</strong> Subventionen fossiler<br />

Brennstoffe abbauen.<br />

• Entwicklung sicherer und wirtschaftlicher<br />

Technologien für <strong>die</strong> Kohlenstoffspeicherung,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Freisetzung von<br />

Kohlendioxid in <strong>die</strong> Atmosphäre verhindern.<br />

Zu den vielversprechenden Beispielen<br />

zählen natürliche Kohlenstoffsenken<br />

wie Wälder, <strong>die</strong> Versenkung von Kohlenstoff<br />

in der Tiefsee oder in Bergwerken sowie<br />

<strong>die</strong> chemische Bindung von Kohlendioxid<br />

in Form thermodynamisch stabiler<br />

Metallkarbonate.<br />

• Verbesserung der Energieeffizienz<br />

durch effizientere Fahrzeuge, Elektrogeräte,<br />

Lampen und Industriemotoren sowie<br />

durch verringerte Leitungsverluste bei der<br />

Übertragung elektrischer Energie.<br />

Quelle: UN 1997; Nordhaus und Boyer 1999, S. 93–130; World Bank <strong>2003</strong>i; Baumert et al. 2002.<br />

nale politische Handlungskonzepte aufzubauen.<br />

Möglicherweise sind neue institutionelle<br />

Mechanismen zur Koordination nationaler<br />

politischer Maßnahmen als Reaktion auf regionale<br />

und globale Umweltprobleme erforderlich.<br />

Für ein länder<strong>über</strong>greifendes Umweltmanagement<br />

muss <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

gestärkt werden. Die Länder entlang des<br />

Rheins zeigen, wie bei der Verwaltung eines<br />

internationalen Wassereinzugsgebiets Kosten<br />

und Nutzen geteilt werden können.<br />

Zwischenstaatliche Prozesse sind im Allgemeinen<br />

schwierig zu organisieren und nur<br />

langsam umzusetzen. Sie sind jedoch der einzige<br />

realistische Weg, um mit grenz<strong>über</strong>greifender<br />

Umweltverschmutzung und der Verschlechterung<br />

des Zustands von Ökosystemen<br />

umzugehen. Internationale Abkommen könnten<br />

<strong>die</strong> Belastungen gerecht verteilen und sicherstellen,<br />

dass der Nutzen eines besseren<br />

Umweltmanagements den Menschen vor Ort<br />

zukommt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> unmittelbaren Kosten des<br />

Schutzes von Umweltressourcen tragen, und<br />

denen Chancen entgehen. Das Montrealer<br />

Protokoll – das internationale Abkommen<br />

zum Schutz der Ozonschicht – war ein durchschlagender<br />

Erfolg der globalen Umweltpolitik.<br />

Seine Umsetzung wurde allerdings dadurch<br />

begünstigt, dass kostengünstige Alternativen<br />

zu Substanzen, <strong>die</strong> zur Zerstörung der<br />

Ozonschicht führen, zur Verfügung stehen. So<br />

waren weniger umfangreiche Verhandlungen<br />

zur Kosten- und Nutzenteilung zwischen den<br />

reichen und den armen Ländern erforderlich.<br />

Die reichen Länder erzeugen den Großteil<br />

der Emissionen, <strong>die</strong> zur globalen Erwärmung<br />

führen. Ihre Auswirkungen sind jedoch <strong>über</strong>all<br />

auf der Welt spürbar. Bislang waren <strong>die</strong><br />

Fortschritte bei der Begrenzung <strong>die</strong>ser Emissionen<br />

allerdings uneinheitlich (Kasten 6.7).<br />

IN WISSENSCHAFT UND TECHNOLOGIEN ZU<br />

GUNSTEN DER UMWELT INVESTIEREN<br />

Mit den verfügbaren Technologien lässt sich<br />

kostengünstig sehr viel gegen komplexe Umweltprobleme<br />

unternehmen. Es müssen jedoch<br />

Mittel und Wege gefunden werden, <strong>die</strong>se<br />

Technologien den Menschen zur Verfü-<br />

162 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


gung zu stellen, <strong>die</strong> sie am meisten benötigen.<br />

In vielen armen Ländern werden hierzu <strong>die</strong> institutionellen<br />

Kapazitäten für <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

im Technologie-Bereich signifikant gestärkt<br />

werden müssen.<br />

Um <strong>die</strong> Technologien für <strong>die</strong> Bekämpfung<br />

von Umweltproblemen zu verbessern, ist eine<br />

drastische Umorientierung der Forschungsund<br />

Entwicklungspolitik nötig. In den reichen<br />

Ländern sind <strong>die</strong> öffentlichen Investitionen in<br />

<strong>die</strong> Forschung und Entwicklung im Energiebereich<br />

– auch zu erneuerbaren Energien – in den<br />

letzten zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen.<br />

15 Angesichts der Notwendigkeit, auf Klimaveränderungen<br />

zu reagieren, sind höhere Investitionen<br />

erforderlich, um <strong>die</strong> Märkte für<br />

Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien<br />

zu erweitern und <strong>die</strong> Kosten pro Einheit<br />

zu senken. Dies würde den reichen Ländern<br />

nutzen und den armen Ländern ermöglichen,<br />

<strong>die</strong> gleichen Lösungen einzuführen.<br />

Das wissenschaftliche Verständnis der Natur<br />

ist beträchtlich, aber bemerkenswert Vieles<br />

bleibt weiterhin unbekannt. Noch gibt es keinen<br />

Mechanismus zur Überwachung großer<br />

Ökosysteme und ihrer Fähigkeit, benötigte Güter<br />

und Leistungen dauerhaft bereitzustellen.<br />

Um große Ökosysteme wie Küstenlebensräume,<br />

große Wassereinzugsgebiete und Feuchtgebiete<br />

systematisch <strong>über</strong>wachen zu können, sollte<br />

ein Lebensbeobachtungssystem („Life Observatory“)<br />

eingerichtet werden. Es könnte bereits<br />

bestehende Systeme wie das Globale Terrestrische<br />

Beobachtungssystem, das Globale<br />

Klimabeobachtungssystem und das Globale<br />

Meeresbeobachtungssystem ergänzen.<br />

Das Lebensbeobachtungssystem sollte auf<br />

der Millenniums-Bewertung der Ökosysteme<br />

(Millennium Ecosystem Assessment) aufbauen,<br />

einer vierjährigen Bestandsaufnahme des<br />

besten verfügbaren Wissens <strong>über</strong> <strong>die</strong> weltweiten<br />

Ökosysteme und <strong>die</strong> von ihnen erbrachten<br />

Leistungen, an der sich mehr als 1.500 Wissenschaftler<br />

beteiligen. Das Lebensbeobachtungssystem<br />

würde sicherstellen, dass <strong>die</strong>se Analysen<br />

ständig aktualisiert werden, um <strong>die</strong> langfristigen<br />

Auswirkungen <strong>menschliche</strong>r Aktivitäten<br />

auf bestimmte Ökosysteme zu erfassen.<br />

Um Maßnahmen entwickeln zu können,<br />

benötigen politische Entscheidungsträger zu-<br />

verlässige wissenschaftliche Vorhersagen bezüglich<br />

der von Menschen verursachten Umweltveränderungen.<br />

Umweltindikatoren, <strong>die</strong> es<br />

ermöglichen, Veränderungen der Umwelt präzise<br />

zu verfolgen, sollten entwickelt und in nationale<br />

politische Handlungskonzepte eingebunden<br />

werden. Bei Langzeitplanungen sollten<br />

<strong>die</strong> prognostizierten Veränderungen des Klimas<br />

und bestimmter Ökosysteme berücksichtigt<br />

werden, um beurteilen zu können, wie <strong>die</strong>se<br />

Trends <strong>die</strong> Fortschritte und den Bedarf im<br />

Entwicklungsbereich beeinflussen werden.<br />

DIE BEMÜHUNGEN ZUR ERHALTUNG<br />

WICHTIGER ÖKOSYSTEME VERSTÄRKEN<br />

Die Ausweisung von Naturschutzgebieten ist<br />

oft der beste Weg, um <strong>die</strong> Artenvielfalt und<br />

wichtige Ökosysteme zu erhalten. Mehr als<br />

60 Prozent der terrestrisch lebenden Arten<br />

finden sich in 25 Ökoregionen auf einer<br />

Fläche von knapp mehr als einem Prozent der<br />

Erdoberfläche. Diese Regionen mit großer<br />

biologischer Vielfalt sind extrem großen Gefahren<br />

ausgesetzt, <strong>die</strong> bereits einen Verlust<br />

von 70 Prozent der ursprünglichen Vegetation<br />

verursacht haben. 16<br />

Für <strong>die</strong> Regierungen der Welt, für Wissenschaftler<br />

und andere wichtige Interessengruppen<br />

liegt <strong>die</strong> größte Chance zur Erhaltung der<br />

biologischen Vielfalt darin, Prioritäten festzulegen<br />

und bei gemeinsamen Zielen zusammenzuarbeiten.<br />

Die Schutzbemühungen sind dann<br />

am wirksamsten, wenn Experten aus einem<br />

breiten Spektrum an Fachgebieten sie in<br />

Rücksprache mit der Bevölkerung vor Ort<br />

entwickeln.<br />

Mit gut bewirtschafteten Schutzgebieten<br />

lassen sich beträchtliche Einnahmen aus dem<br />

Tourismus und durch innovative Finanzmechanismen<br />

wie Zahlungen für <strong>die</strong> Leistungen<br />

von Ökosystemen erzielen. Die Menschen vor<br />

Ort, insbesondere <strong>die</strong> Armen, sollten als Teil<br />

der Lösung betrachtet werden – nicht als Teil<br />

des Problems. Menschen, <strong>die</strong> für ihren Lebensunterhalt<br />

auf Schutzgebiete angewiesen sind,<br />

müssen aus ihnen Nutzen ziehen und haben<br />

ein Interesse an ihrem dauerhaften Erfolg. Andernfalls<br />

werden solche Schutzbemühungen<br />

nicht tragfähig sein.<br />

Mit den verfügbaren<br />

Technologien lässt sich<br />

kostengünstig sehr viel<br />

gegen komplexe<br />

Umweltprobleme<br />

unternehmen<br />

STAATLICHE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT 163


KAPITEL 7<br />

Unterstützung für <strong>die</strong> Ziele an der Basis<br />

mobilisieren<br />

Männer und Frauen haben das Recht, in<br />

Würde und Freiheit – von Hunger und der<br />

Furcht vor Gewalt, Unterdrückung oder<br />

Ungerechtigkeit – ihr Leben zu leben und<br />

ihre Kinder zu erziehen. Diese Rechte werden<br />

am besten durch eine demokratische<br />

und partizipatorische Staatsführung auf<br />

Grundlage des Willens des Volkes gewährleistet<br />

—Millenniums-Erklärung der<br />

Vereinten Nationen, S. 2<br />

Für <strong>die</strong> Umsetzung der Politiken und Interventionen,<br />

<strong>die</strong> erforderlich sind, um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen, ist das<br />

Engagement aller politischen Führungskräfte<br />

erforderlich. Jedoch sind dazu auch <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

des politischen Drucks, eine<br />

breite Unterstützung in der Bevölkerung und<br />

Mechanismen für ein effektives Erbringen von<br />

Dienstleistungen vonnöten. Für eine solche<br />

Mobilisierung der Bevölkerung und ein partizipatorisches<br />

Engagement der Bürger ist ein offener<br />

demokratischer Staat von entscheidender<br />

Bedeutung, der <strong>die</strong> bürgerlichen und politischen<br />

Rechte garantiert, damit <strong>die</strong> arme Bevölkerung<br />

Druck auf <strong>die</strong> politischen Führungskräfte<br />

ausüben kann, ihren Bekenntnissen zu<br />

den Zielen auch Taten folgen zu lassen.<br />

Bei seiner Ernennung zum Präsidenten hat<br />

Luiz Inacio „Lula“ da Silva in Brasilien feierlich<br />

gelobt, bis zum Jahr 2005 mit seiner<br />

„Fome Zero“ (Kein Hunger mehr)-Politik den<br />

Hunger zu beseitigen. 1 Diese Art politische<br />

Dynamik, Unterstützung und Mobilisierung<br />

ist für <strong>die</strong> Ziele von entscheidender Bedeutung<br />

und <strong>die</strong> brasilianische Initiative wird weit<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Halbierung des Anteils der hungernden<br />

Bevölkerung (Ziel 1) hinaus gehen. Eine<br />

solche Mobilisierung auf der Grundlage der<br />

Ziele sollte <strong>über</strong>all ermutigt und unterstützt<br />

werden. Die politischen Führungskräfte soll-<br />

ten in der Lage sein, <strong>die</strong> Ziele für eine Strukturierung<br />

ihrer politischen Plattformen und<br />

Kampagnenmanifeste zu benutzen, und <strong>die</strong><br />

Wählerschaft sollte <strong>die</strong> Leistungen ihrer politischen<br />

Führer daran messen können, inwieweit<br />

Fortschritte im Hinblick auf <strong>die</strong> Ziele zu<br />

verzeichnen sind.<br />

In vielen Ländern werden schon entsprechende<br />

Anstrengungen unternommen:<br />

• In Kambodscha und Niger haben <strong>die</strong> politischen<br />

Führer politische Plattformen und<br />

Programme formuliert, in <strong>die</strong> mehrere Anliegen<br />

aus dem Umfeld der Millenniumsziele mit<br />

aufgenommen wurden.<br />

• In Chile wird <strong>die</strong> öffentliche Debatte um<br />

<strong>die</strong> Ziele vorangetrieben, und sie spielen in<br />

den parlamentarischen Diskussionen eine zentrale<br />

Rolle.<br />

• In Paraguay ist es traditionell üblich, <strong>die</strong><br />

Kommunen bei der Prioritätensetzung in Bezug<br />

auf Entwicklungsfragen zu beteiligen, das<br />

beinhaltet auch <strong>die</strong> Schulung von kommunalen<br />

Führungskräften.<br />

• Albanien hat für das Follow-Up zu seinem<br />

Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Umsetzung der Ziele eine<br />

Strategie entwickelt, <strong>die</strong> auch regionale Lobbyveranstaltungen<br />

vorsieht, und plant, ein Forum<br />

für zivilgesellschaftliche Organisationen<br />

einzurichten.<br />

• Polen hat vor, <strong>die</strong> Bemühungen zur Armutsbekämpfung<br />

und zum Umweltschutz in<br />

seine nationale Strategie zur Erreichung der<br />

Ziele zu integrieren.<br />

• Kenia fördert Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen zur Umsetzung<br />

der Ziele. Die Ziele werden auch bei einem nationalen<br />

Treffen von Akteuren, <strong>die</strong> an der Ausarbeitung<br />

der kenianischen Armutsbekämpfungsstrategie<br />

(Poverty Reduction Strategy<br />

Paper - PRSP) beteiligt sind, eine Rolle spielen.<br />

• Der nationale Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung 2002 in Sambia legt den<br />

Es besteht das Risiko,<br />

dass <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele von<br />

Interessengruppen<br />

unterminiert werden, <strong>die</strong><br />

Widerstand gegen eine<br />

Politik leisten, <strong>die</strong> darauf<br />

abzielt, <strong>die</strong> ärmsten, am<br />

äußersten Rand ihrer<br />

Gesellschaft lebenden<br />

Mitglieder wieder mit<br />

Ressourcen auszustatten<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 165


Ob <strong>die</strong> Ziele umgesetzt<br />

werden können, hängt<br />

zum Teil vom politischen<br />

Umfeld vor Ort ab –<br />

davon, ob es für <strong>die</strong><br />

Bürger gangbare Wege<br />

gibt, an der politischen<br />

Entscheidungsfindung<br />

mitzuwirken, sei es durch<br />

formelle demokratische<br />

Strukturen oder durch<br />

direkte Mobilisierung und<br />

gemeinsame Aktivitäten<br />

Schwerpunkt auf Armut und Hunger und<br />

sorgt dafür, dass <strong>die</strong>se Themen in <strong>die</strong> öffentlichen<br />

und politischen Debatten einfließen. 2<br />

Es besteht das Risiko, dass <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

von Interessengruppen<br />

unterminiert werden, <strong>die</strong> Widerstand gegen<br />

eine Politik leisten, <strong>die</strong> darauf abzielt, <strong>die</strong><br />

ärmsten, am äußersten Rand ihrer Gesellschaft<br />

lebenden Mitglieder wieder mit Ressourcen<br />

auszustatten. Es ist eher <strong>die</strong> Regel als<br />

<strong>die</strong> Ausnahme, dass in städtischen Gebieten<br />

mehr Schulen und Krankenhäuser gebaut<br />

werden als in armen Dörfern auf dem Land<br />

und dass arme Bevölkerungsgruppen oft<br />

mehr für Wasser bezahlen als reiche (siehe<br />

Kapitel 4).<br />

Es ist ebenfalls oft der Fall, dass eine Prioritätensetzung<br />

zugunsten der Armen – wie beispielsweise<br />

in den Bereichen gesundheitliche<br />

Grundversorgung und Bildung – politisch wenig<br />

Beachtung findet. Je ausgeprägter <strong>die</strong> Ungleichheit<br />

in einer Gesellschaft ist, desto unwahrscheinlicher<br />

ist es, dass in solch einer Gesellschaft<br />

dauerhafte politische Unterstützung<br />

für <strong>die</strong> Ziele mobilisiert werden kann, denn<br />

<strong>die</strong> politische Macht liegt üblicherweise in den<br />

Händen weniger und ist teilweise deckungsgleich<br />

mit wirtschaftlichem Reichtum und sozialer<br />

Dominanz. In ungleichen Gesellschaften<br />

ist es auch viel unwahrscheinlicher, dass <strong>die</strong><br />

ärmsten Bevölkerungsschichten von Fortschritten<br />

bei der Umsetzung der Ziele unter<br />

Federführung der Eliten profitieren. Zudem<br />

können trotz Fortschritten auf gesamtnationaler<br />

Ebene weiterhin große Teile der Bevölkerung<br />

von den Erfolgen ausgeschlossen bleiben,<br />

wie beispielsweise in Brasilien, China, In<strong>die</strong>n<br />

und anderswo (siehe Kapitel 2).<br />

Wenn man solche Ungleichheiten beseitigen<br />

will, muss politischer Druck ausgeübt<br />

werden, und <strong>die</strong> Bevölkerung muss Forderungen<br />

an <strong>die</strong> Entscheidungsträger stellen. Aber<br />

selbst wenn Ressourcen neu verteilt werden<br />

und der politische Druck Erfolg hat, besteht<br />

auch noch das Risiko, dass keine Mechanismen<br />

für eine effektive Umsetzung geschaffen<br />

werden. Die grundlegenden öffentlichen<br />

Dienstleistungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Befriedigung der<br />

Bedürfnisse der ärmsten Menschen am wichtigsten<br />

sind – Gesundheitsstationen, Schulen,<br />

Handpumpen, Steigrohre für Wasserleitungen<br />

oder Brunnen – werden üblicherweise von<br />

Bürokraten und Regierungsangestellten verwaltet,<br />

<strong>die</strong> innerhalb der vertikalen Hierarchie<br />

der staatlichen Ministerien nur ihren Vorgesetzten<br />

gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig sind.<br />

Diese Bürokraten und Regierungsangestellten<br />

haben den Kommunen oder Wohnbezirken<br />

gegen<strong>über</strong>, für <strong>die</strong> sie zuständig sind, selten<br />

ein Gefühl der Rechenschaftspflicht oder der<br />

Zugehörigkeit. Wenn sie dagegen von den vor<br />

Ort gewählten Kommunalbehörden zur Verantwortung<br />

gezogen werden könnten, würden<br />

<strong>die</strong> Dienstleistungen mit größter Wahrscheinlichkeit<br />

effektiver erbracht. Effektives und<br />

verantwortliches Verhalten kann durch Anreize<br />

und Tadel vor Ort gefördert werden.<br />

Die Millenniums-Entwicklungsziele sind<br />

politische Verpflichtungen auf nationaler Ebene,<br />

mit denen gewöhnliche Bürger ihre Politiker<br />

wirksam zur Rechenschaft ziehen können.<br />

Die Ziele sind faszinierend, denn in ihnen<br />

kommen <strong>die</strong> Träume der einfachen Bevölkerung<br />

zum Ausdruck: eine Schule in der Nähe<br />

zu haben, mit Lehrern, <strong>die</strong> auch tatsächlich<br />

zur Arbeit erscheinen, und mit Büchern und<br />

Stiften für <strong>die</strong> Schüler. Wenigstens eine Handpumpe<br />

zu besitzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen mit sauberem<br />

Trinkwasser versorgt und <strong>die</strong> für Frauen<br />

und Kinder problemlos zu Fuß zu erreichen<br />

ist. Eine Gesundheitsstation vor Ort zu<br />

haben, <strong>die</strong> <strong>über</strong> eine Ausstattung mit Medikamenten<br />

verfügt und an der ein Arzt und eine<br />

Krankenschwester arbeiten.<br />

Um das Potenzial der Ziele wirklich zu<br />

nutzen, müssen sich arme Menschen jedoch<br />

organisieren und gemeinsame Aktivitäten ergreifen.<br />

Das ist nicht einfach, denn arme Menschen<br />

sind in der Regel nicht so gut organisiert<br />

oder in der Lage, ihre Anliegen zu artikulieren.<br />

Sie erhalten nicht so einfach Zugang zu öffentlichen<br />

Dienstleistungen und Rechtsschutz, haben<br />

selten Verbindungen zu einflussreichen<br />

Personen und sind am ehesten von wirtschaftlichen<br />

Einbrüchen betroffen.<br />

Ob <strong>die</strong> Ziele umgesetzt werden können,<br />

hängt zum Teil vom politischen Umfeld vor<br />

Ort ab – davon, ob es für <strong>die</strong> Bürger gangbare<br />

Wege gibt, an der politischen Entscheidungsfindung<br />

mitzuwirken, sei es durch formelle de-<br />

166 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 7.1<br />

Madhya Pradesh und Rajasthan – Bildungspolitik mit Resultaten<br />

Madhya Pradesh und Rajasthan – zwei der ärmsten<br />

Staaten In<strong>die</strong>ns mit den verheerendsten sozialen Indikatoren<br />

des Landes – haben ihr Schulwesen für<br />

Arme umgewandelt. Wie kam das?<br />

Im Jahr 1994 war Madhya Pradesh das erste<br />

Bundesland in In<strong>die</strong>n, das das wieder neu geschaffene<br />

kommunale Verwaltungssystem – <strong>die</strong> panchayati<br />

raj-Institutionen – einführte. Die politische<br />

Führung der panchayat machte gemeinsam mit der<br />

Landesregierung <strong>die</strong> Grundschulbildung zu einem<br />

zentralen Anliegen. Von 1991 bis 2001 konnte Madhya<br />

Pradesh seine Alphabetisierungsrate um 20 Prozentpunkte<br />

(von 44 Prozent auf 64 Prozent) steigern.<br />

Die Alphabetisierungsraten in Rajasthan stiegen<br />

auf ganz ähnliche Weise um 22 Prozentpunkte<br />

(von 39 Prozent auf 61 Prozent). Eindeutig waren<br />

damit zwei Regierungen auf dem richtigen Weg.<br />

In Rajasthan wurden <strong>die</strong> Erfolge bei der Verbesserung<br />

der Alphabetisierung auf ganz ähnliche<br />

Weise durch das Shiksha Karmi-Projekt im Jahr<br />

1987 und das Lok Jumbish-Projekt 1992 enorm<br />

vorangetrieben. Diese Projekte stießen landesweite<br />

Prozesse an, <strong>die</strong> zur Einführung von Dorf-Bildungsräten<br />

führten, in denen alle Gruppen der Dorfbevölkerung,<br />

einschließlich der Frauen und der meisten<br />

Kasten vertreten waren. Diese Räte fällten Beschlüsse<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Einrichtung kommunaler Schulen,<br />

<strong>die</strong> Überprüfung der Leistungen von Lehrern und<br />

Schülern und warben auch finanzielle Mittel dafür<br />

ein.<br />

In Madhya Pradesh zeigten partizipatorisch angelegte<br />

Untersuchungen auf Dorf- und panchayat-<br />

Ebene, <strong>die</strong> von der Lok Sampark Abhiyan (Public<br />

Interaction Campaign) durchgeführt wurden, dass<br />

es anders als dem Anschein nach in früher von Lehrern<br />

vorgelegten Unterlagen keine hohen Schulabbrecherraten<br />

gab. Stattdessen wurde deutlich, dass<br />

bereits <strong>die</strong> Einschulungsraten äußerst niedrig waren.<br />

Dies hatte unterschiedliche Ursachen, nicht zuletzt<br />

das Problem des Zugangs zu Schulen.<br />

Die Politik reagierte darauf mit der Einführung<br />

eines Programms, das allen Siedlungen – und nicht<br />

nur allen Dörfern – <strong>die</strong> Einrichtung einer Grundschule<br />

garantierte. Dieses Bildungs-Garantie-Programm<br />

sieht vor, dass <strong>die</strong> Landesregierung innerhalb<br />

von 90 Tagen das Gehalt eines Lehrers auf unterster<br />

Gehaltsstufe zur Verfügung stellen muss,<br />

Quelle: Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht), Institute of Development Stu<strong>die</strong>s <strong>2003</strong>.<br />

mokratische Strukturen oder durch direkte<br />

Mobilisierung und gemeinsame Aktivitäten<br />

(Kasten 7.1). Die politischen Prozesse, <strong>die</strong> für<br />

arme Menschen am wichtigsten sind, finden<br />

auf lokaler Ebene statt, denn dort haben <strong>die</strong><br />

Menschen <strong>die</strong> besten Chancen, <strong>die</strong> Regierungen<br />

zur Verantwortung zu ziehen.<br />

wenn <strong>die</strong> Eltern von 40 Kindern in einer Siedlung<br />

(25 in einem Stammesgebiet) eine Schule für ihre<br />

Kinder brauchen. Der Dorf-panchayat kann dafür<br />

den Lehrer aus der Dorfgemeinschaft rekrutieren<br />

und anstellen. Er muss auch Räumlichkeiten bereit<br />

stellen, in denen Lehrer <strong>die</strong> Kinder unterrichten<br />

können.<br />

Während in den 50 Jahren seit der Unabhängigkeit<br />

in Madhya Pradesh 80.000 Schulen als Bestandteil<br />

des regulären Grundschulbildungssystems<br />

der Regierung eröffnet worden waren, wurden in<br />

den drei Jahren nach der Verkündung des Programms<br />

(im Januar 1997) 30.000 neue Schulen eingerichtet.<br />

Besonders wichtig dabei ist, dass das Programm<br />

zu einer enormen Steigerung der Einschulung<br />

bei Kindern aus der Stammesbevölkerung geführt<br />

hat – genau <strong>die</strong> Kinder, deren Einschulungsraten<br />

innerhalb der anfälligsten Bevölkerungsgruppen<br />

am niedrigsten waren. Es führte auch zu einem<br />

<strong>über</strong>proportionalen Zuwachs bei der Einschulung<br />

von Mädchen.<br />

Aus dem Bildungs-Garantie-Programm können<br />

Lehren für ähnliche Situationen <strong>über</strong>all auf der<br />

Welt gezogen werden. Die Forderung der Kommunen<br />

nach Schulen löste das Handeln der Regierung<br />

aus. Während <strong>die</strong> Landesregierungen <strong>die</strong> Lehrer bezahlen<br />

und ausbilden, schlägt <strong>die</strong> Kommune geeignete<br />

Personen aus der Dorfgemeinschaft vor und<br />

stellt <strong>die</strong> Räumlichkeiten für den Unterricht zur<br />

Verfügung. Der Erfolg des Programms zeigt, dass<br />

selbst bei stark begrenzten finanziellen Mitteln eine<br />

Veränderung der Politik und innovative partizipatorische<br />

Prozesse mit Rechenschaftspflicht Verbesserungen<br />

für <strong>die</strong> arme Bevölkerung mit sich bringen.<br />

Das Programm war so erfolgreich, dass eine nationale<br />

Kampagne "Bildung für Alle" in Angriff genommen<br />

wurde. Ein entscheidender Faktor wurde<br />

in <strong>die</strong>sem nationalen Plan jedoch <strong>über</strong>sehen: Die 90-<br />

Tage-Grenze, innerhalb derer sicher gestellt werden<br />

sollte, <strong>die</strong> Gehälter der Lehrer zu bezahlen. Durch<br />

<strong>die</strong>se Änderung in der Projektplanung entfiel <strong>die</strong><br />

Verpflichtung der Regierung zur Zahlung innerhalb<br />

eines klar definierten Zeitrahmens, und der nationale<br />

Plan kam – absehbar – zum Stillstand. Um einen<br />

Projektanstatz erfolgreich nachzuahmen, müssen<br />

alle seine Erfolgsvoraussetzungen <strong>über</strong>nommen<br />

werden.<br />

Die großen politischen Reformen der letzten<br />

Jahrzehnte haben solche Ergebnisse realisierbarer<br />

gemacht. In den achtziger und neunziger<br />

Jahren war bei der Verbreitung der Demokratie<br />

weltweit eine enorme Steigerung zu<br />

verzeichnen. Etwa 81 Länder – 29 in Afrika<br />

südlich der Sahara, 23 in Europa, 14 in Lat-<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 167


Wo Dezentralisierung<br />

funktioniert, hat es<br />

beeindruckende Erfolge<br />

gegeben<br />

einamerika, 10 in Asien und 5 in den arabischen<br />

Staaten – unternahmen Schritte in Richtung<br />

Demokratisierung. 3 Im Zuge <strong>die</strong>ser politischen<br />

Veränderungen wurde auch eine stärkere<br />

Dezentralisierung eingeleitet und neue<br />

soziale Bewegungen entstanden, <strong>die</strong> den Bürgern<br />

neue Möglichkeiten zu kollektiven Aktivitäten<br />

boten. In <strong>die</strong>sem Kapitel werden <strong>die</strong>se<br />

beiden politischen Entwicklungen untersucht,<br />

um daraus Schlüsse für politische Reformen<br />

und für soziale Aktivitäten zu ziehen, aus denen<br />

<strong>die</strong> erforderliche politische Dynamik entsteht,<br />

um <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen.<br />

DEZENTRALISIERUNG – IHRE<br />

ENTSTEHUNG, IHRE ROLLE, IHRE<br />

POLITISCHEN ERFORDERNISSE<br />

In den letzten Jahren hat ein breites Spektrum<br />

von Ländern – Transformations- und Entwicklungsländer,<br />

solvente und insolvente, autoritäre<br />

und demokratische, mit linken oder<br />

rechten Regierungen oder Regierungen der<br />

politischen Mitte – mit Dezentralisierungsmaßnahmen<br />

begonnen. Seit den frühen achtziger<br />

Jahren sind entsprechende Reformen in<br />

Regimen eingeführt worden, <strong>die</strong> von Monarchien<br />

<strong>über</strong> Militärdiktaturen und von Einparteiensystemen<br />

bis hin zu Mehrparteiendemokratien<br />

reichen.<br />

Dezentralisierung setzt eine Zentralregierung<br />

voraus, <strong>die</strong> einen Teil ihrer politischen<br />

Autorität auf lokale Einheiten <strong>über</strong>trägt und,<br />

was das Entscheidende ist, einen Teil ihrer<br />

Ressourcen und administrativen Verantwortlichkeiten.<br />

Diese lokalen Einheiten sind dann<br />

für einige grundlegende öffentliche Dienstleistungen<br />

und Funktionen zuständig. In mehr<br />

als 60 Ländern sind zu <strong>die</strong>sem Zweck kommunale<br />

Räte mit einer ganzen Reihe von Zuständigkeiten<br />

geschaffen worden. 4 Und in Lateinamerika<br />

werden jetzt, mit Ausnahme einiger<br />

weniger kleiner Länder, fast alle legislativen<br />

und exekutiven Behörden in 13 000 kommunalen<br />

Verwaltungseinheiten gewählt. 5<br />

Es wird gemeinhin angenommen, dass Dezentralisierung<br />

<strong>die</strong> Beteiligung der Bevölkerung<br />

bei der politischen Entscheidungsfindung<br />

stärkt, weil dadurch <strong>die</strong> Regierung den<br />

Menschen nähergebracht wird – sie wird zugänglicher<br />

und erfährt mehr <strong>über</strong> <strong>die</strong> lokalen<br />

Gegebenheiten und geht daher mehr auf <strong>die</strong><br />

Wünsche der Bevölkerung ein. Gibt es für <strong>die</strong>se<br />

Annahme aber tatsächlich Beweise? Und<br />

was noch wichtiger ist, trägt <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

von Autorität und Ressourcen dazu bei,<br />

Fortschritte bei der Agenda im Interesse der<br />

armen Bevölkerung zu erzielen?<br />

WARUM IST DEZENTRALISIERUNG<br />

NOTWENDIG?<br />

Dort wo <strong>die</strong> Dezentralisierung funktioniert<br />

hat (und das ist eine beachtliche Leistung) –<br />

wie in Teilen von Botsuana, Brasilien, Kolumbien,<br />

Jordanien, Südafrika und vielen Staaten<br />

in In<strong>die</strong>n (Karnataka, Kerala, Madhya Pradesh,<br />

Rajasthan, West Bengalen) – hat es beeindruckende<br />

Erfolge gegeben, so zum Beispiel:<br />

• Schnellere Reaktionen auf lokale Bedürfnisse.<br />

Die Kommunalbehörden handeln<br />

in der Regel eher auf Grundlage von Interessen<br />

und Bedingungen vor Ort und müssen<br />

nicht mehr auf eine Genehmigung von höherer<br />

Ebene warten, bevor sie handeln können.<br />

Die Dezentralisierung gibt auch den Frauen<br />

Gelegenheit, auf lokaler Ebene mitzuwirken<br />

und ermöglicht daher einen Ansatz der Politikformulierung<br />

und –umsetzung, bei dem geschlechtsspezifische<br />

Fragestellungen mehr<br />

Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, dass<br />

Gesundheitsprogramme der Regierung eher<br />

angenommen werden, da Berater vor Ort besser<br />

als Bürokraten in der Lage sind, den Sinn<br />

<strong>die</strong>ser Programme so zu erklären, dass ihn <strong>die</strong><br />

