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Strukturbedingte Wachstumshinder- nisse überwinden, um die Ziele ...

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KAPITEL 3<br />

<strong>Strukturbedingte</strong> <strong>Wachst<strong>um</strong>shinder</strong><strong>nisse</strong><br />

<strong>überwinden</strong>, <strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> zu<br />

erreichen<br />

Die zentrale Botschaft des Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakts<br />

– und <strong>die</strong>ses Kapitels – ist,<br />

dass viele der ärmsten Länder und Regionen<br />

auf der Welt mit strukturbedingten Hinder<strong>nisse</strong>n<br />

konfrontiert sind, <strong>die</strong> es wesentlich erschwert<br />

haben, dauerhaftes wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong> zu erzielen. Es ist daher kein Zufall,<br />

dass sie <strong>die</strong> ärmsten sind.<br />

Dauerhaftes Wachst<strong>um</strong> erfordert, dass<br />

Länder zuerst in einer Reihe von Bereichen<br />

Mindeststandards erreichen: solides Regierungs-<br />

und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen,<br />

grundlegende Gesundheitsversorgung<br />

und Grundschulbildung, Kerninfrastruktur,<br />

Zugang zu Auslandsmärkten. Wenn<br />

ein Land auf Grund von Strukturbedingungen<br />

wie einer grassierenden Krankheit oder eines<br />

abgelegenen Standortes in großer Entfernung<br />

von den Weltmärkten oder besonders<br />

fragiler Böden und geringer Nahrungsmittelproduktion<br />

oder großer Anfälligkeit für Naturkatastrophen<br />

einen oder mehrere <strong>die</strong>ser<br />

Standards nicht erreicht, besteht <strong>die</strong> Gefahr,<br />

dass es in eine Armutsfalle gerät. Dies macht<br />

dauerhaftes wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> unwahrscheinlich.<br />

Weil <strong>die</strong>se Länder hohe Hürden<br />

<strong>überwinden</strong> müssen und begrenzte Ressourcen<br />

haben, können sie <strong>die</strong> Mindeststandards<br />

für Wachst<strong>um</strong> nicht aus eigener Kraft<br />

erreichen, sondern benötigen externe Unterstützung.<br />

Selbst in Ländern, <strong>die</strong> im Großen und<br />

Ganzen erfolgreich sind, können strukturbedingte<br />

Hinder<strong>nisse</strong> zu „Inseln“ verfestigter<br />

Armut beitragen. Die Regionen im abgelegenen<br />

Landesinneren Chinas beispielsweise sind<br />

mit wesentlich größeren Entfernungen zu Häfen,<br />

wesentlich schlechterer Infrastruktur und<br />

wesentlich härteren biophysikalischen Bedingungen<br />

konfrontiert als <strong>die</strong> Küstenregionen<br />

des Landes, <strong>die</strong> das rascheste langanhaltende<br />

wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong> in der Geschichte<br />

der Menschheit aufweisen. Um in so stark bevölkerten<br />

Ländern wie China, Brasilien und<br />

In<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Armut wirksam bekämpfen zu können,<br />

muss man sich darauf konzentrieren, Ressourcen<br />

im Inland für <strong>die</strong> Verringerung von<br />

Armut und Ungleichheit bereitzustellen. Diese<br />

Aufgabe unterscheidet sich jedoch stark<br />

von der in Ländern mit höchster Priorität, <strong>die</strong><br />

gewöhnlich in einer Armutsfalle stecken. Dort<br />

kann mit den inländischen Ressourcen der Bedarf<br />

der Durchschnittsbürger, geschweige<br />

denn der der Ärmsten, nicht gedeckt werden.<br />

Dieser Ressourcenmangel ist auf unzureichendes<br />

wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> zurückzuführen<br />

(Kasten 3.1).<br />

Um <strong>die</strong> Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

(MEZ) erreichen zu können, ist wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong> aus zwei Gründen erforderlich:<br />

Erstens ist wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> ein<br />

direktes Mittel zur Verringerung der Einkommensarmut<br />

vieler Haushalte. Diese werden so<br />

KASTEN 3.1<br />

Zur Halbierung der Einkommensarmut ist Wachst<strong>um</strong> erforderlich<br />

Wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> ist wichtig,<br />

<strong>um</strong> alle Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele zu<br />

erreichen. Es wird jedoch am dringendsten<br />

für <strong>die</strong> erste Zielvorgabe benötigt, wonach<br />

zwischen 1990 und 2015 eine Halbierung<br />

des Anteils armer Menschen herbeigeführt<br />

werden soll. In vielen Untersuchungen<br />

wurde eine „Einkommenselastizität<br />

der Armut“ berechnet, d.h. der prozentuelle<br />

Rückgang des Anteils der Armen<br />

pro 1 Prozent Anstieg des Pro-Kopf-<br />

Einkommens. Eine gängige Schätzung in<br />

der <strong>um</strong>fangreichen ökonometrischen<br />

Fachliteratur ist, dass bei konstanter Einkommensverteilung<br />

und einer Elastizität<br />

von 2 <strong>die</strong> Armutsquote pro 1 Prozent Anstieg<br />

des durchschnittlichen Pro-Kopf-<br />

Einkommens <strong>um</strong> 2 Prozent sinkt (Bruno,<br />

Ravallion und Squire 1998; siehe auch<br />

Adams 2002).<br />

Aus <strong>die</strong>ser Elastizitätsschätzung folgt,<br />

dass für <strong>die</strong> Halbierung der Zahl der Armen<br />

ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens<br />

von 41 Prozent erforderlich ist.<br />

Wenn <strong>die</strong>se 41 Prozent über 25 Jahre<br />

(1990 bis 2015) verteilt werden, wird ein<br />

jährliches Wachst<strong>um</strong> von 1,4 Prozent<br />

benötigt. Wenn ein Land <strong>die</strong> kompletten<br />

41 Prozent zwischen 2003 und 2015 bewerkstelligen<br />

muss, ist eine wesentliche<br />

höhere jährliche Rate (2,9 Prozent) notwendig.<br />

Doch selbst <strong>die</strong> höhere Rate liegt<br />

für ein Land mit niedrigem Einkommen<br />

durchaus im Bereich des Möglichen –<br />

wenn <strong>die</strong> Wachst<strong>um</strong>svoraussetzungen erfüllt<br />

sind und <strong>die</strong> richtigen politischen<br />

Maßnahmen für Wachst<strong>um</strong> ergriffen werden.<br />

Quelle: Bruno, Ravallion und Squire 1996; Adams 2002.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 79


GRAFIK 3.1<br />

Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut, 1990er Jahre<br />

Armutsrate, Vorjahresstand (Anteil der Bevölkerung mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag, KKP,<br />

logarithmische Skala)<br />

100<br />

50<br />

10<br />

5<br />

1<br />

Niger<br />

Sambia<br />

Uganda<br />

Bangladesch<br />

Tansania<br />

Mauretannien<br />

500 1.000<br />

5.000 10.000<br />

Pro-Kopf-BIP, Vorjahresstand, KKP US-Dollar (logarithmische Skala)<br />

Quelle: World Bank 2002j und Maddison 2001.<br />

Tadschikistan<br />

Nicaragua<br />

Nigeria<br />

Simbabwe<br />

in <strong>die</strong> Lage versetzt, mehr zu sparen und Ressourcen<br />

für Investitionen in <strong>die</strong> menschliche<br />

Entwicklung zu verwenden. Ohne wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong> kann ein Land nicht erwarten,<br />

den Anteil der Menschen zu halbieren,<br />

<strong>die</strong> unterhalb der einkommensbezogenen Armutsgrenze<br />

leben. Dies ist das erste Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziel.<br />

Zweitens bedeutet<br />

wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> gewöhnlich höhere<br />

Staatseinnahmen. Weil <strong>die</strong> meisten Investitionen<br />

in <strong>die</strong> menschliche Entwicklung – zu<br />

Gunsten von Gesundheit, Ernährung, Bildung,<br />

grundlegender Infrastruktur – aus dem<br />

öffentlichen Sektor kommen, ist eine Verbesserung<br />

der Staatsfinanzen eine wichtige Voraussetzung,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> erreichen zu können.<br />

Natürlich ist wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

eine notwendige, aber ka<strong>um</strong> ausreichende Bedingung<br />

für solche Erhöhungen der öffentlichen<br />

Ausgaben zu Gunsten der menschlichen<br />

Entwicklung. Manche Regierungen unterlassen<br />

<strong>die</strong>se Investitionen oder diskriminieren<br />

dabei Untergruppen der Bevölkerung. Mit einem<br />

solchen Verhalten schwächen sie <strong>die</strong> potenziellen<br />

Vorteile wirtschaftlichen Gesamtwachst<strong>um</strong>s<br />

auf dem Weg z<strong>um</strong> Erreichen der<br />

MEZ. Im Bericht über <strong>die</strong> menschliche Ent-<br />

wicklung wurde in der Vergangenheit der Begriff<br />

„rücksichtsloses Wachst<strong>um</strong>“ verwendet,<br />

<strong>um</strong> wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> zu beschreiben,<br />

das <strong>die</strong> Armen nicht erreicht, weil entweder<br />

der größte Teil der Einkommenszuwächse<br />

an reichere Haushalte geht oder dort bleibt<br />

oder weil das politische System <strong>die</strong> zusätzlichen<br />

Staatseinnahmen nicht in den Bedarf der<br />

Armen an menschlicher Entwicklung investiert.<br />

Und ohne dauerhafte Verbesserungen<br />

von Bildung und Gesundheit kann das wirtschaftliche<br />

Wachst<strong>um</strong> auf Dauer nicht aufrechterhalten<br />

werden (siehe HDR 1996).<br />

In Ländern mit höheren Einkommen lebt<br />

ein geringerer Bevölkerungsanteil unterhalb<br />

der Armutsgrenze. Dies lässt darauf<br />

schließen, dass zur Verringerung der Armutsrate<br />

ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erforderlich<br />

ist. Aber <strong>die</strong> negative Beziehung zwischen<br />

der Einkommensarmut und der Einkommenshöhe<br />

ist zwar klar, erklärt jedoch<br />

bei weitem nicht alle Facetten. Länder mit<br />

ähnlicher Einkommenshöhe können sehr unterschiedliche<br />

Armutsraten haben: Obwohl<br />

Bangladesch und Sambia sehr ähnliche Pro-<br />

Kopf-Einkommen aufweisen, gibt es in Bangladesch<br />

sehr viel weniger Armut (Grafik 3.1).<br />

80 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003<br />

Senegal<br />

Vietnam<br />

In<strong>die</strong>n Namibia<br />

Pakistan<br />

Jemen<br />

Philippinen<br />

China<br />

Peru<br />

Indonesien<br />

Sri Lanka<br />

R<strong>um</strong>änien<br />

Venezuela<br />

Brasilien Trinidad<br />

und Tobago<br />

Mexiko<br />

Costa Rica<br />

Bulgarien


GRAFIK 3.2<br />

Menschliche Entwicklung und Einkommen<br />

HDI*<br />

1.00<br />

,900<br />

,800<br />

,700<br />

,600<br />

,500<br />

,400<br />

,300<br />

,200<br />

Tansania<br />

Malawi<br />

Sierra Leone<br />

Nigeria<br />

Mali<br />

Kongo<br />

Niger<br />

Tadschikistan<br />

Vietnam<br />

Angola<br />

Georgien<br />

Indonesien China<br />

In<strong>die</strong>n<br />

Pakistan<br />

Simbabwe<br />

500 5.000<br />

Pro-Kopf-BIP (US-Dollar, KKP von 2001)<br />

50.000<br />

Anmerkung: Diese Grafik verwendet den H<strong>um</strong>an Development Index (Index über menschliche Entwicklung), indem sie <strong>die</strong> Bildungs- und<br />

Lebenserwartungskomponenten des HDI zusammenführt und das pro-Kopf-BIP dabei auslässt.<br />

Quelle: Berechnungen des Büros für den Bericht über <strong>die</strong> menschliche Entwicklung auf der Grundlage von World Bank 2003i.<br />

Das Pro-Kopf-Einkommen ist auch eng<br />

mit der nicht einkommensbezogenen Armut<br />

verknüpft. Manche Länder (beispielsweise<br />

Vietnam) verzeichnen für ihr Einkommensniveau<br />

einen recht guten Stand der menschlichen<br />

Entwicklung, während andere Länder<br />

(beispielsweise Simbabwe) schlechter als<br />

solche mit einem ähnlichen Stand der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung abschneiden<br />

(Grafik 3.2).<br />

Die engen Verknüpfungen zwischen wirtschaftlichem<br />

Wachst<strong>um</strong> und der Verringerung<br />

der Armut beruhen also auf politischen<br />

Entscheidungen und strukturellen Faktoren.<br />

Mehrere Länder mit einem jährlichen wirtschaftlichen<br />

Wachst<strong>um</strong> von mehr als 4 Prozent<br />

seit 1990 haben bei einigen nicht einkommensbezogenen<br />

Armutsdimensionen keine<br />

großen Fortschritte erzielt (<strong>die</strong> Dominikanische<br />

Republik, Mosambik). 1 Wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong> kann gewiss Ressourcen zur Verbesserung<br />

einer Vielzahl von Ergeb<strong>nisse</strong>n liefern.<br />

Die politischen Entscheidungsträger<br />

dürfen <strong>die</strong> staatlichen Maßnahmen und <strong>die</strong> Investitionen<br />

der öffentlichen Hand jedoch<br />

nicht nur am Wachst<strong>um</strong> ausrichten, sondern<br />

müssen sich auch auf nicht wirtschaftliche Er-<br />

Ägypten<br />

Kuba<br />

Swasiland<br />

Russ.<br />

Föd.<br />

Japan<br />

Frankreich Ver. Königreich<br />

Korea, Rep. USA<br />

Botsuana<br />

Ver. Arab. Emirate<br />

Equatorial Guinea<br />

geb<strong>nisse</strong> konzentrieren. Aus <strong>die</strong>sem Grund<br />

wird im Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt für<br />

den Einsatz staatlicher Maßnahmen zur Verringerung<br />

der diversen Dimensionen nicht<br />

einkommensbezogener Armut plä<strong>die</strong>rt.<br />

VONMENSCHLICHER ENTWICKLUNG<br />

ZU WIRTSCHAFTLICHEM WACHSTUM –<br />

UND ZURÜCK<br />

Gute Bildung und gute Gesundheit haben einen<br />

intrinsischen Wert für das Wohlergehen<br />

von Menschen. Die beiden Bereiche sind zudem<br />

eng miteinander verknüpft. Bildung hilft<br />

<strong>die</strong> Gesundheit verbessern, und gute Gesundheit<br />

trägt zu besserer Bildung bei. Außerdem<br />

trägt Grundschulbildung zu wirtschaftlichem<br />

Wachst<strong>um</strong> bei und steigert das Einkommen<br />

armer Menschen. Gesundheitliche Verbesserungen<br />

erzeugen auch beträchtliche wirtschaftliche<br />

Renditen. 2<br />

Dies lässt sich anhand des durchschnittlichen<br />

Wachst<strong>um</strong>s des Pro-Kopf-Einkommens<br />

in einer größeren Gruppe von Entwicklungsländern<br />

für den Zeitra<strong>um</strong> zwischen 1965 und<br />

1995 veranschaulichen. Die Länder wurden<br />

nach ihrem Einkommen und der Säuglings-<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 81<br />

Südafrika<br />

Luxemburg


GRAFIK 3.3<br />

Von menschlicher Entwicklung zu Wachst<strong>um</strong> – und zurück<br />

Fähigkeiten<br />

Arbeiter und Bauern<br />

Unternehmer<br />

Manager<br />

Produktion, Forschung,<br />

Entwicklung und Technologie<br />

Quelle: UNDP 1996.<br />

Beschäftigung<br />

Verhältnis von Produktion<br />

und Export<br />

Ausländische<br />

Kapitalguthaben<br />

Physisches<br />

Kapital<br />

Gesundheit und<br />

Bildung<br />

Soziales Kapital, NRO und Bürgerorganistionen<br />

Institutionen und Regierungsführung<br />

Wirtschaftwachst<strong>um</strong><br />

Inländische<br />

Guthaben<br />

Ausgaben<br />

für soziale<br />

Prioritäten<br />

Regierungspolitik<br />

und<br />

Staatsausgaben<br />

Haushaltsausgaben<br />

für<br />

Grundbedürf<strong>nisse</strong><br />

Haushaltsaktivitäten und<br />

Privatausgaben einschließlich<br />

sozialer Reproduktion<br />

Verteilung von privaten und öffentlichen Mitteln<br />

Beschäftigung<br />

Soziale<br />

Reproduktion<br />

sterblichkeitsrate im Jahr 1965 gruppiert. (Die<br />

Säuglingssterblichkeitsrate ist ein allgemeiner<br />

Indikator für <strong>die</strong> Gesamtkrankheitsbürde.) In<br />

Ländern, beginnend mit Pro-Kopf-Einkommen<br />

unter 750 US-Dollar (konstante US-<br />

Dollar, <strong>um</strong>gerechnet auf <strong>die</strong> Kaufkraftparität<br />

- KKP von 1990) und einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

von mehr als 150 Todesfällen pro<br />

1.000 Lebendgeburten, wuchs das Einkommen<br />

jährlich <strong>um</strong> durchschnittlich 0,1 Prozent,<br />

während es in jenen mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

zwischen 100 und 150 <strong>um</strong> durchschnittlich<br />

1,0 Prozent und in solchen mit einer<br />

Säuglingssterblichkeitsrate unter 100 Todesfällen<br />

<strong>um</strong> durchschnittlich 3,7 Prozent<br />

wuchs. Von den Ländern mit anfänglichen<br />

Einkommen von 750 bis 1.500 US-Dollar<br />

wuchsen jene mit einer Säuglingssterblichkeitsrate<br />

von mehr als 150 jährlich <strong>um</strong> durch-<br />

schnittlich -0,7, jene zwischen 100 und 150 erzielten<br />

ein durchschnittliches jährliches<br />

Wachst<strong>um</strong> von 1,1 Prozent und jene unter 100<br />

ein durchschnittliches jährliches Wachst<strong>um</strong><br />

von 3,4 Prozent. 3 Selbst nach Berücksichtigung<br />

des anfänglichen Einkommens waren<br />

Länder mit besseren Gesundheitsbedingungen<br />

danach systematisch erfolgreicher bei<br />

ihren Bemühungen, höheres Wachst<strong>um</strong> zu erreichen.<br />

Außerdem liefert wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong> mehr Ressourcen für Investitionen<br />

in Bildung und Gesundheit. Es wurde bereits<br />

darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong>se Investitionen<br />

zu höherem Wachst<strong>um</strong> beitragen.<br />

Diese wechselseitige Verknüpfung zwischen<br />

menschlicher Entwicklung und wirtschaftlichem<br />

Wachst<strong>um</strong> verweist auf einen positiven<br />

Kreislauf, in dem gute menschliche<br />

Entwicklung das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong><br />

fördert und jenes wieder<strong>um</strong> <strong>die</strong> menschliche<br />

