Michael Haneke - Filmarchiv Austria
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sublimen Schocks – beispielsweise mittels extremer<br />
Zeitdehnungen, die viele einstellungen oft ins Un-<br />
erträgliche steigern. Der Zuschauer soll sich gegen<br />
seine Filme zur Wehr setzten. Das ist <strong>Haneke</strong>s<br />
erklärte Absicht. lösungen, sprich, Auswege bietet<br />
er konsequenterweise keine an. Seine Filme sollen<br />
im Kopf des Zuschauers weitergehen und ihn zur<br />
erkenntnis zwingen. in seiner »Gewalt-Parodie«<br />
FUnnY GAMeS (wie auch, klarerweise, in seinem<br />
Shot-by-Shot-Remake FUnnY GAMeS U.S.) wendet<br />
sich einer der beiden Wohlstandsbengel, die eine<br />
Kleinfamilie auf Sommerfrische mit einem absolut<br />
tödlichen Spiel überraschen, sogar direkt an das<br />
Publikum und macht es so zum Komplizen ihrer<br />
Grausamkeit. <strong>Haneke</strong> will denn auch seinen Film als<br />
»Watschn’« verstanden wissen, die der Zuschauer<br />
für seine Schau- und folglich auch Gewaltlust<br />
kassiert. es sind nicht zuletzt Provokationstakti-<br />
ken wie diese, die ihn – neben seiner etikettierung<br />
als hoffnungsloser Sozial- und Kulturpessimist –<br />
jahrelang in den Verruf der überzogenen (Kino-)<br />
Pädagogik gebracht hat. Aber <strong>Haneke</strong> hat, das sagt<br />
er selbst, nichts dagegen, der »böse Unke« zu sein.<br />
er versteht sich als Aufklärer und Moralist, der<br />
seine Anliegen mit der nötigen ernsthaftigkeit und<br />
Dringlichkeit formuliert.<br />
MicHAel HAneKe<br />
DIE REBELLION | A 1993<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, Jahrgang 1942, hat seine Karriere<br />
beim Südwestfunk in Baden-Baden begonnen, wo<br />
er ende der Sechziger als Redakteur Dramaturg<br />
in der Abteilung »Fernsehspiel« engagiert wurde.<br />
Darüber hinaus betätigte er sich auch als Theater-<br />
regisseur und wechselte zwischenzeitlich zur Gänze<br />
ins Bühnenfach. 1974 drehte er für den SWR seinen<br />
ersten Fernsehfilm UnD WAS KOMMT DAnAcH?<br />
(AFTeR liVeRPOOl) nach einem Hörspiel von<br />
James Saunders. Dass <strong>Haneke</strong> im Fernsehen auch<br />
ans Kino denkt, ist darin bereits klar zu erkennen:<br />
Der Film eröffnet mit einem Zitat von Jean-luc<br />
Godard: »Der Philosoph und der cineast haben<br />
eine bestimmte lebensweise gemeinsam, die einer<br />
Generation eigentümliche Sicht auf die Welt«. Die<br />
folgenden Jahre in der Kreativzone »Fernsehspiel«<br />
sollten für ihn prägend werden. Hier konnte er mit<br />
Formen experimentieren, seinen Stil suchen und<br />
schärfen. 1979 legte er seine erste Fernseharbeit<br />
nach eigenem Stoff vor. Der Zweiteiler leMMinGe<br />
ist ein in Wiener neustadt (<strong>Haneke</strong>s Ort der Kind-<br />
heit) angesiedeltes Generationendrama, in dem eine<br />
Gruppe von Jugendlichen ende der fünfziger Jahre<br />
den Aufstand gegen die bürgerlichen Konventionen<br />
probt, aber schließlich doch in ihnen erwachsen<br />
werden muss. Das skeptizistische Weltbild <strong>Michael</strong><br />
<strong>Haneke</strong>s, sein sezierender Blick auf die Dinge, ist<br />
dabei bereits deutlich präsent. Gesellschaft heißt<br />
hier vor allem: Zwang, Krankheit, Tod. Überhaupt<br />
lassen sich die meisten von <strong>Haneke</strong>s Fernsehfilmen<br />
(wie seine finster-elegante ingeborg-Bachmann-<br />
Adaption DRei WeGe ZUM See oder das Heimkeh-<br />
rer-Melodram FRAUlein) als Bestandsaufnahmen<br />
der deutschen bzw. österreichischen nachkriegs-<br />
mentalität und ihrem nachleben lesen: Die Wirk-<br />
lichkeit, das gibt <strong>Haneke</strong> auf verstörende Weise zu<br />
verstehen, hat immer auch eine Vergangenheit.<br />
Als <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> mit DeR SieBenTe KOnTinenT<br />
1989 im Kino debütierte (und damit auch gleich eine<br />
ein ladung nach cannes erhielt), war er bereits ein<br />
»kompletter Filmemacher« (Horwath). Die Geschich-<br />
te einer familiären Selbstauslöschung erzählt er mit<br />
der stilistischen Selbstverständlichkeit des erfahre-<br />
nen. Die elemente seines Kinos sind hier nahezu<br />
schon vollständig versammelt: Die reduktionistische<br />
inszenierungsweise, die modellhafte anti-psycholo-<br />
gische Figurenzeichnung, die langen, insistierenden<br />
einstellungen, die ausgewählten, wie Brücken ins<br />
Metaphysische erscheinenden Musikstücke oder die<br />
genau platzierten Schwarzbilder, also jene selbst-<br />
reflexiven Zäsuren, die immerzu harte Brüche in<br />
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