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STAR TREK<br />
STARFLEET ACADEMY<br />
Tension<br />
Fanfiction-Roman<br />
Star Trek©<br />
Starfleet Academy<br />
Ω<br />
2010<br />
STARFURY PRODUCTIONS<br />
Erste Auflage<br />
www.st-legend.de.vu<br />
Paramount Pictures 2010. TM, ® & © by Paramount Pictures: STAR TREK, STAR TREK<br />
THE ANIMATET SERIES, STAR TREK - THE NEXT GENERATION, STAR TREK -<br />
DEEP SPACE NINE , STAR TREK VOYAGER, and STAR TREK: ENTERPRISE are<br />
Trademarks of Paramount Pictures. All Rights Reserverd!<br />
Die Verwendung des Begriffs Star Trek und damit verwandter Begriffe erfolgt nicht in<br />
Absicht einer Urheberrechtsverletzung. Copyrighted material has been used for noncommercial<br />
purposes only.
„Jeder Mensch hat das Recht das, was er für die Wahrheit<br />
hält, zu sagen. Und jeder anderen Mensch hat das Recht, ihn<br />
deswegen verbal niederzuknüppeln.“<br />
-Samuel Johnson<br />
„In Gottes Namen, lasst uns friedlich beide Seiten hören!”<br />
- Thomas Jefferson
My independence is calling my name<br />
A doubtful voice divides my faith<br />
My independence only hesitates<br />
An unsure choice I can't embrace<br />
You're gonna have to carve me,<br />
Carve me from stone<br />
Right to the bone<br />
Or I'll end up alone<br />
Playing the role<br />
Of someone in control<br />
My independence is turning the page<br />
Tomorrow comes we start to fade<br />
My independence only complicates<br />
It's not enough to meet half way
Vorwort des Autors, Danksagung, und sortierte Abschweifungen<br />
So. Hier ist es. Mein neuestes Werk. Nein, es ist nicht die<br />
Geschichte mit den gestrandeten Sternenflotten-Offizieren, die sich<br />
darauf spezialisiert haben, auf möglichst blutige und dramatische Art<br />
zahlreich ins Gras zu beißen.<br />
Es ist das Kontrastprogramm dazu.<br />
Als ich mich damals entschied etwas völlig neues auszuprobieren<br />
und eine ernste, düstere, teilweise sogar haarsträubend morbide Star<br />
Trek-Geschichte namens „Cast Away“ zu schreiben, kam das<br />
ungewohnte Experiment sowohl bei mir, als auch bei den Lesern (bei<br />
allen drei) sehr gut an. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten,<br />
dass Cast Away das literarisch professionellste ist, was bisher meiner<br />
Feder entsprang. Aber aus irgendeinem Grund ist mein Glück darüber<br />
getrübt. Irgendwie empfinde ich – trotz meines immensen Stolzes auf<br />
die Geschichten - immer ein nagendes Schuldgefühl, wenn ich die<br />
„Cast Away“-Romane in Umlauf bringe. Und ich weiß auch warum.<br />
Auf Dauer ist das Schreiben einer solchen Endzeit-Geschichte sehr<br />
anstrengend, und es ist vor allem eines: Kein Star Trek.<br />
In einer Welt die – wie üblich – in Drogen, Krieg, Öl und medialem<br />
Nonsens erstickt, ist es wichtig einen Kontrast zu zeigen. Kein Ying<br />
ohne Yang. Gene Roddenberry hat das auf wunderbare Art und Weise<br />
verstanden und uns eine Welt geschaffen, die zum Träumen einlädt,<br />
weil wir dort unsere größten Probleme überwunden haben und nicht<br />
länger befürchten müssen, dass wir uns durch allzu menschliche<br />
Regungen wie Rachsucht oder Egoismus selbst zerstören. Stattdessen<br />
müssen wir uns in diesem Traum nur noch davor fürchten, von<br />
kybernetischen Zombies assimiliert, oder von Gestaltwandlern<br />
ausgelöscht zu werden...<br />
Moment mal.<br />
Das kam jetzt nicht so rüber, wie gewollt... Okay, auch in Star Trek<br />
gibt es Probleme und auch dort sind die Personen nicht perfekt, aber<br />
sie versuchen es wenigstens besser zu machen als wir, und sie<br />
versuchen uns, den Zuschauern und Lesern, möglichst eine kleine<br />
Lektion oder einen interessanten Gedankengang mit auf dem Weg zu
geben. Stoff zum nachdenken und zum Träumen eben.<br />
Genau aus diesem Grund existieren die Starfleet Academy-<br />
Geschichten. Die einfach gestrickten und etwas unspektakulären<br />
Abenteuer der furchtbar naiven aber dafür sympathischen Kadetten ist<br />
mein Kontrastprogramm zu „Cast Away“ – und somit auch eine kleine<br />
Entschuldigung, falls ich die Vision des großen Vogels der Galaxis<br />
missbraucht haben sollte. Es ist mein Geschenk für all jene, die Genug<br />
von Raumschlachten und Kriegen haben, und stattdessen wieder gerne<br />
lachen möchten. Und es ist natürlich wieder ein Geschenk für die<br />
einzig wahre, nächste Generation – nämlich für all jene, die zur Schule<br />
gehen, zur Schule gegangen sind, oder irgendwann zur Schule gehen<br />
werden.<br />
„Tension“ verdankt seine Existenz vielen Leuten, aber nur eine<br />
Handvoll davon befindet sich außerhalb meines Kopfes.<br />
Hauptsächlich sei diesmal den immerzu freundlichen und wahrhaft<br />
trekkigen Mitgliedern des SF3DFF-Forums gedankt - vor allem Max<br />
und Maik, die mich unabsichtlich auf die Idee zu dieser Geschichte<br />
brachten. Das habt ihr nun davon.<br />
Wie schon beim ersten Starfleet Academy-Roman „Beginnings“,<br />
war auch „Tension“ ursprünglich nur als Kurzgeschichte gedacht, die<br />
schon bald ein Eigenleben entwickelte und aus dem Ruder lief. Das<br />
zeugt zwar vom Spaß, den ich beim Schreiben hatte, führt aber leider<br />
auch dazu, dass ich – anders als üblich – auch beim zweiten Starfleet<br />
Academy-Roman keinen Masterplan hatte und die Geschichte mehr<br />
oder weniger spontan schrieb, ohne zu wissen, was als nächstes<br />
passieren würde. Gerade die in letzter Minute aus den Fingern<br />
gesogene Nebenhandlung mit der KI fällt daher etwas platt aus und ist<br />
sicher nicht frei von Logikfehlern oder Ungereimtheiten. Aber sei’s<br />
drum. Die Haupthandlung um Redefreiheit, Zensur, Loyalität und<br />
Rassismus ist dafür umso gelungener... hoffe ich. Wie auch immer.<br />
Ich wünsche mal wieder viel Spaß beim Lesen und immer dran<br />
denken: keep on trekking.
Prolog<br />
Die Nacht war still und drückend. Vom Campus der Sternenflotten-<br />
Akademie aus waren San Francisco und das von tiefhängendem Nebel<br />
bedeckte Meer kaum noch zu erkennen. Der Vollmond wurde von<br />
ziehenden Schwaden verschluckt - Das bisschen schwache Licht, das<br />
er verzweifelt abzugeben versuchte, reichte nicht aus, um den<br />
weitläufigen Gärten des Campus die Bedrohlichkeit zu rauben, die sie<br />
in dieser Nacht ausstrahlten. Von allen Seiten ragten Bäume auf. Zwei<br />
unscharfe Schatten huschten durch den Nebel einen engen Pfad zur<br />
Akademie hinab. Es war kurz vor zwei Uhr Nachts. <strong>Sie</strong> hatten ihr Ziel<br />
fast erreicht.<br />
Der eine war groß und kräftig. Er trug einen schweren Kasten auf<br />
den Schultern der von Innen heraus zu glühen schien und er federte<br />
bei jedem Schritt, als müsse er das Gewicht des Kastens ständig<br />
verlagern. Seine Fühler waren kerzengerade und strahlten dadurch<br />
äußerste Wachsamkeit aus.<br />
Der andere Schatten war klein, dünn und gehörte zum Körper einer<br />
jungen Frau. An beiden Hüften hingen Werkzeugtaschen von ihrem<br />
Gürtel. Auch sie hatte Fühler, die jedoch angespannt zuckten und auf<br />
sämtliche Geräusche in der Umgebung – Grillen, Vögel - mit großer<br />
Nervosität reagierten. Ihre Bewegungen waren fahrig, auch wenn sie<br />
gewandt durch die Dunkelheit glitt. Plötzlich stolperte sie über eine<br />
Wurzel und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. <strong>Sie</strong> war<br />
gewandt, ja, aber manchmal auch selten tollpatschig.<br />
„Verdammt.“, fluchte sie, als sie wieder auf sicheren Beinen stand.<br />
Es war beinahe geschafft, aber sie war nervös und aufgeregt. Die<br />
letzte Phase war immer die schwerste.<br />
„Alles in Ordnung?“, fragte der große, kräftige leise.<br />
„Ja.... Nein. Nicht wirklich. Ich habe irgendwie ein ungutes<br />
Gefühl.“<br />
Der große seufzte verdrossen und sah sich wachsam um. Niemand<br />
in Sicht. Der gesamte Campus war leer. In den Baracken brannte nicht<br />
mal mehr Licht, alle schliefen. Nach kurzem Zögern bedeutete der<br />
Große seiner Partnerin, ihm zu folgen und hastete geduckt zu einem
hohen Busch am Rande des Weges. Dort ließ er das schwere Gerät<br />
von seiner Schulter gleiten. Es geschah fast geräuschlos, nicht einmal<br />
das Gras raschelte. Er war gut. Er war wirklich gut und ging kein<br />
Risiko ein. Nachdem er sich ein weiteres Mal versichert hatte, dass sie<br />
alleine waren, legte er eine kräftige Hand auf die Schulter der Frau.<br />
„Wir ziehen das jetzt durch, hast du verstanden?“<br />
„Für Andoria?“<br />
„Nicht nur für Andoria. Für die gesamte Föderation.“<br />
<strong>Sie</strong> zögerte. „Denkst du nicht, was wir hier tun ist ein bisschen<br />
drastisch?“<br />
„Für Zweifel ist es längst zu spät, wir stecken schon mittendrin. Die<br />
Befehle waren klar und ich gedenke sie auszuführen.“<br />
Wieder das Zögern. Der große legte mehr Kraft in seine Berührung<br />
und sah ihr tief in die Augen. Er wusste, dass er auf diese Weise sehr<br />
überzeugend wirkte. „Du warst doch diejenige, die immer predigte,<br />
Vulkanier seien die Brut des Teufels. Man könne sogar sehen, dass<br />
Krog’nig ihnen sein Zeichen aufgedrückt habe. Ich weiß, dass du<br />
nichts gegen die Spitzohren Per Se hast, aber dieser eine Vulkanier...<br />
der ist definitiv teuflisch. Darin stimmst du mit mir doch sicher noch<br />
überein. Du hast nicht vergessen, was er über unser Volk sagte, nicht<br />
wahr? Über die Bewohner der Hafenstadt, deiner Heimat?“<br />
<strong>Sie</strong> schüttelte verärgert den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Wie hätte<br />
man so etwas auch vergessen können?<br />
Er setzte fort: „Du bist Opfer der Konflikte geworden, die seine<br />
Worte entfachten. Willst du das erneut? Oder willst du zulassen, dass<br />
anderen dasselbe widerfährt?“<br />
„Schön“, zischte sie verärgert „lass es uns durchziehen.“<br />
„Noch fünfzehn Minuten, dann ist alles vorbei.“, sagte der große<br />
sanft, während er den Kasten wieder schulterte. <strong>Sie</strong> überquerten den<br />
Rasen der zu den Baracken führte, und hielten sich dann im Schatten<br />
der Gebäude. An der Ecke blickte der große Kräftige vorsichtig in<br />
beide Richtungen. Trotz aller Bedenken seiner Partnerin, war er fest<br />
entschlossen die Mission durchzuführen, aber jedes Detail musste<br />
perfekt klappen. Dazu gehörte auch, dass sie die Sicherheitswächter<br />
genau abpassten, um ihre Wege nicht zu kreuzen. Es waren nie<br />
besonders viele und fast nur Kadetten, die zwar eine gute Ausbildung<br />
genossen, denen es aber noch erheblich an Erfahrung und Instinkt<br />
mangelte. Hier auf der Erde, im Herzen der Föderation und auf dem
Campus der Institution, die im ganzen Quadranten für ihre Offenheit<br />
und Freundlichkeit bekannt war, entsprach es mehr einer alten<br />
Tradition, denn einer echten Notwendigkeit, in der Nacht Wachen<br />
aufzustellen. Man versuchte damit die Kadetten des<br />
Sicherheitspersonals zu schulen, oder ihnen einfach den Kopf für<br />
freches Benehmen oder sonstige Regelverstöße zu waschen. Keiner<br />
von ihnen rechnete wirklich mit einem Zwischenfall, wenn sie Nachts<br />
zum Wachdienst berufen wurden. Schließlich gab es seit<br />
Jahrhunderten keine Kriminalität auf der Erde und die empfindlichen<br />
Anlagen des Campus wurden von den Profis überwacht. Trotzdem<br />
wollte der große Kräftige kein Risiko eingehen und wartete geduldig,<br />
bis die junge Wache, die vor der Sudak-Halle gelangweilt ihre Runden<br />
drehte, außer Sichtweite war. Als er seiner Partnerin ein Zeichen zum<br />
weitergehen geben wollte, stand sie bereits dicht hinter ihm.<br />
Zusammen eilten sie geduckt über den Platz, bis sie zu einer<br />
Wartungsluke kamen, die hinter einer Hecke halb vom Efeu bedeckt<br />
war. Die Frau holte ein kleines Werkzeug aus einer der Taschen an<br />
ihrem Gürtel und koppelte es an die Kontrollen der Luke an. Jetzt ging<br />
alles sehr schnell. <strong>Sie</strong> überbrückte den Verriegelungsmechanismus<br />
innerhalb von Sekunden und betätigte anschließend den manuellen<br />
Auslöser zwei Mal. Mit einem leisen zischen glitt die Luke beiseite<br />
und gab den Weg zum Schacht frei. <strong>Sie</strong> musste nicht hinab sehen, um<br />
zu wissen, dass er fünf Meter nach unten führte und in einem kleinen<br />
Wartungsraum mündete. <strong>Sie</strong> hatten sich die Pläne gut genug<br />
eingeprägt, aber hier war jedes Detail der Mission genauestens<br />
bekannt.<br />
Die Frau steckte das Werkzeug wieder ein, und krempelte als<br />
nächstes die Beine der Tarnhose ihres Partners hoch. Darunter kam<br />
ein schweres paar Antigravitationsstiefel zum Vorschein, die sie nun<br />
mit eleganten Bewegungen justierte.<br />
„Okay. Jetzt.“<br />
Der große Nickte und aktivierte die Stiefeldüsen über interne<br />
Kontrollen mit den Zehenspitzen. Es war einige Übung erforderlich,<br />
um die Stiefel zu beherrschen, aber er hatte bereits einiges Training<br />
hinter sich. Ohne zu zögern trat er ins gähnende Loch, schwebte einen<br />
Moment lang über dem Abgrund – ohne die Stiefel wäre er längst<br />
gestürzt und hätte sich das Genick gebrochen - und sank schließlich
langsam und kontrolliert hinab. Die Frau justierte ihre eigenen Stiefel<br />
und folgte nach wenigen Sekunden.<br />
Dank der Sonar-Fähigkeiten ihrer Antennen musste sie keine Lampe<br />
aktivieren, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. <strong>Sie</strong> spürte die<br />
enge des Schachtes mehr als deutlich. Wenn sie ihre Sinne<br />
konzentrierte, konnte sie sogar den feinen Staub fühlen, der sich auf<br />
den isolinearen Chips an den Wänden sammelte. Dieser<br />
Zugangsschacht wurde nur sehr selten gewartet – genau deswegen<br />
hatten sie ihn für ihre kleine Mission ausgewählt. Als sie endlich<br />
unten ankam, hatte ihr Partner den Kasten bereits aufgestellt. Auch er<br />
bewegte sich problemlos in der Finsternis. Einzig das leichte Glühen<br />
das aus dem Behälter floss, durchschnitt die Dunkelheit. <strong>Sie</strong> reichte<br />
ihm die Werkzeuge die er brauchte, um den Kasten mit der<br />
Schnittstelle des Computerzugangs zu verbinden, damit sie endlich<br />
das Programm einschleusen und verschwinden konnten. <strong>Sie</strong><br />
schauderte. Wie lächerlich sich das doch anhörte: Ein fremdes<br />
Programm in den Akademiecomputer einschleusen. Wieder nagten<br />
Zweifel an ihr. <strong>Sie</strong> flüsterte: „Bist du sicher, dass das klappt?“<br />
Er gab keine Antwort und arbeitete einfach weiter.<br />
Das ist natürlich kaum ein widerlegbares Argument, dachte sie<br />
verdrossen. Also startete sie einen zweiten Versuch. „Hast du eine<br />
Ahnung, wie unwahrscheinlich es ist, erfolgreich ein fremdes<br />
Programm in das Computersystem der Akademie platzieren zu<br />
können, ohne, dass es bemerkt wird?“<br />
„Ja weiß ich.“<br />
„Es ist sehr unwahrscheinlich, mein Lieber!“, sagte sie trotzdem.<br />
„Jede funktionierende Konsole, jede Schnittstele wird im Abstand von<br />
dreißig Millisekunden vom Zugriffs- und Abfragesystem des<br />
Bibliothekscomputers abgefragt, sodass der lokale Subprozessor über<br />
alle Eingaben informiert ist.“<br />
Er brummte: „Als ob ich das nicht wüsste.“<br />
„Alleine die Firewall zu überwinden-“<br />
„Schluss jetzt! Das hier ist kein gewöhnliches Programm. Nicht mal<br />
ein gewöhnliches Virus. Es ist ein... Ding, eine höchst<br />
anpassungsfähige künstliche Intelligenz die in der Lage ist, sämtliche<br />
Computersicherungen auszutricksen. Nicht einmal die<br />
Sicherheitsdiagnosen können es entdecken, weil es schneller reagiert<br />
und lernfähig ist. Es wird sich positionieren und strikt den
Missionsdirektiven folgen, die wir ihm einprogrammiert haben. Und<br />
zwar, die drohende Gefahr zu beseitigen, mit allem, was nötig ist.<br />
Aber das haben wir schon tausendmal durchgekaut.“<br />
<strong>Sie</strong> seufzte. „Ich weiß.“<br />
„Mach dir keine Gedanken. Es wird alles klappen.“<br />
„Ich weiß.“<br />
Es nickte in der Dunkelheit und griff nach dem Verbindungskabel.<br />
Einen Moment lang zögerte, als müsse er sich wappnen. Oder als<br />
wolle er den Moment genießen. Dann stellte er die Verbindung her<br />
und betätigte die Kontrollen des Tastenfeldes am Kasten. Das Glühen<br />
im Innern wurde jetzt intensiver, flackerte, glühte heller, flackerte<br />
wieder und gleißte dann regelrecht. Es erschien irgendwie wütend.<br />
Irgendwie...<br />
... lebendig.<br />
Der große Kräftige öffnete die Ports.<br />
Und dann jagte das Gleißen aus dem Kasten raus, durch das<br />
Transferkabel und war einen Lidschlag später in der Wand<br />
verschwunden. Es war wieder finster im Schacht und einen Moment<br />
lang sprach niemand. Dann öffnete der große Kräftige seinen<br />
Tricorder und überprüfte die Anzeigen. Man musste schon genau<br />
wissen, worauf man zu achten hatte, um das Ding im Computersystem<br />
zu erkennen. „Hat geklappt. Es überlistet bereits die Systeme und<br />
bewegt sich rasend schnell über das gesamte optische Datennetz des<br />
Campus fort.“<br />
Er klappte das Gerät zu und sah seine Partnerin grinsend an. „Und<br />
ehe jemand überhaupt begreift, was geschieht, ist der Vulkanier tot.“
Tala<br />
Tala Era’Noor sh’Aqbaar spürte es in ihrem andorianischen Blut:<br />
Der Tag versprach gut zu werden.<br />
Schon alleine weil die Nacht endlich ein Ende nahm. Als<br />
überzeugte Morgenperson, der drei Stunden Schlaf völlig ausreichten,<br />
und die auf dieser Basis den ganzen Tag über problemlos operieren<br />
und immer auf Abruf bereit stehen konnte, sah Tala voller Tatendrang<br />
den heutigen Aufgaben entgegen, mit denen sie nie früh genug<br />
beginnen konnte.<br />
Schlafen, so sagte sie stets, konnte sie schließlich noch, wenn sie tot<br />
war. Und wenn man nicht aufpasste – das wusste schließlich jeder -,<br />
mochte das schneller geschehen, als einem lieb war. Diese simple<br />
Geisteseinstellung führte dazu, dass sie meistens vor den anderen<br />
Kadetten der Sternenflottenakademie auf den Beinen und kampfbereit<br />
war. Unter der Woche stand sie bereits stramm und unter Strom, noch<br />
ehe die morgendliche Zimmerinspektion von Offizieren und<br />
Ausbildern durchgeführt wurde, die sich ihren Gesichtsausdrücken<br />
nach zu urteilen selbst noch im Halbschlaf befanden. Wenn sie ihren<br />
Spind durchsuchten, und Tala den Rücken kehrten, malte sich die<br />
Andorianerin jedes Mal mit einigem Stolz aus, wie sie ihnen im<br />
Handumdrehen das Genick brechen könnte, ohne, dass die Inspekteure<br />
mitbekommen würden, wie ihnen geschieht.<br />
Vermutlich würden sie es nicht einmal bei einem Frontalangriff<br />
mitbekommen. Ehe sie den Schlaf abgeschüttelt hatten, hätte sich das<br />
Brechen ihrer Hälse längst durch ein schnappendes und auf<br />
merkwürdige Art für Tala äußerst befriedigendes Geräusch bemerkbar<br />
gemacht.<br />
Es lohnte sich also durchaus Wachsam zu sein, wie sie fand, um so<br />
etwas zu vermeiden. Als Gewohnheitstier pflegte Tala daher auch an<br />
einem Wochenende wie diesem stets das gleiche Ritual<br />
durchzuführen, obwohl sie theoretisch hätte ausschlafen können.<br />
Um eine Nacht zu beenden, musste man natürlich erst eine<br />
beginnen, und nichts eignete sich besser dazu als Sex. <strong>Sie</strong> kam leider<br />
nicht immer dazu, aber ein Stelldichein war eher die Regel als die
Ausnahme. Nach vollzogenem Liebesakt, der je nach dem<br />
Durchhaltevermögen des Partners eine ganze Weile andauern konnte,<br />
fiel sie meist in einen leichten, aber erholsamen Schlaf, aus dem sie<br />
sofort erwachen würde, sobald sie ein merkwürdiges Geräusch<br />
vernahm, oder wenn die drei Stunden Schlaf vorbei waren, die sie<br />
brauchte, und man endlich beginnen konnte den Tag zu starten.<br />
Zunächst würde sie nach abgeschlossener Rem-Phase einfach eine<br />
Weile daliegen, mit der Dunkelheit verschmelzen und die<br />
Wahrnehmungsorgane in ihren Antennen konzentrieren, um den<br />
Raum und jede noch so kleine Veränderung darin zu spüren. Zu<br />
diesem Zeitpunkt war sie bereits vollkommen wach. Wenn jemand mit<br />
einem Messer in ihr Zimmer eindringen würde (was auf der Akademie<br />
recht unwahrscheinlich war), dann wäre sie innerhalb eines<br />
Liedschlags aus dem Bett raus und bereit, den Attentäter zu zerstören.<br />
Da solch außerordentliche Schnelligkeit und Handlungsbereitschaft<br />
auf dem Campus eher selten erforderlich war, begnügte sie sich meist<br />
damit, die Realität eines heranbrechenden Tages langsam über sich<br />
kommen zu lassen, anstatt danach zu greifen und sie zu strangulieren.<br />
Nachdem sie eine Zeitlang lautlos dagelegen hätte, würde sie<br />
schließlich und ebenfalls lautlos aufstehen, und an ihren Muskeln<br />
arbeiten, um warm zu werden. <strong>Sie</strong> würde mit den Füßen beginnen, die<br />
Zehen durchnehmen, die Fußballen, dann die Waden, Oberschenkel,<br />
und sich auf diese Art und Weise langsam nach oben arbeiten und für<br />
jede einzelne Muskelgruppe diverse Dehn- und Stimulanzübungen<br />
durchführen.<br />
Und genau damit war Tala gegenwärtig beschäftigt, als sie sich in<br />
ihrer Stube bewegte, nackt, gleichmäßig, und bei gedämmten Licht,<br />
um die Person, die hinter ihr ausgestreckt auf dem Bett lag, nicht zu<br />
wecken. Das Abendessen für zwei stand noch immer unangetastet auf<br />
dem schmalen Arbeitstisch. Zum Glück war es ohnehin nur kalter<br />
Frostaal gewesen. Bei der Zubereitung gestern, hatte Tala bereits<br />
vermutet, dass sie sich anderen Vergnügen hingeben würden, als einer<br />
Speise.<br />
Ein leichter Schweißfilm - Indiz für die Großartigkeit der<br />
vergangenen Nacht -, bedeckte noch immer ihren Körper, als sie nun<br />
ihren Arm auf Brusthöhe und dann in einer halbkreisförmigen, sanften<br />
Bewegung zur Seite führte. Anschließend senkte sie ihn, brachte ihren<br />
anderen Arm sehr gleichmäßig herum, und formte eine Tigerkralle, als
würde sie sich auf einen Kampf vorbereiten. Während den<br />
bedächtigen, mit Präzision ausgeführten Bewegungen, die auf<br />
Beobachter eine regelrecht hypnotische Wirkung zu entfalten<br />
vermochten, achtete sie sorgsam darauf, dass sich jeder Muskel<br />
streckte, bis er zu ihrer Zufriedenheit gedehnt und locker war. Und<br />
dann begann sie von vorne.<br />
Das war zweifellos die entspannendste Art, die Nacht endlich hinter<br />
sich zu lassen.<br />
Tala wusste natürlich, dass es keinerlei rationalen Grund gab, die<br />
eine Zeit des Tages der anderen vorzuziehen. Zumal sie sich nicht<br />
einmal auf ihrem Heimatplaneten befand, sondern auf der Erde - ein<br />
klimatisch gesehen scheußlich warmer Planet mit einer völlig anderen<br />
Rotationsgeschwindigkeit, und einer entsprechend anderen<br />
Zeiteinteilungen. Hier waren die Nächte sogar kürzer. Und später<br />
würde sie auf Raumschiffen arbeiten, in den Tiefen des Alls, wo sie<br />
über Monate hinweg einer konstanten, natürlichen Lichtquelle beraubt<br />
wurde, und auf das herauf- und herabfahren der künstlichen Lichter<br />
angewiesen war, um einen Tag-Nacht-Zyklus zu simulieren. Es spielte<br />
im Grunde also gar keine Rolle. Zumindest würde es bald keine Rolle<br />
mehr spielen.<br />
Aber sie war nie ein großer Freund der Nacht gewesen, was sicher<br />
auch auf ihren Geburtsort zurückfiel, wo die Temperaturen nach<br />
Schwund der Sonne auf tödliche Minusgrade abfiel. Außerdem<br />
verabscheute sie den Gedanken, ihr halbes Leben mit Rumliegen und<br />
Nichtstun zu verbringen, weshalb sie die Zeit lieber nutzte, um etwas<br />
zu erledigen. Und es gab zweifellos immer etwas aufzubereiten.<br />
Besonders in ihrer neuen Position...<br />
… als Staffelführerin.<br />
Für gewöhnlich studierten 4000 Kadetten pro Jahr auf der Erd-<br />
Akademie. Es gab sechs Bataillone, die man in sechs Kompanien mit<br />
je etwa 100 Kadetten unterteilte. Diese Kompanien wurden wiederum<br />
in kleinere Staffeln unterteilt mit durchschnittlich 7-10 Kadetten. Und<br />
Tala hatte das Kommando über die Omega-Staffel erhalten, die fast<br />
nur aus ihren engsten Freunden bestand. Aber selbst ohne diese<br />
erfreuliche Tatsache wäre es ein Grund zum Feiern gewesen.<br />
Staffelführerin Era’Noor.<br />
Das hörte sich so gut an.<br />
Ihr erstes Kommando.
