Michael Haneke - Filmarchiv Austria
Michael Haneke - Filmarchiv Austria
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MicHAel HAneKe<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
Gnadenlose Genauigkeit<br />
Der Österreicher <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> zählt unbestritten zu den Virtuosen des Weltkinos. Mit seinen<br />
Filmen widmet er sich unablässig und ohne Kompromisse den Abgründen der Gesellschaft.<br />
Das <strong>Filmarchiv</strong> <strong>Austria</strong> zeigt nun die bislang umfassendste Retrospektive in Österreich, bei der<br />
nicht nur sein preisgekröntes Kino-Œuvre, sondern auch sein vielseitiges Fernseh(-film-)schaffen<br />
präsentiert wird.
LUKAS MAURER<br />
Wer die Welt mit scharfen Augen betrachtet, ist<br />
in seinen Zugängen nicht selten radikal. <strong>Michael</strong><br />
<strong>Haneke</strong> ist so jemand, ein Künstler, ein Filme-<br />
macher, der mit kühler Präzision auf das Gebaren<br />
der Gesellschaft blickt, der schonungslos und mit<br />
provokativem Gestus den Horror des Alltäglichen<br />
freilegt und die Grundbeschaffenheit der mensch-<br />
lichen existenz im Spiegel der Moderne durchleuch-<br />
tet. <strong>Haneke</strong> übt Kritik an den Dingen, die ihn stören,<br />
unumwunden – sei es das Fernsehen und seine<br />
Zerstreuungspraktiken, die Beruhigungsstrategien<br />
des Hollywood-Kinos oder einfach die lieblosigkeit<br />
im Miteinander, die »Vergletscherung der Gefühle«:<br />
Das Uneinverstandensein mit dem Zustand der<br />
Welt ist der Motor seiner Kunst. Darüber hat er<br />
zu einer Form, zu einer Sprache gefunden, die im<br />
Gegenwartskino ohne Vergleich ist. »<strong>Michael</strong> Hane-<br />
ke ist der erste österreichische Spielfilmregisseur<br />
der nachkriegszeit, der als bedeutender auteur<br />
wahr genommen wird«, hat Alexander Horwath vor<br />
einigen Jahren geschrieben. Spätestens seit seiner<br />
elfriede-Jelinek-Adaption Die KlAVieRSPieleRin,<br />
allerspätestens seit seinem französischen »Polit-<br />
Thriller« cAcHÉ zählt er zu den weltweit wich-<br />
tigsten Autorenfilmern überhaupt – die Goldene<br />
Palme und der anschließende erfolgslauf seines<br />
epischen erziehungsdramas DAS WeiSSe BAnD hat<br />
dieser Position nur noch die Krone aufge -<br />
setzt.<br />
MicHAel HAneKe<br />
LA PIANISTE/DIE KLAVIERSPIELERIN | F/D/Pl/A 2001<br />
Seine Kompromisslosigkeit hat darunter aber nicht<br />
gelitten. Gewiss: Das hermetische Kino <strong>Michael</strong><br />
<strong>Haneke</strong>s, welches den Figuren so gut wie keinen<br />
Fluchtpunkt bietet, ist im Zuge seiner internationali-<br />
sierung filmisch »weiträumiger« (die vielschichtigen<br />
sozialen Bewegungen in cODe incOnnU) und, wenn<br />
man so will, auch »wärmer« geworden (man denke<br />
nur an den geradezu magischen Schluss in WOlF-<br />
ZeiT oder an das liebeswerben zwischen Dorflehrer<br />
und Kindermädchen in DAS WeiSSe BAnD), aber als<br />
Konzessionen an den Weltruhm sind diese (Auf-)<br />
Brechungen freilich nicht zu deuten. Für das Kino<br />
von <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> gilt wie eh und je: Die Rigorosi-<br />
tät ist seine wirksamste Kraft.<br />
<strong>Haneke</strong>s Filme sind tiefschürfende, (moral)philo-<br />
sophisch grundierte erzählungen. Sie handeln von<br />
Schuld, Verdrängung, entfremdung und, damit eng<br />
verbunden, von Gewalt. letztere ist, als Thema<br />
und Motiv, der zentrale leitfaden in seinem Werk.<br />
An ihr arbeitet er sich ab, unermüdlich, spürt ihren<br />
Strukturen nach, von den Medien angefangen bis<br />
hinein in die privaten, die intimsten Bereiche. in<br />
DeR SieBenTe KOnTinenT beschließt eine linzer<br />
Kleinfamilie, ihre weltlichen Zelte abzubrechen<br />
und gemeinsam in den Tod zu gehen. in BennY’S<br />
ViDeO tötet ein mediensüchtiger Jugendlicher ein<br />
Mädchen mit einem Schlachtschussgerät (weil er<br />
wissen will, wie das so ist). in Die KlAVieRSPiele-<br />
Rin weiht eine verhärmte Bildungsbürgerin einen<br />
verführerischen Studenten in ihre sadomasochi-<br />
stischen Sehnsüchte ein. cAcHÉ wiederum rückt<br />
einen französischen literaturjournalisten in den<br />
Mittelpunkt, den anonyme Videobotschaften mit<br />
einer Schuld aus der Kindheit konfrontieren. Und<br />
DAS WeiSSe BAnD porträtiert eine norddeutsche<br />
Dorfgemeinschaft im Vormärz des ersten Welt-<br />
krieges, hinter deren protestantischer Fassade<br />
Unterdrückung und Verachtung keimt. Die Qualen<br />
– sowohl die sichtbaren als auch die unsichtbaren –,<br />
welche seine Figuren ungelindert ertragen müssen,<br />
will <strong>Haneke</strong> stets auch dem Pub likum zu spüren<br />
geben. Und setzt dabei gerne auf die Wirkung des<br />
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WER WAR EDGAR ALLAN | A/BRD 1985<br />
MicHAel HAneKe
sublimen Schocks – beispielsweise mittels extremer<br />
Zeitdehnungen, die viele einstellungen oft ins Un-<br />
erträgliche steigern. Der Zuschauer soll sich gegen<br />
seine Filme zur Wehr setzten. Das ist <strong>Haneke</strong>s<br />
erklärte Absicht. lösungen, sprich, Auswege bietet<br />
er konsequenterweise keine an. Seine Filme sollen<br />
im Kopf des Zuschauers weitergehen und ihn zur<br />
erkenntnis zwingen. in seiner »Gewalt-Parodie«<br />
FUnnY GAMeS (wie auch, klarerweise, in seinem<br />
Shot-by-Shot-Remake FUnnY GAMeS U.S.) wendet<br />
sich einer der beiden Wohlstandsbengel, die eine<br />
Kleinfamilie auf Sommerfrische mit einem absolut<br />
tödlichen Spiel überraschen, sogar direkt an das<br />
Publikum und macht es so zum Komplizen ihrer<br />
Grausamkeit. <strong>Haneke</strong> will denn auch seinen Film als<br />
»Watschn’« verstanden wissen, die der Zuschauer<br />
für seine Schau- und folglich auch Gewaltlust<br />
kassiert. es sind nicht zuletzt Provokationstakti-<br />
ken wie diese, die ihn – neben seiner etikettierung<br />
als hoffnungsloser Sozial- und Kulturpessimist –<br />
jahrelang in den Verruf der überzogenen (Kino-)<br />
Pädagogik gebracht hat. Aber <strong>Haneke</strong> hat, das sagt<br />
er selbst, nichts dagegen, der »böse Unke« zu sein.<br />
er versteht sich als Aufklärer und Moralist, der<br />
seine Anliegen mit der nötigen ernsthaftigkeit und<br />
Dringlichkeit formuliert.<br />
MicHAel HAneKe<br />
DIE REBELLION | A 1993<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, Jahrgang 1942, hat seine Karriere<br />
beim Südwestfunk in Baden-Baden begonnen, wo<br />
er ende der Sechziger als Redakteur Dramaturg<br />
in der Abteilung »Fernsehspiel« engagiert wurde.<br />
Darüber hinaus betätigte er sich auch als Theater-<br />
regisseur und wechselte zwischenzeitlich zur Gänze<br />
ins Bühnenfach. 1974 drehte er für den SWR seinen<br />
ersten Fernsehfilm UnD WAS KOMMT DAnAcH?<br />
(AFTeR liVeRPOOl) nach einem Hörspiel von<br />
James Saunders. Dass <strong>Haneke</strong> im Fernsehen auch<br />
ans Kino denkt, ist darin bereits klar zu erkennen:<br />
Der Film eröffnet mit einem Zitat von Jean-luc<br />
Godard: »Der Philosoph und der cineast haben<br />
eine bestimmte lebensweise gemeinsam, die einer<br />
Generation eigentümliche Sicht auf die Welt«. Die<br />
folgenden Jahre in der Kreativzone »Fernsehspiel«<br />
sollten für ihn prägend werden. Hier konnte er mit<br />
Formen experimentieren, seinen Stil suchen und<br />
schärfen. 1979 legte er seine erste Fernseharbeit<br />
nach eigenem Stoff vor. Der Zweiteiler leMMinGe<br />
ist ein in Wiener neustadt (<strong>Haneke</strong>s Ort der Kind-<br />
heit) angesiedeltes Generationendrama, in dem eine<br />
Gruppe von Jugendlichen ende der fünfziger Jahre<br />
den Aufstand gegen die bürgerlichen Konventionen<br />
probt, aber schließlich doch in ihnen erwachsen<br />
werden muss. Das skeptizistische Weltbild <strong>Michael</strong><br />
<strong>Haneke</strong>s, sein sezierender Blick auf die Dinge, ist<br />
dabei bereits deutlich präsent. Gesellschaft heißt<br />
hier vor allem: Zwang, Krankheit, Tod. Überhaupt<br />
lassen sich die meisten von <strong>Haneke</strong>s Fernsehfilmen<br />
(wie seine finster-elegante ingeborg-Bachmann-<br />
Adaption DRei WeGe ZUM See oder das Heimkeh-<br />
rer-Melodram FRAUlein) als Bestandsaufnahmen<br />
der deutschen bzw. österreichischen nachkriegs-<br />
mentalität und ihrem nachleben lesen: Die Wirk-<br />
lichkeit, das gibt <strong>Haneke</strong> auf verstörende Weise zu<br />
verstehen, hat immer auch eine Vergangenheit.<br />
Als <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> mit DeR SieBenTe KOnTinenT<br />
1989 im Kino debütierte (und damit auch gleich eine<br />
ein ladung nach cannes erhielt), war er bereits ein<br />
»kompletter Filmemacher« (Horwath). Die Geschich-<br />
te einer familiären Selbstauslöschung erzählt er mit<br />
der stilistischen Selbstverständlichkeit des erfahre-<br />
nen. Die elemente seines Kinos sind hier nahezu<br />
schon vollständig versammelt: Die reduktionistische<br />
inszenierungsweise, die modellhafte anti-psycholo-<br />
gische Figurenzeichnung, die langen, insistierenden<br />
einstellungen, die ausgewählten, wie Brücken ins<br />
Metaphysische erscheinenden Musikstücke oder die<br />
genau platzierten Schwarzbilder, also jene selbst-<br />
reflexiven Zäsuren, die immerzu harte Brüche in<br />
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28<br />
die Kino-Wirklichkeit schlagen (spe ziell das Amok-<br />
panorama 71 FRAGMenTe eineR cHROnOlOGie<br />
DeS ZUFAllS und das Plansequenz-Meisterstück<br />
cODe incOnnU sind nach diesem Prinzip gebaut).<br />
Grundlegend für seine Handschrift ist aber auch die<br />