Entwicklung begünstigt (Grafik 3.3). Aber sie<br />

macht auch den Teufelskreis deutlich, in dem<br />

schlechte menschliche Entwicklung zu wirtschaftlichem<br />

Niedergang beiträgt, was wieder<strong>um</strong><br />

zu einer weiteren Verschlechterung bei der<br />

menschlichen Entwicklung führt. Viele Länder,<br />

insbesondere <strong>die</strong>jenigen mit höchster Priorität,<br />

werden <strong>die</strong> Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

nur erreichen können, wenn sie aus dem<br />

Teufelskreis ausbrechen (oder aus der Armutsfalle,<br />

<strong>um</strong> ein eng verwandtes Konzept zu<br />

verwenden) und in einen positiven Kreislauf<br />

eintreten.<br />

Die Synergien zwischen den unterschiedlichen<br />

Aspekten der menschlichen Entwicklung<br />

sind ebenfalls wichtig: Die Verbesserung von<br />

Gesundheit und Bildung erfordert entsprechende<br />

politische Maßnahmen in den Bereichen<br />

Schule, Familienplanung, Gesundheitsversorgung,<br />

Ernährung, Wasser- und Sanitärversorgung.<br />

Beispielsweise verbessert <strong>die</strong><br />

Bekämpfung von Durchfallerkrankungen und<br />

Masern nicht nur <strong>die</strong> Gesundheit, sondern<br />

verringert auch <strong>die</strong> Unterernährung. Unterernährung<br />

untergräbt in hohem Maße <strong>die</strong><br />

Fähigkeit eines Menschen, zu lernen und zu<br />

wachsen, und hat demzufolge wichtige Implikationen<br />

für Bildung und <strong>die</strong> Entstehung<br />

einer produktiven Erwerbsbevölkerung. Die<br />

Bekämpfung von Durchfallerkrankungen ist<br />

82 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


jedoch von verbesserter Wasser- und Sanitärversorgung<br />

abhängig – sowie von hygienischen<br />

Verhaltensweisen, <strong>die</strong> durch Bildung begünstigt<br />

werden.<br />

Vielen <strong>die</strong>ser Synergien liegen Aktivität<br />

und Gleichstellung zugrunde. Wenn arme<br />

Menschen durch bürgerliche und politische<br />

Rechte geschützten politischen Einfluss haben,<br />

können sie wirksamer politische Maßnahmen<br />

fordern, <strong>die</strong> soziale und wirtschaftliche<br />

Chancen mit sich bringen. 4 Ein solcher Einfluss<br />

ist besonders für Frauen wichtig, aber<br />

auch für ethnische Gruppen und Angehörige<br />

von Rassen, <strong>die</strong> diskriminiert werden. Die Förderung<br />

der Gleichstellung der Geschlechter<br />

und der Fähigkeiten von Frauen ist eine wichtige<br />

Voraussetzung, <strong>um</strong> <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />

Entwicklung voranzubringen und <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> zu<br />

erreichen (siehe Kapitel 4). 5<br />

Um <strong>die</strong> Ergänzungseffekte der grundlegenden<br />

sozialen Dienste möglichst <strong>um</strong>fassend<br />

zu nutzen, sollte <strong>die</strong> allgemeine Grundschulbildung,<br />

insbesondere für Mädchen, ein möglichst<br />

früh verfolgtes und wesentliches Ziel<br />

sein – in Verbindung mit hohen Investitionen<br />

in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung<br />

sowie Wasser- und Sanitärversorgung. 6<br />

Die meisten <strong>die</strong>ser Investitionen ergeben sich<br />

nicht automatisch als Nebenwirkung wirtschaftlichen<br />

Wachst<strong>um</strong>s, sondern erfordern<br />

große Anstrengungen des öffentlichen Sektors.<br />

NEUERE MUSTER – UND PROBLEME –<br />

DES WELTWIRTSCHAFTSWACHSTUMS<br />

Von den 128 Ländern auf der Welt mit einer<br />

Bevölkerung von mindestens eine Million<br />

Menschen im Jahr 1990 und ausreichenden<br />

verfügbaren Daten verzeichneten im Zeitra<strong>um</strong><br />

von 1980 bis 1998 76 ein positives Pro-Kopf-<br />

Wachst<strong>um</strong> ihrer Volkswirtschaft. In 52 war es<br />

jedoch negativ (siehe Feature 3.1, Tabelle 1).<br />

Länder mit großer Bevölkerung ten<strong>die</strong>rten zu<br />

Wachst<strong>um</strong>. Wenn wirtschaftliche Trends anhand<br />

der Anzahl von Menschen gemessen<br />

werden, wirken <strong>die</strong> Ergeb<strong>nisse</strong> deshalb wesentlich<br />

besser. Heute leben grob gerechnet<br />

mehr als 4 Milliarden Menschen in Ländern,<br />

<strong>die</strong> im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998 im Durch-<br />

schnitt ein jährliches reales Pro-Kopf-BIP-<br />

Wachst<strong>um</strong> von mehr als 1,4 Prozent auswiesen.<br />

Dazu zählten auch China und In<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />

beiden bevölkerungsreichsten Länder. 7 Dieser<br />

Wert von 1,4 Prozent liefert eine grobe Schätzung<br />

für das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong> pro<br />

Kopf, das erforderlich ist, <strong>um</strong> <strong>die</strong> MEZ zur<br />

Einkommensarmut zu erreichen (siehe<br />

Kasten 3.1).<br />

Wirtschaftlicher Fortschritt garantiert jedoch<br />

nicht, dass Entwicklungsländer <strong>die</strong> Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

erreichen werden.<br />

Wachst<strong>um</strong> könnte einseitig Haushalten<br />

mit höherem Einkommen zugute kommen<br />

oder seine Dividenden in den Staatsfinanzen<br />

könnten nicht zu Gunsten der ärmsten Menschen<br />

investiert werden. Dennoch akk<strong>um</strong>ulieren<br />

viele Entwicklungsländer Ressourcen, <strong>um</strong><br />

Investitionen mit der Absicht vorzunehmen,<br />

<strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> zu erreichen.<br />

Ungefähr 1,5 Milliarden Menschen leben<br />

in Entwicklungsländern, <strong>die</strong> im Zeitra<strong>um</strong> von<br />

1980 bis 1998 im Durchschnitt ein jährliches<br />

Pro-Kopf-Wachst<strong>um</strong> von weniger als 0,7 Prozent<br />

aufwiesen. Dazu zählen auch viele der<br />

ärmsten Länder. 8 Wenn <strong>die</strong>se Länder weiterhin<br />

stagnieren, werden sie nicht über <strong>die</strong> Ressourcen<br />

verfügen, <strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> zu erreichen.<br />

Um insbesondere in Ländern mit höchster Priorität,<br />

<strong>die</strong> sich durch verbreitete Armut und<br />

geringes oder kein wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

auszeichnen (siehe Kapitel 2), Wege zu finden,<br />

damit <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> erreicht werden können, muss<br />

man verstehen, war<strong>um</strong> solche Länder geringes<br />

oder kein Wachst<strong>um</strong> verzeichnen, während so<br />

viele andere rasch wachsen.<br />

Erfolg – oder Versagen – beim wirtschaftlichen<br />

Wachst<strong>um</strong> hängt eng damit zusammen,<br />

wie eine Volkswirtschaft in <strong>die</strong> globalen Märkte<br />

integriert ist. Manche Erscheinungsformen<br />

der Globalisierung begünstigen wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong>, andere jedoch nicht. Erfolg<br />

oder Versagen ist weniger vom anfänglichen<br />

Einkommensniveau eines Landes als von seiner<br />

Exportstruktur abhängig. Wenn man <strong>die</strong><br />

Transformationsländer und <strong>die</strong> Erdöl exportierenden<br />

Länder bei den Berechnungen nicht<br />

berücksichtigt, betrug im Zeitra<strong>um</strong> von 1980<br />

bis 1998 das durchschnittliche jährliche<br />

Wachst<strong>um</strong> bei Ländern mit mittlerem Ein-<br />

Wenn arme Menschen<br />

durch bürgerliche und<br />

politische Rechte<br />

geschützten politischen<br />

Einfluss haben, können<br />

sie wirksamer politische<br />

Maßnahmen fordern, <strong>die</strong><br />

soziale und<br />

wirtschaftliche Chancen<br />

mit sich bringen<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 83


KASTEN 3.2<br />

Bangladesch – ein großes Binnenland mit Zugang zur Küste<br />

Seit der Gründung im Jahr 1971 hat sich Bangladesch<br />

zu einer Demokratie entwickelt und große<br />

Rückgänge der einkommensbezogenen und nicht<br />

einkommensbezogenen Armut erzielt. Zwischen<br />

1989 und 2000 sank <strong>die</strong> Einkommensarmut von 48<br />

auf 34 Prozent.<br />

Grundlegende sozialpolitische Maßnahmen zur<br />

Verbesserung von Gesundheit, Bildung, Leistungen<br />

im Bereich der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung<br />

halfen, das Bevölkerungswachst<strong>um</strong><br />

zu senken und <strong>die</strong> Erwerbsbevölkerung zu verringern.<br />

Außerdem wird <strong>die</strong> Bevölkerung zunehmend<br />

alphabetisiert. Die durch <strong>die</strong> Exportoffensive erzielten<br />

positiven Veränderungen verstärkten <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

der Verbesserung des Bildungsstands<br />

der Bevölkerung.<br />

Eine wichtige Ursache für <strong>die</strong>sen Erfolg war<br />

das Wachst<strong>um</strong> der Industriegüterproduktion.<br />

Außerdem unterstützten staatliche Stellen den privaten<br />

Sektor durch Investitionen in Infrastruktur<br />

und Qualifizierung – entscheidende Voraussetzungen<br />

für den Anschub und <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<br />

der Exportoffensive. Die Regierung konnte auch<br />

Source: World Bank 2003i; Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association 2003.<br />

kommen 1,3 Prozent, bei Ländern mit niedrigem<br />

Einkommen jedoch -0,1 Prozent. 9 Andererseits<br />

schnitten viele Länder mit niedrigem<br />

Einkommen einschließlich Chinas und In<strong>die</strong>ns<br />

außerordentlich gut ab.<br />

Die meisten erfolgreichen Länder mit<br />

niedrigem Einkommen konzentrierten sich auf<br />

den Export von Industriegütern (Feature 3.1).<br />

Von den Entwicklungsländern mit ausreichendem<br />

wirtschaftlichem Wachst<strong>um</strong> und verfügbaren<br />

Handelsdaten für den Zeitra<strong>um</strong> von<br />

1980 bis 1998 exportierten 1995 24 in erster<br />

Linie Industriegüter und 61 vorwiegend Rohstoffe<br />

außer Erdöl.10 Nur eines der Länder,<br />

<strong>die</strong> hauptsächlich Industriegüter exportierten,<br />

verzeichnete im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998<br />

kein wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong>, verglichen<br />

mit 32 der Länder, <strong>die</strong> vornehmlich Rohstoffe<br />

exportierten.<br />

Wenn man <strong>die</strong> Verknüpfungen zwischen<br />

wirtschaftlichem Wachst<strong>um</strong> und Wirtschaftsstruktur<br />

berücksichtigt, kann man sich auf <strong>die</strong><br />

Probleme konzentrieren, mit denen <strong>die</strong> ärmsten<br />

Länder konfrontiert sind. War<strong>um</strong> wurde<br />

China zu einem Exportland für Industriegüter,<br />

Mali beispielsweise dagegen nicht? War<br />

<strong>die</strong>s ausschließlich auf <strong>die</strong> Wirtschaftspolitik<br />

<strong>die</strong> Stabilität wahren, <strong>die</strong> für eine Wachst<strong>um</strong>spolitik<br />

zu Gunsten der Armen so wichtig ist. Infolge<br />

<strong>die</strong>ser politischen Initiativen stiegen <strong>die</strong> Exporte<br />

der arbeitsintensiven bangladeschischen Bekleidungsindustrie<br />

zwischen 1991 und 2002 von 867<br />

Millionen auf 4,6 Milliarden US-Dollar (Bangladesh<br />

Garment Manufacturers and Exporters Association<br />

2003).<br />

Aber obwohl Bangladesch in den letzten 30<br />

Jahren beeindruckende Erfolge bei der Befreiung<br />

aus tiefer Armut erzielt und <strong>die</strong> Gesundheit von<br />

Müttern und Kindern verbessert hat, sind seine Erfahrungen<br />

möglicherweise nicht weltweit wiederholbar,<br />

weil es eine große Volkswirtschaft mit einer<br />

Bevölkerung von 133 Millionen Menschen ist.<br />

Außerdem ist Bangladesch trotz seiner Erfolge<br />

noch weit davon entfernt, mehrere der Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

zu erreichen – einschließlich<br />

derjenigen zu Hunger und sanitärer Versorgung.<br />

Deshalb gilt <strong>die</strong> zentrale Empfehlung des Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakts<br />

weiterhin: Um <strong>die</strong> <strong>Ziele</strong> in<br />

allen Sektoren zu erreichen, ist ein mehrgleisiger<br />

Ansatz erforderlich.<br />

zurückzuführen, oder spielten Strukturbedingungen<br />

eine Rolle? Und wenn Strukturbedingungen<br />

eine Rolle spielten, wie können <strong>die</strong> zugrunde<br />

liegenden Strukturen in Mali so verbessert<br />

werden, dass es ein erfolgreiches Exportland<br />

für Industriegüter werden kann?<br />

Bei Produkten jenseits herkömmlicher<br />

Rohstoffe international wettbewerbsfähig zu<br />

werden ist nicht einfach. In Mali sind <strong>die</strong> Renditen<br />

aus Investitionen im verarbeitenden Gewerbe<br />

nicht sehr hoch, und zwar nicht nur aus<br />

wirtschaftspolitischen Gründen. Das Land ist<br />

ein Binnenland und verzeichnet eine hohe Inzidenz<br />

von Malaria, Tuberkulose, HIV/AIDS<br />

und anderen Krankheiten. Fragile Böden und<br />

unbeständige Niederschläge über viele Jahrzehnte<br />

haben niedrige Nahrungsmittelproduktivität<br />

zur Folge gehabt. Wegen geringer<br />

Energieressourcen müssen fossile Energieträger<br />

importiert werden. Über<strong>die</strong>s ist der Inlandsmarkt<br />

auf Grund der kleinen Bevölkerung<br />

winzig. Für Investoren ist das Bildungsund<br />

Qualifikationsniveau in dem Land zu<br />

niedrig, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Kosten zu rechtfertigen, <strong>die</strong><br />

durch den fehlenden Zugang z<strong>um</strong> Meer,<br />

schlechte Gesundheitsbedingungen, schlechten<br />

Ernährungsstand, winzige Inlandsmärkte<br />

84 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


und damit zusammenhängende Beschränkungen<br />

verursacht werden. Kurz<strong>um</strong>, Mali erreicht<br />

nicht <strong>die</strong> Mindeststandards, <strong>um</strong> außerhalb der<br />

herkömmlichen Sektoren viele in- oder ausländische<br />

Investoren anzuziehen.<br />

Damit in Mali – und in vielen anderen<br />

Ländern in einer ähnlichen Situation – <strong>die</strong><br />

Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele erreicht werden<br />

können, bedarf es daher Sonderinvestitionen<br />

in einer Vielzahl von Sektoren. Um <strong>die</strong> für<br />

private, marktorientierte Investitionen notwendigen<br />

Mindeststandards zu erreichen,<br />

sind bessere Gesundheit, Bildung, Wasserund<br />

Sanitärversorgung, Straßen, Häfen und<br />

Energieversorgung notwendig (Kasten 3.2<br />

verdeutlicht <strong>die</strong> Erfolge in Bangladesh). Mali<br />

könnte unter anderem erfolgreiches Exportland<br />

für Textilerzeug<strong>nisse</strong>, Touristenziel und<br />

Verarbeitungsland für tropische Agrarprodukte<br />

werden. Aber solche Aktivitäten entwickeln<br />

sich nur dann erfolgreich, wenn Gesundheits-,<br />

Bildungs- und andere entscheidende<br />

Mindeststandards erreicht werden. Weil<br />

das Land viel zu arm sind, <strong>um</strong> <strong>die</strong>se Investitionen<br />

aus eigener Kraft tätigen zu können, müssen<br />

Partnerländer <strong>die</strong> Anschubfinanzierung<br />

übernehmen.<br />

STRUKTURPROBLEME AUF GRUND<br />

UNGÜNSTIGER GEOGRAFIE, KLEINER<br />

MÄRKTE UND HOHER HANDELSKOSTEN<br />

Um zu verstehen, war<strong>um</strong> manche Länder<br />

höhere Hürden <strong>überwinden</strong> müssen, <strong>um</strong> Mindeststandards<br />

für wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

zu erreichen, muss man zuerst <strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Auswirkungen der physischen Geografie<br />

betrachten. Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />

Smith bereits vor mehr als 200 Jahren darlegte,<br />

hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines Landes, <strong>die</strong> für<br />

ein international wettbewerbsfähiges verarbeitendes<br />

Gewerbe erforderliche komplexe Arbeitsteilung<br />

dauerhaft zu leisten, von der<br />

„Größe des Marktes“ ab.<br />

DIE AUSWIRKUNGEN DER GEOGRAFIE<br />

AUF MÄRKTE, HANDEL UND WACHSTUM<br />

Es gibt zwei Möglichkeiten für ein Land, den<br />

Markt zu vergrößern. Die erste führt über eine<br />

große Bevölkerung: Länder mit einer kleinen<br />

Bevölkerung weisen im Allgemeinen kleine Inlandsmärkte<br />

auf. (Unter Ländern mit einer<br />

kleinen Bevölkerung werden hier solche mit<br />

weniger als 40 Millionen Menschen im Jahr<br />

1990 verstanden.) Die zweite ist durch kostengünstigen<br />

Handel mit den Weltmärkten unter<br />

Ausnutzung des Umstandes, dass <strong>die</strong> Geografie<br />

einen großen Einfluss auf <strong>die</strong> Handelskosten<br />

hat. Länder in der Nähe großer Märkte<br />

(für Mexiko <strong>die</strong> Vereinigten Staaten, für Polen<br />

<strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland) oder Küstenländer<br />

mit einfachem Zugang zu kostengünstigem<br />

Seetransport sind gegenüber Binnenländern<br />

in großer Entfernung von wichtigen<br />

Märkten oder Seehäfen im Vorteil. (Unter<br />

Binnenländern werden hier Länder verstanden,<br />

deren Bevölkerung zu mehr als 75 Prozent<br />

in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer<br />

von der Küste lebt.)<br />

Im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998 erreichten<br />

Entwicklungsländer mit einer großen Bevölkerung,<br />

Küstenregionen oder beidem ein wesentlich<br />

höheres wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

als Länder mit einer kleinen Bevölkerung und<br />

Binnenregionen. Große Küstenländer wuchsen<br />

in 3 von 4 Fällen, und zwar pro Kopf <strong>um</strong><br />

durchschnittlich 3,2 Prozent (siehe Feature<br />

3.1, Tabelle 2). Große Binnenländer wuchsen<br />

in 10 von 10 Fällen, und zwar <strong>um</strong> durchschnittlich<br />

2,5 Prozent. Und kleine Küstenländer<br />

wuchsen in 15 von 17 Fällen, und zwar <strong>um</strong><br />

durchschnittlich 1,9 Prozent (siehe Feature<br />

3.1).<br />

Von 53 kleinen Binnenländern wuchsen<br />

jedoch nur 24. Außerdem war das durchschnittliche<br />

Pro-Kopf-Wachst<strong>um</strong> der Gruppe<br />

negativ.<br />

Obwohl es den Eindruck erwecken könnte,<br />

dass <strong>die</strong>se Daten durch Afrika südlich der<br />

Sahara verzerrt werden, weil der Teilkontinent<br />

mehr als 30 kleine Binnenländer <strong>um</strong>fasst, gilt<br />

das gleiche Muster für nicht afrikanische Länder:<br />

Von den 50 nicht afrikanischen Ländern<br />

in der Gruppe verzeichneten 27 von 30, <strong>die</strong><br />

groß, Küstenland oder beides sind, wirtschaftliches<br />

Wachst<strong>um</strong>, während <strong>die</strong>s nur für 11 von<br />

20 kleinen Binnenländern galt.<br />

Bei weiterer Betrachtung derselben Gruppe<br />

von Entwicklungsländern lässt sich feststel-<br />

Aus Gründen, <strong>die</strong> Adam<br />

Smith bereits vor mehr als<br />

200 Jahren darlegte,<br />

hängt <strong>die</strong> Fähigkeit eines<br />

Landes, <strong>die</strong> für ein<br />

international<br />

wettbewerbsfähiges<br />

verarbeitendes Gewerbe<br />

erforderliche komplexe<br />

Arbeitsteilung dauerhaft<br />

zu leisten, von der „Größe<br />

des Marktes“ ab<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 85


KASTEN 3.3<br />

Zu den Andenländern zählen Bolivien, Ecuador,<br />

Kol<strong>um</strong>bien, Peru und Venezuela. Von <strong>die</strong>sen<br />