Wow.<br />
Selbstverständlich hatte Tala nicht einen Moment daran gezweifelt,<br />
diese Position früher oder später zu erlangen. Schließlich war es genau<br />
das, was sie wollte. Und was sie sich in den Kopf setzte, das erreichte<br />
sie auch. Aber es tatsächlich geschafft zu haben...<br />
... das war etwas anderes. Ein gutes Gefühl. Der erste kleine Schritt<br />
zum großen Ziel: Zu ihrem eigenen großen Sternenflotten-<br />
Raumschiff. Und wenn sie das erst einmal hatte, mit einer loyalen<br />
Crew, dem Segen der Götter und der guten Sache im Rücken, konnte<br />
sie alle Probleme auf ihrer Heimatwelt in Ordnung bringen. Dann<br />
hätte sie endlich die Möglichkeit einen Unterschied zu bewirken und<br />
die Dinge zum besseren zu Verändern. Bis dahin würde es allerdings<br />
noch ein wenig dauern – Andoria musste noch eine Weile durchhalten<br />
- obwohl die Zeit mit Warpgeschwindigkeit an Tala vorbeiraste, wie<br />
ihr schien.<br />
<strong>Sie</strong> konnte kaum glauben, wie schnell vier Monate vergangen<br />
waren. Es kam Tala so vor, als sei sie erst gestern mit Sha’Nyn,<br />
Durkin und den anderen auf dem Campus eingetroffen, wo sie die<br />
nächsten Vier Jahre zu verbringen gedachte, um eine glorreiche<br />
Karriere in der Sternenflotte zu beginnen.<br />
Und nichts sprach dagegen. Trotz einiger Startschwierigkeiten<br />
während des Frischling-Sommers, und der ein oder anderen<br />
Massenschlägerei, über die in der Mensa hinter vorgehaltener Hand<br />
noch immer getuschelt wurde, hatten sie sich gut eingefunden und<br />
recht schnell an den härteren Drill gewöhnt. Es fiel ihr zwar ab und zu<br />
noch schwer, sich an die größtenteils von Menschen beherrschte<br />
Umgebung anzupassen, und bei zwei Gelegenheiten hatte die Macht<br />
der Gewohnheit Tala vergessen lassen, dass sich Menschen – anders<br />
wie Andorianer etwa - nicht mit einer Kopfnuss begrüßten, was vor<br />
allem Dekan Barclay einiges... Kopfzerbrechen bereitet hatte.<br />
Wenigstens war er inzwischen wieder aus der Krankenstation<br />
entlassen worden. Außerdem begriff Tala noch immer nicht, warum es<br />
als höflich galt zu lächeln, auch wenn etwas nicht lustig war. Aber<br />
alles in allem waren die Dinge bisher ganz gut gelaufen. Andernfalls<br />
wäre sie auch kaum noch hier und erst recht nicht in der Position der<br />
Anführerin ihrer eigenen Staffel.<br />
Tala bewegte sich nun bereits seit zwanzig Minuten in ihrer<br />
Routine, und es war eine hervorragende isometrische Übung für den
ganzen Körper. <strong>Sie</strong> hielt grade ihre Balance perfekt auf einem Bein,<br />
während sie mit dem anderen einen präzisen Tritt seitlich in die Luft<br />
vollführte. Dann spürte sie vom Bett her eine Bewegung und hörte das<br />
Knistern des Lakens. Die Person war eindeutig erwacht – das<br />
verrieten Herzrhythmus und abgestrahlte Körperwärme, aber sie<br />
unterbrach Talas Routine nicht. Es war nichts speziell sexuelles an<br />
Talas Bewegungen, aber die Person schätzte die Straffheit ihrer<br />
Muskeln und die Form ihres wohlproportionierten Körpers – auch das<br />
verrieten Herzrhythmus und die abgestrahlte Körperwärme. Und wer<br />
hätte das nicht getan, überlegte Tala? <strong>Sie</strong> hatte einen großartigen<br />
Körper.<br />
Weitere fünfzehn Minuten vergingen in der stillen Routine, bevor<br />
Tala schließlich lange und bedächtig ausamtete. <strong>Sie</strong> lächelte und<br />
schob sich mit der Hand einige Strähnen ihres weißen Haares aus der<br />
Stirn. Das war stimulierend gewesen.<br />
„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“<br />
Tala hob eine Braue und drehte sich zu Khaleen um. Nur wenige<br />
hatten sie bisher nach dem Sex um einen Gefallen gebeten.<br />
„Sicher.“, antwortete sie, sich fragend, was die Cardassianerin wohl<br />
im Schilde führte.<br />
„Können wir das hier Galak verschweigen?“<br />
Tala rollte die Augen bei der Erwähnung ihres Freundes. „Dang!<br />
Warum sollten wir? Es ist nichts falsches daran.“<br />
„Nun ja, wenn er herausfindet, dass wir zwei...“<br />
„Das ist Unsinn. Lass mich das direkt klarstellen: Ich gehöre nicht<br />
ihm, ich gehöre nicht dir, ich bin niemandes Errungenschaft und auch<br />
kein Preis. Ich bin ein andorianisches Wesen und lebe meine<br />
Sexualität frei aus.“ <strong>Sie</strong> stutzte „Außerdem kommt Galak von einer<br />
Welt, die aus einer fast völlig weiblichen Bevölkerung besteht,<br />
Khaleen. Gleichgeschlechtliche und wechselnde Partnerschaften bei<br />
Frauen sind ganz normal für ihn. Er würde uns wohl eher zujubeln.<br />
Nur gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern sollte man ihm<br />
nicht auf die Nase binden. Dafür ist er nicht reif genug.“<br />
„Genau das meinte ich ja. Er ist nicht reif genug. Ich glaube er hat<br />
ein ernsthaftes mentales Problem.“<br />
Tala lachte. „Ja, eine Testosteron-Vergiftung.“<br />
„Wenn er hiervon erfährt, werde ich mir für den Rest unserer<br />
Akademiezeit seine zweideutigen Kommentare anhören dürfen, und
das würde ich gerne vermeiden. Er schaut mich auch jetzt schon<br />
lüstern genug an.“<br />
Das hingegen konnte Tala sehr gut nachvollziehen. Galak<br />
vermochte schon eine ziemlich unreife Nervensäge zu sein, wenn man<br />
ihn an einem schlechten Tag erwischte. Was – wenn man den<br />
Behauptungen diverser anderer (zumeist weiblicher) Kadetten glauben<br />
schenken mochte – 360 Tage im Jahr der Fall war. Er dachte<br />
hauptsächlich mit seinem Geschlechtsteil und sein Geschlechtsteil war<br />
nicht besonders intelligent. Das war einer der Gründe, weshalb sie ihn<br />
auf eine sehr schräge Art und Weise ziemlich charmant fand. Sein<br />
Auftreten mochte noch so arrogant und unreif sein – es war vor allem<br />
eines: Unverfälscht. Er war ein sexistischer Idiot und versuchte es gar<br />
nicht erst zu verbergen. Stattdessen sagte er immer frei heraus, was er<br />
gerade dachte – auch wenn das meist nichts kluges war. Das war ein<br />
Maß an Ehrlichkeit, das fast schon Andorianisch erschien. Außerdem<br />
waren sie Zimmergenossen und ein Zimmergenosse eignete sich am<br />
besten für Sex. Man musste nicht lange auf den Korridoren<br />
herumlaufen und man musste nicht befürchten, nach Zapfenstreich<br />
von den Ausbildern in einem fremden Zimmer erwischt zu werden.<br />
Und außerdem war Galak genauso wenig auf der Suche nach etwas<br />
festem, wie sie. Das ideale Arrangement also. Sex ohne<br />
Verpflichtungen.<br />
Normalerweise war die Akademie bemerkenswert altmodisch, wenn<br />
es um solche Arrangements ging. Die offizielle Politik richtete sich<br />
nach der Befürchtung, dass Studium und Beziehung eine unheilvolle<br />
Mischung darstellte. Dementsprechend war es Paaren nicht erlaubt<br />
gemeinsam einen Raum zu teilen.<br />
Diese Regel stand seit über hundert Jahren in den Büchern und<br />
niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu ändern. Das lag daran,<br />
dass sich inzwischen auch niemand mehr die Mühe machte, diese<br />
Regel überhaupt durchzusetzen. Davon war man nämlich<br />
abgekommen, nachdem man früher beträchtliche Zeit damit verbracht<br />
hatte, die Kadetten nach Zapfenstreich in die Zimmer zurück zu<br />
stopfen, in die sie wirklich gehörten, und jenen Kadetten neue Zimmer<br />
zuzuweisen, die sich schlicht nicht mehr die Mühe gemacht hatten,<br />
nach Zapfenstreich durch die Flure zu wandern, sondern sich mit dem<br />
Begnügten, was vor zu haben Ort war. Zumal sich einige Kadetten in<br />
Zeiten der Personentransporter und Interdimensionalkrümmungen als
äußerst kreativ erwiesen hatten, dem Akademiepersonal stets einen<br />
Schritt voraus zu sein und von Bett zu Bett zu hüpfen – womit sie<br />
durch stümperhaft zusammengebaute Geräte irgendwann nicht nur<br />
sich selbst, sondern auch noch andere gefährdet hatten.<br />
Daher vertrat man inzwischen seitens der Akademieleitung die „Wir<br />
fragen nicht, wenn ihr nichts sagt“-Politik, mit der jeder prima leben<br />
konnte, solange sich private Angelegenheiten nicht auf die Leistungen<br />
der Kadetten auswirkte. Und dafür sorgten die schon selbst, um<br />
unangenehme Gespräche mit Admiral Janeway zu vermeiden, die sich<br />
fast immer um Sterilisation drehten.<br />
„Okay.“, beschloss Tala, trat zu Khaleen herüber und kniete sich vor<br />
das Bett. „Meine Lippen sind versiegelt.“<br />
Khaleen blickte sie verführerisch an, auf eine Art, wie nur sie es<br />
konnte. „Das wäre schade. Damit kann man so schöne Dinge<br />
anstellen.“<br />
<strong>Sie</strong> küssten sich lange und intensiv und es fiel Tala nicht mehr<br />
schwer zu verstehen, warum man die auf den ersten Blick sehr kühl<br />
wirkenden Cardassianer als leidenschaftliches Volk betrachtete.<br />
Khaleens Zunge untersuchte noch einen Moment lang Talas<br />
Mundhöhle und schließlich lösten sie sich voneinander und lächelten<br />
einander an.<br />
„So...“, begann Khaleen. „Und was ist jetzt mit uns?“<br />
„Was soll mit uns sein?“<br />
„Wir kennen uns jetzt seit einem Monat, Tala. Mit Galak führst du<br />
eine offene Beziehung, er ist an nichts festem interessiert. Ich frage<br />
mich nur... ob das hier vielleicht irgendwo hinführt.“<br />
„Du und ich?“<br />
<strong>Sie</strong> nickte.<br />
Tala grinste. „Du bist nur eine Eroberung. Eine Kerbe an meinem<br />
Gürtel.“<br />
Khaleens Augen verengten sich. „Sehr witzig.“<br />
„Ja, man sagt mir einen gewissen Humor nach...“ <strong>Sie</strong> stand wieder<br />
auf. „Was dagegen, wenn ich zuerst unter die Schalldusche springe?”<br />
„Wir könnten gemeinsam drunter gehen.“<br />
„Dann würde es doppelt solange dauern.“<br />
Khaleen sah auf das Chronometer. Der Zeiger stand noch nicht mal<br />
auf fünf Uhr Morgens. „Es ist noch früh.“
„Ich will in die Kommunikationszentrale und möchte nicht zu spät<br />
sein.“, erklärte Tala. „Wenn man da am Wochenende nicht zeitig<br />
genug hinkommt, steht man ewig Schlange.“<br />
„Du bist fast jeden Morgen dort.“ Khaleen grinste verführerisch.<br />
„Erwarten dich Liebesbriefe von der Heimat?“<br />
„So etwas in der Art.“<br />
„Ich kann sehr eifersüchtig sein, musst du wissen.“<br />
Tala erwiderte das Grinsen. „Ich weiß.“ <strong>Sie</strong> öffnete die<br />
Badezimmertür, blieb aber stehen und drehte sich noch einmal um, als<br />
sie Khaleen hinter sich rufen hörte: „Hey... erm...“<br />
„Ja?“<br />
„Ich bin neugierig... War ich die erste für dich?“<br />
Tala neigte schmunzelnd den Kopf. „Nein.“<br />
„Die zweite?“<br />
„Dang, warum wollt ihr Nicht-Andorianer immer wissen, ob ihr die<br />
ersten seid?“<br />
„Millionen Jahre evolutionärer Entwicklung, schätze ich.“<br />
„Entwickelt euch weiter.“ Und damit ging sie ins Bad.<br />
Die Kommunikationszentrale war ein relativ großer Komplex im<br />
Hauptgebäude, der unter anderem den gesamten ein- und ausgehenden<br />
Postverkehr der Kadetten verwaltete und sich deswegen hinter einem<br />
lächerlich kleinen Empfangsbereich zu verstecken versuchte, der dem<br />
Besucheransturm für gewöhnlich nie lange standhielt.<br />
Natürlich konnten die Kadetten die an sie andressierten Briefe aus<br />
der Heimat auch zu jeder Zeit an den Tischcomputern in ihren<br />
Zimmern abrufen, aber das war keine allzu private Methode, da diese<br />
Computer alle untereinander verbunden waren und man leicht die<br />
Daten der anderen einsehen konnte – selbst die, die deutlich als Privat<br />
gekennzeichnet waren. Das entsprach nicht nur dem offenen Geiste<br />
der Akademie, in dem niemand Geheimnisse vor seinen Kameraden<br />
haben sollte, nein es war auch, wie man allgemein munkelte, ein<br />
ziemlich ausgefuchster und beinahe schon biblischer Test, da man<br />
ganz bewusst mit Verlockungen und der Neugierde der jungen Leute<br />
spielte. Schließlich waren Klatsch und Tratsch seit Jeher fester<br />
Bestandteil jeder sozialen Umgebung gewesen und auch auf der
Akademie war das nicht anders. Private Dinge über andere zu wissen,<br />
mochte den eigenen Status in einer Gruppe durchaus zum positiven<br />
ändern. Aber zweifellos wurden sämtliche Vorgänge vom Zugriffs-<br />
und Abfragesystem protokolliert und aufgezeichnet, sodass die Leute<br />
in der Kommunikationszentrale genau sehen konnten, wer auf Daten<br />
zugriff, die ihn im Grunde überhaupt nichts anging. Und das hatte<br />
ganz sicher einen Eintrag in die Akte zur Folge.<br />
Alle wussten das.<br />
Die meisten Kadetten verhielten sich daher von Anfang an Korrekt<br />
und Erwachsen, und schenkten dem verführerischen Apfel, der von<br />
der paradiesischen Schlange bewacht wurde, möglichst keine<br />
Aufmerksamkeit (weshalb man sich auf die gute alte Methode berief<br />
und einfach tuschelte und Gerüchte in die Welt setzte). Aber gerade<br />
unter den Technik-Studenten, die sich auf Kommunikationswesen<br />
spezialisiert hatten, gab es nicht gerade wenige, die es als große<br />
Mutprobe sahen, genau jene Überwachungsvorgänge zu umgehen, um<br />
die privaten Briefe ihrer Mitschüler unentdeckt lesen zu können.<br />
Natürlich taten sie es nicht. Jedenfalls meistens. Der Inhalt der Briefe<br />
interessierte sie gar nicht. Es ging lediglich darum, ihre Fähigkeiten zu<br />
trainieren und den wesentlich erfahreneren Leuten in der<br />
Kommunikationszentrale ein Schnippchen zu schlagen, die sich<br />
wiederum bemühten, den Kadetten möglichst viele Steine in den Weg<br />
zu werfen. Es fand sozusagen ein Krieg zwischen der neuen und der<br />
älteren Generation der Kommunikationsoffiziere statt - auf Kosten der<br />
Privatsphäre.<br />
Das Lehrpersonal wusste von diesen Vorgängen. Die<br />
Akademieleitung wusste von diesen Vorgängen. Die Kadetten<br />
wussten von diesen Vorgängen. Ohne dieses Wissen hätte es nicht<br />
halb so viel Spaß gemacht.<br />
Wer also Nachrichten privater Natur einsehen oder versenden<br />
wollte, die ganz sicher nicht für die Blicke Dritter gedacht waren, der<br />
kam direkt in die Kommunikationszentrale.<br />
Was Tala auch heute wieder tat. Der Empfangsbereich war relativ<br />
schmucklos und setzte sich aus zwei durch einen kleinen Gang<br />
miteinander verbundenen Räumen zusammen. Es gab in jedem Raum<br />
nur ein paar Stühle, die für einen andorianer viel zu komfortabel<br />
waren, einen Teppich, der eine Änderung der Farbe dringend nötig
gehabt hätte und Rezeptionisten, deren Lieblingsbeschäftigung es<br />
morgens war, die Kadetten zu verärgern.<br />
Bei ihrem ersten Besuch hatte sich auch Tala ärgern lassen. <strong>Sie</strong> war<br />
am Empfang gefragt worden, ob sie private oder offizielle<br />
Nachrichten bearbeiten wollte.<br />
„Private“, hatte Tala geantwortet.<br />
Die übergewichtige, ältere Frau am Empfang hatte grenzenlos<br />
verdrossen den Kopf geschüttelt und gesagt, Tala müsse in dem<br />
anderen der beiden Empfangsräume sein. Wer das nicht wusste, war<br />
offenbar geisteskrank oder zumindest leicht beschränkt. <strong>Sie</strong> hatte<br />
dagesessen, hinter ihrem kleinen Schreibtisch, und ziemlich pikiert die<br />
Augenbrauen hochgezogen, verwundert und betroffen darüber, wie<br />
heillos dämlich die Kadetten im allgemeinen und Tala im besonderen<br />
waren, bis Tala durch den Gang in den Nebenraum gegangen war.<br />
Der hatte genauso ausgesehen wie der erste, und seine eigene,<br />
diesmal aber schlanke ältere Empfangsfrau besessen.<br />
„Private oder offizielle Nachrichten?“, hatte auch sie gefragt.<br />
„Private.“<br />
Die Frau sah Tala an, als hätte sich der Verstand der Andorianierin<br />
nun endgültig verabschiedet. „Da sind sie hier falsch, Schätzchen.“<br />
<strong>Sie</strong> hatte Tala mit einer erhabenen Geste vom Tresen weggewinkt und<br />
durch den Gang in den Nebenraum zurückgescheucht, wo die<br />
übergewichtige Frau sie eine Minute später erneut entdeckte.<br />
<strong>Sie</strong> hatte Tala angesehen.<br />
Ein zentnerschweres Unverständnis überkam sie, gefolgt von<br />
Traurigkeit, Wut, tiefer Enttäuschung und dem Gefühl, dass die Welt<br />
einzig und allein geschaffen worden war, um ihr Verdruss zu bereiten.<br />
<strong>Sie</strong> hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt, die Stirngerunzelt und<br />
die Augen geschlossen. „<strong>Sie</strong> sind im falschen Raum.“, hatte sie<br />
schlicht gesagt. „<strong>Sie</strong> wollen private Nachrichten bearbeiten,<br />
Schätzchen. Bitte gehen sie in den anderen Raum.“<br />
Da man Tala gesagt hatte, den Empfangsbereich der<br />
Kommunikationszentrale könne man Morgens nur in einem Zustand<br />
äußerster Gelassenheit in Angriff nehmen (was nicht gerade ihre<br />
Stärke war), beschloss Tala, es weiterhin damit zu versuchen, anstatt<br />
dem nächsten, der sie >Schätzchen< nannte, mit seiner eigenen Zunge<br />
zu erwürgen.