überaus souveräne Führung der Schauspieler (das<br />
betrifft seine großartigen Kinderdarsteller ebenso<br />
wie die Weltstars Juliette Binoche, isabelle Huppert<br />
oder Daniel Auteuil), die mit ihrem Spiel wesentlich<br />
beitragen zu dem Balanceakt zwischen Realismus<br />
MicHAel HAneKe<br />
und Künstlichkeit, den er mit seinem Kino immer<br />
wieder vollführt. <strong>Haneke</strong>, so lässt es sich vielleicht<br />
zusammenfassen, erzählt unentwegt vom chaos,<br />
vom Krieg im innersten der Gesellschaft, aber die<br />
Bilder, die er dafür findet, sind von bestechender<br />
Klarheit. Das ist das Paradoxe an seinen Filmen: Sie<br />
beschreiben stets die kältesten und trostlosesten<br />
aller möglichen (lebens-)Welten, aber in der Klar-<br />
heit ihrer Form liegt immer auch etwas Tröstliches.<br />
Genauigkeit, das betont <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> oft, ist für<br />
le TeMPS DU lOUP/WOlFZeiT | F/A/D 2003<br />
ihn ein essenzieller Begriff, ein moralischer Wert. ihr<br />
fühlt er sich verpflichtet, in allem was er tut – und<br />
schätzt sie auch am Kino anderer.<br />
Die carte Blanche, die für <strong>Haneke</strong> im Rahmen dieser<br />
Retrospektive ausgerichtet wird, ist dafür ein schö-<br />
ner Beweis. Auf ihr finden sich namen wie Robert<br />
Bresson, Andrej Tarkowskij, Pier Paolo Pasolini,<br />
charlie chaplin oder John cassavetes: Filmemacher,<br />
über die <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> gerne und leidenschaftlich<br />
spricht, und die direkt (allen voran Bresson) oder<br />
indirekt einfluss auf sein Werk genommen haben.<br />
Mit ihnen teilt er – bei aller Verschiedenheit ihrer<br />
Kunst – vor allem eines: den Drang, mit dem Kino<br />
zum Wahrhaften vorzudringen. Und dies ist, wie<br />
man weiß, ohne Klarsicht nur selten zu erreichen.<br />
Lukas Maurer, geb. 1973 in Oberpullendorf, Bgld. Studium der<br />
Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Kurator<br />
und Filmpublizist. Mitarbeiter des <strong>Filmarchiv</strong> <strong>Austria</strong>, Programmverantwortlicher<br />
und Moderator der Filmsendung Oktoskop bei dem<br />
Fernsehsender Okto sowie lehrbeauftragter für Filmgeschichte<br />
am Filmcollege in Wien. co-Herausgeber der Monografie Halbstark.<br />
Georg Tressler: Zwischen Auftrag und Autor (2003).
impressum<br />
MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER: <strong>Filmarchiv</strong> <strong>Austria</strong>, Obere Augartenstraße 1, 1020 Wien<br />
REDAKTION: ernst Kieninger, Günter Krenn, Georg Tscholl<br />
BILDREDAKTION: Marlis Schmidt<br />
TEXTE: Thomas Ballhausen (tb), ernst Kieninger, Günter Krenn (gk), Armin loacker (al), lukas Maurer (lm),<br />
Kathrin Resetarits, nikolaus Wostry (nw), Karl Wratschko<br />
KURATOREN: »NITROSESSIONS«: ernst Kieninger, nikolaus Wostry, Karl Wratschko<br />
KURATOR »MICHAEL HANEKE«: lukas Maurer<br />
KURATOREN »SILENT MASTERS«: ernst Kieninger, Günter Krenn, nikolaus Wostry, Karl Wratschko<br />
KOPIENBESCHAFFUNG & RECHTEKLÄRUNG: Raimund Fritz<br />
MARKETING: Barbara Heumesser<br />
LEKTORAT: Marlis Schmidt, Georg Tscholl<br />
COVERFOTO: Porträt <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
GRAFIK: Judith eberharter<br />
DRUCK: alwa & deil, Wien<br />
ADRESSE: filmarchiv – Programmzeitschrift des <strong>Filmarchiv</strong> <strong>Austria</strong>, Obere Augartenstraße 1, 1020 Wien,<br />
Tel: (+43 1) 216 13 00, Fax: (+43 1) 216 13 00 100, augarten@filmarchiv.at, www.filmarchiv.at<br />
DANK: Arsenal-institut für Film und Videokunst e.V., Berlin (Gesa Knolle) | David Bohun, Wien | ccc Filmkunst<br />
GmbH, Berlin (Marleen Dyett) | centre national de la cinematographie, Paris (eric le Roy) | cine TV<br />
(Matthias Weber) | Diagonale (Barbara Pichler), Wien | Faces Distribution corp., Hazlet (Al Ruban) | Severin<br />
Fiala, Wien | Filmladen, Wien (Doris Sumereder) | Französisches Kulturinstitut, Wien (christine Vitel) |<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, Wien | Jupiter-Film, neulengbach (Hans-Peter Blechinger) | Klett-cotta, Stuttgart (Susanne<br />
Habermann) | Mercredi Films, Paris (elodie lachaud) | catalina Molina, Wien | Virgil A. Muellermann, Wien/<br />
Paris | Thomas Müller, München | national center for Jewish Film, Waltham (Juliet Burch) | neue Visionen<br />
Filmverleih, Berlin (Madita lambrecht) | ORF, Wien (Marion camus-Oberdorfer, Dagmar Fleischhacker, Heinrich<br />
Mis, Sabine Renner) | Piper Verlag GmbH, München (nicola von Bodman-Hensler) | Ulrike Putzer, Wien |<br />
rbb media GmbH, Berlin (Stefanie lubke) | Peter Rosei, Wien | Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek (<strong>Michael</strong><br />
Töteberg) | Schorcht international Filmproduktion und Filmvertrieb GmbH, München (Karin Peter) | Stadtkino<br />
Filmverleih, Wien (Georg Horvath, Gabriela Mühlberger) | Saarländischer Rundfunk, Saarbrücken (Kornelia<br />
Wilhelm) | Satel Film GmbH, Wien (Heinrich Ambrosch) | Sixpackfilm (<strong>Michael</strong>a Grill, Ute Katschthaler,<br />
Wiktoria Pelzer), Wien | SWR Meida Services GmbH, Stuttgart (Markus Jochem) | Transit Film GmbH,<br />
München (Daniele Guerlain) | Trigon-Film, ennetbaden (Regula Dell‘Anno) | (Verlag der Autoren (christiane<br />
Altenburg) | WeGA-Film, Wien (Julia Heiduschka, Veit Heiduschka, Ulrike lässer) | Mario Wirz, Berlin | ZDF<br />
enterprises GmbH, Mainz (Alexandra Burchard)<br />
BILDNACHWEIS: Brandeis national center for Jewish Film, Waltham, MA | Deutsche Kinemathek, Berlin |<br />
<strong>Filmarchiv</strong> <strong>Austria</strong>, Wien | ORF, Wien | Österreichisches Theatermuseum, Wien | Peter Patzak, Klosterneuburg-Weidling<br />
| sixpackfilm, Wien | Gerald Zugmann, Wien<br />
iMPReSSUM<br />
VERANSTALTUNGSPARTNER:<br />
FÖRDERER:<br />
MEDIENPARTNER:<br />
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ein persönlicher text über die arbeit mit<br />
<strong>Michael</strong> haneke?<br />
KATHRIN RESETARITS<br />
ich komme gut mit ihm aus.<br />
am norddeutschen set spricht er, ohne erst darüber<br />
nachzudenken, österreichischen dialekt, auch mit<br />
den kindern. was dazu führt, dass einer der kinder<br />
darsteller überzeugt davon ist, sein filmvater, der im<br />
drehbuch eigentlich keinen namen hat, heisse eam.<br />
– »do schaust dann zu eam.«<br />
sein wiener neustädter spruch ist mir ein labsal in<br />
vielen in und ausländischen situationen. gerade be<br />
ginnt man sich unwohl und fehl am platze zu fühlen,<br />
und der schmäh kommt einem abhanden, weil in der<br />
umgebung stark daran gearbeitet wird, kultiviert<br />
und künstlerisch wertvoll zu erscheinen, da bezeich<br />
net er irgendjemanden (im besten fall abwesenden)<br />
als vollkoffer. hallo! hier bin ich wieder zu hause. es<br />
geht um etwas, nicht darum, so zu tun als ob.<br />
da kann man auch gelassen bleiben, wenn die ge<br />
nauigkeit den rahmen sprengt und über den<br />
bildrand hinauslappt, und hochbezahlte starschau<br />
spieler als dunkle flecken am bildrand sitzen und<br />
hervorragendes leisten, komparsen in geschätzten<br />
zwei kilometern entfernung von der kamera drin<br />
gend einen neuen bart ankleben müssen, bevor man<br />
<strong>Michael</strong> haneke<br />
zu drehen beginnt, oder eine schwierige einstellung,<br />
die nach dem sechsten versuch endlich im rhyth<br />
mus ist, abgebrochen wird, weil ein kutschpferd –<br />
mit scheuklappen – in die kamera geschaut hat.<br />
<strong>Michael</strong> haneke ist ermunternd genau und kann<br />
ermüdend stur sein. genau sein heisst eben auch,<br />
genau am punkt zu sein, und dieser punkt ist<br />
manchmal ansichtssache.<br />
aber darum geht es ja auch beim drehen. wenn es<br />
für ihn so wirkt, als würde das halbblinde pferd in<br />
die kamera schauen, dann ist es möglich, dass auch<br />
jemand anderer sich davon irritieren lässt. man<br />
kann eben immer nur von sich ausgehen.<br />
um sich verständlich zu machen, um zu verstehen,<br />
und um im drehprozess zu schnellen entschei<br />
dungen zu finden.<br />
da ist es schon besser, ein bisschen starrsinnig zu<br />
sein, wenn man findet, schneeflocken fallen un<br />
glaubwürdig, weil zu langsam oder zu schnell.<br />
und mit gewissen abstrichen muss ich zugeben,<br />
dass es sogar glaubwürdige und unglaubwürdige<br />
milch in filmen gibt.<br />
es gibt auch andere arten, ein ziel zu erreichen,<br />
aber sturheit kann eines der wichtigen hilfsmittel<br />
eines regisseurs sein, und dafür, dass sie eines der<br />
wichtigen hilfsmittel von <strong>Michael</strong> haneke ist, ist er<br />
eigentlich ungewöhnlich unstur und offen.<br />
weil er einfach ein interesse an der sache hat und<br />
am leben, und deshalb schaut er genau hin und hört<br />
auch zu. man kann ihm einiges an den kopf werfen,<br />
ohne das gesprächsklima zu zerstören.<br />
die sache steht immer im vordergrund. das klingt jetzt<br />
ein bisschen kärglich, ist es aber nicht. in meinen<br />
augen ist es eine grosse und wohltuende ausnahme.<br />
aber ob es wirklich stimmt, dass die drohgebärde<br />
die beste taktik ist, um mitarbeiter zu höchstleis<br />
tungen anzutreiben, wage ich zu bezweifeln.<br />
da kann es gelingen, menschen so zu verunsichern,<br />
dass sie nicht einmal mehr in der lage sind, einen<br />
raum zu durchqueren ohne lang hinzuschlagen,<br />
kleindarsteller, deren aufgabe es ist, zwei worte<br />
durch eine tür zu rufen, die sprache verlieren, ame<br />
rikanische requisiteure kein auto mehr abstellen<br />
können, ohne den schlüssel darin einzusperren.<br />
ich beneide niemanden, der unter seinen miss<br />
trauischen blicken artistisches zu leisten hat.