sind Kol<strong>um</strong>bien, Ecuador, Bolivien und<br />

Peru mit ähnlichen strukturbedingten Beschränkungen<br />

und politischen Problemen konfrontiert.<br />

Diese Länder liegen bei den Indikatoren<br />

für <strong>die</strong> menschliche Entwicklung im Mittelfeld,<br />

aber dennoch leidet <strong>die</strong> Region unter verfestigter<br />

Armut und Ungleichheit in hohem<br />

Maße. Bei Kaufkraftparität betrug im Jahr 2001<br />

das Pro-Kopf-BIP in Bolivien 2.424, in Ecuador<br />

3.202, in Peru 4.799 und in Kol<strong>um</strong>bien<br />

6.248 US-Dollar. Obwohl <strong>die</strong> Durchschnittseinkommen<br />

in <strong>die</strong>sen vier Ländern also stark<br />

variieren, lebt immer noch mehr als ein Drittel<br />

der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar<br />

täglich. Obwohl Venezuela der sechstgrößte<br />

Erdölproduzent auf der Welt ist, ist das Land<br />

mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert. Das<br />

Pro-Kopf-BIP-Wachst<strong>um</strong> betrug in den letzten<br />

beiden Jahrzehnten im Durchschnitt -0,7 und -<br />

1,0 Prozent, und mehr als 23,5 Prozent der Bevölkerung<br />

leben von weniger als 1 US-Dollar<br />

täglich.<br />

Mehrere Strukturmerkmale können das<br />

Anhalten von wirtschaftlicher Stagnation und<br />

Armut in <strong>die</strong>sen Andenländern erklären helfen.<br />

• Ein erster seit langem bekannter Faktor ist<br />

das Andauern von Ungleichheit. Jedes Land hat<br />

einen Gini-Koeffizienten von mehr als 0,5. Diese<br />

Ungleichheit ist auf Grund ethnischer Spaltung<br />

besonders ausgeprägt. Ein wichtiges Element<br />

jeder Entwicklungspolitik für <strong>die</strong>se Länder,<br />

<strong>die</strong> Erfolg haben soll, muss <strong>die</strong> öffentliche<br />

Bereitstellung zentraler sozialer Dienste in den<br />

Bereichen Bildung, Gesundheit sowie Wasserund<br />

Sanitärversorgung sein, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

<strong>die</strong>ser ausgeschlossenen Gruppen zu erweitern.<br />

• Ein zweiter und häufiger übersehener Strukturfaktor,<br />

der zu den Entwicklungsproblemen<br />

<strong>die</strong>ser Länder beiträgt, ist, dass in jedem von ihnen<br />

ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in<br />

hochgelegenen Binnenregionen lebt. Der Zu-<br />

len, dass etwa <strong>die</strong> Hälfte der Weltbevölkerung<br />

in großen Binnenländern lebt, <strong>die</strong> positives<br />

dauerhaftes Wachst<strong>um</strong> verzeichnet haben.<br />

Dazu zählen China und In<strong>die</strong>n. Dagegen leben<br />

etwa 420 Millionen Menschen in großen<br />

Küstenländern und 341 Millionen davon in<br />

stabil wachsenden Volkswirtschaften. (Die anderen<br />

77 Millionen leben auf den Philippinen.)<br />

Die meisten der 130 Millionen Men-<br />

Herausforderungen in der Andenregion<br />

gang zu den Weltmärkten ist deshalb für ihre<br />

Volkswirtschaften mit sehr hohen Transportkosten<br />

verbunden. Bolivien ist zwar das einzige<br />

Binnenland, aber auch in Ecuador und Peru<br />

lebt <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung weiter als 100<br />

Kilometer von der Küste entfernt. Ungefähr ein<br />

Viertel der Bevölkerung Kol<strong>um</strong>biens lebt ebenfalls<br />

im Landesinneren.<br />

• Dieser fehlende Marktzugang trägt zu einem<br />

dritten Problem bei: Die Länder sind von<br />

natürlichen Ressourcen abhängig und deshalb<br />

großen Schwankungen der Rohstoffpreise ausgesetzt.<br />

Erdöl macht beispielsweise mehr als 80<br />

Prozent der Exporte Venezuelas aus. Mehr als<br />

<strong>die</strong> Hälfte der Exporte Ecuadors entfallen auf<br />

Erdöl (30 Prozent) und Bananen (21 Prozent),<br />

jedoch weniger als ein Viertel auf Industriegüter<br />

(23 Prozent). Bolivien ist ebenfalls noch<br />

weitgehend von Erdgas und Soja abhängig (45<br />

Prozent der Gesamtexporte), während Industriegüter<br />

nur einen kleinen Teil darstellen (14<br />

Prozent).<br />

• Ein viertes Problem beruht auf El Niño, einer<br />

zyklischen klimatischen Fluktuation der<br />

Temperatur und der Niederschlagsmenge mit<br />

großen Auswirkungen auf <strong>die</strong> Agrarproduktion.<br />

Um <strong>die</strong> Anfälligkeit für externe Schwankungen<br />

zu <strong>überwinden</strong>, brauchen <strong>die</strong>se Länder eine aktive<br />

Infrastrukturpolitik, insbesondere für Häfen<br />

und Straßen, <strong>die</strong> ihnen Zugang zu den Weltmärkten<br />

verschafft. Ebenso notwendig ist eine<br />

aktive Industriepolitik als Beitrag zur Entwicklung<br />

eines breit gefächerten verarbeitenden Gewerbes<br />

für <strong>die</strong> Produktion von Exportgütern.<br />

• Fünftens sind <strong>die</strong>se Länder mit einer strukturbedingten<br />

Beschränkung konfrontiert, in der<br />

sich ihre anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />

widerspiegeln: Schuldenüberhang. Im<br />

Verlauf der letzten 20 Jahre wurden durch den<br />

Pariser Club für Bolivien, Ecuador und Peru<br />

mindestens fünf Umschuldungsabkommen mit<br />

Gläubigerländern vermittelt. Diese Schuldenprobleme<br />

erschwerten notwendige Investitionen<br />

im Inland, <strong>die</strong> <strong>die</strong> menschlichen Befähigun-<br />

Source: World Bank 1998b, 2002h, 2002i; UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa Economica Aplicada 2002.<br />

schen in kleinen Küstenländern leben in wachsenden<br />

Volkswirtschaften. Aber fast 420 Millionen<br />

Menschen leben in kleinen Binnenvolkswirtschaften,<br />

<strong>die</strong> nicht wachsen (Kasten<br />

3.3).<br />

Diese Zahlen bedeuten nicht, dass jeder in<br />

wachsenden Volkswirtschaften in den Genuss<br />

von mehr Wohlergehen kommt. <strong>Strukturbedingte</strong><br />

Beschränkungen können innerhalb von<br />

gen hätten verbessern und das wirtschaftliche<br />

Wachst<strong>um</strong> hätten stimulieren können.<br />

Im Falle Venezuelas haben fehlende Exportdiversifikation<br />

und sinkende Produktivität<br />

zur wirtschaftlichen Stagnation beigetragen. In<br />

der jüngsten Zeit sind zu <strong>die</strong>sen Problemen politische<br />

Unruhen, zunehmende Ungleichheit<br />

und schlechte Wirtschaftsplanung hinzugekommen.<br />

Neben <strong>die</strong>sen strukturbedingten Schwierigkeiten<br />

gab es eine Wechselwirkung zwischen<br />

der sozialen, wirtschaftlichen und politischen<br />

Instabilität der Region und der Produktion von<br />

Koka-Blättern und Kokain, im Wesentlichen<br />

für <strong>die</strong> illegalen Märkte in den Vereinigten Staaten<br />

und Europa. Die Drogenindustrie hat zu einer<br />

Ausweitung des organisierten Verbrechens<br />

sowie von Korruption und anderen Übeln der<br />

öffentlichen Verwaltung geführt. Dies wieder<strong>um</strong><br />

resultierte in einer Militarisierung der Gesellschaften<br />

und anhaltenden Bedrohungen des<br />

sozialen Friedens und der Demokratie.<br />

Aktuelle Schätzungen auf der Basis bisheriger<br />

Entwicklungen weisen darauf hin, dass nur<br />

Kol<strong>um</strong>bien annähernd in der Lage scheint, das<br />

Armutsziel <strong>um</strong>zusetzen. Für <strong>die</strong> anderen Länder<br />

wird sogar von einer zunehmenden Armut<br />

ausgegangen, weitgehend infolge der zunehmenden<br />

Ungleichheit, der wirtschaftlichen Stagnation<br />

oder beiden Gründen zusammen<br />

(UNDP, ECLAC und Instituto de Pesquisa<br />

Economica Aplicada 2002).<br />

Trotz der Schwere <strong>die</strong>ser Kombination von<br />

Problemen können politische Maßnahmen ergriffen<br />

werden, <strong>um</strong> sie zu <strong>überwinden</strong>. Straßen<br />

und Häfen können gebaut werden. Die Regierungen<br />

können in ausgeschlossene Gruppen investieren.<br />

Märkte können diversifiziert werden.<br />

Und Abkommen mit Gläubigern können neu<br />

verhandelt werden. Entscheidend ist, dass, wie<br />

im Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt dargelegt,<br />

alle <strong>die</strong>se Probleme im Rahmen eines Pakts zwischen<br />

dem einzelnen Land und seinen Partnern<br />

gleichzeitig angegangen werden.<br />

86 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


Ländern bestehen, aber auch zwischen ihnen,<br />

und es können andere Erscheinungsformen<br />

von Ungleichheit existieren. In China und In<strong>die</strong>n<br />

gibt es weiterhin große „Inseln“ verfestigter<br />

Armut, auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Politik dort ihre Aufmerksamkeit<br />

richten muss (Kasten 3.4).<br />

KASTEN 3.4<br />

In China und In<strong>die</strong>n zusammengenommen<br />

lebt ein Drittel der Weltbevölkerung. Beide<br />

Länder haben im letzten Jahrzehnt enormes<br />

wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> erzielt. Ihre Erfolge<br />

bei der Steigerung des durchschnittlichen<br />

Wohlergehens implizieren wichtige Verbesserungen<br />

für einen großen Teil der Menschheit.<br />

Aber ihre Erfahrungen machen auch deutlich,<br />

wie wichtig es ist, über nationale Durchschnitte<br />

hinauszuschauen, <strong>um</strong> Unterschiede zwischen<br />

Ländern zu verstehen.<br />

Obwohl beide Länder rasches, anhaltendes<br />

wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> erzielt haben,<br />

waren ihre Fortschrittsraten durchaus unterschiedlich.<br />

Mit einem durchschnittlichen realen<br />

Pro-Kopf-Wachst<strong>um</strong> von 8 Prozent jährlich<br />

im letzten Jahrzehnt verzeichnete China<br />

den raschesten dauerhaften wirtschaftlichen<br />

Fortschritt in der Geschichte der Menschheit.<br />

Bei Kaufkraftparität (KKP) beträgt das Pro-<br />

Kopf-Einkommen dort jetzt 3.976 US-Dollar.<br />

Im gleichen Zeitra<strong>um</strong> wuchs das reale Pro-<br />

Kopf-Einkommen in In<strong>die</strong>n gleichmäßig, aber<br />

langsamer <strong>um</strong> durchschnittlich 4,4 Prozent auf<br />

2.358 US-Dollar im Jahr 2001. Parallel z<strong>um</strong> erfolgreichen<br />

wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong> verzeichneten<br />

beide Länder eine beträchtliche<br />

Verringerung der Armut. Nach Weltbank-<br />

Schätzungen sank der Anteil der Menschen,<br />

<strong>die</strong> von weniger als 1 US-Dollar pro Tag leben,<br />

in China zwischen 1990 und 2000 von 33 auf<br />

16 und in In<strong>die</strong>n zwischen 1993/94 und 2001<br />

von 42 auf 35 Prozent.<br />

Trotz beträchtlicher Unterschiede in Bezug<br />

auf Methodik, Aufbau und Auswahl der<br />

Bezugsgrößen liefern <strong>die</strong>se Berechnungen einen<br />

groben Überblick über <strong>die</strong> Armutsentwicklung<br />

in beiden Ländern.<br />

Marktreformen<br />

Chinas außergewöhnliches Wachst<strong>um</strong> lässt<br />

sich z<strong>um</strong> Teil auf seine marktorientierten Reformen<br />

zurückführen. Diese begannen zudem<br />

bereits 1978 und damit deutlich früher als in<br />

In<strong>die</strong>n, wo ähnliche Reformen erst 1991 eingeleitet<br />

wurden. Diese Reformen ermöglichten es<br />

China, sich in einem phänomenalen Tempo in<br />

<strong>die</strong> Weltwirtschaft zu integrieren. Heute ist es<br />

In <strong>die</strong>sen Zahlen spiegelt sich auch kein<br />

hoher Wachst<strong>um</strong>sstandard wider, weil ein armes<br />

Land auch dann als wachsend eingestuft<br />

wird, wenn es im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998<br />

nur ein durchschnittliches jährliches Wachst<strong>um</strong><br />

von 0,1 Prozent verzeichnete. Aber <strong>die</strong><br />

China und In<strong>die</strong>n – beeindruckendes Wachst<strong>um</strong>, wichtige Unterschiede<br />

unter den Entwicklungsländern der größte<br />

Empfänger ausländischer Direktinvestitionen.<br />

Zwischen 1978 und 2002 stiegen <strong>die</strong> jährlichen<br />

Investitionen von fast Null auf etwa 52 Milliarden<br />

US-Dollar (fast 5 Prozent des BIP). Die<br />

ausländischen Direktinvestitionen haben auch<br />

in In<strong>die</strong>n beträchtlich zugenommen, wenn<br />

auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Zwischen<br />

1991 und 2002 stiegen sie von 129 Millionen<br />

auf 4 Milliarden US-Dollar (weniger als<br />

1 Prozent des BIP).<br />

Robustes Exportwachst<strong>um</strong> hat zur wirtschaftlichen<br />

Leistung beider Länder beigetragen.<br />

Dabei nahm der Export von Industriegütern<br />

eine zunehmend vorherrschende Stellung<br />

ein. Aber auch in <strong>die</strong>sem Bereich war China erfolgreicher.<br />

Seine Exporte erreichten 2001 ein<br />

Vol<strong>um</strong>en von 320 Milliarden US-Dollar, verglichen<br />

mit 35 Milliarden US-Dollar in In<strong>die</strong>n.<br />

Auf <strong>die</strong> Industriegüterexporte entfielen 53<br />

Prozent der chinesischen Gesamtexporte im<br />

Jahr 1981 und 90 Prozent im Jahr 2001; in In<strong>die</strong>n<br />

stieg <strong>die</strong>ser Anteil von 60 auf 77 Prozent.<br />

China war besonders erfolgreich beim Übergang<br />

von arbeitsintensiven zu technologieintensiven<br />

Exportgütern: Telekommunikationsausrüstung<br />

und Computer machen mittlerweile<br />

ein Viertel seiner Exporte aus.<br />

Soziale Investitionen<br />

Für dauerhaftes wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

bedarf es Investitionen im Sozialbereich. In<br />

China belaufen sich <strong>die</strong> öffentlichen Ausgaben<br />

für Bildung auf 2,3 Prozent des BIP und <strong>die</strong><br />

für Gesundheit auf etwa 2,1 Prozent des BIP.<br />

Die Ergeb<strong>nisse</strong> für <strong>die</strong> menschliche Entwicklung<br />

sind klar: 84 Prozent der Bevölkerung<br />

sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />

beträgt 32 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten<br />

und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate von Kindern<br />

unter fünf Jahren 40 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

Im Gegensatz dazu lagen <strong>die</strong><br />

Ausgaben in In<strong>die</strong>n traditionell auf einem<br />

niedrigeren Niveau. Die Gesundheitsausgaben<br />

belaufen sich auf 1,3 Prozent des BIP (Zentralregierung<br />

und Regierungen der Bundesstaaten<br />

zusammengenommen). Die Bildungsausgaben<br />

stiegen beträchtlich von 0,8 Prozent des BIP<br />

im Jahr 1950 auf derzeit 3,2 Prozent, obwohl<br />

sie damit noch immer unter der Zielvorgabe<br />

der Regierung von 6 Prozent des BIP liegen.<br />

Trotz <strong>die</strong>ses Anstiegs bleiben <strong>die</strong> Indikatoren<br />

für menschliche Entwicklung für In<strong>die</strong>n wesentlich<br />

niedriger als für China. 65 Prozent der<br />

Bevölkerung sind alphabetisiert, <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate<br />

beträgt 68 Todesfälle pro<br />

1.000 Lebendgeburten und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

von Kindern unter fünf Jahren 96 Todesfälle<br />

pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

Religiöse Vielfalt und andere<br />

Herausforderungen<br />

Es wäre irreführend, bei zwei Ländern mit einer<br />

so großen Bevölkerung und Fläche lediglich<br />

auf <strong>die</strong> nationalen Durchschnittswerte zu<br />

blicken. In Kapitel 2 wurde bereits darauf hingewiesen,<br />

dass in China das höchste wirtschaftliche<br />

Wachst<strong>um</strong> in den Küstenprovinzen verzeichnet<br />

wurde, während <strong>die</strong> geografisch abgelegenen<br />

Nordwestprovinzen ein wesentlich geringeres<br />

Wachst<strong>um</strong> aufwiesen. Auch in In<strong>die</strong>n<br />

gibt es große regionale Unterschiede. Im Zeitra<strong>um</strong><br />

von 1992 bis 1997 schwankte das Pro-<br />

Kopf-Wirtschaftswachst<strong>um</strong> zwischen -0,2 Prozent<br />

in Bihar und 7,8 Prozent in Gujarat. Ähnliche<br />

Divergenzen ergeben sich bei anderen Indikatoren<br />

für menschliche Entwicklung wie jenen<br />

für Bildung und Gesundheit.<br />

Beide Länder sind noch mit Problemen<br />

wie der Ausbreitung von HIV/AIDS und anderer<br />

sexuell übertragener Krankheiten als Nebeneffekt<br />

der Zunahme der Arbeitsmigration<br />

und des internationalen Handels konfrontiert.<br />

Und beide stehen vor der Aufgabe, eine wissensbasierte<br />

Wirtschaft zu fördern, <strong>um</strong> bei steigender<br />

durchschnittlicher Qualifikation ein<br />

ständig hohes wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> aufrechtzuerhalten.<br />