Bevölkerung vor Ort auch versteht – was entscheidend<br />

zum Erfolg der gesundheitsbezogenen<br />

Millenniums-Entwicklungsziele beiträgt.<br />

• Mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz<br />

und weniger Korruption. Da durch Dezentralisierung<br />

in der Regel <strong>die</strong> Transparenz<br />

gefördert wird, sinken oftmals in Ländern, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Dezentralisierung vorantreiben, <strong>die</strong> Geldsummen,<br />

<strong>die</strong> durch Korruption von Entwicklungsprogrammen<br />

abgezweigt werden. Eine<br />

neuere Stu<strong>die</strong> in 55 Ländern ergab, dass <strong>die</strong><br />

Dezentralisierung der Regierungsausgaben<br />

eng mit einer Reduzierung der Korruption in<br />

168 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


der Bürokratie und einem gesunkenen Profitstreben<br />

in der Privatwirtschaft verknüpft ist –<br />

so bleiben mehr Mittel übrig, <strong>die</strong> für grundlegende<br />

Dienstleistungen für arme Menschen<br />

ausgegeben werden können. 6<br />

• Besseres Erbringen von Dienstleistungen.<br />

Dezentralisierung sorgt oft für eine<br />

Verringerung der Dienstabwesenheit von<br />

Regierungsangestellten in kommunalen Schulen<br />

und Gesundheitsstationen, denn gewählte<br />

kommunale Vertreter, bei denen sich <strong>die</strong><br />

Wählerschaft beschwert, können für Disziplin<br />

sorgen. Auf <strong>die</strong>se Weise trägt eine Reduzierung<br />

der Dienstabwesenheit zur kostenneutralen<br />

Verbesserung der grundlegenden<br />

Dienstleistungen bei – was für das Erreichen<br />

der Ziele im Bereich Gesundheit und Bildung<br />

von entscheidender Bedeutung ist. 7 Eine stärkere<br />

Rechenschaftspflicht ermutigt auch <strong>die</strong><br />

Menschen vor Ort, <strong>die</strong> Umsetzung von Programmen<br />

aufmerksam zu verfolgen und zu<br />

protestieren, wenn Regierungsangestellte<br />

schlechte Leistungen erbringen.<br />

• Besserer Informationsfluss. Die Dezentralisierung<br />

sorgt dafür, dass Regierungsangestellte<br />

rechtzeitig vor möglichen Katastrophen<br />

– Ausbruch von Krankheiten, Überschwemmungen,<br />

Dürren – gewarnt sind und ermöglicht<br />

es den mit entsprechenden Befugnissen<br />

ausgestatteten kommunalen Behörden,<br />

schnelle Gegenmaßnahmen zu ergreifen.<br />

• Mehr nachhaltige Projekte. Die Dezentralisierung<br />

sorgt für mehr Nachhaltigkeit bei<br />

Entwicklungsprojekten, denn <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit<br />

ist größer, dass <strong>die</strong> Menschen<br />

vor Ort bei ihrer Entwicklung, Umsetzung<br />

und Überprüfung miteinbezogen sind (siehe<br />

Kapitel 4). 8 Hinzu kommt, dass ein Haushaltsund<br />

Buchhaltungsansatz, der <strong>die</strong> Beteiligung<br />

der Betroffenen bei der Entscheidungsfindung<br />

einschließt, <strong>die</strong> Effizienz und Transparenz<br />

fördert und dazu beiträgt, dass geschlechtsspezifische<br />

Belange in Projekten stärker<br />

berücksichtigt werden.<br />

• Bessere Mittel zur Konfliktlösung.<br />

Wenn einzelne Regionen und Gebiete mehr<br />

Macht erhalten, trägt <strong>die</strong>s dazu bei, <strong>die</strong> nationale<br />

Einheit zu fördern und Konflikte zu lösen<br />

wie beispielsweise in Äthiopien und Ruanda.<br />

In Namibia und Südafrika wurde durch <strong>die</strong><br />

Dezentralisierung versucht, Ungleichheiten<br />

zwischen den einzelnen Regionen wieder auszugleichen.<br />

9 Eine Umverteilung von Ressourcen<br />

gewährleistete eine gerechtere Verteilung<br />

nationaler Finanzmittel an Regionen, <strong>die</strong><br />

früher von den herrschenden Gruppen im<br />

Zentrum vernachlässigt worden waren. Dadurch<br />

wurde auch eine Debatte und ein erneutes<br />

Verhandeln <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zuweisung nationaler<br />

Finanzmittel – eine Quelle langjähriger<br />

Konflikte zwischen den Regionen und ethnischen<br />

Gruppen – ermöglicht.<br />

• Mehr Elan und Motivation bei den Betroffenen<br />

vor Ort. Durch Dezentralisierung<br />

werden <strong>die</strong> Menschen vor Ort ermutigt, Lösungen<br />

für ihre Alltagsprobleme zu finden –<br />

kreative Ideen entstehen, und <strong>die</strong> in zentralisierten,<br />

hierarchischen Systemen auftretende<br />

Arbeitsbelastung wird reduziert. 10<br />

• Erweiterte Möglichkeiten der politischen<br />

Vertretung. Dezentralisierung verschafft<br />

den Menschen viel stärker Gehör bei<br />

öffentlichen politischen Entscheidungen, <strong>die</strong><br />

ihr Leben betreffen. Insbesondere hat sie <strong>die</strong><br />

politische Vertretung von Frauen gestärkt<br />

(wie z.B. in In<strong>die</strong>n, wo ein Drittel der Ratssitze<br />

im panchayat, d.h. auf der lokalen Ebene,<br />

für Frauen reserviert sind 11 ). Das Gleiche gilt<br />

für bisher marginalisierte ethnische Gruppen<br />

(wie beispielsweise <strong>die</strong> Quechua and Aymara-<br />

Bevölkerung in Bolivien, <strong>die</strong> Kalingas und<br />

Gaddangs auf den Philippinen und ethnische<br />

Gruppen auf dem Lande wie <strong>die</strong> Songhai und<br />

Dogon in Mali). 12<br />

Durch Dezentralisierung lässt sich <strong>die</strong> Bereitstellung<br />

sozialer Dienstleistungen besonders<br />

vorteilhaft verändern. Die Beteiligung der<br />

Kommunen bei der Entscheidungsfindung<br />

wird erleichtert und kann dazu beitragen, faire<br />

Lösungen für Probleme zu finden, <strong>die</strong> mit<br />

der Kostenverteilung für das Erbringen der<br />

Dienstleistungen in Verbindung stehen. In<br />

vielen Fällen, in denen <strong>die</strong> Regierungen beispielsweise<br />

nicht in der Lage waren, für Schulen<br />

zu sorgen, konnten <strong>die</strong> Kommunen Mittel<br />

und Arbeitskraft aufbringen, um <strong>die</strong> Schulen<br />

zu bauen, während <strong>die</strong> Lehrergehälter in der<br />

Regel vom Staat bezahlt wurden (siehe Kapitel<br />

5). In ähnlicher Weise hat <strong>die</strong> Bamako-Initiative<br />

<strong>die</strong> Versorgung weit abgelegener ländlicher<br />

Die Dezentralisierung<br />

sorgt dafür, dass<br />

Regierungsangestellte<br />

rechtzeitig vor möglichen<br />

Katastrophen – Ausbruch<br />

von Krankheiten,<br />

Überschwemmungen,<br />

Dürren – gewarnt sind<br />

und ermöglicht es den mit<br />

entsprechenden<br />

Befugnissen<br />

ausgestatteten<br />

kommunalen Behörden,<br />

schnelle<br />

Gegenmaßnahmen zu<br />

ergreifen<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 169


KASTEN 7.2<br />

Beiderseitiges Bestehen auf <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht – seitens der<br />

Kommunalverwaltung und der Zivilgesellschaft - verbessern <strong>die</strong> Regierungsführung<br />

im brasilianischen Bundesstaat Ceará<br />

1987 führte <strong>die</strong> neu gewählte Landesregierung angesichts<br />

sinkender Finanztransfers seitens der Bundesregierung<br />

und angesichts eines Personalkostenanteils<br />

von 87 Prozent der Staatseinnahmen einige innovative<br />

Maßnahmen durch. Sie versuchte, Probleme<br />

beim Erbringen von Dienstleistungen durch ein<br />

Bündnis mit Arbeitern und Bevölkerungsgruppen<br />

vor Ort zu <strong>über</strong>winden. Die Initiativen setzten <strong>die</strong><br />

Kommunalverwaltungen von oben und von unten<br />

unter Druck, damit <strong>die</strong>se ihre Leistungen auf Gebieten<br />

wie öffentliches Gesundheitswesen, Ausbildung<br />

im Agrarbereich, Hilfsmaßnahmen bei Dürren<br />

und Aufbau von Infrastruktur (wie zum Beispiel<br />

Schulen) verbesserten.<br />

Die Regierung reduzierte 1991 ihre Personalkosten<br />

auf 45 Prozent und rief Programme zur Gesundheitsvorsorge<br />

und zur öffentlichen Beschaffung<br />

von informellen Anbietern ins Leben ebenso wie ein<br />

großes Programm zur Arbeitsbeschaffung in Notfällen<br />

für Arbeiter, <strong>die</strong> aus dem Dienst der Regierung<br />

entlassen worden waren. Das Land stellte an der Basis<br />

tätige Arbeitskräfte ein, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Dienstleistungen<br />

erbringen sollten und motivierte sie, indem sie<br />

<strong>über</strong> ihre Arbeit <strong>bericht</strong>ete und ihnen viel offizielle<br />

Anerkennung für ihre Dienstleistungen zuteil wer-<br />

Quelle: Fuentes und Niimi 2002, pp. 123-33; Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht).<br />

Gebiete in Mali mit den notwendigsten Arzneimitteln<br />

sichergestellt und dabei mitgeholfen,<br />

arme Mitglieder in den jeweiligen Kommunen<br />

zu identifizieren, <strong>die</strong> bestimmte Kosten<br />

nicht bezahlen können.<br />

Dezentralisierte Einheiten sind beim Erbringen<br />

von Dienstleistungen effizienter als für<br />

einzelne Sektoren zuständige Ministerien mit<br />

hierarchischer Struktur, da <strong>die</strong> Planung und<br />

Partizipation vor Ort eine stärkere Verbindung<br />

zwischen den einzelnen Interventionen in den<br />

Bereichen Gesundheit, Wasser- und sanitäre<br />

Versorgung und bei anderen Dienstleistungen<br />

gewährleistet (siehe Kapitel 4). Auf Krisen vor<br />

Ort kann schneller reagiert werden, weil durch<br />

das dezentralisierte System <strong>die</strong> Kommunikation<br />

erheblich verbessert wird. Im Dhar-Distrikt<br />

im indischen Madhya Pradesh ermöglichte es<br />

ein kommunales Internet-Projekt, Gyandoot,<br />

das im Januar 2000 begonnen wurde, extrem<br />

zeitnah auf eine Frühwarnung per e-mail zu<br />

reagieren und dadurch das Ausbrechen einer<br />

Viehseuche zu verhindern. 13<br />

den ließ. Dies trug ihr noch größerem Respekt von<br />

seiten der Arbeitskräfte bei.<br />

Gleichzeitig wurde <strong>die</strong> Bevölkerung dadurch<br />

ermutigt, hohe Erwartungen an das Programm zu<br />

stellen und <strong>die</strong> Arbeitskräfte für ihre Leistungen zur<br />

Rechenschaft zu ziehen. Die Bevölkerung wurde<br />

auch dar<strong>über</strong> informiert, auf welche Dienstleistungen<br />

sie Anspruch habe, um Druck auf <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />

ausüben zu können, wenn <strong>die</strong>se<br />

Dienstleistungen nicht erfolgten. Diese öffentliche<br />

Kampagne trug dazu bei, Bevölkerungsgruppen,<br />

wenn nötig mit technischer Unterstützung, zu kollektivem<br />

Handeln zu mobilisieren.<br />

In den Jahren von 1997 bis 2001 konnte <strong>die</strong><br />

Landesregierung eine eindrucksvolle Verbesserung<br />

der Gesundheitsindikatoren erzielen. Die Säuglingssterblichkeit<br />

sank um mehr als ein Drittel, von 40<br />

auf 26 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Der<br />

Impfschutz nahm um mehr als ein Drittel zu, dabei<br />

stieg <strong>die</strong> Anzahl der voll geimpften Kinder von 67<br />

auf 91 Prozent. Die Rate der in den ersten vier Lebensmonaten<br />

ausschließlich gestillten Säuglinge<br />

stieg von 46 auf 61 Prozent und das Auftreten von<br />

Unterernährung bei Kindern wurde von 14 Prozent<br />

auf 7 Prozent halbiert.<br />

Durch <strong>die</strong> Dezentralisierung wird auch <strong>die</strong><br />

Umsetzung und Überprüfung des Erbringens<br />

von Dienstleistungen verbessert – und eine<br />

Reaktion auf schlechte Leistungen beschleunigt.<br />

Weltweit haben stärkere Transparenz<br />

und verbesserte Überwachung dazu geführt,<br />

dass sowohl das Ausmaß der Korruption als<br />

auch der Veruntreuungen insgesamt geringer<br />

geworden ist. Die politische Macht ist nicht<br />

mehr allein in den Händen der nationalen Eliten<br />

konzentriert. Das bedeutet, dass alle beim<br />

Staat Beschäftigten – seien es gewählte kommunale<br />

Vertreter, Beamte oder Dienstleistungspersonal<br />

wie Krankenschwestern, Lehrer<br />

oder Wasseringenieure – nicht nur den<br />

mächtigsten Teilen der Gesellschaft, sondern<br />

auch den ärmsten Bürgern gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig<br />

sind (Kasten 7.2). Solche Verhältnisse<br />

sind von entscheidender Bedeutung,<br />

wenn politische Interventionen für <strong>die</strong> Ziele<br />

geplant werden.<br />

Derzeit werden viele Dezentralisierungsversuche<br />

unternommen. Ihre Auswirkungen<br />

170 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 7.3<br />

Die Dezentralisierung trägt dazu bei, mehr Gleichheit in Kerala durchzusetzen<br />

Die Kerala People’s Campaign, <strong>die</strong> 1996 begann,<br />

wurde durch <strong>die</strong> Entscheidung der Landesregierung<br />

ausgelöst, 35-40 Prozent der staatlichen Planungsmittel<br />

an Dorf- und Kommunalgremien umzuwidmen.<br />

In den ersten beiden Jahren führte <strong>die</strong><br />

Kampagne zum Bau von 98.494 Häusern, 240.307<br />

Sanitärlatrinen, 17.489 öffentlichen Wasserzapfstellen<br />

und 50.162 Brunnen – insgesamt weit mehr als<br />

in den vorangegangenen Jahren.<br />

Die Kampagne mobilisierte Freiwillige vor Ort,<br />

vor allem aus der Bewegung Kerala Sastra Sahitya<br />

Parishad (Wissenschaft im Dienste der Bevölkerung)<br />

und pensionierte Experten, <strong>die</strong> Unterstützung<br />

bei der technischen und finanziellen Beurteilung der<br />

Projekte leisten konnten, so zum Beispiel Ingenieure,<br />

Ärzte, Professoren und andere Berufsgruppen.<br />

Die Freiwilligen gingen von Ort zu Ort, bewerteten<br />

<strong>die</strong> Bedürfnisse und Mittel der Einwohner und sammelten<br />

Informationen, <strong>die</strong> dann als Hintergrundinformation<br />

an <strong>die</strong> panchayat (auf Dorf-, Häuserblock<br />

und Bezirksebene gewählte Räte), an städtische Entwicklungs<strong>bericht</strong>e<br />

und an andere designierte Entwicklungsprojekte<br />

weitergegeben werden konnten.<br />

Quelle: Franke und Chasin 2000. Mehrotra und Delamonica (noch unveröffentlicht).<br />

insgesamt müssen zwar noch untersucht werden,<br />

erste Anzeichen sind jedoch schon sehr<br />

vielversprechend. 14 Die Einrichtung von gewählten<br />

Kommunalverwaltungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

sozialen Dienstleistungen zuständig sind, gewährleistet,<br />

dass <strong>die</strong>se Behörden den politischen<br />

Führungskräften vor Ort und den Bürgern<br />

gegen<strong>über</strong> rechenschaftspflichtig sind<br />

(Kasten 7.3).<br />

Wenn für Dezentralisierungsinitiativen geeignete<br />

Institutionen und Ressourcen zur Verfügung<br />

stehen, können <strong>die</strong>se Initiativen Druck<br />

seitens der Zivilgesellschaft und engagierter<br />

Bürger mobilisieren. Nicht nur <strong>die</strong> armen und<br />

ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen sondern<br />

auch <strong>die</strong> Regierungen können von solchen Reformen<br />

sehr profitieren. Da durch solche Reformen<br />

viele der Probleme angegangen werden,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Armut mit sich bringt, tragen sie<br />

dazu bei, <strong>die</strong> Legitimität und Popularität von<br />

Regierungen zu steigern, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Reformen<br />

einführen.<br />

Für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele ist<br />

Dezentralisierung besonders entscheidend,<br />

denn viele sind von der effektiven Umsetzung<br />

grundlegender Dienstleistungen abhängig. Für<br />

Sie boten Ausbildungskurse in Projektplanung, -<br />

durchführung und -<strong>über</strong>prüfung an.<br />

Durch <strong>die</strong> partizipative Beratung und Planung<br />

vor Ort konnten <strong>die</strong> Ressourcen für <strong>die</strong> Projekte<br />

aufgrund von Material- und Arbeitskraftspenden<br />

um 10 Prozent gesteigert werden – zudem konnte<br />

man auf <strong>die</strong>se Weise den vorgesehenen Kasten und<br />

Stammesbevölkerungen (beides historisch unterdrückte<br />

soziale Gruppen) einen höheren Anteil an<br />

Projektmitteln zukommen lassen. Mehr als 30 Prozent<br />

der Projektmittel waren dafür vorgesehen, Unterkünfte<br />

für <strong>die</strong>se Gruppen zu schaffen.<br />

Aufgrund der vorgesehenen Frauenkomponente<br />

waren 10 Prozent eines jeden Projekthaushalts für<br />

Projekte vorgesehen, von denen Frauen profitieren<br />

sollten – im Gemüseanbau, in Nähkooperativen, zur<br />

Mobilisierung von anganwadi (Vorschulpersonal)<br />

und bei der Einrichtung von kommunalen Frauenzentren.<br />

Durch <strong>die</strong> Einführung neuer Programme<br />

für Gesundheitsversorgung und Bildung im öffentlichen<br />

Sektor hat es auch entscheidende Verbesserungen<br />

in den Bereichen Alphabetisierung und Gesundheit<br />

gegeben.<br />

<strong>die</strong> Ziele 2-7 beispielsweise hängt das Erreichen<br />

von Resultaten von besseren Dienstleistungen<br />

und aktivem Engagement der Hauptbetroffenen<br />

ab.<br />

VORAUSSETZUNGEN FÜR EINE<br />

EFFEKTIVE DEZENTRALISIERUNG<br />

Dezentralisierung ist in der Regel erfolgreich,<br />

wenn es eine politisch stabile, solvente Zentralregierung<br />

gibt, <strong>die</strong> zur Abgabe von Verantwortlichkeiten<br />

und Ressourcen entschlossen<br />

ist, wenn <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen <strong>die</strong>se<br />

Verantwortlichkeiten auch <strong>über</strong>nehmen können<br />

und wenn <strong>die</strong> arme Bevölkerung und eine<br />

gut organisierte Zivilgesellschaft effektiv daran<br />

beteiligt werden. Diese Bedingungen<br />

führen normalerweise zu einer bürgernahen<br />

Politik und entsprechenden Dienstleistungen,<br />

steigendem Wachstum, mehr Gleichheit und<br />

<strong>menschliche</strong>r Entwicklung.<br />

Die Existenz eines funktionierenden Staates,<br />

leistungsfähiger Kommunalverwaltungen<br />

und einer aktiven Zivilgesellschaft allein garantiert<br />

jedoch noch keine erfolgreiche Dezentralisierung.<br />

Entscheidend sind <strong>die</strong> Beziehun-<br />

Für <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele ist<br />

Dezentralisierung<br />

besonders entscheidend,<br />

denn viele sind von der<br />

effektiven Umsetzung<br />

grundlegender<br />

Dienstleistungen<br />

abhängig<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 171


Ohne finanzielle<br />

Dezentralisierung sind<br />

jedoch alle<br />

Dezentralisierungsbemühungen<br />

zum<br />

Scheitern verurteilt<br />

gen zwischen <strong>die</strong>sen drei Ebenen: Um effektive<br />

und angemessene politische Maßnahmen<br />

zu gewährleisten, müssen <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />

Druck von beiden Seiten spüren,<br />

von oben (damit sie der Staatsregierung gegen<strong>über</strong><br />

Rechenschaft ablegen) und von unten<br />

(damit sie <strong>die</strong> Dienstleistungen für <strong>die</strong> Bürger<br />

vor Ort erbringen). Zu einer erfolgreichen Dezentralisierung<br />

gehört daher mehr als nur bestimmte<br />

politische Reformen – auch <strong>die</strong> Schaffung<br />

einer Dynamik in drei Richtungen, zwischen<br />

den Kommunalverwaltungen, der Zivilgesellschaft<br />

und einer aktiven Zentralregierung,<br />

ist erforderlich. 15<br />

Dezentralisierungs-Bemühungen sind<br />

stark von der Größe eines Landes, der Bevölkerung,<br />

Geschichte, dem politischen Klima<br />

und der geographischen und ethnischen Vielfalt<br />

abhängig. Diese Unterschiede verlangen<br />

auch unterschiedliche Regelungen zwischen<br />

den zentralen und regionalen Ebenen, was<br />

auch <strong>die</strong> Dezentralisierung und das Delegieren<br />

von Aufgaben beinhaltet. 16 Die bisherigen<br />

Erfahrungen mit der Dezentralisierung betonen<br />

<strong>die</strong> Wichtigkeit einiger weniger zentraler<br />

Prinzipien, insbesondere in Zusammenhang<br />

mit:<br />

• Den Funtionen, <strong>die</strong> dezentralisiert werden<br />

sollen – <strong>die</strong> sorgfältig ausgewählt werden<br />

müssen.<br />

• Den finanziellen Mitteln, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Kommunalverwaltungen in <strong>die</strong> Lage versetzt<br />

werden, Dienstleistungen zu erbringen – <strong>die</strong><br />

in den Dezentralisierungsplänen berücksichtigt<br />

werden müssen.<br />

Zum einen erfordern viele Funktionen mit<br />

nationaler Bedeutung standardisierte einheitliche<br />

Vorgaben durch eine Zentralbehörde.<br />

Beispiele hierfür sind Verteidigungs- und<br />

Außenpolitik, Währungsregulierung und <strong>die</strong><br />

Aufrechterhaltung nationaler Standards für<br />

<strong>die</strong> Grundschulbildung und für Impfkampagnen<br />

und andere Maßnahmen im Bereich öffentliche<br />

Gesundheit. Größer dimensionierte<br />

Aufgaben mit einem hohen Finanzvolumen<br />

und solche, <strong>die</strong> eine stärkere Regulierung erfordern<br />

(wie Ausbildung, Aufsicht, technische<br />

Unterstützung und kapitalintensive Einrichtungen),<br />

sollten am besten der Zentralregierung<br />

<strong>über</strong>tragen werden. Die Demokratische<br />

Volksrepublik Laos beispielsweise hat damit<br />

experimentiert, das Geldwechseln in den einzelnen<br />

Regionen zu dezentralisieren – was zu<br />

unterschiedlichsten Wechselkursen führte<br />

und ungeheuere administrative und finanzielle<br />

Schwierigkeiten mit sich brachte. 17<br />

Zweitens birgt <strong>die</strong> Übertragung von Entscheidungsbefugnissen<br />

an <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />

das Risiko, zu einer leeren Geste zu<br />

verkommen, wenn sie nicht durch ausreichende<br />

finanzielle Mittel, administrative Kapazität<br />

und Mechanismen, <strong>die</strong>se Behörden zur Rechenschaft<br />

ziehen zu können, abgesichert ist.<br />

Die Dorf- und Stadträte wären durchaus in<br />

der Lage einige finanzielle Ressourcen selber<br />

einzubringen – <strong>die</strong>s setzt jedoch voraus, dass<br />

sie auch dazu ermächtigt werden, was bisher<br />

selten geschieht. Ein großer Teil der erforderlichen<br />

finanziellen Mittel muss den lokalen<br />

Behörden jedoch von höherer Stelle <strong>über</strong>tragen<br />

werden. Dafür sind nicht unbedingt neue<br />

Ausgaben erforderlich, sondern eher <strong>die</strong><br />

Übertragung der Kontrolle <strong>über</strong> bereits vorhandene<br />

Ausgaben. Die Übertragung von<br />

Ausgabenkompetenzen birgt nicht das Risiko<br />

finanzieller Verantwortungslosigkeit, wie oftmals<br />

unterstellt wird. Auch werden <strong>die</strong> Räte<br />

dadurch nicht hoffnungslos von <strong>über</strong>geordneten<br />

Behörden abhängig, wie gerne behauptet<br />

wird – solange <strong>die</strong> Räte auch gewisse Befugnisse<br />

haben, zu entscheiden wofür sie <strong>die</strong> Mittel<br />

ausgeben.<br />

Die meisten Zentralregierungen haben jedoch<br />

bisher keine angemessenen finanziellen<br />

Mittel für <strong>die</strong> Erbringung von kommunalen<br />

Dienstleistungen an <strong>die</strong> Behörden vor Ort<br />

<strong>über</strong>tragen. Dies liegt teilweise daran, weil sie<br />

aus bestimmten Sektoren wie zum Beispiel der<br />

Forstwirtschaft oder dem Bergbau beträchtliche<br />

Steuereinnahmen erzielen und <strong>die</strong> Kontrolle<br />

dar<strong>über</strong> behalten möchten statt sie an<br />

<strong>die</strong> Kommunalräte oder Kommunen abzugeben.<br />

18 Ohne finanzielle Dezentralisierung sind<br />

jedoch alle Dezentralisierungsbemühungen<br />

zum Scheitern verurteilt.<br />

Dezentralisierung kann aber auch Vetternwirtschaft<br />

begünstigen – dabei spielt es keine<br />

Rolle, ob <strong>die</strong>s von politischen Parteien oder lokalen<br />

Eliten betrieben wird oder nur ein undemokratisches<br />

Umfeld widerspiegelt. Ein zu ge-<br />

172 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


inges oder unzuverlässiges finanzielles Engagement<br />

seitens der nationalen Regierungen,<br />

das noch mit politischer Manipulation und der<br />

Begünstigung spezieller Regionen und Wählergruppen<br />

einhergeht, hat katastrophale Folgen.<br />

Solche Mängel stellen <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

in Bangladesch, Côte d’Ivoire, Ghana,<br />

Kenia und Nigeria vor ernste Herausforderungen.<br />

Einigen Mythen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

für erfolgreiche Initiativen muss entgegengetreten<br />

werden. So wird bisweilen behauptet,<br />

dass Dezentralisierung ohne Landreform zum<br />

Scheitern verurteilt ist. 19 Doch Erfahrungen im<br />

indischen Karnataka und anderswo zeigen,<br />

dass dem nicht so ist. Andere wiederum meinen,<br />

dass marktwirtschaftliche Orientierung<br />

und <strong>die</strong> Existenz einer unternehmerischen<br />

Mittelklasse für <strong>die</strong> Dezentralisierung von entscheidender<br />

Bedeutung sind. 20 Auch <strong>die</strong>s so<br />

nicht haltbar: Es hat ermutigende Initiativen<br />

in Ländern wie beispielsweise Mosambik gegeben,<br />

wo bisher keine ausgeprägte Mittelklasse<br />

existiert. 21<br />

Für eine erfolgreiche Dezentralisierung<br />

sind <strong>die</strong> folgenden drei Elemente unverzichtbar:<br />

• Leistungsfähigkeit des Staates<br />

• Mit Befugnissen ausgestattete, engagierte<br />

und kompetente Kommunalverwaltungen.<br />

• Engagierte, informierte, organisierte Bürger<br />

und Zivilgesellschaften<br />

Leistungsfähigkeit des Staates. Wenn eine<br />

Zentralregierung auf effektive Art und<br />

Weise Befugnisse an Kommunalverwaltungen<br />

<strong>über</strong>tragen will, muss sie vor allem selbst erst<br />

einmal Macht haben. Dezentralisierung erfordert<br />

eine Koordination der verschiedenen<br />

Ebenen der Regierung und mehr - und nicht<br />

weniger - Regulierung, damit Transparenz,<br />

Rechenschaftspflicht und Vertretung grundsätzlich<br />

gewährleistet sind. Der Staat muss <strong>die</strong><br />

Aufsicht <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />

führen, regulierend eingreifen und wenn nötig<br />

sanktionieren, damit <strong>die</strong> armen Menschen<br />

tatsächlich von den politischen Reformen profitieren.<br />

Der Staat muss auch angemessene finanzielle<br />

Mittel zur Unterstützung der Dezentralisierung<br />

aufbringen. Wenn ein schwacher<br />

Staat Dezentralisierungsversuche unternimmt,<br />

entstehen Probleme. In der Ukraine beispielsweise<br />

war es für <strong>die</strong> schwache und instabile<br />

Regierung eine Herausforderung angesichts<br />

stark gesunkener finanzieller Mittel und bei<br />

nur geringem oder fehlendem zivilgesellschaftlichen<br />

Engagement auf kommunalener<br />

Ebene dafür zu sorgen, dass <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />

funktionstüchtig blieben. 22 Andere<br />

Länder der früheren Sowjetunion, sahen<br />

sich bei ihren Dezentralisierungsversuchen<br />

mit ähnlichen Problemen konfrontiert.<br />

Bei der Dezentralisierung geht es um das<br />

Potenzial und nicht um das Versagen des Staates.<br />

Wenn ein schwacher Staat Macht <strong>über</strong>trägt,<br />

trifft er in den allermeisten Fällen einfach<br />

nur Vereinbarungen mit den kommunalen<br />

Eliten statt demokratische Spielräume zu<br />

erweitern – und schafft dadurch etwas, das als<br />

dezentralisierter Despotismus bezeichnet<br />

wird. 23 So beispielsweise in Afrika südlich der<br />

Sahara, wo zentralisierte Regime versucht haben,<br />

ländliche Gebiete unter ihre Kontrolle zu<br />

bringen, indem sie ihre eigenen Leute auf<br />

kommunaler Ebene eingesetzt haben – also<br />

das genaue Gegenteil von Beteiligung an der<br />

politischen Macht und Förderung der Rechenschaftspflicht<br />

auf kommunaler Ebene. 24<br />

Solche Maßnahmen haben nicht zu den erwünschten<br />

Resultaten für <strong>die</strong> Entwicklung geführt.<br />

Auch <strong>die</strong> Dezentralisierung in Papua-<br />

Neuguinea hat der Bevölkerung vor Ort nicht<br />

mehr Gehör verschafft. Es ging dort eher darum,<br />

ein Auseinanderbrechen des Landes zu<br />

verhindern, das durch sezessionistische Bewegungen<br />

unter Druck stand. Die Dezentralisierungsbemühungen<br />

des Landes wurden durch<br />

das Fehlen einer starken Staatsregierung, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> territoriale Integrität hätte gewährleisten<br />

können, unterminiert. Unter solchen Umständen<br />

können Reformen nicht <strong>die</strong> erhofften Resultate<br />

bringen.<br />

Engagierte, kompetente Kommunalverwaltungen<br />

mit entsprechenden Machtbefugnissen.<br />

Die Zuständigkeit für das Erbringen<br />

von sozialen Dienstleistungen muss an <strong>die</strong><br />

Kommunalverwaltungen abgegeben werden<br />

und zwar durch gesetzgeberische oder verfassungsmäßige<br />

Maßnahmen, durch <strong>die</strong> auch <strong>die</strong><br />

Kontrolle <strong>über</strong> <strong>die</strong> Funktionen ebenso wie<br />

Wenn eine<br />

Zentralregierung auf<br />

effektive Art und Weise<br />

Befugnisse an<br />

Kommunalverwaltungen<br />

<strong>über</strong>tragen will, muss sie<br />

vor allem selbst erst<br />

einmal Macht haben<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 173


Dort, wo <strong>die</strong><br />

Zivilgesellschaft<br />

Rechenschaft und<br />

Maßnahmen von den<br />

Kommunalverwaltungen<br />

verlangt hat, war <strong>die</strong><br />

Dezentralisierung<br />

effektiver<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Funktionäre <strong>über</strong>tragen wird. Die<br />