aber da es schwer zu beweisen ist, welchen anteil<br />
die verunsicherung am versagen der beteiligten hat,<br />
und in anbetracht des ergebnisses der hergang<br />
keine rolle mehr spielt, ist der effekt nur eine wei<br />
tere bestätigung seiner meinung.<br />
ich habe die filme von <strong>Michael</strong> haneke nie kalt<br />
gefunden, im gegenteil, ich empfand es als tröstlich,<br />
themen, situationen und menschen mit grosser<br />
sorgfältigkeit darin aufgegriffen zu sehen, die mich<br />
selber manchmal verzweifeln lassen. wenn andere<br />
sie auch sehen (und sich ihrer annehmen), dann<br />
sind die dämonen zwar nicht vertrieben, aber doch<br />
auf kurze zeit gebannt. nicht immer ist geteiltes leid<br />
halbes leid, aber erkanntes leid, leid, das eine form<br />
gefunden hat, beweist einem wenigstens, dass man<br />
nicht der einzige ist, der in einer welt aus glücklichen<br />
cornflakeskindern und herrlich eingerichteten fern<br />
sehfamilien dinge sieht, die man nicht sehen sollte.<br />
nach der arbeit an einem hanekeset fernzusehen<br />
kann anstrengend werden. die schlampereien häu<br />
fen sich. automatisch erstelle ich bei jeder einstel<br />
lung in meinem kopf listen. je schlechter der film,<br />
desto länger.<br />
<strong>Michael</strong> haneke<br />
da hat man es bei haneke schon leichter. viele unge<br />
nauigkeiten sind da nicht zu finden.<br />
das, was oft als sezierender blick beschrieben wird,<br />
empfinde ich in der arbeit, aber auch im privaten<br />
gespräch als befreiend. es ist ein aufmerksamer,<br />
offener und gewissenhafter blick, eine forschungs<br />
arbeit, wenn man so will. eine respektvolle zuwen<br />
dung.<br />
als wir die klavierspielerin gedreht haben, war ich<br />
eine ziemlich junge frau, und er schon ein ziemlich<br />
älterer herr, aber in der arbeit war das egal. ne<br />
beneinander im videozelt im sexshop war da keine<br />
peinliche berührtheit, sondern die konzentration<br />
auf die arbeit.<br />
und dazwischen auch blödes gekicher.<br />
es ist so erfrischend einem klugen menschen zu<br />
begegnen.<br />
Kathrin Resetarits ist künstlerische assistentin von <strong>Michael</strong> haneke.<br />
Sie hat an der Wiener Filmakademie studiert und arbeitet als Schauspielerin,<br />
Regisseurin und autorin.<br />
31
32<br />
Programm<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
1. bis 20.10.2010<br />
Metro Kino<br />
MO 11.10., 19:00<br />
Werkstattgespräch mit<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
<strong>Michael</strong> haneke im Gespräch mit profil-kulturressortleiter<br />
und Filmkritiker Stefan Grissemann.<br />
»Das Maß des künstlerischen Werts ist die Genauigkeit,<br />
und darin liegt pure Lust. Es ist die Verteidigung der<br />
Ordnung gegen das Chaos. Darum lohnt es sich zu arbeiten,<br />
und daraus entsteht Enthusiasmus. Damit muß ich<br />
niemanden beglücken wollen. Ich glaube, daß Genauigkeit<br />
per se beglückt. Jeder, der für künstlerische Äußerungen<br />
empfänglich ist, wird beglückt sein, sofern etwas »gut gemacht«<br />
ist. Aber nicht, weil der Künstler damit ein inhaltliches<br />
Ziel verfolgt. Ich glaube nicht an Ziele. Ich glaube an<br />
Genauigkeit.« (<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
SO 17.10., 17:00<br />
carte Blanche <strong>Michael</strong> haneke<br />
The GOlD RUSh US 1925<br />
REGIE, BUCH, SCHNITT<br />
Charles Chaplin<br />
KAMERA Roland H. Totheroh<br />
MUSIK Charles Chaplin (1942)<br />
MIT Charles Chaplin, Georgia<br />
Hale, Mack Swain, Tom Murray,<br />
Henry Bergman<br />
PRODUKTION Charles Chaplin<br />
Productions<br />
LÄNGE 72 Minuten<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Für die englische Filmzeitschrift Sight and Sound<br />
erstellte <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> 2002 eine Top-Ten-Liste<br />
der für ihn persönlich wichtigsten Filme, darunter<br />
auch jene fünf Filme, die hier in der Carte Blanche<br />
zu sehen sind, somit auch GOLD RUSH, Charlie Cha-<br />
plins Glückssucher-Komödie aus dem Jahre 1925, in<br />
der er die condition humaine mit berührendstem,<br />
hintergründigstem Slapstick ausleuchtet. Chaplin,<br />
der seinen Schuh kocht und wie einen Knochen<br />
abnagt, das ist wohl jene Szene, die seine Figur des<br />
Tramp zu einer der strahlendsten, reichsten Ikonen<br />
des Kinos erhob. Siegfried Kracauer formuliert<br />
es folgendermaßen: »Charlie Chaplin, der den<br />
GOLDRAUSCH gedichtet hat, geht durch seine<br />
Dichtung als eine Darstellung des Menschlichen, die<br />
aus fast verschütteten Quellen geschöpft ist. So ist<br />
das Menschliche in den Märchen gemeint, in dem<br />
dummen Hans und anderen Märchenhelden, die<br />
keine Helden sind, so meint es vielleicht der Spruch<br />
Laotses, dass das Ohnmächtigste die Welt bewege.«<br />
(lm)
MO 4.10., 19:00<br />
carte Blanche <strong>Michael</strong> haneke<br />
aU haSaRD BalThaZaR F/SCHWEDEN 1966<br />
REGIE, BUCH Robert Bresson<br />
KAMERA Ghislain Cloquet<br />
SCHNITT Raymond Lamy<br />
MUSIK Jean Wiener, Franz<br />
Schubert<br />
MIT Anne Wiazemsky, Walter<br />
Green, François Lafarge, Jean-<br />
Claude Guilbert, Philippe Asselin<br />
PRODUKTION Mag Bodard<br />
/ Athos / Parc / AB Svensk /<br />
Svenska Filminstitutet<br />
LÄNGE 95 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
englischen Untertiteln<br />
Ein Kristall der Filmgeschichte: Robert Bressons<br />
nüchtern-präzise und gleichsam tief-empfindsame<br />
Passionsgeschichte des Esels Balthazar, der von<br />
den beiden Kindern Marie und Jacques zunächst<br />
liebevoll getauft und umsorgt, von seinen späteren<br />
Besitzern aber als Lasttier, Zirkusattraktion und<br />
Schmugglergerät geknechtet und gequält wird. Eine<br />
wehrlose Kreatur, die stumm und geduldig die Grau-<br />
samkeit der Welt erträgt. Der Esel als Opfer und<br />
Märtyrer. Selten war der Tod im Kino so gnadenvoll<br />
wie beiläufig.<br />
AU HASARD BALTHAZAR ist ein Schlüsselwerk für<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s filmisches Denken: »Kein Film<br />
hat mir je Hirn und Herz so umgedreht wie dieser<br />
… Man spürt in BALTHAZAR wie in allen Filmen<br />
Bressons eine fast körperliche Aversion ihres<br />
Autors gegen jegliche Form der Lüge, insbesondere<br />
gegen jede Form des ästhetischen Betrugs. Diese<br />
ingrimmige Abneigung scheint die Antriebskraft<br />
seiner gesamten Arbeit zu sein, und sie führt zu<br />
einer Reinheit der erzählerischen Mittel, die in der<br />
Filmgeschichte ihresgleichen sucht.« (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
Sa 2.10., 19:00<br />
DRei WeGe ZUM See A/BRD 1976<br />
REGIE <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, Ingeborg<br />
Bachmann<br />
KAMERA Igor Luther<br />
SCHNITT Helga Scharf<br />
KOSTÜME Barbar Langbein<br />
MIT Ursula Schult, Guido<br />
Wieland, Walter Schmidinger,<br />
Udo Vioff, Bernhard Wicki, Yves<br />
Beneyton, Rainer von Artenfels,<br />
Jane Tilden<br />
PRODUKTION Südwestfunk<br />
(SWF); ORF<br />
LÄNGE 97 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP<br />
Kann man unbeschwert nach Hause zurückkehren?<br />
Als die zur Starfotografin avancierte Elisabeth<br />
Matrei anlässlich eines Besuchs bei ihrem Vater wie-<br />
der in ihre Heimatstadt Klagenfurt fährt, löst eine<br />
Wanderung durch die Schauplätze ihrer Kindheit<br />
eine Reihe von Selbstreflexionen aus. Insbesonde-<br />
re eine unglückliche Liebesgeschichte, die ihrem<br />
Lebensentwurf einen erst nachträglich erfahr-<br />
baren Knick verpasst hat, kommt beim Gang zum<br />
Wörthersee wieder an die Oberfläche. Spielte schon<br />
die Literaturvorlage Ingeborg Bachmanns mit den<br />
Optionen von Medialisierung und zu ergehendem<br />
System aus Verweisen, findet sich dieser Zugang<br />
in <strong>Haneke</strong>s wunderbarer Verfilmung in gesteiger-<br />
ter Form wieder: Die weitere Sequenzierung der<br />
Handlung unterstreicht noch die Fragmentiertheit<br />
der narrativen Strukturangebote, die Kameraarbeit<br />
erinnert auf subtile Weise an die wechselnden Er-<br />
zählperspektiven der literarischen Vorlage. Die Welt<br />
ist aus den Fugen, ganz still. (tb)<br />
33
34<br />
DO 14.10., 19:00<br />
… UnD WaS kOMMT Danach? (aFTeR liVeRPOOl)<br />
BRD 1974<br />
REGIE <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> nach<br />
einem Theaterstück und<br />
Hörspiel von James Saunders,<br />
Deutsch von Hilde Spiel<br />
KAMERA Gerd Schäfer, Jochen<br />
Hubrich, Günter Lemnitz<br />