Beide müssen sich auch darauf<br />

konzentrieren, <strong>die</strong> Wachst<strong>um</strong>sdividenden<br />

an Regionen, Gemeinschaften und ethnische<br />

Gruppe zu verteilen, <strong>die</strong> bislang ka<strong>um</strong> an dem<br />

neuen Wohlstand teilhatten. Schwerpunkt integrativer<br />

politischer Maßnahmen sollten Investitionen<br />

in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />

zur Förderung zukünftiger Entwicklung<br />

sein.<br />

Quelle: Woo und Bao 2003; World Bank 2003e, 2003f, 2003i und Berechnungen von Shaohua Chen, World Bank, und Angus Deaton, Princeton University; In<strong>die</strong>n 2003; China 2003; Bajpay 2003; UNCTAD 2002b.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 87


Die Erörterung der<br />

Geografie hier macht<br />

deutlich, dass politische<br />

Maßnahmen benötigt<br />

werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong><br />

Probleme jedes Landes<br />

zugeschnitten sind. Mit<br />

guten politischen<br />

Maßnahmen lassen sich<br />

selbst <strong>die</strong> Schwierigkeiten<br />

<strong>überwinden</strong>, <strong>die</strong> durch<br />

kleine Märkte – oder<br />

schlechte Böden oder<br />

Klimaschwankungen –<br />

verursacht werden<br />

Zahlen machen deutlich, welche Art von Ländern<br />

<strong>die</strong> größten Probleme haben werden, <strong>die</strong><br />

<strong>Ziele</strong> zu erreichen, und deshalb <strong>die</strong> meiste Unterstützung<br />

vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />

benötigen. Es sind kleine Binnenvolkswirtschaften.<br />

Sie ver<strong>die</strong>nen daher <strong>die</strong><br />

größte Aufmerksamkeit im Rahmen des Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakts.<br />

Dies bedeutet<br />

jedoch nicht, dass einige große Länder mit bedeutenden<br />

Küstenregionen wie Pakistan vernachlässigt<br />

werden sollten. Sie stehen vor beträchtlichen<br />

Problemen in den Bereichen Armut<br />

und menschliche Entwicklung.<br />

Einige zusätzliche Anmerkungen zur Geografie:<br />

• Geografie kann sowohl Segen als auch<br />

Fluch sein. Es ist kein Zufall, dass alle der<br />

Ende des 20. Jahrhunderts erfolgreichen ostasiatischen<br />

Länder Zugang zu Küsten und<br />

wichtigen Schifffahrtsrouten haben. Der Zugang<br />

zu großen Märkten kann helfen, den<br />

Nachteil einer kleinen Bevölkerung auszugleichen.<br />

• Natürliche Ressourcen – eine andere<br />

Erscheinungsform von Geografie – können<br />

einen großen Vorteil darstellen, wenn ihre<br />

finanziellen Dividenden klug eingesetzt<br />

werden. Das beste Beispiel bieten <strong>die</strong><br />

Diamantenfunde in Botsuana, wo <strong>die</strong> in<br />

Bildung und Gesundheit investierten Einnahmen<br />

einem recht kleinen Binnenland<br />

halfen, sein Pro-Kopf-Einkommen innerhalb<br />

von 25 Jahren zu vervierfachen (wenngleich<br />

<strong>die</strong>se Fortschritte in der jüngsten Zeit durch<br />

eine schwere HIV/AIDS Bürde erschwert<br />

wurden).<br />

• Die Marktgröße und <strong>die</strong> Küstenlage eines<br />

Landes sind nicht <strong>die</strong> einzigen geophysikalischen<br />

Merkmale, denen dringend Aufmerksamkeit<br />

gewidmet werden muss. Manche Regionen<br />

sind anfällig für Klimaschocks (wie El<br />

Niño), andere dagegen nicht. Manche Regionen<br />

sind anfällig für Naturkatastrophen (Erdbeben,<br />

Tropenstürme, Vulkanausbrüche,<br />

Überschwemmungen), andere dagegen nicht.<br />

Manche Regionen sind anfällig für <strong>um</strong>weltbedingte<br />

Krankheiten (Malaria), andere dagegen<br />

nicht. Manche Regionen leiden unter extremem<br />

Wassermangel, andere dagegen nicht.<br />

Alle <strong>die</strong>se geophysikalischen Beschränkungen<br />

können eine Volkswirtschaft schwer belasten<br />

– und erfordern <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Politik.<br />

GEOGRAFIE IST JEDOCH KEIN SCHICKSAL<br />

Die Geografie kann Probleme bereiten; sie definiert<br />

jedoch nicht das Schicksal eines Landes.<br />

Die Erörterung der Geografie hier macht<br />

deutlich, dass politische Maßnahmen benötigt<br />

werden, <strong>die</strong> genau auf <strong>die</strong> Probleme jedes<br />

Landes zugeschnitten sind. Mit guten politischen<br />

Maßnahmen lassen sich selbst <strong>die</strong><br />

Schwierigkeiten <strong>überwinden</strong>, <strong>die</strong> durch kleine<br />

Märkte – oder schlechte Böden oder Klimaschwankungen<br />

– verursacht werden. In geografisch<br />

isolierten Ländern können bessere<br />

Straßen und Kommunikationswege viele entfernungsbedingten<br />

Nachteile ausgleichen.<br />

In Ländern mit einer kleinen Bevölkerung<br />

kann <strong>die</strong> Integration mit Nachbarländern <strong>die</strong><br />

erforderliche Marktgröße bewirken. Außerdem<br />

können reiche Länder ihre Märkte für<br />

Exporte aus kleinen Entwicklungsländern öffnen.<br />

Das war das Erfolgsrezept kleiner Länder<br />

oder Binnenländer in Westeuropa: <strong>die</strong> enge<br />

wirtschaftliche Integration der Europäischen<br />

Union.<br />

Wenn eine Volkswirtschaft durch schlechte<br />

Böden benachteiligt ist, müssen ihnen<br />

Nährstoffe zugeführt werden (durch Dünger,<br />

Leg<strong>um</strong>inosen-Bä<strong>um</strong>e, bessere Fruchtfolge<br />

und andere Mittel). Und Tropenkrankheiten<br />

können durch Maßnahmen wie mit Insektiziden<br />

imprägnierte Moskitonetze zur Bekämpfung<br />

von Malaria eingedämmt werden. Das<br />

Problem besteht nicht darin, dass geophysikalisch<br />

bedingte Hinder<strong>nisse</strong> unüberwindbar<br />

sind. Das Problem ist, dass sie zu häufig übersehen<br />

werden – und es Geld kostet, ihnen entgegenzuwirken.<br />

GUTE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />

WIRTSCHAFTLICHES WACHSTUM UND<br />

MENSCHLICHE ENTWICKLUNG<br />

Ein erster Anlauf zu wirtschaftlichem Fortschritt<br />

ist oft <strong>die</strong> Steigerung der Produktivität<br />

von Kleinbauern. Diese kann erzielt werden,<br />

wenn Marktkräfte landwirtschaftliche Fort-<br />

88 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


schritte ermöglichen oder Regierungen in Forschung<br />

und Entwicklung investieren. Arme<br />

Bauernhaushalte produzieren häufig Nahrungsmittel<br />

für den eigenen Verbrauch, sodass<br />

nur wenig für den Markt übrig bleibt. Die<br />

Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität<br />

– beispielsweise durch verbessertes Saatgut<br />

und Düngemittel wie während der „Grünen<br />

Revolution“ der siebziger Jahre – erhöht<br />

das Haushaltseinkommen und verbessert <strong>die</strong><br />

Ernährungssituation. Sie ermöglicht armen<br />

Haushalten auch, mehr in <strong>die</strong> Gesundheit und<br />

Bildung ihrer Kinder zu investieren. Viele <strong>die</strong>ser<br />

Kinder wandern später in urbane Gebiete<br />

ab, insbesondere weil der Nahrungsmittelbedarf<br />

jetzt von weniger (aber produktiveren)<br />

Bauern gedeckt werden kann.<br />

Im verarbeitenden Gewerbe beruht höhere<br />

Produktivität auf einem stabilen makroökonomischen<br />

Umfeld, wirksamen öffentlichen<br />

Institutionen und zuverlässiger physischer Infrastruktur.<br />

Wachsende Stadtbevölkerungen<br />

begünstigen ebenfalls ein größeres und produktiveres<br />

verarbeitendes Gewerbe. Außerdem<br />

erhält <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden<br />

Gewerbe oft einen wichtigen Schub<br />

durch Hochtechnologieimporte. In Ostasien<br />

stieg <strong>die</strong> Produktivität im verarbeitenden Gewerbe,<br />

als einheimische Unternehmen Zulieferer<br />

multinationaler Konzerne wurde, indem<br />

sie <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen Konzernen bereitgestellten<br />

Technologien und Produktspezifikationen anwendeten.<br />

Zu den häufig anzutreffenden exportierten<br />

Industriegütern der frühen Phase<br />

zählen Spielzeug, Textilien, Schuhe, Elektronikbauteile,<br />

Automobilzubehör und Ähnliches.<br />

Steigende Einkommen bewirken, dass<br />

Haushalte mehr für Gesundheit und Bildung<br />

ausgeben. Sie investieren in sauberes Wasser,<br />

lassen ihre Kinder <strong>die</strong> Schule besuchen oder<br />

kaufen im Krankheitsfall Arzneimittel. Sie verbessern<br />

auch ihre Ernährung. Die Menschen<br />

können sich sicherere Häuser leisten: Sie kaufen<br />

Fliegengitter für Fenster, <strong>um</strong> Krankheiten<br />

übertragende Mücken draußen zu halten,<br />

oder Herde, <strong>die</strong> mit Propangas und nicht mit<br />

hochgradig <strong>die</strong> Umwelt belastendem Holz beheizt<br />

werden. Investitionen von Haushalten in<br />

Gesundheit und Bildung gehen oft mit öffent-<br />

lichen Investitionen in soziale Dienste einher.<br />

Parallel zu den Einkommen steigen <strong>die</strong> nationalen<br />

Sparquoten (der nach Haushalts- und<br />

Staatsausgaben übrig bleibende Teil des<br />

Volkseinkommens). Bei sehr niedrigen Einkommen<br />

sind Haushalte zu arm, <strong>um</strong> sparen zu<br />

können: Sie müssen alles ausgeben, was sie haben,<br />

<strong>um</strong> einfach nur überleben zu können.<br />

Der größte Teil der Ausgaben entfällt auf<br />

Nahrungsmittel, Unterkunft und Bekleidung<br />

– und im Krankheitsfall auf <strong>die</strong> medizinische<br />

Versorgung. Wenn <strong>die</strong> Einkommen über das<br />

Überlebensminim<strong>um</strong> ansteigen, können<br />

Haushalte es sich leisten, Geld für ihr zukünftiges<br />

Wohlergehen und ihre wirtschaftliche<br />

Absicherung zu sparen. Die nationalen Erspar<strong>nisse</strong><br />

bedeuten einen weiteren Schub für<br />

das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong>, weil sie Investitionen<br />

durch <strong>die</strong> Privatwirtschaft und <strong>die</strong> Regierung<br />

ermöglichen. Solche Investitionen<br />

führen zu einer Zunahme des Sachkapitalstocks<br />

und des Infrastrukturbestands pro Person.<br />

Ein weiterer Schub für das wirtschaftliche<br />

Wachst<strong>um</strong> stellt sich ein, wenn <strong>die</strong> Fertilität<br />

infolge politischer Maßnahmen und steigender<br />

Haushaltseinkommen sinkt. Arme Haushalte<br />

mit vielen Kindern können selten ausreichend<br />

in <strong>die</strong> Gesundheit und <strong>die</strong> Bildung jedes<br />

Kindes investieren. Vielleicht erhält nur<br />

der älteste Sohn <strong>die</strong> Chance, mehr als ein paar<br />

Jahre <strong>die</strong> Schule zu besuchen. Aber wenn <strong>die</strong><br />

Fertilität sinkt, haben arme Familien vielleicht<br />

nur noch zwei statt früher sechs Kinder und<br />

können <strong>die</strong>sen eine gute Bildung ermöglichen.<br />

Auch verringert sich dann möglicherweise <strong>die</strong><br />

Ungleichbehandlung von Söhnen und Töchtern.<br />

Eine Volkswirtschaft, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong>ser Stufe<br />

angekommen ist, befindet sich auf einem stabilen,<br />

selbsttragenden Wachst<strong>um</strong>spfad. Nicht<br />

länger gehemmt durch <strong>die</strong> Subsistenzlandwirtschaft<br />

entfaltet sich <strong>die</strong> Dynamik für dauerhaftes<br />

wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong>.<br />

Auf einer späteren Stufe zeigt sich ein anderer<br />

wichtiger Trend. Wenn sich der Bildungsstand<br />

verbessert und einheimische Unternehmen<br />

komplexere Güter produzieren<br />

und Dienstleistungen erbringen (oft unterstützt<br />

durch Investitionen, Know-how und<br />

Technologie, <strong>die</strong> von ausländischen Konzer-<br />

Wenn sich der<br />

Bildungsstand verbessert<br />

und einheimische<br />

Unternehmen komplexere<br />

Güter produzieren und<br />

Dienstleistungen<br />

erbringen, fangen<br />

einheimische<br />

Wissenschaftler und<br />

Ingenieure an, neue<br />

Produkte zu entwickeln<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 89


nen bereitgestellt werden), fangen einheimische<br />

Wissenschaftler und Ingenieure an, neue<br />

Produkte zu entwickeln. Die privaten Ausgaben<br />

für Forschung und Entwicklung steigen,<br />

ebenso <strong>die</strong> Staatsausgaben. Zusätzlich leisten<br />

Hochschulen vor Ort wichtige Beiträge z<strong>um</strong><br />

wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong>, indem sie Wissenschaftler<br />

und Ingenieure ausbilden und in<br />

zunehmendem Maße Stätte von Forschung<br />

und Entwicklung werden.<br />

SCHWACHE POLITISCHE MASSNAHMEN,<br />

WIRTSCHAFTLICHER NIEDERGANG UND<br />

ARMUT<br />

Was geschieht – oder was fehlt – in Ländern,<br />

<strong>die</strong> es nicht schaffen, <strong>die</strong>se Art wirtschaftlichen<br />

Aufstiegs zu bewerkstelligen? Wie zuvor<br />

beginnen solche Volkswirtschaften arm und<br />

primär agrarisch mit begrenzter Industriegüterproduktion<br />

in urbanen Gebieten. Aber im<br />

Gegensatz zu wachsenden Volkswirtschaften<br />

ist <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität – und<br />

damit <strong>die</strong> Wirtschaft im ländlichen Ra<strong>um</strong> –<br />

wegen erschöpfter Böden und Klimakatastrophen<br />

stagnierend oder rückläufig. Parallel<br />

z<strong>um</strong> Bevölkerungswachst<strong>um</strong> haben <strong>die</strong> Entwaldung<br />

und <strong>die</strong> Wasserknappheit zugenommen.<br />

Es wurden weder von öffentlicher noch<br />

von privater Seite neue Technologien eingeführt,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Landwirtschaft voranzubringen.<br />

Bauern können nicht einmal ihre Produkte zu<br />

den Märkten bringen, weil <strong>die</strong> Regierungen es<br />

sich nicht leisten können, Straßen zu bauen<br />

oder instand zu halten.<br />

In <strong>die</strong>sen Ländern müssen Kinder in<br />

Agrarhaushalten bereits ab sehr frühem Alter<br />

arbeiten – beispielsweise oft mehrere Kilometer<br />

am Tag zurücklegen, <strong>um</strong> Wasser und<br />

Brennholz zu holen. Selbst wenn eine schulische<br />

Ausbildung möglich wäre, haben Kinder<br />

keine Zeit oder Energie für den Schulbesuch.<br />

Sie haben auch keinen Zugang zu der Art von<br />

Primärgesundheitsversorgung, <strong>die</strong> notwendig<br />

ist, <strong>um</strong> Malaria, Wurmparasiten und andere<br />

Leiden zu verhindern oder zu behandeln, weil<br />

sich ihre Familien keine Ärzte und Regierungen<br />

keine Arztgehälter oder benötigten Arzneimittel<br />

leisten können. Viele Kinder – vielleicht<br />

15 von jeweils 100 – sterben, bevor sie<br />

das fünfte Lebensjahr erreichen. Eine Folge<br />

ist, dass Eltern viele Kinder haben.<br />

Weiter verschlimmert wird <strong>die</strong> Situation<br />

durch niedrige Produktivität in urbanen Gebieten.<br />

Außerdem ist das verarbeitende Gewerbe<br />

vielleicht von den Weltmärkten abgeschnitten,<br />

weil es sich <strong>um</strong> ein Binnenland handelt<br />

und weitab von Häfen liegt oder weil sein<br />

Hauptexportgut auf der ganzen Welt Handelsschranken<br />

unterliegt. Vielleicht führt <strong>die</strong><br />

Straße von der Hauptstadt z<strong>um</strong> nächsten Hafen<br />

durch ein anderes Land, das den wirtschaftlichen<br />

Interessen seines land<strong>um</strong>schlossenen<br />

Nachbarn feindlich gegenübersteht. Oder<br />

vielleicht ist das Küstenland schlecht geführt,<br />

so dass – selbst wenn ein Binnenland eine gut<br />

funktionierende Fernverkehrsstraße zur<br />

Grenze des Transitlandes baut – das Küstenland<br />

<strong>die</strong> Straße nicht den ganzen Weg bis z<strong>um</strong><br />

Hafen weiterführt, instand hält und polizeilich<br />

kontrolliert.<br />

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass<br />

eine kleine Bevölkerung <strong>die</strong> Probleme vieler<br />

armer Binnenvolkswirtschaften vergrößert.<br />

Als eine Folge haben internationale Investoren<br />

nur geringes Interesse daran, vor Ort Produktionsstätten<br />

zu errichten, <strong>um</strong> <strong>die</strong> örtlichen<br />

Märkte zu beliefern. Wenn sie irgend etwas<br />

verkaufen, handelt es sich <strong>um</strong> Importgüter<br />

und nicht <strong>um</strong> Waren aus örtlicher Produktion.<br />

Unter solchen Umständen ist es unwahrscheinlich,<br />

dass das örtliche verarbeitende Gewerbe<br />

selbst bei hocheffizienter staatlicher Politik<br />

selbsttragendes Wachst<strong>um</strong> auslösen kann.<br />

Örtliche Produzenten können vielleicht einige<br />

grundlegende Artikel – Seife, verarbeitete Lebensmittel,<br />

Holzmöbel, Ziegelsteine und anderes<br />

Ba<strong>um</strong>aterial, ein paar Chemikalien – an<br />

<strong>die</strong> örtlichen Märkte liefern, aber wenig sonst.<br />

Die Technologie ist einfach, und Unternehmen<br />

sind nicht wettbewerbsfähig genug, <strong>um</strong><br />

auf den Weltmärkten zu verkaufen, insbesondere<br />

angesichts der hohen Kosten für den Warentransport<br />

zu Häfen (und der unerschwinglich<br />

hohen Kosten für den Lufttransport von<br />

Artikeln des Grundbedarfs). Ohne einen<br />

Wachst<strong>um</strong>smotor im verarbeitenden Gewerbe<br />

ist es unwahrscheinlich, dass <strong>die</strong>se Länder<br />

beginnen zu wachsen.<br />

90 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


Selbst wenn der öffentliche Sektor seine<br />

Ressourcen optimal nutzt, sind solche Länder<br />

mit zahlreichen Engpässen konfrontiert, <strong>die</strong><br />

Wachst<strong>um</strong> verhindern:<br />

• Die Sparquote der Privathaushalte ist<br />

niedrig, wenn nicht sogar negativ.<br />

• Die Regierung wendet ihre Einnahmen<br />

größtenteils oder vollständig für <strong>die</strong> Bezahlung<br />

von Angestellten des öffentlichen Dienstes<br />

(Armee, Polizei, Lehrer, öffentliche Verwaltung)<br />

auf, so dass wenig oder gar nichts für<br />

Investitionen in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur<br />

übrig bleibt.<br />

• Die landwirtschaftliche Produktivität<br />

bleibt gering, teils weil es wenig Einsatzmittel<br />

aus einheimischer Produktion wie Düngemittel<br />

gibt. Und wegen gravierender Transportprobleme<br />

ist <strong>die</strong> Einfuhr von Düngemitteln<br />

für <strong>die</strong> meisten Kleinbauern unerschwinglich<br />

teuer.<br />

• Die Fertilität bleibt hoch – eine Folge geringen<br />

Bildungsstands von Frauen und<br />

Mädchen, großer ländlicher Bevölkerung, hoher<br />

Kindersterblichkeitsrate sowie eines fehlenden<br />

Angebots in den Bereichen Familienplanung<br />

und reproduktive Gesundheit.<br />

• Die mütterliche Gesundheit wird beeinträchtigt,<br />

weil Frauen ka<strong>um</strong> Zugang zu Bildung<br />

und Gesundheitsversorgung haben, was<br />

auch negative Auswirkungen auf ihre Kinder<br />

hat. Die meisten Menschen bleiben in ländlichen<br />

Gebieten, weil sie für den Anbau von<br />

Kulturpflanzen für <strong>die</strong> Nahrungsmittelversorgung<br />

der rasch wachsenden Landesbevölkerung<br />

gebraucht werden. Daraus resultieren<br />

hohe Nahrungsmittelpreise für Bewohner urbaner<br />

Gebiete.<br />

• Angesichts steigender Bevölkerung im<br />

ländlichen Ra<strong>um</strong> sinkt <strong>die</strong> Agrarfläche pro<br />