Funktionäre können ihre Funktionen jedoch<br />

nur mit angemessener finanzieller Ausstattung<br />

ausüben. Ob <strong>die</strong> Dezentralisierung dann<br />

den Interessen der armen Bevölkerung <strong>die</strong>nt,<br />

hängt davon ab, ob <strong>die</strong> Kommunalverwaltungen<br />

<strong>die</strong> soziale Gerechtigkeit fördern und sich<br />

für eine Mobilisierung im Interesse der Armen<br />

und eine entsprechende Politik einsetzen. 25<br />

Im brasilianischen Ceará und im indischen<br />

Kerala engagierten sich <strong>die</strong> staatlichen Behörden<br />

sehr stark für eine Reduzierung der Armut<br />

und waren bereit, es mit den Eliten vor Ort<br />

aufzunehmen, wenn <strong>die</strong>se sich den entsprechenden<br />

Bemühungen widersetzten. In Ceará<br />

beispielsweise wurde das Ländliche Entwicklungsprogramm<br />

für den Nordosten (Northeast<br />

Rural Development Programme) von<br />

den Kommunalverwaltungen durchgeführt,<br />

wobei man erfolgreich lokale Patronagesysteme<br />

umgehen konnte.<br />

Engagierte, informierte und organisierte<br />

Bürger und Zivilgesellschaften. Damit <strong>die</strong><br />

Kommunalbehörden auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der<br />

Bevölkerung eingehen können, müssen <strong>die</strong>se<br />

beiden Gruppen in einem ständigen Kommunikationsverhältnis<br />

zueinander stehen. Eine<br />

gut entwickelte, gut informierte Zivilgesellschaft,<br />

<strong>die</strong> in der Lage ist, <strong>die</strong> Ansichten der<br />

Gemeinschaft zusammenzutragen und zu artikulieren,<br />

ist daher unverzichtbar.<br />

In Mosambik verdoppelten engagierte<br />

Kommunalbehörden, <strong>die</strong> mit einem dezentralisierten<br />

Ansatz arbeiteten, das Personal im Gesundheitswesen<br />

und konzentrierten sich auf<br />

den Außen<strong>die</strong>nst, damit der Impfschutz und<br />

<strong>die</strong> Schwangerenberatung um 80 Prozent verbessert<br />

werden konnten. 26 Die Regierung versucht,<br />

Engpässe bei den Kapazitäten zu beseitigen,<br />

indem sie Partner und Auftrags<strong>die</strong>nste aus<br />

einer breiten Palette von öffentlichen Einrichtungen,<br />

Nichtregierungsorganisationen und<br />

privaten Anbietern auf allen Ebenen engagiert.<br />

Im indischen Bundesland West Bengalen<br />

erhielten <strong>die</strong> Kommunalbehörden weit früher<br />

mehr Macht, lange bevor <strong>die</strong> nationale Regierung<br />

von allen Landesregierungen verlangte,<br />

kommunale Behörden (panchayats) einzurichten<br />

und mit Machtbefugnissen auszustatten.<br />

In den achtziger Jahren ging dort <strong>die</strong> Armut<br />

stark zurück. 27 Im Zuge der Operation Barga<br />

trugen <strong>die</strong> panchayats zu einer Verbesserung<br />

der Agrartechnologie und zu einer Reform der<br />

Landverpachtung bei. Sie halfen auch bei der<br />

Registrierung von 1,4 Millionen Pächtern. Seit<br />

den späten achtziger Jahren hat Mazdoor Kisan<br />

Shakti Sangathan (MKSS, eine Interessenvertretung<br />

für Arbeiter und Bauern) in Rajasthan,<br />

In<strong>die</strong>n, Kampagnen für das Recht auf Information<br />

durchgeführt. MKSS organisiert öffentliche<br />

Anhörungen, bei denen offizielle Informationen<br />

– detaillierte Berichte, <strong>die</strong> auf<br />

den offiziellen Ausgabebelegen beruhen –<br />

sorgfältig untersucht und auf ihre Richtigkeit<br />

<strong>über</strong>prüft werden. MKSS nutzt <strong>die</strong>se ‘social<br />

audits’, um das Funktionieren von Demokratie<br />

auf der fassbarsten, unmittelbarsten Ebene,<br />

nämlich der Dorfebene, zu fördern.<br />

In den Philippinen wird <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

nach Maßgabe des Local Government<br />

Code von 1991 durchgeführt. Darin sind zusätzliche<br />

Funktionen für Gremien, <strong>die</strong> auf<br />

kommunaler Ebene gewählt werden, und eine<br />

breite Partizipation der Bevölkerung vorgesehen.<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben<br />

sich auf kommunaler Ebene aktiv für eine<br />

öffentliche Rechenschaftspflicht eingesetzt. 28<br />

Die Herausforderung bestand darin, lokale<br />

Eliten davon abzuhalten, den Prozess zu<br />

ihrem eigenen Vorteil zu instrumentalisieren.<br />

Das Scheitern einiger Dezentralisierungsinitiativen<br />

offenbart das Fehlen öffentlichen<br />

Bewusstseins und das Nichtvorhandensein einer<br />

Beteiligungskultur. Dort, wo <strong>die</strong> Zivilgesellschaft<br />

Rechenschaft und Maßnahmen von<br />

den Kommunalverwaltungen verlangt hat, war<br />

<strong>die</strong> Dezentralisierung effektiver.<br />

Es ist eine komplexe Herausforderung zu<br />

gewährleisten, dass <strong>die</strong> drei Akteure – staatliche<br />

Behörden, Kommunalbehörden und Zivilgesellschaft<br />

– tatsächlich zusammenarbeiten,<br />

um das Leben der armen Bevölkerung zu<br />

verbessern. Es gibt bei der Dezentralisierung<br />

in der Tat keinerlei Automatismus zum Nutzen<br />

der Armen (Kasten 7.4). Herrschende<br />

Gruppen und eng eingegrenzte Interessen<br />

können den Prozess für ihre Zwecke missbrauchen.<br />

In Bangladesch, Côte d’Ivoire,<br />

Ghana, Kenia, Mexiko, Nigeria, Papua-Neuguinea<br />

und Uganda hat <strong>die</strong> Dezentralisierung<br />

174 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 7.4<br />

Trägt Dezentralisierung zur Armutsreduzierung bei?<br />

Ergebniss<br />

Partizipation der Armen oder Auswirkungen auf <strong>die</strong> soziale und<br />

Region / Land Berücksichtigung ihrer Belange wirtschaftliche Armut<br />

Bangladesh Schlecht: Partizipation etwas verbessert, Sehr schlecht in allen Bereichen, unterjedoch<br />

sehr negative Ergebnisse bei der miniert durch Korruption und politische<br />

Vertretung der Armen, Belange der<br />

Armen kaum berücksichtigt<br />

Vetternwirtschaft<br />

Brasilien Wenig Belege, vermutlich jedoch Gute Ergebnisse bei Gleichheit und<br />

schlecht,da Patronagesysteme unter <strong>menschliche</strong>r Entwicklung in besonderen<br />

mächtigen Bürgermeistern und Gebieten, wo Landes- und Bundespro-<br />

Gouverneuren immer noch programme mit Dezentralisierung kombivorherrschend<br />

ist niert wurden; bei räumlich gerechter<br />

Verteilung im allgemeinen schlecht<br />

Chile Keine Belege vorhanden Gemischt: Gute Ergebnisse bei Wachstum<br />

und Gleichheit durch klare Zielsetzung,<br />

Belege bei <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung und Gleichheit jedoch umstritten;<br />

deutet auf negatives Ergebnis hin<br />

Kolumbien Recht gut: keine eindeutigen Belege für Recht gut: wenig Belange für mehr Wachs-<br />

Partizipation/Vertretung der Armen, tum oder Gleichheit, jedoch gute Ergebjedoch<br />

bessere Berücksichtigung ihrer nisse bei der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

Belange und räumlich gerechteren Verteilung<br />

Côte d’Ivoire Schlecht: geringe Partizipation und Räumlich gerechtere Verteilung vermutlich<br />

Vertretung, Belange der Armen kaum durch Mittelzuweisungen der Regierung<br />

berücksichtigt an ländliche Gebiete verbessert<br />

Ghana Gemischt: Partizipation der armen Die wenigen vorhandenen Belege deuten<br />

Bevölkerung und kommunaler Gruppen darauf hin, dass <strong>die</strong> eingesetzten Mittel<br />

verbessert; gleichzeitig nur begrenzt zu unbedeutend waren um viel zu bewir-<br />

Verbesserungen bei der Vertretung, kaum ken; evtl. räumlich gerechtere Verteilung<br />

Berücksichtigung der Belange der Armen durch Mittelzuweisungen seitens der<br />

Regierung<br />

Karnataka, Recht gut: bessere Vertretung, jedoch wenig Neutral: trug kaum zu mehr Wachstum im<br />

India effektive Partizipation der Armen und Sinne der armen Bevölkerung oder zu<br />

geringe Berücksichtigung ihrer Belange mehr Gleichheit bei; <strong>menschliche</strong> Entwicklung<br />

und räumlich gerechtere Verteilung<br />

profitierten indirekt von Mittelzuweisungen<br />

und Entwicklungsprogrammen<br />

Kenia Sehr schlecht: politisch motiviertes Einige Auswirkungen auf räumlich<br />

Dekonzentrations-Programm gerechtere Verteilung durch politisch<br />

motivierte Umverteilung<br />

Mexiko Belege liegen nicht vor, man kann jedoch Schlecht trotz bedeutender Mittelzuweiannehmen,<br />

dass sich an dem parteien- sungen seitens der Zentralregierung;<br />

dominierten Patronage-System wenig Gleichheit, räumlich gerechtere Verteilung<br />

geändert hat und <strong>menschliche</strong> Entwicklung durch<br />

politische Vetternwirtschaft unterminiert<br />

Nigeria Sehr gering: Partizipation und Vertretung Schlecht: schlechte Bilanz bei Gleichheit und<br />

auf sehr niedrigem Niveau, sehr schlechte <strong>menschliche</strong>r Entwicklung; räumlich gerechtere<br />

Bilanz bei der Berücksichtigung der Verteilung ist Gegenstand politischer Manipu-<br />

Belange der Armen und fehlende<br />

Rechenschaftspflicht<br />

und einer Bevorzung städtischer Gebiete<br />

Philippinen Gemischt: Vertretung und Partizipation<br />

durch Organisationen der Bevölkerung und<br />

Nichtregierungsorganisationen (NRO)<br />

verbessert, Belege für Berücksichtigung der<br />

Belange der Armen jedoch umstritten und<br />

lokale Eliten immer noch sehr mächtig<br />

Keine Belege vorhanden<br />

West Bengalen, Gut: verbesserte Partizipation und Vertretung, Gut: Positiv für Wachstum, Gleichheit, mensch-<br />

In<strong>die</strong>n stärkere Berücksichtigung der Belange der liche Entwicklung; keine Belege für räumlich<br />

Armen gerechtere Verteilung<br />

Quelle: Übernommen aus Crook und Sturfa Sverrisson 2001 (noch unveröffentlicht).<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 175


In Bolivien hat <strong>die</strong><br />

Dezentralisierung auch<br />

<strong>die</strong> Partizipation indigener<br />

Völker, insbesondere der<br />

Quechua- und Aymara-<br />

Bevölkerung, gestärkt<br />

weder zu mehr Partizipation, noch zu besseren<br />

Ergebnissen für <strong>die</strong> arme Bevölkerung auf<br />

sozialer und wirtschaftlicher Ebene geführt.<br />

Ugandas ehrgeiziges, aber finanziell schlecht<br />

ausgestattetes und zentral gesteuertes Dezentralisierungsprogramm<br />

ist aufgrund seines<br />

zu zentralistischen technokratischen Ansatzes<br />

und der Vetternwirtschaft vor Ort gescheitert.<br />

SOZIALE BEWEGUNGEN UND INNOVATIVE<br />

ANSÄTZE BEI DER PARTIZIPATION DER<br />

BEVÖLKERUNG<br />

Direkte kollektive Aktionen stellen für <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

und insbesondere <strong>die</strong> Armen eine<br />

weitere Möglichkeit dar, <strong>die</strong> Entscheidungsfindung<br />

zu beeinflussen und <strong>die</strong> Behörden zur<br />

Rechenschaft zu ziehen. Soziale Bewegungen<br />

haben dafür gesorgt, dass Ausgrenzung und<br />

Armut auf <strong>die</strong> politische Tagesordnung gesetzt<br />

wurden. Sie sind dort am aktivsten, wo<br />

vor kurzem erst politische Freiheiten erkämpft<br />

werden konnten – oder noch erkämpft werden<br />

müssen. Sie protestieren nicht nur auf der<br />

Straße, sondern verlangen Veränderungen bei<br />

den politischen Entscheidungsprozessen. Der<br />

Dezentralisierungsprozess hat neue Möglichkeiten<br />

des Bürgerengagements auf kommunaler<br />

Ebene geschaffen, und das hat zu einer erheblichen<br />

Verstärkung der Aktivitäten auf<br />

kommunaler Ebene geführt.<br />

DER KAMPF FÜR BESSERE<br />

LEBENSBEDINGUNGEN IN BOGOTA,<br />

KOLUMBIEN<br />

Seit Jahrzehnten organisieren und mobilisieren<br />

<strong>die</strong> Einwohner von Bogotá in Kolumbien<br />

– insbesondere in armen Stadtbezirken - Unterstützung,<br />

um <strong>die</strong> Lebensqualität in der<br />

Stadt zu verbessern und <strong>die</strong> Gewalt zu reduzieren.<br />

Diese Bemühungen haben zu einigen<br />

beeindruckenden Ergebnissen geführt. Die<br />

Einwohner konnten 1988 erstmals ihren Bürgermeister<br />

wählen. Im Jahr 1994 wählten sie<br />

mit Antanus Mockus den ersten unabhängigen<br />

Bürgermeister und beendeten so <strong>die</strong> Dominanz<br />

der liberalen und konservativen Parteien<br />

in der Stadt. Der Aufstieg von Mockus<br />

war vor allem das Ergebnis von Organisations-<br />

bemühungen in armen Stadtteilen. Seine<br />

Stadtverwaltung erarbeitete einen Entwicklungsplan,<br />

der darauf basierte, „eine neue<br />

Stadt zu konstruieren”. Die darauf folgende<br />

Stadtverwaltung von Enrique Peñalosa – einem<br />

weiteren Unabhängigen – setzte einen<br />

Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Entwicklung öffentlicher<br />

Flächen wie beispielsweise Parks, Plätze, Bürgersteige<br />

und Fahrradwege.<br />

Solche Bemühungen haben <strong>die</strong> Lebensbedingungen<br />

in Bogotá spürbar verbessert. Die<br />

Zahl der Verkehrstoten ist von einem Spitzenwert<br />

von 1.387 im Jahr 1995 auf 745 im Jahr<br />

2001 gesunken. Die Zahl der Tötungsdelikte<br />

ist sogar noch stärker gesunken, nämlich von<br />

einem Spitzenwert von 4.452 im Jahr 1993 auf<br />

2.000 im Jahr 2001. Am erstaunlichsten war<br />

vermutlich das Ergebnis einer freiwilligen<br />

Steuerkampagne, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Einnahmen<br />

der Stadt im selben Zeitraum um 500.000 US-<br />

Dollar stiegen. 29 In einer kürzlich von der kolumbischen<br />

Nationalen Planungsbehörde vorgelegten<br />

Stu<strong>die</strong> <strong>über</strong> politische, finanzielle<br />

und administrative Indikatoren wurde Bogotá<br />

von allen kolumbischen Kommunen am höchsten<br />

eingestuft. 30<br />

FÖRDERUNG EINER DEMOKRATISCHEN<br />

KULTUR IN BOLIVIEN<br />

Das System der Volksbeteiligung in Bolivien<br />

ist ein Beispiel für den jüngsten Trend zur Dezentralisierung<br />

im Verwaltungs- und Finanzbereich<br />

in Entwicklungsländern. 31 Das 1992<br />

verabschiedete Gesetz zur Beteiligung der Bevölkerung<br />

gewährleistet, dass bei der Dezentralisierung<br />

<strong>die</strong> Mitwirkung der Zivilgesellschaft<br />

vor Ort und der Basisorganisationen bei<br />

der kommunalen Planung und der Überwachung<br />

der Entwicklungsprojekte berücksichtigt<br />

wird.<br />

Die Herausforderungen, mit denen sich<br />

<strong>die</strong> zivilgesellschaftlichen Organisationen vor<br />

Ort konfrontiert sahen, machten einen solchen<br />

Ansatz erforderlich. Er spiegelt auch <strong>die</strong><br />

lange Tradition der kommunalen Beteiligung<br />

in Bolivien wider, sowohl in den indigenen<br />

Kulturen als auch bei den Arbeiter- und Bergarbeitergewerkschaften.<br />

Im Gesetz zur Beteiligung<br />

der Bevölkerung wird das Land in 314<br />

176 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Kommunen aufgeteilt, <strong>die</strong> entsprechend ihres<br />

Bevölkerungsanteils staatliche Mittel für Projekte<br />

erhalten.<br />

Diese Umverteilungen hatten zwar unterschiedliche<br />

Folgen für <strong>die</strong> Reduzierung der<br />

Armut, sie bewirkten jedoch eine Reduzierung<br />

der räumlichen Ungleichheit, indem sie Mittel<br />

für Regionen – wie beispielsweise abgelegene<br />

ländliche Gebiete - bereitstellten, <strong>die</strong> vorher<br />

vernachlässigt worden waren. Die Dezentralisierung<br />

hat auch <strong>die</strong> Partizipation indigener<br />

Völker, insbesondere der Quechua- und Aymara-Bevölkerung<br />

gestärkt. Eine der wichtigsten<br />

Auswirkungen des neuen Systems ist <strong>die</strong><br />

Förderung einer demokratischen Kultur, <strong>die</strong><br />

alle miteinbezieht.<br />

BEWUSSTSEIN FÜR HIV/AIDS IN<br />

THAILAND WECKEN<br />

Seit den frühen neunziger Jahren hat <strong>die</strong> Population<br />

and Community Development Association<br />

(Vereinigung für Bevölkerung und<br />

Kommunale Entwicklung) in Thailand, eine<br />

Nichtregierungsorganisation (NRO), deren<br />

Schwerpunkt ursprünglich auf Familienplanung<br />

lag, ungeheuere Anstrengungen unternommen,<br />

um das Bewusstsein <strong>über</strong> HIV/<br />

AIDS zu stärken. Sie trug dazu bei, obligatorische<br />

Informationssendungen im Radio und im<br />

Fernsehen zu fördern, <strong>die</strong> jede Stunde 30 Sekunden<br />

lang ausgestrahlt wurden. Sie war<br />

auch an der Einführung eines nationalen<br />

AIDS-Aufklärungsprogramms beteiligt. Zudem<br />

hat sie auch „Kondom-Nächte“ und<br />

„Miss Anti-AIDS Schönheitsparaden“ in den<br />

am stärksten frequentierten Sex-Bezirken von<br />

Bangkok durchgeführt und damit <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

zur Aufklärung von besonders gefährdeten<br />

Bevölkerungsgruppen – nämlich Prostituierten<br />

und ihren Kunden – und zur Verteilung<br />

von Kondomen geschaffen.<br />

Diese Bemühungen haben dazu beigetragen,<br />

<strong>die</strong> Zahl der HIV-Neuerkrankungen<br />

zu senken und dadurch deutlich gemacht,<br />

wie wichtig <strong>die</strong> Mobilisierung vor Ort ist.<br />

Bewusstseinsbildung, Förderung des Gebrauchs<br />

von Verhütungsmitteln, Förderung<br />

der Partizipation und Unterstützung vor Ort<br />

sind daher <strong>die</strong> entscheidenden Elemente,<br />

wenn man das Millenniums-Entwicklungsziel<br />

erreichen will, <strong>die</strong> Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS, von Malaria und anderen ansteckenden<br />

Krankheiten allmählich einzudämmen.<br />

BERÜCKSICHTIGUNG GESCHLECHTS-<br />

SPEZIFISCHER BELANGE BEI DER<br />

HAUSHALTSPOLITIK IN SÜDAFRIKA<br />

1995 wurde <strong>die</strong> South African Women’s Budget<br />

Initiative (Südafrikanische Frauen Budget<br />

Initiative) von der Gender and Economic Policy<br />

Group (Frauen und Wirtschaftspolitik<br />

Gruppe) des Haushaltsausschusses des Parlaments<br />

und von zwei politikbezogenen NRO,<br />

deren Schwerpunkt auf Forschung und Lobbyarbeit<br />

lag, gegründet. Durch <strong>die</strong> Vernetzung<br />

von Forschern und Parlamentariern<br />

konnte <strong>die</strong> Forschung sicher sein, eine Lobby<br />

im Parlament zu erhalten – während <strong>die</strong> Parlamentarier<br />

eine solide Basis für ihre Politik erhielten.<br />

Durch <strong>die</strong>ses nicht allein an Wirtschaftlichkeit<br />

ausgerichtete Vorgehen wurde<br />

ein interdisziplinärer Ansatz gefördert, der<br />

Fragestellungen mit einbezog, <strong>die</strong> bei einer<br />

konventionellen ökonomischen Analyse nicht<br />

berücksichtigt werden. Diese fehlende<br />

Berücksichtigung hatte oft zu einer Politik geführt,<br />

<strong>die</strong> geschlechtsspezifische Fragestellungen<br />

<strong>über</strong>sah. Die Initiative hat <strong>die</strong>se Vernachlässigung<br />

geschlechtsspezifischer Aspekte<br />

ebenso dokumentiert wie das wachsende Problem<br />

von HIV/AIDS.<br />

Diese Arbeit wurde noch ausgeweitet, als<br />

das Gender Advocacy Programme, eine Frauen-NRO,<br />

in der westlichen Kap-Provinz im<br />

Jahr 2000 Untersuchungen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Haushaltszuweisungen<br />

im Zusammenhang mit dem<br />

Gesetz zu häuslicher Gewalt (Domestic Violence<br />

Act) aus dem Jahr 1998 durchführte. Mit<br />

Unterstützung der Provinzregierung wurden<br />

<strong>die</strong> Haushaltszuweisungen in den einzelnen<br />

für <strong>die</strong> Umsetzung des Gesetzes zuständigen<br />

Abteilungen (Justiz, Sicherheit, Wohlfahrt)<br />

untersucht. Solche Initiativen sind zwar noch<br />

zu neu, um <strong>die</strong> Politik zu beeinflussen, trotzdem<br />

sind sie ein Schritt hin zu einer Stärkung<br />

der Partizipation und leisten einen Beitrag zur<br />

politischen Entscheidungsfindung. 32<br />

Bewusstseinsbildung,<br />

Förderung des Gebrauchs<br />

von Verhütungsmitteln,<br />

Förderung der<br />

Partizipation und<br />

Unterstützung vor Ort<br />

sind <strong>die</strong> entscheidenden<br />

Elemente, wenn man<br />

das Millenniums-<br />

Entwicklungsziel<br />

erreichen will, <strong>die</strong><br />

Ausbreitung von<br />

HIV/AIDS allmählich<br />

einzudämmen<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 177


Das Experiment von Porto<br />

Alegre ist so erfolgreich<br />

gewesen, dass es von<br />

vielen anderen<br />

brasilianischen Städten,<br />

darunter São Paulo,<br />

Santos, Belo Horizonte,<br />

Campinas und Vitoria,<br />

aber auch von anderen<br />

lateinamerikanischen<br />

Ländern <strong>über</strong>nommen<br />

wurde<br />

Eine solche Politikformulierung und<br />

entsprechende Haushaltsmaßnahmen haben<br />

große Bedeutung für <strong>die</strong> Ziele, insbesondere<br />

<strong>die</strong> Ziele in den Bereichen Hunger, Bildung,<br />

Ermächtigung der Frauen, Kindersterblichkeit,<br />

Müttergesundheit und HIV/AIDS und<br />

andere Krankheiten. Wenn man für bestimmte<br />

Zielgruppen der Bevölkerung grundlegende<br />

Dienstleistungen erbringt, führt <strong>die</strong>s zu<br />

positiven Effekten. Das Gleiche gilt für<br />

Dienstleistungen. <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Bedürfnisse von<br />

anfälligen Bevölkerungsgruppen zugeschnitten<br />

sind.<br />

BETEILIGUNGSHAUSHALTE IN<br />

PORTO ALEGRE, BRASILIEN<br />

In Porto Alegre im brasilianischen Rio Grande<br />

do Sul, führte <strong>die</strong> Arbeiterpartei 1988 eine Politik<br />

zur Förderung der Beteiligungshaushalte<br />

ein und wurde danach durch ihre Wahlerfolge<br />

1992 und 1996 bestätigt. 33 Die vorher auf bestimmte<br />

Interessengruppen zugeschnittene<br />

Haushaltspolitik wurde in ein auf dem Dialog<br />

mit den Bürgern aufbauendes System mit voller<br />

Rechenschaftspflicht umgewandelt, das sich<br />

an den Bedürfnissen der Einwohnerschaft orientiert.<br />

Das System hat einige gute Ergebnisse gebracht.<br />

34 Die Beteiligung der Bürger bei der<br />

Vorbereitung und kritischen Bewertung der<br />

öffentlichen politischen Maßnahmen hat auf<br />

eindrucksvolle Weise zugenommen. Der Anteil<br />

der städtischen Bevölkerung mit Zugang<br />

zu Wasser stieg von 49 Prozent im Jahr 1989<br />

auf 98 Prozent im Jahr 1996. 35 Im gleichen<br />

Zeitraum verdoppelte sich <strong>die</strong> Anzahl der<br />

Kinder, <strong>die</strong> eine Grundschule oder weiterführende<br />

Schule besuchten.<br />

All <strong>die</strong>s wurde durch eine 48prozentige<br />

Erhöhung des kommunalen Steueraufkommens<br />

parallel zu <strong>die</strong>sen Maßnahmen ermöglicht.<br />

Die kommunalen Mittel wurden umverteilt,<br />

um Betriebe in armen Stadtgebieten zu<br />

unterstützen. Das Transportwesen ist bis in<br />

<strong>die</strong> Außenbezirke ausgedehnt worden. Die<br />

Qualität und Reichweite öffentlicher Arbeiten<br />

und Dienstleistungen – wie zum Beispiel das<br />

Pflastern von Straßen, Wohnungsbau- und<br />

städtische Entwicklungsprojekte – sind ver-<br />

bessert worden. Viele Slums sind zu städtischen<br />

Wohngebieten geworden, <strong>die</strong> Hälfte<br />

der bisher ungepflasterten Straßen konnte inzwischen<br />

gepflastert werden und <strong>die</strong> Korruption<br />

wurde reduziert.<br />

Das hohe Niveau zivilgesellschaftlichen<br />

Engagements und <strong>die</strong> geänderte Haltung der<br />

politischen Behörden haben sich als entscheidender<br />

Vorteil für Beratungen und Konsensbildung<br />

erwiesen. Vertreter der 16 Verwaltungsbezirke<br />

der Stadt kommen zweimal im<br />

Jahr zu Plenarversammlungen zusammen, um<br />

Haushaltsfragen zu klären. Diese Treffen werden<br />

von der Kommunalverwaltung und den<br />

kommunalen Delegierten gemeinsam koordiniert.<br />

Zu den Teilnehmern zählen leitende<br />

städtische Angestellte, Verwaltungsbeamte,<br />

Vertreter von Stadtteilvereinigungen, Jugendund<br />

Gesundheitsklubs sowie weitere interessierte<br />

Einwohner.<br />

Die jährliche Versammlung der 16 Bezirke<br />

im März <strong>über</strong>prüft den Haushalt des vorangegangenen<br />

Jahres und wählt Vertreter, <strong>die</strong><br />

in den folgenden drei Monaten an wöchentlichen<br />

Treffen teilnehmen und dort <strong>die</strong> Ausgabenprioritäten<br />

des Bezirks für das kommende<br />

Jahr erarbeiten. In <strong>die</strong>sen drei Monaten,<br />

in denen <strong>die</strong> Vorbereitung der zweiten Bezirksversammlung<br />

stattfindet, werden auch<br />

Beratungen vor Ort in den Stadtteilen <strong>über</strong><br />

Themen wie Transportwesen, Abwasser,<br />

Flächennutzungsplanung, Kinder- und Altentagesstätten<br />

und Gesundheitsfürsorge<br />

durchgeführt, <strong>über</strong> deren Ergebnisse auf der<br />

zweiten Versammlung <strong>bericht</strong>et wird. Auf<br />

der zweiten Versammlung werden auch zwei<br />

Delegierte und ihre Stellvertreter gewählt, <strong>die</strong><br />

den Bezirk im gesamtstädtischen Rat des Beteiligungshaushalts<br />

vertreten, der fünf Monate<br />

lang den städtischen Haushalt unter<br />

Berücksichtigung der Prioritäten der Bezirke<br />

ausarbeitet.<br />

Der Rat setzt sich zusammen aus den Bezirksdelegierten,<br />

gewählten Vertretern und<br />

Delegierten zu bestimmten Themen aus den<br />

Reihen der kommunalen Arbeitergewerkschaft,<br />

dem Dachverband der Stadtteilvereinigungen<br />

und der zentralen Kommunalbehörden.<br />

Dieses Gremium trifft sich von Juli bis<br />

September jede Woche, um einen städtischen<br />

178 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Haushalt auszuarbeiten, der dann dem Bürgermeister<br />

vorgelegt wird. Jedes Jahr am 30.<br />

September wird der jährliche städtische Haushaltsentwurf<br />

eingereicht, den der Bürgermeister<br />

so akzeptieren oder durch sein Veto an<br />

den Rat zurückverweisen kann. Der Rat kann<br />

als Reaktion darauf den Haushalt abändern,<br />

oder mit einer Zweidrittel-Mehrheit das Veto<br />

des Bürgermeisters <strong>über</strong>stimmen.<br />

Der Beteiligungshaushalt ist sehr populär<br />

geworden. Mehr als 100.000 Menschen (8<br />

Prozent der erwachsenen Bevölkerung) haben<br />

an der 1996er-Runde der Bezirksversammlungen<br />

und an den verschiedenen in der Zwischenzeit<br />

stattgefundenen Treffen teilgenommen.<br />

36 Die Arbeit verschiedener zivilgesellschaftlicher<br />

Organisationen erhält <strong>die</strong> Dynamik<br />

in der Bevölkerung durch Unterstützung<br />

bei den verschiedenen Treffen, durch Bewusstseinsbildung,<br />

Lobbyarbeit und Forschungsprojekte<br />

im Hinblick auf gemeinsame kommunale<br />

Zielsetzungen aufrecht.<br />

Das Experiment von Porto Alegre ist so<br />

erfolgreich gewesen, dass es von vielen anderen<br />

brasilianischen Städten, darunter São<br />

Paulo, Santos, Belo Horizonte, Campinas<br />

und Vitoria, aber auch von anderen lateinamerikanischen<br />

Ländern <strong>über</strong>nommen wurde.<br />

Aus <strong>die</strong>sen Erfahrungen lassen sich wichtige<br />

Lehren für <strong>die</strong> Ausarbeitung von Strategien<br />

zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

ziehen, insbesondere für <strong>die</strong><br />

Ziele, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Verbesserung der Lebensqualität<br />

für Slumbewohner und <strong>die</strong> Sicherung<br />

eines dauerhaften Zugangs zu sauberem<br />

Trinkwasser und verbesserter sanitärer Versorgung<br />

abzielen.<br />

* * *<br />

Bei den hier behandelten Beispielen für Dezentralisierung<br />

und Mobilisierung vor Ort<br />

liegt der Schwerpunkt auf der Umverteilung<br />

öffentlicher Ausgaben, insbesondere für soziale<br />

Dienstleistungen. Andere zentrale Fragen<br />

des Zugangs zu ökonomischen Chancen und<br />

Produktionskapital werden dabei nicht behandelt.<br />

Es ist sehr viel unwahrscheinlicher,<br />

dass bei <strong>die</strong>sen Fragen effektiv politischer<br />

Druck im Hinblick auf staatliche Maßnahmen<br />

ausgeübt werden kann, <strong>die</strong> zu mehr Wachstum<br />

beitragen und das Einkommen armer<br />

Haushalte steigern, wie zum Beispiel Steuerreformen,<br />

Umverteilung von Kapital und <strong>die</strong><br />

Förderung von Investitionen in beschäftigungsschaffenden<br />

Industrien.<br />

Das heißt jedoch nicht, dass solche<br />

Bemühungen nur in geringem Umfang und<br />

mit wenig Ehrgeiz betrieben werden. Es gibt<br />

andere verfassungsmäßige und rechtliche Verpflichtungen,<br />

<strong>die</strong> in der Verantwortung der<br />

Regierungen liegen und wo <strong>die</strong> soziale Mobilisierung<br />

eine Rolle spielen kann: Bei der Beseitigung<br />

der Armut, der Schaffung von Arbeitsplätzen,<br />

der Verringerung der Ungleichheit<br />

und der stetig zunehmenden Verwirklichung<br />

und Einhaltung der Menschenrechte. Die Millenniums-Entwicklungsziele<br />

werfen noch einmal<br />

ein Schlaglicht auf <strong>die</strong>se Ziele, <strong>die</strong> der eigentliche<br />