SCHNITT Christa Kleinheisterkampf<br />
TON Wilhelm Dusil<br />
MIT Hildegard Schmahl, Dieter<br />
Kirchlechner<br />
PRODUKTION Südwestfunk<br />
(SWR)<br />
LÄNGE 89 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe<br />
… UND WAS KOMMT DANACH? (AFTER LIVER-<br />
POOL): <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s kunstfertiges Fernseh-<br />
filmdebüt nach einem Theaterstück/Hörspiel von<br />
James Saunders. Ein strenges und schmerzhaftes<br />
Kammerspiel über die Unmöglichkeiten der Kom-<br />
munikation. Ein Mann und eine Frau haben sich<br />
alles und nichts zu sagen. »Die Beziehungskrise<br />
als Sprachkrise«, hat es Alexander Horwath auf<br />
den Punkt gebracht. (Selbst-)Reflexion auf allen<br />
Ebenen. In das szenische Dialog-Ping-Pong immer<br />
wieder eingeschoben: Bild- (The Beatles), Ton- (I<br />
Can’t Get No Satisfaction) und Text-Zitate (Adorno,<br />
Rimbaud, Warhol, McLuhan …). Zu Beginn die Worte<br />
von Godard: »Der Philosoph und der Cineast haben<br />
eine bestimmte Lebensweise gemeinsam, die einer<br />
Generation eigentümliche Sicht auf die Welt«. Ein<br />
Fernsehspiel mit spürbarer Nähe zum Essayfilm.<br />
<strong>Haneke</strong>s Weg ins Kino ist vorgezeichnet. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
MO 18.10., 18:00<br />
carte Blanche <strong>Michael</strong> haneke<br />
a WOMan UnDeR The inFlUence US 1974<br />
REGIE, BUCH John Cassavetes<br />
KAMERA Mitch Breit, John Cassavetes<br />
(ucr.), Al Ruban (ucr.)<br />
SCHNITT David Armstrong,<br />
Sheila Viseltear<br />
MUSIK Bo Harwood<br />
MIT Gena Rowlands, Peter Falk,<br />
Fred Draper, Lady Rowlands,<br />
Katherine Cassavetes, Matthew<br />
Laborteaux<br />
PRODUKTION Faces Internationakl<br />
Films, Inc.<br />
LÄNGE 146 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Ein Zentralwerk des american independent cinema,<br />
wie die meisten von Cassavetes’ Filmen ein Liebes-<br />
film oder vielmehr ein Film über die Liebe und ihre<br />
existenziellen Erschütterungen. Die Geschichte<br />
einer Frau (Gena Rowlands), die mit ihrem Mann<br />
(Peter Falk) und ihren Kindern nach außen hin ein<br />
normal suburbian life führt, in ihrem Innenleben<br />
aber von Angst und Einsamkeit regiert wird – ein<br />
Zustand, der sich zusehends in nackter Hysterie<br />
entlädt. Ein unerbittliches Beziehungsdrama, das<br />
seine Wirkung aus der radikalen Fokussierung auf<br />
seine Schauspieler bezieht: »Ihr Naturalismus«, so<br />
Martin Schaub, »überfällt den Regisseur und seine<br />
technische Equipe, die sich zu wehren wissen. Das<br />
ist das Umwerfende, das Unwahrscheinliche dieses<br />
Films: dass das reflexartige Zusammenspiel, die<br />
Unberechenbarkeit, beispielsweise das Durcheinan-<br />
der einer gestörten Frühstücksparty, ohne Rest in<br />
eine Kamera und in ein Mikrofon gehen. Die Filme<br />
von Cassavetes kann man nur von den Figuren her<br />
erleben (also nicht von der Kamera, nicht von den<br />
hinteren Fauteuils aus). Das ist ihre Begrenzung und<br />
vitale Stärke.« (lm)
Sa 16.10., 18:45<br />
carte Blanche <strong>Michael</strong> haneke<br />
ZeRkalO (DeR SPieGel) SU 1975<br />
REGIE Andrei Tarkovsky<br />
BUCH Andrei Tarkovsky,<br />
Aleksandr Misharin<br />
KAMERA Georgi Rerberg<br />
SCHNITT Ljudmila Fejginowa<br />
MUSIK Giovanni, Battista Pergolesi,<br />
J.S. Bach, Eduard Artemjew,<br />
Henry Purcell<br />
MIT Margarita Terechova, Ignat<br />
Danilzew, Oleg Jankowski, Filipp<br />
Jankovski, Anatoli Solonizyn,<br />
Alla Demidowa<br />
PRODUKTION Mosfilm<br />
LÄNGE 108 Minuten<br />
FORMAT 35 mm<br />
Tarkovsky verbindet in ZERKALO die individuelle<br />
Geschichte der Hauptfigur Aleksei mit der Gesell-<br />
schaftshistorie der Sowjetunion. Unter Nutzung<br />
unterschiedlichster Bildquellen erzeugt er ein facet-<br />
tenreiches Porträt, die Reflexion eines Sterbenden.<br />
Im Rückblick dieses stark autobiografisch geprägten<br />
Films, der wie SOLARIS unter Mitwirkung von<br />
Aleksandr Misharin entstand, verfügen sich die pri-<br />
vate Erfahrungen des Protagonisten, seine stories,<br />
mit der allgemeinen history. In der Folge beginnen<br />
sich die Bilder wechselweise zu bedingen, zu kom-<br />
mentieren und zu ergänzen. Poetische Frakturen<br />
und verwobene Erzählstrukturen treten, getragen<br />
von Gedichten seines Vaters Arseni Tarkovsky, an<br />
die Stelle von Geradlinigkeit – ein Umstand, der Tar-<br />
kovsky in seiner Heimat nicht nur Lob einbrachte.<br />
Alekseis Suche nach seiner (verlorenen) Lebenszeit<br />
ist ein starker filmischer Ausdruck subjektiven<br />
Erlebens und Empfindens, ein forderndes Bekennt-<br />
nis zum Einzelnen (tb). »Nur eine Irritation bewirkt<br />
wirklich etwas. Man will ja aus dem Kino nicht so<br />
rauskommen, wie man reingegangen ist – das wäre<br />
verlorene Zeit.« (M. <strong>Haneke</strong>)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
FR 8.10., 23:00<br />
carte Blanche <strong>Michael</strong> haneke<br />
SalÒ O le 120 GiORnaTe Di SODOMa I/F 1975<br />
REGIE Pier Paolo Pasolini<br />
BUCH Pier Paolo Pasolini,<br />
Sergio Citti<br />
KAMERA Tonino Delli Colli<br />
SCHNITT Nina Baragli<br />
KOSTÜME Danilo Donati<br />
MUSIK Ennio Morriconi<br />
MIT Paolo Bonacelli, Giorgio<br />
Cataldi, Umberto Paolo Quintavalle<br />
PRODUKTION Produzioni Europee<br />
Associati; Les Productions<br />
Artistes Associés<br />
LÄNGE 116 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Im letzten Reich des faschistischen Italiens, der<br />
Republik Salò, inszenieren Großbürger angesichts<br />
des nahenden Endes des Mussolini-Regimes ihre<br />
Macht in Form grausamer Rituale: Ganz der litera-<br />
rischen Vorlage de Sades verpflichtet, werden eine<br />
Reihe junger Menschen erniedrigt, gequält und<br />
schließlich ermordet. Abseits aller Gewaltästheti-<br />
sierung werden in diesem Film, der gleichermaßen<br />
Wissenschaft und Gerichte beschäftigte, mensch-<br />
licher Machtrausch und Vernichtungslust nüchtern<br />
inszeniert: »Der Film, der mich in meinem Leben am<br />
meisten weiter gebracht hat, war seinerzeit SALÒ<br />
ODER DIE 120 TAGE VON SODOM von Pasolini. Der<br />
zeigte Gewalt als das, was sie wirklich ist: Leiden<br />
der Opfer. Das fand ich unerträglich. Das ist bis<br />
heute der Film, der mich am meisten aus der Bahn<br />
geworfen hat. Damals habe ich mich ununterbro-<br />
chen gefragt: Halte ich das noch aus? Muss ich jetzt<br />
kotzen? Aber der hat mich wirklich über sehr sehr<br />
viel nachdenken lassen. In einer Gesellschaft wie<br />
der unserigen kann man Kino oder dramatische<br />
Kunst im weitesten Sinn nur so machen. Man kann<br />
sie nicht konsensuell machen. Dann ist man dumm.<br />
Oder feig, oder zynisch.« (M. <strong>Haneke</strong>)<br />
35
36<br />
SO 3.10., 21:00<br />
leMMinGe (aRkaDien) A/BRD 1979<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jerzy Lipman, Walter<br />
Kindler<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
MUSIK Franz Schubert, Ludwig<br />
van Beethoven, Alexander<br />
Steinbrecher<br />
MIT Regina Sattler, Christian<br />
Ingomar, Eva Linder, Paulus<br />
Manker, Bernhard Wicki, Elisabeth<br />
Orth, Hilde Berger, Kurt<br />
Sowinetz, Greta Zimmer, Ingrid<br />
Burkhardt, Kurt Nachmann,<br />
Rudolf Wessely<br />
PRODUKTION Schönbrunn-<br />
Film; ORF; SFB (Sender Freies<br />
Berlin)<br />
LÄNGE 113 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe<br />
Mit dem zweiteiligen, semi-autobiografischen<br />
Generationendrama LEMMINGE präsentiert sich<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong> dem Fernsehpublikum erstmals als<br />
Regisseur und Autor in Personalunion. Und breitet<br />
damit in aller inszenatorischen Dringlichkeit sein<br />
Weltbild aus. Die (moderne) Zivilisation ist – ver-<br />
kürzt formuliert – ein Gefängnis und die Konvention<br />
dessen Wärter. Im ersten Teil ARKADIEN porträtiert<br />
er die Jugendjahre seiner Protagonisten: Evi, Chri-<br />
stian, Fritz und das großbürgerliche Geschwister-<br />
paar Sigrid und Sigurd, fünf Gymnasiasten im Wr.<br />
Neustadt der späten fünfziger Jahre – aufgerieben<br />
zwischen den Versprechen der Popkultur, (schwie-<br />
riger) Sexualität und der rigiden, überkommenen<br />
Werteordnung ihrer Väter, aus deren Klammern sie<br />
sich mit allen Mitteln zu befreien versuchen. Doch<br />
<strong>Haneke</strong> gibt ihnen keine Chance, lässt sie verzwei-<br />
felt in den Tod stürzen (Sigurd) oder in Resignation<br />
erstarren. Nur Sigrid schafft es aus der Kleinstadt<br />