<strong>Sie</strong> hatte genickt und sich durch den Gang auf den Rückweg in den<br />
anderen Raum gemacht.<br />
Dort sprach die dünne Frau sie wieder an, aber diesmal erklärte Tala<br />
ihr geduldig, dass sie sich verpissen könne.<br />
Offenbar hatte diese Dreistigkeit beträchtliche Bestürzung<br />
ausgelöst, denn binnen weniger Minuten waren beide Empfangsdamen<br />
zum Frühstück verschwunden. Die Türen waren verschlossen<br />
geblieben und sie waren auch eine Stunde später nicht wieder<br />
aufgetaucht. Zwei Tage Später hatte Tala einen erneuten versuch<br />
gestartet. Die dicke Frau hatte den Mund geöffnet, aber Tala war<br />
einfach an ihr vorbeigestürmt und in die Zentrale gegangen. Dort hatte<br />
sie sich durchgefragt, bis sie einen freundlichen Sachbearbeiter traf,<br />
der ihr erklärte, dass Tala zwar vollkommen falsch war, dass es im<br />
Grunde aber auch egal sei.<br />
Heute hatte Tala weniger Pech. <strong>Sie</strong> war an diesem Samstag-Morgen<br />
die erste Kadettin und der Junior-Lieutenant hinter dem Tresen war<br />
ganz offensichtlich noch viel zu müde, um irgendjemanden ärgern zu<br />
wollen. Genaugenommen sah er so zerknittert aus, als hätte er bis vor<br />
wenigen Minuten noch in seinem eigenen Gesicht geschlafen.<br />
Tala hingegen wirkte wie das Rollenmodell der Perfektion. Ihre<br />
Uniform saß tadellos, ihre Stiefel glänzten und ihre Haltung war so<br />
vorbildlich kerzengerade, dass selbst der Junior-Lieutenant peinlich<br />
berührt seinen Rücken durchstreckte, während er versuchte sich auf<br />
die Daten auf seinem Computerbildschirm zu konzentrieren. Auch<br />
wenn er es äußerst subtil tat, entging Tala nicht, dass er hin und<br />
wieder zu ihr herüberschielte – immer dann, wenn er glaubte, dass sie<br />
es nicht bemerken würde. <strong>Sie</strong> wusste, dass er interessiert an ihr war.<br />
So etwas konnte sie immer leicht erkennen. <strong>Sie</strong> konnte es fühlen. Der<br />
Anstieg der Körpertemperatur, die Pheromone...<br />
Menschen waren so leicht durchschaubar.<br />
„Okay.“, sagte er nach einer Weile und blickte von der Anzeigetafel<br />
auf. „<strong>Sie</strong> können zu Lieutenant Mu’uss, Kadett.“<br />
„Danke.“<br />
Mu’uss war ein kleiner gütiger und furchtbar alter Mann mit dem<br />
Gebaren eines Aenar-Mönchs, der für irgendwas Abbitte leistete. Er<br />
saß für gewöhnlich da, hinter seiner Konsole, als hätte er sich über den<br />
Stuhl ergossen, kratzte gelegentlich seinen Nasenrücken und murmelte
für sich: „Ja, ah, ja.“, als bestätige all dies eine Vermutung, die er<br />
schon seit langem hegte.<br />
Mu’uss war angenehm unkompliziert, auch wenn sich nach kurzer<br />
Zeit herausgestellt hatte, dass Mu’uss gar nicht >Mu’uss< sondern<br />
>Mus< hieß, was die Abkürzung für >Hieronimus< darstellte. Tala<br />
war sich ein bisschen blöd vorgekommen, weil sie >Mu’uss<<br />
verstanden hatte. Es wäre schon ziemlich ungewöhnlich gewesen,<br />
einen indonesischen Kommunikationsoffizier nach dem<br />
Geschlechtsteil eines großen andorianischen Eisochsen zu benennen.<br />
Wohl fast so ungewöhnlich, wie ihn mit unausgesprochener<br />
>Hieronie< Hieronymus zu nennen.<br />
Da ihr Mu’uss aber wesentlich besser gefiel (und es sie jedes Mal<br />
zum Schmunzeln brachte), nannte Tala ihn einfach weiter so, und es<br />
schien ihn nicht zu stören. In der bereits voll besetzten Zentrale<br />
herrschte eine angenehm ruhige Arbeitsatmosphäre. Die<br />
Kommunikationsoffiziere bewegten sich bedächtig durch die Halle,<br />
gingen mal hier hin, und mal dorthin, oder saßen hinter ihren<br />
Konsolen und nahmen in aller Seelenruhe Anrufe von Eltern<br />
entgegen, die ihre Kinder vermissten, sie zu sprechen verlangten, und<br />
sich dabei kindischer anstellten, als die Kinder selbst.<br />
Tala brauchte nicht lange, um Mu’uss zu finden. Wie üblich saß er<br />
in der dritten der schier endlosen Konsolenreihen hinter seinem<br />
Schreibtisch, starrte auf die Anzeigen und murmelte vor sich hin. „Ah,<br />
ja, achso.“<br />
„Morgen, Mu’uss.“<br />
Er blickte schwerfällig zur Seite und seine Gesichtszüge erhellten<br />
sich sofort, als er Tala entdeckte. „Oh, Miss Era’Noor.” Mu’uss freute<br />
sich immer sie zu sehen. „<strong>Sie</strong> sind aber früh auf.“<br />
„Nur der Frühe Eiswurm wird nicht gefressen.“ <strong>Sie</strong> setzte sich auf<br />
seinen Schreibtisch. „Was machen die Enkel?“<br />
„Tanzen ihren Eltern auf der Nase herum.“ Er grinste großväterlich.<br />
„Nur beim Opa tun sie, was man ihnen sagt.“<br />
„Wer könnte diesem Großvater auch etwas abschlagen?“ <strong>Sie</strong> deutete<br />
mit einem Kopfnicken zur Computerkonsole. „Haben sie etwas neues<br />
aus der Heimat für mich, Mu’uss?“<br />
Tatsächlich hatte Mu’uss bereits einen Datenblock herausgelegt,<br />
den er mit seinen wie üblich schwerfälligen Bewegungen in die Hand<br />
nahm und „Ja, ahja, achso.“ Murmelte.
Mu’uss verstand sein Metier und besaß überall im Quadranten gute<br />
Kontakte. Wer Informationen wollte, die tiefer gingen, als alles, was<br />
die offiziellen Kanäle ausspuckten, war bei ihm an genau der richtigen<br />
Adresse. Er tat mehr als einem der Kadetten – seinen unehelichen<br />
Kindern, wie er immer sagte – einen Gefallen in dem er Leute überall<br />
im Föderationsraum aufspürte, entfernte Familienangehörige oder<br />
Freunde etwa, oder Informationen aus der Heimat besorgte, die man<br />
sonst nirgends herbekam. Dennoch fragte sich Tala manchmal, warum<br />
er überhaupt noch im Dienst war. Seinen Bewegungen nach zu<br />
urteilen war er bereits halb gelähmt.<br />
Er gab den Datenblock an Tala weiter. „Es sind keine guten<br />
Nachrichten, fürchte ich.“<br />
„Der Kanzler rückt nicht von seiner Politik ab?“<br />
„Nein, kein bisschen. Trotz der Schiffe, die man hingeschickt hat.“<br />
Tala überflog den Text und mit jedem Satz stürzten ihre<br />
Mundwinkel weiter nach unten. Zu sagen, sie hielte schlechte<br />
Nachrichten über die Heimat in den Händen, wäre noch eine<br />
Untertreibung gewesen. Tala musste den Text zweimal lesen, um die<br />
Worte fassen zu können. Schließlich senkte sie den Block und starrte<br />
in die Ferne.<br />
„Ich hatte gehofft er würde sich noch besinnen.“, flüsterte sie.<br />
Mu’uss rutschte auf seinem Stuhl herum – wenn er sich so viel<br />
bewegte, war das ein klares Zeichen dafür, dass der alte Indonesier<br />
noch mehr schlechte Nachrichten hatte. „Das ist noch nicht alles, Miss<br />
Era’Noor.“<br />
„Bessere Nachrichten, hoffe ich?“<br />
Mu’uss schüttelte den Kopf.<br />
Tala warf den Datenblock zurück auf den Tisch. „Was könnte<br />
schlimmer sein, als das hier?“<br />
„Sidak kommt her.“<br />
<strong>Sie</strong> starrte ihn an. „Was?! Der Rassist?“<br />
„Uh-huh. Habe es eben erst erfahren. Die Akademie ist sein<br />
nächstes Reiseziel.“<br />
„Ist das sicher?“<br />
Erneut das Kopfnicken. „Er wird noch heute früh eintreffen.“<br />
„Hier? Wirklich hier?“
„Konnte es selbst kaum glauben, aber es ist bestätigt. Man hat<br />
seiner Bitte, auf dem Campus eine Rede halten zu dürfen,<br />
entsprochen.“<br />
Tala machte es sich gedanklich klar, was das bedeutete.<br />
Sidak war unterwegs.<br />
Sidak der Rassist.<br />
Er würde ohne Zweifel Öl ins Feuer gießen.<br />
Mu’uss legte ihr in einer väterlichen Geste eine Hand auf die<br />
Schulter, da sie schon seit geraumer Zeit nichts gesagt und einfach vor<br />
sich hingestarrt hätte, als hätte sie eine Hiobsbotschaft erhalten. „Sind<br />
sie in Ordnung, Tala?“<br />
„Ja. Ja, schon gut.“, log sie nach kurzem Zögern. „Danke Mu’uss.<br />
Es geht mir bestens.“<br />
In Wahrheit konnte sich Tala nur schwer vorstellen, wie<br />
irgendjemand einen schlechteren Start in den Tag haben könnte.<br />
Sha’Nyn<br />
Sha’Nyn Bartez träumte einen angenehmen Traum. Eindringliche<br />
Bilder zogen an ihr vorbei, Bilder eines nackten, muskulösen<br />
Oberkörpers und Bilder von schwingenden männlichen Lenden, die<br />
lediglich von einer vielfarbenen Wolke verhüllt wurden, in der kleine<br />
Lichtkugeln fröhlich tanzten. <strong>Sie</strong> erlebte noch einmal den Kuss mit<br />
Galak Arsamandi, dem Prinz des orsorianischen Reiches, die<br />
schreckliche Wendung, als sie kurz darauf herausfand, dass er eine –<br />
reichlich offene - Beziehung mit Tala führte, und wie sie die Situation<br />
nach einigem Ärger schließlich akzeptierte und über ihren Schatten<br />
sprang, um die Freundschaft zu beiden fortzusetzen und ihr Leben<br />
weiterzuleben, ohne Reue, ohne über das Nachzudenken, was<br />
vergangen war.<br />
Aber hier, in der Traumwelt...<br />
...da sah sie wieder sein Gesicht, diese kantigen, maskulinen Züge,<br />
die pupillenlosen Augen, in denen ein merkwürdiger Nebel waberte.<br />
<strong>Sie</strong> vernahm seinen süßlichen Atem, und spürte das Prickeln, dieses<br />
aufregende Prickeln, dass sie stets empfunden hatte – und teilweise
noch immer empfand -, wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt. Sein<br />
blaues, langes Haar wehte wie üblich in einem rätselhaften Luftzug,<br />
der nur für ihn bestimmt zu sein schien.<br />
Galak.<br />
Er hatte ihr vom ersten Moment an auf seine ganz eigene, arrogante<br />
Art mehrere Avancen gemacht, und Sha’Nyn hatte – entgegen ihrer<br />
tatsächlichen Sehnsüchte – unverzüglich klargestellt, dass sie nicht<br />
geneigt war, seiner unverblümten Forderungen zur Paarung<br />
nachzugehen. Und in dem Augenblick, als Sha’Nyn es sich anders<br />
überlegt hatte, hatte sie Galak Arm in Arm mit ihrer Freundin Tala<br />
gesehen; die beiden waren offensichtlich gerade erst mit einem<br />
Stelldichein fertig gewesen. Damit hatte Sha’Nyn plötzlich auf dem<br />
Trockenen gesessen – was sie ziemlich geärgert hatte.<br />
Galak lächelte ihr nun zu, zeigte perfekte weiße Zähne. Dann hob er<br />
seine muskelbepackten Arme und streckte ihr die Hände entgegen,<br />
worauf Sha’Nyn sich selbst sah, wie sie nach kurzem Zögern in seine<br />
Umarmung stürzte. Sämtliche Bedenken waren mit einem Mal<br />
irrelevant, alles was zählte war der Moment, und der Moment gehörte<br />
ganz ihrer Leidenschaft. <strong>Sie</strong> ertrank förmlich in seinen starken Armen,<br />
während sie sich berauscht küssten.<br />
„Shan...“<br />
Die Traumwelt verzerrte sich für einen Moment, ein grauer Schleier<br />
durchzog ihre Wahrnehmung. Sha’Nyn stöhnte. <strong>Sie</strong> spürte Galaks<br />
Zunge, auf ihrem Hals, die Wärme seines Speichels. Irgendwas roch<br />
komisch. Irgendwie bitter.<br />
„Shan...“<br />
<strong>Sie</strong> fühlte, wie Galak erneut ansetzte, über ihren Hals leckte und wie<br />
seine Zunge ihre Wange emporwanderte. Es fühlte sich so gut an, aber<br />
die Traumwelt verblasste zunehmend. Sha’Nyn wollte nicht, dass es<br />
endete, aber aus irgendeinem Grund zwang sie sich dennoch die<br />
Augen zu öffnen. Galak blickte mit sanften Augen auf sie herab. Seine<br />
erstaunlich breite Zunge fuhr erneut über ihre Wange und die<br />
Berührung bereitete ihr Freude. Sha’Nyn lächelte. Der Graue Schleier<br />
der Müdigkeit lichtete sich weiter und-<br />
Es war nicht Galak.<br />
Sha’Nyn fiel aus dem Bett. „Oh Gott!“<br />
Eher durch Glück als durch Können, gelang es ihr, sich mehr oder<br />
weniger geschickt auf dem Boden abzurollen und – Captain
Flemmings eindringlichem Nahkampftraining sei Dank –<br />
unverzüglich eine Verteidigungsposition einzunehmen, während sie<br />
den Kopf zurückwarf, um die Strähnen ihres schulterlangen blonden<br />
Haares aus den Augen zu bekommen.<br />
„Gut zu sehen, dass ich nicht der einzige hier mit katzenartigen<br />
Reflexen bin.“, drang eine sarkastische, aber warmherzige Stimme an<br />
ihr Ohr.<br />
Als Sha’Nyn realisierte, wo sie war, und wer gesprochen hatte,<br />
seufzte sie und entspannte ihren Körper - was auf den ersten Blick ein<br />
wenig selbstmörderisch erschien, in Anbetracht der Tatsache, dass ein<br />
ausgewachsener Tiger auf ihrem Bett stand und sie gerade<br />
wachgeleckt hatte. An und für sich war das ein mehr als<br />
nachvollziehbarer Grund zur hellen Panik, wenn es nicht der Tiger<br />
selbst gewesen wäre, der gesprochen hätte.<br />
Das Licht im Zimmer glühte in voller Stärke und löste einen<br />
stechenden Schmerz hinter Sha’Nyns Schläfen aus. „Wotan“, stöhnte<br />
sie und ließ sich mit zusammengekniffenen Augen auf den Rücken<br />
fallen, die Arme weit ausgebreitet, als hätte man sie gekreuzigt.<br />
„Ouuuuw. Mach um Himmels Willen das Licht aus!“<br />
„Damit du wieder einschläfst, Liebes? Ich denke nicht dran.“<br />
„Grrr, wenn ich könnte, würde ich dich erwürgen!“ <strong>Sie</strong> stöhnte.<br />
„Wie spät ist es überhaupt?“<br />
Ihr vierbeiniger Zimmergenosse brachte ein amüsiertes Lächeln<br />
zustande und sprang mit wedelndem Schwanz zu ihr auf den Boden<br />
herab.<br />
Einst mochte er ja ein völlig gewöhnlicher Bengaltiger gewesen<br />
sein, der in freier Wildbahn seinen eigenen Angelegenheiten<br />
nachgegangen war (Schlafen, Fressen... und dann wieder schlafen).<br />
Seine Erinnerungen an diese Zeit waren aber bestenfalls wage. Wie<br />
ihn der Pfeil des Betäubungsgewehrs getroffen hatte, das wusste<br />
Wotan jedoch noch ganz genau. Das Gefühl der Verständnis- und<br />
Hilflosigkeit hatte sich tief in seine Seele eingebrannt. Die Welt war<br />
um ihn herum schwarz geworden, und als er in einem Labor wieder zu<br />
sich gekommen war, hatte er plötzlich ein Ich-Bewusstsein besessen –<br />
das Ergebnis der genetischen Experimente, die man illegal an ihm<br />
durchgeführt hatte. Mit einem Mal hatte sich seine gesamte Existenz<br />
grundlegend verändert. Er sah die Welt seither völlig anders. Es war,
als hätte jemand in einem stickigen, dunklen Raum die Fenster<br />
geöffnet.<br />
Vermutlich, so dachte Wotan, erging es Sha’Nyn gerade ganz<br />
ähnlich. Er stieß sie sanft mit der Schnauze an. „Na komm schon. Du<br />
musst aufstehen, Liebes.“<br />
Erneutes Stöhnen. Es hörte sich allerdings ganz anders an, als das<br />
Stöhnen vorhin im Bett. „Du scheinst ja hin und weg gewesen zu<br />
sein.“<br />
Sha’Nyn stemmte sich schwerfällig auf die Ellenbogen, während<br />
sich ihre Augen langsam an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen<br />
versuchten. „Ich hatte...“ <strong>Sie</strong> dachte an Galak und realisierte: „Ich<br />
hatte einen Alptraum!“<br />
Wotan schnaubte amüsiert. „So hat es sich auch angehört.“<br />
„Angehört?“<br />
„Na komm schon.“ Er stubste sie erneut an. „Du verschläfst noch.“<br />
Sha’Nyn drückte ihre Unkooperation aus, in dem sie versuchte ihn<br />
beiseite zu schieben – was nicht recht gelang, da Wotan weitaus<br />
schwerer und kräftiger war. Also stieß er erneut zu, diesmal etwas<br />
bestimmter. <strong>Sie</strong> stöhnte erschöpft: „Du zottelige Nervensäge. Es ist<br />
Samsta-“<br />
Und dann riss sie die Augen auf. „Oh Gott, es ist ja Samstag!“<br />
Mit einem Mal war Sha’Nyn hellwach und auf den Beinen, um zum<br />
Kleiderschrank zu rennen, wobei sie sich natürlich prompt das Knie<br />
am Tisch anstieß, und beherzt fluchte - Ein gutes Zeichen, dass sie<br />
wieder voll und ganz da war. „Wie viel Uhr? Wie viel Uhr?“<br />
„Fünf nach sieben.“<br />
„Shiiiiiit! Ich komme zu spät! Schon wieder zu spät!“ <strong>Sie</strong> riss eine<br />
Uniform vom Kleiderbügel, wirbelte herum und bedachte Wotan wild<br />
gestikulierend mit einem bösen Blick. „Warum hast du mich nicht<br />
geweckt?“<br />
„Das habe ich doch versucht.“<br />
„Warum hast du es nicht nachdrücklicher versucht?“<br />
Er lachte. „Noch eindrücklicher und ich hätte dich beißen müssen.“<br />
Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Mit einem frustrierten Laut<br />
wirbelte sie wieder in die andere Richtung und wäre mit zwei<br />
Schritten im Bad gewesen, wenn sie nicht – wie jeden Morgen – mit<br />
einigem Getöse über Wotans Fressnapf gestolpert wäre. Was dazu<br />
führte, dass sie sich nun das andere, noch intakte Knie, am Schrank
annte, und humpelnd, fluchend, und mit den Armen rudernd im<br />
Nebenraum verschwand, wo es zwei Sekunden später nur noch mehr<br />
schepperte.<br />
Wotan schüttelte amüsiert den Kopf.<br />
Menschen.<br />
Während vom Bad her das Summen der Schalldusche erklang, sah<br />
er zu Sha’Nyns Bett herüber und bemerkte jetzt erst die Datenblöcke,<br />
die auf dem Laken verstreut waren. <strong>Sie</strong> türmten sich auch auf ihrem<br />
Schreibtisch. Andere quollen förmlich aus ihrem verschlissenen<br />
Rucksack heraus. Das war an und für sich nichts ungewöhnliches,<br />
zumal Sha’Nyn – ganz ihrer wirbelnden Persönlichkeit getreu – nicht<br />
allzu viel von Ordnung hielt und überall ein gewisses Chaos<br />
hinterließ. Aber in letzter Zeit deckte sie sich so stark in Arbeit ein,<br />
dass es Wotan zunehmend schwerer fiel, ihre Zweierstube jeden<br />
Abend für die morgendliche Zimmerinspektion aufgeräumt zu<br />
bekommen.<br />
Er tat es gern, zumal er wusste, dass Sha’Nyns wissenschaftliches<br />
Studium anstrengend und ihr wichtig war, und er unterstützte sie wo<br />
er konnte. Aber dass sie ihre Arbeit jetzt selbst noch mit ins Bett<br />
nahm, war neu, und es bereitete ihm einige Sorgen – zumal es nicht so<br />
war, dass Sha’Nyn Schwierigkeiten gehabt hätte dem Unterricht zu<br />
folgen. Im Gegenteil. <strong>Sie</strong> hätte sehr viel weniger lernen müssen, als<br />
sie es eigentlich tat, aber die Themen faszinierten sie so sehr, dass ihre<br />
gesamte Freizeit opferte, um sich noch mehr Wissen anzueignen. Das<br />
konnte Wotan nicht unbedingt gutheißen. Der Akademiealltag war<br />
schon anstrengend genug, - sowohl für Geist, als auch für Körper. Erst<br />
recht wo sie noch am Anfang standen, und ihre Körper sich in der<br />
Eingewöhnungsphase befanden. Routine setzte nämlich auch nach<br />
zwei Monaten noch nicht ein. Die Akademieleitung dachte sich<br />
täglich etwas neues aus, um sie zu fordern. Sogar Wotan hatte<br />
Probleme beim sportlichen Training mitzuhalten – von den Menschen<br />
ganz zu schweigen. Die meisten Kadetten waren abends bereits im<br />
Reich der Träume, kaum dass sie ihre Kopfkissen berührten.<br />
Nicht so Sha’Nyn. Mitunter sprühte sie derart vor Energie und war<br />
so stur, dass man, wenn man sie erschießen wollte, vermutlich<br />
zweimal feuern musste, ehe sie umfiel.<br />
<strong>Sie</strong> musste die ganze Nacht lang im Dunkeln durchgearbeitet haben,<br />
um ihn nicht zu wecken. Wotan warf einen Blick auf die Etikette.