Schwerpunkt der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

sind. Auch der Weg, auf dem man<br />

<strong>die</strong>se Ziele erreichen kann, spielt eine Rolle<br />

und, wie schon in der Millenniums-Erklärung<br />

formuliert, sind demokratische und partizipatorische<br />

Regierungsformen dafür am besten<br />

ausgestattet.<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR DIE ZIELE AN DER BASIS MOBILISIEREN 179


KAPITEL 8<br />

Handlungskonzepte statt Almosen:<br />

Was <strong>die</strong> reichen Länder tun können, um <strong>die</strong><br />

Ziele erreichen zu helfen<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel wird <strong>die</strong> Rolle der reichen<br />

Länder im internationalen Pakt zum Erreichen<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

untersucht. Der Pakt setzt bei der globalen<br />

Entschlossenheit zur Armutsbekämpfung an,<br />

indem er auf der gegenseitigen Verantwortung<br />

der armen und der reichen Länder aufbaut.<br />

Die armen Länder müssen ihre Staats- und Regierungsführung<br />

verbessern, um Mittel zu mobilisieren<br />

und sie wirksamer und gerechter<br />

einzusetzen. Die reichen Länder müssen <strong>die</strong><br />

Entwicklungshilfe, <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen,<br />

den Marktzugang und den Technologietransfer<br />

ausweiten.<br />

Die Millenniums-Erklärung der Vereinten<br />

Nationen und der Konsens von Monterrey<br />

(das Ergebnis der Internationalen Konferenz<br />

<strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung vom März<br />

2002 in Monterrey, Mexiko) stellen klar, dass<br />

<strong>die</strong> armen Länder <strong>die</strong> Hauptverantwortlichen<br />

sind, was das Erreichen der Ziele 1 bis 7 angeht.<br />

Aber <strong>die</strong>se internationalen Vereinbarungen<br />

spiegeln auch einen neuen Ansatz wider.<br />

Die reichen Länder gründen ihre Unterstützung<br />

für <strong>die</strong> armen Länder stärker auf deren<br />

Leistungen, als dass sie ihnen einen Anspruch<br />

darauf zubilligen. Danach werden <strong>die</strong> reichen<br />

Länder <strong>die</strong> Hilfe für genau <strong>die</strong> armen Länder<br />

erhöhen, <strong>die</strong> ehrliche Anstrengungen unternehmen,<br />

einheimische Ressourcen zu mobilisieren,<br />

politische Reformen durchzuführen,<br />

<strong>die</strong> Institutionen zu stärken sowie <strong>die</strong> Korruption<br />

und andere Aspekte zu bekämpfen, auf<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Schwäche ihres Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />

zurückzuführen ist.<br />

Die von den reichen Ländern in der Millenniums-Erklärung<br />

gemachten Zusagen sind<br />

in Ziel 8 ausformuliert (siehe Kasten 8.1). Diese<br />

Verpflichtungen sind seitdem in verschiedenen<br />

Foren wiederholt bekräftigt worden:<br />

• Im Konsens von Monterrey wurde <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit einer signifikanten Erhöhung<br />

der Entwicklungshilfe anerkannt. Die Geberländer<br />

wurden aufgefordert, konkrete<br />

Anstrengungen zu unternehmen, um bei<br />

der Entwicklungshilfe <strong>die</strong> 1970 festgelegte<br />

Zielvorgabe von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

zu erreichen und nachdrücklich<br />

Schuldenerleichterungen für Länder anzustreben,<br />

<strong>die</strong> Maßnahmen zur Stärkung<br />

des Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />

ergreifen.<br />

• In der Ministererklärung von Doha zum<br />

Abschluss der Konferenz der Welthandelsorganisation<br />

(World Trade Organization –<br />

WTO) im Jahre 2001 wurden <strong>die</strong> Armutsbekämpfungsziele<br />

erneut bekräftigt und es<br />

wurde zugesagt, <strong>die</strong> Interessen der armen<br />

Länder zum zentralen Gegenstand der<br />

zukünftigen Arbeit der Handelsminister zu<br />

machen. Außerdem verpflichteten sich <strong>die</strong> Minister<br />

gegen<strong>über</strong> den am wenigsten entwickelten<br />

Ländern dem Ziel des zoll- und quotenfreien<br />

Marktzugangs für Produkte aus <strong>die</strong>sen<br />

Ländern.<br />

• Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung,<br />

der im September 2002 in Johannesburg<br />

in Südafrika stattfand, bekräftigte erneut <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit, <strong>die</strong> Entwicklungshilfe auszuweiten.<br />

Er forderte <strong>die</strong> Geber auf, auf <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />

von 0,7 Prozent hinzuarbeiten und<br />

<strong>die</strong> nicht tragbare Schuldenlast von Ländern<br />

zu verringern, <strong>die</strong> sich nachweislich bemühen,<br />

ihre Staats- und Regierungsführung zu verbessern.<br />

Zudem wurden <strong>die</strong> WTO-Mitglieder<br />

aufgefordert, ihre Zusagen hinsichtlich des<br />

Marktzugangs zu erfüllen.<br />

Wenn Ziel 8 vernachlässigt wird, ist es<br />

schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong> ärmsten Länder<br />

<strong>die</strong> Ziele 1 bis 7 erreichen können. Dieser Bericht<br />

zeigt auf, was getan werden muss, um <strong>die</strong><br />

Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen der<br />

Ziele zu beschleunigen. Dazu zählen: Mittel<br />

für Sozialausgaben in ausreichendem Umfang<br />

KASTEN 8.1<br />

Millenniums-<br />

Entwicklungsziel 8<br />

Alle 189 Mitgliedstaaten der Vereinten<br />

Nationen haben sich verpflichtet,<br />

bis 2015:<br />

• ein offenes, regelgestütztes, berechenbares<br />

und nichtdiskriminierendes<br />

Handels- und Finanzsystem<br />

weiterzuentwickeln. Dies umfasst<br />

<strong>die</strong> Verpflichtung auf eine gute Regierungs-<br />

und Verwaltungsführung,<br />

<strong>die</strong> Entwicklung und <strong>die</strong> Armutsminderung<br />

sowohl auf nationaler<br />

als auch auf internationaler Ebene.<br />

• den besonderen Bedürfnissen<br />

der am wenigsten entwickelten Länder<br />

Rechnung zu tragen. Dies umfasst<br />

einen zoll- und quotenfreien<br />

Zugang für <strong>die</strong> Exportgüter der am<br />

wenigsten entwickelten Länder, ein<br />

verstärktes Schuldenerleichterungsprogramm<br />

für <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />

armen Länder und <strong>die</strong> Streichung<br />

der bilateralen öffentlichen<br />

Schulden sowie <strong>die</strong> Gewährung<br />

großzügigerer öffentlicher Entwicklungshilfe<br />

für Länder, <strong>die</strong> zur Armutsminderung<br />

entschlossen sind.<br />

• den besonderen Bedürfnissen<br />

der Binnen- und kleinen Insel<strong>entwicklung</strong>sländer<br />

Rechnung zu tragen.<br />

• <strong>die</strong> Schuldenprobleme der Entwicklungsländer<br />

durch Maßnahmen<br />

auf nationaler und internationaler<br />

Ebene umfassend anzugehen<br />

und so <strong>die</strong> Schulden langfristig tragbar<br />

werden zu lassen.<br />

• in Zusammenarbeit mit den<br />

Entwicklungsländern Strategien zur<br />

Beschaffung menschenwürdiger<br />

und produktiver Arbeit für junge<br />

Menschen zu erarbeiten und umzusetzen.<br />

• in Zusammenarbeit mit den<br />

Pharmaunternehmen erschwingliche<br />

unentbehrliche Arzneimittel in<br />

den Entwicklungsländern verfügbar<br />

zu machen.<br />

• in Zusammenarbeit mit dem<br />

Privatsektor dafür zu sorgen, dass<br />

<strong>die</strong> Vorteile der neuen Technologien,<br />

insbesondere der Informationsund<br />

Kommunikationstechnologien,<br />

genutzt werden können.<br />

Quelle: UN <strong>2003</strong>b.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 181


Jährliche Verbraucherausgaben<br />

für Tabak<br />

204 Milliarden US-Dollar<br />

GRAFIK 8.1<br />

Entwicklungshilfe –<br />

wie groß ist der Bedarf,<br />

wie viel wird gegeben?<br />

Konstante US-Dollar von 2000<br />

Bedarf:<br />

mindestens zusätzliche<br />

50 Millionen US-Dollar<br />

57,6 54,0<br />

Milliarden Milliarden<br />

US-Dollar US-Dollar<br />

1990<br />

2001<br />

2002<br />

0,33% 0,22% 0,23%<br />

Anteil am Bruttosozialprodukt<br />

der Geberländer<br />

Zugesagt:<br />

16<br />

Milliarden<br />

US-Dollar<br />

bis 2006<br />

56,6<br />

Milliarden<br />

US-Dollar<br />

Quelle: Gesamtbedarf: World Bank und IMF 2001;<br />

Gesamt<strong>entwicklung</strong>shilfe: OECD, Development<br />

Assistance Committee <strong>2003</strong>c; Economist 2001.<br />

GRAFIK 8.2<br />

Rückläufige öffentliche<br />

Entwicklungshilfe (ODA)<br />

Index, 1990=100<br />

1990–2001<br />

AM WENIGSTEN ENTWICKELTE LÄNDER<br />

1990<br />

100<br />

90<br />

Netto Auszahlungen<br />

80<br />

an öffentlicher<br />

Entwicklungshilfe<br />

Anteil der öffentlichen<br />

70<br />

Entwicklungshilfe am<br />

BIP<br />

Öffentliche<br />

60<br />

Entwicklungshilfe<br />

pro Kopf<br />

AFRIKA SÜDLICH DER SAHARA<br />

1990<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

2001<br />

2001<br />

Netto Auszahlungen<br />

an öffentlicher<br />

Entwicklungshilfe<br />

Öffentliche<br />

Entwicklungshilfe<br />

pro Kopf<br />

Anteil der öffentlichen<br />

Entwicklungshilfe am<br />

BIP<br />

Quelle: OECD, Development Assistance<br />

Committee <strong>2003</strong>a.<br />

bereitzustellen, <strong>die</strong> zerfallende Gesundheitsinfrastruktur<br />

wiederherzustellen, mehr Lehrerinnen<br />

einzustellen, um Mädchen zum Schulbesuch<br />

zu ermutigen, <strong>die</strong> Ungerechtigkeiten<br />

bei den öffentlichen Ausgaben für <strong>die</strong> Wasserversorgung<br />

zu beseitigen, <strong>die</strong> Rechte von Frauen<br />

an Grund und Boden zu sichern, in <strong>die</strong><br />

Agrarforschung zu investieren, neue Exportmärkte<br />

zu erschließen, eine Vielzahl weiterer<br />

praxisorientierter Schritte zu unternehmen,<br />

um politische Handlungskonzepte zu verändern,<br />

Institutionen zu verbessern und <strong>die</strong> Investitionen<br />

zu erhöhen.<br />

Die Regierungen der armen Länder müssen<br />

<strong>die</strong> Initiative ergreifen, um <strong>die</strong>se Schritte<br />

zu unternehmen; sie dürfen dabei jedoch nicht<br />

auf sich allein gestellt bleiben. Im Millenniums-Entwicklungspakt<br />

wird dargelegt, dass<br />

<strong>die</strong> Länder mit hoher und höchster Priorität,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> größten Hürden zu <strong>über</strong>winden haben,<br />

große Zuflüsse an Gebermitteln benötigen<br />

werden, um wesentlich stärker als bisher in<br />

Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, Wasserversorgung,<br />

Sanitärversorgung und zentrale<br />

Infrastruktur zu investieren. Sie können nicht<br />

warten, bis durch wirtschaftliches Wachstum<br />

genügend Rücklagen im Inland gebildet wur-<br />

KASTEN 8.2<br />

Dass <strong>die</strong> reichen Länder 0,7 Prozent ihres<br />

Bruttosozialprodukts (BSP) für <strong>die</strong> globale Entwicklung<br />

bereitstellen sollten, wurde zum ersten<br />

Mal 1969 im Report on International Development<br />

vorgeschlagen, der unter der Leitung des<br />

früheren kanadischen Premierministers Lester<br />

Pearson erstellt wurde. Diese Zahl wird weithin als<br />

Referenzzielvorgabe für <strong>die</strong> öffentliche Entwicklungshilfe<br />

akzeptiert. Nachdem sie 1970 von der<br />

UN-Vollversammlung bekräftigt worden war, wurde<br />

sie Bestandteil der internationalen Entwicklungsstrategie<br />

für das darauf folgende Jahrzehnt.<br />

Neuere Entwicklungen <strong>die</strong>sbezüglich sind unter<br />

anderem <strong>die</strong> folgenden:<br />

• In der Millenniums-Erklärung werden reiche<br />

Länder aufgefordert, „großzügigere Entwicklungshilfe“<br />

zu gewähren.<br />

• Im Konsens von Monterrey werden „entwickelte<br />

Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s bislang unterlassen haben“, aufgefordert,<br />

„konkrete Anstrengungen zu unternehmen,<br />

um <strong>die</strong> Zielvorgabe von 0,7 Prozent des BSP als öf-<br />

Quelle: UN 2002e.<br />

den und <strong>die</strong> Haushaltseinkommen steigen. Es<br />

ist im Gegenteil so, dass <strong>die</strong>se Schlüsselinvestitionen<br />

<strong>die</strong> Grundlage für wirtschaftliches<br />

Wachstum schaffen.<br />

Außerdem sind <strong>die</strong> armen Länder Beschränkungen<br />

ausgesetzt, <strong>die</strong> nur durch Veränderungen<br />

der Politik der reichen Länder<br />

verringert werden können. Im internationalen<br />

Handel stehen sie häufig vor Barrieren. Zudem<br />

ist ihr Handlungsspielraum durch <strong>die</strong><br />

enormen Auslandsschulden eingeengt, <strong>die</strong> sie<br />

von früheren Regierungen <strong>über</strong>nommen haben.<br />

Und aufgrund ihrer Defizite im Technologie-Bereich<br />

sind globale Ressourcen und<br />

Know-how erforderlich, um ihre Probleme in<br />

den Bereichen Gesundheit, Kommunikation<br />

und Energie zu lösen.<br />

MEHR UND WIRKSAMERE<br />

ENTWICKLUNGSHILFE<br />

Der Umfang der zum Erreichen der Ziele<br />

benötigten zusätzlichen externen Finanzierung<br />

ist schwer zu schätzen. Denn erstens sind<br />

dazu Informationen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kosten erforderlich,<br />

<strong>die</strong> von Land zu Land enorm schwanken,<br />

und zweitens müssen <strong>die</strong> Aussichten für <strong>die</strong><br />

Öffentliche Entwicklungshilfe: Die Zielvorgabe von 0,7 Prozent<br />

fentliche Entwicklungshilfe (ODA) für Entwicklungsländer<br />

und von 0,15 bis 0,20 Prozent für <strong>die</strong><br />

am wenigsten entwickelten Länder zu erreichen“.<br />

• Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />

wurden „entwickelte Länder, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s bislang<br />

unterlassen haben“, ebenfalls aufgefordert, „konkrete<br />

Anstrengungen zu unternehmen, um <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />

von 0,7 Prozent des BSP als öffentliche<br />

Entwicklungshilfe für Entwicklungsländer zu erreichen<br />

und ihre Zusagen <strong>über</strong> solche Hilfe für <strong>die</strong> am<br />

wenigsten entwickelten Länder tatsächlich umzusetzen“.<br />

Wenn <strong>die</strong> Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />

der OECD (<strong>die</strong> 23 größten Geber weltweit)<br />

tatsächlich öffentliche Entwicklungshilfe im<br />

Umfang von 0,7 Prozent ihres BSP leisten würden,<br />

entspräche <strong>die</strong>s einem Volumen von 165 Milliarden<br />

US-Dollar jährlich. Dies wäre dreimal so viel wie<br />

derzeit und läge deutlich <strong>über</strong> den aktuellen Schätzungen<br />

für den Bedarf zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

182 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


TABELLE 8.1<br />

Nettozahlungen an öffentlicher Entwicklungshilfe nach Empfängerregion,<br />

1990 und 2001<br />

(Konstante US-Dollar von 2000)<br />

Pro Kopf in Empfängeregionen Anteil am BIP<br />

Region 1990 2001 1990 2001<br />

Alle Entwicklungsländer 15 10 1,61 0,81<br />

Am wenigsten entwickelte Länder 33 20 12,92 8,45<br />

Arabische Staaten 59 18 2,85 1,00<br />

Ostasien und Pazifikraum5 4 0,77 0,32<br />

Lateinamerika und Karibik 13 12 0,48 0,32<br />

Südasien 6 4 1,18 0,84<br />

Afrika südlicher der Sahara 34 21 6,13 4,55<br />

Welt 14 10 1,28 0,77<br />

Quelle: OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>a.<br />

Mobilisierung inländischer Ressourcen bekannt<br />

sein, <strong>die</strong> von zukünftigem Wachstum<br />

und Reformen abhängen. In diversen Stu<strong>die</strong>n<br />

wurden Einschätzungen vorgenommen, nach<br />

denen <strong>die</strong> Hilfe aus dem Ausland um 40 bis<br />

100 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigen<br />

muss. Ein häufig zitierter konservativer<br />

Schätzwert ist der der Zedillo-Kommission<br />

der Vereinten Nationen. 1 Danach sind zusätzliche<br />

50 Milliarden US-Dollar nötig. Diese<br />

Zahl stimmt mit der Schätzung der Weltbank<br />

<strong>über</strong>ein. 2 Dies würde fast eine Verdoppelung<br />

der öffentlichen Entwicklungshilfe von den 23<br />

Mitgliedern des Entwicklungshilfeausschusses<br />

(Development Assistance Committee –<br />

DAC) der OECD erfordern, wodurch der Gesamtumfang<br />

auf etwa 0,43 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

<strong>die</strong>ser Länder steigen würde.<br />

Sie blieben damit allerdings immer noch unter<br />

der seit 1970 geltenden 0,7-Prozent-Marke<br />

(siehe Kasten 8.2, Grafik 8.1).<br />

Diese Zahlen mögen riesig erscheinen,<br />

sind jedoch nicht weit von der Situation vor<br />

1990 entfernt. Die öffentliche Entwicklungshilfe<br />

war rückläufig und sank zwischen 1990<br />

und 2001 von 0,33 auf 0,22 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts der Geberländer. Doch<br />

zu <strong>die</strong>sem Rückgang kam es hauptsächlich Anfang<br />

und Mitte der 1990er Jahre. Gegen Ende<br />

des Jahrzehnts hatte <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

wieder beträchtlich zugenommen. Aktuelle<br />

Daten zeigen, dass <strong>die</strong>ser Trend anhält. Die öffentliche<br />

Entwicklungshilfe stieg zwischen<br />

2001 und 2002 um fünf Prozent. Dennoch reichen<br />

<strong>die</strong>se Mittel bei weitem noch nicht aus,<br />

um das zu erreichen, was nötig ist – insbesondere<br />

um <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

Der Rückgang in den 1990er Jahren hat<br />

<strong>die</strong> Länder und Regionen mit dem größten Bedarf<br />

am härtesten getroffen. Beispielsweise<br />

sank in Afrika südlich der Sahara und in Südasien<br />

in den 1990er Jahren <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

pro Kopf um <strong>die</strong> Hälfte (Tabelle 8.1; Grafiken<br />

8.2 und 8.3). Seit der Verabschiedung der<br />

Millenniums-Erklärung im Jahr 2000 hat sich<br />

<strong>die</strong> Umkehr <strong>die</strong>ses Abwärtstrends fortgesetzt.<br />

Es wurde angekündigt, dass <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

bis zum Jahr 2006 um etwa 16 Milliarden<br />

US-Dollar jährlich ansteigen solle, auf 0,26<br />

Prozent des Bruttosozialprodukts der Geberländer.<br />

3 Obwohl <strong>die</strong>s ein guter Anfang ist,<br />

reicht es nicht aus, um den Bedarf zu decken.<br />

Um <strong>die</strong> finanziellen Mittel zu erhöhen, wurden<br />

innovative Methoden zur Mittelbeschaffung<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Kapitalmärkte vorgeschlagen<br />

(siehe Kasten 8.3).<br />

Obwohl <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

gezielt Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> am wenigsten<br />

entwickelten Länder vorsehen, waren<br />

<strong>die</strong>se Länder nicht völlig von den Mittelkürzungen<br />

verschont geblieben. Von den 49 am<br />

wenigsten entwickelten Ländern erhalten 31<br />

Länder heute weniger Entwicklungshilfe als<br />

im Jahr 1990 (8,5 Prozent ihres durchschnittlichen<br />

BIP heute im Vergleich zu 12,9 Prozent<br />

damals). 4<br />

Seit Anfang der 1990er Jahre haben sich<br />

Verfechter der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung<br />

dafür eingesetzt, dass <strong>die</strong> Sozialausgaben auf<br />

mindestens 20 Prozent der nationalen und der<br />

Entwicklungshilfeetats angehoben werden.<br />

Aber <strong>die</strong> Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> soziale<br />

Grundversorgung, <strong>die</strong> entscheidend ist, um<br />

<strong>die</strong> Ziele in den Bereichen Gesundheit, Bil-<br />

GRAFIK 8.3<br />

Netto-Auszahlungen<br />

an öffentlicher<br />

Entwicklungshilfe<br />

Konstante US-Dollar von 2000<br />

Keiner bestimmten<br />

Region zugwiesen<br />

Afrika südlich der<br />

Sahara<br />

Arabische Staaten<br />

Mittel- und Osteuropa<br />

sowie GUS<br />

1990 2001<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 183<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Südasien<br />

Lateinamerika und<br />

Karibik<br />

Ostasien und<br />

Pazifikraum<br />

Quelle: OECD, Development Assistance<br />

Committee <strong>2003</strong>a.


KASTEN 8.3<br />

Zusagen seit Monterrey<br />

Auf der Internationalen Konferenz <strong>über</strong> Entwicklungsfinanzierung<br />

in Monterrey, Mexiko,<br />

im Jahr 2002 verständigte sich <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft auf einen einheitlichen, auf<br />

Prinzipien gestützten Entwicklungsansatz und<br />

auf <strong>die</strong> erste Erhöhung der Mittel für Entwicklungshilfe<br />

seit 20 Jahren, um zusätzliche 16<br />

Milliarden US-Dollar jährlich bis zum Jahr<br />

2006 (einschließlich der Zusagen, <strong>die</strong> seit der<br />

Konferenz gemacht wurden).<br />

Die Vereinigten Staaten werden <strong>die</strong><br />

öffentliche Entwicklungshilfe bis 2006 auf<br />

15 Milliarden US-Dollar jährlich erhöhen<br />

und damit fast verdoppeln. Die Europäische<br />

Union wird <strong>die</strong> Entwicklungshilfe bis 2006 auf<br />

0,39 Prozent des BSP erhöhen, was pro Jahr<br />

etwa elf Milliarden US-Dollar mehr bedeutet.<br />

Was <strong>die</strong> sonstigen einzelnen Mitgliedstaaten<br />

betrifft:<br />

• Belgien sagte zu, bis 2010 0,7 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Deutschland sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Finnland sagte zu, bis 2007 0,4 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Frankreich sagte zu, bis 2007 0,5 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

dung, Hunger sowie Wasser- und Sanitärversorgung<br />

zu erreichen, liegt weiterhin bei weniger<br />

als 15 Prozent der Mittelzuweisungen der<br />

bilateralen Geber. Sie ist steigt jedoch an, und<br />

Irland, Luxemburg, <strong>die</strong> Niederlande, Österreich,<br />

das Vereinigte Königreich und <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten haben <strong>die</strong> 20-Prozent-Marke<br />

erreicht.<br />

ENTWICKLUNGSHILFE WIRKSAMER MACHEN<br />

Die Erhöhung der Entwicklungshilfe wird<br />

nicht ausreichen. In einer neueren Weltbank-<br />

Stu<strong>die</strong> findet sich <strong>die</strong> Feststellung, dass <strong>die</strong><br />

Entwicklungshilfe zu unterschiedlichen Zeiten<br />

und an unterschiedlichen Orten „höchst wirkungsvoll,<br />

vollkommen unwirksam und alles<br />

Mögliche dazwischen“ war. 5 Die Entwicklungshilfe<br />

trug zu vielen der spektakulären<br />

Entwicklungserfolge der vergangenen Jahrzehnte<br />

bei - in Indonesien und der Republik<br />

Korea in den 1970er Jahren, in Bolivien und<br />

Neue Finanzierung für <strong>die</strong> Ziele<br />

• Griechenland sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Irland sagte zu, bis 2007 0,7 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Italien sagte zu, bis 2005 0,33 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Luxemburg sagte zu, bis 2005 1,0 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Die Niederlande sagten zu, bis 2005 1,0 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Österreich sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Portugal sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent<br />

des Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Schweden versprach, auf das Ziel von 1,0<br />

Prozent des Bruttosozialprodukts bis 2006<br />

hinzuarbeiten.<br />

• Spanien sagte zu, bis 2006 0,33 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts zu erreichen.<br />

• Das Vereinigte Königreich erklärte sich bereit,<br />

bis 2005/2006 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

zu erreichen.<br />

Andere Geber haben ebenfalls wichtige<br />

Zusagen gemacht. Kanada erklärte sich bereit,<br />

<strong>die</strong> Entwicklungshilfe um acht Prozent oder<br />

etwa 1,7 Milliarden US-Dollar jährlich zu erhöhen,<br />

was den Anteil an seinem Bruttosozialprodukt<br />

bis 2010 auf 0,28 Prozent anheben<br />

Quelle: UN 2002a; United Kingdom, Her Majesty's Treasury <strong>2003</strong>; OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>d.<br />

Ghana in den 1980er Jahren sowie in Uganda<br />

und Vietnam in den 1990er Jahren. Internationale<br />

Programme trieben <strong>die</strong> „Grüne Revolution“<br />

und Maßnahmen zur Bekämpfung der<br />

Flussblindheit voran und ermöglichten <strong>die</strong><br />

Ausweitung von Immunisierungskampagnen<br />

gegen Kinderkrankheiten. Aber ein zu großer<br />

Anteil der Entwicklungshilfe floss in Länder<br />

mit grassierender Korruption und fehlgeleiteten<br />

politischen Strategien - Bedingungen, unter<br />

denen Entwicklungshilfemittel nur vergeudet<br />

werden können.<br />

Was sollte getan werden, um sicherzustellen,<br />

dass <strong>die</strong> Entwicklungshilfe mehr Wirkung<br />

zeigt, insbesondere hinsichtlich der Beschleunigung<br />

der Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen<br />

der Ziele? Drei Themen beherrschten<br />

<strong>die</strong> aktuellen Analysen: eine bessere Staatsund<br />

Regierungsführung, mehr Eigenverantwortung<br />

und eine bessere Entwicklungshilfepraxis.<br />

Diese drei Bereiche sind entscheidend<br />

für <strong>die</strong> Prinzipien einer stärkeren Partner-<br />

würde. Norwegen erklärte sich bereit, <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

von 0,92 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

bis 2005 auf 1,0 Prozent zu erhöhen,<br />

was einer jährlichen Anhebung um 250<br />

Millionen US-Dollar entspräche. Die Schweiz<br />

erklärte sich bereit, bis 2010 <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

auf 0,37 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

zu erhöhen. Und Australien erklärte sich<br />

zu einer realen Erhöhung um drei Prozent im<br />

Zeitraum 2002 bis <strong>2003</strong> bereit.<br />

Ein Vorschlag für einen neuen<br />

Finanzierungsmechanismus<br />

Das Vereinigte Königreich hat vorgeschlagen,<br />

einen neuen Mechanismus – eine Internationale<br />

Finanzfazilität – zu schaffen, um vorhersehbare,<br />

stabile Entwicklungshilfe für <strong>die</strong> Investitionen<br />

zu leisten, <strong>die</strong> zum Erreichen der Ziele<br />

bis 2015 nötig sind. Durch <strong>die</strong>se temporäre Fazilität<br />

würden innerhalb des Zeitraums bis<br />

2015 Mittel beschafft werden. Die Geber würden<br />

langfristige Zusagen <strong>über</strong> jährliche Zahlungen<br />

an <strong>die</strong> Fazilität machen, durch <strong>die</strong> dann<br />

Mittel beschafft würden, indem Anleihen an<br />

den internationalen Kapitalmärkten aufgenommen<br />

würden. So könnten Ressourcen jetzt<br />

verfügbar gemacht werden, wo sie benötigt<br />

werden.<br />

184 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


schaft, <strong>die</strong> aus den Konferenzen von Monterrey<br />

und Johannesburg hervorgegangen sind.<br />

Die Staats- und Regierungsführung – <strong>die</strong><br />

politischen Handlungskonzepte und Institutionen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Interaktionen zwischen einzelnen<br />

Personen und Gruppen in der Gesellschaft regulieren<br />

– gilt als ein Teil des Fundaments für<br />

dauerhaftes Wachstum und <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />

Deshalb machen viele Geber ihre<br />

Unterstützung von Bemühungen zur Verbesserung<br />

der Staats- und Regierungsführung abhängig<br />

– und helfen dabei, im Wesentlichen<br />

durch technische Zusammenarbeit. Die Korruption<br />

zu bekämpfen, eine solide Wirtschaftspolitik<br />

zu verfolgen und effiziente, rechenschaftspflichtige<br />

Systeme für <strong>die</strong> Verwendung<br />

öffentlicher Mittel einzurichten, trägt entscheidend<br />

dazu bei, sicherzustellen, dass externe<br />

Mittel nicht vergeudet werden. Rechtsstaatlichkeit,<br />

eine verlässliche Vertragsdurchsetzung<br />

und starke staatliche Regulierungsinstitutionen<br />

sind wichtig, damit eine Marktwirtschaft funktionieren<br />

kann. Dies sind wichtige Elemente einer<br />

guten Wirtschaftspolitik.<br />

Andere Dimensionen der Staats- und Regierungsführung<br />

sind aber ebenfalls von Bedeutung.<br />

Im Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung 2002 wird argumentiert, dass<br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung eine demokratische<br />

Staats- und Regierungsführung erfordert, <strong>die</strong><br />

auf <strong>die</strong> Bedürfnisse der Armen eingeht. Eine<br />

demokratische Staats- und Regierungsführung<br />

erfordert mehr als politische Handlungskonzepte<br />

und Institutionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Effizienz der<br />

öffentlichen Dienste gewährleisten. Es erfordert<br />

faire Institutionen und Regeln sowie Entscheidungsprozesse,<br />

<strong>die</strong> den Menschen ein<br />

Mitspracherecht einräumen und es ihnen ermöglichen,<br />

<strong>die</strong> Behörden zur Rechenschaft zu<br />

ziehen. Politische Institutionen, <strong>die</strong> den Menschen<br />

Gehör verschaffen und <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />

von Regierungen und Verwaltungen<br />

erhöhen, sind daher wichtig, um <strong>die</strong><br />

Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen der<br />

Ziele zu beschleunigen. Eine Agenda zu Gunsten<br />

der Armen könnte allerdings dem starken<br />

Eigeninteresse von Eliten zuwiderlaufen (siehe<br />

Kapitel 7).<br />

Viele Länder haben Programme zur Unterstützung<br />

einer demokratischen Staats- und<br />

Regierungsführung durchgeführt. In Afrika<br />

wurde eine große länder<strong>über</strong>greifende Initiative<br />

auf den Weg gebracht, <strong>die</strong> Neue Partnerschaft<br />

für Afrikas Entwicklung (New Partnership<br />

for Africa’s Development -<br />

NEPAD). Die Staats- und Regierungsführung<br />

spielt darin eine wichtige Rolle. Und viele Geber<br />

haben <strong>die</strong> Unterstützung der Staats- und<br />

Regierungsführung zu einer ihrer Prioritäten<br />

erhoben.<br />

Bei dem zweiten Thema, Eigenverantwortung,<br />

geht es darum, dass <strong>die</strong> Länder selber<br />

Regie führen. Eine Erfahrung aus den 1990er<br />

Jahre ist, dass politische Reformen nicht<br />

durchgeführt werden, wenn sie nicht tief in<br />

ein nationales Engagement eingebettet sind,<br />

das von allen Interessengruppen in einem<br />

Land getragen wird. Diese Erfahrung untermauert<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse von Untersuchungen<br />

zur Staats- und Regierungsführung, <strong>die</strong> besagen,<br />

dass Partizipation eine Rolle spielt. Der<br />

Prozess – wie Entscheidungen getroffen werden<br />

– ist von Bedeutung. Aber Eigenverantwortung<br />

ist schwer zu erreichen, wenn Kapazitäten<br />

und Macht ungleich verteilt sind. Den<br />

meisten armen Ländern fehlen nicht nur <strong>die</strong> finanziellen<br />

Mittel, sondern auch <strong>die</strong> institutionellen<br />

und personellen Kapazitäten, um <strong>die</strong><br />

Entwicklung voranzutreiben und zu steuern.<br />

Hilfsorganisationen klagen häufig <strong>über</strong> institutionelle<br />

Schwächen in Empfängerländern,<br />

<strong>die</strong> sie quasi „zwingen“ würden, <strong>die</strong> Planung<br />