Landarbeiter und damit <strong>die</strong> Produktion pro<br />

Bauer. In Verbindung mit fehlender Gesundheitsversorgung<br />

verschlechtert <strong>die</strong>s <strong>die</strong> öffentliche<br />

Gesundheit, trägt zur Ausbreitung ansteckender<br />

Krankheiten (teils verursacht<br />

durch eine Schwächung des Immunsystems<br />

infolge Unterernährung) bei und verringert<br />

<strong>die</strong> Produktivität der Erwerbsbevölkerung.<br />

Kurz<strong>um</strong>, solche Länder stecken in einer<br />

Armutsfalle. Sie verfügen über unzureichende<br />

Ressourcen zur Überwindung strukturbeding-<br />

ter Hinder<strong>nisse</strong> und können wichtige Mindeststandards<br />

in den Bereichen Gesundheit,<br />

Bildung und Infrastruktur nicht erreichen, <strong>die</strong><br />

eine Voraussetzung für selbsttragendes<br />

Wachst<strong>um</strong> sind. Viele der in Kapitel 2 benannten<br />

Länder mit höchster Priorität fallen<br />

in <strong>die</strong>se Kategorie. Gutes Regierungs- und<br />

Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen sowie<br />

eine kluge Wirtschaftspolitik sind Voraussetzungen,<br />

<strong>um</strong> der Armutsfalle zu entkommen,<br />

reichen aber nicht aus. In den meisten<br />

Fällen müssen auch enorme strukturbedingte<br />

Beschränkungen überwunden werden, <strong>um</strong> <strong>die</strong><br />

Mindeststandards für dauerhaftes Wachst<strong>um</strong><br />

zu erreichen.<br />

Es sei explizit auf den Unterschied zwischen<br />

strukturbedingten Schwierigkeiten für<br />

das Erreichens der Mindeststandards für dauerhaftes<br />

Wachst<strong>um</strong> und durch das Regierungs-<br />

und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />

bedingte Schwierigkeiten für<br />

das Erreichen der Mindeststandards hingewiesen.<br />

Korrupte oder inkompetente Regierungen<br />

richten in vielen Ländern große Schäden<br />

an und verhindern <strong>die</strong> für wirtschaftliche<br />

Entwicklung notwendigen Investitionen. Ursache<br />

für <strong>die</strong>se Last können kleptokratische<br />

Politiker, schwache rechtliche Institutionen,<br />

korrupte Bürokraten oder politische oder bewaffnete<br />

Konflikte sein (siehe Kasten 3.5).<br />

DEN ARMUTSFALLENENTKOMMEN<br />

Was kann also für Länder getan werden, <strong>die</strong> in<br />

Armutsfallen stecken? Der Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt<br />

<strong>die</strong>ses Berichts zielt auf der<br />

Grundlage klugen makroökonomischen Managements<br />

darauf ab, <strong>die</strong> menschliche Entwicklung<br />

durch <strong>die</strong> Verknüpfung von sechs<br />

Bündeln politischer Maßnahmen zu fördern:<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> Sozialsektoren.<br />

Wenn zusätzliche Gebermittel verfügbar sind,<br />

können in Ländern mit niedrigem Einkommen<br />

in den Bereichen Gesundheit,<br />

Ernährung, Bildung sowie Wasser- und Sanitärversorgung<br />

große Fortschritte erzielt werden,<br />

weil <strong>die</strong> benötigten Interventionen gut<br />

bekannt und lang bewährt sind und <strong>die</strong><br />

Hauptinvestitionen vom öffentlichen Sektor<br />

mit finanzieller Unterstützung von Gebern<br />

Gutes Regierungs- und<br />

Verwaltungshandeln in<br />

Wirtschaftsfragen sowie<br />

eine kluge<br />

Wirtschaftspolitik sind<br />

Voraussetzungen, <strong>um</strong> der<br />

Armutsfalle zu<br />

entkommen, reichen aber<br />

nicht aus<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 91


KASTEN 3.5<br />

Bei jedem ernst gemeinten Versuch, eine erfolgreiche<br />

Kampagne z<strong>um</strong> Erreichen der Millenni<strong>um</strong>s-<br />

Entwicklungsziele zu starten, muss den von Konflikten<br />

betroffenen Gebieten besondere Aufmerksamkeit<br />

gewidmet werden. In etwa 60 Ländern wurde in<br />

den neunziger Jahren ein gewaltsamer Konflikt ausgetragen.<br />

Abgesehen von den durch sie verursachten<br />

unmittelbaren Verlusten an Menschenleben<br />

können solche Konflikte Volkswirtschaften untergraben,<br />

Regierungen destabilisieren, <strong>die</strong> Infrastruktur<br />

schädigen, <strong>die</strong> Versorgung durch Sozial<strong>die</strong>nste<br />

unterbrechen und Massenfluchten auslösen. Mehr<br />

als 14 Millionen Menschen sind auf Grund von aktuellen<br />

Konflikten oder Konflikten in der jüngeren<br />

Vergangenheit von Hunger betroffen. In Konfliktgebieten<br />

können sich HIV/AIDS und andere Infektionskrankheiten<br />

oft ungebremst ausbreiten. In<br />

Afrika südlich der Sahara sind bei einigen Armeen<br />

mehr als <strong>die</strong> Hälfte aller Soldaten HIV-positiv. Weil<br />

in Kriegszonen <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung zusammenbricht<br />

und Frauen auf der Flucht Kinder zur<br />

Welt bringen, steigen <strong>die</strong> Mütter- und Säuglingssterblichkeitsraten<br />

dort häufig steil an.<br />

Eine Analyse der 25 am schlimmsten von Konflikten<br />

betroffenen Länder (zwischen 1960 und<br />

1995) ergibt beträchtliche Unterschiede hinsichtlich<br />

der Verluste an Menschenleben und der wirtschaftlichen<br />

Schäden auf Grund von Kriegen. Äthiopien,<br />

Liberia und Uganda wiesen in Konfliktzeiten beispielsweise<br />

wesentlich höhere Säuglingssterblichkeitsraten<br />

auf als in Friedenszeiten. Im Gegensatz<br />

dazu verzeichneten El Salvador, Guatemala und<br />

Mosambik selbst während des Krieges Raten, <strong>die</strong><br />

unter dem regionalen Durchschnitt lagen. Die Ergeb<strong>nisse</strong><br />

lassen darauf schließen, dass selbst<br />

während eines laufenden Konflikts politische Maßnahmen<br />

ergriffen werden können, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Verluste<br />

an Menschenleben und <strong>die</strong> wirtschaftlichen Folgen<br />

zu verringern.<br />

Konfliktfolgen für Menschen verringern<br />

Angesichts der Heterogenität und der Komplexität<br />

vom Krieg betroffener Volkswirtschaften lassen sich<br />

nur schwer allgemeingültige politische Rezepte nennen.<br />

Zu den Kriegszielen kann zählen, bestimmte<br />

Regionen von lebenswichtigen Diensten abzuschneiden<br />

(Sudan). Ein Konflikt kann auch Regierungen<br />

empfindlich schwächen und sie der Fähigkeit<br />

berauben, überhaupt noch Leistungen für irgendeine<br />

Gruppe zu erbringen (wie in Afghanistan,<br />

Sierra Leone und Somalia). Wenn <strong>die</strong> Regierung<br />

ohne andere tragende Strukturen vollständig zusammenbricht,<br />

so kann <strong>die</strong>s besonders gravierende Folgen<br />

für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft haben<br />

(Uganda). Ländern, <strong>die</strong> in der Lage waren, <strong>die</strong> Folgen<br />

für <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> Wirtschaft zu verringern<br />

und in einigen Fällen sogar Fortschritte in<br />

Richtung auf <strong>die</strong> Einhaltung von Entwicklungszielen<br />

zu machen, gelang <strong>die</strong>s nur, wenn alle Haushalte<br />

– auf beiden Seiten der Kampflinie – Zugang zu<br />

Nahrungsmitteln, Basisgesundheitsversorgung und<br />

Grundschulbildung hatten (Guatemala, Mosambik<br />

und Sri Lanka).<br />

Die ausreichende Finanzierung lebenswichtiger<br />

Dienste durch <strong>die</strong> öffentliche Hand kann häufig<br />

selbst dann aufrechterhalten werden, wenn <strong>die</strong> Militärausgaben<br />

kriegsbedingt steigen. Mosambik, Nicaragua<br />

und der Sudan steigerten <strong>die</strong> Sozialausga-<br />

Quelle: Stewart 2003; Fitzgerald 2001.<br />

Die MEZ und Konfliktländer<br />

ben pro Kopf während ihrer Konfliktzeiten deutlich.<br />

Aber selbst wenn Kürzungen der Sozialausgaben<br />

notwendig sind, sollten <strong>die</strong>se nicht automatisch<br />

<strong>die</strong> Etats für <strong>die</strong> grundlegenden Sozial<strong>die</strong>nste betreffen.<br />

Selbst in Friedenszeiten entfällt auf <strong>die</strong>se<br />

Dienste nur ein Bruchteil der Gesamtsozialausgaben.<br />

Kürzungen der Sozialausgaben werden oft<br />

durch eine Verringerung der H<strong>um</strong>anressourcen verschärft.<br />

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Lehrer<br />

und Ärzte Konfliktgebiete verlassen. Und <strong>die</strong> Kürzungen<br />

sind mit unvorhersehbaren Zusammenbrüchen<br />

der Mechanismen zur Erbringung von Leistungen<br />

verbunden. Deshalb werden flexible Ansätze<br />

für <strong>die</strong> Bereitstellung von Diensten benötigt, bei<br />

denen man sich auf verschiedene Akteure wie NRO<br />

und quasistaatliche Strukturen stützen sollte. Als in<br />

Mosambik Gebäude des Gesundheits- und Bildungswesens<br />

zu Kriegszielen wurden, experimentierte<br />

man dort mit mobilen Gesundheitsposten und<br />

mobilen Unterrichtsrä<strong>um</strong>en. In El Salvador stellten<br />

beide Konfliktparteien bei drei unterschiedlichen<br />

Gelegenheiten erfolgreich <strong>die</strong> Kämpfe ein, damit<br />

Kinder geimpft werden konnten.<br />

Menschen in Konfliktgebieten sind besonders<br />

anfällig für schwere Unterernährung, weil während<br />

Konflikten <strong>die</strong> Nahrungsmittelproduktion zurückgeht<br />

und normale Hilfsmaßnahmen unterbrochen<br />

werden müssen. Steigende Nahrungsmittelpreise<br />

sind eine enorme Bedrohung für <strong>die</strong> Ernährungssicherheit.<br />

Viele Industrieländer subventionierten<br />

und rationierten zu Zeiten, in denen sie in Kriege<br />

verwickelt waren, Nahrungsmittel, <strong>um</strong> drastische<br />

Preissteigerungen zu verhindern. Nicaragua vertraute<br />

ebenfalls auf <strong>die</strong>se Mechanismen, <strong>um</strong> <strong>die</strong><br />

Ernährungssituation von Menschen in Kriegsgebieten<br />

zu verbessern.<br />

In urbanen Gebieten sind solche Maßnahmen<br />

relativ leicht durchzuführen. Gemeinschaften in<br />

ländlichen Gebieten nutzt aber vielleicht eher Unterstützung<br />

für den Agrarsektor in Form von Lieferungen,<br />

Krediten und entlohnter Arbeit. Die Nahrungsmittelausgabe<br />

in Schulen und Gesundheitseinrichtungen<br />

kann den Zugang zu Hilfe ebenfalls verbessern,<br />

ohne <strong>die</strong> Menschen zu zwingen, sich in Lager<br />

zu begeben. Sie fördert zudem den Schulbesuch<br />

und verringert <strong>die</strong> Anreize für Kinder, Soldaten<br />

oder Diebe zu werden.<br />

Die wirtschaftlichen Folggeschäden<br />

von Konflikten begrenzen<br />

Die wirtschaftlichen Konfliktfolgen beeinträchtigen<br />

das menschliche Wohlergehen ebenfalls auf vielfältige<br />

Weise. Sie reichen von steigenden Nahrungsmittelkosten<br />

bis zu sinkenden Beschäftigungschancen.<br />

Länder, <strong>die</strong> zwischen 1960 und 1995 am härtesten<br />

von Konflikten betroffen waren, mußten im<br />

Vergleich zu Friedenszeiten alle enorme Rückschläge<br />

beim Wirtschaftswachst<strong>um</strong> hinnehmen sowie<br />

eine sinkende Exportgüterprouktion, sinkende<br />

Nachfrage und ein verringertes Staatseinkommen<br />

(als Anteil am Bruttoinlandsprodukt). Fast alle Länder<br />

mußten durch <strong>die</strong> enorme Steigerung der Militärausgaben<br />

und gleichzeitig sinkender Staatseinnahmen<br />

steigende Haushaltsdefizite und eine wachsende<br />

Schuldenspirale in Kauf nehmen. Dennoch<br />

konnten einige Länder <strong>die</strong>sen Trend abwenden<br />

oder sogar trotz Kriegen eine beeindruckende Wirt-<br />

schaftsleistung vorzeigen. Sri Lanka beispielsweise<br />

konnte trotz der Konflikte im Land ein Wirtschaftswachst<strong>um</strong><br />

von 2 Prozent erzielen.<br />

Länder, <strong>die</strong> in laufende Konflikte verwickelt<br />

sind, sollten sich auf (mindestens) vier zentrale Politikbereiche<br />

konzentrieren:<br />

• Wegen des Zusammentreffens sinkender<br />

Steuereinnahmen mit drastisch steigenden Militärausgaben<br />

ist es in Ländern, <strong>die</strong> in einen Krieg verwickelt<br />

sind, schwierig, <strong>die</strong> Staatseinnahmen aufrechtzuerhalten.<br />

Die für <strong>die</strong> Einnahmenerhebung<br />

verwendeten institutionellen Strukturen müssen<br />

während des Krieges aufrechterhalten werden.<br />

Außerhalb sollten <strong>die</strong> Steuersätze aus der Zeit vor<br />

dem Krieg beibehalten werden, selbst wenn daneben<br />

zusätzliche Abgaben beispielsweise auf Luxuswaren<br />

und kriegsrelevante Güter erhoben werden.<br />

Regierungen könnten auch obligatorische Sparbriefe<br />

ausgeben und Nahrungsmittelhilfe verkaufen, <strong>um</strong><br />

neue Einnahmequellen zu erschließen. Nigeria, Sri<br />

Lanka und dem Sudan gelang es in der Tat, in Konfliktzeiten<br />

das Einnahmeniveau (als prozentualer<br />

Anteil am BIP) aufrechtzuerhalten.<br />

• Weil eine drastisch steigende Inflation Unsicherheit<br />

erzeugt und im privaten Sektor zu Spekulation<br />

führt, muss eine galoppierende Inflation verhindert<br />

werden. Sie würde <strong>die</strong> Kontrolle der öffentlichen<br />

Haushalte und der Staatsfinanzen extrem erschweren.<br />

Die Preisfreigabe während Konflikten als<br />

Reaktion auf eine geringe Angebotselastizität ist<br />

eine Hauptursache für eine drastisch steigende Inflation.<br />

In Mosambik beispielsweise führte eine solche<br />

Freigabe zu einem enormen Anstieg der Preise<br />

für rationierte Waren wie Mais, Speiseöl und<br />

Zucker.<br />

• Weil rückläufige Devisenguthaben zu einem<br />

Produktionsrückgang beitragen, ist es wichtig, <strong>die</strong><br />

Devisenguthaben zu sichern. Einige Länder in<br />

Afrika südlich der Sahara erlitten verheerende Hungersnöte<br />

auf Grund einer Kombination von Konflikt,<br />

Produktionsrückgang und Dürre. Um <strong>die</strong> Produktion<br />

aufrechtzuerhalten, sollten sowohl nationale<br />

als auch internationale politische Maßnahmen<br />

darauf abzielen, produktive Importe zu finanzieren.<br />

Hierzu müssen Exportmärkte offen gehalten und<br />

unterstützt werden sowie solche Importe durch Finanzhilfe/Kredite<br />

erleichtert werden. Nationale politische<br />

Maßnahmen sollten auch sicherstellen, dass<br />

verfügbare Devisenguthaben verwendet werden,<br />

<strong>um</strong> lebenswichtige Güter wie Arzneimittel und Einsatzmittel<br />

für <strong>die</strong> Landwirtschaft zu kaufen. Importkontrollen<br />

wie Quoten und Zölle können genutzt<br />

werden, <strong>um</strong> zu gewährleisten, dass <strong>die</strong>s geschieht.<br />