Alles wissenschaftliche Lektüren. Datenblöcke über Artefakte, über<br />
Ausgrabungsstellen, über Archäologen, deren Biografien, Interviews,<br />
Memoiren, ja sogar Datenblöcke mit Dissertationen, die das Thema<br />
Altertum nur im entferntesten anschnitten. <strong>Sie</strong> verschlang alles, was<br />
sie in die Finger bekam. Ihr Wissensdurst war schier unstillbar. Zeit<br />
zum Abschalten gönnte sie sich nur selten; um zur Ruhe zu kommen<br />
betrieb sie Sport, obwohl sie beim täglichen Training schon genug<br />
über den Campus gehetzt wurden. Und jetzt hatte sie sich auch noch<br />
in die Wochenend-Vorlesungen eingeschrieben.<br />
Die Tür zum Bad öffnete sich wieder und der fluchende<br />
Wirbelwind, der hineingeflogen war, kam nun geringfügig langsamer,<br />
aber dafür teilweise uniformiert heraus, während er versuchte wieder<br />
alles gleichzeitig zu machen: sich die Stiefel überzustreifen, das Haar<br />
zu Kämmen und die Datenblockstapel nach ihren etwas bestimmten<br />
zu durchwühlen.<br />
„Shan...“<br />
„Ich brauche einen leeren Block. Hilf mir suchen.“<br />
Er deutete zu seinem Wandschrank. „Du kannst meinen nehmen.“<br />
„Okay, gut. Danke.“ Sha’Nyn fummelte an ihrer Uniform und<br />
zupfte an den Ärmeln. Dann wollte sie zu seinem Schrank, aber<br />
Wotan war mit einem großen Satz, der ihm keinerlei Mühe bereitete,<br />
über das Bett gesprungen, wo er sich ihr demonstrativ in den Weg<br />
stellte. „Liebes, hör mal. Du brauchst eine Pause.”<br />
„Sicher nicht jetzt. Ich bin viel zu spät!“ <strong>Sie</strong> kletterte einfach über<br />
ihn drüber. „Im oberen Fach?“<br />
Er rollte mit den Augen. Eine erstaunlich menschliche Geste. „Wir<br />
haben dich in letzter Zeit beim Frühstück vermisst. Und beim<br />
Abendessen.“<br />
„Keine Zeit dafür. Hab im Labor gegessen.“<br />
Er wandte sich in dem Moment zu ihr um, als Sha’Nyn bereits auf<br />
dem Rückweg war und an ihm vorbeirannte, was dazu führte, dass er<br />
sich einmal im Kreis drehte und wie ein Idiot vorkam. Konnte sie<br />
nicht einmal still halten?<br />
„Was tust du zur Entspannung?“<br />
<strong>Sie</strong> stopfte den Datenblock und andere Sachen, die sie heute<br />
brauchen würde in ihren Rucksack. „Sport.“<br />
„Ich meine richtige Entspannung.“
„Das ist richtige Entspannung, Sigmund. Ich tue lieber was, als<br />
rumzusitzen.“<br />
Das konnte er nachvollziehen. Trotzdem hakte er weiter nach,<br />
obwohl e sie nervte: „Wann hast du das letzte Mal ausgeschlafen?“<br />
„Weiß nicht.“<br />
„Wann hast du das letzte Mal länger als sechs Stunden geschlafen.“<br />
„Weiß nicht.“<br />
„Und länger als fünf?“<br />
<strong>Sie</strong> warf sich den Rucksack über ihre Schulter und gab erst gar<br />
keine Antwort.<br />
„Ich will dir doch nur helfen.“ Es klang fast vorwurfsvoll.<br />
Sha’Nyn seufzte, drehte sich zu ihm um und verharrte zum ersten<br />
Mal an diesem Morgen länger als eine knappe Sekunde an einem Ort.<br />
„Ich weiß. Aber wir sind jetzt auf der Akademie und ich gedenke so<br />
viel vom Studium mitzunehmen, wie ich kann.“ <strong>Sie</strong> kniete sich vor<br />
ihn und kraulte Wotan am Ohr. So eilig sie es auch hatte, dafür war<br />
Zeit. <strong>Sie</strong> wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. „Ich habe endlich<br />
etwas gefunden, das mich begeistert, verstehst du? Ich weiß, was ich<br />
werden will. Welchen Beruf ich mal ausüben möchte. Aber nicht<br />
unbedingt in der Sternenflotte - von der will ich nur die Ausbildung.<br />
Und auf dem freien Markt gibt es eine Menge Konkurrenz, also lege<br />
ich mich lieber gleich ins Zeug.“<br />
„Das verstehe ich. Du hast Angst, dass du in der Zukunft nicht<br />
wettbewerbsfähig bist, aber du... du nimmst dir dadurch die<br />
Gegenwart. Der Unterschied zwischen Existieren und Leben liegt<br />
oftmals im Gebrauch der Freizeit, musst du wissen.“<br />
„Heh. Du nutzt deine Freizeit um zu plappern.“<br />
„Wobei einige gute Freundschaften entstehen. Kannst du dasselbe<br />
behaupten?“<br />
<strong>Sie</strong> sah zur Seite. Die vergangenen zwei Monate waren tatsächlich<br />
ziemlich schnell an ihr vorbeigezogen. Von den anderen hatte sie<br />
nicht viel gesehen. Zunächst war es ihr nicht weiter aufgefallen, aber<br />
sie vermisste sie inzwischen doch. „Nein.“<br />
„Ich will nur, dass du dir hin und wieder ein bisschen Zeit nimmst,<br />
um abzuschalten. Um die Dinge zu reflektieren, und dir bewusst zu<br />
werden, wo und was du im hier und jetzt bist. Mehr verlange ich<br />
nicht.“<br />
„Ich werd’s versuchen.“
„Tu’s wirklich.“<br />
<strong>Sie</strong> richtete sich unter Wotans misstrauischem Blick auf. „Okay.“<br />
„Wirklich.“<br />
„Ja, ja.“<br />
Sanfter sagte er: „Und versuch dich mal wieder öfters blicken zu<br />
lassen. Die anderen vermissen dich schon.“<br />
„Ich sie ja auch.“ <strong>Sie</strong> schnaubte und betätigte kopfschüttelnd den<br />
Türöffner. „Heh. Ich fange sogar schon an von Galak zu träumen.”<br />
Jetzt war Wotans Interesse erst recht geweckt. Seine Ohren richteten<br />
sich auf und er neigte überrascht den Kopf. „Galak?“<br />
Shan war schon auf dem Korridor, als sie noch mal im Türrahmen<br />
erschien und drohend den Finger auf ihn richtete. „Behalte das für<br />
dich!“<br />
Wotan neigte den Kopf und setzte einen gekränkten Blick auf.<br />
„Liebes. Ich bin die Verschwiegenheit in Person.“<br />
„Galak?!“ Arqa kicherte, was sich immer wie ein Gluckern anhörte.<br />
„<strong>Sie</strong> träumt von Galak?“<br />
„Aber wenn ich es dir doch sagen.“, bestätigte Wotan. Er hatte ihr<br />
gemeinsames Quartier verlassen, kurz nachdem Sha’Nyn gegangen –<br />
oder vielmehr losgerannt – war. Anschließend hatte er Arqa Ichtos<br />
abgeholt, und nun machten sie sich auf den Weg zu einer Vorlesung in<br />
Psychologie. Arqa stammte von einer Welt namens Dchka, die fast<br />
vollständig vom Ozean bedeckt wurde. Es gab lediglich eine winzige<br />
Landmasse, die kaum mehr Grundfläche aufbrachte als etwa<br />
Manhatten. Als Folge der verständlicherweise nur geringen<br />
Bevölkerungsdichte kannte auf Dchka jeder jeden und da es aufgrund<br />
des Platzmangels nicht viele Orte zu besuchen, Tiere zu sehen, oder<br />
Hobbys auszuüben gab, galt das Hauptinteresse der Dchkaner den<br />
zwischendchkanischen Beziehungen. Kurz gesagt, Arqa war im<br />
Psychologiebereich, für den sich auch Wotan entschieden hatte,<br />
perfekt aufgehoben.<br />
Leider neigte sie zuweilen zur Geschwätzigkeit. <strong>Sie</strong> konnte kaum<br />
etwas für sich behalten – eine Eigenart, die Wotan für eine ziemliche<br />
Charakterschwäche hielt (und die er, wie er glaubte, zum Glück nicht<br />
teilte). Daher bat er: „Behalte das aber für dich, ja?“
„Aber selbstverständlich, Wotan.“, entgegnete sie aufrichtig<br />
lächelnd. Und das reichte ihm als Zusicherung vollkommen aus.<br />
Schließlich besaß er, so glaubte Wotan, eine beängstigend stark<br />
ausgeprägte, nahezu perfekte Menschenkenntnis. Hätte Aqua ihn<br />
angeschummelt, hätte er es sofort bemerkt. Und er war sich sicher,<br />
dass sie ein Geheimnis behalten konnte, wenn es drauf ankam.<br />
„<strong>Sie</strong> ist ein interessanter Fall. Sha’Nyn meine ich. Du hast dir genau<br />
die richtige Person ausgesucht, um deine Abschlussstudie zu<br />
schreiben.“<br />
„In der Tat.“<br />
„Was denkst du, warum sie Probleme hat sich Galak zu nähern?“<br />
„Ich glaube es liegt an Sha’Nyns überwältigendem Wunsch nach<br />
Unabhängigkeit, der dazu führt, dass sie sich oft selbst im Weg steht,<br />
und noch lange im Weg stehen wird. Vor allem in<br />
Herzensangelegenheiten. Aber wer weiß.“, grinste Wotan. „Vielleicht<br />
läuft ihr sie ja schon heute ihrem Traummann über den Weg.“<br />
Sha’Nyn nahm jeweils zwei Stufen gleichzeitig, als sie die<br />
Gartenanlage hinter sich ließ und die Treppe zum Eingang der Sudak-<br />
Halle hinaufstürmte. <strong>Sie</strong> schnaufte aufgrund der Anstrengung, wurde<br />
aber nicht langsamer. Oben angekommen schienen die automatischen<br />
Glastüren ein Bewusstsein entwickelt zu haben und öffneten sich<br />
zügiger als üblich, da Sha’Nyn sonst glatt durch sie hindurchgerannt<br />
wäre. <strong>Sie</strong> hatte es wirklich furchtbar eilig. Ein Blick auf ihr<br />
Chronometer verriet die Dringlichkeit der Situation: Elf nach sieben.<br />
<strong>Sie</strong> kam fast eine viertel Stunde zu spät!<br />
Verdammt!<br />
Das Geräusch ihrer Stiefel lärmte durch die Halle, die sie<br />
vollkommen leer vorfand. Normalerweise war das Gebäude mit<br />
Kadetten des ersten Jahres gefüllt – scheinbar ganz gleich, zu welcher<br />
Tageszeit man eintrat. Vor allem morgens musste man sich durch eine<br />
gewaltige Ansammlung vielfüßiger, vielbeiniger, vieläugiger Aliens<br />
und Menschen kämpfen, manche mit Fell, andere mit Rüsseln, und<br />
wieder andere mit Flügeln, die in Gruppen oder alleine, lachend,<br />
tratschend, oder gedankenverloren die Halle bevölkerten und für eine<br />
beständige Kakophonie der Belebtheit sorgten.
Jetzt am Wochenende und um diese frühe Uhrzeit befanden sich die<br />
meisten aber entweder in ihren Betten, machten die Stadt unsicher,<br />
studierten in Gruppen hinter verschlossenen Türen, oder saßen in<br />
einem der Auditorien, in dem Sha’Nyn nun auch hätte sitzen müssen,<br />
um den Wochenendvorlesungen zu lauschen.<br />
Wenigstens, so dachte Sha’Nyn, hatte sie freie Bahn. Also legte sie<br />
noch einen Zahn zu, hatte aber gerade mal die Hälfte der Halle hinter<br />
sich gelassen. Erst jetzt, im Angesicht der Leere des Gebäudes, wurde<br />
ihr bewusst, wie groß die Akademie eigentlich war. Der gesamte<br />
Campus mit seinen zahlreichen Einrichtungen, die durch die<br />
weitläufigen Gartenanlagen miteinander verbunden waren, erstreckte<br />
sich über mehrere Quadratkilometer. Und dann waren da noch die<br />
unterirdischen Anlagen, deren Ausmaße man nur zu leicht<br />
unterschätzte!<br />
Ich bin eine von Tausenden, dachte Sha’Nyn und fühlte sich<br />
plötzlich ziemlich klein und unbedeutend. Was... vielleicht sogar von<br />
Vorteil war, denn immerhin konnte sie hoffen, so klein und<br />
unbedeutend zu sein, dass Tuvok aus ihrer Verspätung kein Drama<br />
machen würde.<br />
<strong>Sie</strong> ließ die Halle hinter sich und stürmte durch das dahinterliegende<br />
Labyrinth an Korridoren, in denen sie sich in den ersten Tagen allzu<br />
oft verirrt hatte. Das war so gut wie jedem passiert. Inzwischen hatte<br />
sie sich die Wege aber so gut eingeprägt, dass sie gar nicht mehr<br />
hinsehen musste, wohin sie rannte.<br />
Was sie auch nicht tat, und stattdessen erneut auf ihr Chronometer<br />
blickte, als wäre in den letzten zwanzig Sekunden eine temporale<br />
Anomalie aufgetreten, die ihre Verspätung noch verlängert hätte. Als<br />
sie um eine Ecke stürmte, den Blick noch immer auf den Zeitmesser<br />
gerichtet, bemerkte sie nicht, dass ihr jemand mit ähnlicher<br />
Geschwindigkeit, und mindestens genauso unachtsam entgegenkam -<br />
was dazu führte, dass beide mit schockierender Wucht<br />
zusammenprallten und in einem Gewühl aus Gliedmaßen zu Boden<br />
stürzten.<br />
„Uff!”<br />
Sha’Nyn blieb einen Moment lang benommen liegen und spürte ein<br />
merkwürdiges Gewicht auf sich ruhen. Der Junge, mit dem sie<br />
zusammengerasselt war, und der nun äußerst... (un?)günstig auf ihr<br />
drauflag, schüttelte die Härte des Aufpralls als erstes ab. Er stemmte
sich ein Stück hoch und schaute zunächst – sprichwörtlich - etwas<br />
überrumpelt drein, aber als er begriff, was beim Aufprall sein Gesicht<br />
vor Schaden bewahrt hatte, und in welcher Position er sich nun auf<br />
dem Mädchen befand, kroch ein spöttisches Grinsen über seine<br />
jugendlichen Züge. „Und ich musste dich nicht einmal bitten auf einen<br />
Raktajino reinzukommen...“<br />
Sha’Nyns Blick verdüsterte sich. Das war ja wohl die Höhe! Erst<br />
passte er nicht auf, wo er hinlief, und dann brachte er so einen blöden<br />
Spruch! Sha’Nyn grollte: „Runter von mir!“<br />
Nicht, dass sie ihm die Chance dazu gegeben hätte, es von selbst zu<br />
tun. <strong>Sie</strong> schlug ihm kurzerhand auf die Nase und das reichte völlig<br />
aus, um sich aus der unfreiwilligen Liebkosung zu befreien. Der Kopf<br />
des Jungen flog zurück... und der Rest seines Körpers gleich hinterher.<br />
Sha’Nyn ächzte, rollte herum und versuchte auf die Beine zu<br />
kommen. <strong>Sie</strong> hatte beim Aufprall ein Ratschen und anschließend ein<br />
Scheppern gehört. Es war von ihrem Rucksack gekommen, der – wie<br />
hätte es auch anders sein können – aufgerissen war. Nun lagen ihre<br />
Datenblöcke auf dem Boden verteilt. Sha’Nyn mochte ihren<br />
Rucksack. Es war kein Sternenflottenmodell, sondern ein altes,<br />
zerschlissenes Ding, dass sie auf der Eiswelt Frigoria gefunden hatte.<br />
Natürlich hätte sie einen besseren verwenden könnten, aber sie<br />
verband einiges mit diesem alten Ding. Aber in solchen Momenten, da<br />
wünschte sie sich wirklich, weniger nostalgische Gefühle für den<br />
Rucksack zu hegen...<br />
Während sie sich daran machte, alles, was sie verloren hatte, hurtig<br />
wieder einzupacken, richtete der Junge stöhnend den Oberkörper auf,<br />
und hielt sich den Riechkolben. Offenbar hatte er Schmerzen. „Ich<br />
glaube du hast mir die Nase gebrochen!“<br />
Er wusste nicht, ob er aufgebracht, oder beeindruckt sein sollte.<br />
„Sag noch mal so was blödes, wie vorhin, und ich breche den Rest<br />
deines Gesichts gleich mit!“ <strong>Sie</strong> warf ihm einen kurzen Seitenblick zu,<br />
um zu schauen, wie er überhaupt aussah. „Nicht, dass es jemandem<br />
auffallen würde...“, ergänzte sie dann.<br />
Der Junge blinzelte erstaunt über das Ausmaß ihrer Biestigkeit.<br />
„Das war... unfassbar beleidigend und gemein.“ Dann grinste er breit.<br />
„Das gefällt mir!“<br />
Sha’Nyn rollte die Augen. So einer war das. „Dämlicher Trottel!<br />
Wegen dir komme ich viel zu spät.“
„Also, nur als dämlich, oder als Trottel bezeichnet zu werden“,<br />
meinte er spöttisch. „das könnte ich ja grade noch verkraften. Aber<br />
beides zusammen trifft einen ja doch härter, als etwa >blöder Idiotgemeiner Fiesling
eine Sekunde. Zwei im äußersten Notfall. Ein weiteres Indiz für<br />
Emotionen war seine Kaumuskulatur, die sich immer dann in<br />
Bewegung setzte, wenn sich Tuvok ärgerte.<br />
Nun setzte sie sich in Bewegung.<br />
Was sämtliche Kadetten als Vorbote der Apokalypse begriffen.<br />
Augenblicklich wurde es still im Auditorium – manche wagten es<br />
nicht einmal zu atmen – und alle Köpfe drehten sich in die Richtung,<br />
zu der auch Tuvok blickte.<br />
Die Schamesröte schoss Sha’Nyn ins Gesicht, als sie die Blicke<br />
aller auf sich Ruhen spürte, und verzweifelt versuchte möglichst flott<br />
mehrere Millionen Jahre der Evolution zu überspringen und spontan<br />
und durch die pure Kraft des Willens die Fähigkeit zu entwickeln, sich<br />
unsichtbar zu machen – was verständlicherweise, aber dennoch zu<br />
ihrem großen Bedauern nicht funktionierte.<br />
„Wie freundlich von ihnen, uns doch noch mit ihrer Anwesenheit zu<br />
beehren, Kadett.“, sagte Tuvok kalt.<br />
„Tut mir leid, Sir.“<br />
Tuvok mochte es nicht sonderlich unterbrochen zu werden, aber er<br />
konnte damit leben. Tatsächlich war er sogar weit weniger erbost, als<br />
es den Anschein hatte. Doch aus jahrzehntelanger praktischer<br />
Erfahrung als Dozent wusste er sehr wohl, dass Kadetten dazu neigten<br />
einem den Arm abzureißen, wenn man ihnen die Hand der<br />
Freundlichkeit anbot. Wer dem ersten etwas durchgehen ließ, fand<br />
sich schon bald in einem Flohzirkus wieder, der dazu neigte, dem<br />
Lehrpersonal auf der Nase herumzutanzen. Und zum anderen genoss<br />
er den Anblick einer peinlich berührten Sha’Nyn Bartez so sehr... wie<br />
ein Vulkanier eben etwas genießen konnte - Immerhin war sie anfangs<br />
eine der vorlautesten und aufmüpfigsten Studenten gewesen. Weshalb<br />
er die Schärfe seines ohnehin schon Schutzschild durchschlagenden<br />
Blickes noch ein wenig steigerte. „Sollten sie sich erneut verspäten,<br />
brauchen sie an diesem Kurs nicht mehr teilzunehmen.“<br />
„Verstanden, Sir.“<br />
„Setzen sie sich.“<br />
„Ja, Sir.“<br />
Sha’Nyn nickte und machte sich möglichst klein, während sie einen<br />
freien Platz suchte – alles natürlich noch immer unter dem richtenden<br />
Blick Tuvoks. <strong>Sie</strong> hoffte, dass ihre Wangen nur halb so rot waren, wie<br />
sie sich anfühlten. In der achten Reihe entdeckte sie Yoko – ein
weiteres Mitglied ihrer Omega-Staffel und fraglos einer ihrer engsten<br />
Freunde. Der Vulkanier hatte ihr offenbar einen Platz freigehalten.<br />
Oder niemand war willens gewesen, sich neben ihn zu setzen, da<br />
Yoko zuweilen etwas... merkwürdig erschien. Er litt noch immer an<br />
den Spätfolgen einer Geistesverschmelzung mit einem<br />
phylosianischen Beamten, die bei beiden einen neuralen Schock<br />
ausgelöst hatte. Als Folge, wirkte Yoko oft etwas neben der Spur. Tala<br />
hatte scherzhaft gemeint, Yokos Verstand sei wie Gott. Er arbeite in<br />
mysteriösen Wegen, niemand verstand ihn wirklich, und es gab einige<br />
Leute, die darüber debattierten, ob er überhaupt existierte. Es war<br />
natürlich nur liebevoller Spott gewesen, aber an manchen Tagen<br />
steckte mehr Wahrheit darin, als Sha’Nyn zugeben wollte.<br />
<strong>Sie</strong> rutschte in den freien Stuhl und vorne räusperte sich Tuvok, um<br />
endlich fortzufahren. „Wie ich gerade ausführen wollte, neigt ein<br />
Sternenflottenoffizier, nicht zum spekulieren. Er tut es einfach nicht,<br />
im Gegensatz, zu etwa den sogenannten ernsten Medien, die wir alle<br />
fraglos kennen, und die der Auffassung sind, mehr als nur Fakten<br />
darlegen zu müssen, um Konsumenten zu unterhalten. Sehen wir uns<br />
als abschreckendes Beispiel die heute Schlagzeile der CBS-Terranews<br />
an.“ Er betätigte eine Taste, am Pult, und der holographische<br />
Bildschirm hinter ihm erwachte flackernd zum Leben. Zu sehen war<br />
die neueste Ausgabe des Nachrichtenblatts. Die Hauptkolumne<br />
befasste sich mit der Sorge über Präsident Baccos außergewöhnliche<br />
Importpolitik betreffend der Duranium-Legierung aus dem Vermoff-<br />
Gürtel.<br />
Tuvok las vor: „Präsident Baccos kühne und im Föderationsrat heiß<br />
diskutierte Importpolitik“ und er betonte die folgenden Worte sehr<br />
genau „ könnte möglicherweise zu Protesten in der Bengari-Kolonie<br />
führen, die sich bisher für die Duranium-Versorgung verantwortlich<br />
zeichnete. Es ist anzunehmen, dass sie künftig, hohe Gegenleistungen<br />
für den Export ihrer letzten Ressource, den Dilithium-Kristallen<br />
verlangen. Wir gehen davon aus, dass ihre Exportstellung langfristig<br />
stark geschwächt wird – was, wie unsere Experten spekulieren,<br />
diverse Bündnispartner, wie die Caitianer, dazu animieren dürfte, die<br />
Chance zu nutzen, um selbst in den Markt einzusteigen.“<br />
Tuvok pausierte einen Moment und ließ den Nonsens der Worte<br />
wirken. „<strong>Sie</strong> mögen sich nun fragen, was das alles soll. Ob es nicht<br />
verständlich ist, über aktuelle Ereignisse in dieser Art und Weise zu
sprechen. Ich sage ihnen ganz klar: Nein. Nein, das ist nicht<br />
verständlich. Spekulationen solcher Art sind Zeitverschwendung. <strong>Sie</strong><br />
sind unsinnig. <strong>Sie</strong> sind nutzlos. Und der Grund warum sie nutzlos<br />
sind, ist ein einfacher. <strong>Sie</strong> sind nutzlos, weil niemand die Zukunft<br />
kennt.“ Er ließ seinen Blick über die Sitzreihen schweifen. „Sind wir<br />
uns in diesem Punkt alle einig?“<br />
Nicken.<br />
„Oder muss ich ihnen diese simple Tatsache beweisen?“<br />
Kopfschütteln.<br />
„Ich stelle diese Frage, weil es Personen gibt, die dazu neigen, zu<br />
behaupten, sie würden eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen, weil<br />
sich ihre Spekulationen häufig als richtig erwiesen. Behaupten sie<br />
jedenfalls. <strong>Sie</strong> sind so überzeugt von ihren Spekulationen, dass man<br />
meinen könnte, sie besäßen die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen.<br />
Was nicht der Fall ist. Nicht einmal annähernd. Unser bester<br />
Supercomputer ist kaum in der Lage zutreffende Prognosen von sich<br />
zu geben, die weiter als zwei Stunden in die Zukunft reichen. Und<br />
dennoch existiert ein weit verbreiteter Irrglaube, dass es Personen<br />
geben würde, die zuverlässiger spekulieren könnten, als jener<br />
Supercomputer, und denen man aus diesem Grunde Gehör schenken<br />
müsse. Dazu gehören vor allem zwei Gruppen. Erstens, Gelehrte. <strong>Sie</strong><br />
sind belesen, sie haben Erfahrung, und deshalb wissen sie auch,<br />
wovon sie reden, wenn sie spekulieren. Oder? Nein. Nicht wirklich.<br />
Während der ein oder andere gelegentlich richtig tippen mag, liegt<br />
mehr als bloßes Raten nicht in ihrer Macht. Ich bin über hundert Jahre<br />
alt, und unterrichte mein halbes Leben lang. Man kann behaupten,<br />
dass ich einiges an Erfahrung gesammelt habe. Wenn man von mir<br />
nun wissen möchte, ob Kadettin Bartez bei meinem nächsten Kurs<br />
pünktlich erscheint, könnte ich so viel spekulieren, wie ich wollte, in<br />
Wahrheit hätte ich nicht die leiseste Ahnung.“<br />
Gelächter erfüllte das Auditorium.<br />
Sha’Nyn versank in ihrem Stuhl.<br />
„Zur zweiten Gruppe von der man erwartet, sie könne in die<br />
Zukunft sehen, gehören Experten, Spezialisten und Fachleute jeder<br />
Art. Und auch dies ist ein Trugschluss. <strong>Sie</strong> können nicht in die<br />
Zukunft sehen. Nicht einmal Zukunftsforscher. Zukunftsforscher<br />
studieren Trends, um vorhersagen zu können, was als nächstes<br />
geschieht. Das wäre nützlich... wenn es möglich wäre. Aber es ist
nicht möglich. Zukunftsforscher wissen nicht mehr über das nächste<br />
Jahr, als sie oder ich. Man muss sich lediglich ihre Prognosen von vor<br />
einigen Jahren durchlesen, um eine schier endlose Parade an Fehlern<br />
zu sehen. Es spielt keine Rolle wer spekuliert. Wie viele spekulieren.<br />
Wie oft sie spekulieren. Und wie gerne sie spekulieren. Niemand<br />
weiß, was die Zukunft für uns bereit hält, und wenn wir es versuchen,<br />
liegen wir öfter falsch als richtig. Expertisen sind kein Schild gegen<br />
die Fehlschläge vorauszuschauen. Sedak von Vulkan, ein brillanter<br />
Akademiker, der vor dreihundert Jahren sein gesamtes Leben der<br />
Erforschung ökologischer Probleme widmete, lag in fast all seinen<br />
großen Vorhersagen falsch. Er irrte sich, als er schrumpfende<br />
Ressourcen ankündigte. Er irrte sich, als er eine Populationsexplosion<br />
ankündigte. Und er irrte sich, dass wir fünfzig Prozent unserer<br />
Tierwelt innerhalb weniger Jahre durch einen leichten Anstieg der<br />
Vulkanaktivität verlieren würden. Sein lebenslanges Studium all<br />
dieser Themen verhinderte nicht, dass er falsch lag.“<br />
And diesem Punkt seiner Vorlesung begann Tuvok die Hände hinter<br />
dem Rücken zu verschränken, und um das Pult herumzuwandern,<br />
während er weitersprach. „Oder nehmen wir das Beispiel Praxis. Als<br />
2293 der klingonische Mond Praxis explodierte, der ein<br />
Schlüsselelement in der Hauptenergieversorgung des Reichs spielte,<br />
waren sich Experten allerorts einig, das klingonische Reich würde<br />
bestenfalls noch fünfzig Jahre leben. Eine sehr genaue Prognose. Eine<br />
Prognose, die zur Basis wichtiger Entscheidungen wurde, die<br />
wiederum den Kithomer-Vertrag nach sich zogen und in einem<br />
andauernden Frieden mit den Klingonen mündeten. Das war<br />
zweifellos ein begrüßenswerter Nebeneffekt. Die Prognose selbst<br />
erwies sich aber als vollkommen falsch. Es sah zunächst danach aus,<br />
die Strahlung der Explosion würde die Ozonschicht der Heimatwelt<br />
der Klingonen abbauen. Die Vorhersagen verhießen fürchterliches.<br />
Leben sei dort schon bald nicht mehr möglich. Eine Katastrophe<br />
unfassbaren Ausmaßes drohe. Der Großteil der klingonischen<br />
Bevölkerung würde elendig zugrunde gehen. Die Klingonen, die man<br />
erfolgreich evakuieren könnte, würden Krankheiten einschleppen,<br />
Epidemien auslösen, Chaos verursachen. Die Romulaner würden das<br />
Machtvakuum nutzen, um Mobil zu machen. Die Grenzkolonien<br />
wären gefährdet. Die Föderation sähe einer Ära des Krieges und der<br />
Gewalt entgegen. Die Sternenflotte müsse mobilisiert werden. Nichts
werde mehr so sein, wie es mal war. Und das alles wegen der<br />
Explosion eines einzigen Mondes.“ Er hielt einen Moment inne, und<br />
sein Blick verriet, was er von den damaligen Prognosen und<br />
Schlagzeilen hielt.<br />
„Stattdessen war die Strahlung weniger gefährlich als zunächst<br />
angenommen, und die Ozonschicht von Kronos regenerierte sich<br />
aufgrund natürlicher Retan-Partikel von selbst. Die Klingonen<br />
entdeckten vier Monate später einen neuen Mond, dessen Kernenergie<br />
sie anzapfen konnten, und sechs Jahre später befand sich ihre<br />
Energieversorgung auf altem Niveau, ohne, dass sie Hilfe gebraucht<br />
hätten. Dafür kam es vor allem auf den Grenzwelten aufgrund der<br />
düsteren Prognosen zu Panik, und Gewalt. Zweitausend Tote waren<br />
die Folge. Wegen einer Spekulation, die sich letztendlich als völlig<br />
falsch erwies. Wir halten nochmals fest, dass man die Zukunft nicht<br />
vorhersagen kann, in einer Weise, wie ich sie gerade besprochen habe.<br />
Aber was ist mit direkteren Vorhersagen, beispielsweise<br />
Wahlprognosen?“<br />
Er blieb stehen und sah die Kadetten an. „Auf sie trifft dasselbe zu.<br />
Es ist Raterei. Nichts weiter. Und auch hier muss man sich nur alte<br />
Wahlprognosen ansehen, um zu bestätigen, was ich gerne noch einmal<br />
wiederhole: Niemand kann in die Zukunft sehen. Können wir<br />
überhaupt etwas voraussagen? Nein. Aber lernen wir etwas daraus?<br />
Nein. Unser Leben wird nach wie vor von haltlosen Prognosen<br />
bestimmt, die wir oft nicht einmal bewusst als solche Wahrnehmen,<br />
oder die gar von uns selbst in die Welt gesetzt werden, ohne, dass wir<br />
es wollen. Aber warum? Warum wird so viel Spekuliert? Ich werde es<br />
ihnen sagen.“<br />
Tuvok reckte einen Finger. „Erstens. Es ist einfach. Reden ist<br />
einfach. Und spekulatives Gerede ist das denkbar bequemste Mittel,<br />
um Zeit zu überbrücken. Etwa, während man auf das Ergebnis einer<br />
Diagnose wartet, oder während man mit Kameraden zusammensitzt,<br />
und Nahrung zu sich nimmt. Es lenkt einen nicht vom Teller ab. Man<br />
muss sich nicht konzentrieren. Es gibt keine Untersuchungsgruppe,<br />
die einem Fakten liefert, es gibt keine Deadline, die einem im Nacken<br />
sitzt, es gibt keinen Vorgesetzten, der wartet. Nichts. Nur einfaches<br />
Gerede. Was... der Grund dafür ist, dass Vulkanier zumeist alleine<br />
essen.“<br />
Zögerliches Gelächter erschallte im Auditiorium.