<strong>entwicklung</strong>sbezogener Maßnahmen selbst zu<br />

<strong>über</strong>nehmen. Diese Asymmetrie hat jedoch<br />

unerwünschte Auswirkungen auf <strong>die</strong> Eigenverantwortung.<br />

Eine wichtige Herausforderung,<br />

um Entwicklungshilfe wirkungsvoller zu<br />

machen, besteht darin, Mechanismen zu finden,<br />

durch <strong>die</strong> Entwicklungshilfe so geleistet<br />

werden kann, dass <strong>die</strong> Belastungen für <strong>die</strong><br />

Empfängerländer möglichst gering sind.<br />

Das letzte Thema – gebundene Entwicklungshilfe<br />

und Koordinierung unter den Gebern<br />

– ist seit langem im Gespräch, wenn darum<br />

geht, Entwicklungshilfe wirkungsvoller zu<br />

machen. Gebundene Entwicklungshilfe ist für<br />

<strong>die</strong> Empfängerländer nachteilig, weil sie ihre<br />

Möglichkeiten beschneidet, <strong>die</strong> Mittel so wirtschaftlich<br />

wie möglich einzusetzen. In einer<br />

aktuellen Weltbank-Stu<strong>die</strong> wird geschätzt,<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 185


Eine mangelnde<br />

Koordinierung unter den<br />

Gebern kann <strong>die</strong><br />

Prioritäten der Empfänger<br />

untergraben. Dies<br />

bedeutet eine große<br />

Belastung für<br />

Empfängerländer, in<br />

denen <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Dienste bereits <strong>über</strong>lastet<br />

sind.<br />

dass <strong>die</strong> gebundene Entwicklungshilfe 25 Prozent<br />

weniger wirkungsvoll ist, als <strong>die</strong> ungebundene<br />

Entwicklungshilfe. 6 Die Mitglieder<br />

des Entwicklungshilfeausschusses der OECD<br />

haben sich darauf verständigt, <strong>die</strong> gebundene<br />

Entwicklungshilfe zu verringern (und dar<strong>über</strong><br />

Bericht zu erstatten) – und sie ist auf rund ein<br />

Fünftel der gesamten Hilfe <strong>die</strong>ser Länder gesunken.<br />

Doch in einigen Länder ist sie nach<br />

wie vor hoch: So entfallen darauf mehr als 50<br />

Prozent der nicht-technischen Entwicklungszusammenarbeit<br />

aus Griechenland, Italien<br />

und Kanada, während vier Länder (Irland,<br />

Luxemburg, Österreich und <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten) dazu keine Zahlen veröffentlichen.<br />

Eine mangelnde Koordinierung unter den<br />

Gebern kann <strong>die</strong> Prioritäten der Empfänger<br />

untergraben. Dies bedeutet eine große Belastung<br />

für Empfängerländer, in denen <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Dienste bereits <strong>über</strong>lastet sind. Minister<br />

empfangen Dutzende von Geberdelegationen,<br />

und ihre Mitarbeiter verbringen<br />

enorm viel Zeit damit, auf den verschiedenen<br />

Stufen des Hilfeprojektprozesses von der Vorbereitung<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Verhandlungen bis zur<br />

Realisierung Dokumente zu verfassen. Staatsbe<strong>die</strong>nstete,<br />

<strong>die</strong> eigentlich politische Maßnahmen<br />

planen und Programme durchführen<br />

sollten, verbringen stattdessen ihre Zeit damit,<br />

Geberdelegationen zu empfangen und Berichte<br />

an <strong>die</strong> Geber zu verfassen. Im Februar <strong>2003</strong><br />

trafen sich <strong>die</strong> Leiter bilateraler Geberorganisationen<br />

und multilateraler Institutionen in einem<br />

hochrangigen Forum, um <strong>die</strong>se Themen<br />

zu erörtern. Die auf der Konferenz verabschiedete<br />

Römische Erklärung zur Harmonisierung<br />

(Rome Declaration on Harmonization) belegt,<br />

dass man entschlossen ist, an der beschriebenen<br />

Situation etwas zu ändern. 7<br />

WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />

Um <strong>die</strong> Ziele erreichen zu können, sind wesentlich<br />

ehrgeizigere Hilfsprogramme erforderlich,<br />

um ressourcenbedingte, politische<br />

und institutionelle Beschränkungen in Angriff<br />

zu nehmen. Wie im Millenniums-Entwicklungspakt<br />

betont wird, muss sich Entwicklungshilfe<br />

auf <strong>die</strong> ärmsten Länder konzentrieren.<br />

Massive Zuflüsse von finanziellen und<br />

technischen Ressourcen können jedoch Verzerrungen<br />

verursachen, schwache nationale<br />

Programme <strong>über</strong>fordern und zu Ressourcenabhängigkeit<br />

führen.<br />

Um solche Resultate zu vermeiden, müssen<br />

externe Ressourcen in Programme und<br />

Prozesse eingebettet sein, <strong>die</strong> in nationaler Eigenverantwortung<br />

durchgeführt werden.<br />

Hierzu müssen <strong>die</strong> Ziele und <strong>die</strong> zugehörigen<br />

Zielvorgaben bei den nationalen Haushalts-,<br />

Programm- und Planungsprozessen auf der<br />

lokalen, sektoralen und nationalen Ebene<br />

berücksichtigt werden, bei denen Finanzierungsmöglichkeiten<br />

aus dem Ausland geprüft<br />

werden. Es müssen <strong>die</strong> Lücken eingeschätzt<br />

werden, <strong>die</strong> zwischen den derzeitig verfügbaren<br />

und den zum Erreichen der Ziele erforderlichen<br />

externen Ressourcen klaffen, sowie zwischen<br />

den derzeitigen eigenen politischen<br />

Handlungskonzepten und den zum Erreichen<br />

der Ziele erforderlichen politischen Reformen.<br />

Die meisten Länder mit hoher und höchster<br />

Priorität verwenden bereits Strategiedokumente<br />

zur Armutsbekämpfung als Grundlage<br />

für Vereinbarungen mit ausländischen<br />

Partnern. Wie im Pakt vorgeschlagen, sollten<br />

<strong>die</strong>se Dokumente eine Einschätzung dessen<br />

liefern, was zum Erreichen der Ziele erforderlich<br />

ist. Derzeit werden in den Dokumenten<br />

<strong>die</strong> Zielvorgaben auf der Grundlage dessen<br />

festgelegt, was angesichts der verfügbaren<br />

Ressourcen sowie der vorhandenen Institutionen<br />

und politischen Strategien realistisch erreicht<br />

werden kann. Stattdessen müssen aber<br />

<strong>die</strong> Lücken zwischen den jetzt verfügbaren<br />

und den zum Erreichen der Ziele benötigten<br />

Ressourcen ermittelt werden. Gleiches gilt für<br />

<strong>die</strong> Schwächen in punkto Kapazitäten sowie<br />

Staats- und Regierungsführung, <strong>die</strong> durch politische<br />

und institutionelle Reformen <strong>über</strong>wunden<br />

werden müssen. Wie <strong>die</strong>se Lücken<br />

gefüllt werden sollen, und wie <strong>die</strong> Entscheidungen<br />

dar<strong>über</strong> in <strong>die</strong> Strategiedokumente<br />

zur Armutsbekämpfung eingebunden werden<br />

sollen, wird mit den einzelnen Ländern ausgehandelt<br />

werden müssen.<br />

Koordinierung und Dialog auf der lokalen<br />

Ebene können ebenfalls den Konsens <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Prioritäten zwischen den Gebern und den Regierungen<br />

der Entwicklungsländer stärken.<br />

186 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Die Erfahrungen in Tansania sind ein Beispiel<br />

für <strong>die</strong> erfolgreiche lokale Koordinierung der<br />

Entwicklungshilfe auf der Grundlage von<br />

Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung<br />

(siehe Kasten 8.4).<br />

Finanzielle Mittel für <strong>die</strong> Ziele könnten<br />

auch <strong>über</strong> unterfinanzierte multilaterale Programme<br />

geleitet werden, wie den Globalen<br />

Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose<br />

und Malaria (GFATM), <strong>die</strong> Beratungsgruppe<br />

für internationale Agrarforschung (CGI-<br />

AR) oder den Integrierten Rahmenplan für<br />

handelsbezogene technische Hilfe zum Aufbau<br />

<strong>menschliche</strong>r und institutioneller Kapazitäten<br />

(Integrated Framework for Capacity<br />

Development in Trade).<br />

Entwicklungshilfe selektiv leisten: <strong>die</strong><br />

Die tansanische Regierung und ihre Partner der<br />

Entwicklungszusammenarbeit verfolgen zwei einander<br />

ergänzende Ansätze zur verbesserten Koordinierung<br />

der Entwicklungshilfe. Die Armutsbekämpfungsstrategie<br />

des Landes beschreibt ein schlüssiges<br />

strategisches Programm zur nationalen Entwicklung.<br />

Es wird durch <strong>die</strong> Tanzania Assistance Strategy<br />

(TAS) ergänzt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Rolle der Partner beschreibt.<br />

Das Ergebnis ist ein von der Regierung geführter<br />

Prozess mit breiter Unterstützung, durch den <strong>die</strong><br />

Auslandshilfe koordiniert wird. Der Weg dorthin<br />

war jedoch nicht einfach. Als 1995 <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />

und strukturellen Reformen in Tansania, einem<br />

der größten Empfängerländer von Entwicklungshilfe,<br />

ins Straucheln gerieten, kamen bei den<br />

Partnern ernsthafte Zweifel an der Staats- und Regierungsführung<br />

und Verantwortlichkeit auf. Daraufhin<br />

<strong>über</strong>prüften <strong>die</strong> Partner ihr Verhältnis zu<br />

Tansania und beschäftigten sich, wohl zum ersten<br />

Mal, mit ihrer eigenen Entwicklungshilfepraxis. Sie<br />

begannen konstruktiver mit der Regierung zusammenzuarbeiten<br />

und vermieden Konditionalität, zu<br />

Gunsten stärkerer nationaler Eigenverantwortung,<br />

und unternahmen konzertierte Anstrengungen zum<br />

Aufbau von Kapazitäten. In einer unabhängigen<br />

Untersuchung der Entwicklungspartnerschaft wurde<br />

herausgefunden, dass sich das Verhältnis sehr<br />

verbessert hatte. Daraus ergab sich eine solidere Basis<br />

für eine nachhaltige Minderung der Armut.<br />

Die Tanzania Assistance Strategy beschreibt<br />

<strong>die</strong> Prioritäten der Regierung zum Aufbau von Kapazitäten<br />

durch <strong>die</strong> Nutzung nationaler statt paralleler<br />

Systeme zum Management von Entwicklungshil-<br />

Leistungen der Empfängerländern ins Verhältnis<br />

zu ihrem Bedarf setzen. Um <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

wirksamer zu machen, gehen<br />

<strong>die</strong> Geber zunehmend zu einer an politischen<br />

Kriterien orientierten Auswahl der Empfänger<br />

<strong>über</strong>. Die Geber, <strong>die</strong> auf der Konferenz in<br />

Monterrey im Jahr 2002 Zusagen gemacht haben,<br />

stellten klar, dass sie mehr Ressourcen in<br />

<strong>die</strong> Länder leiten werden, <strong>die</strong> zeigen, dass sie<br />

energisch gegen <strong>die</strong> Armut vorgehen, indem<br />

sie politische Maßnahmen zu Gunsten der Armen<br />

einleiten, Schritte zur Verbesserung der<br />

Staats- und Regierungsführung ergreifen und<br />

einige Ergebnisse erzielen, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> richtige<br />

Richtung gehen – statt lediglich Absichten<br />

und Erwartungen kundzutun. Ohne eine solide<br />

Wirtschaftspolitik ist es wahrscheinlich,<br />

KASTEN 8.4<br />

Erfolgreiche Partnerschaften unter Führung der Regierung in Tansania<br />

Quelle: Hendra und Courtnadge <strong>2003</strong>.<br />

fe. Sie ermutigt auch <strong>die</strong> Entwicklungspartner, Mittel<br />

auf einer zuverlässigeren Grundlage als zuvor zur<br />

Verfügung zu stellen. Ein solches Vorgehen würde<br />

<strong>die</strong> Planung erleichtern, aufgrund der besseren Koordinierung<br />

<strong>die</strong> Wirkung von Entwicklungshilfe erhöhen,<br />

der Nachhaltigkeit <strong>die</strong>nen sowie <strong>die</strong> Kontrolle<br />

und Rechenschaftslegung verbessern.<br />

Führung des Prozesses durch <strong>die</strong> Regierung –<br />

ergänzt durch Reformen des Finanzmanagements,<br />

der Gebietskörperschaften und des öffentlichen<br />

Dienstes – bedeutet, dass <strong>die</strong> Armutsbekämpfungsstrategie<br />

zum <strong>über</strong>spannenden Rahmen für <strong>die</strong> Politik<br />

des Landes geworden ist. Sektor- und themenbezogene<br />

Programme sind in <strong>die</strong> Strategie eingebettet,<br />

und der Dialog zwischen der Regierung und den<br />

Partnern konzentriert sich auf ihre Umsetzung. Das<br />

nachdrückliche Engagement der Regierung für <strong>die</strong><br />

Armutsbekämpfung hat sichergestellt, dass <strong>die</strong> Strategie<br />

zur Richtschnur für den Staatshaushalt und<br />

alle Fachprogramme geworden ist. Außerdem gewährleistet<br />

ein innovatives umfassendes Armuts<strong>über</strong>wachungssystem<br />

eine ständige Rückkoppelung<br />

zwischen der Zuweisung von in- und ausländischen<br />

Mitteln und den Ergebnissen in Bezug auf <strong>die</strong> Armut.<br />

Der tansanische Entwicklungshilfeausschuss<br />

trägt erheblich dazu bei, Einvernehmen unter allen<br />

Partnern herbeizuführen. Die in dem Land gewonnenen<br />

positiven Erfahrungen zeigen vieles auf, das<br />

anderenorts Nachahmung finden könnte, wenn es<br />

mit soliden politischen Handlungskonzepten, der<br />

veranschaulichten nationalen Eigenverantwortung<br />

und konzertierten Anstrengungen zum Aufbau einheimischer<br />

Kapazitäten kombiniert wird.<br />

Es müssen <strong>die</strong> Lücken<br />

eingeschätzt werden, <strong>die</strong><br />

zwischen den derzeitig<br />

verfügbaren und den zum<br />

Erreichen der Ziele<br />

erforderlichen externen<br />

Ressourcen klaffen, sowie<br />

zwischen den derzeitigen<br />

eigenen politischen<br />

Handlungskonzepten und<br />

den zum Erreichen der<br />

Ziele erforderlichen<br />

politischen Reformen<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 187


Auszahlungen von<br />

Entwicklungshilfe auf der<br />

Grundlage politischer<br />

Kriterien werden Ländern<br />

mit guten politischen<br />

Handlungskonzepten und<br />

starken Institutionen<br />

helfen. Länder mit<br />

schlechten politischen<br />

Handlungskonzepten und<br />

schwachen Institutionen<br />

werden jedoch auf der<br />

Strecke bleiben<br />

dass große Mittelzuflüsse verschwendet werden.<br />

Und ohne eine demokratisches Staatsund<br />

Regierungsführung, <strong>die</strong> den Menschen<br />

Mitspracherechte einräumt, werden Entwicklungsbemühungen<br />

<strong>die</strong> Armen nicht dazu befähigen,<br />

in höherem Maße selbst <strong>über</strong> ihr<br />

Schicksal zu bestimmen.<br />

Entwicklungshilfe, <strong>die</strong> ohne solche Vorbedingungen<br />

geleistet wird und <strong>die</strong> mehr von Interessen<br />

geleitet ist, als dass sie sich an den Zielen<br />

der Nachhaltigkeit und der Armutsbekämpfung<br />

orientiert, kann wenig bewirken.<br />

Aber wenn aufgrund selektiver Auswahl keine<br />

Hilfe geleistet wird, können <strong>die</strong> Millenniums-<br />

Entwicklungsziele nicht erreicht werden. Auszahlungen<br />

von Entwicklungshilfe auf der<br />

Grundlage politischer Kriterien werden Ländern<br />

mit guten politischen Handlungskonzepten<br />

und starken Institutionen helfen. Länder<br />

mit schlechten politischen Handlungskonzepten<br />

und schwachen Institutionen werden jedoch<br />

auf der Strecke bleiben. Solche Länder<br />

brauchen nicht nur finanzielle Mittel, sondern<br />

auch Unterstützung in Form von technischer<br />

Zusammenarbeit, um ihre politischen Handlungskonzepte<br />

und ihre institutionellen Kapazitäten<br />

verbessern zu können. Dazu sind keine<br />

umfangreichen Mittel erforderlich, aber es ist<br />

ein wichtiger Teil der Hilfe von außen und<br />

muss ebenfalls richtig gemacht werden. Darauf<br />

wird im Folgenden eingegangen.<br />

Die politischen Handlungskonzepte und<br />

<strong>die</strong> institutionellen Kapazitäten verbessern.<br />

In vielen Ländern ist <strong>die</strong> Verbesserung der politischen<br />

Handlungskonzepte und der Institutionen<br />

– <strong>die</strong> Reform der Staats- und Regierungsführung<br />

– der Bereich, in dem sie <strong>die</strong><br />

meiste Unterstützung von außen benötigen.<br />

Diese Unterstützung sollte ein Schwerpunkt<br />

der Entwicklungshilfe sein. Allerdings sollte<br />

dafür nicht ein <strong>über</strong>ragender Teil der bereitgestellten<br />

finanziellen Mittel aufgewendet<br />

werden. Geld ist dazu nicht erforderlich, sondern<br />

vielmehr technische Zusammenarbeit<br />

zum Aufbau von Kapazitäten.<br />

Die Bilanz der technischen Zusammenarbeit<br />

ergibt jedoch ein gemischtes Bild. Sie hat<br />

sich als viel wirkungsvoller herausgestellt,<br />

wenn es darum ging, <strong>die</strong> Arbeit selbst zu erledigen,<br />

als wenn es um den Aufbau einheimi-<br />

scher Kapazitäten ging. Viele Evaluierungen<br />

zeigen, dass mit dem Ende der Unterstützung<br />

aus dem Ausland auch <strong>die</strong> Projektaktivitäten<br />

eingestellt werden und <strong>die</strong> bereits geschaffenen<br />

Kapazitäten wieder verloren gehen. Seit<br />

<strong>über</strong> einem Jahrzehnt diskutieren Geber und<br />

Empfänger <strong>über</strong> <strong>die</strong> zu Grunde liegenden Beschränkungen<br />

bei der Schaffung von Kapazitäten<br />

und suchen nach wirkungsvolleren Ansätzen.<br />

Beispielsweise kann der herkömmliche<br />

Ansatz der Entsendung ausländischer Berater<br />

für <strong>die</strong> Schulung von Einheimischen das<br />

Selbstvertrauen der einheimischen Mitarbeiter<br />

untergraben. Die eigenen Mitarbeiter ins<br />

Ausland zu schicken, damit sie dort einen akademischen<br />

Grad erwerben, kann dagegen zu<br />

einer zunehmenden Abwanderung von Fachkräften<br />

führen.<br />

Anfang der 1990er Jahre verabschiedete<br />

der Entwicklungshilfeausschuss der OECD<br />

neue Prinzipien für <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit.<br />

8 Sie wurden jedoch nie vollständig<br />

angewendet, obwohl sie bis heute gültig sind.<br />

In neueren Arbeiten von UNDP wird ein neues<br />

Paradigma gefordert, und neue Prinzipien<br />

für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten. Darin<br />

muss anerkannt werden, dass Kapazitäten für<br />

<strong>die</strong> Entwicklung genauso wichtig sind wie<br />

wirtschaftspolitische Maßnahmen, dass Kapazitäten<br />

nicht nur eine individuelle, sondern<br />

auch eine institutionelle und gesellschaftliche<br />

Dimension haben und dass Wissen nicht<br />

transferiert werden kann, sondern erworben<br />

werden muss. Der neue Ansatz fordert auch<br />

ein neues Vorgehen für eine erfolgreiche<br />

Schaffung von Kapazitäten (siehe Kasten 8.5).<br />

Entwicklungshilfe für Länder in Konflikt-<br />

oder Postkonfliktsituationen. Gewaltsame<br />

politische Konflikte sind ein großes Hindernis<br />

für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele.<br />

Etwa 60 Länder befinden sich derzeit in solchen<br />

Konflikten oder versuchen gerade, sich<br />

davon zu erholen. Viele <strong>die</strong>ser Länder sind<br />

Länder mit hoher oder höchster Priorität. Es<br />

ist wichtig, dass <strong>die</strong> Geber <strong>die</strong>sen Ländern<br />

helfen, ihre Krisen zu <strong>über</strong>winden, indem sie<br />

sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> humanitäre Hilfe hinaus unterstützen<br />

und anschließend Entwicklungshilfe<br />

leisten. Manche Geber weigern sich, solche<br />

Länder zu unterstützen, weil Ressourcen zur<br />

188 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 8.5<br />

Refokussierung der technischen Zusammenarbeit auf <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />

Die Bedeutung der Eigenverantwortung eines<br />

Landes und der nationalen Kapazitäten wird<br />

seit langem anerkannt. Die technische Zusammenarbeit<br />

konzentriert sich jedoch häufig auf<br />

praktische Aspekte statt auf <strong>die</strong> Schaffung von<br />

Kapazitäten. Zehn Prinzipien bieten nationalen<br />

Interessengruppen und ausländischen<br />

Partnern Ausgangspunkte für <strong>die</strong> Suche nach<br />

vielversprechenden Ansätzen für <strong>die</strong> Schaffung<br />

von Kapazitäten:<br />

• Die Dauerhaftigkeit von Ergebnissen<br />

sollte das Denken und Handeln in punkto<br />

Kapazitäten leiten. Die Schaffung von Kapazitäten<br />

ist ein Kernelement von Entwicklung.<br />

Bei allen Maßnahmen sollte geprüft werden,<br />

ob sie <strong>die</strong>sem Ziel <strong>die</strong>nen.<br />

• Nichts <strong>über</strong>stürzen. Die Schaffung von<br />

Kapazitäten ist ein langfristiger Prozess, der<br />

sich nicht für Leistungsdruck, schnelle Lösungen<br />

und kurzfristige Resultate eignet. Das Engagement<br />

zur Schaffung von Kapazitäten setzt<br />

eine zuverlässige langfristige Planung voraus.<br />

• Globale Suche, lokaler Wissenserwerb.<br />

Es gibt keine fertigen Lösungen: Die Schaffung<br />

von Kapazitäten ist ein Lernprozess. Lernen ist<br />

ein freiwilliges Unterfangen, das echtes Engagement<br />

und Interesse voraussetzt. Wissen<br />

kann nicht transferiert, sondern muss erworben<br />

werden.<br />

Finanzierung von Kriegszwecken abgezweigt<br />

werden könnten. Die Belege zeigen jedoch,<br />

dass <strong>die</strong> Verweigerung der Hilfe für solche<br />

Länder das <strong>menschliche</strong> Leiden vergrößert<br />

und das Ende von Konflikten nicht schneller<br />

herbeiführt. 9 Die Geber sollten sich natürlich<br />

<strong>über</strong> den möglichen Missbrauch von Entwicklungshilfe<br />

im Klaren sein. Dies ist beispielsweise<br />

der Fall, wenn Hilfsgüter gestohlen werden<br />

oder <strong>die</strong> Entwicklungshilfe für politische<br />

Zwecke oder für <strong>die</strong> anhaltende Terrorisierung<br />

der Bevölkerung missbraucht wird.<br />

Die Autorität des Staates zu stützen ist<br />

ebenfalls von entscheidender Bedeutung,<br />

denn wenn der Staat zusammenbricht, kollabiert<br />

auch <strong>die</strong> Wirtschaft, was das <strong>menschliche</strong><br />

Wohlergehen untergräbt. Viele Länder<br />

haben in Konflikten in bemerkenswerter Weise<br />

unentbehrliche Dienstleistungen weiterhin<br />

bereitstellen können oder sie sogar noch verbessert<br />

und dabei signifikante Fortschritte in<br />

der <strong>menschliche</strong>n Entwicklung erzielt. Dies<br />

gilt beispielsweise für Guatemala, Nicaragua<br />

• Vorhandene Kapazitäten nutzen, statt<br />

neue zu schaffen. Dies impliziert, primär auf<br />

das im eigenen Land vorhandene Know-how<br />

zu setzen, nationale Institutionen zu stärken<br />

sowie das soziale und kulturelle Kapital zu<br />

schützen.<br />

• Beiträge aus dem Ausland mit nationalen<br />

Prioritäten, Prozessen und Systemen verknüpfen.<br />

Beiträge aus dem Ausland müssen<br />

dem nationalen Bedarf entsprechen sowie <strong>die</strong><br />

nationalen Bedürfnisse und Möglichkeiten<br />

berücksichtigen. Nationale Systeme, <strong>die</strong> nicht<br />

leistungsfähig genug sind, dürfen nicht umgangen,<br />

sondern müssen reformiert und verbessert<br />

werden.<br />

• Anreize für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />

geben. Verzerrungen bei der Beschäftigung<br />

im öffentlichen Sektor stellen große Hindernisse<br />

für <strong>die</strong> Schaffung von Kapazitäten<br />

dar. Auf andere Ziele gerichtete Motive und<br />

widersinnige Anreize müssen an dem Ziel ausgerichtet<br />

gebracht werden, Kapazitäten aufzubauen.<br />

• Einstellungen und Machtunterschiede in<br />

Frage stellen. Die Schaffung von Kapazitäten<br />

ist nicht machtneutral, und etablierte Interessen<br />

in Frage zu stellen ist schwierig. Einen offenen<br />

Dialog einzuleiten und zu einer kollektiven<br />

Kultur der Transparenz <strong>über</strong>zugehen sind<br />

und Sri Lanka (siehe Kapitel 3). Entscheidend<br />

dafür war häufig der Einsatz von Nichtregierungsorganisationen<br />

(NRO), örtlichen Gemeinschaften<br />

und ausländischen humanitären<br />

Organisationen, denen es weiterhin gelang,<br />

hilfsbedürftige Menschen zu erreichen.<br />

Die Entwicklungshilfepraxis verbessern.<br />

Wichtige Prinzipien für <strong>die</strong> Entwicklungshilfepraxis<br />

von Gebern und Empfängern, <strong>die</strong> sicherstellen<br />

können, dass <strong>die</strong> Hilfe den Armen<br />

zugute kommt, wurden jüngst von dem früheren<br />

bolivianischen Staatspräsidenten Jorge<br />

Quiroga entsprechend der englischen Anfangsbuchstaben<br />

unter den Akronymen Herr<br />

„DUCCA“ und Herr „LIPPO“ zusammengefasst.<br />

Für <strong>die</strong> Geberländer – Herr DUCCA:<br />

• Dezentralisierte Entscheidungsprozesse<br />

(„Decentralised decision-making“). Ein<br />

großer Teil der Entscheidungsprozesse der<br />

Geber ist nach wie vor in den Hauptstädten<br />

der Geberländer zentralisiert, wo Entscheidungen<br />

auf der Grundlage von Annahmen<br />

Voraussetzungen, um <strong>die</strong>se Schwierigkeiten zu<br />

<strong>über</strong>winden.<br />

• Das Engagement auch unter schwierigen<br />

Bedingungen aufrechterhalten. Je schwächer<br />

<strong>die</strong> vorhandenen Kapazitäten sind, desto<br />

größer ist der Bedarf. Schwache Kapazitäten<br />

sind kein Grund, um sich zurückzuziehen oder<br />

um fremde Interessen durchzusetzen. Die<br />

Menschen sollten nicht für unverantwortliches<br />

Regierungs- und Verwaltungshandeln büßen<br />

müssen.<br />

• Den letztendlichen Empfängern gegen<strong>über</strong><br />

Rechenschaft ablegen. Selbst wenn Regierungen<br />

nicht auf den Bedarf ihrer Bevölkerung<br />

eingehen, müssen Partner aus dem Ausland<br />

den letztendlichen Empfängern gegen<strong>über</strong> Rechenschaft<br />

ablegen und mithelfen, dass <strong>die</strong> nationalen<br />

Behörden ihrer Verantwortung gerecht<br />

werden. Ansätze müssen mit den Betroffenen<br />

im Empfängerland erörtert und ausgehandelt<br />

werden.<br />

• Werte respektieren und <strong>die</strong> Selbstachtung<br />

fördern. Menschen fremde Werte aufzuzwingen<br />

kann das Selbstvertrauen untergraben.<br />

Selbstachtung ist eine Voraussetzung für<br />

Eigenverantwortung und Ermächtigung.<br />

Quelle: Lopes und Thieson <strong>2003</strong>.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 189


<strong>über</strong> Beschränkungen und Prioritäten vor Ort<br />

getroffen werden – zu Fragen wie Wasser- und<br />

Sanitärversorgung oder Schulen, <strong>die</strong> entscheidend<br />

für das Erreichen der Ziele sind. Die Dezentralisierung<br />

der Entscheidungsprozesse<br />

der Geber auf <strong>die</strong> nationale Ebene stärkt <strong>die</strong><br />

Rolle der Empfänger und erhöht ihre Eigenverantwortung.<br />

• Ungebundene Entwicklungshilfe („Untied<br />

aid“). Die gebundene Entwicklungshilfe<br />

ist für <strong>die</strong> Empfänger kostspielig. Die Aufhebung<br />

der Bindung würde ihnen mehr Möglichkeiten<br />

einräumen. Die Entwicklungshilfe<br />

wäre zudem konzessionärer und weniger anfällig<br />

für Korruption.<br />

• Konzessionäre Entwicklungshilfe<br />

(„Concessional aid“). Die Entwicklungshilfe<br />

für <strong>die</strong> meisten Länder mit hoher oder höchster<br />

Priorität, insbesondere solche, <strong>die</strong> zu den<br />

hochverschuldeten oder den am wenigsten<br />

entwickelten Ländern zählen, sollte in Form<br />

von Zuschüssen erfolgen, weil neue Kredite<br />

ihre bereits jetzt nicht tragbare Schuldenlast<br />

nur weiter erhöhen würden.<br />

• Koordinierung von Geberprojekten und<br />

–programmen („Coordination of donor projects<br />

and programmes“). Eine bessere Koordinierung<br />

unter den Gebern würde <strong>die</strong> administrative<br />

Belastung der Regierungen armer<br />

Länder verringern und den Regierungen helfen,<br />

Leistungen der Geber mit nationalen Prioritäten<br />

in Einklang zu bringen. Aktuelle Erfahrungen<br />

belegen den Wert sektorweiter<br />

Programme für Gesundheitssysteme (siehe<br />

Kapitel 4). Die Geber müssen auch <strong>die</strong> regelmäßig<br />

wiederkehrenden Kosten finanzieren,<br />

<strong>die</strong> häufig zu kritischen Engpässen führen.<br />

• Rechenschaftspflicht gegen<strong>über</strong> der Öffentlichkeit<br />

auf der Grundlage von Programmergebnissen<br />

(„Accountability to the<br />

public based on programme results“). Alle<br />

Entwicklungshilfemechanismen sollten rechenschaftspflichtig<br />

sein. Aber <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />

in den Entwicklungshilfebeziehungen<br />

ist häufig einseitig und betont <strong>die</strong> juristische<br />

Verantwortung der Empfänger gegen<strong>über</strong><br />

den Gebern sowie der Geber gegen<strong>über</strong><br />

den Steuerzahlern. Ein anderer Aspekt ist<br />

jedoch noch wichtiger: <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht<br />

gegen<strong>über</strong> den Nutznießern. Dabei<br />

kommt es nicht auf <strong>die</strong> Höhe der ausgegebenen<br />

Mittel, sondern auf <strong>die</strong> Ergebnisse an.<br />

Für <strong>die</strong> Empfängerländer – Herr LIPPO:<br />

• Gebietskörperschaften und Dezentralisierung<br />

(„Local government and decentralization“).<br />

Gebietskörperschaften, <strong>die</strong> engeren<br />

Kontakt zu den Menschen haben und eher<br />

bereit sind, auf sie einzugehen, können in hohem<br />

Maße dazu beitragen, <strong>die</strong> Ausweitung des<br />

Gesundheits- und Bildungswesens sowie anderer<br />

wichtiger Dienste voranzutreiben –<br />

wenn <strong>die</strong> richtigen Voraussetzungen geschaffen<br />

wurden (siehe Kapitel 7).<br />

• Institutionelle Reformen zur Bekämpfung<br />

der Korruption und zur Förderung einer<br />

demokratischen Staats- und Regierungsführung<br />

(„Institutional reform to combat<br />

corruption and promote democratic governance“).<br />

Die Bekämpfung der Korruption erfordert<br />

starke Institutionen. Demokratische<br />

Institutionen verschaffen den Menschen ein<br />

Mitspracherecht und machen Entscheidungsträger<br />

gegen<strong>über</strong> der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig.<br />