• Es muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />

beibehalten werden. Konfliktbetroffene<br />

Länder stehen vor enormen Schwierigkeiten, unter<br />

Bedingungen unsicherer Exporteinnahmen und<br />

Entwicklungshilfezusagen <strong>die</strong> Zahlungsbilanz im<br />

Gleichgewicht zu halten. Mit politischen Maßnahmen<br />

muss ein wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs<br />

beibehalten werden, <strong>um</strong> Exporte nicht zu erschweren.<br />

Angesichts der unvermeidlichen makroökonomischen<br />

Ungleichgewichte, <strong>die</strong> ein Krieg mit<br />

sich bringt, sollten Länder auch danach trachten,<br />

<strong>die</strong> nominalen Wechselkurse zu kontrollieren. In<br />

Angola beispielsweise stieg <strong>die</strong> Inflation zwischen<br />

1991 und 1992 von 160 auf 246 Prozent. Davon waren<br />

arme Angolaner am stärksten betroffen.<br />

92 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


getätigt werden können. Große Fortschritte in<br />

den Bereichen Gesundheit und Bildung sind<br />

notwendig, bevor <strong>die</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />

beträchtlich gesteigert werden können.<br />

• Investitionen zur Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität. Die landwirtschaftliche<br />

Produktivität kann durch <strong>die</strong> Einführung<br />

besserer Technologie (verbessertes<br />

Saatgut, Bodenbearbeitung und Fruchtfolgewechsel,<br />

Bodennährstoffmanagement, Schädlingsbekämpfung)<br />

und <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

ländlichen Infrastruktur (Bewässerungsprojekte,<br />

Lagerungs- und Transporteinrichtungen,<br />

Straßenverbindungen von den Dörfern<br />

zu größeren Märkten) gesteigert werden. Zusätzlich<br />

kann sichere Bodennutzung <strong>die</strong> Rechte<br />

der Bauern schützen und sie ermutigen, in<br />

Bodenverbesserungen zu investieren, <strong>die</strong> langfristig<br />

<strong>die</strong> Produktivität steigern.<br />

• Investitionen in <strong>die</strong> Infrastruktur. Ein<br />

angemessenes Niveau an Straßen, Energieversorgung,<br />

Häfen und Kommunikation zu erreichen,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> wirtschaftliche Diversifikation in<br />

nicht traditionelle Bereiche zu unterstützen,<br />

wird an einigen Standorten wie Küstenhafenstädten<br />

sehr einfach sein. Aber an anderen Orten<br />

wie Binnen- oder Gebirgsländern, <strong>die</strong> unter<br />

hohen Transportkosten leiden, wird es<br />

sehr viel schwerer sein.<br />

• Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

zur Unterstützung privater Aktivitäten.<br />

Die erfolgreiche Entwicklung nicht traditioneller<br />

Aktivitäten erfordert häufig besondere<br />

industriepolitische Maßnahmen wie selektive,<br />

zeitlich begrenzte und klug ausgelegte<br />

Steuerbefreiungen, Freihandelszonen, Sonderwirtschaftszonen,Technologieparks,Investitionssteuergutschriften,<br />

Förderung von Wissenschaft<br />

und Technologie, zielgerichtete Forschungs-<br />

und Entwicklungsfinanzierung sowie<br />

<strong>die</strong> staatliche Bereitstellung von Infrastruktur<br />

und Flächen.<br />

• Die <strong>um</strong>fassende Betonung auf Gleichstellung<br />

in der Gesamtgesellschaft. Politische<br />

Institutionen müssen armen Menschen –<br />

insbesondere Frauen – ermöglichen, an Entscheidungen<br />

teilzuhaben, <strong>die</strong> ihr Leben betreffen,<br />

und sie vor willkürlichen und unverantwortlichen<br />

Handlungen von Regierungen<br />

und Verwaltungen sowie anderen Kräften<br />

schützen. Strategien z<strong>um</strong> Erreichen der Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

müssen daher<br />

Rechte von Frauen auf Bildung, Leistungen im<br />

Bereich der reproduktiven Gesundheit,<br />

Grundbesitz, Erwerbsbeteiligung und sichere<br />

Nutzung von Grund und Boden gewährleisten.<br />

Strategien müssen auch auf <strong>die</strong> Beseitigung<br />

aller anderen Formen von Diskriminierung<br />

einschließlich der Diskriminierung auf<br />

Grund von Rasse, Ethnizität oder geografischer<br />

Herkunft ausgerichtet sein.<br />

• Die Betonung auf ökologische Nachhaltigkeit<br />

und Stadtmanagement. Viele der<br />

ärmsten Orte auf der Welt liegen in Regionen<br />

mit enormen Klimaschwankungen und hoher<br />

Anfälligkeit, <strong>die</strong> ein solides ökologisches Management<br />

erfordern. Dazu zählen tropische<br />

und subtropische Regionen, <strong>die</strong> für durch das<br />

El-Niño-Phänomen verursachte Fluktuationen<br />

der Niederschlagsmenge und der Temperatur<br />

anfällig sind – Regionen, <strong>die</strong> auch mit<br />

den negativen Auswirkungen langfristiger Klimaänderungen<br />

konfrontiert sind. Eine andere<br />

ökologische Herausforderung ist <strong>die</strong> Steuerung<br />

und Bewältigung der raschen Urbanisierung<br />

durch sorgfältige Stadtplanung und hohe<br />

Investitionen der öffentlichen Hand.<br />

Diese politischen Maßnahmen können einen<br />

Aufstieg aus der Armut auslösen. Länder<br />

können beginnen, arbeitsintensive Waren<br />

(Textilien, Elektronikbauteile) für Auslandsmärkte<br />

zu liefern. Tourismus und EDV-<br />

Dienstleistungen (wie Dateneingabe und der<br />

Betrieb von Backoffice-Rechenzentren) können<br />

zu einem vergleichbaren Boom bei<br />

Dienstleistungsexporten führen. Dieses<br />

Wachst<strong>um</strong> bei nicht traditionellen Exporten<br />

kann <strong>die</strong> weiter oben beschriebenen k<strong>um</strong>ulativen<br />

Wachst<strong>um</strong>sprozesse antreiben. Dazu<br />

zählen auch steigende Sparquoten, steigende<br />

Staatseinnahmen, zunehmende Urbanisierung,<br />

sinkende Fertilität und steigende landwirtschaftliche<br />

Produktivität (teils auf Grund<br />

von mehr Einsatzmitteln aus dem verarbeitenden<br />

Gewerbe).<br />

Um langfristiges Wachst<strong>um</strong> zu erreichen,<br />

müssen alle <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen unabhängig<br />

vom Stand der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

eines Landes gleichzeitig ergriffen<br />

werden. Die ärmsten Länder können sich <strong>die</strong>-<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 93


Stagnierende oder im<br />

Niedergang befindliche<br />

arme Länder können bis<br />

jenseits der<br />

grundlegenden<br />

Mindeststandards<br />

geschoben werden und<br />

selbsttragendes<br />

Wachst<strong>um</strong> erreichen,<br />

wenn sie genug Mittel<br />

erhalten, <strong>um</strong> in<br />

Gesundheit, Bildung und<br />

Basisinfrastruktur<br />

investieren zu können<br />

se Investitionen jedoch nicht aus eigenen Mitteln<br />

leisten. Für sie betont der Millenni<strong>um</strong>s-<br />

Entwicklungspakt, dass Geber helfen sollten,<br />

<strong>die</strong> Kosten zu tragen. Dabei wird vorausgesetzt,<br />

dass <strong>die</strong> Länder mit niedrigem Einkommen<br />

ihren Teil der Abmachung einhalten, indem<br />

sie gutes Regierungs- und Verwaltungshandeln<br />

in Wirtschaftsfragen fördern, <strong>die</strong><br />

Menschenrechte schützen sowie eine transparente<br />

und effiziente Politik verfolgen (siehe<br />

Kasten 3.6).<br />

Dahinter steckt <strong>die</strong> Vorstellung, dass stagnierende<br />

oder im Niedergang befindliche<br />

arme Länder bis jenseits der grundlegenden<br />

Mindeststandards geschoben werden und<br />

selbsttragendes Wachst<strong>um</strong> erreichen können,<br />

wenn sie genug Mittel erhalten, <strong>um</strong> in Gesundheit,<br />

Bildung und Basisinfrastruktur investieren<br />

zu können. Mittel aus dem Ausland<br />

werden benötigt, <strong>um</strong> den gesamten Wachst<strong>um</strong>sprozess<br />

zu finanzieren – nicht nur <strong>die</strong> Anschubfinanzierung.<br />

In den meisten Fällen<br />

kann selbsttragendes Wachst<strong>um</strong> innerhalb einer<br />

Generation erreicht werden.<br />

WACHSTUMSPOLITIK ZU<br />

GUNSTEN ARMER MENSCHEN<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel wurde herausgestellt, dass<br />

<strong>um</strong>fassende, multisektorale Strategien einschließlich<br />

politischer Maßnahmen zur Förderung<br />

von Industriegüterexporten erforderlich<br />

sind, <strong>um</strong> wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> zu erreichen.<br />

Angesichts der unterschiedlichen strukturbedingten<br />

Schranken, mit denen Länder<br />

konfrontiert sind, ist klar, dass jedes Land ein<br />

Bündel politischer Maßnahmen ergreifen<br />

muss, <strong>die</strong> vor dem Hintergrund seiner spezifischen<br />

Bedingungen Sinn machen (siehe den<br />

Sonderbeitrag von Nobelpreisträger Joseph<br />

Stiglitz). Dieser Abschnitt versucht Antworten<br />

auf zwei damit zusammenhängende Fragen zu<br />

geben. Ziel ist, sicherzustellen, dass das<br />

Wachst<strong>um</strong> armen Menschen zugute kommt.<br />

Erstens: Welche politischen Maßnahmen können<br />

<strong>die</strong> Zunahme arbeitsintensiver (im Gegensatz<br />

zu kapitalintensiven) Industriegüterexporte<br />

fördern? Solche Produkte können unmittelbar<br />

<strong>die</strong> Beschäftigungschancen armer<br />

Menschen verbessern und ihre Reallöhne stei-<br />

gern. Zweitens: Welche politischen Maßnahmen<br />

können höhere Einkommen auch für<br />

arme Menschen gewährleisten, <strong>die</strong> nicht unmittelbar<br />

im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt<br />

sind? Solche politischen Maßnahmen<br />

werden in Ländern mit niedrigem und mittlerem<br />

Einkommen mit „Inseln“ verfestigter Armut<br />

benötigt.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR<br />

FÖRDERUNG ARBEITSINTENSIVER<br />

INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />

In den letzten 20 Jahren wurde in der entwicklungsbezogenen<br />

Theorie und Praxis zu oft<br />

marktorientiertes wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

mit wirtschaftsliberalem Verhalten verwechselt.<br />

Selbst wenn wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong><br />

auf Privateigent<strong>um</strong> und Marktkräften basiert,<br />

muss der Staat mit geeigneten politischen<br />

Maßnahmen effiziente und wettbewerbsfähige<br />

einheimische Industriezweige fördern. Die<br />

Entstehung eines Exportsektors für Industriegüter<br />

zu unterstützen kann beispielsweise<br />

schon den halben Sieg auf dem Weg z<strong>um</strong> Erreichen<br />

anhaltenden Wachst<strong>um</strong>s bedeuten.<br />

Dies gilt insbesondere, wenn ein Land in der<br />

Vergangenheit bereits Rohstoffe exportiert<br />

hat.<br />

Ähnlich wichtig können politische Maßnahmen<br />

zur Förderung arbeitsintensiver statt<br />

kapitalintensiver Aktivitäten sein, weil sie Arbeitsplätze<br />

schaffen sowie langfristig <strong>die</strong> Produktivität<br />

und <strong>die</strong> Reallöhne steigern. Politische<br />

Maßnahmen haben lange eine wichtige<br />

Rolle bei der Förderung der industriellen Entwicklung<br />

gespielt, beispielsweise in den Volkswirtschaften<br />

der ostasiatischen „Tigerstaaten“<br />

seit den sechziger Jahren. Dies hing jedoch<br />

von einer Reihe von Umständen ab – insbesondere<br />

von disziplinierter institutioneller Kapazität<br />

in Regierungen und Verwaltungen.<br />

Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

zu Gunsten der Armen sollten sich an einigen<br />

allgemeinen Richtlinien orientieren. Erstens<br />

sind, wie in <strong>die</strong>sem Kapitel gezeigt wurde,<br />

Industriegüterexporte eine wichtige Voraussetzung<br />

für langfristiges Wachst<strong>um</strong>. Zu<br />

<strong>die</strong>sem Zweck bedarf es makroökonomischer<br />

und handelspolitischer Maßnahmen zur Di-<br />

94 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


KASTEN 3.6<br />

Uganda hat im letzten Jahrzehnt sehr gute<br />

wirtschaftliche Fortschritte erzielt. Aber trotz<br />

eines realen Wachst<strong>um</strong>s von durchschnittlich<br />

3,7 Prozent im Zeitra<strong>um</strong> von 1992 bis 1997<br />

weist das Land immer noch ein Pro-Kopf-Einkommen<br />

von lediglich 330 US-Dollar auf.<br />

Uganda ist ein kleines Binnenland, in dem<br />

80 Prozent der Erwerbsbevölkerung in der<br />

Landwirtschaft beschäftigt sind. 1997 wurden<br />

44 Prozent der Bevölkerung als arm eingestuft,<br />

<strong>die</strong> Säuglingssterblichkeitsrate betrug 83 Todesfälle<br />

pro 1.000 Lebendgeburten (im Jahr<br />

2000), <strong>die</strong> Müttersterblichkeitsrate 505 Todesfälle<br />

pro 100.000 Mütter und <strong>die</strong> Sterblichkeitsrate<br />

von Kindern unter fünf Jahren 161<br />

Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten.<br />

1997 leistete Uganda mit der Aufstellung<br />

des Aktionsplans zur Beseitigung der Armut<br />

(Poverty Eradication Action Plan) Pionierarbeit<br />

im Bereich armutsorientierter Entwicklungsstrategien.<br />

Dieser Aktionsplan wurde<br />

2000 in Abstimmung mit der Weltbank und<br />

dem Internationalen Währungsfonds in einer<br />

überarbeiteten Fassung als Strategiedok<strong>um</strong>ent<br />

zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction<br />

Strategy Paper – PRSP) vorgelegt. In dem<br />

Dok<strong>um</strong>ent setzte Uganda vier <strong>Ziele</strong>:<br />

• bis 2017 <strong>die</strong> absolute Armut auf 10 Prozent<br />

der Bevölkerung verringern,<br />

• den Bildungsstand der Ugander erhöhen,<br />

• <strong>die</strong> Volksgesundheit verbessern,<br />

• armen Menschen Gehör verschaffen.<br />

Um <strong>die</strong>se <strong>Ziele</strong> zu erreichen, formulierte<br />

Quelle: Uganda 2002; IMF 2002a; World Bank 2000b.<br />

Was notwendig ist, damit der Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt in Uganda funktioniert<br />

versifizierung der wirtschaftlichen Strukturen.<br />

Eine überbewertete Währung, <strong>die</strong> Exporteuren<br />

schadet, kann <strong>die</strong> Möglichkeiten für Beschäftigungswachst<strong>um</strong><br />

gravierend einschränken.<br />

Der Übergang zur Exportorientierung ist<br />

komplex (und wird an anderer Stelle <strong>um</strong>fassend<br />

erörtert). Aber insbesondere für kleine<br />

Volkswirtschaften setzen makroökonomische<br />

politische Maßnahmen eine Exportorientierung<br />

voraus. In China und der Republik<br />

Korea ging staatlicher Schutz der Inlandsmärkte<br />

mit Exportanreizen einher. Korea gewährte<br />

Exporteuren steuerliche Anreize und<br />

zollfreie Importe von Einsatzmitteln, was <strong>die</strong><br />

Rendite des in erwünschten Sektoren investierten<br />

Kapitals erhöhte.<br />

Zweitens werden in kapitalknappen<br />

Volkswirtschaften Finanzierungsanreize be-<br />

<strong>die</strong> Regierung Handlungskonzepte auf der<br />

Grundlage von vier Säulen, <strong>die</strong> sich in vielfacher<br />

Hinsicht mit den handlungsbezogenen<br />

Dimensionen im Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt<br />

decken. Dazu zählen: <strong>die</strong> Schaffung eines<br />

Rahmens für wirtschaftliche Entwicklung und<br />

den Umbau der Wirtschaft durch makroökonomische<br />

Stabilität, Konzentration auf strategische<br />

Exporte und Förderung des privaten<br />

Sektors. Hierfür wird Uganda wesentlich mehr<br />

ausländische Direktinvestitionen ins Land holen<br />

und seine Wirtschaft diversifizieren müssen.<br />

Weil es ein Binnenstaat ist und daraus<br />

hohe Transportkosten resultieren, sind <strong>die</strong>s<br />

schwierige Aufgaben.<br />

Die vierte Säule betrifft <strong>die</strong> Förderung<br />

guten Regierungs- und Verwaltungshandelns<br />

in Wirtschaftsfragen und wirtschaftliche Sicherheit,<br />

einen Plan zur Modernisierung der<br />

Landwirtschaft, <strong>um</strong> unmittelbar <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

armer Menschen zur Steigerung ihres<br />

Einkommens zu verbessern, und Maßnahmen<br />

zur Verbesserung von Gesundheit, Bildung<br />

sowie Trinkwasser- und Sanitärversorgung,<br />

<strong>um</strong> unmittelbar <strong>die</strong> Lebensqualität armer<br />

Menschen zu erhöhen. Die entscheidende Frage<br />

ist jedoch, ob Uganda in der Lage sein wird,<br />

<strong>die</strong> Investitionen vorzunehmen, <strong>um</strong> <strong>die</strong>se<br />

Strategien <strong>um</strong>zusetzen und <strong>die</strong>se <strong>Ziele</strong> zu<br />

erreichen.<br />

Die Haushaltsplanung wird mit dem Strategiedok<strong>um</strong>ent<br />

zur Armutsbekämpfung in<br />

Übereinstimmung gebracht, und <strong>die</strong> Sozialaus-<br />

nötigt, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Entstehung von Industriezweigen<br />

zu fördern. Eine Reihe politischer Maßnahmen<br />

wurde eingesetzt: gelenkte und subventionierte<br />

Kredite, Unterstützung ausgewählter<br />

Untersektoren, Exportsubventionen,<br />

Institutionen für den Technologieerwerb und<br />

eine Fülle anderer sektorspezifischer Interventionen.<br />

Mehrere südostasiatische Länder haben<br />

Exportkredite und steuerliche Anreize<br />

verwendet, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Renditen von Exportinvestitionen<br />

zu erhöhen. Als relative Nachzügler<br />

spielten jedoch im Allgemeinen ausländische<br />

Direktinvestitionen bei ihnen – und bei China<br />

– eine größere Rolle bei der Förderung der<br />

Exportorientierung als bei den ostasiatischen<br />

Tigerstaaten.<br />

Drittens bedarf es zur Unterstützung solcher<br />

Maßnahmen einer kompetenten, profes-<br />

gaben werden <strong>um</strong> Mittel erhöht, <strong>die</strong> durch<br />

Schuldenerleichterungen frei werden. Nach einer<br />

Schätzung des ugandischen Economic Policy<br />

Research Center aus dem Jahr 2002 würde<br />

<strong>die</strong> Umsetzung der Pläne in dem Dok<strong>um</strong>ent im<br />