„Ich diente einige Jahre mit einem Mann – sein Name war Neelix –,<br />
den ich... zu respektieren und zu schätzen lernte, der aber den ganzen<br />
Tag redete. Mehr, als jede andere Lebensform, der ich bis dahin<br />
begegnet war Um für dieses merkwürdige Verhalten eine Erklärung<br />
zu finden, stellte ich eine Theorie auf. Wenn er seine Lippen nicht<br />
ständig in Bewegung hielt, so dachte ich, klebten sie vermutlich<br />
zusammen. Nach einigen Monaten, verwarf ich diese Theorie<br />
zugunsten einer anderen: Wenn er seine Lippen nicht ständig in<br />
Bewegung hielt, sagte ich mir, fing sein Gehirn an zu arbeiten.“<br />
Das Gelächter wurde lauter. Auch Sha’Nyn lachte. <strong>Sie</strong> musste<br />
unwillkürlich an Wotan denken.<br />
Neben ihr hob Yoko lediglich eine Braue.<br />
Tuvok wurde wieder ernst, auch wenn der Unterschied bei ihm nur<br />
mit der Lupe feststellbar war. „Zweitens. Man kann nicht verlieren.<br />
Selbst wenn sich Prognosen nur zufällig als richtig erweisen, was<br />
bedeutet, dass man in mindestens fünfzig Prozent der Fälle falsch<br />
liegt, wird es sich keiner merken. Dementsprechend wird es<br />
niemanden kümmern. Wer erinnert sich langfristig noch daran, wer<br />
welche Prognose während der Praxis-Krise aufstellte?“ Er schaute<br />
erwartungsvoll in die Runde. „Niemand? Das ist nicht überraschend.<br />
In wenigen Tagen wird sich auch niemand mehr erinnern, wer über<br />
die Folgen von Präsident Baccos Handelspolitik spekulierte – und ob<br />
er richtig oder falsch lag. Zu spekulieren... zu reden... ohne Sinn und<br />
verstand – das mag für Föderationsbürger noch in Ordnung sein.“ Er<br />
machte eine bedeutungsschwangere Pause, ehe er weitersprach. „Für<br />
einen Sternenflotten-Offizier ist es das nicht. Von einem<br />
Sternenflotten-Offizier wird mehr erwartet. Wenn ihr vorgesetzter<br />
Offizier vor einer Entscheidung steht, dann ist es ihre Aufgabe, meine<br />
Damen und Herren, ihm Fakten zu liefern, auf deren Grundlage er<br />
bestmöglich handeln kann. Nicht mehr. Nicht weniger. <strong>Sie</strong> werden<br />
vielleicht noch nach ihrer persönlichen Meinung gefragt, oder sie<br />
werden gebeten, eine gründlich geprüfte Theorie aufzustellen, oder sie<br />
haben gar ein Bauchgefühl, auf das sie – auch wenn das von einem<br />
Vulkanier merkwürdig klingt – hören sollten und äußern können,<br />
sofern es erwünscht ist. All dies können sie tun. All dies müssen sie<br />
tun. Aber ein Sternenflotten-Offizier rät nicht in der Gegend herum.“<br />
Tuvok begann erneut um den Tisch herumzuwandern.<br />
„Abschließend, möchte ich sie daran erinnern, dass wir gewisse Dinge
dennoch sehr wohl in Erfahrung bringen können, und dass wir nicht in<br />
einer beängstigenden Welt grenzloser, unbestätigter Meinungen leben<br />
müssen. Aber die Kluft, die harte Fakten von purer Spekulation trennt,<br />
ist so ungewöhnlich groß, dass es vielen Kadetten im ersten Jahr<br />
schwer fällt, ihr ganzes Ausmaß zu begreifen. Vielleicht kann ich<br />
ihnen das Konzept mit einer Geschichte näher bringen: Vor einigen<br />
Jahren, während ich mich auf einem Raumschiff auf dem Weg nach<br />
Vulkan befand, saß ich neben einem Menschen, der... nicht glücklich<br />
war. Gelinde gesagt. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ihm<br />
um einen Wissenschaftler, der in einer zweijährigen Doppelblind-<br />
Studie über die Auswirkungen von Sensorkaskaden auf Trill-<br />
Symbionten engagiert war, und wie es aussah, drohte die Studie kurz<br />
vor ihrem Ende abgewürgt zu werden. Eine Doppelblind-Studie<br />
bedeutet, dass vier voneinander getrennte Untersuchungsteams<br />
existieren, die an derselben Studie arbeiten, aber keinerlei Kontakt<br />
zueinander haben. <strong>Sie</strong> befinden sich in unterschiedlichen<br />
Laboratorien, an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Teilen<br />
des Föderationsraums und sind alle für einen bestimmten Teilbereich<br />
der Studie verantwortlich. Ein beträchtlicher Aufwand, wie sie sich<br />
sicher vorstellen können, schließlich benötigt man für so ein<br />
Unterfangen viele verschiedene Forschungseinrichtungen. Ein<br />
Aufwand, der unternommen wird, damit sich die verschiedenen<br />
Teams niemals treffen. Der Wissenschaftler, dem ich begegnete, war<br />
unglücklich, weil er zwei Wochen, bevor seine Studie beendet<br />
gewesen wäre, in einem Warteraum auf dem Raumhafen gesessen<br />
hatte, eine Konversation mit einem anderen Mann begann, und zu<br />
ihrem beider Entsetzen mussten sie feststellen, dass sie an derselben<br />
Studie arbeiteten. Der eine auf Vulkan, der andere auf Alpha-Centauri.<br />
Dass sie sich trafen, war ein unwahrscheinlicher Zufall. Es gab nicht<br />
den geringsten Grund, warum sich beide zu einem derart späten<br />
Zeitpunkt noch hätten beeinflussen sollen... oder können. Aber nichts<br />
desto trotz, erfordert das Protokoll, dass sich Mitglieder<br />
unterschiedlicher Doppelblind-Teams niemals treffen. Weshalb die<br />
Studie, so kurz vor dem Abschluss, vom Wissenschaftsrat der<br />
Föderation komplett widerrufen wurde. Nur wegen eines flüchtigen<br />
Treffens auf einem Raumhafen auf der Erde.“<br />
Tuvok dachte kurz über das gesagte nach und fuhr dann fort. Die<br />
Kadetten sahen ihn an, wie Autos. „Wenn ich diese Geschichte den
Kadetten des ersten Jahres erzähle, werde ich für gewöhnlich genau so<br />
angeschaut, wie sie es gerade tun. Mit Fassungslosigkeit. Und voller<br />
Unverständnis. Die meisten Kadetten finden die Entscheidung des<br />
Wissenschaftsrates absurd. Und viel zu streng. Geradezu<br />
unmenschlich. <strong>Sie</strong> denken, es sei nicht nötig, solch einen Aufwand für<br />
eine einfache Studie zu betreiben, denn sie kommen aus einer Welt in<br />
der die CBS-Terranews offenbar zu jedem Zeitpunkt, zu jeder<br />
Gelegenheit, und zu jedem Thema genau die richtigen Informationen<br />
zur Verfügung hat, und sie kommen von Bildungseinrichtungen auf<br />
diesen Campus, denen es völlig genügte, wenn sie zwei Wochen lang<br />
an einem schlecht recherchierten Aufsatz arbeiteten. Und sie haben<br />
vergessen – oder nie gelernt -, was echte, zuverlässige Informationen<br />
sind, und welche Mühen man in Kauf nehmen muss, um sie zu<br />
erhalten. Es ist so viel schwerer, als einfach zu spekulieren. Und in<br />
diesem Punkt stimme ich zu. Aber das hier sind nicht die CBS-<br />
Terranews. Das hier ist keine gewöhnliche Bildungseinrichtung. Das<br />
ist nicht die Junior-High, auf der sie möglicherweise vor ein paar<br />
Wochen noch waren. Das hier ist die Sternenflotten-Akademie. Hier<br />
werden sie arbeiten müssen. Hier werden sie Fakten aufbringen<br />
müssen. Hier... wird nicht spekuliert.“<br />
Als hätte es sich exakt nach Tuvok gerichtet, und nicht umgekehrt,<br />
läutete ein akustisches Signal das Ende der Vorlesung ein. Die<br />
Kadetten packten ihre Sachen und begaben sich zum Ausgang. Tuvok<br />
rief: „Heute Nachmittag: Skeptizismus – Grundlagen einer Theorie.<br />
Wir beginnen mit den Niederschriften Roger Korbys aus dem Jahre<br />
2258. Die Teilnahme ist freiwillig, wer anschließend sein Wissen<br />
testen lassen will, wird benotet. Für Fragen stehe ich ihnen jederzeit<br />
zur Verfügung.“<br />
Damit war Tuvoks Arbeit getan und er deaktivierte den<br />
holographischen Wandschirm.<br />
Während die meisten Kadetten gleich hinausdrängten, blieben<br />
Sha’Nyn und Yoko noch einen Moment sitzen. Sha’Nyn hatte sich<br />
während der Vorlesung Notizen gemacht, die sie nun schnell mit ein<br />
paar Fragen ergänzte, die sie später nachzuschlagen gedachte. Tuvoks<br />
Vorlesungen waren immer interessant, und er gehörte zu der Art
Lehrer, die von den Kadetten erwarteten, sich auch über die Stunde<br />
hinaus Gedanken zu machen. Da er ebenfalls auf seinem Platz blieb,<br />
ging Sha’Nyn automatisch davon aus, dass Yoko dasselbe tat. Umso<br />
erstaunter war sie, als sie nach Abschluss ihrer Vermerke entdeckte,<br />
dass er mit etwas ganz anderem beschäftigt war.<br />
Nämlich mit Glotzen.<br />
Direkt vor ihm, lediglich durch zwei Sitzreihen getrennt, saß eine<br />
junge Vulkanierin, die Sha’Nyn bisher gar nicht bemerkt hatte. <strong>Sie</strong> sah<br />
wirklich... faszinierend aus. Abgesehen von der exotischen Wirkung,<br />
die ihre spitzen Ohren und Brauen erzielten, hatte sie ihr langes,<br />
schwarzes Haar, das von einer runden Brosche gehalten wurde,<br />
hochgesteckt. Yoko war zweifellos von ihr fasziniert und betrachtete<br />
die Kadettin ziemlich geradeheraus – vermutlich, weil er selbst nicht<br />
merkte, wie auffällig er war.<br />
Ihr Name lautete T’Prell, und sie war Mitglied der Beta-Staffel.<br />
Sha’Nyn hatte nur einmal kurz mit ihr zu tun gehabt, als sie von Tala<br />
der Beta-Staffel vorgestellt worden war. Die cardassianische<br />
Teamleiterin Khaleen, hatte ihre Leute einzeln präsentiert. „Das ist<br />
Korga, unser Navigationsexperte“, hatte sie gesagt „und das ist<br />
T’Prell, Wissenschaftlerin.“<br />
T’Prell war vorgetreten und hatte gesagt: „Ich kann Karten spielen.“<br />
Und dabei hatte sie ziemlich zufrieden mit sich gewirkt, während ihr<br />
ein anderer Kadett hinter ihrem Rücken den Vogel gezeigt hatte.<br />
„Ihr müsst ihr verzeihen“, hatte die Cardassianerin schnell<br />
hinzugefügt „T’Prell ist etwas neben der Spur seit sie vor zwei<br />
Wochen in O’Briens Kurs von einer Energieladung getroffen wurde.“<br />
Sha’Nyn und Tala hatten sich nur angesehen und gegrinst. T’Prell<br />
war ihr vom ersten Moment an sympathisch gewesen. <strong>Sie</strong> war der<br />
perfekte Deckel zu Yokos Topf. Auch... wenn Sha’Nyn sich<br />
insgeheim fragte, wo ihr Deckel blieb, wenn selbst der ungewöhnliche<br />
Yoko jemanden fand, der mit ihm auf einer Wellenlänge war.<br />
Aber den Gedanken schob sie schnell wieder beiseite. Die<br />
Schlussfolgerungen, die man daraus zu ziehen vermochte, waren zu<br />
deprimierend. Zumindest begriff Sha’Nyn nun, dass sich Yoko<br />
möglicherweise nicht zufällig, sondern extra auf diesen Platz gesetzt<br />
hatte. Vermutlich, um T’Prell näher zu sein...<br />
... auch, wenn diese Annahme einer Spekulation erschreckend nahe<br />
kam. Mehr traute er sich allerdings nicht, wie es den Anschein hatte.
War Yoko etwa schüchtern? Ziemlich ungewöhnlich für einen<br />
Vulkanier. Andererseits... war Yoko ja auch kein gewöhnlicher<br />
Vulkanier.<br />
Sha’Nyn konnte nicht anders, als breit zu grinsen.<br />
Es war einfach nur süß.<br />
Und sie passten wirklich gut zueinander.<br />
Aus Gründen, die Sha’Nyn nicht einmal erahnen konnte, war<br />
T’Prell gerade damit beschäftigt, intensiv den Sitz vor ihr zu<br />
betrachten und mit einem Finger ihre Nasenspitze zu berühren. Dann<br />
führte sie den Finger langsam zum Sitz, bis sie ihn berührte... und<br />
führte ihn wieder zur Nase zurück. Während Sha’Nyn sie beobachtete,<br />
machte T’Prell dies zweimal, ohne anscheinend zu bemerken, wie<br />
seltsam sie sich benahm, oder wie leer das Auditorium wurde.<br />
Sha’Nyn beugte sich zu Yoko herüber, um einen entsprechenden<br />
Kommentar von sich zu geben, als sie bemerkte, dass er dasselbe tat<br />
wie T’Prell. Finger, Nase, Stuhl, Nase.<br />
Sha’Nyn seufzte. „Ihr seid wirklich füreinander geschaffen.“ Dann<br />
stand sie auf, und stieß Yoko an. „Kommst du?“<br />
„Huh? Oh. Selbstverständlich.“<br />
„Ich will nämlich nicht auch noch zu Chapmans Wochenendkurs<br />
verspätet sein.“<br />
„Das wäre in der Tat nicht ratsam.“ Er folgte ihr auf den nun recht<br />
belebten Korridor hinaus, warf dabei einen Blick auf seinen<br />
Datenblock und fragte: „Warum warst du heute so spät?“<br />
„Hab schlecht geträumt.“<br />
„Von Galak?“<br />
Sha’Nyn blieb so unvermittelt stehen, dass Yoko beinahe in sie<br />
hineingerannt wäre. <strong>Sie</strong> drehte sich zu ihm um und maß den Vulkanier<br />
mit einem forschenden Blick. „Woher... Du hast ins Blaue getippt,<br />
oder? Du spekulierst.“<br />
Yoko hielt ihr seinen Datenblock vor die Nase. Das elektronische<br />
Gerät war ständig mit dem Akademienetzwerk verbunden - eine Art<br />
Schülerzeitung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Kadetten<br />
über Neuigkeiten und Veränderungen auf dem Campus auf dem<br />
Laufenden zu halten. Meist war das Netzwerk sehr nützlich – man<br />
erfuhr auf effiziente Weise, wann, wo, welche Kurse stattfanden,<br />
welche Dozenten Sprechstunde hatten, oder welche Veranstaltungen
geplant waren. Allerdings gab es auch einen Bereich, der sich...<br />
unwichtigeren Dingen hingab.<br />
Nämlich Klatsch und Tratsch.<br />
Und natürlich tauchte Sha’Nyns Name in einer kleinen Meldung<br />
von einer gewissen Aqa Ishtos auf – und zwar in Verbindung mit<br />
Galak.<br />
Yoko sagte: „Fakten, Sha’Nyn. Harte Fakten.“<br />
In dem Moment setzte hinter ihnen der vertraute Singsang ein.<br />
„Shaaa’Nyn liebt Gaaaalaaak, Shaaaa’Nyn liebt Gaaaalaaak...“<br />
Es waren ein paar Jungs, die am Fuß der Treppe zur zweiten Etage<br />
standen und angefangen hatten zu tanzen, sobald sie Sha’Nyn sahen.<br />
<strong>Sie</strong> amüsierten sich köstlich.<br />
Wenn Blicke töten könnten, wäre Sha’Nyn in diesem Moment zur<br />
Massenvernichtungswaffe erklärt worden. „Ich mache einen<br />
Bettvorleger aus Wotan!“, entschied sie.<br />
Taktisches Training<br />
Die Ausbildungsstelle des Sternenflotten Taktik-Teams – einer Art<br />
Spezialeinheit, in der Kadetten für besonders selbstmörderische<br />
Einsätze ausgebildet wurden, die niemandem sonst zuzutrauen waren -<br />
, hatte ihre Räumlichkeiten in einem kleinen Gebäude neben dem<br />
Campus der Sternenflotten-Akademie. Auf den ersten Blick schien<br />
das Ausbildungszentrum des taktischen Trainings zur Akademie zu<br />
gehören, denn über dem Eingang prangte sogar das Logo „Ex Astris,<br />
Scientia – von den Sternen wissen.“, aber in Wahrheit war es eine<br />
unabhängige Einrichtung. Im Zentrum des Gebäudes befand sich ein<br />
kleiner Konferenzraum mit einem Rednerpult und zwei Reihen mit je<br />
fünf Stühlen gegenüber dem Monitor ganz vorn, der die halbe Wand<br />
einnahm.<br />
Um zehn Uhr des Samstag Morgen stand ein Mann am Rednerpult,<br />
den die Kadetten nur als „Der Admiral“ kannten. Seine wahre<br />
Identität blieb den Studenten verborgen und die meisten wussten nicht<br />
einmal, wie er überhaupt aussah – selbst wenn er sie von Angesicht zu<br />
Angesicht über Einsätze informierte. Das schien zwar zunächst kaum
möglich, zumal der Admiral ein hochgewachsener Mann von<br />
beeindruckender Gestalt war, der man nicht leicht übersah und dem<br />
man instinktiv Respekt zollte. Aber als erfahrener Veteran, der schon<br />
viel zu lange in diesem Metier tätig war und eine ganze Menge Dinge<br />
gesehen hatte, hatte er irgendwann die unheimliche Fähigkeit<br />
entwickelt mit seiner Umgebung zu verschmelzen, unauffällig und<br />
fast unsichtbar zu werden.<br />
So auch heute.<br />
Als Adrian Drake eingetreten war, hatte er zunächst geglaubt alleine<br />
zu sein. Doch dann hatte er jemanden aus den Augenwinkeln bemerkt<br />
und kaum glauben können, dass er ihn bisher übersehen hatte. Es war<br />
dem Admiral gelungen – obwohl der Raum vernünftig ausgeleuchtet<br />
war – ein dunkles Plätzchen zu finden. Er hatte die wenigen Schatten<br />
am Rednerpult perfekt genutzt, und sich darin eingehüllt wie in ein<br />
Tuch, als wäre er ein Teil davon.<br />
Drake war sich nicht einmal sicher, ob er den Admiral wegen seiner<br />
guten Augen erspäht hatte – oder weil der Mann ihm erlaubt hatte, ihn<br />
zu sehen. Auch heute blieb sein Gesicht vor Drake verborgen. Einzig<br />
das dunkelblonde Haar schimmerte im Glanz eines Oberlichts und<br />
wenn er den Kopf bewegte, und man ganz genau hinsah, war man in<br />
der Lage die Trillflecken zu entdecken, die sich auf seinen Schläfen<br />
abzeichneten. Obwohl man ihn nur den Admiral nannte, glitzerten an<br />
seinem Kragen die Sterne eines Flottenadmirals mit Auszeichnung.<br />
Höher geht’s nicht mehr, dachte Drake. Dieser Mann hatte bereits<br />
alles gesehen und alles erreicht was man in der Sternenflotte erreichen<br />
konnte.<br />
Das ungewöhnlichste an seinem Erscheinungsbild, war zweifellos<br />
die beunruhigende Tatsache, dass er schwarze Lederhandschuhe trug.<br />
Niemand wusste genau warum, aber wie es bei solchen Dingen immer<br />
der Fall war, machten allerhand Gerüchte und Theorien die Runde.<br />
Manche behaupteten der Admiral hätte seine beiden Hände bei einem<br />
Unfall verloren und würde nun mechanische Komponenten als Ersatz<br />
tragen, mit denen er jemanden problemlos erwürgen konnte. In Zeiten<br />
der Organsynthese fand Drake das ziemlich unwahrscheinlich. Wieder<br />
andere munkelten, der Admiral würde zuweilen Attentate ausführen<br />
und sei stets bedacht keine Spuren zu hinterlassen. Was zu seinem<br />
restlichen Auftreten passen würde. Und wieder andere spekulierten,
dass er einfach nur einen ziemlich scheußlichen Modegeschmack<br />
besaß.<br />
Nun stand er einfach da und fixierte Drake. Nicht ein Muskel<br />
zuckte. Man hätte sich fragen können, ob er überhaupt lebte, oder<br />
vielleicht nur eine kunstvoll gearbeitete Statue war. Er lieferte<br />
wirklich eine fantastische Show und wie Drake vermutete, steckte<br />
auch wirklich nicht mehr dahinter. Irgendwie sagte ihm sein Instinkt,<br />
dass der Admiral auch nur ein ganz normaler Mann mit Sorgen und<br />
Nöten war, der den jungen Leuten hier das Gefühl geben wollte, sie<br />
seien besonderer, als es eigentlich der Fall war.<br />
Aber wer sich beim taktischen Training – allen voran bei der<br />
Unterabteilung der Perimeterverteidigung meldete – und genau da<br />
wollte Drake hin -, der war für gewöhnlich nicht besonders, sondern<br />
einfach nur lebensmüde. Es handelte sich nicht umsonst um eine der<br />
lebensgefährlichsten Abteilungen innerhalb der Sternenflotte,<br />
gefährlicher noch als der Geheimdienst. Meist bestand die Aufgabe<br />
dieser Leute darin, in kleinen Perimeterschiffen entlang der<br />
Föderations-Grenzen als erste – und oft einzige Defensivlinie zu<br />
patrouillieren und eben jene Grenzen bis zum letzten zu verteidigen.<br />
Während der Rest der Sternenflotte innerhalb dieser Grenzen für<br />
operierte, und meist wusste, womit sie sich konfrontiert sahen, ehe sie<br />
zu einem Einsatz aufbrachen, stellten sich die Perimeterverteidiger<br />
dem wirklich Unbekannten. Weiter draußen im Nirgendwo konnte<br />
man gar nicht sein.<br />
Wenn die Leute von der Borg-Invasion aus dem Jahr 2367<br />
sprachen, fiel ihnen als erstes die Schlacht von Wolf 359 ein, bei der<br />
ein Großteil der Flotte zerstört worden war. Aber nur wenige<br />
erinnerten sich an die Perimeterschiffe, die alles versucht hatten, um<br />
die Grenzkolonie New Providence vor der kybernetischen Gefahr zu<br />
bewahren. Selbst die Sternenflotte hatte erst sechs Monate später von<br />
ihrem Opfer erfahren, als ihre Signalbojen weit draußen im All<br />
entdeckt worden waren – und das auch nur durch Zufall.<br />
Es war ein gefährlicher Job, der gefährlichste in der heutigen Zeit<br />