• Beteiligung der Öffentlichkeit an Entwicklungsaktivitäten<br />

(„Popular participation<br />

in development activities“). Eine größere<br />

Partizipation führt im Allgemeinen zu besseren<br />

Entwicklungsresultaten, insbesondere für<br />

arme Menschen.<br />

• Gestaffelte und gerechtere Zuweisung<br />

von Ressourcen („Progressive, more equitable<br />

assignment of resources“). In den meisten<br />

Fällen werden Ressourcen ungerecht zugewiesen,<br />

so dass eine Anpassung erforderlich ist.<br />

• Überwachung durch <strong>die</strong> Zivilgesellschaft,<br />

Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen<br />

(„Oversight by civil society,<br />

individuals and NGOs“). Eine aufmerksame<br />

Bürgerschaft ist eine wichtige Voraussetzung,<br />

um sicherzustellen, dass öffentliche<br />

Institutionen und Entscheidungsträger ihrer<br />

Rechenschaftspflicht genügen.<br />

SCHULDENERLEICHTERUNGEN –<br />

SCHNELLER UND UMFASSENDER<br />

Viele Länder mit hoher oder höchster Priorität<br />

sind extrem hoch verschuldet. Zwei Drittel<br />

von ihnen (31 von 59) haben Anspruch auf<br />

190 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Schuldenerleichterungen im Rahmen der Initiative<br />

zu Gunsten der hochverschuldeten armen<br />

Länder (heavily indebted poor countries<br />

– HIPC). (Nur elf von 42 HIPC zählen<br />

nicht zu den Ländern mit hoher oder höchster<br />

Priorität.) Schuldenerleichterungen sind ein<br />

wichtiger Beitrag zum Erreichen der Ziele. Sie<br />

werden helfen, <strong>die</strong>se Länder auf einen nachhaltigen<br />

Entwicklungsweg zu führen, und Ressourcen<br />

freisetzen, <strong>die</strong> zur Finanzierung der<br />

im Millenniums-Entwicklungspakt aufgeführten<br />

zusätzlichen Sozialausgaben und anderen<br />

vorrangigen Investitionen verwendet werden<br />

könnten.<br />

ZUSAGEN ZUR SCHULDENERLEICHTERUNG<br />

EINHALTEN<br />

Seit Mitte der 1990er Jahre haben <strong>die</strong> Geberländer<br />

sich verpflichtet, etwas gegen <strong>die</strong><br />

Schuldenkrise in den armen Ländern zu unternehmen<br />

und sicherzustellen, dass kein<br />

Land eine Schuldenlast zu tragen hat, <strong>die</strong> es<br />

nicht bewältigen kann (Grafik 8.4). 1996 stell-<br />

KASTEN 8.6<br />

Die 1996 vom internationalen Währungsfonds<br />

(IWF) und der Weltbank lancierte und von<br />

180 Regierungen unterstützte HIPC-Initiative<br />

für <strong>die</strong> hochverschuldeten armen Länder (heavily<br />

indebted poor countries – HIPC) verfolgt<br />

zwei Ziele: Erstens sollen bestimmte Länder<br />

mit niedrigem Einkommen von ihrer nicht<br />

tragbaren Schuldenlast gegen<strong>über</strong> Gebern befreit<br />

werden. Zweitens sollen Reformen und<br />

zweckmäßige politische Maßnahmen zu Gunsten<br />

von Wachstum, <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

und Armutsbekämpfung gefördert werden.<br />

Im 1999 beschlossenen erweiterten HIPC-<br />

Rahmen (Enhanced HIPC Initiative oder<br />

HIPC II) wurden <strong>die</strong> Kriterien für <strong>die</strong> Berücksichtigung<br />

weiter gefasst und <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />

ausgeweitet. Um teilnahmeberechtigt<br />

zu werden, muss ein Land Anspruch<br />

auf hochgradig konzessionäre Unterstützung<br />

wie von der Internationalen Entwicklungsorganisation<br />

der Weltbank oder der Armutsbekämpfungs-<br />

und Wachstumsfazilität des<br />

IWF haben. Zusätzlich muss selbst nach Ausschöpfung<br />

der herkömmlichen Schuldener-<br />

Quelle: World Bank <strong>2003</strong>c; IMF und IDA <strong>2003</strong>; Birdsall, Williamson und Deese 2002.<br />

ten <strong>die</strong> Geber <strong>die</strong> HIPC-Initiative vor, um <strong>die</strong><br />

Schuldenlast zu verringern und Mittel für <strong>die</strong><br />

Armutsbekämpfung freizusetzen (Kasten 8.6).<br />

Ein Anlass für <strong>die</strong>se beispiellose Initiative war<br />

Druck von Seiten der Erlassjahrkampagne Jubilee<br />

2000, einer weltweiten Aktionskampagne<br />

für Schuldenerleichterungen. Die Aktivisten<br />

argumentierten <strong>über</strong>zeugend, dass <strong>die</strong><br />

Schulden der Entwicklungsländer bei finanziell<br />

gut ausgestatteten Institutionen wie dem<br />

Internationalen Währungsfonds (IWF) oder<br />

der Weltbank sowie bei den Regierungen der<br />

reichen Länder eine ungerechte Belastung der<br />

Armen darstellten, <strong>die</strong> Schulden be<strong>die</strong>nen<br />

müssten, <strong>die</strong> in vielen Fällen von längst abgelösten<br />

korrupten Staatsführern gemacht<br />

worden waren. Sie machten deutlich, dass <strong>die</strong>se<br />

Schulden den staatlichen Haushalten knappe<br />

Mittel entzögen und wenig Finanzierungsspielraum<br />

für Gesundheitsversorgung, Schulen<br />

und Trinkwasserversorgung übrig ließen.<br />

Die Geberländer hatten einen weiteren<br />

Grund, einen Teil der Schulden zu erlassen.<br />

Sie waren mit ihren Krediten in <strong>die</strong> Defensive<br />

Was ist <strong>die</strong> HIPC-Initiative?<br />

leichterungsmechanismen <strong>die</strong> Schuldenlast des<br />

Landes nicht tragbar sein. Es muss zudem eine<br />

positive Bilanz bei der Umsetzung von Strategien<br />

zur Armutsbekämpfung und bei der<br />

Schaffung von Grundlagen für dauerhaftes<br />

wirtschaftliches Wachstum vorweisen können.<br />

Die Schuldenerleichterungen erfolgen in<br />

zwei Stufen:<br />

• Nachdem ein Land <strong>die</strong> Einhaltung eines<br />

IWF-Programms und Fortschritte bei der Erarbeitung<br />

einer nationalen Armutsstrategie unter<br />

Beweis gestellt hat, wird ihm zum Entscheidungszeitpunkt<br />

der Schulden<strong>die</strong>nst erleichtert.<br />

• Nach Zustimmung der Weltbank und des<br />

IWF zu seinem Strategiedokument zur Armutsbekämpfung<br />

wird dem Land zum Umsetzungszeitpunkt<br />

<strong>die</strong> Schuldenlast erleichtert.<br />

Das Land hat Anspruch auf Schuldenerleichterungen<br />

in Höhe von mindestens 90 Prozent<br />

von bilateralen und multilateralen Gläubigern,<br />

um zu einer tragbaren Schuldenlast zu kommen.<br />

Von den 42 an der Initiative teilnehmenden<br />

Ländern liegen 34 in Afrika südlich der Sa-<br />

GRAFIK 8.4<br />

Die Ärmsten: gefangen<br />

zwischen rückläufiger<br />

Entwicklungshilfe und<br />

gleichbleibendem<br />

Schuldenstand<br />

Anteil am BIP in den am wenigsten<br />

entwickelten Ländern, 1990–2001<br />

HIPC 4,1%–2,5%<br />

1998–2001<br />

Quelle: Berechnungen des Büros für den<br />

Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der<br />

Grundlage von Daten in OECD, Development<br />

Assistance Committee <strong>2003</strong>a sowie Daten zum<br />

Schulden<strong>die</strong>nst in World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 191<br />

11,9%<br />

Öffentliche<br />

Entwicklungshilfe<br />

an <strong>die</strong> am wenigsten<br />

entwickelten Länder<br />

7,5%<br />

3,1%<br />

Schulden<strong>die</strong>nst<br />

2,9%<br />

hara. Keines <strong>die</strong>ser Länder wies 2001 ein Pro-<br />

Kopf-Einkommen von mehr als 1.500 US-<br />

Dollar (Kaufkraftparität) auf, und alle haben<br />

einen niedrigen Index für <strong>menschliche</strong> Entwicklung.<br />

Zwischen 1990 und 2001 verzeichneten<br />

<strong>die</strong> HIPC ein durchschnittliches jährliches<br />

Wachstum von gerade einmal 0,5 Prozent.<br />

Die HIPC sind seit mindestens 20 Jahren<br />

<strong>über</strong>schuldet: Im Vergleich zu anderen armen<br />

Ländern war bei ihnen das Verhältnis von<br />

Schulden zu Exporten bereits in den 1980er<br />

Jahren hoch. Gleichzeitig haben <strong>die</strong> HIPC in<br />

beträchtlichem Maße öffentliche Entwicklungshilfe<br />

erhalten. Die Nettotransfers an<br />

öffentlicher Entwicklungshilfe beliefen sich<br />

in den 1990er Jahren im Durchschnitt auf<br />

etwa zehn Prozent ihres BSP, verglichen mit<br />

etwa zwei Prozent, <strong>die</strong> <strong>die</strong> armen Länder<br />

insgesamt im Durchschnitt erhielten. Bislang<br />

haben 16 HIPC den Entscheidungszeitpunkt<br />

und acht den Umsetzungszeitpunkt erreicht<br />

(Benin, Bolivien, Burkina Faso, Mali,<br />

Mauretanien, Mosambik, Tansania und<br />

Uganda).


GRAFIK 8.5<br />

In zehn Ländern, <strong>die</strong><br />

Schuldenerleichterungen im<br />

Rahmen der HIPC-Initiative<br />

erhalten haben, verlagern<br />

sich <strong>die</strong> Ausgaben vom<br />

Schulden<strong>die</strong>nst zur<br />

Förderung der <strong>menschliche</strong>n<br />

Entwicklung<br />

Milliarden US-Dollar<br />

Ausgaben für Bildung<br />

2,0<br />

und Gesundheit<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

Schulden<strong>die</strong>nst<br />

1998 2000 2002<br />

Quelle: OECD, Development Assistance<br />

Committee <strong>2003</strong>a.<br />

geraten – endlose Runden von Umschuldungsverhandlungen<br />

sowie neue Zuschüsse<br />

und Kredite, um armen Ländern zu helfen,<br />

alte Kredite zurückzuzahlen, kaum eine sinnvolle<br />

Verwendung neuer Finanzhilfe. 10<br />

Bis Anfang <strong>2003</strong> hat <strong>die</strong> HIPC-Initiative<br />

26 Ländern genutzt. 11 Acht Länder haben<br />

ihren Umsetzungszeitpunkt (completion<br />

point) erreicht, was bedeutet, dass der Forderungsverzicht<br />

für einen Teil ihrer Schuldenlast<br />

wirksam ist. Weitere 18 Länder haben den<br />

Entscheidungszeitpunkt (decision point) erreicht,<br />

ab dem <strong>die</strong> Entlastung vom Schulden<strong>die</strong>nst<br />

beginnt, sich positiv auszuwirken. Für<br />

<strong>die</strong>se Länder sank der Schulden<strong>die</strong>nst zwischen<br />

1998 und 2001 von 3,7 auf 2,2 Milliarden<br />

US-Dollar, beziehungsweise von 17,5 Prozent<br />

der Exporte im Jahr 1998 auf 9,8 Prozent<br />

im Jahr 2001. Verglichen mit dem Zeitraum<br />

1998-99 werden <strong>die</strong> Schulden<strong>die</strong>nstleistungen<br />

im Zeitraum von 2001 bis 2005 um etwa ein<br />

Drittel oder 1,2 Milliarden US-Dollar jährlich<br />

niedriger liegen.<br />

Regierungen in <strong>die</strong>sen 26 Ländern verwenden<br />

ihre Einsparungen aus dem Schulden<strong>die</strong>nst,<br />

um <strong>die</strong> Ausgaben für Bildung und Gesundheitsversorgung<br />

zu erhöhen. Etwa 40<br />

Prozent <strong>die</strong>ser Mittel fließen in das Bildungswesen<br />

und 25 Prozent in das Gesundheitswesen.<br />

Uganda hat den allgemeinen Primarschulbesuch<br />

fast erreicht. Mali, Mosambik und der<br />

Senegal planen, mit den Mitteln aus dem<br />

Schuldenerlass ihre Ausgaben für <strong>die</strong><br />

HIV/AIDS-Prävention zu erhöhen. 12 Eine<br />

weitere Untersuchung zehn afrikanischer Länder,<br />

<strong>die</strong> ihren Zeitpunkt der Entscheidung erreicht<br />

haben, zeigt einen deutlichen Anstieg<br />

der Sozialausgaben (Siehe Grafik 8.5). 13<br />

Dennoch war <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen<br />

weder schnell noch umfassend genug, und<br />

sie betraf zu wenige Länder. Nach dem ursprünglichen<br />

Zeitplan der HIPC-Initiative<br />

sollten bis jetzt nicht acht, sondern 19 Länder<br />

ihren Umsetzungszeitpunkt erreicht haben.<br />

Damit <strong>die</strong> Ziele erreicht werden, sind zusätzliche<br />

Mittel erforderlich: mindestens 50 Milliarden<br />

US-Dollar zusätzlich zu den Mitteln, <strong>die</strong><br />

im Inland mobilisiert werden können. Mehr<br />

Schuldenerleichterungen können helfen, <strong>die</strong>se<br />

Lücke zu schließen.<br />

Es wird auch befürchtet, dass <strong>die</strong> HIPC-<br />

Initiative nicht genügen wird, damit <strong>die</strong> Länder<br />

der Schuldenfalle entkommen können.<br />

Von den acht Ländern, <strong>die</strong> den Umsetzungszeitpunkt<br />

erreicht haben, sind zwei bereits<br />

wieder bei einem Verhältnis des Netto- Istwerts<br />

der Schulden zu den Exporterlösen von<br />

mehr als 150 Prozent angelangt. Dies ist <strong>die</strong><br />

Schwelle, <strong>die</strong> von der Initiative als tragbar eingestuft<br />

wurde. Die ursprünglichen IWF- und<br />

Weltbank-Prognosen der Schuldentragfähigkeit<br />

wurden während eines wirtschaftlichen<br />

Booms berechnet. Diese Analyse stützte sich<br />

auf drei Annahmen, <strong>die</strong> sich seitdem als zu optimistisch<br />

erwiesen haben:<br />

• Die Exporte würden zunehmen. Im<br />

kommenden Jahrzehnt müsste das Exportwachstum<br />

fast doppelt so hoch sein wie in den<br />

1990er Jahren, wenn <strong>die</strong> hochverschuldeten<br />

armen Länder in <strong>die</strong> Lage versetzt werden sollen,<br />

ihre Schulden zu be<strong>die</strong>nen. Hierzu müssten<br />

sich <strong>die</strong> Austauschverhältnisse im Außenhandel<br />

zu Gunsten <strong>die</strong>ser Länder um 0,5 Prozent<br />

jährlich verbessern, obwohl sie sich in<br />

den 1990er Jahren um 0,7 Prozent jährlich<br />

verschlechterten.<br />

• Die Kreditaufnahme würde abnehmen.<br />

Es wird prognostiziert, dass <strong>die</strong> jährliche Neukreditaufnahme<br />

von 9,5 auf 5,5 Prozent des<br />

Bruttosozialprodukts (BSP) sinken und <strong>die</strong><br />

Zuschüsse sich verdoppeln werden. Einige<br />

hochverschuldete arme Länder nehmen jedoch<br />

bereits Kredite zu Zinssätzen auf, <strong>die</strong><br />

<strong>über</strong> den erwarteten liegen.<br />

• Krisen und Katastrophen würden sich<br />

nicht so stark auswirken. Doch <strong>die</strong> meisten<br />

hochverschuldeten armen Länder sind anfällig<br />

für Dürren, Überschwemmungen, zivile Konflikte<br />

und fallende Rohstoffpreise. 14<br />

WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />

Die HIPC-Initiative hat nicht bewirkt, dass<br />

<strong>die</strong> Schuldenlast für genügend Länder tragbar<br />

geworden ist. Sie muss erweitert werden, insbesondere<br />

angesichts des größeren Finanzbedarfs<br />

im Zusammenhang mit den Millenniums-Entwicklungszielen.<br />

Um den armen Ländern<br />

zu helfen, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen, sind<br />

Schuldenerleichterungen für <strong>die</strong> Geber ein ef-<br />

192 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


fizienteres Mittel als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe,<br />

weil Schuldenerleichterungen mehr Flexibilität<br />

bei der Mittelverwendung ermöglichen.<br />

Schuldenerleichterungen können gezielt bedürftigen<br />

Ländern gewährt werden. Da <strong>die</strong><br />

Mittel nicht gebunden sind, können sie Budgethilfe<br />

bieten, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> im Rahmen von<br />

Strategien zur Armutsbekämpfung definierten<br />

nationalen Prioritäten aufgewendet werden<br />

kann.<br />

Die Verknüpfungen mit den Zielen stärken.<br />

Wie im Millenniums-Entwicklungspakt<br />

empfohlen, sollte der Finanzbedarf zum Erreichen<br />

der Ziele in den Strategiedokumenten<br />

zur Armutsbekämpfung explizit eingeschätzt<br />

werden. Einschätzungen der Schuldentragfähigkeit<br />

durch <strong>die</strong> Weltbank und den IWF<br />

sollten sich nicht bloß auf <strong>die</strong> Fähigkeit erstrecken,<br />

den Schulden<strong>die</strong>nst zu leisten, sondern<br />

auf <strong>die</strong> Freisetzung von ausreichend Mitteln<br />

zum Erreichen der Ziele ausgedehnt werden.<br />

Die Entwicklungshilfe erhöhen. Die Kapazitäten<br />

eines Landes, seine Schulden zu be<strong>die</strong>nen,<br />

sollten im Verhältnis zu seinem Bedarf<br />

bewertet werden, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen. Für<br />

viele Länder wird <strong>die</strong>s einen vollständigen<br />

Schuldenerlass erfordern. Das im Rahmen der<br />

HIPC-Initiative als Maß für <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit<br />

verwendete Verhältnis der Schulden<br />

zu den Exporterlösen hat mit dem Bedarf der<br />

Armen wenig zu tun. Wenn Gläubigerländer<br />

und Geber verhindern wollen, dass Mittel, <strong>die</strong><br />

für Investitionen in <strong>die</strong> soziale Grundversorgung<br />

gebraucht werden, zur Schuldentilgung<br />

eingesetzt werden, wird vorgeschlagen, als ein<br />

Maß für <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit das Verhältnis<br />

zwischen Schulden<strong>die</strong>nst und BSP zu<br />

verwenden. Die reichen Länder könnten <strong>die</strong><br />

Schuldenerleichterungen ausweiten, bis der<br />

Schulden<strong>die</strong>nst unter zwei Prozent des BIP<br />

liegt. (Die meisten HIPC nehmen Steuern in<br />

Höhe von etwa 20 Prozent des BSP ein, und<br />

10 Prozent der Steuereinnahmen wären ein<br />

zumutbarer Anteil für den Schulden<strong>die</strong>nst.) 15<br />

Besseren Schutz vor Krisen und Katastrophen<br />

bieten. Die hochverschuldeten armen<br />

Länder sind besonders anfällig für Naturkatastrophen<br />

und einen Preisverfall der Rohstoffe,<br />

<strong>die</strong> sie exportieren. Ein innovativer<br />

Vorschlag geht dahin, eine Fazilität für Notfälle<br />

einzurichten. Danach würde der Schulden<strong>die</strong>nst<br />

mit externen Mitteln finanziert, wenn<br />

infolge einer Krise oder Katastrophe der<br />

Schulden<strong>die</strong>nst auf <strong>über</strong> zwei Prozent des<br />

BSP steigt. 16<br />

Andere Ideen <strong>über</strong> <strong>die</strong> aktuellen HIPC-<br />

Mechanismen hinaus ver<strong>die</strong>nen ebenfalls Beachtung.<br />

Jubilee Research, ein Nachfolgeprogramm<br />

zu Jubilee 2000, hat ein Umschuldungsprogramm<br />

für <strong>die</strong> Millenniums-Entwicklungsziele<br />

vorgeschlagen. Im Rahmen<br />

<strong>die</strong>ses Programms würde durch ein unabhängiges<br />

Gremium oder Gericht von Fall zu Fall<br />

<strong>über</strong> den Antrag souveräner Schuldner auf<br />

Gläubigerschutz entschieden. Dieser Ansatz<br />

hat den Vorteil, dass dem Gläubiger im gleichen<br />

Maße <strong>die</strong> Beweispflicht auferlegt wird<br />

wie dem Schuldner (Kasten 8.7). Er könnte jedoch<br />

<strong>die</strong> unbeabsichtigte Konsequenz haben,<br />

dass Mittel von Hilfsprogrammen der Gläubiger<br />

umgeleitet werden. Im Gegensatz zur<br />

HIPC-Initiative fehlt dem Programm auch ein<br />

Mechanismus, um sicherzustellen, dass freigesetzte<br />

Mittel zur Armutsbekämpfung eingesetzt<br />

werden.<br />

HANDEL – MARKTÖFFNUNG UND<br />

SUBVENTIONSABBAU<br />

Ein Grund für das Schuldenproblem ist, dass<br />

<strong>die</strong> meisten HIPC wie andere arme Länder in<br />

hohem Maße von Rohstoffexporten abhängig<br />

sind und <strong>die</strong> Rohstoffpreise drastisch gesunken<br />

sind. Von solchen Exporten abhängige<br />

Länder können mit dem Wachstum der Weltwirtschaft<br />

nicht mithalten (siehe Kapitel 3). 17<br />

Obwohl Entwicklungshilfe und Schuldenerleichterungen<br />

eine entscheidende Rolle in den<br />

Bemühungen spielen, viele Entwicklungsländer<br />

auf den richtigen Kurs zu bringen, stellen<br />

sie keine dauerhaften Lösungen dar.<br />

HANDELSSTRUKTUREN VERÄNDERN<br />

Um in der Weltwirtschaft konkurrieren und<br />

erfolgreich sein zu können, müssen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

ihre Entwicklung selbst vorantreiben.<br />

Sie müssen bei ihren Exportprodukten<br />

wettbewerbsfähig werden und in an-<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 193


KASTEN 8.7<br />

Seit 1995 hat <strong>die</strong> Bewegung Jubilee 2000<br />

sich für <strong>die</strong> Lösung internationaler Schuldenkrisen<br />

eingesetzt. Jubilee Research, das<br />

Nachfolgeprogramm der Bewegung, hat<br />

einen radikalen neuen Ansatz vorgeschlagen,<br />

der auf drei Prinzipien beruhen würde.<br />

Bei der Lösung von Schuldenkrisen<br />

Gerechtigkeit und Vernunft walten<br />

lassen<br />

Keine Partei in einer Schuldenkrise würde<br />

im Gericht, in dem <strong>über</strong> Schuldtitel staatlicher<br />

Kreditnehmer verhandelt wird, als<br />

Ankläger, Richter oder Geschworener auftreten<br />

können.<br />

Die Verantwortung sowohl von<br />

Schuldnern als auch von Gläubigern für<br />

<strong>die</strong> Krise anerkennen<br />

Bei den gegenwärtig angewendeten Verfahren<br />

stehen <strong>die</strong> Schuldner stärker im<br />

Obligo. Bei allen Vorschlägen zur Verteilung<br />

der Verluste würden <strong>die</strong> Interessen<br />

der Gläubiger, aber auch <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

des Schutzes der Menschenrechte und<br />

der Würde der Bevölkerung des Schuldnerlandes<br />

berücksichtigt werden.<br />

Einen offenen, rechenschaftspflichtigen,<br />

transparenten Prozess<br />

gewährleisten<br />

Es geht um Aktiva und Verbindlichkeiten<br />

der öffentlichen Hand, nicht von Privatpersonen.<br />

Es sollte anerkannt werden,<br />

dass es in jeder Schuldenkrise drei Parteien<br />

gibt: den Schuldner, <strong>die</strong> Gläubiger und<br />

<strong>die</strong> Steuerzahler. Entsprechend sollten alle<br />

Quelle: Pettifor und Greenhill <strong>2003</strong>.<br />

Ein Vorschlag zur Umschuldung, damit <strong>die</strong> Ziele<br />

erreicht werden können<br />

drei an der Lösung der Krise beteiligt sein.<br />

Wie in Kapitel 9 des amerikanischen Konkursgesetzes<br />

festgelegt, würden betroffene<br />

Bürger ein verbrieftes Mitspracherecht bei<br />

der Lösung einer Krise haben. Transparenz<br />

und Rechenschaftslegung <strong>die</strong>ser Art<br />

würden helfen, zukünftige Krisen zu verhindern.<br />

Die Regierung des Schuldnerlandes<br />

würde den Prozess einleiten, indem sie bei<br />

den Vereinten Nationen Rahmenbedingungen<br />

für ein unabhängiges, transparentes,<br />

rechenschaftspflichtiges Schiedsverfahren<br />

beantragt. Die Begründung hierfür<br />

würde darauf lauten, dass <strong>die</strong> Schulden<strong>die</strong>nstzahlungen<br />

<strong>die</strong> Ausgaben für <strong>die</strong><br />

grundlegenden Menschenrechte abwürgen<br />

würden, was das Land daran hindern<br />

würde, <strong>die</strong> Ziele zu erreichen.<br />

In der nächsten Phase würde ein unabhängiges<br />

Schiedsgericht eingerichtet<br />

werden, dessen Mitglieder in gleicher Zahl<br />

vom Schuldnerland und den Gläubigern<br />

benannt würden. Diese Mitglieder würden<br />

einen neutralen Richter oder Vorsitzenden<br />

wählen. Um beurteilen zu können, wie viele<br />

Schulden erlassen werden sollten, würde<br />

das Schiedsgericht eine vollständige<br />

Einschätzung des Mittelumfangs benötigen,<br />

den das Land braucht, um <strong>die</strong> Ziele<br />

zu erreichen.<br />

Die Vereinten Nationen müssten sicherstellen,<br />

dass das Verfahren sowohl für<br />

den Schuldner als auch für <strong>die</strong> Gläubiger<br />

transparent, unabhängig und fair verläuft<br />

und dass <strong>die</strong> dadurch freigesetzten Mittel<br />

zum Erreichen der Ziele eingesetzt werden.<br />

dere Produktkategorien diversifizieren. Länder<br />

mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

konnten ihre Exporte in der Vergangenheit jedoch<br />

nur langsam ausweiten oder diversifizieren<br />

(Siehe Tabelle 8.2).<br />

Die heutigen hart umkämpften Weltmärkte<br />

machen <strong>die</strong> Exportdiversifikation für Länder<br />

mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

schwierig. Durch <strong>die</strong> Marktöffnung sind <strong>die</strong><br />

Anforderungen an Kapital-, Technologie- und<br />

<strong>Human</strong>ressourcen gestiegen. Internationale<br />

Rohstoffeinkäufer fordern von Lieferanten in<br />

Entwicklungsländern einen hohen Grad an<br />

TABELLE 8.2<br />

Handel: Die Chancen nutzen –<br />

oder nicht<br />

Exporte von Waren,<br />

Dienstleistungen und<br />

Einkommen<br />

(Milliarden US-Dollar von 1995)<br />

1990 2001<br />

Hohe <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung<br />

Mittlere <strong>menschliche</strong><br />

3.959 7.602<br />

Entwicklung<br />

Niedirge <strong>menschliche</strong><br />

780 1.599<br />

Entwicklung 41 61<br />

Quelle: : Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu Exporten sowie zum BIP-<br />

Deflator in World Bank <strong>2003</strong>i.<br />

Zuverlässigkeit und Qualität. Durch <strong>die</strong>se<br />

Trends steigt <strong>die</strong> Bedeutung von Wissen,<br />

Qualifikationen und Flexibilität. Sie erhöhen<br />

auch den Druck auf <strong>die</strong> ärmsten Länder, <strong>die</strong><br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> geringsten Fertigkeiten, Ersparnisse<br />

und Kapazitäten verfügen, um sich an ein veränderndes<br />

Umfeld anzupassen. 18<br />

Raschere Fortschritte beim Erreichen der<br />

Millenniums-Entwicklungsziele – insbesondere<br />

in den Bereichen Bildung und Gesundheit –<br />

werden den Ländern helfen, ihre Exportsektoren<br />

zu stärken. Gesunde Menschen mit einem<br />

hohen Bildungsstand machen <strong>die</strong> Erwerbsbevölkerung<br />

anpassungsfähiger und <strong>die</strong><br />

Volkswirtschaft produktiver. Dadurch ändern<br />

sich <strong>die</strong> Handelsstrukturen: von Rohstoffexporten<br />

zu stärker verarbeiteten Produkten,<br />

von einfachen Industriegütern zu Gütern, deren<br />

Produktion besser qualifizierte Arbeitskräfte<br />

erfordert. 19<br />

WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />

Die reichen Länder haben enorm viele Möglichkeiten,<br />

durch den Abbau von Zöllen und<br />

Subventionen den Marktzugang zu erweitern<br />

und Importe aus armen Ländern zu begünstigen.<br />

Trotz einiger wichtiger Initiativen in der<br />

jüngsten Zeit unterliegen <strong>die</strong> in den ärmsten<br />

Ländern hergestellten Produkte durch <strong>die</strong><br />

Handelspolitik weiterhin Diskriminierungen,<br />

vor allem Agrarerzeugnisse und Textilien. Die<br />

armen Länder erwarteten von der Uruguay-<br />

Runde zum Welthandel (1986 bis 1994) vor allem,<br />

dass <strong>die</strong> reichen Länder ihre Märkte für<br />

<strong>die</strong>se beiden Produktkategorien öffnen würden.<br />

Die Ergebnisse waren jedoch größtenteils<br />

194 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


TABELLE 8.3<br />

Zölle und Zollsenkungen in ausgewählten Ländern und Ländergruppen nach der<br />

Uruguay-Runde<br />

(in Prozent)<br />

Europäische Union Vereinigte Staaten Arme Länder Reiche Länder<br />

Produktkategorie Zoll Senkung Zoll Senkung Zoll Senkung Zoll Senkung<br />

Argrarerzeugnisse a 15,7 –5,9 10,8 –1,5 17,4 –43,0 26,9 –26,9<br />

Textilien 8,7 –2,0 14,8 –2,0 21,2 –8,5 8,4 –2,6<br />

Metalle 1,0 –3,3 1,1 –3,8 10,8 –9,5 0,9 –3,4<br />

Chemikalien 3,8 –3,3 2,5 –4,9 12,4 –9,7 2,2 –3,7<br />

a. Ohne Fisch. Einschließlich der Zolläquivalente nichttarifärer Hemmnisse<br />

Quelle: Finger und Harrison 1996.<br />

enttäuschend. In den meisten reichen Ländern<br />

wird mit einem breiten Spektrum an Instrumenten<br />

weiterhin in außerordentlich hohem<br />

Maß Protektionismus betrieben: 20<br />

Zölle. Die meisten reichen Länder erheben<br />

höhere Zölle auf Agrarerzeugnisse und<br />

einfache Industriegüter, also genau auf <strong>die</strong><br />

Waren, <strong>die</strong> Entwicklungsländer produzieren<br />

und exportieren können. Im Bereich der<br />

Landwirtschaft sind <strong>die</strong> in Entwicklungsländern<br />

produzierten kostengünstigen landwirtschaftlichen<br />

Erzeugnisse durch <strong>die</strong> Zölle der<br />

OECD-Länder in hohem Maße benachteiligt<br />

(Tabelle 8.3). Die Zölle auf Industriegüter aus<br />

Entwicklungsländern bleiben ebenfalls hoch.<br />

In den 1990er Jahren beliefen sich <strong>die</strong> Zölle<br />

der OECD auf Industriegüter aus Entwicklungsländer<br />

im Durchschnitt auf 3,4 Prozent<br />

und waren damit mehr als viermal höher als<br />

<strong>die</strong> durchschnittlichen Zölle von 0,8 Prozent<br />

auf Industriegüter aus der OECD. Bangladesch<br />

exportiert jährlich Waren im Wert von<br />

2,4 Milliarden US-Dollar in <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten und zahlt 14 Prozent Zoll, während<br />

Frankreich Waren im Wert von 30 Milliarden<br />

US-Dollar exportiert und etwa ein Prozent<br />

Zoll zahlt. 21 Die Uruguay-Runde unterließ es<br />

zudem, <strong>die</strong> Spitzenzölle (Zölle von mehr als 15<br />

Prozent) auf viele Exporte aus Entwicklungsländern<br />

abzuschaffen: 60 Prozent der Importe<br />

aus Entwicklungsländern in <strong>die</strong> EU, Japan,<br />

Kanada und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten unterlagen<br />