Jahr 2003 eine Haushaltslücke von 417 Millionen<br />

US-Dollar oder 6,4 Prozent des BIP verursachen.<br />

Diese Annahme basiert zudem auf einem<br />

recht niedrigen Schätzwert der Kosten für<br />

<strong>die</strong> Gesundheitsversorgung. Die Lücke wäre<br />

noch größer, wenn darüber hinaus <strong>die</strong> Kosten<br />

für das Erreichen der Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

wie Bereitstellung von Wasser- und<br />

Sanitärversorgung, Minderung des Hungers<br />

und Bereitstellung von Infrastruktur berücksichtigt<br />

würden.<br />

Diese Prognosen sind für <strong>die</strong> internationale<br />

Gemeinschaft von großem Wert, weil sie<br />

einen Hinweis auf <strong>die</strong> notwendigen Zusatzausgaben<br />

auf der nationalen Ebene liefern.<br />

Die Ausgaben für HIV/AIDS müssen <strong>um</strong> 83<br />

Prozent, <strong>die</strong> Bildungsausgaben <strong>um</strong> 109 Prozent<br />

und <strong>die</strong> Gesundheitsausgaben <strong>um</strong> 212<br />

Prozent gesteigert werden. Trotz größer Entschlossenheit<br />

und bester Planung auf der Länderebene<br />

werden <strong>die</strong> Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

deshalb unerreichbar bleiben, wenn<br />

sie nicht durch wesentlich größere Mitteltransfers<br />

vonseiten der internationalen Gemeinschaft<br />

unterstützt werden. Diese Transfers<br />

bilden einen wichtigen Aspekt der Rolle<br />

reicher Länder im Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungspakt.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 95


In mehreren neueren ökonometrischen Untersuchungen<br />

wurde versucht, eine systematische<br />

Beziehung zwischen Globalisierung und Wachst<strong>um</strong><br />

nachzuweisen – und zwischen Wachst<strong>um</strong><br />

und Armutsminderung. Die Botschaft <strong>die</strong>ser Untersuchungen<br />

ist klar: Die Öffnung der Volkswirtschaft<br />

und <strong>die</strong> Liberalisierung ziehen Wachst<strong>um</strong><br />

nach sich, und mit dem Wachst<strong>um</strong> geht <strong>die</strong><br />

Verringerung der Armut einher. Diese Forschungsarbeiten<br />

sollen <strong>die</strong> Angriffe gegen <strong>die</strong><br />

Globalisierung z<strong>um</strong> Schweigen bringen und –<br />

wenngleich der Begriff vermieden wird – der seit<br />

langem in Misskredit geratenen Trickle-down-<br />

Wirtschaftstheorie neues Leben einhauchen, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Auffassung vertrat, dass „eine steigende Flut<br />

alle Boote anhebt“.<br />

Die Trickle-down-Wirtschaftstheorie geriet<br />

aus einem offensichtlichen Grund in Misskredit:<br />

Sie war nicht wahr. Manchmal hilft Wachst<strong>um</strong> armen<br />

Menschen, manchmal aber auch nicht. Einigen<br />

Messgrößen zufolge nahm in Lateinamerika<br />

<strong>die</strong> Armut in den neunziger Jahren zu. Dies galt<br />

sogar für viele Länder, <strong>die</strong> Wachst<strong>um</strong> verzeichneten.<br />

Es war nicht nur so, dass reiche Menschen<br />

unverhältnismäßig vom Wachst<strong>um</strong> profitierten –<br />

ihre Gewinne könnten z<strong>um</strong> Teil sogar auf Kosten<br />

armer Menschen gegangen sein.<br />

Bei <strong>die</strong>sen neueren Untersuchungen gibt es<br />

eine Reihe technischer Probleme. Das aufschlussreichste<br />

Problem besteht jedoch darin, dass darin<br />

<strong>die</strong> falschen Fragen gestellt wurden: Globalisierung<br />

und Wachst<strong>um</strong> sind endogen, das Ergebnis<br />

bestimmter politischer Maßnahmen. Es geht<br />

nicht dar<strong>um</strong>, ob Wachst<strong>um</strong> gut oder schlecht ist,<br />

sondern ob bestimmte politische Maßnahmen –<br />

einschließlich solcher, <strong>die</strong> vielleicht zu engerer<br />

globaler Integration führen – zu Wachst<strong>um</strong><br />

führen und ob <strong>die</strong>se politischen Maßnahmen zu<br />

der Art von Wachst<strong>um</strong> führen, das das Wohlergehen<br />

armer Menschen verbessert. Ein Blick auf<br />

<strong>die</strong> erfolgreichsten Länder – beim Wachst<strong>um</strong> und<br />

bei der Armutsbekämpfung – zeigt, wie irreführend<br />

<strong>die</strong>se Untersuchungen sind.<br />

China und andere ostasiatische Länder haben<br />

sich nicht an den Washingtoner Konsens gehalten.<br />

Sie haben Zollschranken nur langsam abgebaut,<br />

und China hat seinen Kapitalverkehr immer<br />

noch nicht vollständig liberalisiert. Obwohl<br />

<strong>die</strong> ostasiatischen Länder „globalisiert“ haben,<br />

ergriffen sie gegen den Rat der internationalen<br />

ökonomischen Institutionen industrie- und handelspolitische<br />

Maßnahmen, <strong>um</strong> Exporte und den<br />

globalen Technologietransfer zu fördern. Am<br />

wichtigsten war vielleicht jedoch, dass im Gegensatz<br />

z<strong>um</strong> Washingtoner Konsens politische Maßnahmen<br />

zur Förderung der Gerechtigkeit ein expliziter<br />

Bestandteil ihrer Entwicklungsstrategien<br />

war. Das gleiche gilt möglicherweise für das<br />

SONDERBEITRAG<br />

Armut, Globalisierung und Wachst<strong>um</strong>: Ausblicke auf einige der statistischen Verknüpfungen<br />

erfolgreichste Land in Lateinamerika, Chile, das<br />

in der Zeit seines hohen Wachst<strong>um</strong>s Anfang der<br />

1990er Jahre in der Tat eine Steuer auf kurzfristige<br />

Kapitalzuflüsse erhob.<br />

Die Politik steht nicht vor der Entscheidung,<br />

„Globalisierung ja oder nein“ oder „Wachst<strong>um</strong> ja<br />

oder nein“. In manchen Fällen geht es nicht einmal<br />

<strong>um</strong> „Liberalisierung ja oder nein“. Stattdessen<br />

muss sie beschließen, den Kapitalverkehr kurzfristig<br />

zu liberalisieren, und sich anschließend fragen,<br />

wie sie das am besten bewerkstelligt. Mit welchem<br />

Tempo soll der Handel liberalisiert werden,<br />

und welche politischen Maßnahmen sollten damit<br />

einhergehen? Gibt es Wachst<strong>um</strong>sstrategien zu<br />

Gunsten der Armen, <strong>die</strong> über <strong>die</strong> Förderung des<br />

Wachst<strong>um</strong>s hinaus mehr leisten, damit <strong>die</strong> Armut<br />

verringert werden kann? Und gibt es Wachst<strong>um</strong>sstrategien,<br />

<strong>die</strong> nicht nur das Wachst<strong>um</strong> fördern,<br />

sondern auch zu mehr Armut führen – Strategien,<br />

<strong>die</strong> gemieden werden sollten?<br />

Beispielsweise unterstützen keine Theorie<br />

und keine Belege <strong>die</strong> These, dass <strong>die</strong> Öffnung der<br />

Märkte für kurzfristige, spekulative Kapitalzuflüsse<br />

das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong> steigert. Es<br />

gibt jedoch zahlreiche Belege und Arg<strong>um</strong>ente<br />

dafür, dass sie <strong>die</strong> wirtschaftliche Instabilität vergrößern<br />

und dass wirtschaftliche Instabilität zu<br />

Unsicherheit und Armut beiträgt. Deshalb könnten<br />

solche Formen der Kapitalmarktliberalisierung<br />

auf manche Weise zu mehr "Globalisierung"<br />

führen. Sie führen jedoch nicht zu mehr<br />

Wachst<strong>um</strong>. Und selbst wenn das Wachst<strong>um</strong> geringfügig<br />

zunehmen würde, könnte <strong>die</strong>se Form<br />

insbesondere in Ländern ohne angemessene Netze<br />

der sozialen Sicherheit <strong>die</strong> Armut vergrößern.<br />

In ähnlicher Weise soll <strong>die</strong> Handelsliberalisierung<br />

Ressourcen aus geschützten Sektoren mit<br />

niedriger Produktivität in Exportsektoren mit hoher<br />

Produktivität verlagern. Aber was geschieht,<br />

wenn Exportmärkte in Bereichen mit komparativem<br />

Vorteil (wie für Agrarerzeug<strong>nisse</strong>) in der Praxis<br />

geschlossen sind oder <strong>die</strong> zur Schaffung der<br />

neuen Arbeitsplätze im Exportsektor benötigten<br />

Kredite nicht (oder nur zu exorbitanten Zinssätzen)<br />

verfügbar sind? Dann verlieren Arbeitnehmer<br />

ihre geschützten Arbeitsplätze in Sektoren<br />

mit niedriger Produktivität und werden arbeitslos.<br />

Das Wachst<strong>um</strong> wird nicht gesteigert, und <strong>die</strong><br />

Armut nimmt zu.<br />

Selbst häufig gepriesene Maßnahmen wie <strong>die</strong><br />

Tarifizierung haben sich als zweischneidiges<br />

Schwert erwiesen, weil sie <strong>die</strong> Entwicklungsländer<br />

zusätzlichen Risiken ausgesetzt haben, für deren<br />

Bewältigung sie schlecht gerüstet sind. Zudem<br />

ist erneut nicht klar, ob <strong>die</strong> Tarifizierung zu<br />

rascherem Wachst<strong>um</strong> führt. Viel mehr Belege<br />

gibt es jedoch dafür, dass <strong>die</strong> höhere Variabilität<br />

<strong>die</strong> Armut vergrößert.<br />

Es gibt politische Maßnahmen, <strong>die</strong> auf lange<br />

Sicht vielleicht das Wachst<strong>um</strong> steigern und <strong>die</strong><br />

Armut verringern. Dazu zählt <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der Bildungschancen für benachteiligte Gruppen,<br />

was Ländern ermöglicht, einen riesigen Bestand<br />

an zu wenig genutzten Befähigungen anzuzapfen.<br />

Aber <strong>die</strong> Erträge aus Investitionen in <strong>die</strong> Vorschulbildung<br />

heute werden sich erst in zwei Jahrzehnten<br />

oder noch später einstellen. Dies ist nicht<br />

<strong>die</strong> Art von Ergeb<strong>nisse</strong>n, <strong>die</strong> gewöhnlich in ökonometrischen<br />

Untersuchungen erscheinen.<br />

In <strong>die</strong>sen ökonometrischen Globalisierungsstu<strong>die</strong>n<br />

verbirgt sich unter der Oberfläche ein anderer<br />

Subtext: Weil <strong>die</strong> Globalisierung so positive<br />

Auswirkungen auf das Wachst<strong>um</strong> und <strong>die</strong> Armutsbekämpfung<br />

hatte, müssen ihre Kritiker irren.<br />

Aber <strong>die</strong>se Querschnittuntersuchungen können<br />

nicht <strong>die</strong> grundlegendste Kritik an der Globalisierung<br />

widerlegen, wie sie praktiziert wurde:<br />

dass sie unfair ist und ihre Vorteile unverhältnismäßig<br />

oft reichen Menschen zugute gekommen<br />

sind. Nach der letzten Verhandlungsrunde z<strong>um</strong><br />

Welthandel, der Uruguay-Runde, wies eine Untersuchung<br />

der Weltbank nach, dass Afrika südlich<br />

der Sahara schlechter da stand als zuvor. Die<br />

asymmetrische Liberalisierung hatte globale Auswirkungen<br />

auf <strong>die</strong> Austauschrelationen. Den<br />

Globalisierungsstu<strong>die</strong>n zufolge musste Afrika<br />

dafür büßen, dass es nicht an der Globalisierung<br />

teilnahm. Das mag teilweise stimmen. Es ist jedoch<br />

auch wahr, dass <strong>die</strong> Art und Weise, wie <strong>die</strong><br />

Globalisierung gesteuert wurde, Afrika benachteiligt<br />

hat.<br />

Von daher waren <strong>die</strong>se ökonometrischen<br />

Untersuchungen zu Globalisierung, Wachst<strong>um</strong><br />

und Armut ein irreführendes Ablenkungsmanöver.<br />

Sie lenkten <strong>die</strong> Debatte von den richtigen<br />

Fragen ab, über <strong>die</strong> diskutiert werden sollte:<br />

nach der Angemessenheit bestimmter politischer<br />

Maßnahmen für bestimmte Länder, nach den<br />

Möglichkeiten, <strong>die</strong> Globalisierung zu gestalten<br />

(und auch nach den Spielregeln) und nach internationalen<br />

ökonomischen Institutionen zur besseren<br />

Wachst<strong>um</strong>sförderung und Armutsbekämpfung<br />

in den Entwicklungsländern. Der Antiglobalisierungsbewegung<br />

wurde oft Gedankenlosigkeit<br />

vorgeworfen, wenn sie einfach fragte, ob <strong>die</strong> Globalisierung<br />

gut oder schlecht sei. Aber trotz all<br />

der scheinbaren Komplexität ihrer Statistiken<br />

sind <strong>die</strong> ökonometrischen Stu<strong>die</strong>n genauso schuldig.<br />

Joseph E. Stiglitz<br />

Nobelpreisträger für Wirtschaft, 2002<br />

96 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


sionellen, ausreichend unabhängigen staatlichen<br />

Bürokratie. Unsachgemäße Einmischung<br />

der Politik hat staatlichen Institutionen geschadet<br />

und in einigen Fällen zu Staatsversagen<br />

geführt. Die Reaktion sollte nicht sein,<br />

den Staat abzuschaffen. Die Wiederbelebung<br />

staatlicher Institutionen kann unabhängig davon,<br />

wie schwierig <strong>die</strong>s sein mag, eine entscheidende<br />

Voraussetzung zur Beseitigung<br />

von Wachst<strong>um</strong>sschranken sein, <strong>die</strong> durch das<br />

Regierungs- und Verwaltungshandeln in Wirtschaftsfragen<br />

bedingt sind (siehe Feature 3.1).<br />

Die Beschäftigungspolitik für den öffentlichen<br />

Sektor ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang von<br />

Interesse. Der Staat kann kein „employer of<br />

last resort“ sein. In Ostasien bewirken recht<br />

hohe Gehälter im öffentlichen Dienst, insbesondere<br />

für Leitungsfunktionen, dass er für<br />

qualifizierte Kräfte attraktiv ist und bleibt.<br />

Diese technokratischen Gruppen sind relativ<br />

frei von politischen Zwängen, was zu klaren<br />

Entscheidungsprozessen beiträgt und Marktvertrauen<br />

schafft. Dies in richtige Bahnen zu<br />

lenken, war genauso wichtig wie jede politische<br />

Intervention, weil <strong>die</strong> „richtigen“ politischen<br />

Maßnahmen bei fehlender institutioneller<br />

Kohärenz widersinnige Effekte haben können.<br />

Viertens muss der öffentliche Sektor den<br />

privaten Sektor unterstützen und stärken, statt<br />

mit ihm zu konkurrieren. Öffentliche Organe<br />

können private Kapazität in mehrfacher Weise<br />

unterstützen. Japan, <strong>die</strong> Republik Korea, Malaysia<br />

und Thailand richteten formelle Beiräte<br />

ein, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Informations- und Transaktionskosten<br />

privater Akteure zu verringern. Für <strong>die</strong><br />

Technologiepolitik wird eine neue Form von<br />

Beirat genutzt. In Costa Rica und Irland verbinden<br />

Technologie-Foresight-Programme<br />

und -Prozesse Ministerien, den privaten Sektor,<br />

internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Informations-<br />

und Transaktionskosten zu senken – und<br />

<strong>um</strong> Einvernehmen über <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

nationalen technologischen Kapazität zu erzielen.<br />

Diese Organe können insbesondere für<br />

<strong>die</strong> Entwicklung kleiner und mittlerer exportorientierter<br />

Unternehmen von Bedeutung<br />

sein. Außerdem sollten Anstrengungen hin zu<br />

größerer sozialer Verantwortung und Trans-<br />

parenz von Unternehmen unternommen werden.<br />

Internationalen privaten Unternehmen<br />

kommt auch eine wichtige Rolle bei der Förderung<br />

der Kapitalbildung und der Entwicklung<br />

des privaten Sektors vor Ort zu. Dies hat<br />

erwünschte Auswirkungen auf <strong>die</strong> Entstehung<br />

zusätzlicher Arbeitsplätze in den lokalen Arbeitsmärkten.<br />

Schlussendlich kann Wachst<strong>um</strong><br />

zu Gunsten der Armen durch ambitioniertere<br />

Partnerschaften zwischen dem privaten und<br />

dem öffentlichen Sektor, insbesondere beim<br />

Bau von Basisinfrastruktur und der Bereitstellung<br />

von Diensten in Entwicklungsregionen<br />

(beispielsweise Stromversorgung) erreicht<br />

werden.<br />

POLITISCHE MASSNAHMEN AUSSERHALB<br />

DER INDUSTRIEGÜTERPRODUKTION<br />

Die vorgenannten Maßnahmen zur industriellen<br />

Entwicklung können helfen, den Wachst<strong>um</strong>smotor<br />

einer Volkswirtschaft zu entwickeln.<br />

Aber viele arme Menschen, wenn<br />

nicht gar <strong>die</strong> meisten, arbeiten außerhalb der<br />

Industriegüterproduktion – insbesondere in<br />

den frühen Entwicklungssta<strong>die</strong>n. Genauso,<br />

wie Maßnahmen zur industriellen Entwicklung<br />

ergriffen werden, bedarf es daher politischer<br />

Maßnahmen, <strong>um</strong> ihren Bedarf zu<br />

decken.<br />

Erstens braucht <strong>die</strong> Regierung ein wirksames<br />

Steuersystem, <strong>um</strong> genug Einnahmen zu<br />

erzielen, <strong>die</strong> sie in den Grundbedarf armer<br />

Menschen investieren kann. In den ärmsten<br />

Ländern erfordert <strong>die</strong>s nicht nur höhere<br />

Staatseinnahmen, <strong>die</strong> klug investiert werden,<br />

sondern auch mehr Finanzhilfe der Geber.<br />

Ein wirksames Steuersystem ist nicht gleichbedeutend<br />

mit höheren Steuern. Ein sinnvollerer<br />

Weg ist, relativ niedrige Sätze für <strong>die</strong> direkte<br />

Einkommensteuer einzuführen, dabei aber<br />

gleichzeitig auf <strong>die</strong> Steuerehrlichkeit zu pochen<br />

und Missbrauch sowie politisch motivierte<br />

Ausnahmeregelungen abzuschaffen. Ein<br />

großes Einnahmenproblem in vielen Ländern<br />

ist, dass reiche Menschen einfach keine direkten<br />

Steuern zahlen.<br />

Zweitens sollten Ländern mit vielen Bauern<br />

in <strong>die</strong> Steigerung der landwirtschaftlichen<br />

Produktivität und <strong>die</strong> Diversifizierung von<br />

Ein großes<br />

Einnahmenproblem in<br />

vielen Ländern ist, dass<br />

reiche Menschen einfach<br />

keine direkten Steuern<br />

zahlen<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 97


Feldfrüchten für Exportmärkte investieren.<br />

(In Kapitel 4 wird <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />

detaillierter analysiert.) Solche<br />

Bemühungen könnten <strong>die</strong> Entwicklung standortspezifischer<br />

Saat- und Bodennährstoffstrategien<br />

<strong>um</strong>fassen, <strong>um</strong> unter den örtlichen<br />

Gegebenheiten hohe Erträge zu erzielen. Regierungen<br />

können Exporteuren auch finanzielle<br />

Anreize und Vertriebsunterstützung bieten,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> z<strong>um</strong> Verkauf bestimmten Feldfrüchte<br />