nach Wien – zwischenzeitlich. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
DO 7.10., 21:00<br />
leMMinGe (VeRleTZUnGen) A/BRD 1979<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jerzy Lipman<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
MIT Monika Bleibtreu, Elfriede<br />
Irrall, Rüdiger Hacker, Wolfgang<br />
Hübsch, David <strong>Haneke</strong>, Norbert<br />
Kappen, Guido Wieland, Vera<br />
Borek, Wolfgang Gasser, Julia<br />
Gschnitzer<br />
MUSIK J. S. Bach<br />
PRODUKTION Schönbrunn-<br />
Film; ORF; SFB (Sender Freies<br />
Berlin)<br />
LÄNGE 107 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe<br />
LEMMINGE, zweiter Teil. Aus den verzweifelten<br />
Jugendlichen sind verzweifelte Erwachsene gewor-<br />
den. Sigrid kehrt anlässlich des Todes ihres Vaters<br />
von Wien nach Wr. Neustadt zurück. Doch sie findet<br />
nichts als Leere vor. Und zwar nicht nur in den<br />
(Erinnerungs-)Räumen der elterlichen Villa, sondern<br />
auch in den Gesichtern ihrer Jugendfreunde. Chri-<br />
stian, heute Oberleutnant, stellt bei einem gemein-<br />
samen Essen zynisch fest: »… die Form hält etwas<br />
zusammen, was längst auseinandergefallen ist«.<br />
Eine Einsicht, aus der er aber letztlich die falschen<br />
Konsequenzen zieht …<br />
In finsterer Atmosphäre und mit nüchterner<br />
Bildsymbolik inszeniert, weitet <strong>Haneke</strong> in VER-<br />
LETZUNGEN seine Gesellschaftsdiagnose auf die<br />
Verhältnisse der siebziger Jahre aus, zeichnet eine<br />
Welt, die sich wie ein undurchdringbares Netz aus<br />
Schuld, Angst, Entfremdung und Gleichgültigkeit<br />
darstellt. »Was gilt da noch?«, bricht es am Ende<br />
aus Christian heraus. Eine Frage, auf die selbst der<br />
Pfarrer keine Antwort mehr weiß. LEMMINGE: Ein<br />
Fernseh(-film-)Epos von tiefer, existenzialistischer<br />
Traurigkeit. (lm)
FR 8.10., 18:15<br />
VaRiaTiOn BRD 1983<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Walter Kindler<br />
MUSIK Egberto Gismonti, Jan<br />
Garbarek, Charlie Haden<br />
MIT Elfriede Irrall, Suzanne<br />
Geyer, Hilmar Thate, Monica<br />
Bleibtreu, Eva Linder, Udo<br />
Samel, Ilse Trautschold, Kurt<br />
Hübner<br />
PRODUKTION SFB<br />
LÄNGE 98 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe<br />
Variationen über die Liebe und ihre Schmerzen.<br />
Der Lehrer Georg und die Journalistin Anna lernen<br />
einander kennen und lieben. Doch ihre Zuneigung<br />
kann sich nicht frei entfalten. Georg ist, scheinbar<br />
glücklich, mit Eva verheiratet und Anna lebt in Be-<br />
ziehung mit der Schauspielerin Kitty. Eine naturge-<br />
mäß vertrackte Situation, die für Kitty Hysterie und<br />
für Eva stille Verlorenheit bedeutet. Georgs Schwe-<br />
ster Sigrid wiederum erleidet eine Art emotionalen<br />
Kollatoralschaden, schneidet sich in der Badewanne<br />
die Pulsadern auf. Bei alledem ist VARIATION aber<br />
keine >grausame< Tragödie, viel eher ein nachdenk-<br />
licher Liebesfilm, in dessen schmuckloser, aber nicht<br />
weniger avancierter Mise-en-scène ebenso viel küh-<br />
le Distanz wie zärtliche Nähe zum Ausdruck kommt.<br />
»<strong>Haneke</strong> hat VARIATION einmal seinen ›John-<br />
Cassavetes-Film‹ genannt, weil bei all den Verlet-<br />
zungen, die jeder dem anderen zufügt, die Utopie<br />
der Liebe erhalten bleibt« (Horwath). Tatsächlich<br />
zählt der Schluss zu den versöhnlichsten in <strong>Haneke</strong>s<br />
Werk, ein Happy End ist es freilich nicht. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
FR 15.10., 19:00<br />
WeR WaR eDGaR allan? A/BRD 1984<br />
REGIE <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
BUCH Hans Broczyner, <strong>Michael</strong><br />
<strong>Haneke</strong>, Peter Rosei<br />
KAMERA Frank Brühne<br />
SCHNITT Lotte Klimitschek<br />
MUSIK Ennio Morricone<br />
MIT Paulus Manker, Rolf Hoppe,<br />
Guido Wieland, Renzo Martini,<br />
Walter Garadi<br />
PRODUKTION Neue Studio<br />
Film, ZDF, ORF<br />
LÄNGE 83 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP<br />
Mit »Wer war Edgar Allan?« versuchte sich Peter<br />
Rosei 1977 erfolgreich im »Erzählen einer lite-<br />
rarischen Halluzination« (K. E. Thorpe): In stark<br />
fragmentierter Form schildert er darin die Identi-<br />
tätskrise eines Kunststudenten. Diverse Rausch-<br />
mittel zerrütten sein Selbstbild als Dandy, die<br />
Begegnung mit einem mysteriösen US-Amerikaner,<br />
dem titelspendenden Edgar Allan, und die Ver-<br />
wicklung in mysteriöse Verbrechen führen zur<br />
Verschlimmerung der Krise. Textlich offen gehalten,<br />
mit Elementen einer möglichen Biografie Poes<br />
durchsetzt, bot Roseis Vorlage die ideale Startbasis<br />
für ein offenes filmisches Erzählen. Wie der heim-<br />
liche Klassiker der österreichischen postmodernen<br />
Literatur, bleibt auch die Adaption eine einfache<br />
Lösung schuldig. Vielmehr dominieren das Labyrin-<br />
thische und Verzweigte, treten gewinnbringend an<br />
die Stelle einfacher (Krimi-)Linearität. Dass Rosei in<br />
seiner Poetik den Leitlinien eines außermoralischen<br />
Charakters der Grausamkeit und der existenziellen<br />
Ausweglosigkeit des Lebens verpflichtet ist, trägt<br />
noch zum Reiz dieser Arbeit <strong>Haneke</strong>s bei. (tb)<br />
37
38<br />
FR 15.10., 21:00<br />
FRaUlein BRD 1985<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Walter Kindler, Klaus<br />
Hohenberger<br />
SCHNITT Monika Sozbacher,<br />
Monika Schreiner<br />
MIT Angelica Domröse,<br />
Peter Franke, Lou Castel, Heinz-<br />
Werner Kraehkamp, Cordula<br />
Gerburg , Chris Howland, Lisa<br />
Helwig, Paulus Manker<br />
PRODUKTION Telefilm Saar<br />
Gmbh; SR (Saarländischer<br />
Rundfunk)<br />
LÄNGE 108 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, s/w<br />
Eine Mentalitätsstudie der deutschen Nach-<br />
kriegszeit, ein bitter-sarkastisches Melodram, von<br />
<strong>Haneke</strong> einmal als seine Antwort auf Fassbinders<br />
DIE EHE DER MARIA BRAUN bezeichnet. Eine Frau<br />
hat es sich in ihrem kleinstädtischen Leben »gut«<br />
eingerichtet – mit ihren beiden Kindern und ihrem<br />
Liebhaber, einem französischen Besatzungssol-<br />
daten und Amateur-Catcher. Bis ihr für tot erklärter<br />
Ehemann aus der russischen Kriegsgefangenschaft<br />
zurückkehrt. Die Autonomie ist schlagartig dahin,<br />
und ihr Alltag fortan von Entfremdung, Isolation<br />
und Psycho-Terror bestimmt: Der Mann leidet nicht<br />
nur am Trauma des Krieges, sondern auch am Trau-<br />
ma der Heimkehr. <strong>Haneke</strong>s bildästhetisch vielleicht<br />
ausladendster Fernsehfilm, nicht nur das Porträt<br />
einer Frau, die ihr »Glück« einfordert, sondern<br />
auch das Porträt einer deutschen Kleinstadt im<br />
Taumel des Wirtschaftswunders. Das Kino als Ort,<br />
in <strong>Haneke</strong>s Filmen nur selten präsent, ist dabei eine<br />
zentrale Drehscheibe – und gerät am Ende – ganz im<br />
metaphorischen Sinn – zum Fluchtraum schlechthin.<br />
(lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
FR 1.10., 19:30 | MO 4.10., 21:00<br />
DeR SieBenTe kOnTinenT A 1989<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Toni Peschke<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
MUSIK Alban Berg<br />
MIT Birgit Doll, Dieter Berner,<br />
Leni Tanzer, Udo Samel, Robert<br />
Dietl, Georg Friedrich<br />
PRODUKTION Veit Heiduschka;<br />
Wega-Film<br />
LÄNGE 104 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Das Kinodebüt von <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, 1989 in Cannes<br />
uraufgeführt und Auftakt zu seiner viel diskutierten<br />
Trilogie der emotionalen Vergletscherung. Ein Film<br />
von stilistischer Präzision, wie man sie im österrei-<br />
chischen (Erzähl-)Kino bis dahin noch nicht gesehen<br />
hat. Über einen Zeitraum von drei Jahren zeichnet<br />
<strong>Haneke</strong> den Alltag einer Linzer Mittelstandsfami-<br />
lie nach: Aufstehen, Zähneputzen, Frühstücken,<br />
Arbeiten, nach Hause kommen, Lichtabdrehen.<br />
Vater, Mutter, Kind eingespannt in die Mechanik der<br />
kapitalistischen Lebensordnung. Dann, eines Tages,<br />
die Wende. Das Ehepaar beschließt, gemeinsam<br />
mit der Tochter, in den Tod zu gehen – und vollzieht<br />
ihre Tat auf brachiale Weise. Ein Familienporträt<br />
als Traktat über das »Grauen der Wirklichkeit«,<br />
unmissverständlich formuliert in einer Grammatik<br />
der Ausweglosigkeit: Schwarzblenden, strenge<br />
Bildkadrage, kalte Farben, wie versteinert agierende<br />