des Friedens, und weniger als fünf Prozent erreichten überhaupt das<br />
Rentenalter. Wer zur Perimeterverteidigung ging, der starb auch bei<br />
der Perimeterverteidigung... irgendwo da draußen, ganz allein in<br />
einem kleinen Schiff und möglicherweise ohne dass jemand je
erfahren würde, was einen erwischt und wie gut oder schlecht man<br />
sich gewehrt hatte. Man verschwand einfach.<br />
Es war eine undankbare Angelegenheit, aber die Leute kannten das<br />
Risiko. <strong>Sie</strong> wussten, wofür sie unterschrieben und sie wussten von der<br />
Gefahr, innerhalb eines Lidschlages in einen Kampf verwickelt zu<br />
werden, mit wenigen bis gar keinen Überlebenschancen. Diese Leute<br />
hatten nur eine Aufgabe: Die Föderationsgrenzen verteidigen. Punkt,<br />
aus.<br />
Man sollte meinen, niemand würde sich freiwillig für so etwas<br />
melden. Aber in einer Welt, in der der Alpha-Quadrant zu jenem<br />
friedlichen Paradies geworden war, das man sich immer erträumt<br />
hatte, gab es nicht gerade wenige, die das Abenteuer und Risiko der<br />
alten Tage vermissten und neue Herausforderungen suchten, um sich<br />
beweisen zu können. Zumeist waren das alleinstehende Leute ohne<br />
Familie, die ohnehin nicht viel zu verlieren hatten.<br />
So auch Adrian Drake.<br />
Er war sechzehn Jahre alt, mittelgroß, mit unbändigem schwarzen<br />
Haar und einem athletischem Körper (von dem nur Teile sechzehn<br />
Jahre alt waren). Das hier war sein erstes Ausbildungsjahr und er<br />
gehörte schon jetzt zu den Top-Studenten seiner Klasse. Er hielt auf<br />
die zweite Sitzreihe zu und nahm platz.<br />
Eine Efrosianerin trat gleich nach ihm ein. <strong>Sie</strong> war hochgewachsen<br />
und leichtfüßig. Aus ihrem dunkelhäutigen Kopf wuchs kontrastreich<br />
eine lange Mähne aus hell-weißem Haar, die im matten Licht des<br />
Raumes zu glühen schien, was auch auf die kobalt-blauen, wachsamen<br />
Augen in ihrem Gesicht zutraf. Auf exotische Art und Weise war sie<br />
äußerst attraktiv. Ihr Name war Ey’leen Seeley und sie war nur ein<br />
Jahr älter als Drake. Nun setzte sie sich schräg hinter ihm.<br />
Der Admiral nickte ihnen zu und sagte zunächst nichts.<br />
Dann wurde der Raum abgedunkelt, und gab dem Admiral somit<br />
mehr Bewegungsfreiheit in seinen Schatten. Es geschah langsam,<br />
damit sich die Augen daran gewöhnten. Einige Wandsegmente glitten<br />
beiseite und zusätzliche Bildschirme kamen zum Vorschein. Andere<br />
Monitore schoben sich geräuschlos aus dem Boden. Schließlich<br />
schloss sich die Tür und wurde mit einem aufblitzenden Kraftfeld<br />
verriegelt. Erst dann ergriff der Admiral das Wort.<br />
„Guten Morgen, Kadett Drake. Und guten Morgen, Kadett Seeley.<br />
Wir haben sie beide sehr genau beobachtet und sind äußerst zufrieden
mit ihren bisherigen Leistungen und den Trainingsergebnissen. Daher<br />
sind wir der Meinung, dass es für sie beide an der Zeit für einen ersten<br />
echten Feldeinsatz ist.“<br />
Die beiden Kadetten nickten. Seeley lächelte erwartungsvoll. Zu<br />
recht, dachte der Admiral. Das war es schließlich, wofür sie so hart<br />
trainierten.<br />
„Sehen sie es als Test, damit wir herausfinden können, ob es sich<br />
lohnt, sie beide auf die nächste Stufe der Ausbildung zu bringen.“ Er<br />
betätigte eine Taste am Schaltpult und als nächstes leuchteten die<br />
Monitore nacheinander auf. <strong>Sie</strong> zeigten das Bild eines älteren<br />
Vulkaniers. Name und Lebenslauf erschienen in kleiner Schrift.<br />
„Morgen Nachmittag will dieser Mann hier, ein umstrittener Redner<br />
namens Sidak, eine Rede auf dem Campus der Sternenflotten-<br />
Akademie halten, die einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfte -<br />
in der Sudak-Halle genauer gesagt. Presse, Demonstrationsteilnehmer,<br />
Zuschauer... das wird alles zugegen sein. Es gibt diverse Fraktionen,<br />
die aus politischen und persönlichen Gründen eben diese Rede um<br />
jeden Preis verhindern wollen und offensichtlich bereit sind zu<br />
drastischen Maßnahmen zu greifen.“<br />
Er betätigte eine andere Taste und das Bild wechselte erneut.<br />
Diesmal jedoch war es schwer festzustellen, worauf man blickte und<br />
es erschienen keine Zusatzinformationen auf der Anzeige. Drake<br />
glaubte eine entfernt humanoide Gestalt zu erkennen, mit einem<br />
großen merkwürdigen Kopf. Aber das Bild war sehr unscharf und<br />
verschwommen, es hätte alles mögliche sein können. Aber die Gestalt<br />
leuchtete. Seine Konturen leuchteten und der Rest war fast<br />
durchsichtig, wie ein schlechtes altertümliches Hologramm.<br />
Der Admiral fuhr fort: „Wir haben Grund zur Annahme, dass heute<br />
Morgen gegen drei Uhr Nachts ein Waffensystem, eine Art...<br />
künstlicher Attentäter in unsere Computersysteme geschleust wurde,<br />
der den Job übernehmen und Sidak morgen bei betreten des<br />
Rednerpultes im zweiten Stockwerk umbringen soll. Und sie beide<br />
wurden auserkoren um das verhindern.“<br />
Seeley lehnte sich vor. „Ein mörderisches Computerprogramm?“<br />
Jemand sagte: „Mehr eine künstliche Intelligenz.“ Ein junger<br />
hagerer Romulaner kam aus dem Nebenraum und gesellte sich zum<br />
Admiral, der ihn vorstellte und dann beiseite trat. „Crewman Marcius,<br />
unser Computerexperte.“
Marcius fügte verdrossen hinzu: „Ja, und Marcius könnte der<br />
jüngste unterrichtende Professor an der Wissenschaftsakademie sein,<br />
wenn Marcius nur seine vorlaute Klappe gehalten und nicht jedem die<br />
Wahrheit gesagt hätte, weshalb der beste Job den er kriegen konnte,<br />
der hier ist, wo die Aufstiegschancen irgendwo im Bereich zwischen<br />
Null und weniger als Null liegen.“<br />
Drake hob seine rechte Hand, um eine Frage zu signalisieren.<br />
Der Admiral rief ihn auf: „Ja, Kadett?“<br />
„Redet der Typ immer so viel?“<br />
Der Admiral brummte. „Sagen sie ihnen einfach, was wir wissen,<br />
Marcius.“<br />
„Also, das hier ist eine völlig neue Art von Waffensystem. Wir<br />
haben es mit einer künstlichen Intelligenz zu tun, einer autonom<br />
arbeitende Einheit, die im Grunde nur aus Energie und Licht besteht<br />
und sich nicht in den Computer einnistet, sondern ihn benutzt, um sich<br />
– sprichwörtlich - wie auf einer Datenautobahn durch das gesamte<br />
Areal zu bewegen. Das heißt, es kann auftauchen wo und wann es will<br />
– und ich meine auftauchen, da es in der Lage ist, sich auch außerhalb<br />
des Computers zu manifestieren, was die KI aber erst bei einer<br />
Entdeckung oder beim Erfüllen des Missionszieles tun wird. Die KI<br />
ist schnell, annähernd unzerstörbar und anpassungsfähig. Der perfekte<br />
Killer. Die Waffenhändler von Minos haben die Prototypen solche<br />
Dinger vor Jahrzehnten entwickelt und sich damit selbst vernichtet.<br />
Leider ist die Technologie auch anderen in die Hände gefallen und<br />
wurde von denen bis zur Perfektion weiterentwickelt. Wir hätten die<br />
Anwesenheit der KI nicht einmal bemerkt, wenn ein ziemlich<br />
aufmerksamer Briori namens Das Grau – einer der Sternenflotten-<br />
Kadetten – nicht bei einer Routinearbeit eine subtile Veränderung im<br />
Computersystem bemerkt und uns informiert hätte.“<br />
„Eine subtile Veränderung?“, fragte Seeley.<br />
„Wenn die KI durch die optischen Datennetzleitungen oder die<br />
Gelpacks rast, messen wir genau dort einen leichten Anstieg des<br />
Energieflusses. Aber wenn wir den bemerken... ist es längst<br />
weitergezogen und wir haben keine Möglichkeit zu sagen, wo es als<br />
nächstes auftauchen wird. Wir können es höchstens zurückverfolgen,<br />
aber da die KI praktisch zu jeder Zeit an jedem Ort sein kann... <strong>Sie</strong> ist<br />
zu schnell, um sie aufzuspüren. Selbst unsere besten Supercomputer<br />
verblassen im Vergleich zu ihrer Geschwindigkeit.“
Drake runzelte die Stirn. „Okay, gut, die KI ist ein bisschen<br />
hyperaktiv. Aber was genau soll das Ding jetzt so gefährlich machen,<br />
dass man uns braucht?“<br />
Marcius starrte ihn lange an, ohne etwas zu sagen. Stellen sie sich<br />
einfach vor, dass innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde eine<br />
schemenartige Gestalt hier im Raum erscheint, direkt vor ihnen, sie<br />
mit einer blitzartigen Energieentladung grillt und wieder<br />
verschwunden ist, ehe der Staub, der als einziges von ihnen übrig<br />
geblieben ist, anfängt zu Boden zu rieseln. Und das einzige, was der<br />
Täter zurücklässt, ist eine kaum messbare Energiespitze im<br />
Computernetzwerk.“<br />
„Autsch.“, machte Seeley.<br />
„Genau, autsch. Es würde aussehen wie ein Unfall.“<br />
„Solche Dinger sollten verboten werden.“<br />
„Sind sie.“, warf der Admiral ein. „Aber auf dem Schwarzmarkt<br />
wird noch immer mit solchen Waffensystemen gehandelt und<br />
irgendwie hat es jemand geschafft, eines davon unbemerkt hierher, ins<br />
Herz der Föderation zu bringen.“<br />
Seeley fragte: „Wer könnte es eingeschleust haben?“<br />
„Jedermann. Die Ermittlungen wurden vom Geheimdienst<br />
übernommen und laufen noch.“<br />
Drake rutschte auf seinem Platz herum. Er hatte Probleme sich so<br />
ein Waffensystem vorzustellen. Selbst er als Laie erkannte keine<br />
nachvollziehbare wissenschaftliche Basis für so ein... Ding. „Eine<br />
KI“, fasste er zusammen „die sich durch den Akademie-Computer<br />
bewegt und Blitze erzeugen kann?“<br />
„Energieentladungen.“, korrigierte Marcius.<br />
„Aber wie ist das nur möglich?“<br />
Marcius zögerte einen Moment. Dann begann er seine detaillierte<br />
Erklärung mit „Folgendermaßen.“<br />
Und >Folgendermaßen< war das letzte Wort, das Drake verstand. In<br />
den nächsten fünf Minuten spuckte Marcius so viele Fremdwörter und<br />
Fachbegriffe mit einer an Wahnsinn grenzenden Leichtigkeit aus, dass<br />
Drake glaubte, der Romulaner hätte spontan seine eigene<br />
Fremdsprache entwickelt. Er fragte sich einen Moment, ob es möglich<br />
war, dass sein Universal-Übersetzer den Geist aufgegeben hatte, da er<br />
kein Wort verstand - Was er sich natürlich nicht anmerken lies und<br />
stattdessen ein nachdenkliches, wissendes Gesicht zog. Er schielte nur
einmal kurz zu Seeley herüber, um festzustellen, ob er der einzige<br />
war, der nicht mitkam. Die Efrosianerin hatte ihre buschigen, weißen<br />
Brauen tief heruntergezogen, nickte dann und wann und gab an<br />
einigen Stellen von Marcius’ Ausführung ein gemurmeltes „Achso“<br />
von sich, oder ein „Ja, das ergibt Sinn“ oder „Ziemlich einleuchtend.“<br />
In Kurz: <strong>Sie</strong> verstand auch kein Wort.<br />
Schließlich beendete Marcius seinen Vortrag, stellte fest, dass<br />
Drake und Seeley ihn wie Autos anglotzten, und versuchte nicht allzu<br />
laut zu seufzten.<br />
Drake war der erste, der wieder Fragen stellte. „Und wie kann man<br />
es aufhalten?“<br />
„Ich habe eine Theorie.“<br />
„Ist es eine Theorie mit langen Worten?“<br />
Marcius sah ihn verdrossen an und schnaubte nur. „Wir haben<br />
bereits auf die herkömmliche Art und Weise versucht, sind ihm mit<br />
Sicherheitsprogrammen, Firewalls und etlichen anderen Dingen auf<br />
die Pelle gerückt. Ohne Erfolg. Das Ding ist schlicht zu schnell und<br />
anpassungsfähig. Fast, als hätte es ein Bewusstsein – was es nicht hat.<br />
Was mich aber auch nicht wundern würde, immerhin ist es<br />
anpassungs- und lernfähig. Nein, ich glaube die einzige Art es<br />
aufzuhalten besteht darin, einen Weg zu finden, es aus dem Computer<br />
rauszulocken.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und alles was uns dann<br />
noch zu tun bleibt, ist Drake zu rufen, um es umzulegen.“<br />
„Können sie das noch mal sagen?“, fragte Drake. „Ich mag den<br />
Klang dieser Worte...“<br />
Marcius fuhr fort: „Leider haben wir keine Ahnung, wie wir es aus<br />
dem Computer locken sollen.“<br />
Alle sahen ihn überrascht an.<br />
„He“, verteidigte sich der Romulaner. „Ich weiß auch nicht alles.“<br />
„Den beiden wird schon etwas einfallen.“, sagte der Admiral.<br />
„Nicht wahr, Kadetten?“<br />
Seeley und Drake standen auf und stramm. „Ja, Sir!“<br />
„Ja, Sir!“<br />
Drake wandte sich an Marcius: „Wenn es erst mal aus dem<br />
Computer raus ist, wie bringen wir es dann am besten um?“<br />
„Man kann es nicht umbringen, weil es gar nicht lebt.“<br />
„<strong>Sie</strong> wissen, was ich meine. Können wir es mit den Phasern<br />
erschießen?“
„Es besteht bereits aus Licht und Energie.“<br />
„Erstechen?“<br />
„Keine feste Form, keine inneren Organe zum verletzen.“<br />
„Ah, dann zünden wir es an.“<br />
„Nicht brennbar.“<br />
„Ertränken?“<br />
Er machte nur Witze, wie er immer witze machte, wenn er sich mit<br />
einem ernsten Thema konfrontiert war. Dennoch spielte auch Seeley<br />
ihre Rolle und sah ihn fassungslos an. „Wie viele Arten jemanden zu<br />
verletzen kennst du, Drake?“<br />
Er grinste. Es war ihre Art mit Stress umzugehen.<br />
Der Admiral räusperte sich. „Wir sind dabei einige Phaser zu<br />
modifizieren, damit die Strahlen Wirkung zeigen und die KI<br />
eliminieren.“<br />
„Achtung.“, warnte Marcius. „Das Ding besteht fast nur aus<br />
Energie. Wenn es explodiert, wird es einen ordentlichen Knall geben.“<br />
„Das hört man gerne.“, grinste Drake.<br />
„Sehen sie also zu, dass sie fertig sind, ehe Sidak das Gebäude<br />
betritt.“<br />
„Moment mal.“ Seeley runzelte die Stirn. „Wenn das so gefährlich<br />
ist, warum blasen wir die Rede dann nicht ab? Leute könnten verletzt<br />
werden.“<br />
„Das wäre ein Bonus für Drake.“, wusste Marcius. Drake<br />
widersprach nicht.<br />
„Mitglieder des taktischen Trainings“, erklärte der Admiral mit<br />
eindringlicher Stimme „existieren vor allem aus einem Grund: damit<br />
alle anderen ihr Leben ohne Unterbrechung und ohne<br />
Unannehmlichkeiten fortführen können. Und zwar ohne zu erfahren,<br />
dass sie sich je in Bedrängnis befunden haben. Wir arbeiten leise und<br />
im Hintergrund. Man sieht uns nur aus den Augenwinkeln, man hört<br />
uns nur im Rauschen der Nacht, man erfährt höchstens in Gerüchten,<br />
dass wir da waren und niemanden an uns vorbeigelassen haben. Wir<br />
sorgen für einen ununterbrochenen Weiterfluss des öffentlichen<br />
Lebens. Verstanden?“<br />
Die Kadetten nickten.<br />
„Viel Glück.“<br />
Der Admiral wandte sich ab und verließ den Raum im Schatten.<br />
Marcius folgte ihm.
„Das bedeutet“, übersetzte Drake für sich selbst „KI aufspüren,<br />
eliminieren und humpty-dumpty pünktlich zurück sein, um Sonntag<br />
Abend das Spiel der Pike City-Pioneers sehen zu können.“ Er<br />
klatschte in die Hände. „Na dann los.“<br />
Sidak<br />
Tala wünschte, sie könnte wie üblich lächeln, als sie auf dem Dach<br />
der Baracken am Geländer lehnte und auf den Campus hinabblickte.<br />
Die Morgensonne hatte den für San Francisco typischen Nebel noch<br />
nicht weggebrannt, und die Stadt war in eine sanft-weiße Decke<br />
gehüllt, die sie verschlafener wirken ließ, als es tatsächlich der Fall<br />
war. Nur hin und wieder konnte man die Positionslichter kleiner<br />
Shuttles sehen, wie durch einen dichten Schleier. <strong>Sie</strong> verloren aber<br />
beinahe sofort wieder an Kontur, verschwanden im wattigen Weiß und<br />
ließen höchstens erahnen, welche Aktivitäten zu dieser Zeit bereits<br />
herrschten.<br />
Selbst die mächtige Golden Gate-Bridge, das Wahrzeichen der<br />
Stadt, tat sich schwer damit, sich aus der wabernden Umklammerung<br />
des Nebels zu befreien, den ein salziger und kühler Wind vom Meer<br />
heranwehte.<br />
Die einzige Ausnahme stellte die Akademie dar, die aus Gründen,<br />
die wohl nur die Götter kannten, gegenwärtig in Sonnelicht gebadet<br />
war. Eine Insel der Klarheit im trüben Nebel des Morgens. Es war<br />
eine fantastische Aussicht, die sich Tala darbot, aber auch das<br />
vermochte nicht ihre Stimmung zu heben.<br />
Alles, woran sie denken konnte, war Sidak, der sich auf dem Weg<br />
hierher befand. <strong>Sie</strong> hatte ihn bisher nie in Natura gesehen, aber das<br />
war auch gar nicht nötig. Sein Ruf eilte ihm voraus, und mit seinen<br />
Texten und Reden war Tala sehr wohl vertraut. Er war selbst für<br />
vulkanische Maßstäbe überraschend Intelligent und besonnen,<br />
obgleich ihm die stoische Kälte fehlte, die Mitglieder seiner Spezies<br />
üblicherweise auszeichneten. Tatsächlich sagte man ihm eine gewisse<br />
Freundlichkeit und Wärme nach – selbst seine Gegner sprachen oft in<br />
hohen Tönen von seinem Betragen – etwas, dass Tala im Angesicht<br />
der Propaganda, die er verbreitete nur schwer nachvollziehen konnte.
Aber Sidak war nie eine körperliche Bedrohung gewesen, war nie<br />
ausfallend geworden, oder hatte jemanden angegriffen. Er hatte eine<br />
reine Weste. Nicht die Art reiner Weste, die Gangsterbosse sich<br />
erkauften. Nein, er war wirklich völlig harmlos.<br />
Mit der Ausnahme, dass seine Worte pures Gift waren! Seine<br />
Predigen gegen das andorianische Volk waren im ganzen Quadranten<br />
bekannt und reichten weit in seine Jugend zurück – Aufzeichnungen<br />
zufolge hatte sich Sidak bereits vor mehr als achtzig Jahren für einen<br />
Ausschluss der Andorianer aus der Föderation ausgesprochen.<br />
Manche sagten ihm nach, die Geisteshaltung der Syrraniten zu<br />
besitzen. Vielleicht war er ja sogar ein Mietglied dieser einst<br />
xenophoben und ausvulkanierfeindlichen Gruppierung. Beweisen<br />
konnte man es ihm nie – und selbst wenn, wäre es nichts illegales<br />
gewesen.<br />
Rechtlich gesehen war er wie ein Stück Seife, dass man einfach<br />
nicht zu fassen bekam – was bei vielen seiner Gegner zu Frustration<br />
und schließlich zu Gewalt geführt hatte. Er hatte ständig<br />
Morddrohungen bekommen und mehr als einen Anschlag unbeschadet<br />
er- und überlebt. Der letzte war vor zwanzig Jahren erfolgt, als er die<br />
Dreistigkeit besessen hatte, in der Schuler einer andorianischen<br />
Kolonie aufzutreten. Die ganze Sache stand unter Verschluss, aber<br />
wenn man den Gerüchten glauben schenken durfte, hatte jemand eine<br />
Bombe in sein Shuttle geschmuggelt. <strong>Sie</strong> war zwei Minuten explodiert<br />
nachdem er gelandet und ausgestiegen war.<br />
Nach diesem Vorfall hatte er sich ziemlich isoliert, und da er<br />
aufgrund seiner kontroversen Theorien nicht der angesehenste Mann<br />
war, war niemand besonders interessiert daran gewesen, ihn<br />
aufzuspüren. Aber jetzt hatten sich die Dinge verändert. Die<br />
Fertigstellung seines neuen Buches, und nicht zuletzt die angespannte<br />
politische Situation auf Andoria ließen ihn wieder in die<br />
Öffentlichkeit treten.<br />
Daher führte er gegenwärtig eine neue Kampagne durch, die ihn<br />
wieder Quer durch den Föderationsraum brachte. Er suchte<br />
Kindergärten, Grundschulen, Universitäten, und einfach jede<br />
Bildungseinrichtung auf, die dumm genug war, seine Reden zu<br />
erlauben. Er setzte genau da an, wo es weh tat: Bei denen, die sich am<br />
ehesten beeinflussen ließen, eben weil sie sich nicht wehren konnten –<br />
und gar nicht wussten, dass sie es hätten tun sollten.