Spitzenzöllen. 22<br />

Die ärmsten Länder sind auch mit steigenden<br />

Abgaben bei zunehmendem Verarbeitungsgrad<br />

(tariff escalation) konfrontiert, d.h.<br />

höheren Zöllen, wenn sie versuchen, ihre Exporte<br />

zu verarbeiten, statt einfach Primärprodukte<br />

zu exportieren. Beispiele für <strong>die</strong>se „Ent-<br />

wicklungssteuer“ sind fünf Prozent Zoll auf<br />

Kaffeebohnen, aber 15 Prozent auf gemahlenen<br />

Kaffee in Neuseeland 23 und 0,1 Prozent<br />

Zoll auf Rohtextilien, aber 8,6 Prozent auf fertig<br />

verarbeitete Textilien in Japan. 24<br />

Quoten. Importquoten sind eine noch extremere<br />

Form der gleichen Politik. Anstatt lediglich<br />

<strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit von Produkten<br />

aus Entwicklungsländern zu verringern,<br />

verhindern Quoten, dass solche Produkte<br />

<strong>über</strong> eine bestimmte Menge hinaus <strong>über</strong>haupt<br />

am Wettbewerb teilnehmen können. Die<br />

OECD-Länder unterwerfen Importe einem<br />

breiten Spektrum von Quoten, insbesondere<br />

für Bekleidung und Schuhe – arbeitsintensive<br />

Produkte, bei denen <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

einen komparativen Vorteil hätten. Bis 2005<br />

sollten <strong>die</strong> Quoten für Bekleidung und Textilien<br />

auslaufen. Aber im Jahr 2002 galten Quoten<br />

immer noch für <strong>die</strong> meisten Bekleidungsprodukte,<br />

<strong>die</strong> bereits Ende der 1980er Jahre<br />

Quoten unterlagen. Dieser mangelnde Fortschritt<br />

lässt Zweifel an der Bereitschaft der<br />

OECD-Länder aufkommen, ihre Zusagen für<br />

das Jahr 2005 wirklich einzuhalten.<br />

Exportsubventionen. Ein anderes Mittel<br />

reicher Länder, <strong>die</strong> Spielregeln für den Handel<br />

zu ihren Gunsten zu beeinflussen, scheint<br />

auf den ersten Blick wenig mit Handel zu tun<br />

zu haben. In unterschiedlichem Maße zahlen<br />

reiche Länder Subventionen an ihre einheimischen<br />

Nahrungsmittelproduzenten. Diese<br />

Subventionen sind mit insgesamt 311 Milliarden<br />

US-Dollar so hoch, dass sie Einfluss auf<br />

<strong>die</strong> Weltmarktpreise für Agrarprodukte haben<br />

und arme Länder unmittelbar schädigen<br />

(Kasten 8.8). Von der EU subventionierte Exporte<br />

haben zum Niedergang der Milchwirtschaft<br />

in Brasilien und Jamaika sowie der<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 195


GRAFIK 8.6<br />

Mehr Entwicklungshilfe für<br />

Kühe und Baumwolle als für<br />

Menschen (im Jahr 2000)<br />

913 US-$<br />

pro Kuh<br />

Jährliche Milchsubventionen<br />

in der Europäischen<br />

Union<br />

2.700 US-$<br />

pro Kuh<br />

Jährliche Milchsubventionen<br />

in Japan<br />

10,7<br />

Millionen<br />

US-$ pro<br />

Tag für<br />

Baumwolle<br />

490 US-$<br />

pro Kopf<br />

Durchschnittseinkommen<br />

in Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

490 US-$<br />

pro Kopf<br />

Durchschnittseinkommen<br />

in Afrika<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

8 US-$<br />

pro Einwohner<br />

in<br />

Afrika südl.<br />

der Sahara<br />

Jährliche<br />

Entwicklungshilfe<br />

der<br />

Europäischen<br />

Union an <strong>die</strong><br />

Länder Afrikas<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

1,47 US-$<br />

pro Einwohner<br />

in<br />

Afrika südl.<br />

der Sahara<br />

Jährliche Ent-<br />

wicklungshilfe<br />

Japans an <strong>die</strong><br />

Länder Afrikas<br />

südlich der<br />

Sahara<br />

3,1<br />

Millionen<br />

US-$ pro Tag<br />

Subventionierung Entwicklungshilfe<br />

von Erzeugern in den der Vereinigten<br />

Vereinigten Staaten Staaten an <strong>die</strong><br />

Länder Afrikas<br />

südlich der Sahara<br />

Quelle: Birdsall und Clemens <strong>2003</strong>b.<br />

KASTEN 8.8<br />

Der große internationale Wirkungsbereich im eigenen Land gezahlter Subventionen<br />

Subventionen der reichen Länder an ihre Bauern<br />

machen deren Betriebe rentabler, ermutigen zu Produktionssteigerungen<br />

und senken <strong>die</strong> Erzeugerpreise.<br />

Das Resultat sind billige Agrarprodukte in riesigen<br />

Mengen.<br />

Wer sind <strong>die</strong> Gewinner und Verlierer? Einheimische<br />

Erzeuger profitieren zweifellos durch höhere<br />

Gewinne. Aber einheimische Konsumenten verlieren<br />

eindeutig. Sie zahlen weniger für Nahrungsmittel,<br />

aber mehr Steuern, um <strong>die</strong> Subventionen zu finanzieren<br />

– und der negative Effekt <strong>über</strong>wiegt den<br />

positiven. Außerdem begünstigen <strong>die</strong> Subventionen<br />

primär <strong>die</strong> großen Erzeuger. Schätzungen der Europäischen<br />

Union zufolge fließt ohne Berücksichtigung<br />

Griechenlands <strong>die</strong> Hälfte aller Subventionen<br />

an gerade einmal fünf Prozent der Betriebe.<br />

Die Wirkung reicht jedoch <strong>über</strong> <strong>die</strong> nationalen<br />

Grenzen hinaus. Erzeuger in armen Ländern müssen<br />

mit subventionierten Erzeugern in reichen<br />

Ländern konkurrieren. Oft können sie ihre Erzeugnisse<br />

nicht in reiche Länder exportieren, weil<br />

ihre unsubventionierten Preise nicht mit den unter<br />

den Marktpreisen liegenden Preisen konkurrieren<br />

können, zu denen <strong>die</strong> Bauern in reichen Ländern<br />

anbieten. (Dies gilt für Zucker in den Vereinigten<br />

Staaten.) Möglicherweise können sie ihre Erzeugnisse<br />

nicht einmal im eigenen Land verkaufen, weil<br />

<strong>die</strong> durch Subventionen herbeigeführte Überproduktion<br />

von Agrarerzeugnissen in den reichen<br />

Ländern zu Überschüssen führt, <strong>die</strong> zu Preisen in<br />

arme Länder exportiert werden, <strong>die</strong> kein einheimischer<br />

Erzeuger unterbieten kann. (Dies gilt für<br />

Milch aus Europa.)<br />

Quelle: Cline 2002.<br />

Zuckerindustrie in Südafrika beigetragen. 25<br />

Westafrikanische Baumwollproduzenten haben<br />

<strong>die</strong> Effizienz ihres Baumwollsektors gesteigert<br />

und sind mit ihren Produktionskosten<br />

wettbewerbsfähig geworden. Aber sie<br />

können nicht mit den subventionierten Bauern<br />

in den reichen Ländern konkurrieren<br />

(Kasten 8.9). Die Pro-Kopf-Subventionen der<br />

OECD für Kühe und Baumwolle sind in der<br />

Tat wesentlich höher als <strong>die</strong> Pro-Kopf-Entwicklungshilfe<br />

der OECD für Afrika südlich<br />

der Sahara (Grafik 8.6). Die jährlichen<br />

Agrarsubventionen in reichen Ländern <strong>über</strong>steigen<br />

das Volkseinkommen aller Länder in<br />

Afrika südlich der Sahara beträchtlich (Siehe<br />

Grafik 8.7).<br />

Auf der Konferenz der Welthandelsorganisation<br />

(World Trade Organization –<br />

Wie ist es mit den Auswirkungen für <strong>die</strong> Konsumenten<br />

in armen Ländern? Ohne weitere Verzerrungen<br />

sollten Subventionen in reichen Ländern <strong>die</strong><br />

Preise, <strong>die</strong> sie für gehandelte Nahrungsmittel zahlen<br />

müssen, nach unten treiben, was ein Vorteil wäre.<br />

Aber in vielen armen Länder ist ein großer Teil der<br />

Konsumenten auch Erzeuger von Agrarprodukten.<br />

Diese Menschen sind in doppelter Weise von Subventionen<br />

in reichen Ländern betroffen: Die Nahrungsmittel,<br />

<strong>die</strong> sie kaufen, sind billiger, aber wegen<br />

der niedrigeren Preise für <strong>die</strong> von ihnen erzeugten<br />

Nahrungsmittel ist ihr Einkommen geringer.<br />

Ob Subventionen in armen Ländern zu mehr<br />

oder weniger Armut führen, hängt also davon ab,<br />

wie viele arme Menschen in <strong>die</strong>sen Ländern ihren<br />

Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln<br />

ver<strong>die</strong>nen. Eine neuere Untersuchung kam<br />

zu dem Ergebnis, dass der Abbau von Subventionen<br />

armen Menschen auf kurze Sicht schadet, wenn weniger<br />

als <strong>die</strong> Hälfte von ihnen in ländlichen Gebieten<br />

leben. In einem durchschnittlichen Entwicklungsland<br />

leben jedoch etwa drei Viertel der armen<br />

Menschen in ländlichen Gebieten – und in den ärmsten<br />

afrikanischen und asiatischen Ländern sogar<br />

mehr als 90 Prozent. Nettoimportländern von Nahrungsmitteln<br />

nutzen billigere Weltmarktpreise.<br />

Doch auf lange Sicht dämpfen niedrige Preise <strong>die</strong><br />

Investitionsanreize, was in einem wichtigen Sektor<br />

der Volkswirtschaft, von dem viele Menschen abhängig<br />

sind, zu Stagnation führt. Dies macht <strong>die</strong><br />

Bauern in den reichen Ländern zu den einzigen<br />

wahren Nutznießern von Subventionen, während<br />

<strong>die</strong> Zahl der Leidtragenden weltweit riesig ist.<br />

WTO) in Doha im Jahr 2001 einigten sich <strong>die</strong><br />

Länder darauf, <strong>die</strong> Exportsubventionen für<br />

Agrarerzeugnisse letzten Endes abschaffen zu<br />

wollen. Es wurde jedoch kein Zeitrahmen festgelegt.<br />

Dieser ist aber zweifellos unabdingbar,<br />

wenn <strong>die</strong> Erklärung von Doha in irgendeiner<br />

Form Sinn machen soll. 26<br />

Auf lange Sicht liegt <strong>die</strong> wirkliche Lösung<br />

für rohstoffabhängige Länder in der Diversifizierung<br />

in andere Exportsektoren, insbesondere<br />

in den Export arbeitsintensiver Industriegüter.<br />

Kurzfristig könnte jedoch <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft der extremen Volatilität<br />

der Rohstoffpreise entgegenwirken. In<br />

den 1970er und 1980er Jahren gab es Versuche,<br />

durch internationale Rohstoffabkommen<br />

eine Stabilisierung zu erreichen, <strong>die</strong> dann aber<br />

wieder aufgegeben wurden. Angesichts der<br />

196 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


KASTEN 8.9<br />

Ungewisser Ausgang der Doha-Runde für <strong>die</strong> afrikanischen Baumwollexporteure<br />

Für <strong>die</strong> wirtschaftliche Entwicklung mehrerer westafrikanischer<br />

Länder (Benin, Burkina Faso, dem<br />

Tschad, Mali, Togo) ist Baumwolle von großer Bedeutung.<br />

Seit den 1980er Jahren hat sich <strong>die</strong> Baumwollproduktion<br />

vervierfacht. Mittlerweile entfallen<br />

darauf fünf bis zehn Prozent des BIP und etwa 30<br />

Prozent der Exporte. Ein wesentlicher Teil der Produktion<br />

wird von Kleinbauern erzeugt, von denen<br />

viele unterhalb der Armutsgrenze leben. Für <strong>die</strong><br />

meisten ist Baumwolle das einzige Produkt, das sie<br />

wettbewerbsfähig exportieren können. Die Einnahmen<br />

aus der Baumwollproduktion finanzieren auch<br />

einen beträchtlichen Teil der wirtschaftlichen und<br />

sozialen Infrastruktur in ländlichen Gebieten. Deshalb<br />

sind <strong>die</strong> Baumwollpreise und <strong>die</strong> Einnahmen<br />

von großer Bedeutung für jede Strategie zur Armutsbekämpfung<br />

in <strong>die</strong>sen Ländern – und für das<br />

Erreichen der Ziele.<br />

In den vergangenen Jahren wurden in <strong>die</strong>sen<br />

Ländern eine Reihe von Reformen durchgeführt, <strong>die</strong><br />

zu deutlichen Produktivitätssteigerungen führten.<br />

Gleichzeitig konnten <strong>die</strong> Produktionskosten auf einen<br />

im weltweiten Vergleich äußerst niedrigen<br />

Stand gedrückt werden, so dass sie beträchtlich unter<br />

denen in der Europäischen Union und den Vereinigten<br />

Staaten lagen. Dies ist der Hauptgrund<br />

dafür, dass auf <strong>die</strong> Region mittlerweile 15 Prozent<br />

der weltweiten Baumwollexporte entfallen, ein Anteil,<br />

der nur von den Vereinigten Staaten <strong>über</strong>troffen<br />

wird.<br />

Eine Reihe von Exportländern, darunter China,<br />

<strong>die</strong> Europäische Union und <strong>die</strong> Vereinigten Staaten,<br />

subventionieren ihre Baumwollproduzenten in ei-<br />

Quelle: ICCC 2002.<br />

schlechten Erfahrungen damit dürften erneute<br />

Ansätze in <strong>die</strong>ser Richtung wenig Unterstützung<br />

finden. Eine Fazilität für Notfälle könnte<br />

ein Versicherungselement in das Abkommen<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Schuldenerleichterungen für <strong>die</strong><br />

HIPC einbringen. Zusätzliche Hilfe könnte<br />

nach exogen verursachten Krisen wie einem<br />

plötzlichen Rückgang der Weltmarktpreise<br />

für <strong>die</strong> Exporte eines Landes geleistet werden.<br />

27 Außerdem sollte das WTO-Agrarabkommen<br />

dahingehend geändert werden, dass<br />

Entwicklungsländern keine Restriktionen bei<br />

der Finanzierung von Projekten zur Diversifizierung<br />

von Rohstoffexporten oder bei der Sicherung<br />

der Erzeugerpreise für arme Bauern<br />

auferlegt werden.<br />

Zwar wird der Nutzen der Handelsliberalisierungen<br />

der reichen Ländern für <strong>die</strong> armen<br />

nem hohen Maß. Im Jahr 2002 belief sich <strong>die</strong> direkte<br />

finanzielle Unterstützung auf schätzungsweise 73<br />

Prozent der gesamten Weltproduktion und lag damit<br />

beträchtlich höher als <strong>die</strong> vor fünf Jahren registrierten<br />

50 Prozent. Im Jahr 2001 verursachten <strong>die</strong>se<br />

Programme Kosten im Höhe von 4,9 Milliarden<br />

US-Dollar, wovon etwa <strong>die</strong> Hälfte von den Vereinigten<br />

Staaten und der größte Teil des Rests von der<br />

Europäischen Union und China getragen wurde. Einige<br />

<strong>die</strong>ser Länder leisten auch Unterstützung für<br />

Baumwollexporte.<br />

Diese Verzerrungen haben das Baumwollangebot<br />

auf den Weltmärkten künstlich ausgeweitet und<br />

den Preis gedrückt. Die größten Preisstürze ereigneten<br />

sich 2001/2002. Arme Exportländer wie <strong>die</strong><br />

Länder in West- und Zentralafrika waren am stärksten<br />

betroffen. Ihre nicht subventionierten Erzeuger<br />

müssen Baumwolle zu Preisen verkaufen, <strong>die</strong> kaum<br />

<strong>über</strong> den Produktionskosten liegen, was für sie ständig<br />

sinkende effektive Renditen bedeutet. Das International<br />

Cotton Consultative Committee und der<br />

Internationale Währungsfonds sind der Auffassung,<br />

dass der Abbau von einheimischen und Exportsubventionen<br />

für <strong>die</strong> Baumwollproduktion <strong>die</strong> Weltmarktpreise<br />

wieder auf ein kompetitives Niveau anheben<br />

würde. Dies würde <strong>die</strong> Einkommen armer<br />

Baumwollerzeuger steigern und <strong>die</strong>se Länder auf<br />

einen dauerhaften Wachstumspfad führen. Die<br />

Frage lautet: Werden <strong>die</strong> Verhandlungen zum Welthandel<br />

im Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganisation<br />

den Wettbewerbsvorteil der westafrikanischen<br />

Baumwollerzeuger berücksichtigen<br />

und würdigen?<br />

Länder unterschiedlich eingeschätzt, doch <strong>die</strong><br />

meisten Schätzungen gehen von enormen<br />

Vorteilen aus. Allein <strong>die</strong> statischen Effekte auf<br />

<strong>die</strong> derzeitige Wirtschaftsstruktur armer Länder<br />

würden etwa <strong>die</strong> Größenordnung der derzeitigen<br />

Auslandshilfe erreichen. Das bedeutet<br />

nicht, dass <strong>die</strong> Handelsliberalisierungen an <strong>die</strong><br />

Stelle der Entwicklungshilfe treten könnten<br />

oder sollten. Für <strong>die</strong> Länder mit hoher und<br />

höchster Priorität ist Entwicklungshilfe eine<br />

entscheidende Voraussetzung, um <strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Beschränkungen zum Erreichen<br />

der Millenniums-Entwicklungsziele sofort angehen<br />

zu können. Für <strong>die</strong>se Länder wird es<br />

länger dauern, Handelsgewinne zu erzielen,<br />

weil sie zuerst <strong>die</strong> Kapazitäten schaffen müssen,<br />

um auf neue Chancen reagieren zu können.<br />

GRAFIK 8.7<br />

Die Argrarsubventionen<br />

der OECD sind deutlich<br />

höher als <strong>die</strong> Entwicklungshilfe<br />

(2001)<br />

311<br />

Milliarden<br />

US-$<br />

Argrarsubventionen<br />

an Erzeuger<br />

in OECD-<br />

Ländern<br />

52<br />

Milliarden<br />

US-$<br />

Entwicklungshilfe<br />

an alle Länder<br />

301<br />

Milliarden<br />

US-$<br />

OECD BIP von<br />

Afrika südlich<br />

der Sahara<br />

Quelle: OECD, Development Assistance<br />

Committee <strong>2003</strong>a; Indikatoren-Tabellen 12 und 15.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 197


Die Länder mit mittlerer <strong>menschliche</strong>r<br />

Entwicklung, <strong>die</strong> Mais, Weizen, Reis, Zucker<br />

und andere Agrarmassengüter exportieren,<br />

verfügen auch <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kapazitäten, um Bekleidung,<br />

Schuhe und andere Industriegüter<br />

zu exportieren. Deshalb würden ihnen viele<br />

der Gewinne aus den Handelsliberalisierungen<br />

der reichen Ländern zufließen. Doch auch<br />

Länder mit niedriger <strong>menschliche</strong>r Entwicklung<br />

würden davon profitieren, insbesondere<br />

Länder, <strong>die</strong> Agrarmassengüter wie Kaffee und<br />

Baumwolle exportieren.<br />

Die reichen Länder könnten durch den<br />

Handel <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung in vielen<br />

anderen Bereichen fördern. Sie könnten<br />

Bestimmungen des WTO-Abkommens <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> handelsbezogenen Aspekte der Rechte an<br />

geistigem Eigentum (Trade-Related Aspects<br />

of Intellectual Property Rights – TRIPS, siehe<br />

unten) umsetzen, <strong>die</strong> der öffentlichen Gesundheit<br />

förderlich sind. Sie könnten <strong>die</strong> soziale<br />

Grundversorgung aus der im Allgemeinen<br />

Abkommen <strong>über</strong> den Handel mit Dienstleistungen<br />

(General Agreement on Trade in<br />

Services – GATS, siehe Kapitel 5) prinzipiell<br />

vorgesehenen progressiven Liberalisierung<br />

ausnehmen. Sie könnten auf viele weitere Anliegen<br />

der Entwicklungsländer in den Bereichen<br />

Handel, Umwelt, Investitionen und Personenbewegung<br />

eingehen. Und sie könnten<br />

<strong>die</strong> Möglichkeiten der Entwicklungsländer<br />

verbessern, an Entscheidungsprozessen in<br />

den WTO-Verhandlungen effektiv teilzunehmen.<br />

Die Erklärung von Doha von November<br />

2001 verpflichtete alle Länder, den Entwicklungsbedarf<br />

insbesondere der am wenigsten<br />

entwickelten Länder zu einem zentralen Ziel<br />

zukünftiger Verhandlungen zu Handelsfragen<br />

zu machen. 28 Im Gegensatz zu anderen Millenniums-Entwicklungszielen<br />

ist Ziel 8 nicht<br />

mit einer zeitlichen Zielvorgabe verknüpft. In<br />

<strong>die</strong>sem Bericht wird allerdings vorgeschlagen,<br />

dass reiche Länder auch eine zeitliche Grenze<br />

für <strong>die</strong> Abschaffung von Zöllen und Quoten<br />

auf Industriegüterexporte und für den Abbau<br />

eigener Agrarsubventionen beachten. Dies<br />

sollte vor 2015 geschehen, dem Zeitpunkt, zu<br />

dem <strong>die</strong> armen Länder <strong>die</strong> Ziele 1 bis 7 erreichen<br />

sollen.<br />

GLOBALE TECHNOLOGIEN – DIE FRÜCHTE<br />

DES GLOBALEN WISSENS MITEINANDER<br />

TEILEN<br />

In den letzten Jahrzehnten wurden beispiellose<br />

technische Fortschritte insbesondere auf<br />

den Gebieten der Medizin, der Landwirtschaft,<br />

der Energie, der Genomik sowie der<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

erzielt. Sie eröffnen riesige Chancen, <strong>die</strong><br />

technischen Errungenschaften für Entwicklung<br />

zu nutzen. Bereits bekannte technische<br />

Innovationen können viel dazu beitragen, <strong>die</strong><br />

Produktivität zu steigern und <strong>die</strong> Probleme im<br />

Zusammenhang mit Krankheiten, Wasserund<br />

Sanitärversorgung, Hygiene und Hunger<br />

anzugehen (siehe Kapitel 3 und 4). Aber viele<br />

weitere Grenzen müssen noch <strong>über</strong>schritten<br />

werden: erschwingliche Energieversorgung<br />

für arme Gemeinschaften, Heilmethoden für<br />

<strong>die</strong> Schlafkrankheit, Impfstoffe gegen<br />

HIV/AIDS und Reaktionen auf immer wieder<br />

neue Herausforderungen. Technische Innovationen<br />

könnten <strong>die</strong> Fortschritte in Richtung<br />

der Ziele 1 bis 7 beschleunigen.<br />

TECHNOLOGIEN UND MENSCHLICHE<br />

ENTWICKLUNG MITEINANDER VERKNÜPFEN<br />

– UND DAS GLOBALE WISSEN NUTZEN<br />

Technische Innovationen bringen <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong><br />

Entwicklung auf zweierlei Weise voran:<br />

Sie steigern <strong>die</strong> Produktivität, <strong>die</strong> wiederum<br />

<strong>die</strong> Haushaltseinkommen steigen lässt (Ziel 1),<br />

und sie bieten Lösungen für Probleme im Zusammenhang<br />

mit Krankheiten, Verkehr, Energie,<br />

Wasser- und Sanitärversorgung sowie Informations-<br />

und Kommunikationstechnologien<br />

im Bildungswesen. Die Lösung von Problemen<br />

in allen <strong>die</strong>sen Bereichen ist wichtig für<br />

das Erreichen der Ziele 2 bis 7.<br />

Investitionen in technische Innovationen<br />

ver<strong>die</strong>nen hohe Priorität, weil sie <strong>die</strong> Beschränkungen,<br />

<strong>die</strong> sich aus niedrigen Einkommen<br />

und schwachen Institutionen ergeben,<br />

<strong>über</strong>winden können. Obwohl in den 1980er<br />

Jahren in den meisten Ländern <strong>die</strong> Armut<br />

kaum zurückging und das wirtschaftliche<br />

Wachstum stagnierte, konnte <strong>die</strong> Zahl der<br />

Sterbefälle bei Kindern durch technische In-<br />

198 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


novationen – Impfungen und orale Rehydratationstherapie<br />

– gesenkt werden (Grafik 8.8).<br />

In der Landwirtschaft haben sich Investitionen<br />

in den Bereich Forschung und Entwicklung<br />

ebenfalls enorm ausgezahlt. Die Früchte<br />

des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts<br />

zu teilen ist eine der wichtigsten Möglichkeiten<br />

für reiche Länder, den armen Länder<br />

zu helfen <strong>die</strong> Armut zu bekämpfen.<br />

ZUWENIG INVESTITIONEN IN<br />

TECHNOLOGIEN ZUR ARMUTSBEKÄMPFUNG<br />

Trotz des enormen Potenzials der Biotechnologie<br />

und der jüngsten Fortschritte auf <strong>die</strong>sem<br />

Gebiet wird relativ wenig in Technologien zur<br />

Lösung von Armutsproblemen investiert. Im<br />

Bereich der Medizin beispielsweise registrierte<br />

<strong>die</strong> Kommission für Makroökonomie und Gesundheit<br />

(Commission for Macroeconomics<br />

and Health) der Weltgesundheitsorganisation<br />

„drastische Unterinvestitionen“ in Bezug auf<br />

Krankheiten, von denen <strong>die</strong> Armen am meisten<br />

betroffen sind. 29 Dazu zählen Tropenkrankheiten<br />

wie Kala-Azar, <strong>die</strong> Chagas-<br />

Krankheit und <strong>die</strong> Schlafkrankheit sowie <strong>die</strong><br />

wichtigsten Infektionskrankheiten mit Todesfolge<br />

(HIV/AIDS, Tuberkulose, Malaria).<br />

1999 entfielen elf Prozent der globalen Krankheitsbürde<br />

auf Tropenkrankheiten und Tuberkulose.<br />

Doch von den 1.393 Medikamenten,<br />

<strong>die</strong> zwischen 1975 und 1999 neu zugelassen<br />

wurden, wurden nur 16 – knapp <strong>über</strong> ein<br />

Prozent – speziell zur Behandlung <strong>die</strong>ser<br />

Krankheiten entwickelt. 30<br />

1990 kam <strong>die</strong> Kommission für Gesundheitsforschung<br />

zu Gunsten von Entwicklung<br />

(Commission on Health Research for Development)<br />

der Weltgesundheitsorganisation zu<br />

dem Ergebnis, dass sich lediglich zehn Prozent<br />

der Ausgaben für Gesundheitsforschung<br />

und Entwicklung auf <strong>die</strong> Gesundheitsprobleme<br />

von 90 Prozent der Weltbevölkerung beziehen.<br />

Daran hat sich nichts geändert. Das<br />

Ungleichgewicht zwischen dem gesellschaftlichen<br />

Bedarf und dem betriebenen wissenschaftlichen<br />

Aufwand kann erfasst werden,<br />

wenn man bewertet, in welchem Verhältnis<br />

<strong>die</strong> globale Krankheitsbürde zum Anteil der<br />

Ausgaben für eine Krankheit an den Gesamt-<br />

ausgaben steht. Für Malaria, eine Krankheit,<br />

der jedes Jahr mehr als eine Million Menschen<br />

zum Opfer fallen und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Produktivität<br />

weiterer Millionen Menschen schwächt, liegt<br />

<strong>die</strong>ses Verhältnis bei 20:1. Malaria ist mit 99<br />

Prozent der Fälle fast ausschließlich auf arme<br />

Länder konzentriert und bleibt in vielen <strong>die</strong>ser<br />

Länder <strong>die</strong> Haupttodesursache.<br />

Solche Ergebnisse sind nicht <strong>über</strong>raschend,<br />

wenn man betrachtet, was es an Anreizen<br />

gibt. 93 Prozent der globalen Ausgaben<br />

für Gesundheitsforschung und Entwicklung<br />

entfallen auf <strong>die</strong> pharmazeutische Industrie<br />

und <strong>die</strong> reichen Länder. 31 Arme Länder und<br />

<strong>die</strong> Krankheiten der Armen sind unter wirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten von geringer<br />

Bedeutung, weil <strong>die</strong> Entwicklungsländer weniger<br />

als zwei Prozent des Weltmarktes für<br />

wichtige pharmazeutische Produkte ausmachen.<br />

32 Infolgedessen haben <strong>die</strong> armen Länder<br />

nur dann am Nutzen globaler Forschungsinvestitionen<br />

teil, wenn ihre Bevölkerung von<br />

Krankheiten wie HIV/AIDS betroffen ist, <strong>die</strong><br />

auch in den reichen Ländern ein Problem darstellen.<br />

Selbst dann kann es geschehen, dass<br />

den armen Ländern <strong>die</strong> Ergebnisse solcher<br />

Forschungsaktivitäten auf Grund der hohen<br />

Preise nicht zugute kommen, <strong>die</strong> mit Hilfe von<br />

Patenten aufrechterhalten werden. Dies ist<br />

beispielsweise bei antiretroviralen Medikamenten<br />

gegen HIV/AIDS der Fall.<br />

Die Finanzierung der Entwicklung von<br />

Technologien mit öffentlichen Mitteln – sowohl<br />

aus in- als auch aus ausländischen Quellen<br />

– bleibt weiterhin auf niedrigem Niveau.<br />

Deshalb sind politische Handlungskonzepte<br />

nötig, um <strong>die</strong> Investitionen zu erhöhen und<br />

den Zugang zu verbessern. Im Gesundheitsbereich<br />

stehen dem gemeinsam von Weltgesundheitsorganisation,<br />

UNHDP und der<br />

Weltbank geleiteten Forschungsprogramm<br />

Tropenkrankheiten (Tropical Diseases Research<br />

Programme) etwa 30 Millionen US-<br />

Dollar jährlich für Forschungen zu acht Tropenkrankheiten<br />

zur Verfügung. Die Forschung<br />

und Entwicklung im Agrarbereich ist<br />

trotz hoher Renditen weiterhin unterfinanziert.<br />

Die Investitionen haben in Brasilien und<br />

Mexiko zu-, in Afrika dagegen abgenommen.<br />

Das führende globale Forschungsprogramm<br />

GRAFIK 8.8<br />

Die orale Rehydrationstherapie<br />

(ORT) senkt <strong>die</strong><br />

Kindersterblichkeit trotz<br />

Einkommenstagnation<br />

Einkommen<br />

(BIP pro Kopf in PPP US-Dollar)<br />

5.628 5.580<br />

Sterblichkeitsrate<br />

von<br />

Kindern unter fünf<br />

Jahren auf Grund von<br />

Durchfallerkrankungen<br />

(pro 100.000)<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 199<br />

274<br />

1983<br />

Einführung<br />

der ORT<br />

144<br />

1978–80 1988–90<br />

MEXIKO<br />

Quelle: Gutierrez et al. 1996.


für Kulturpflanzen, <strong>die</strong> Consultative Group<br />

on International Agricultural Research<br />

(CGIAR), hatte Probleme, Mittel im Umfang<br />

von 377 Millionen US-Dollar zu beschaffen.<br />

Währenddessen gab das Privatunternehmen<br />

Monsanto 600 Millionen US-Dollar für Forschung<br />

und Entwicklung aus.<br />

ZUGANG ZU TECHNOLOGIEN UND<br />

RECHTE DES GEISTIGEN EIGENTUMS<br />

Trotz ihrer Zusagen im TRIPS-Abkommen<br />

haben <strong>die</strong> reichen Länder keine ernsthaften<br />

Schritte unternommen, um ihre Technologien<br />

im Interesse der Armutsbekämpfung weiterzugeben.<br />

Das TRIPS-Abkommen enthält Bestimmungen<br />

zum Technologietransfer, <strong>die</strong> jedoch<br />

wenig detailliert sind und auf deren Umsetzung<br />

<strong>über</strong>haupt nicht eingegangen wird. Es<br />

bietet keinen Schutz des geistigen Eigentums<br />

an indigenem Wissen, wie es in der traditionellen<br />

Medizin zur Anwendung kommt. Intensiver<br />

Druck aus der Öffentlichkeit hat in einem<br />

publizitätsträchtigen Bereich – bei Medikamenten<br />

gegen HIV/AIDS – zu Sonderpreisvereinbarungen<br />

und Spenden von Unternehmen<br />

geführt, aber sonst wenig bewirkt.<br />

Durch das TRIPS-Abkommen wird ein<br />

globaler Mindeststandard zur Förderung von<br />

Erfindungen eingeführt. Ein Regelsystem zum<br />

geistigen Eigentums soll ein Gleichgewicht<br />

zwischen den beiden gesellschaftlichen Zielen<br />

der Förderung von Erfindungen und der Förderung<br />

der Nutzung von Erfindungen herstellen.<br />

Deshalb enthält das TRIPS-Abkommen<br />

Bestimmungen, <strong>die</strong> im Interesse der Nutzer<br />

sind, wie zum Beispiel Zwangslizenzierungen<br />

oder Parallelimporte. Diese Instrumente ermöglichen<br />

Regierungen, <strong>die</strong> einheimische<br />

Produktion oder den Import patentgeschützter<br />

Waren zu gestatten. Diese Bestimmungen<br />

sind jedoch so vage formuliert, dass sie schwierig<br />

anzuwenden sind. Ihre Klärung wäre daher<br />

ein erster Schritt.<br />

Die Erklärung von Doha aus dem Jahr<br />

2001 zu TRIPS und zur öffentlichen Gesundheit<br />

stellte einen Meilenstein dar. Darin wurde<br />

anerkannt, dass <strong>die</strong> Rechte an geistigem Eigentum<br />

öffentlichen Gesundheitsrisiken untergeordnet<br />

sind. Es wurde eindeutig erklärt,<br />

dass das TRIPS-Abkommen Mitgliedstaaten<br />

weder daran hindert noch daran hindern sollte,<br />

Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen<br />

Gesundheit zu ergreifen. In der Erklärung<br />

wurde explizit bekräftigt, dass <strong>die</strong> Länder <strong>die</strong><br />