Figuren. <strong>Haneke</strong> erklärt nichts, vertraut stattdessen<br />
ganz auf die Wirkungskraft der Zeichen. Ein zutiefst<br />
verstörender Film, der in der Klarheit seiner Form<br />
aber nachhaltig zu transzendentaler Schönheit<br />
findet. (lm)
Di 19.10., 18:45<br />
nachRUF FÜR einen MÖRDeR A 1991<br />
GESTALTUNG <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
SCHNITT Brigitte Pevny<br />
REDAKTION Wolfgang Ainberger,<br />
Evelyn Itkin<br />
PRODUKTION ORF (»Kunststücke«)<br />
LÄNGE 110 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe<br />
»Am 8. September 1990 schoß der 21jährige Felix<br />
Zehetner aus Wien Florisdorf auf seine schlafenden<br />
Eltern, richtete auf der Party benachbarter Freunde<br />
ein Blutbad an, streckte zwei Polizisten nieder und<br />
tötete sich anschließend selbst. Fazit des Amok-<br />
laufs: 6 Tote, 4 lebensgefährlich Verletzte. Drei Tage<br />
später fand im 2. Programm des österreichischen<br />
Fernsehens aus diesem Anlass ein CLUB 2 mit dem<br />
Thema ›Töten statt reden – Über den jugendlichen<br />
Gewaltrausch‹ statt. Sämtliche Fernsehsendungen<br />
dieses einen Tages (FS1 und FS2) bilden das allei-<br />
nige Material der folgenden TV-Collage. Länge, Posi-<br />
tion und Häufigkeit der Sendungsteile in der Collage<br />
entsprechen proportional exakt der Länge, Position<br />
und Häufigkeit ihres Vorkommens im Tagespro-<br />
gramm«: So liest sich die instruktive Texttafel im<br />
Vorspann von NACHRUF FÜR EINEN MÖRDER, Ha-<br />
nekes nüchtern-zynische Reflexion über die mediale<br />
Auseinandersetzung mit diesem Fall, die er nicht<br />
zuletzt überformt sieht durch den Bilderkreislauf<br />
des Entertainment. Fernsehkritik im Fernsehen, in<br />
ihren Mitteln so einfach wie komplex. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
Di 12.10., 20:30<br />
BennY’S ViDeO A/CH 1992<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Christian Berger<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
TON Karl Schlifelner<br />
MIT Arno Frisch, Angela Winkler,<br />
Ulrich Mühe<br />
PRODUKTION Wega Film;<br />
Bernard Lang<br />
LÄNGE 105 Mintuten<br />
FORMAT 35 mm<br />
Die Spektakelgesellschaft und ihre Vertreter stehen<br />
im Zentrum von BENNY’S VIDEO: Der Film beginnt<br />
mit dem statischen Rauschen der Bildschirme, dem<br />
kalten Technikgeräusch der Tötung eines Schweins<br />
mittels Bolzenschussgerät. Benny, der wohlstandver-<br />
wahrloste Sohn aus gutem Hause, thront in seinem<br />
Zimmerreich aus Bildschirmen, Gerätschaften und<br />
Abspielgeräten. Verschanzt in seinem Reich der<br />
Wirklichkeitsmanipulation und vermeintlicher All-<br />
macht, ediert er seine eigenen Erfahrungen, kehrt er<br />
immer wieder zur bewahrten Szenerie einer Schlach-<br />
tung zurück. Die Begegnung mit einem namenlosen<br />
Mädchen, die er in einer Videothek trifft, führt nicht,<br />
wie es die filmischen Konventionen anbieten würden,<br />
zu einer sexuellen Erfahrung, sondern zu einem<br />
kühlen Mord abseits des Sichtbaren. Das Fragen nach<br />
moralischen Rahmenbedingungen und Medienehtik<br />
bestimmen diesen gleichermaßen zugänglichen<br />
wie sachlich anmutenden Film. Dass die elterliche<br />
Generation in ihrer Verantwortungsverweigerung<br />
dabei kein gutes Bild abgibt, ist ebenso konsequent<br />
wie klar. Das Prothesengedächtnis Video erweist sich<br />
hier als bandlanger Stoff aus dem Alpträume und<br />
generationsübergreifende Fesseln gewoben sind. (tb)<br />
39
40<br />
Sa 9.10., 18:30 | MO 18.10., 21:00<br />
Die ReBelliOn A 1993<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jirí Stibr<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
TON Karl Schlifelner<br />
MIT Branko Samarovski, Judith<br />
Pogány, Thierry Van Werveke,<br />
Deborah Wisniewski, Ulrich<br />
Reinthaller, Katharina Grabherr,<br />
August Schmölzer, Johannes<br />
Silberschneider, Christian Spatzek,<br />
Karl Ferdinand Kratzl, Götz<br />
Kauffmann, Georg Trenkwitz,<br />
Udo Samel<br />
PRODUKTION Wega-Film; ORF<br />
LÄNGE 105 Minuten<br />
FORMAT Beta-SP, Farbe, s/w<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s Verfilmung des gleichnamigen<br />
Romans von Joseph Roth, gedreht als Auftragsar-<br />
beit für das österreichische Fernsehen. Aber auf<br />
das Kino vergisst <strong>Haneke</strong> dabei wieder einmal nicht:<br />
DIE REBELLION lässt sich in seinem Expressionis-<br />
mus auch als Verbeugung vor den Sozialdramen des<br />
Weimarer Kinos lesen. Es ist ein stiller, überaus ly-<br />
rischer Film, in seinen Farbtexturen feinsinnig gewo-<br />
ben, mit einem glänzenden Schauspieler-Ensemble<br />
besetzt und von Udo Samels unprätentiöser Erzähl-<br />
stimme durchdrungen. Andreas Plum (Samarovski)<br />
wird im Krieg ein Bein amputiert und – zurück in<br />
Wien – mit einer Drehorgellizenz »belohnt«. In<br />
seiner Staatsgläubigkeit stets unerschüttert, gerät<br />
er allerdings jäh in Konflikt mit der Justiz. Plum<br />
verliert seine Lizenz, seine Frau und, nicht zuletzt,<br />
auch seine Fassung. Er wird ins Gefängnis gesteckt<br />
und nach seiner Enthaftung zum Toilettenaufseher<br />
im Café Halali gemacht, wo er – in einer Schlussse-<br />
quenz von klarstem Surrealismus – zu einer letzten<br />
Erkenntnis gelangt. Die Geschichte vom Untergang<br />
der Donaumonarchie als Geschichte einer Wahrneh-<br />
mungsverschiebung. Eine Großtat. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
MO 11.10., 21:00<br />
71 FRaGMenTe eineR chROnOlOGie DeS ZUFallS<br />
A/D 1994<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Christian Berger<br />
SCHNITT Marie Homolkova<br />
TON Hannes Eder<br />
MIT Gabriel Cosmin Urdes,<br />
Lukas Miko, Otto Grünmandl,<br />
Anne Bennent, Udo Samel,<br />
Branko Samarovski, Claudia<br />
Martini, Georg Friedrich,<br />
Alexander Pschill<br />
PRODUKTION Veit Heiduschka;<br />
Wega-Film; ZDF; arte<br />
LÄNGE 95 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Letzter Teil von <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s Trilogie der<br />
emotionalen Vergletscherung. Ein Gesellschafts-<br />
Panorama im besten Sinne. <strong>Haneke</strong> gibt Einblicke<br />
in die Lebensentwürfe verschiedener Menschen in<br />
Wien – ein rumänischer Straßenjunge, zwei Ehe-<br />
paare, ein alter Mann oder ein Student. Sie stehen<br />
in keinerlei Verbindung zueinander, bis sie der Zufall<br />
am Ende zusammen führt: Kurz vor Weihnachten<br />
läuft der Student Amok, eröffnet in einer Bank das<br />
Feuer und richtet sich im Anschluss selbst. In seiner<br />
Chronik der Ereignisse verweigert sich <strong>Haneke</strong>, so<br />
will es seine rigorose Kino-Moral, jeglicher psycho-<br />
logischen Deutung des Falls, sucht vielmehr nach<br />
dem größeren, soziokulturellen Zusammenhang und<br />
erstellt mit klinischer Genauigkeit ein Protokoll der<br />
existenziellen Überforderung. Gegliedert ist dieses<br />
dabei in 71 Alltags-Szenen, die durch Schwarzfilm<br />
markant voneinander getrennt sind: Die mediale<br />
Wirklichkeit ist ein komplexes, manipulatives Kon-<br />
strukt. Das gibt uns <strong>Haneke</strong> hier in aller Dringlich-<br />
keit zu verstehen. Großes Kino der Beunruhigung,<br />
so klar wie rätselhaft. (lm)
Mi 20.10., 19:00<br />
lUMiÈRe eT cOMPaGnie F/DK/ESP/SCHWEDEN 1995<br />
REGIE Theo Angelopoulos,<br />
Peter Greenaway, Abbas<br />
Kiarostami, Spike Lee, David<br />
Lynch, <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, Jacques<br />
Rivette u. a.<br />
IDEE Philippe Poulet<br />
MIT Jeffe Alperi, Romane Bohringer,<br />
Bruno Ganz, Neil Jordan,<br />
Satchel Lee<br />
PRODUKTION Cinétévé; La<br />
Sept Arte; Igeldo Komunikazioa;<br />
Søren Stærmose AB; Canal+;<br />
Arte<br />
LÄNGE 88 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, s/w, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Glückwunschfilme an das Kino. 1995 feierte es<br />
seinen 100. Geburtstag – begleitet von zahlreichen,<br />
internationalen Projekten. Unter anderem von<br />
diesem: Für LUMIÈRE ET COMPAGNIE wurden an die<br />
150 Filmemacher eingeladen, mit einem der ersten<br />
Zauberkästen des Kinos zu hantieren, nämlich mit<br />
einer Original-Kamera der Gebrüder Lumière. Die<br />
Spielregeln waren dabei für alle gleich: Die Filme<br />
müssen in der Kamera geschnitten werden, dürfen<br />
nicht länger als 54 Sekunden lang sein, über kein<br />
künstliches Licht und keinen zusätzlichen Ton<br />
verfügen und in nicht mehr als drei takes gedreht<br />