Und nun kam er hierher, auf die Sternenflotten-Akademie. Tala<br />
konnte noch immer nicht glauben, dass Admiral Janeway, die<br />
Akademieleiterin, ihn nicht von vornherein abgewiesen hatte. War sie<br />
so naiv, oder einfach nur dumm? Oder war sie gar rassistisch? Tala<br />
konnte es nicht verstehen. <strong>Sie</strong> wollte es nicht verstehen. Seine<br />
Anwesenheit war schlicht inakzeptabel. Für Sidak stellte es zweifellos<br />
einen unfassbar großen <strong>Sie</strong>g dar, dass seiner Bitte, auf dem Campus<br />
eine Rede zu halten, entsprochen worden war. Der Höhepunkt seiner<br />
Karriere. Er würde ihn ausgerechnet hier feiern. Und das ärgerte Tala.<br />
Das ärgerte sie so sehr, dass der bloße Gedanke an den Vulkanier<br />
ihren Magen zuschnürte. <strong>Sie</strong> hätte platzen können vor Wut. Aber sie<br />
war nicht die einzige, die Sidak Anwesenheit bewegte.<br />
Ihre drei Begleiter waren Durkin, der aufbrausende Tellarit und<br />
Mitglied ihrer Staffel, Khaleen, eine befreundete Staffelführerin, mit<br />
der sie seit kurzem das Bett teilte, und Therynn ein andorianisches<br />
Mitglied von Khaleens Staffel, die ebenfalls das ein oder andere Mal<br />
bei Tala übernachtet hatte...<br />
... auch wenn keiner von ihnen bei diesen Gelegenheiten zum<br />
Schlafen gekommen war.<br />
Therynn hatte bereits Erfahrungen mit Sidak Texten gesammelt. Als<br />
Folge einer seiner Reden, war es vor ein paar Jahren auf Andor in der<br />
Hafenstadt zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Therynn hatte zu<br />
den Verletzten gehört, obwohl sie zu jenem Zeitpunkt nicht einmal<br />
gewusst hatte, was diese Ausschreitungen auslöste. <strong>Sie</strong> hatte sich<br />
einfach zur falschen Zeit am falschen Ort befunden und aus nächster<br />
Nähe gespürt, welche Auswirkungen simple Worte eines rassistischen<br />
Vulkaniers auslösen konnten. Aber selbst sie hatte Sidak nie<br />
persönlich gesehen. Das bedeutete natürlich, dass sie ein ganz<br />
besonderes Interesse an diesem Scheusal besaß. Während sie auf das<br />
Dach hinaufgegangen waren, hatte Tala überlegt, ob es eine gute Idee<br />
gewesen wäre, auch den Rest ihrer Staffel zu versammeln. Schließlich<br />
war sie jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass es<br />
höchstwahrscheinlich besser sei, sie ausschlafen zu lassen. Tala<br />
forderte sie unter der Woche schon genug, sodass sie es zweifellos<br />
genossen, eine Weile Ruhe vor ihrer Staffelführerin zu haben.<br />
Einzig Sha’Nyn hatte Tala schon seit geraumer Zeit nicht mehr<br />
gesehen, weil sie vollkommen in ihren Studien vertieft war.<br />
Ausgerechnet ihre Unterstützung hätte Tala jetzt am meisten brauchen
können, da sie der Ansicht war, dass Sha’Nyn sie von allen am<br />
ehesten verstand. Es bestand keine Blutsverwandtschaft, aber<br />
irgendwie waren die beiden dennoch aus demselben Holz geschnitzt.<br />
Heute waren Tala, Khaleen, Therynn und Durkin aber nicht die<br />
einzigen, die sich so früh bereits auf den Beinen befanden. Unten am<br />
Shuttle-Landefeld hatten sich zahlreiche Kadetten eingefunden, die<br />
ebenfalls von Sidak baldiger Ankunft Wind bekommen hatten und<br />
sich den Mann ansehen wollten, der hinter den polarisierenden Reden<br />
stand. Viele vertraten die Einstellung, ihn erst sehen zu müssen, um<br />
begreifen zu können, dass die Akademie ihn ernsthaft eingeladen<br />
hatten, und das es sich nicht etwa um einen Scherz handelte. Aus der<br />
Gestik und der Mimik der Kadetten dort unten, konnte Tala leicht<br />
herauslesen, dass die meisten seine Anwesenheit für eine dumme Idee<br />
hielten, oder gar für einen Affront.<br />
Das sah sie genauso.<br />
Während sie warteten, und immer mehr Kadetten eintrafen,<br />
erinnerte sich Tala daran, wie sie damals selbst auf diesem Landefeld<br />
eingetroffen waren. Obwohl es erst vier Monate her war, kam es ihr in<br />
gewisser Hinsicht vor, als wäre es vor einer halben Ewigkeit gewesen.<br />
<strong>Sie</strong> konnte kaum glauben, dass so viel in so kurzer Zeit geschehen<br />
war. <strong>Sie</strong> fühlte sich hier so heimisch, so wohl...<br />
... die Akademie war der erste Schritt zu allem, was sie sich<br />
erträumte. <strong>Sie</strong> war ihr zuhause.<br />
Und nun hatte dieses Zuhause einen unwillkommenen Eindringling.<br />
Khaleen sah das Shuttle vor allen anderen. <strong>Sie</strong> blinzelte einen<br />
Augenblick in die Sonne, während Tala noch in ihrer Gedankenwelt<br />
versunken war. Dann reckte sie den Zeigefinger zum Himmel und<br />
sagte: „Dort.“<br />
„Wo?“, verlangte Durkin natürlich sofort zu wissen. „Wo soll es<br />
sein?!“ Er konnte er nichts erkennen. Was nicht verwunderlich war,<br />
denn das Sehvermögen der Tellariten ließ schon immer enorm zu<br />
wünschen übrig. Aber das... sah er selbst natürlich vollkommen<br />
anders und fand die kreativsten Ausreden für diese seine<br />
Unzulänglichkeit. „Du musst in die falsche Richtung zeigen! Ein<br />
betrunkenes Tellaritenkind hat eine bessere Hand-Augen-<br />
Koordination.“<br />
„Ich zeige richtig. Da oben ist es doch.“
Er folgte ihrem Blick sehr genau und kniff seine kleinen<br />
Schweinsäugelchen zusammen. Dann schnäubte er verächtlich. „Du<br />
halluzinierst!“<br />
„Aber nein, da oben-“<br />
„Spar dir den Atem.“, unterbrach Tala. Leiser sagte sie zu ihr: „Er<br />
würde das Shuttle nicht einmal sehen, wenn du es ihm auf die Stirn<br />
klebst.“<br />
Durkin stierte sie an und wurde mit einem Mal äußerst bombastisch:<br />
„Was hast du da gesagt?!“<br />
„Ich sagte, du würdest das Shuttle nicht einmal sehen, wenn man es<br />
dir auf die Stirn klebt.“<br />
Er stierte sie noch ein paar Sekunden blöd an, und dann äußerste er<br />
ruhig: „Oh. Dann habe ich dich ja doch richtig verstanden.“<br />
„Seht.“, rief Therynn.<br />
Das Transportshuttle fiel anmutig aus dem Himmel, und näherte<br />
sich zunächst mit einschüchternder Geschwindigkeit. Im einen<br />
Moment war es kaum größer als ein Kommunikator vor der Sonne,<br />
und zwei oder drei Augenblicke später, schwebte es direkt über dem<br />
Campus.<br />
Die Piloten, zweifellos Profis, bremsten weiter ab und senkten das<br />
Shuttle dann präzise auf die ein paar Meter tiefer liegende<br />
Landefläche. Kaum berührten die Warpgondeln den Boden, eilten<br />
bereits Techniker zu dem Shuttle, um es zu warten, und auf die<br />
Fortsetzung seiner Reise vorzubereiten. Zusätzlich betraten einige<br />
Sicherheitsoffiziere die Landefläche, um Sidak zu eskortieren.<br />
Tief in ihrem Innern hatte Tala gehofft, dass das Shuttle niemals<br />
ankommen würde. <strong>Sie</strong> hätte wissen müssen, dass diese Hoffnung sich<br />
nicht erfüllen würde.<br />
Die Einstiegsluke fuhr herab und ein Vulkanier trat in den<br />
morgendlichen Sonnenschein.<br />
Das war Sidak.<br />
Er wirkte – wie die meisten Mitglieder seines Volkes - völlig<br />
unscheinbar, was Tala dazu veranlasste, automatisch vom<br />
Schlimmsten auszugehen. Er war recht alt – selbst für vulkanische<br />
Verhältnisse, schien die Jahre aber sehr gut weggesteckt zu haben.<br />
Tatsächlich strahlte er eine gewisse Frische aus, die sich auch in<br />
seinen Bewegungen wiederfand. In seinem Gesicht zeigten sich weit
weniger Falten, als man hätte erwarten können, und sein kurzes<br />
dunkles Haar, war lediglich an den Schläfen ergraut.<br />
Nach seinem Eintreffen wurde er sofort von einer Eskorte<br />
empfangen, die respektvoll und sogar etwas eingeschüchtert auf seine<br />
Anwesenheit reagierte und ihn in die Mitte nahm. Überraschender als<br />
das, war die Tatsache, dass Sidak mit einem angedeuteten Lächeln auf<br />
den Lippen zwischen ihnen wandelte. Kein bösartiges Lächeln.<br />
Sondern ein zweifellos warmherziges.<br />
Die dunkle, schmucklose Robe, die er trug war schon bald von einer<br />
dünnen Schicht Morgentau bedeckt. Der Anhänger, den er an einer<br />
Kette um seinen Hals trag, funkelte wann immer sich ein Sonnenstrahl<br />
an ihm brach.<br />
Khaleen fragte: „Was ist das?“<br />
„Das ist das UMUK-Symbol.“, sagte Tala, ohne den Blick von<br />
Sidak abzuwenden.<br />
Khaleen blinzelte überrascht. „Was?“<br />
„Das Symbol, das er um den Hals trägt. Es heißt UMUK. Ein<br />
vulkanischer Begriff.“, erklärte sie. „Eine Philosophie der geistigen<br />
Einheit. Das vulkanische Wort wird etwas anders ausgesprochen.<br />
Menschen haben es mit U-M-U-K umschrieben und behaupten, dass<br />
es für >Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlicher Kombination<<br />
steht.“ <strong>Sie</strong> schnaubte. „Der reinste Hohn, wenn es von jemandem wie<br />
Sidak getragen wird. Er verspottet uns.“<br />
„Das wäre eine Emotion.“, sagte Therynn abfällig. „Und die<br />
Spitzohren haben keine Emotionen.“<br />
„Oh glaub mir, die haben Emotionen.“, entgegnete Tala wissend. In<br />
den vergangenen vier Monaten hatte sie einiges über die Vulkanier<br />
von Yoko gelernt, auch wenn er nicht der exemplarischste Vertreter<br />
seiner Art war. „Wenn sie keine Emotionen hätten, müssten sie nicht<br />
so diszipliniert sein. <strong>Sie</strong> beherrschen ihre Gefühle nur, sodass sie<br />
andere Beschäftigungen nicht stören. Logik ist ihnen dabei von<br />
größter Bedeutung. Genau wie die Klingonen recht geschickt darin<br />
sind, auch die dümmsten ihrer Handlungen noch mit ihrem Streben<br />
nach Ehre zu rechtfertigen, sind Vulkanier ziemlich gewieft darin<br />
einfach alles mit ihrer Logik zu entschuldigen.“<br />
„Was Sidak macht ist nicht mehr zu entschuldigen.“<br />
Tala wandte sich zu Therynn um. <strong>Sie</strong> spürte ihren Zorn und sah<br />
deutlich die Wut in ihren Augen. Was auch immer damals bei den
Ausschreitungen in der Hafenstadt genau passiert war, setzte ihr noch<br />
immer zu. „Nein, ist es nicht.“, pflichtete sie bei.<br />
„Und wir würden uns genauso schuldig machen, wenn wir Sidak<br />
falsche Reden einfach tolerieren, Tala. Jemand sollte endlich etwas<br />
gegen ihn unternehmen. Wenn sein Shuttle ein weiteres Mal<br />
explodieren würde, würde ich ihm keine Träne nachweinen.“<br />
Tala sagte nichts.<br />
„Warum startet ihr nicht einen friedlichen Protest, wenn euch die<br />
Sache so wichtig ist?“, schlug Khaleen vor.<br />
Tala und Therynn sahen sie an. „Einen Protest?“, fragten beide<br />
gleichzeitig.<br />
Khaleen zuckte mit den Schultern. „Wenn Sidak seinen Rassismus<br />
an die Öffentlichkeit bringen will, dann spricht nichts dagegen, dass<br />
die Öffentlichkeit ihre Gegenmeinung äußert. Er macht vom<br />
Versammlungsrecht gebrauch. Das könnt ihr auch.“<br />
„Dafür wäre einige Organisation nötig.“, wusste Therynn. „Und wir<br />
bräuchten Leute deren Stimme ein gewisses Maß an Gewicht hat.<br />
Leute mit viel Einfluss.“<br />
„Ja.“, nickte Tala grimmig. „Und weißt du was? Ich kenne da<br />
jemanden, der uns helfen könnte.“<br />
Während Tala und Therynn ihre im vergleich zu tellaritischen<br />
Zusammenkünften zweifellos lächerliche Prostestversammlung<br />
planten, begab sich Durkin zum Quell ihrer Aufgewühltheit: zu Sidak<br />
höchstpersönlich. Als angehender Diplomat und (seiner Ansicht nach)<br />
bester Student seines Faches, war Durkin von Professor Obato dazu<br />
auserkoren, ja geradezu angefleht worden, den umstrittenen Redner<br />
exklusiv zu interviewen.<br />
Als Durkin den Professor heute früh aufgesucht hatte, um ihn auf<br />
die zahlreichen Fehler aufmerksam zu machen, die ihm während der<br />
gestrigen Vorlesung unterlaufen war, so wie es Durkin jeden Morgen<br />
zu tun pflegte, da er annahm, dass der Professor dankbar sei für jede<br />
Richtigstellung, hatte Obato (der noch ziemlich verschlafen gewirkt<br />
hatte, wovon sich Durkin aber nicht irritieren ließ) plötzlich das<br />
Thema gewechselt und war auf Sidak zu sprechen gekommen.<br />
Menschen waren immer etwas zerstreut und ließen sich viel zu leicht
von den trivialsten Gedanken und Thema ablenken, aber Durkin hatte<br />
sich nur zweimal und auch nur aus reiner Höflichkeit darüber<br />
beschwert und anschließend zugehört.<br />
Es sei ihm ein schrecklicher Fehler unterlaufen, hatte Obato ihm<br />
gähnend anvertraut, da der Professor es versäumt hätte, jemanden<br />
rechtzeitig für ein Interview zu bestimmen, das er für eine seiner<br />
künftigen Vorlesungen bräuchte. Es sei von äußerster Wichtigkeit, alle<br />
Seiten einer Geschichte kennenzulernen, ehe man Schlussfolgerungen<br />
traf. Sidak sei aufgrund seiner umstrittenen Person, die leicht zu<br />
Vorverurteilungen führte ein gutes Beispiel, um den Kadetten diese<br />
einfache Lehre zu vermitteln, und Durkin sei nun seine letzte<br />
Hoffnung.<br />
Jemand müsse für Obato in die Bresche springen und zugegen sein,<br />
wenn der Redner auf dem Campus vom Dekan und der<br />
Akademieleiterin begrüßt würde. Er selbst könne diese Aufgabe nicht<br />
erfüllen, da er zum einen noch eine wichtige Angelegenheit zu<br />
erledigen, und zum anderen bei weitem nicht so qualifiziert sei wie<br />
der Tellarit. Eine Einschätzung der Durkin ohne zu zögern energisch<br />
beigepflichtet hatte. Obato hatte daraufhin mit den Augen gerollt.<br />
Vermutlich, so dachte Durkin, weil ihn seine eigene Schusseligkeit<br />
ärgerte.<br />
Also hatte sich Durkin freiwillig gemeldet und sofort auf den Weg<br />
gemacht. Es hatte ihn nur kurz gewundert, dass Obato sofort wieder<br />
Richtung Bett gewankt war, anstatt die dringende Angelegenheit zu<br />
erledigen, von der er vorhin gesprochen hatte, und auf dem Weg ins<br />
Schlafzimmer etwas von „Hauptsache er lässt mich heute in Ruhe“<br />
murmelte. Aber vermutlich war der Mensch mit seinen Gedanken<br />
schon wieder woanders gewesen.<br />
Nicht-Tellariten konnten ja so begriffsstutzig sein.<br />
Als er nun Janeways Büro betrat, in dem sich Sidak, Dekan Barclay<br />
und Admiral Janeway bereits eingefunden hatten (zweifellos weil sie<br />
viel zu früh waren – Nicht-Tellariten waren nie in der Lage sich an<br />
feste Termine zu halten), unterbrach Sidak ihr laufendes Gespräch und<br />
erhob sich von der Couch, um Durkin zur Begrüßung die Hand zu<br />
schütteln. Er hatte einen festen Händedruck und schenkte dem<br />
Tellariten ein warmes Lächeln. „<strong>Sie</strong> müssen Kadett Durkin sein. Freut<br />
mich ihre Bekanntschaft zu machen.“
Durkin verbeugte sich leicht und schnuffelte. „Ganz meiner<br />
Meinung, Mr. Sidak.“<br />
„Kein Grund für den Aufbau von Barrieren. Sidak reicht völlig.“<br />
„Wie sie wünschen.“<br />
Janeway war schlau genug, Durkin nicht darauf aufmerksam zu<br />
machen, dass er sich verspätet hatte, da sie keine große Lust auf die<br />
anschließende Diskussion verspürte. Der Tellarit wäre ohnehin kein<br />
Stück von seiner Meinung pünktlich zu sein abgerückt. Also deutete<br />
sie einfach auf einen leeren Stuhl und alle nahmen in der Sitzecke<br />
wieder platz.<br />
Durkin kramte einen kleinen Datenblock hervor, machte sich<br />
schnell erste Notizen und bedachte Sidak dann mit einem prüfenden<br />
Blick der ihn, wie Durkin fälschlicherweise glaubte, ganz schön<br />
scharfsinnig aussehen ließ. „So...“, begann er ohne Umschweife. „Wo<br />
sind ihre scharfen Fangzähne, Sidak? Wenn man glaubt, was man so<br />
hört, sind sie die Inkarnation des Krognig-Dämons.“<br />
Janeway bedachte ihn mit einem strengen Blick. So eine<br />
Unverfrorenheit duldete sie in ihrem Büro nicht. „Kadett...!“, zischte<br />
sie in einem warnenden Tonfall.<br />
Durkin beschloss, sie – wie sooft - einfach zu ignorieren.<br />
Jede Diskussion mit Janeway war nämlich höchst... unangenehm -<br />
Für Janeway. Die Frau fühlte sich ganz offensichtlich von ihm<br />
angezogen – nicht, dass er es ihr hätte verübeln können. Schließlich<br />
war er ein stattlicher, aufgeweckter Tellarit. Leider war es so, dass sie<br />
ihre Gefühle nicht so recht auszudrücken vermochte. Mal fuhr sie ihn<br />
grundlos an, was Paarungsbereitschaft signalisierte, und im nächsten<br />
Moment zeigte sie sich wieder abweisend freundlich, als hätte sie<br />
überhaupt nichts für ihn übrig - was für einige geistige Konfusion<br />
sprach. Er sympathisierte mit der armen Frau, aber manchmal machte<br />
ihre Verwirrung die Zusammenarbeit schwierig. Wie neulich, als sie<br />
einen äußerst hitzigen Disput hatten. Wäre Janeway in der Lage<br />
gewesen, einfach zuzugeben, dass der Dienstplan, den Durkin für die<br />
Dozenten aufgestellt hatte, viel effizienter war, als Janeways, hätte er<br />
sie nicht einfach übergehen und den Plan ohne Erlaubnis aushängen<br />
müssen.<br />
Seitdem machte sie ihm erst recht unmissverständliche Avancen,<br />
sobald sie unter sich waren. Die kalten Blicke, das Grummeln, das<br />
Ballen der Fäuste... Dieses Gebaren konnte man gar nicht
missverstehen. Es war nur ungewöhnlich, dass Janeway ihre<br />
Absichten nun auch in Anwesenheit anderer zeigte. Womöglich war<br />
sie langsam dazu bereit, zu ihm zu stehen. Durkin rechnete schon bald<br />
mit einem Heiratsantrag. <strong>Sie</strong> war für seinen Geschmack zwar<br />
eigentlich ein bisschen zu alt, aber in Anbetracht ihres<br />
beeindruckenden, fast schon tellaritischen Temperaments konnte er<br />
darüber hinwegsehen. Bis dahin musste sich aber wenigstens einer<br />
von beiden konzentrieren, weshalb er ihre Anbandelungsversuche<br />
vorerst einfach ignorierte.<br />
Sidak schien denselben Schluss zu fassen und schmunzelte über<br />
Durkins Kommentar – soweit wie ein Vulkanier eben schmunzeln<br />
konnte. „Glauben sie mir, Kadett, man hat mich schon schlimmer<br />
beschimpft.“ Er faltete die Hände und beugte sich zu Durkin vor. „Ich<br />
vertrete unpopuläre Ansichten, das ist mir bewusst. Das taten auch<br />
Surak, Copernikus... oder gar Jesus. Ich würde es bevorzugen nicht<br />
aufgrund meiner Meinung gekreuzigt oder verhaftet zu werden, aber<br />
ich stehe zu den Theorien die ich äußere. Und meine Recherchen<br />
sprechen eine eindeutige Sprache: ich bin der festen Überzeugung,<br />
dass die Andorianische Kultur... als Mitglied unserer großen<br />
Gemeinschaft... die Föderation in den Ruin treiben wird. Aufgrund der<br />
harschen Bedingungen auf ihrer Heimatwelt verbrauchen die<br />
Andorianer beträchtliche Unmengen an Ressourcen – mehr als jede<br />
andere Mitgliedswelt und das seit vielen Jahren. Im Gegenzug sind sie<br />
kaum in der Lage nützliche Güter zu liefern. Andor ist ein nackter<br />
kalter Fels.“<br />
„Ihr Beitrag beschränkt sich eben auf andere Dinge.“, hielt Durkin<br />
dagegen.<br />
„Ja, in der Vergangenheit lieferten sie einen großen Teil unserer<br />
Flottenproduktion. Aber in Zeiten des Friedens wird ihre<br />
Kriegsmaschinerie schon lange nicht mehr benötigt und die<br />
Andorianer haben es versäumt, sich auf anderen Gebieten<br />
hervorzuheben. Ihr Nachwuchs ist schlecht ausgebildet, es fehlt an<br />
allen Ecken und Kanten an qualifiziertem Personal. Ihr ganzes<br />
Schulsystem ist rückständig, da die andorianische Führungsebene auf<br />
eine Vermittlung ihrer alten Werte besteht und sich nicht helfen lassen<br />
möchte. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Immer mehr Kinder enden<br />
auf den Straßen, wo sie – wie die Menschen es auszudrücken pflegen<br />
– auf die Schiefe Bahn geraten. Von der natürlichen
Gewaltbereitschaft der Andorianer möchte ich gar nicht erst sprechen.<br />
Auch heute noch führen sie brutale, blutige Riten durch, in die sie<br />
auch andere hineinziehen.“<br />
Durkins wulstige Brauen senkten sich herab. „Ihnen ist klar, wie<br />
rassistisch das klingt?“ Er blickte abwechselnd von Janeway zu<br />
Barclay. Wenn sie Sidak oder Sidak Aussagen missbilligten, so<br />
verbargen sie es gut. „Und die Akademie begrüßt Sidak Ansichten?“<br />
Das konnte er kaum glauben.<br />
„Reg.“, sagte Janeway und erteilte dem Dekan damit das Wort.<br />
Barclay war ein freundlicher und stets nervöser Mann mit<br />
schütterem Haar, der sich die Worte nun sehr genau zurechtlegte,<br />
während er sich vorbeugte. „Die Akademie begrüßt lediglich einen<br />
freien Austausch an Ideen und Meinungen.“, erklärte er. „Doktor<br />
Sidak befindet sich auf einer umfassenden Reise durch die gesamte<br />
Föderation und er verbalisiert Ideen, die einigen Einfluss haben und<br />
weitreichende Entwicklungen in Gang setzen könnten.“<br />