Flexibilität hätten, durch der Nutzung von<br />

Zwangslizenzen im Inland zu produzieren.<br />

Außerdem wurde in der Erklärung eine Frist<br />

bis Dezember 2002 gesetzt, um nach einer Lösung<br />

für Länder ohne ausreichende Produktionskapazitäten<br />

zu suchen. Die Verhandlungen<br />

scheiterten jedoch. Sie sollten dringend wiederaufgenommen<br />

werden.<br />

Die hohen Preise, <strong>die</strong> den Zugang zu lebensrettenden<br />

Medikamenten einschränken,<br />

sind zu einem wichtigen ethischen Streitpunkt<br />

geworden, den <strong>die</strong> Pharmaunternehmen nicht<br />

länger ignorieren. Preisdifferenzierungen –<br />

freiwillige Preissenkungen durch Pharmaunternehmen<br />

– haben sich zu einem wichtigen<br />

Mechanismus entwickelt, um den Zugang, insbesondere<br />

zu antiretroviralen Medikamenten<br />

gegen HIV/AIDS, zu erweitern. Die Erfahrungen<br />

haben jedoch gezeigt, dass Preissenkungen<br />

kein Allheilmittel sind. Zu <strong>die</strong>sem<br />

Schluss kam der Bericht der Britischen Arbeitsgruppe<br />

zur Verbesserung des Zugangs zu<br />

lebenswichtigen Medikamenten in Entwicklungsländern<br />

(UK Working Group on Increasing<br />

Access to Essential Medicines in<br />

the Developing World) vom November<br />

2002. Die Erfahrungen zeigen auch, dass angesichts<br />

mangelnder Konkurrenz durch Generika-Hersteller<br />

und ungenügender Interessenvertretung<br />

<strong>die</strong> Preissenkungen nur wenig bewirken.<br />

Das bekannteste System zur freiwilligen<br />

Preisstaffelung, <strong>die</strong> von den Vereinten<br />

Nationen finanzierte Accelerating Access Initiative,<br />

hat Medikamente an lediglich etwa<br />

30.000 Patienten ausgegeben – und zu Preisen,<br />

<strong>die</strong> mindestens viermal höher als <strong>die</strong> der<br />

im Handel erhältlichen Generika waren.<br />

Im krassen Gegensatz dazu steht das<br />

HIV/AIDS-Behandlungsprogramm Brasiliens,<br />

in dessen Rahmen mit Hilfe von Generika<br />

allein im Jahr 2001 mehr als 115.000 Patienten<br />

kostengünstig behandelt wurden. Durch das<br />

Programm konnten in Brasilien <strong>die</strong> Zahl der<br />

AIDS-Toten um <strong>die</strong> Hälfte und <strong>die</strong> verbreiteten<br />

opportunistischen Infektionen bei<br />

200 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


HIV/AIDS-Patienten um 60 bis 80 Prozent<br />

gesenkt werden. Geringere Kosten für <strong>die</strong> stationäre<br />

Behandlung und <strong>die</strong> medizinische<br />

Versorgung führten im Zeitraum von 1997 bis<br />

1999 zu Einsparungen von 422 Millionen US-<br />

Dollar. Diese deckten fast vollständig <strong>die</strong> Kosten<br />

für <strong>die</strong> Bereitstellung antiretroviraler Medikamente.<br />

Noch gar nicht berücksichtigt ist<br />

in <strong>die</strong>ser Zahl der wirtschaftliche Nutzen, der<br />

damit verbunden war, dass Patienten wieder<br />

in <strong>die</strong> Lage versetzt wurden, wirtschaftlich<br />

und gesellschaftlich aktiv zu sein. Länder mit<br />

geringeren Kapazitäten als Brasilien, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sem<br />

Beispiel nicht folgen können, könnten davon<br />

profitieren, Produkte aus Brasilien zu importieren<br />

– wenn eine Einigung zum TRIPS-<br />

Abkommen erzielt wird.<br />

Die Entwicklungsländer müssen eigene<br />

Kapazitäten zur Herstellung pharmazeutischer<br />

Produkte und anderer Technologieprodukte<br />

zur Förderung der öffentlichen Gesundheit<br />

und der Entwicklung schaffen. Diese<br />

Maxime gilt allerdings nicht für alle Entwicklungsländer<br />

– ausgenommen sind <strong>die</strong> ärmsten,<br />

kleinsten und <strong>die</strong>jenigen mit der niedrigsten<br />

<strong>menschliche</strong>n Entwicklung.<br />

WAS SOLLTE GETAN WERDEN?<br />

Die Investitionen in Technologien mit dem<br />

Ziel, <strong>die</strong> Armut zu verringern und das Erreichen<br />

der Ziele zu erleichtern, müssen weltweit<br />

gesteigert werden, um <strong>die</strong> Bedarfslücke zu<br />

schließen. Die Forschung und Entwicklung<br />

zur Bekämpfung anhaltender Armutsprobleme<br />

muss wesentlich ambitionierter werden,<br />

beispielsweise in folgenden Bereichen:<br />

• trockenheits- und schädlingsresistente<br />

Hochertragssorten bei Kulturpflanzen wie<br />

Sorghum, Maniok und Linsen,<br />

• saubere Energien für Bewohner ländlicher<br />

Gebiete, <strong>die</strong> derzeit Holz und Dung als<br />

Brennstoffe verwenden,<br />

• erschwingliche batteriebetriebene, netzunabhängige<br />

Computer, <strong>die</strong> in ländlichen<br />

Gebieten ohne Strom- und Kommunikationsinfrastruktur<br />

Kommunikationsmöglichkeiten<br />

eröffnen,<br />

• Impfstoffe und Therapien für vernachlässigte<br />

Krankheiten wie <strong>die</strong> Schlafkrankheit.<br />

Diese Investitionen sind wichtig, um <strong>die</strong><br />

Ziele 1 bis 7 zu erreichen. Unter wirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten sind sie jedoch nicht lukrativ,<br />

weil Menschen, <strong>die</strong> von weniger als einem<br />

US-Dollar täglich <strong>über</strong>leben müssen, wenig<br />

für Arzneimittel ausgeben können. Weil<br />

sich für <strong>die</strong>se Investitionen keine privaten<br />

Geldgeber werden finden lassen, muss der öffentliche<br />

Sektor <strong>die</strong> Initiative ergreifen. Partnerschaften<br />

mit dem privaten Sektor sind jedoch<br />

nicht nur wünschenswert, sondern werden<br />

in einigen Bereichen unverzichtbar sein,<br />

weil <strong>die</strong> Privatwirtschaft <strong>über</strong> das benötigte<br />

Know-how und <strong>die</strong> Technologien verfügt.<br />

Technologien liefern Impulse für <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung. Indem <strong>die</strong> reichen<br />

Länder Zugang zu Technologien eröffnen, leisten<br />

sie einen wichtigen Beitrag zum Erreichen<br />

der Ziele. Dieser Öffnungsprozess hat sich jedoch<br />

insbesondere im industriellen Sektor<br />

wieder verlangsamt. Auf lange Sicht ist <strong>die</strong>s<br />

für alle Seiten schädlich. Viele Ökonomen vertreten<br />

heute den Standpunkt, dass der freie<br />

Wissensfluss das Wachstum für alle erleichtern<br />

kann, statt dass man versucht, sich durch<br />

<strong>die</strong> Einschränkung des Zugangs zu Technologien<br />

hohe Renditen zu sichern. Aus <strong>die</strong>sem<br />

Grund ist es entscheidend, dass <strong>die</strong> Verhandlungen<br />

zum TRIPS-Abkommen wieder aufgenommen<br />

und <strong>die</strong> darin enthaltenen Bestimmungen<br />

zum Technologietransfer operationalisiert<br />

werden.<br />

Reiche Länder können viel mehr tun, um<br />

den Zugang zu Technologien zu erweitern, indem<br />

sie <strong>die</strong> zentralen Hindernisse beseitigen:<br />

• fehlende Mittel für Investitionen in Forschung<br />

und Entwicklung,<br />

• unklare Gesetze zum geistigen Eigentum,<br />

• Einschränkungen der Preisdifferenzierung,<br />

• mangelnde nationale Technologiekapazitäten<br />

einschließlich lokaler Produktionskapazitäten.<br />

DIEIN DER MILLENNIUMS-ERKLÄRUNG<br />

GEMACHTEN ZUSAGEN EINHALTEN:<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN<br />

In den zwei Jahren seit der Millenniums-Erklärung<br />

hat sich im Bereich der Entwicklungs-<br />

Indem <strong>die</strong> reichen Länder<br />

Zugang zu Technologien<br />

eröffnen, leisten sie einen<br />

wichtigen Beitrag zum<br />

Erreichen der Ziele<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 201


TABELLE 8.4<br />

Verantwortlichkeiten der reichen Länder<br />

Schuldenerleichterungen<br />

Bilaterale<br />

Entwicklungshilfe<br />

Zusagen an<br />

Nettoauszahlungen den HIPC<br />

an öffentlicher Gebundene Trust Fund<br />

Entwicklungshilfe Entwicklungshilfe (in Mill.<br />

Erlassene<br />

bilaterale<br />

Durchschnittl.<br />

Zölle und<br />

nichttarifäre<br />

Warenimporte<br />

aus aus den am<br />

Entwicklungs- wenigsten entwickelten<br />

ländern Ländern<br />

Insgesamt (Anteil an den Ge- US-$) Schulden Hemmnisseb Insges. Anteil an Inges. Anteil an<br />

(Millionen Anteil samtauszahlungen Stand: (in Mill. (Zolläquivalente, (Mill. an den Gesamt- (Mill. den Gesamt-<br />

US-$) am BSP an Entwicklungs- November US-$) %) US-$) importen (%) US-$) importen (%)<br />

2001 2001 hilfe) a 2001 2002 1990–2002 2000 2001 2001 2001 2001<br />

hilfe mehr getan als im vergangenen Jahrzehnt.<br />

Es gibt Zusagen <strong>über</strong> eine Erhöhung<br />

der Entwicklungshilfe um 16 Milliarden US-<br />

Dollar bis 2006, Schuldenerleichterungen für<br />

26 Länder und eine Vereinbarung dahingehend,<br />

dass Rechte an geistigem Eigentum den<br />

Zugang zu Technologien zum Schutz der öffentlichen<br />

Gesundheit nicht behindern sollen.<br />

Diese Errungenschaften sind zwar wichtig,<br />

bleiben aber weit hinter den gemachten Versprechungen<br />

zurück. Selbst bei einer Erhöhung<br />

der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

um 16 Milliarden US-Dollar würden in Jahr<br />

2006 nur 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts<br />

der Mitglieder des Entwicklungshilfeausschusses<br />

erreicht – und nicht <strong>die</strong> Zielvorgabe<br />

von 0,7 Prozent. Es hat nur wenige konkrete<br />

Aktivitäten im Hinblick auf <strong>die</strong> Öffnung<br />

der Märkte, Technologietransfers und Schul-<br />

Handel<br />

Australien 873 0,25 41 14 72 13,4 2.274 37,5 11 0,2<br />

Österreich 533 0,29 .. 44 202 21,8 616 9,4 16 0,3<br />

Belgien 867 0,37 10 45 544 22,1 2.275 12,7 254 1,4<br />

Kanada 1.533 0,22 68 114 1.207 12,7 3.558 16,1 35 0,2<br />

Dänemark 1.634 1,03 7 60 359 21,6 447 10,0 12 0,3<br />

Finnland 389 0,32 13 38 156 21,3 338 10,2 16 0,5<br />

Frankreich 4.198 0,32 33 181 13.043 21,4 5.112 17,4 236 0,8<br />

Deutschland 4.990 0,27 15 226 4.996 21,4 7.488 15,2 218 0,4<br />

Griechenland 202 0,17 83 11 .. 22,5 670 23,8 18 0,6<br />

Irland 287 0,33 .. 24 .. 22,9 700 13,6 17 0,3<br />

Italien 1.627 0,15 92 153 1.156 20,1 4.323 18,3 98 0,4<br />

Japan 9.847 0,23 19 200 3.908 34,8 20.582 58,9 110 0,3<br />

Luxemburg 141 0,82 .. 318 .. .. 28 2,6 1 0,1<br />

Niederlande 3.172 0,82 9 199 1.575 19,9 3.860 23,5 73 0,4<br />

Neuseeland 112 0,25 .. 29 .. 12,0 383 28,8 2 0,1<br />

Norwegen 1.346 0,83 1 300 237 61,1 405 12,3 12 0,4<br />

Portugal 268 0,25 42 27 460 20,5 556 c 13,9 c 29 c 0,7 c<br />

Spanien 1.737 0,30 31 44 980 21,3 3.373 21,8 136 0,9<br />

Schweden 1.666 0,81 14 189 121 20,5 580 9,8 10 0,2<br />

Schweiz 908 0,34 4 127 311 37,1 694 8,3 9 0,1<br />

Ver. Königreich 4.579 0,32 6 77 1.886 20,9 6.535 18,9 132 0,4<br />

Vereinigte Staaten 11.429 0,11 .. 40 8.062 9,7 54.798 46,4 982 0,8<br />

Anmerkung: Diese Tabelle zeigt Daten für Mitglieder des OECD-Entwicklungshilfeausschusses.<br />

a. Anteil der gebundenen und teilweise gebundenen Entwicklungshilfe an der Gesamt<strong>entwicklung</strong>shilfe ohne <strong>die</strong> technische Zusammenarbeit. b. Dieses Maß ist eine zusammengesetzte Messgröße von<br />

Handelshemmnissen für Entwicklungsländer. Es misst nicht nur monetäre Hemmnisse – Zölle –, sondern auch nicht monetäre wie Quoten. Die Wirkung einheimischer Subventionen wird ebenfalls berücksichtigt.<br />

c. Die Daten beziehen sich auf das Jahr 2000.<br />

Quelle: Spalten 1 und 2: OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 3: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu gebundener<br />

und teilweise gebundener Entwicklungshilfe in OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 4: Geithner und Nankani 2002. Spalte 5: Berechnungen des Büros für den Bericht <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>menschliche</strong> Entwicklung auf der Grundlage von Daten zu erlassenen Schulden in OECD, Development Assistance Committee <strong>2003</strong>c. Spalte 6: Birdsall und Roodman <strong>2003</strong>. Spalten 7-10: UN <strong>2003</strong>a.<br />

denerleichterungen gegeben, so dass sie zu<br />

vielen Ländern nicht zugute kommen. Weil<br />

<strong>die</strong> Zusagen hinter dem Bedarf zurückbleiben,<br />

werden arme Länder weiterhin mit stagnierendem<br />

Wachstum, zunehmenden (und nicht<br />

tragbaren) Schulden und sinkenden Exportpreisen<br />

konfrontiert bleiben.<br />

Die reichen Länder sollten aufgefordert<br />

werden, Berichte <strong>über</strong> ihre Handlungsprioritäten<br />

vorzulegen und auf <strong>die</strong>se Weise zu einer<br />

globalen Strategie zur Armutsbekämpfung<br />

beizutragen. 33 Sie könnten darlegen, in<br />

welchen Bereichen sie mehr tun müssen, um<br />

ihre Zusagen einzuhalten. Beispielsweise sind<br />

Länder, <strong>die</strong> großzügig Entwicklungshilfe leisten,<br />

nicht immer offen für Importe aus Entwicklungsländern.<br />

Ein Beispiel ist Norwegen,<br />

das sich bemüht, <strong>die</strong> Entwicklungshilfezusagen<br />

einzuhalten, aber beim Marktzugang<br />

202 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


mehr tun könnte (Tabelle 8.4). Auch könnte<br />

der aktuelle Peer-Review-Prozess des Entwicklungsausschusses<br />

der OECD zur gegenseitigen<br />

Bewertung der Entwicklungshilfe auf<br />

<strong>die</strong> Bereiche Handel und Schuldenerleichterungen<br />

ausgedehnt werden, damit <strong>die</strong>se Politikbereiche<br />

in einem einheitlichen Rahmen geprüft<br />

werden können. Japan importiert mehr<br />

aus Entwicklungsländern als alle anderen reichen<br />

Länder (59 Prozent der Gesamtimporte),<br />

sein Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

am Bruttovolkseinkommen ist jedoch<br />

niedrig.<br />

Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts<br />

wurde ein zusammengesetzter Index<br />

konzipiert, der Index für Entwicklungsengagement<br />

(Commitment to Development Index<br />

– CDI), der <strong>die</strong> Bilanz reicher Länder bei<br />

der Umsetzung <strong>die</strong> Entwicklung fördernder<br />

politischer Maßnahmen beurteilt (Kasten<br />

8.10). Wie andere zusammengesetzte Indizes<br />

hilft <strong>die</strong>ser Index politischen Entscheidungsträgern<br />

– in <strong>die</strong>sem Fall in den reichen Ländern<br />

–, ihre Situation einzuschätzen und verbesserungswürdige<br />

Bereiche auszumachen. Er<br />

zeigt, wie ihre Bilanz im Vergleich zu anderen<br />

Ländern ausfällt, und zwar nicht nur bei der<br />

Entwicklungshilfe, sondern auch im Hinblick<br />

darauf, ob sie ihre Märkte vor Waren aus Entwicklungsländern<br />

schützen, und im Hinblick<br />

auf Investitionen, offene Grenzen für Migranten<br />

sowie Beiträge zur Friedenssicherung und<br />

zum globalen Umweltschutz. Der Index, der<br />

ein Ergebnis innovativer Forschungstätigkeit<br />

ist, soll nicht dazu <strong>die</strong>nen, Länder an den<br />

Pranger zu stellen, sondern dazu, Mängel zu<br />

diagnostizieren und Anregungen zu liefern,<br />

mehr zu tun.<br />

Wie bereits erwähnt ist Ziel 8 nicht mit<br />

zeitlichen und quantitativen Zielvorgaben verknüpft.<br />

Die reichen Länder können sich jedoch<br />

selbst Fristen für Zielvorgaben setzen,<br />

<strong>die</strong> sie erreichen wollen. Im Folgenden werden<br />

einige Fortschrittsindikatoren spezifiziert<br />

und Fristen in kritischen Bereichen vorgeschlagen:<br />

• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

zur Schließung von Finanzierungslücken<br />

– konservativ geschätzt um 50 Milliarden US-<br />

Dollar.<br />

• Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe<br />

für <strong>die</strong> am wenigsten entwickelten Länder.<br />

• Entwicklung konkreter Maßnahmen zur<br />

Umsetzung der Römischen Erklärung zur<br />

Harmonisierung.<br />

• Abbau von Zöllen und Quoten auf <strong>die</strong> von<br />

Entwicklungsländern exportierten Agrarprodukte,<br />

Textilien und Bekleidung.<br />

• Abbau von Subventionen für Agrarexporte.<br />

• Einigung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Einrichtung und <strong>die</strong> Finanzierung<br />

einer Fazilität für <strong>die</strong> HIPC zur<br />

Kompensierung von Mittelausfällen infolge<br />

externer Krisen, einschließlich eingebrochener<br />

Rohstoffpreise.<br />

• Finanzierung tiefgreifenderer Schuldenerleichterungen<br />

für <strong>die</strong> HIPC, <strong>die</strong> den Umsetzungszeitpunkt<br />

erreicht haben, um <strong>die</strong> Schuldentragfähigkeit<br />

sicherzustellen.<br />

• Verankerung des Schutzes und der Vergütung<br />

traditionellen Wissens im TRIPS-Abkommen.<br />

• Verständigung in der Frage, was Länder<br />

ohne ausreichende Produktionskapazitäten<br />

unter dem TRIPS-Abkommen zum Schutz der<br />

öffentlichen Gesundheit tun können.<br />

Die von den reichen Ländern bereits<br />

gemachten Zusagen zeigen, dass sich <strong>die</strong><br />

Welt verändert hat. Die Integration des<br />

Weltmarktes und <strong>die</strong> globalen technischen<br />

Fortschritte haben zugenommen. Das Gleiche<br />

gilt jedoch auch für <strong>die</strong> Gefährdung<br />

durch Krankheiten, <strong>die</strong> Kosten von Umweltschäden<br />

und <strong>die</strong> Risiken der globalen Ausbreitung<br />

von Finanzkrisen auf Grund hoher<br />

gegenseitiger Abhängigkeit. Um <strong>die</strong>se Probleme<br />

anzugehen, reicht es nicht aus, innerhalb<br />

der eigenen Grenzen aktiv zu werden.<br />

Im gegenseitigen Eigeninteresse müssen Partnerschaften<br />

eingegangen werden. Weil es<br />

eine ethische Pflicht ist, <strong>menschliche</strong>s Leiden<br />

auszumerzen, müssen <strong>die</strong> reichen Länder jedoch<br />

ebenfalls handeln. Für <strong>die</strong> reichen Länder<br />

ist <strong>die</strong> Einhaltung gemachter Zusagen<br />

keine Frage von Almosen, sondern von strategischer<br />

Politik – einer Politik, <strong>die</strong> Teil des<br />

einheitlichen Ansatzes der internationalen<br />

Gemeinschaft zur Beseitigung der Armut auf<br />

der Welt ist.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 203


KASTEN 8.10<br />

Der Index für Entwicklungsengagement<br />

(Commitment to Development Index – CDI)<br />

ist ein innovativer Versuch, zu <strong>über</strong>wachen,<br />

wie gut <strong>die</strong> reichen Länder ihre Verpflichtungen<br />

im Rahmen globaler Partnerschaften erfüllen.<br />

Das traditionelle Maß zur Beurteilung von<br />

Entwicklungshilfe ist das Volumen in US-<br />

Dollar. Der vom Center for Global Development<br />

und der Zeitschrift Foreign Policy entwickelte<br />

Index geht dar<strong>über</strong> hinaus und untersucht<br />

ein breiteres Spektrum von Dimensionen<br />

und politischen Handlungskonzepten. Dazu<br />

zählen sowohl <strong>die</strong> Qualität als auch der Umfang<br />

von Entwicklungshilfe, Handelshemmnisse,<br />

<strong>die</strong> Umwelt, Investitionen, Migration und<br />

Friedenssicherung.<br />

Die Entwicklung eines Indexes, der das<br />

vollständige Spektrum der politischen Maßnahmen<br />

berücksichtigt, <strong>die</strong> einen Einfluss auf<br />

arme Länder haben, ist genauso wichtig wie<br />

schwierig. Der CDI stellt einen bedeutenden<br />

ersten Schritt in dem Bemühen dar, <strong>die</strong> reichen<br />

Länder für <strong>die</strong> Erfüllung ihrer Verpflichtungen<br />

zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Reihe<br />

von Fragen bleibt jedoch offen:<br />

• Bewertung „guter“ politischer Maßnahmen.<br />

Der CDI wurde zur Bewertung eines<br />

konkreten Bündels politischer Maßnahmen<br />

konzipiert, von denen angenommen wird, dass<br />

sie zu besseren Entwicklungsergebnissen<br />

führen. Beispielsweise werden für Entwicklungshilfe<br />

an Länder mit guter Staats- und Regierungsführung<br />

mehr Punkte vergeben als für<br />

Entwicklungshilfe an Länder, in denen der Bedarf<br />

vielleicht größer ist. Ein anderes Beispiel<br />

sind ausländische Direktinvestitionen (ADI),<br />

<strong>die</strong> eine Komponente des Indexes bilden. Für<br />

sie wird beim CDI auf Grund fehlender Daten<br />

angenommen, dass sie unter allen Umständen<br />

positiv zu bewerten sind.<br />

• Gewichtung. Das vielleicht größte Problem<br />

bei jedem zusammengesetzten Index ist<br />

<strong>die</strong> Frage, welche Bedeutung den einzelnen Indikatoren<br />

beigemessen werden soll. Der CDI<br />

verwendet verschiedene Methoden in jedem<br />

Politikbereich. Im Gesamtindex werden jedoch<br />

alle sechs Komponenten gleich gewichtet.<br />

Dies ist zwar der einfachste Ansatz,<br />

schmälert jedoch <strong>die</strong> Bedeutung der Entwicklungshilfe<br />

und des Handels. Beide sind zweifellos<br />

wichtiger als beispielsweise Beiträge zur<br />

Friedenssicherung.<br />

• Schwächen der Messgrößen. Zwar sind<br />

Quelle: Birdsall und Roodman <strong>2003</strong>.<br />

Der Index für Entwicklungsengagement (CDI)<br />

alle sechs hier präsentierten Aspekte der politischen<br />

Maßnahmen der reichen Länder wichtig<br />

für <strong>die</strong> globale Entwicklung, doch einige<br />

davon sind schwierig zu messen. Migrationspolitische<br />

Maßnahmen, <strong>die</strong> zu Entwicklung<br />

beitragen, sind schwierig zu messen, weil es<br />

keinen klaren Konsens dar<strong>über</strong> gibt, was eine<br />

gute Migrationspolitik ausmacht, und Daten<br />

spärlich sind. Die Umwelt ist ebenfalls ein<br />

komplexes Gebiet mit einem Mangel an adäquaten<br />

Daten.<br />

• Komplexität. Der CDI wurde mit einem<br />

sehr konkreten Fokus auf politische Maßnahmen<br />

entwickelt, was in einer Vielzahl von Indikatoren<br />

und einem breiten Spektrum statistischer<br />

Methoden resultierte. Der Nachteil <strong>die</strong>ser<br />

Komplexität ist, dass außer für engagierte<br />

Forscher, <strong>die</strong> sich auf dem Gebiet auskennen,<br />

der Index ein „schwarzer Kasten“ bleibt: Die<br />

Ergebnisse sind klar, aber um verstehen zu<br />

können, wie sie zustande kommen, benötigt<br />

man Spezialwissen. Für Wähler, Nichtregierungsorganisationen,<br />

Journalisten und politische<br />

Entscheidungsträger – alle wichtige<br />

Adressaten – bleiben <strong>die</strong> daraus abzuleitenden<br />

Hinweise auf notwendige Veränderungen vielleicht<br />

unklar.<br />

• Benachteiligung großer Volkswirtschaften.<br />

Weil zentrale Komponenten des Indexes –<br />

<strong>die</strong> Beiträge zu Entwicklungshilfe, Friedenssicherung<br />

und ADI – als Anteil am Bruttosozialprodukt<br />

eines Landes gemessen werden, werden<br />

große Volkswirtschaften, <strong>die</strong> häufig hinsichtlich<br />

des Volumens <strong>die</strong> größten Beiträge<br />

leisten, schlechter bewertet. In der Tat haben<br />

<strong>die</strong> fünf führenden Länder Bevölkerungen von<br />

weniger als 20 Millionen Menschen.<br />

Manche Ergebnisse sind <strong>über</strong>raschend,<br />

was in einigen Fällen auf <strong>die</strong> oben erörterten<br />

Probleme zurückzuführen ist. Die Niederlande<br />

führen <strong>die</strong> Rangliste an und verweisen Dänemark,<br />

den unter den Ländern im Index bei<br />

weitem großzügigsten Geber öffentlicher Entwicklungshilfe,<br />

gemessen anhand des Anteils<br />

am Bruttosozialprodukt, auf den zweiten Platz.<br />

Dieses Ergebnis beruht vor allem auf der<br />

außerordentlich hohen Punktzahl der Niederlande<br />

bei den ADI, bei denen Dänemark sehr<br />

schlecht abschneidet. Dies zeigt <strong>die</strong> Probleme,<br />

<strong>die</strong> sich ergeben, wenn der Umfang der ADI<br />

als Kriterium für gute Politik verwendet wird:<br />

ADI sind ein Ergebnis, auf das <strong>die</strong> Struktur des<br />

privaten Sektors zweifellos einen größeren Ein-<br />

Zur Jahrhundertwende schien <strong>die</strong> Beseitigung<br />

der Armut in den Bereich des Möglichen<br />

gerückt zu sein. Der Kalte Krieg war be-<br />

fluss hat als <strong>die</strong> Politik der Regierung. Eine<br />

weitere Überraschung bietet Portugal auf dem<br />

dritten Platz, dem ebenfalls eine hohe Bewertung<br />

bei den ADI zugute kommt. Darauf folgen<br />

Neuseeland und <strong>die</strong> Schweiz auf dem vierten<br />

und fünften Platz – Länder, <strong>die</strong> sich wie<br />

Portugal nicht als große Geber öffentlicher<br />

Entwicklungshilfe profiliert haben. Dass <strong>die</strong><br />

Schweiz so gut abschneidet, illustriert <strong>die</strong> Probleme,<br />

<strong>die</strong> damit verbunden sind, alle Komponenten<br />

des Indexes gleich zu gewichten: Das<br />

Land schneidet bei den wichtigen Kategorien<br />

Handel und Entwicklungshilfe schlecht ab,<br />

aber gut bei Investitionen und Migration – Bereiche,<br />

<strong>die</strong> schwer zu messen und deren Auswirkungen<br />

umstritten sind.<br />

Finnland, Kanada, Australien, <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten und Japan erreichen <strong>die</strong><br />

schlechtesten Bewertungen. Die zwei größten<br />

Geber von Auslandshilfe in Dollar-Beträgen –<br />

<strong>die</strong> Vereinigten Staaten und Japan – rangieren<br />

weit unten. Die Bewertungen beider Länder<br />

fallen schlecht aus, weil ihre Entwicklungshilfe<br />

und ihre ADI absolut zwar einen enormen<br />

Umfang haben, im Verhältnis zur Größe ihrer<br />

Volkswirtschaften aber klein sind. Japan erhielt<br />

eine besonders niedrige Punktezahl bei<br />

den Beiträgen zur Friedenssicherung, weil verfassungsmäßige<br />

Hürden und Verpflichtungen<br />

das Land daran hindern, Truppen zur Friedenssicherung<br />

abzustellen. Auch <strong>die</strong>s veranschaulicht<br />

wiederum das Problem der Gewichtung:<br />

In wichtigen Bereichen wie Handel und<br />

Umwelt schneidet Japan im Vergleich besser<br />

ab. Die Vereinigten Staaten profitieren beim<br />

Gesamtergebnis von ihrer guten Bilanz im<br />

Handelssektor, zu der der offenere Agrarmarkt<br />

beiträgt, der nicht so stark subventioniert<br />

ist wie <strong>die</strong> Agrarmärkte in Europa.<br />

Das wichtigste Ergebnis des Indexes ist jedoch<br />

nicht <strong>die</strong> Rangfolge, sondern <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass selbst das führende Land nur knapp<br />

mehr als <strong>die</strong> Hälfte der möglichen Punkte erreicht.<br />

Alle Länder sind noch weit davon entfernt,<br />

armen Ländern wirklich bei der Entwicklung<br />

zu helfen.<br />

Die erste Ausgabe des CDI, der jährlich<br />

veröffentlicht werden soll, könnte <strong>die</strong> Debatte<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Entwicklungspolitik reicher Länder<br />

anheizen und zu Diskussionen <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

Fragen anregen, wie Entwicklungspolitik bewertet<br />

und <strong>die</strong> Datenlage verbessert werden<br />

kann.<br />

endet, und <strong>die</strong> Chancen dafür, dass sich alle<br />

Gesellschaften gemeinsamen Zielen verpflichten<br />

könnten, schienen in Reichweite.<br />

204 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2003</strong>


Zum Zeitpunkt der Drucklegung <strong>die</strong>ses Berichts<br />

ist <strong>die</strong> Welt jedoch erneut mit globalen<br />

Problemen – vom Irak bis zur Ausbreitung<br />

neuer tödlicher Krankheiten – konfrontiert.<br />

Der globale wirtschaftliche Abschwung droht<br />

auch <strong>die</strong> Aktivitäten der reichen Länder<br />

zugunsten von Entwicklung zu untergraben,<br />

da ihre eigenen Volkswirtschaften zunehmend<br />

unter Druck geraten, Haushaltsdefizite<br />

zu verringern und ihre eigenen Handelsvorteile<br />

auszunutzen. Darum ist es um so dringender,<br />

dass alle Nationen ihre Versprechen<br />

einhalten. Die Überwachung der Fortschritte<br />

auf dem Weg zu Ziel 8, das <strong>die</strong> Pflichten der<br />

reichen Länder in der Partnerschaft für Entwicklung<br />

benennt, ist genauso wichtig wie <strong>die</strong><br />

Überwachung der Fortschritte bei den Zielen<br />

1 bis 7.<br />

HANDLUNGSKONZEPTE STATT ALMOSEN: WAS DIE REICHEN LÄNDER TUN KÖNNEN, UM DIE ZIELE ERREICHEN ZU HELFEN 205

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