zu diversifizieren. Sie könnten Bauern<br />

in Gebieten mit fragilen Märkten auch Mindestpreise<br />

garantieren. Thailand tat <strong>die</strong>s<br />

während des Übergangs von traditionellen<br />

Feldfrüchten zu ausgefalleneren Arten für den<br />

Export wie Spargel, der im Land nicht kons<strong>um</strong>iert<br />

wird.<br />

Drittens müssen politische Maßnahmen<br />

den Zugang armer Menschen zu wirtschaftlichen<br />

Aktiva sicherstellen. Ohne Aktiva können<br />

arme Menschen nicht an Märkten teilnehmen.<br />

Sie benötigen Grund und Boden, Finanzen<br />

und Qualifikationen – und öffentliches<br />

Handeln, <strong>um</strong> sie zu erwerben. Investitionen in<br />

<strong>die</strong> menschliche Entwicklung zur Erweiterung<br />

der sozialen Aufstiegschancen für alle ist eines<br />

der sechs Bündel politischer Maßnahmen, <strong>die</strong><br />

in Kapitel 4 erörtert werden. Wir konzentrieren<br />

uns hier auf Grund und Boden und Finanzen.<br />

Zugang zu Grund und Boden. Mehr als<br />

500 Millionen Menschen oder etwa 100 Millionen<br />

Haushalte in Entwicklungsländern fehlen<br />

Eigent<strong>um</strong>s- oder Besitzrechte an dem<br />

Grund und Boden, den sie bestellen. Die meisten<br />

sind Pachtbauern, Landarbeiter oder<br />

frühere Kolchosenarbeiter. In <strong>die</strong>se Gruppe<br />

fallen auch Agrarhaushalte mit unsicheren<br />

Nutzungsrechten wie Sl<strong>um</strong>bewohner oder Inhaber<br />

von Gewohnheits- oder überlieferten<br />

Rechten, <strong>die</strong> keine formellen Rechte an dem<br />

von ihnen besetzten Land haben.<br />

Fehlende formelle gesetzlich verbriefte<br />

Rechte an Grund und Boden schränken <strong>die</strong><br />

Fähigkeit <strong>die</strong>ser Menschen ein, Einkommen<br />

zu erzeugen und ihren Lebensunterhalt zu<br />

ver<strong>die</strong>nen, was das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong><br />

untergräbt. Weil Grund und Boden ihre<br />

Haupterwerbsquelle ist und Sicherheit und<br />

gesellschaftlichen Status verleiht, würde <strong>die</strong><br />

Legalisierung ihrer Besitzrechte durch eine<br />

Agrarreform mehreren Zwecken <strong>die</strong>nen:<br />

• Die Schaffung übertragbarer Rechte an<br />

Grund und Boden mit bestimmbarem Marktwert<br />

macht Grund und Boden zu einem generationsübergreifenden<br />

Aktivposten.<br />

• Kleinere Betriebe sind pro Hektar oft produktiver<br />

als große, insbesondere wenn sie in<br />

Familienbesitz sind und von Familien bewirtschaftet<br />

werden. 11<br />

• Grundbesitzer haben einen Anreiz und<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit, langfristige Kapitalinvestitionen<br />

zu tätigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> landwirtschaftliche Produktivität<br />

unmittelbar steigern.<br />

• Der Zugang zu Grund und Boden verbessert<br />

<strong>die</strong> Ernährung von Haushalten – und erhöht<br />

bei manchen Agrarhaushalten das außerlandwirtschaftliche<br />

Einkommen.<br />

• Gesetzlich fest verbriefte Besitzrechte für<br />

Frauen, <strong>die</strong> oft <strong>die</strong> Nahrungsmittelerzeuger in<br />

einem Haushalt sind, führen zu gerechterer<br />

Einkommens- und Wohlfahrtsverteilung.<br />

• Sichere Rechte stärken das Umweltmanagement<br />

und erhöhen <strong>die</strong> Beteiligung der Gemeinschaft.<br />

Obwohl – wie viele Erfahrungen in den<br />

siebziger und achtziger Jahren gezeigt haben –<br />

Bodenreformen politisch <strong>um</strong>stritten und<br />

schwierig durchzuführen waren, sind sie auf<br />

Grund ihrer engen Verknüpfung mit der Gerechtigkeitsfrage<br />

in vielen Ländern wie Brasilien<br />

und China auf <strong>die</strong> politische Tagesordnung<br />

zurückgekehrt.<br />

Damit <strong>die</strong> meisten Menschen in den<br />

Genuss der Vorteile gesicherten Grundbesitzes<br />

kommen können, müssen solche Rechte<br />

auf einer breiten Basis gewährt werden,<br />

und zwar insbesondere weiblichen Mitgliedern<br />

von Agrarhaushalten. Außerdem sollten<br />

private Grundbesitzer, deren Boden <strong>um</strong>verteilt<br />

wird, angemessen entschädigt werden.<br />

Ebenso sollten Reformen im Bereich<br />

der gewohnheitsmäßigen Bodennutzungssysteme<br />

vorgenommen werden, damit Grundbesitzer<br />

mit überlieferten Rechten <strong>die</strong>se<br />

nicht verlieren. Die potenziellen Nutznießer<br />

sollten in <strong>die</strong> Planungen solcher Reformen<br />

einbezogen werden. Letzter Punkt: Die<br />

begleitenden Bestimmungen sollten <strong>die</strong> sichere<br />

Nutzung gewährleisten und <strong>die</strong> richtigen<br />

98 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


Anreize beinhalten, damit <strong>die</strong> Übertragung<br />

von Grundbesitz oder Nutzungsrechten<br />

tatsächlich und nicht nur auf dem Papier<br />

erfolgt.<br />

Zugang zu Krediten. Mikrofinanzinstitutionen<br />

– sowohl Mikrokredit- als auch Mikrosparinstitutionen<br />

– bieten armen Menschen<br />

einen Weg, sich Kapital zu beschaffen und<br />

Kapital zu akk<strong>um</strong>ulieren. Sie ermutigen Kreditnehmer,<br />

in produktive Aktivitäten zu<br />

investieren, und Sparer, Kapital zu akk<strong>um</strong>ulieren<br />

und Zinsen zu ver<strong>die</strong>nen. Kreditnehmer<br />

können <strong>die</strong> Mittel auch verwenden,<br />

<strong>um</strong> Einkommensflüsse zu glätten und wirtschaftliche<br />

Entscheidungen über längere<br />

Zeiträ<strong>um</strong>e zu planen. Die Zahl der armen<br />

Menschen mit Zugang zu Mikrokreditprogrammen<br />

stieg von 7,6 Millionen im Jahr<br />

1997 auf 26,8 Millionen im Jahr 2001.<br />

21,0 Millionen davon waren Frauen, <strong>die</strong> auf<br />

<strong>die</strong>se Weise über Mittel verfügten, wirtschaftliche<br />

Entscheidungen treffen konnten und<br />

<strong>die</strong> Kontrolle über ihr Leben gewonnen haben.<br />

12 Manchen Schätzungen zufolge könnten<br />

jedes Jahr 5 Prozent der Teilnehmer an<br />

Mikrofinanzprogrammen ihre Familien aus<br />

der Armut befreien. 13<br />

Aus einem makroökonomischen Blickwinkel<br />

sind Mikrofinanzinstitutionen nützlich,<br />

<strong>um</strong> Kreditmittel für arme Menschen zu kanalisieren<br />

und entstehen zu lassen. Sie bleiben ein<br />

wichtiges politisches Instr<strong>um</strong>ent für <strong>die</strong> Verringerung<br />

der Armut im großen Maßstab. Ihr<br />

Erfolg hängt jedoch vom Programm, der teilnehmenden<br />

Gemeinschaft und der Unterstüt-<br />

zung durch Geber, der Gebietskörperschaft<br />

und der verwaltenden Behörde ab. Ihre Ausweitung<br />

hängt von makroökonomischer Stabilität,<br />

der Gesundheit, Absicherung und Wirksamkeit<br />

des Finanzsektors und (langfristig)<br />

von der Fähigkeit der Regierung ab, arme<br />

Menschen durch den Finanzsektor landesweit<br />

zu erreichen.<br />

* * *<br />

Dieses Kapitel beleuchtet <strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Probleme, <strong>die</strong> das wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong><br />

in den Ländern mit höchster und hoher<br />

Priorität für <strong>die</strong> Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungsziele<br />

erschweren. Es bietet zudem praktische<br />

Ratschläge zur Überwindung <strong>die</strong>ser Probleme.<br />

Diese Länder müssen weit über Marktreformen<br />

hinausschauen, <strong>um</strong> <strong>die</strong> grundlegenden<br />

Herausforderungen auf Grund von weitverbreiteten<br />

Krankheiten, geografischer Isolation,<br />

schlechter Infrastruktur, geringem H<strong>um</strong>ankapital<br />

und begrenzten Märkten bewältigen<br />

zu können. Es bedarf dort <strong>um</strong>fangreicher<br />

Investitionen der öffentlichen Hand, <strong>um</strong> <strong>die</strong><br />

grundlegenden Mindeststandards für Gesundheit,<br />

Bildung und andere Ergeb<strong>nisse</strong> zu<br />

erreichen. Weil <strong>die</strong>se Länder zu arm sind, <strong>um</strong><br />

<strong>die</strong>se Investitionen finanzieren zu können,<br />

müssen <strong>die</strong> reichen Länder ihre Zusagen im<br />

Zusammenhang mit den Millenni<strong>um</strong>s-Entwicklungszielen<br />

einhalten und helfen, zentrale<br />

Investitionen der öffentlichen Hand zu finanzieren,<br />

<strong>die</strong> langfristige Erfolge bei der wirtschaftlichen<br />

und menschlichen Entwicklung<br />

herbeiführen werden.<br />

Dieses Kapitel beleuchtet<br />

<strong>die</strong> strukturbedingten<br />

Probleme, <strong>die</strong> das<br />

wirtschaftliche Wachst<strong>um</strong><br />

in den Ländern mit<br />

höchster und hoher<br />

Priorität für <strong>die</strong><br />

Millenni<strong>um</strong>s-<br />

Entwicklungsziele<br />

erschweren<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 99


Feature 3.1 Entwicklungsprobleme – aus dem Blickwinkel der Geografie<br />

Auf der ersten Karte sind <strong>die</strong> Länder auf der Welt in fünf<br />

Kategorien unterteilt. Die erste bilden <strong>die</strong> dunkelblau dargestellten<br />

Länder, <strong>die</strong> ein hohes Maß an wirtschaftlicher Innovation<br />

zeigen, gemessen anhand der Zahl der Patente pro<br />

eine Million Einwohner. Dabei handelt es sich im Allgemeinen<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Länder mit hohem Einkommen. Die zweite<br />

Gruppe bilden <strong>die</strong> mittelblau dargestellten Industriegüter<br />

exportierenden Entwicklungsländer. Dies sind <strong>die</strong> sich entwickelnden<br />

Volkswirtschaften, deren Exporte im Jahr 1995<br />

zu mindestens 50 Prozent auf das verarbeitende Gewerbe<br />

entfielen. Die dritte Gruppe bilden <strong>die</strong> blaugrau dargestellten<br />

Erdöl exportierenden Volkswirtschaften. Die vierte<br />

Gruppe bilden <strong>die</strong> grau dargestellten Transformationsländer<br />

und <strong>die</strong> fünfte Gruppe <strong>die</strong> auf der Karte schwarz dargestellten<br />

Entwicklungsländer, <strong>die</strong> andere Rohstoffe als Erdöl<br />

exportieren.<br />

Die zweite Karte veranschaulicht <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen<br />

Wachst<strong>um</strong>s im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998. Dabei<br />

wird als Maß das konstante Pro-Kopf-BSP, <strong>um</strong>gerechnet auf<br />

Kaufkraftparitäten verwendet. Man beachte <strong>die</strong> bemerkenswerte<br />

Ähnlichkeit mit der ersten Karte. Die dunkelblau dargestellten<br />

Länder mit entweder einem hohen Maß an Innovation<br />

oder Industriegüterexporten wiesen im Allgemeinen<br />

Wachst<strong>um</strong> auf, während <strong>die</strong> andere Gruppe von Ländern<br />

(Erdöl exportierende Länder, Transformationsländer und<br />

Rohstoffe exportierende Länder) im Allgemeinen wirtschaftlichen<br />

Niedergang verzeichneten. Zu den wachsenden<br />

Volkswirtschaften zählen <strong>die</strong> Großregionen Nordamerika,<br />

Westeuropa, Ozeanien, Ostasien und Südasien. Die rückläufigen<br />

Länder finden sich vor allem in Afrika südlich der Sahara,<br />

der früheren Sowjetunion, im erdölreichen Nahen<br />

Osten und in Teilen von Lateinamerika, vor allem in den Anden<br />

und in Mittelamerika. Afrika südlich der Sahara ist <strong>die</strong><br />

Weltregion mit dem schlechtesten Ergebnis: Zwei Drittel<br />

der Länder und drei Viertel der Bevölkerung erlebten dort<br />

im Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998 wirtschaftlichen Niedergang<br />

statt wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong>s.<br />

Tabelle 1 schlüsselt <strong>die</strong> Muster des wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong>s<br />

nach der wirtschaftlichen Struktur des Landes auf.<br />

Wenn wir <strong>die</strong> Länder in <strong>die</strong>selben fünf Kategorien wie in<br />

Karte 1 einteilen, erkennen wir, dass sich <strong>die</strong> Hauptprobleme<br />

beim wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong> in drei Arten von<br />

Volkswirtschaften stellen: den sowjetischen (und postsowjetischen)<br />

Volkswirtschaften, <strong>die</strong> in den neunziger Jahren in<br />

den Übergang zur Marktwirtschaft eintraten, den Erdöl exportierenden<br />

Volkswirtschaften, <strong>die</strong> auf Grund ihres einzigen<br />

oder dominierenden Exportguts einen riesigen Kaufkraftverlust<br />

hinnehmen mussten, und den Rohstoffe exportierenden<br />

Entwicklungsländern. Die meisten der Rohstoffe<br />

exportierenden Länder liegen in Afrika südlich der Sahara,<br />

Lateinamerika und Zentralasien. Die Volkswirtschaften mit<br />

einem hohen Maß an Innovation und <strong>die</strong> Industriegüter exportierenden<br />

Länder unter den Entwicklungsländern haben<br />

im Großen und Ganzen wirtschaftliches Wachst<strong>um</strong> verzeichnet.<br />

KARTE 1<br />

Klassifikation der Länder nach ihrer wirtschaftlichen Struktur, 1995<br />

Technologische Innovationen, hoher Stand an Patenten<br />

Industriegüter exportierender Länder<br />

Erdöl exportierende Länder<br />

Transformationsländer<br />

Rohstoffe (außer Erdöl) exportierende Länder<br />

KARTE 2<br />

Klassifikation der Ländern nach durchschnittlicher jährlicher Pro-Kop-BIP<br />

Wachst<strong>um</strong>srate, 1990<br />

KKP Dollars, 1980–98<br />

Pro-Kopf-BIP-Wachst<strong>um</strong>srate<br />

größer als 2,5 Prozent<br />

kleiner als -2,5 Prozent<br />

zwischen 0 und 2,5 Prozent keine Daten<br />

zwischen -2,5 und 0 Prozent<br />

Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank 2003i.<br />

TABELLE 1<br />

Wirtschaftswachst<strong>um</strong>sraten nach Ländergruppen, 1980-98<br />

Zahl der Länder mit Durchschnittliches Pro-Kopf-<br />

Gruppe wachsendendem Pro-Kopf-BIP BIP-Wachst<strong>um</strong> (in Prozent)<br />

Reiche Volkswirtschaften 18 von 18 1,7<br />

Transformationsländer 4 von 12 –1,7<br />

Erdöl exportierende Länder 2 von 13 –1,5<br />

Industriegüter exportierende Länder 23 von 24 2,7<br />

Rohstoffe exportierende Länder 29 von 61 –0,1<br />

Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />

Quelle: Maddison 2001; World Bank 2002j.<br />

100 BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2003


TABELLE 2<br />

Wirtschaftswachst<strong>um</strong>sraten nach Bevölkerungsgröße und geografischer<br />

Lage, 1980-98<br />

Kleine Länder Große Länder<br />

Durchschnittliches Bevölkerung Bevölkerung<br />

jährliches in Ländern Durchschnittliches in Ländern<br />

Zahl der Pro-Kopf-BIP mit positivem Zahl jährliches mit positivem<br />

Länder mit Wachst<strong>um</strong> Wachst<strong>um</strong> Länder mit Pro-Kopf-BIP Wachst<strong>um</strong><br />

Geografische wachsendem 2001, 2001 wachsendem Wachst<strong>um</strong> 2001<br />

Lage Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen) Pro-Kopf-BIP (in Prozent) (Millionen)<br />

Binnenländer 24 von 53 –0.2 379 von 799 10 von 10 2.5 3,087 von 3,087<br />

Küstenländer 15 von 17 1.9 118 von 130 3 von 4 3.2 341 von 418<br />

Anmerkung: Das Pro-Kopf-BIP wird in der Kaufkraftparität gemessen.<br />

Quelle: Maddison 2001; Gallup, Sachs und Mellinger 1999; World Bank 2003i.<br />

Tabelle 2 veranschaulicht Muster wirtschaftlichen Wachst<strong>um</strong>s<br />

aus einem anderen Blickwinkel, dem der Geografie.<br />

Diese Tabelle zeigt <strong>die</strong> Wachst<strong>um</strong>squoten für alle Entwicklungsländer,<br />

Transformationsländer und nicht Erdöl exportierenden<br />

Länder mit verfügbaren Daten. Die Länder sind<br />

darin nach der Größe ihrer Bevölkerung und der Konzentration<br />

der Bevölkerung nahe Seehandelsrouten unterteilt.<br />

„Kleine Länder“ sind solche mit einer Bevölkerung von weniger<br />

als 40 Millionen Menschen im Jahr 1990, „Binnenländer“<br />

solche, in denen mehr als 75 Prozent der Bevölkerung<br />

in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer von der<br />

Küste lebt. Die Daten machen deutlich, wie <strong>die</strong> Gruppen<br />

der Länder, <strong>die</strong> entweder groß oder Küstenländer sind, im<br />

Zeitra<strong>um</strong> von 1980 bis 1998 im Durchschnitt ein systematisches<br />

wirtschaftliches Pro-Kopf-Wachst<strong>um</strong> erzielten. Die<br />

Länder, <strong>die</strong> klein und Binnenländer sind, waren im selben<br />

Zeitra<strong>um</strong> in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich weniger<br />

erfolgreich.<br />

Weil 33 der 53 Länder, <strong>die</strong> als klein und als Binnenland<br />

eingestuft wurden, in Afrika liegen, sind <strong>die</strong> Ergeb<strong>nisse</strong><br />

für <strong>die</strong>sen Kontinent von besonderer Relevanz.<br />

Quelle: McArthur und Sachs 2002; World Bank 2002j, 2003i; IMF 2002b;<br />

Maddison 2001.<br />

STRUKTURBEDINGTE WACHSTUMSHINDERNISSE ÜBERWINDEN, UM DIE ZIELE ZU ERREICHEN 101

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