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Kapitel 2 - Wasser für den menschlichen Verbrauch

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Haushalte, die keinen Zugang zu Kreditmärkten<br />

haben, stellen Kosten in dieser Größenordnung<br />

eine unüberwindbare Barriere dar. Die<br />

durchschnittlichen Anschlusskosten <strong>für</strong> Haushalte,<br />

die zu <strong>den</strong> ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung<br />

gehören, reichen von etwa drei Monatsgehältern<br />

in Manila bis hin zu sechs Monatsgehältern<br />

in Kenia und mehr als einem Jahresgehalt<br />

in Uganda.<br />

Zu <strong>den</strong> finanziellen kommen oft noch<br />

rechtliche Barrieren hinzu. Viele Versorgungsunternehmen,<br />

die sichergehen wollen, dass sich<br />

ihre Investitionen in die Erweiterung des Leitungsnetzes<br />

auch auszahlen, liefern <strong>Wasser</strong> nur<br />

an Haushalte, die einen formellen Eigentumstitel<br />

besitzen. Mehr als eine Milliarde Menschen<br />

leben jedoch in offiziell nicht anerkannten<br />

Stadt- und Vorstadtgebieten in Entwicklungsländern.<br />

Da 80-90 Prozent des Bevölkerungswachstums<br />

in <strong>den</strong> städtischen Gebieten in Entwicklungsländern<br />

zu erwarten sind, kündigt<br />

sich hier ein Versorgungsengpass an, der sich im<br />

Laufe der Zeit noch verschlimmern wird. In<br />

Abidjan, Côte d’Ivoire, der wohlhabendsten<br />

Stadt in Westafrika, gibt es mehr als 80 offiziell<br />

nicht anerkannte Wohngebiete. Schätzungsweise<br />

ein Viertel der Bevölkerung von Ouagadougou<br />

wohnt in offiziell nicht anerkannten<br />

Gebieten und kann daher keine grundlegen<strong>den</strong><br />

<strong>Wasser</strong>versorgungs-Dienstleistungen in Anspruch<br />

nehmen. 15 Da durch die Verstädterung<br />

immer mehr Menschen vom Land in informelle<br />

Siedlungsgebiete ziehen, könnte eine Nichtanerkennung<br />

von Wohnrechten ein immer<br />

stärkeres Hindernis <strong>für</strong> die Verwirklichung des<br />

Millenniums-Entwicklungsziels zu <strong>Wasser</strong> wer<strong>den</strong>.<br />

Dieses Problem hat sich tatsächlich schon<br />

auf die sinken<strong>den</strong> Versorgungsraten in einigen<br />

Städten ausgewirkt (siehe <strong>Kapitel</strong> 1).<br />

Hinter <strong>den</strong> unmittelbaren Barrieren liegen<br />

noch viel grundlegendere Problematiken. Im<br />

Vergleich zu reichen Ländern hat das formelle<br />

<strong>Wasser</strong>leitungsnetz in vielen Entwicklungsländern<br />

nur eine begrenzte Reichweite. Die <strong>Wasser</strong>und<br />

Abwassernetze wur<strong>den</strong> nicht da<strong>für</strong> konzipiert,<br />

die ärmsten Stadtteile zu erreichen oder da<strong>für</strong>,<br />

allen Menschen <strong>den</strong> Zugang zu ermöglichen<br />

(Kasten 2.1). Sie wur<strong>den</strong> eigentlich da<strong>für</strong> konzipiert,<br />

die Interessen der Eliten zu befriedigen.<br />

Kasten 2.1 Die Last der Geschichte: Viele Netzwerke<br />

wur<strong>den</strong> nicht <strong>für</strong> die Armen konzipiert<br />

Das historische Erbe bestimmt nicht <strong>den</strong> Zustand der heutigen <strong>Wasser</strong>- und Sanitärinfrastruktur<br />

in Entwicklungsländern – aber es wirkt sich <strong>den</strong>noch stark aus. In Europa<br />