werden. 40 Regisseure erklärten sich bereit, nach<br />
diesen Regeln zu spielen. Unter ihnen Virtuosen wie<br />
Peter Greenaway, David Lynch, Abbas Kiarostami<br />
oder eben auch <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>. In seinem Beitrag<br />
sieht <strong>Haneke</strong> mit der Kamera fern, verdichtet eine<br />
Nachrichtensendung auf die vorgegebene Zeit:<br />
Moderation, Politik, Chronik, Sport und das Wetter.<br />
Die Aufzeichnungs-Prinzipien der geduldigen Welt-<br />
betrachter Lumière, auf denen die Regeln aufbau-<br />
en, angewandt auf eine Wirklichkeit des medialen<br />
Bildüberschusses. Typisch <strong>Haneke</strong> also. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
SO 17.10., 18:30<br />
DaS SchlOSS A 1997<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jirí Stibr<br />
SCHNITT Andreas Prochaska<br />
TON Hannes Eder<br />
MIT Ulrich Mühe, Susanne<br />
Lothar, Frank Giering. Felix<br />
Eitner, Nikolaus Paryla, André<br />
Eisermann, Dörte Lyssewski,<br />
Branko Samarovski, Ortrud<br />
Beginnen, Otto Grünmandl,<br />
Johannes Silberschneider<br />
PRODUKTION arte; BR; ORF;<br />
Wega Film<br />
LÄNGE 123 Minuten<br />
FORMAT 35 mm<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s geradlinige, bis zur Sachlichkeit<br />
klare Umsetzung von Kafkas Literaturvorlage macht<br />
deutlich, anders als vergleichbare Verfilmungen<br />
des Romanfragments, wie wenig Raum ein positiver<br />
Entwurf hier haben kann: Landvermesser K. – selbst<br />
in seinem Beruf mehr ein von Autoritäten Berufener<br />
denn Ausübender – kann nicht ins Schloss, das über<br />
seinem Aufenthaltsort, dem entlegenen Dorf, liegt,<br />
gelangen. Je mehr er sich bemüht, desto weiter<br />
rückt sein Ziel in die Ferne. Aufgabe und Existenz<br />
erliegen dem bürokratischen Dickicht und den<br />
undurchsichtigen Entscheidungen wenig greif-<br />
barer Instanzen. K. bleibt ein Ausgelieferter ohne<br />
Hoffnung oder Utopie, doch mit einer möglichen<br />
Botschaft: »Wenn es eine Utopie geben sollte, die<br />
man ernstnehmen kann, dann kann das nur eine<br />
negative Utopie sein. Und die wiederum kann es nur<br />
geben, wenn man genau analysiert, meinetwegen<br />
auch übertreibt, wenn man eine präzise Bestands-<br />
aufnahme des Gegebenen bietet. Wenn ich das, was<br />
ist, wirklich radikal zu Ende formuliere, dann kann<br />
aus den Einsichten, die der Zuschauer gewinnt,<br />
eine Form von Hoffnung, Utopie, von Kampfwillen<br />
entstehen.« (M. <strong>Haneke</strong>) (tb)<br />
41
42<br />
DO 14.10., 21:00<br />
FUnnY GaMeS A 1997<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jürgen Jürges<br />
SCHNITT Andreas Prochaska<br />
TON Wolfgang Amann<br />
MIT Arno Frisch, Frank Giering,<br />
Susanne Lothar, Ulrich Mühe,<br />
Stafan Clapczynski, Doris<br />
Kunstmann, Christoph Bantzer,<br />
Wolfgang Glück, Susanne Meneghel,<br />
Monika Zallinger<br />
PRODUKTION Wega Film; ORF<br />
LÄNGE 108 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Mit FUNNY GAMES, einem seiner bis heute um-<br />
strittensten Filme, entfaltet <strong>Haneke</strong> eine negative<br />
Idylle: Die Tage am See führen für eine bürgerliche<br />
Familie nicht zur gewünschten Erholung, sondern<br />
geradewegs in den Tod. Medienreflexiv gezeichnet,<br />
treten zwei junge Männer, deutlich referenzbela-<br />
dene Erinnyen, in das kleine Glück, führen als stille<br />
Rasende nicht nur die Verletzbarkeit der Opfer, son-<br />
dern auch des Publikums vor. Schritt für Schritt wird<br />
die Kinosituation mitgemeint, macht der Schrecken<br />
der angespielten Genres vor dem extradiegetischen<br />
Raum nicht mehr Halt. Die scheinbar motivlosen,<br />
psychischen wie auch physischen Gewaltdemonstra-<br />
tionen der Täter entfalten sich dabei im horriblen<br />
Paradox von ausgesuchter Höflichkeit und gna-<br />
denloser Exekution. Mit dem Einbruch der beiden<br />
werden aber nicht nur die beklemmenden Folgen<br />
einer unhinterfragten Medialisierung von Wirklich-<br />
keit vorgeführt, sondern auf zweiter und wohl auch<br />
gewichtigerer Ebene die vielfältigen Verknüpfungen<br />
von Macht und Legitimation aufgerufen. (tb)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
Sa 16.10., 21:00<br />
cODe incOnnU: RÉciT incOMPleT De DiVeRS<br />
VOYaGeS F/D/R 2000<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jürgen Jürgens<br />
SCHNITT Andreas Prochaska,<br />
Karin Hartusch, Nadine Muse<br />
MUSIK Giba Goncalves<br />
MIT Juliette Binoche, Thierry<br />
Neuvic, Alexandre Hamidi, Josef<br />
Bierbichler, Paulus Manker<br />
PRODUKTION MK2 Productions;<br />
France 2 Cinéma; Canal+;<br />
Les Films Alain Sarde; Arte<br />
France Cinéma; Bavaria Film;<br />
ZDF; Filmex Romania<br />
LÄNGE 118 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s erster internationaler Film,<br />
vornehmlich produziert und gedreht in Frankreich<br />
und mit einem Weltstar (Juliette Binoche) in der<br />
Hauptrolle besetzt. <strong>Haneke</strong> erzählt von Fremdheit,<br />
Entfremdung und dem Mangel an Kommunikation<br />
in der modernen, von Multikulturalität geprägten<br />
Gesellschaft, rückt Menschen in den Mittelpunkt – u.<br />
a. eine Schauspielerin, eine rumänische Bettlerin,<br />
einen schwarzen Musiklehrer, einen Kriegsfoto-<br />
grafen –, die in ihren privaten oder öffentlichen<br />
Begegnungen keinen Zugang zueinander finden.<br />
Wie der Titel bereits sagt: Code Unbekannt.<br />
In seiner ästhetischen Strategie präsentiert sich Ha-<br />
neke dabei einmal mehr als brillanter, auf filmische<br />
Selbstreflexion fokussierter Konstruktivist. Er weist<br />
seine Alltagsbeobachtungen explizit als Fragmente<br />
aus und formt diese nahezu ausschließlich zu<br />
Plansequenzen, welche in ihren vielschichtigen<br />
(sozialen) Bewegungen ebenso die Konzentration<br />
des Zuschauers fordern wie sie eine geradezu<br />
offene Empathie für die handelnden Personen in<br />
sich tragen – nicht zuletzt deshalb wohl <strong>Haneke</strong>s bis<br />
dato zugänglichster Kinofilm. (lm)
FR 8.10., 20:15<br />
la PianiSTe/Die klaVieRSPieleRin F/BRD/PL/A 2001<br />
REGIE <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>, nach<br />
dem gleichnamigen Roman von<br />
Elfriede Jelinek<br />
KAMERA Christian Berger<br />
SCHNITT Nadine Muse, Monika<br />
Willi<br />
MUSIK Francis Haines<br />
MIT Isabelle Huppert, Annie<br />
Girardot, Benoît Magimel,<br />
<strong>Michael</strong> Schottenberg, Susanne<br />
Lothar, Udo Samel, Cornelia<br />
Köndgen, Georg Friedrich<br />
PRODUKTION Wega Film,<br />
Wien; MK2 Productions; Les<br />
Films Alain Sadre; Arte France<br />
Cinéma; Bayrischer Rundfunk;<br />
P.P. Film Polski<br />
LÄNGE 131 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Erika ist Mutters ganzer Stolz. Sie hat es weit<br />
gebracht. »Frau Professor« wird sie am Konserva-<br />
torium genannt. Die gesellschaftliche Anerkennung<br />
und das sichere Einkommen sollen sie für ihre<br />
entgangene Weltkarriere als Pianistin entschädigen.<br />
Kommt Erika am Abend zu spät nach Hause, gibt<br />
es Streit und Vorwürfe, die oft erst in der Intimität<br />
des gemeinsamen Doppelbettes, in dem Mutter<br />
und Tochter schlafen, besänftigt werden. Eines<br />
Tages beginnt ein junger Student, sich um Erika zu<br />
bemühen. Fluchtbewegungen sind es vor allem, die<br />
<strong>Haneke</strong> in gewohnt kühlen und distanzierten Bildern<br />
von seiner Klavierspielerin zeichnet. Fluchtversuche<br />
aus einem Leben ohne Liebe, Wärme und wirklich<br />
gelebte Sexualität – gnadenlos inszeniert und von<br />
Isabelle Huppert erschreckend intensiv dargestellt.<br />
»Wie sich Menschen abarbeiten an der Kunst und<br />
den Körpern, davon erzählt dieser Film, unbeirrt,<br />
zwei Stunden lang … Kunstfertiger war Europas<br />
Kino jedenfalls lange nicht.« (Stefan Grissemann)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
SO 17.10., 21:00<br />
le TeMPS DU lOUP / WOlFZeiT F/A/D 2003<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Jürgen Jürges<br />
SCHNITT Nadine Muse, Monika<br />
Will<br />
TON Jean-Pierre Laforce,<br />
Guillaume Sciama<br />
MIT Isabelle Huppert, Béatrice<br />
Dalle, Patrice Chéreau, Brigitte<br />
Roüan, Olivier Gourmet<br />
PRODUKTION Wegafilm;<br />
Bavaria Film; Canal+; CNC; Eurimages;<br />
France 3 Cinéma; Les<br />
films du Losange; arte France<br />
Cinéma<br />
LÄNGE 113 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s WOLFZEIT geht das Spiel mit dem<br />
Apokalyptischen – genauer: mit dem Postapoka-<br />
lyptischen – ein. Zu Beginn der Handlung ist die<br />
Katastrophe schon geschehen, das alles verän-<br />
dernde Ereignis ist atmosphärisch spürbar, bleibt<br />
aber ungenannt. So wie sein Film CODE INCONNU<br />
(2000) die Frage danach stellt, wie lange es mit der<br />
westlichen Gesellschaft noch so weitergehen kann,<br />
werden hier anhand einer gewaltvoll zertrümmerten<br />
Kleinfamilie Fragen nach dem Weiterleben nach<br />
der Katastrophe gestellt. Lösen große Hollywood-<br />
Produktionen diese Komplexe meist zugunsten<br />
der wiederhergestellten familiären Einheit oder<br />
Schicksalsgemeinschaft auf, trägt bei <strong>Haneke</strong> im-<br />
mer der Einzelne die Verpflichtung, Bürde und Last<br />
der Situation. Unter Rückgriff auf mythologische<br />
Elemente wird ein Ausweg geöffnet – und erst dann<br />
darf die Sonne wieder in voller Pracht Licht und<br />
(trügerische?) Hoffnung spenden. (tb)<br />
43
44<br />
Di 12.10., 19:00<br />
24 WiRklichkeiTen in DeR SekUnDe.<br />
<strong>Michael</strong> haneke iM FilM A 2004<br />
REGIE, BUCH, KAMERA<br />
Nina Kusturica, Eva Testor<br />
SCHNITT Niki Mossböck, Nina<br />
Kusturica<br />
TON Marco Antoniazzi<br />
PRODUKTION Mobilefilm<br />
LÄNGE 58 Minuten<br />
FORMAT Digi-Beta, Farbe<br />
24 WIRKLICHKEITEN IN DER SEKUNDE heißt dieser<br />
Film. Sein Titel könnte aber auch lauten: Szenen<br />
aus dem Alltag eines Kino-Getriebenen. Denn<br />
Nina Kusturicas und Eva Testors Doku ist nicht so<br />
sehr ein Film über das Kino von <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>,<br />
sondern vielmehr ein Film über <strong>Haneke</strong> bei der<br />
Arbeit an diesem und für dieses Kino. Über einen<br />
Zeitraum von zweieinhalb Jahren haben sie ihn in<br />
seinem beruflichen Alltag begleitet, ihn beobachtet<br />
in Diskussion mit seinem Team bei der Motivsuche<br />
für WOLFZEIT im Burgenland oder im Gespräch<br />
mit seinem Publikum in Frankreich, im Studio beim<br />
Schnitt von CACHÉ oder bei Interviews in gedie-<br />
genen Hotelzimmern. <strong>Haneke</strong>, so scheint’s, ist ein<br />
Rastloser, immer am Sprung. Dazu passt denn auch,<br />
dass die Gespräche zwischen Kusturica/Testor und<br />
<strong>Haneke</strong> vor allem im Zug, im Auto oder im Flugzeug<br />
stattfinden. Ein Arbeitsporträt als road movie über<br />
einen Filmemacher, der sich für Antworten zu sich<br />
und seinem Kino nie zu schade ist – außer aber es<br />
betrifft Fragen, deren Antworten er schon in seinen<br />
Filmen rigoros verweigert hat. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
Sa 2.10., 21:00<br />
cachÉ F/A/D/I/US 2005<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Christian Berger<br />
SCHNITT <strong>Michael</strong> Hudecek,<br />
Nadine Muse<br />
TON Jean-Paul Mugel<br />
MIT Daniel Auteuil, Juliette<br />
Binoche, Maurice Bénichou,<br />
Annie Girardot, Bernard Le Coq,<br />
Nathalie Richard, Daniel Duval<br />
PRODUKTION Les Films du<br />
Losange; Wega Film; ORF; Bavaria<br />
Film; WDR; BIM Distribuzione;<br />
France 3 Cinéma; Arte France<br />
Cinéma; Canal+; StudioCanal;<br />
Uphill Pictures<br />
LÄNGE 117 Minuten<br />
FORMAT 35 mm<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Mit dem in Cannes ausgezeichneten CACHÉ spürt<br />
<strong>Haneke</strong> erneut der Natur der Schuld nach: Wie auch<br />
in David Lynchs LOST HIGHWAY wird eine brüchige,<br />
doch immer noch intakte Familie ins Visier genom-<br />
men. Wer hier den eröffnenden bedrohlichen Blick<br />
auf die schicke Pariser Wohnung wirft, bleibt aber<br />
unklar. Deutlich wird hingegen, dass die Zuschau-<br />
er und die allmächtig scheinende Position einen<br />
ansonsten unverstellten Blick auf das nach und<br />
nach freigelegte Leben der Familie Laurent werfen<br />
können (tb): »Das großbürgerliche Intellektuellen-<br />
paar erhält anonyme Botschaften: Videobänder, die<br />
zeigen, dass sie von irgendwem überwacht werden;<br />
Bilder, die wie Kinderzeichnungen aussehen, und<br />
gewalttätige Inhalte haben. Ganz sachte lässt<br />
<strong>Haneke</strong> die Hysterie der Familie, die Spannungen<br />
zwischen ihren Mitgliedern wachsen und registriert<br />
mit seismografischer Konsequenz dieses Zerrin-<br />
nen des Sicherheitsgefühls – bis die Nerven blank<br />
liegen. Es ist klar: auch für diese wohlsituierten, in<br />
jeder Hinsicht etablierten Bourgois kommt erst die<br />
Sicherheit, dann die Freiheit.« (R. Suchsland)
Di 19.10., 21:00<br />
FUnnY GaMeS U.S. US/UK/F/A 2008<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Darius Khondji<br />
SCHNITT Monika Willi<br />
MUSIK Georg Friedrich Händel,<br />
Pietro Mascagni, Wolfgang Amadeus<br />
Mozart, John Zorn<br />
MIT Naomi Watts, Tim Roth,<br />
<strong>Michael</strong> Pitt, Brady Corbet,<br />
Devon Gearhart<br />
PRODUKTION Belladonna<br />
Productions; Halcyon Pictures;<br />
Tartan Films; X Film International;<br />
Kinematograf<br />
LÄNGE 111 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, Farbe<br />
Originalfassung mit<br />
deutschen Untertiteln<br />
Das US-Remake von FUNNY GAMES – in seiner<br />
Shot-by-Shot-Bauweise am ehesten vergleichbar<br />
mit Gus van Sants PSYCHO-Experiment. Mit einem<br />
gewichtigen Unterschied: Die Re-Inszenierung<br />
dieser unerhörten Urlaubsgeschichte, in der zwei<br />
Wohlstandsbengel in Komplizenschaft mit dem<br />
Zuschauer eine Kleinfamilie in ein absolut tödliches<br />
Spiel zwingen, besorgte der Regisseur des Origi-<br />
nals gleich selbst. FUNNY GAMES, entstanden als<br />
zynische Reaktion auf die Gewaltverliebtheit der<br />
Konsumindustrie (also auch jener Hollywoods), war<br />
laut <strong>Haneke</strong> immer auch für ein amerikanisches<br />
Publikum gedacht. Und mit der Amerikanisierung<br />
seines Films konnte er dieses nun direkter, quasi in<br />
dessen vertrauten Codes adressieren: der eigenen<br />
Sprache, der eigenen Lebenswelt, der eigenen<br />
Kino-Kultur (mit den Stars Naomi Watts und Tim<br />
Roth). Dies sind denn auch die feinen Akzentver-<br />
schiebungen, die FUNNY GAMES U.S., bei aller<br />
strukturellen Übereinstimmung mit seinem Vor-Bild,<br />
eine etwas andere Dynamik verleihen – freilich ohne<br />
dabei an Schock-Wirkung einzubüßen. Dafür ist<br />
<strong>Haneke</strong>s Spannungs-Dramaturgie zu virtuos. Experi-<br />
ment geglückt. (lm)<br />
<strong>Michael</strong> haneke | PROGRAMM | 1. BIS 20. OKTOBER 2010 | METRO KINO<br />
Sa 9.10., 20:45 | Mi 20.10., 20:45<br />
DaS WeiSSe BanD A/D/F/I/KANADA 2009<br />
REGIE, BUCH <strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong><br />
KAMERA Christian Berger<br />
SCHNITT Monika Willi<br />
TON Guillaume Sciama<br />
MIT Christian Friedel, Burghart<br />
Klaußner, Ulrich Tukur, Josef<br />
Bierbichler, Susanne Lothar,<br />
Branko Samarovski, Birgit<br />
Minichmayr, Ernst Jacobi, Ursina<br />
Lardi<br />
PRODUKTION X Filme Creative<br />
Pool; Wega-Film; Les Films du<br />
Losange; Canal +; Lucky Red;<br />
[Mini-Traité Franco-Canadien]<br />
LÄNGE 145 Minuten<br />
FORMAT 35 mm, s/w<br />
Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges.<br />
In einem protestantischen Dorf gehen seltsame Din-<br />
ge vor sich: Der Arzt stürzt mit seinem Pferd über<br />
ein heimlich gespanntes Seil, ein Kind wird entführt<br />
und gefoltert, eine Scheune in Brand gesteckt. Die<br />
Vorfälle, für die kein Täter in Sicht ist, sind aber nur<br />
die »äußere« Gewalt in dieser mystery tale. Gewalt<br />
findet auch im Innersten des Dorfes, in den Familien<br />
statt. Frauen werden gedemütigt und misshandelt,<br />
Kinder mit höflicher Strenge gezüchtigt. Der Pastor<br />
bindet zweien seiner Söhne und Töchter für ihre<br />
»Vergehen« ein weißen Band um, ein Zeichen der<br />
moralischen Reinheit und Unschuld, die aber längst<br />
verloren sind.<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Haneke</strong>s Opus Magnum, in seiner visu-<br />
ellen Wucht oftmals verglichen mit dem Kino eines<br />
Carl Theodor Dreyer oder Ingmar Bergman. Ein<br />
vielschichtiges, beinahe schon klassizistisches<br />
Sittengemälde, in dem <strong>Haneke</strong> den Wurzeln von To-<br />
talitarismus und Terrorismus, ergo auch Faschismus<br />
nachspürt – in Szene gesetzt mit einem fulmi-<br />
nanten Schauspieler-Ensemble und getaucht in ein<br />
Schwarzweiß von geradezu unheimlicher Klarheit.<br />
Ein teuflisches Werk. (lm)<br />
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