und Nordamerika war es politisches Ziel, rasche Fortschritte zu erzielen, damit die<br />

gesamte Bevölkerung Zugang zu <strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung bekam. Dieses Ziel<br />

bestimmte Finanzierung und Technologie. Dies ist in weiten Teilen der Entwicklungsländer<br />

jedoch nicht der Fall.<br />

Nehmen wir Lagos, in Nigeria. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts hat die europäische<br />

wirtschaftliche und politische Elite in eine städtische <strong>Wasser</strong>- und Sanitärinfrastruktur<br />

investiert. Aber diese konzentrierte sich auf reiche Enklaven. Frühe<br />

Anstrengungen, diese Infrastruktur auf ärmere Stadtbezirke auszudehnen, wur<strong>den</strong> angesichts<br />

der steigen<strong>den</strong> Kosten rasch zugunsten einer Strategie der Segregation aufgegeben.<br />

Ähnliche Muster von Ein- und Ausgrenzung charakterisierten Städte von<br />

Puebla bis Jakarta und Algier. Dieses Entwicklungsmodell konnte keinen allgemeinen<br />

Zugang zum öffentlichen Gut <strong>Wasser</strong> erzielen und schuf stattdessen Segregation und<br />

Oasen des Zugangs zu einer sicheren <strong>Wasser</strong>versorgung <strong>für</strong> die Eliten.<br />

Ein ähnliches Modell wurde bei der Finanzierung gewählt. In Lateinamerika finanzierten<br />

die Eliten Investitionen in <strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung durch Steuern, während<br />

die Gebühren unterhalb der Betriebskosten lagen. Ein Autor beschrieb dies als<br />

ein „System struktureller Defizite, auf der Grundlage von Ad-hoc-, unsystematischen<br />

und Notfall-Interventionen, Krediten und Subventionen von staatlichen, bundesstaatlichen<br />

oder internationalen Kreditinstituten. Von Anfang an erforderten die hohen Kosten<br />

städtischer Hoch- und Tiefbauarbeiten ein hohes Maß an (üblicherweise externer)<br />

Finanzierung, während die politischen und wirtschaftlichen Akteure niedrige <strong>Wasser</strong>preise<br />

forderten.“<br />

(Swyngedouw, S. 37).<br />

Quelle: Gandy 2006; Bakker et al. 2006; Swyngedouw 2006; Chikhr Saïdi 2001.<br />

Bemühungen, sich über das Enklavenmodell,<br />

ein Erbe aus der Kolonialzeit, hinwegzusetzen,<br />

waren von unterschiedlichem Erfolg gekrönt.<br />

Es gibt zumindest einige immer wieder<br />

auftretende Probleme. Viele Versorgungsunternehmen<br />

stecken in einem Teufelskreis von Unterfinanzierung,<br />

mangelnder Instandhaltung<br />

und zu geringer Ausdehnung des Netzes fest.<br />

Da die Einnahmen aus <strong>den</strong> <strong>Wasser</strong>preisen weit<br />

unter dem <strong>für</strong> <strong>den</strong> Betrieb und die Instandhaltung<br />

des Netzes erforderlichen Niveau liegen,<br />

ist kein Geld da, um eine Ausweitung hin zu<br />

bisher nicht versorgten Haushalten in dem<br />

Umfang, in dem sie erforderlich wäre, zu finanzieren.<br />

Viele Entwicklungsländer sind auch mit<br />

einer akuten Form des Dilemmas konfrontiert,<br />

vor dem die reichen Länder vor mehr als einem<br />

Jahrhundert stan<strong>den</strong>: Wie kann man <strong>den</strong> Zugang<br />

auf arme Haushalte ausweiten, ohne die<br />

Tarife in unerschwingliche Höhen steigen zu<br />

lassen. Im Gegensatz zu <strong>den</strong> reichen Ländern in<br />

der entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Phase ihrer Entwicklung<br />

BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2006 111<br />

2<br />

<strong>Wasser</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Verbrauch</strong>

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