„Sehen sie, Kadett...“, übernahm Janeway „Ob uns gefällt was er<br />
sagt, oder nicht, Doktor Sidak tut nichts illegales. Es steht jedem<br />
Bürger in der Föderation zu, seine Meinung frei zu äußern. Wir<br />
werden den Studenten dieser Einrichtung keinen Gefallen tun, in dem<br />
wir sie vor gewissen... Denkweisen einfach abschirmen – selbst wenn<br />
diese Denkweisen für manche – oder viele - unpopulär und empörend<br />
sein mögen. Nichts für ungut, Doktor.“<br />
Sidak verbeugte sich leicht. „Kein Problem, Admiral.“<br />
Und Janeway fuhr fort: „Die Akademie ist keine Einrichtung, an der<br />
Gedankengut verboten wird, ganz gleich welcher Art dieses<br />
Gedankengut auch sein mag. Die Meinung und das Verhalten anderer<br />
zu respektieren ist der Stammpfeiler der Toleranz und genau darauf<br />
baut diese Institution. Darauf baut die gesamte Sternenflotte.“<br />
„Ich zwinge niemanden seine Meinung zu ändern.“, ergänzte Sidak.<br />
„Ich liefere lediglich eine neue Sichtweise.“<br />
„Denen sich viele nicht aussetzen möchten.“<br />
Janeway sagte: „Die Akademie ist voller Dinge, die einem Kadetten<br />
nicht gefallen könnten. <strong>Sie</strong> werden sich daran gewöhnen müssen.<br />
Andernfalls sind die entsprechenden Personen hier am falschen Ort.<br />
Unterschiedliche Ansichten sollte man begrüßen wo auch immer man<br />
sie findet... Anstatt sich wegen trivialster Dinge in Konflikte zu<br />
stürzten.“
Durkin neigte beim Wort „Konflikt“ den Kopf. „Ihnen ist klar, dass<br />
es sehr wahrscheinlich zu Protesten kommen wird?“<br />
„Proteste die wir dulden.“, nickte Janeway ruhig. „Vorausgesetzt<br />
natürlich, dass sie friedlich verlaufen und keinen Einfluss auf das<br />
Studium und den Dienst der Kadetten haben. Der Zug der freien Rede<br />
fährt in beide Richtungen, Kadett Durkin. Wir werden niemandem den<br />
Mund verbieten, auch nicht unseren eigenen Schülern.“<br />
Janeway hoffte lediglich, dass ihre Schüler auch erwachsen genug<br />
waren, sich entsprechend zu verhalten. Viele von ihnen standen gerade<br />
erst am Anfang und hatten die offene, tolerante Art, die man den<br />
jungen Leuten zu vermitteln versuchte, noch nicht völlig absorbiert.<br />
Andererseits... wer sollte schon dumm genug sein, wegen eines<br />
einzelnen Redners Probleme zu machen?<br />
Galak<br />
Galak Arsamandi, Prinz des orsorianischen Reiches, schlenderte<br />
den Korridor im Verwaltungsgebäude herab, während er eine<br />
amüsante Diskussion mit zwei attraktiven jungen Kadettinen aus<br />
seinem Diplomatenkurs führte, die sich rechts und links bei ihm<br />
eingehakt hatten. <strong>Sie</strong> hingen förmlich an seinen Lippen, und kicherten<br />
und quiekten jedes Mal ausladend, sobald er etwas lustiges sagte.<br />
Selbst... wenn es kein bisschen lustig war.<br />
Aber das war nicht wichtig.<br />
Der Subtext spielte in dieser Situation eine größere Rolle als das<br />
gesprochene Wort – sofern man beim Gebaren der beiden Damen,<br />
welches zurückhaltender ausgefallen wäre, wenn sie in Unterwäsche<br />
an einem gewaltigen Würstchen geknabbert hätten, überhaupt von<br />
Subtext sprechen konnte. Was aber genau Galaks Vorstellung einer<br />
guten Unterhaltung entsprach.<br />
„...dieser Sortak baut sich also zu seiner vollen Größe von<br />
zweieinhalb Metern vor mir auf“, erzählte er „betrunken wie er war,<br />
und pocht auf sein Recht die Kadettin zu belästigen und begrabschen,<br />
wie es ihm beliebte. Als der Gentleman, der ich, wie ihr wisst, nun<br />
mal bin, war ich selbstverständlich verpflichtet, etwas dagegen zu<br />
unternehmen, weshalb ich natürlich sofort-“
Das war der Moment in dem Tala aus einem Seitenkorridor<br />
heraustrat, Galak im Vorbeigehen bei seinem linken Ohrläppchen<br />
schnappte, und ihn einigermaßen unsanft zum nächsten Turbolift mit<br />
sich zog. „Was zum--?“, war das einzige, das er zu sagen in der Lage<br />
war.<br />
Anstatt Galak anzusprechen, äußerte Tala kurz zu den beiden<br />
Frauen: „Entschuldigt uns... Eine dringende Angelegenheit. Ich hoffe<br />
ihr versteht das. Und wenn nicht, ist es mir auch egal.“<br />
<strong>Sie</strong> schob ihn in die enge Kabine und als sich die Lifttüren<br />
schließen, und der Computer einen Bestimmungsort forderte, nannte<br />
sie den Bürokomplex im dritten Stock.<br />
Galak fragte verwirrt: „Warum der Bürokomplex?“<br />
„Damit ich das hier sagen kann: Computer, Lift anhalten.“<br />
Der Lift kam unverzüglich zu einem graziösen Stopp. Jetzt waren<br />
sie ungestört. Tala wandte sich Galak zu. Ihr Kinn war vorgeschoben,<br />
ihre Schultern angespannt. Galak kannte ihre Körpersprache<br />
inzwischen genau: entweder erwartete sie einen Kampf, oder suchte<br />
einen.<br />
Zu seiner Verteidigung sagte er schnell: „Ich schwöre, ich hätte<br />
dabei nur an dich gedacht.“<br />
<strong>Sie</strong> winkte ab. „Darum geht’s nicht.“<br />
„Ach nein? Ich hatte befürchtet, du könntest eifersüchtig sein.“<br />
„Eifersichtig? Ich bin nicht eifersüchtig. Ich warte darauf, dass ich<br />
den ersten wissenschaftlichen Aufsatz über einen Kadetten schreiben<br />
kann, der an einer Gehirnblutung stirbt, die von einem Überschuss an<br />
Ego ausgelöst wurde.“<br />
„Ich dachte...“<br />
„Das war dein erster Fehler: Denken. Galak, du kannst doch machen<br />
was du willst. Jeder von uns kann das. Wir sind frei. Das haben wir<br />
von Anfang an so beschlossen. Es ist eine offene Beziehung. Wir...<br />
sind ein gegenseitiger Nutzen. Wie zwei vorrüberziehende Schiffe.“<br />
„Das ist verletzend.“, log er.<br />
<strong>Sie</strong> neigte den Kopf, da sie wusste, dass er nicht so empfand. „Du<br />
wirst es überleben, schließlich musst du dadurch nicht auf diese<br />
wandelnden Heliumballons da draußen verzichten.“<br />
„Stimmt.“ Dann fragte er verblüfft: „Warum sind wir dann hier?“<br />
„Ich brauche deine Hilfe. Deine... spezielle Hilfe.“
Galak war nun verwirrter als je zuvor und musterte Tala von oben<br />
bis unten, als sei ihr ein drittes Auge, oder ein dritter Arm gewachsen.<br />
„Hier?!“, fragte er schließlich. „Im Turbolift?“ Andererseits... war die<br />
Idee gar nicht so übel. Hier hatten sie es noch nicht getan. „Hm, der<br />
Raum ist zwar etwas beengt, aber das bekommen wir schon-“<br />
<strong>Sie</strong> schlug ihm mit der flachen Hand auf die Stirn. Es klatschte<br />
geräuschvoll. „Dang! Nicht das, du wandelndes Riesenhormon!“<br />
„Oh.“, machte er mit einiger Enttäuschung. „Aber wozu brauchst du<br />
mich dann?“<br />
„Du bist von einer noblen und einflussreichen Familie. Du hast<br />
Kontakte. Wichtige Kontakte.“<br />
„Das ist der Hauptgrund, warum ich hier bin, ja. Mein Volk stirbt<br />
aus, wie du weißt. Auf Orsoria werden immer weniger Männer<br />
geboren, aus irgendeinem Grund werden wir steril. Uns bleiben<br />
vielleicht noch zehn Generationen. Aber wir sind Genießer, keine<br />
Wissenschaftler, wie etwa die meisten Leute in der Sternenflotte.<br />
Dafür liegt unser Reich allerdings in einer für die Föderation<br />
strategisch günstigen Position. An einer Kooperation wäre beiden<br />
Welten gelegen, aber eure dämliche oberste Direktive verkompliziert<br />
alles nur. Ich wurde hergeschickt, um der erste Ölzweig zu sein, und<br />
um auf die Not meines Volkes aufmerksam zu machen.“ Er rollte die<br />
Augen. „Nicht, dass ich großartig ein Mitspracherecht bei dieser<br />
Entscheidung gehabt hätte...“<br />
„Ich weiß, Galak.“ Es war kein Geheimnis, dass Galak nicht aus<br />
freien Stücken auf der Akademie studierte, und auch nicht sonderlich<br />
viel davon hielt. Zumindest setzte er alles daran, so zu tun. Befehle<br />
von jemandem entgegenzunehmen, nur weil er kleine funkelnde<br />
Dinger am Kragen trug – mehr als er -, sei eines Nobelmannes von<br />
Orsoria nicht würdig, wie er immer betonte. Aber Tala kannte ihn<br />
besser und wusste, dass er auf der Akademie zum ersten Mal in<br />
seinem Leben echte Freunde gefunden hatten, die ihn akzeptierten und<br />
mochten so wie er war – verschroben und arrogant -, und es nicht nur<br />
vorspielten, um die Vorzüge des Königshauses genießen zu können.<br />
Niemand aus ihrer Gruppe machte einen Knicks, wenn Galak kam<br />
und niemand zögerte, ihm eine ehrliche Meinung ins Gesicht zu<br />
sagen, auch wenn er sie gar nicht hören wollte. Dafür waren alle für<br />
ihn da, wenn er sie brauchte. Und gerade das zeichnete gute Freunde<br />
schließlich aus. Im Gegenzug hielt er seine Meinung ja auch nicht
hinterm Berg, und die Sache mit dem Helfen... nun, da musste man<br />
noch etwas dran arbeiten. „Meine Mission hier zu erfüllen“, setzte er<br />
fort „ist das wichtigste in meinem Leben.“<br />
Das war ebenfalls typisch Galak: Er besaß absolut kein Taktgefühl.<br />
Tala hustete, um ihn daran zu erinnern, dass sie auch noch da war.<br />
„Ahem...“<br />
Der Orsorianer wich von ihr zurück, als hätte sie plötzlich Pusteln<br />
bekommen. „Was ist mit dir? Bist du krank? Komm mir nicht zu nahe,<br />
ich kann es mir nicht leisten, krank zu werden.“<br />
Tala rollte die Augen. „Also manchmal frage ich mich wirklich, wie<br />
ihr Orsorianer euch überhaupt so weit entwickeln konntet.“<br />
„Wir brauchen uns nicht zu entwickeln. Unser gutes Aussehen<br />
erledigt alles für uns.“ Daran bestand schließlich kein Zweifel.<br />
„Kein Wunder, dass ihr aussterbt.“<br />
„He, jetzt werde nicht beleidigend!“ Er stutze. „Gibt es überhaupt<br />
einen Weg diese Konversation für mich zu gewinnen?“<br />
„Nö.“<br />
„Wollte nur sicher gehen. Also? Wenn schon nicht für schnellen,<br />
bedeutungslosen Sex... wozu brauchst du mich dann?“<br />
<strong>Sie</strong> erzählte ihm von Sidak, seinen Ansichten, und dass sie eine<br />
Demonstration organisieren wollten.<br />
Galak hörte sich alles in Ruhe an, nickte hier und da<br />
bedeutungsschwanger und setzte einen überzeugend mitfühlenden<br />
Blick auf, als Tala ihre Ausführungen beendete. Und dann sagte er:<br />
„Ihr seid vollkommen verrückt.“<br />
„Wieso das?“<br />
„Weil die Sternenflotte das nicht zulässt, ganz einfach.“<br />
„Doch, lässt sie. Durk hat es bestätigt. Janeway wird keine Proteste<br />
oder Demonstrationen verhindern, solange sie friedlich verlaufen.“<br />
„Was? Warum?“<br />
„Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle. Fakt ist, dass wir<br />
diesem Mistkerl Paroli bieten können – ja sogar müssen. Aber dafür<br />
müssen wir uns erst organisieren. Wir brauchen eine Lobby, Galak.“<br />
Galak schaute verwirrt. „Wollt ihr ein Hotel bauen?“<br />
Tala stöhnte. Er verbrachte zu viel Zeit mit Yoko. Es steckte bereits<br />
an. „Nein, Galak. Wenn Sidak meint, wir würden einfach daneben<br />
stehen, während er seinen Rassenhass verbreitet, dann hat er sich<br />
geschnitten.“
„Warum sollte er sich selbst verstümmeln?“<br />
<strong>Sie</strong> klatschte ihm erneut auf die Stirn. „Dang, Konzentrier dich! Wir<br />
müssen ihm entgegentreten, mit den gleichen Waffen. Ich bin keine<br />
gute Rednerin, und ich kenne auch sonst keinen, der dafür geeignet<br />
wäre, zumal unsere Stimmen ohnehin kein Gewicht haben. Aber<br />
vielleicht kennst du jemanden. Oder kannst jemanden organisieren.“<br />
„Kann ich das?“<br />
Tala hob ihre geballte Faust. Er konnte so unfassbar faul sein!<br />
Immer versuchte er sich vor unnötiger Arbeit zu drücken. Also zischte<br />
sie: „Wenn du diesen Turbolift lebend verlassen willst, dann ja, dann<br />
kannst du es!“<br />
„Oh. Ja, jetzt wo du es sagst, fallen mir tatsächlich diverse Namen<br />
ein...“<br />
Tala lächelte. „Gut.“ <strong>Sie</strong> begann im beengten Raum des Lifts auf<br />
und ab zu marschieren, so wie es der Platz eben zuließ. „Wir brauchen<br />
jemanden der die Massen bewegt. Eine Respektsperson, zu dem<br />
sowohl Andorianer, als auch Vulkanier aufsehen. Wir brauchen einen<br />
Sternenflotten-Offizier. Jemanden mit Muskeln.“<br />
„Ich hab Muskeln.“<br />
„Und jemanden mit Hirn.“<br />
„Oh.“ Dadurch fiel er natürlich aus der Kandidatenliste. „Und du<br />
willst wirklich, dass ich dir dabei helfe?“<br />
Tala blieb stehen und seufzte. „Im Moment nehme ich jede Hilfe an,<br />
die ich bekommen kann, auch wenn sie noch so gering und<br />
unbedeutend ist.“<br />
„War das eine Beleidigung?“<br />
„Wirst du mir helfen?“<br />
„Habe ich denn eine Wahl?“<br />
„Wenn das so ist, war es keine Beleidigung.“<br />
Er überlegte einen Moment. „Nun, ich habe in den letzten Wochen<br />
tatsächlich einen guten Kontakt zu einigen Leuten aus dem<br />
Flottekommando aufbauen können. Darunter auch einige<br />
einflussreiche Andorianer. Wenn ich meine Beziehungen spielen lasse<br />
und den ein oder anderen Gefallen einfordere... und eventuell sogar<br />
mit jemandem schlafe – was, wenn ich es recht bedenke, unter die<br />
-Rubrik fällt... Ich denke ich könnte jemanden<br />
herholen, den du sehr mögen wirst. Was hälst du von Kovan?“
„Kovan?“ <strong>Sie</strong> sah ihn aus großen, überraschten Augen an. „Etwa<br />
der Kovan?“<br />
„Nun, eine <strong>Sie</strong> ist Kovan glaube ich nicht. Wobei... man sich bei<br />
euch Andorianern da nie so ganz sicher sein kann“, musste er<br />
einräumen.<br />
„Der Held von Sigma Tauris Vier? Der Bezwinger der Bobolot? Du<br />
könntest Kovan herholen?“<br />
Galak zuckte mit den Schultern. „Soweit ich weiß, ist er sowieso<br />
schon hier. Hab ihn vor zwei Tagen erst im Flottenkommando<br />
gesehen. Ich glaube sein Schiff wird im Erdorbit einer<br />
Generalüberholung unterzogen oder so. Er müsste Zeit haben. Ich<br />
denke ich kann ihn herholen.“<br />
„Oh, Galak!“ <strong>Sie</strong> fiel ihm regelrecht um den Hals und küsste ihn<br />
leidenschaftlich. Dann flüsterte sie lächelnd: „Weißt du, manchmal da<br />
bist du richtig liebenswürdig.“<br />
Er schnaubte verächtlich. „Behalte das ja für dich. Ich habe<br />
schließlich einen Ruf zu verlieren.“<br />
O’Brien<br />
Miles O’Briens Körper schien keinen Kopf zu haben. Der Professor<br />
für Ingenieurswissenschaften steckte mit dem Oberkörper in einer<br />
Wartungsröhre des üblicherweise überfüllten, aber heute verlassenen<br />
C-Trakts, und schaute auf die Anzeigen seines Tricorders, in der<br />
Hoffnung, auf dem Sensorfeld würde sich eine gerade Linie zeigen.<br />
Unglücklicherweise wies die Linie, die er sah, eine<br />
unmissverständliche Energiespitze auf, die in einem drei Sekunden-<br />
Intervall erschien. O’Brien seufzte resignierend. Einen Moment lang<br />
lag er einfach nur da und glaubte zu spüren, wie sein einst lockiges,<br />
fülliges Haar immer lichter wurde. Und grauer. Er wurde langsam zu<br />
alt, um in diesen heißen Röhren herumzukriechen. Schließlich wusch<br />
er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, und wandte<br />
sich an seine beste Studentin, die irgendwo draußen wartete.<br />
„Cera, die Energiespitze ist wieder da.“<br />
Streng genommen war Cera Regonod nicht seine beste Studentin.<br />
Nicht einmal annähernd. Obwohl die korpulente Pakled ein gewisses
Händchen für die Bedienung des Transporters bewiesen hatte, siedelte<br />
sich ihr Notendurchschnitt irgendwo im unteren Bereich an.<br />
Technische Zusammenhänge begriff sie nur langsam, was zu ihrer<br />
allgemein eher behäbigen Art passte und was es umso erstaunlicher<br />
machte, dass sie ausgerechnet eine technische Laufbahn eingeschlagen<br />
hatte. Andererseits waren ihre Noten in den anderen Fächern auch<br />
nicht gerade berauschend. Was Cera aber an Auffassungsgabe fehlte,<br />
das machte sie mit Fleiß und Einsatzbereitschaft wieder wett. Ihr<br />
Scharfsinn mochte zu wünschen übrig lassen, und einige Kadetten<br />
machten sich deswegen über sie lustig, aber im Gegensatz zu einigen<br />
anderen, zeigte sie den Willen, das Studium ernstzunehmen und sich<br />
reinzuhängen – auch wenn sich trotzdem nicht gerade ein<br />
durchschlagender Erfolg darbot.<br />
Für O’Brien war aber allein ihr guter Wille Grund genug, Cera eine<br />
Chance zu geben, und die Tatsache, dass sie sich als einzige seiner<br />
zahlreichen Studenten freiwillig gemeldet hatte, ihm am Wochenende<br />
bei einem technischen Problem zur Hand zu gehen, machte ihm die<br />
Pakled nur noch sympathischer.<br />
Und jetzt, wo sie unter sich waren, der Leistungsdruck wegfiel, und<br />
sie sich nicht mit den anderen, fremden Kadetten konfrontiert sah, war<br />
Cera wie ausgetauscht. <strong>Sie</strong> war nicht so nervös, viel konzentrierter<br />
und konnte deswegen auch tatsächlich einen nützlichen Beitrag<br />
leisten.<br />
<strong>Sie</strong> lässt sich eben nur zu leicht einschüchtern, dachte O’Brien.<br />
Aber das war okay. Die meisten Ingenieure zogen ihre Maschinen der<br />
Gegenwart anderer Menschen vor. Er hatte oft genug ganz ähnlich<br />
empfunden, und auch ihm war es Anfangs aufgrund seiner eher<br />
introvertierten Art, die man nur zu leicht mit Ruppigkeit verwechseln<br />
konnte, nicht leicht gefallen, Freundschaften zu schließen.<br />
Mitunter brauchte das ein bisschen Zeit.<br />
„Versuchen sie die Energierelais für das OHD umzuschalten.“<br />
Cera zögerte. Wie üblich, wenn sie unsicher war, begann sie zu<br />
stottern. „Tun sie nicht... tun sie nicht... das ODN meinen, Sir?“<br />
O’Briens Gesicht wurde rot vor Scham. Es lag ein großer<br />
Unterschied zwischen dem optischen Datennetz und einer<br />
omnidirektionalen holographischen Diode. „Ja.“, gab er zu. „Hab<br />
mich versprochen.“
Cera nickte nur schwerfällig und machte sich daran, an der Konsole<br />
die entsprechende Umschaltung durchzuführen. Der Professor<br />
schüttelte den Kopf über die Verwechslung. Für gewöhnlich unterlief<br />
ihm ein solcher Fehler nicht. Andererseits war er für gewöhnlich auch<br />
nicht so abgelenkt wie im Moment.<br />
Molly, seine älteste Tochter war vor drei Tagen von einem langen<br />
Aufenthalt auf New Pacifica zurückgekehrt und er hatte sich bei der<br />
Begrüßungsfeier verspätet, da noch Arbeit auf dem Campus auf ihn<br />
gewartet hatte. Er hatte sich auch jetzt im Ruhestand, nie ganz von<br />
seiner Zeit auf der Enterprise oder DS9 lösen können, und sich immer<br />
freiwillig mit Arbeit eingedeckt – selbst, wenn es genügend andere<br />
gab, die für ihn hätten einspringen können. Natürlich hatte das öfters<br />
zu Streitereien zwischen ihm und seiner Frau Keiko geführt und als er<br />
Mollys Begrüßungsfeier fast verpasst hatte, war sie besonders<br />
aufgebracht gewesen.<br />
Er hatte ihr versichert, dass er in Zukunft mehr Zeit mit ihr<br />
verbringen würde, aber die Wahrheit sah aus, dass er Zuhause<br />
verrückt wurde. Er liebte seine Frau, er liebte sie über alles, aber in<br />
O’Briens Brust schlug einfach ein Arbeiterherz. Er musste etwas mit<br />
seinen Händen tun, sich nützlich machen, sonst war er nicht glücklich.<br />
„Professor?“, hörte er Ceras Stimme.<br />
„Ja?“<br />
„Die Energiespitze.“<br />
„Immer noch da?“<br />
Cera nickte. Dann begriff sie, dass O’Brien sie gar nicht sehen<br />
konnte und sagte: „Uh-huh.“<br />
Der Professor kam schwerfällig aus der Röhre gekrochen und<br />
richtete sich ächzend auf.<br />
„Immer noch da.“, bestätigte Cera und zeigte auf den Monitor, als<br />
würde er ihr sonst nicht glauben. „Aber es... es tut nicht die... die<br />
Leistung unserer Maschinen beeinflussen.“<br />
„Hm.“, machte O’Brien nachdenklich und trommelte mit den<br />
Fingern auf der Verkleidung der Konsole. „Es mag die Leistung nicht<br />
beeinflussen, aber es könnte zu Systemfehlern führen.“<br />
„Bisher sind... sind keine aufgetreten.“<br />
O’Brien seufzte. Er hatte gehofft, das Problem innerhalb einer<br />
halben Stunde zu lösen. Stattdessen waren sie schon seit fast zwei
Stunden dabei die Energiespitze zu verfolgen, die er am Morgen<br />
zufällig im Klassencomputer entdeckt hatte.<br />
Keiko würde nicht glücklich sein.<br />
Aber es entsprach ihm nicht, Arbeit einfach liegen zu lassen.<br />
„Tun wir... tun wir es den Technikern überlassen?“<br />
„Nein.“, entschied er nach kurzem zögern. Einen letzten Versuch<br />
wollte er noch unternehmen. „Wir sehen uns das mal im<br />
Computerkern an. Wenn wir da die Quelle des Problems nicht finden,<br />
machen wir Schluss für heute.“<br />
Cera nickte und packte ihre Werkzeuge zusammen.<br />
Keiko wird mich umbringen, dachte O’Brien.<br />
Der zentrale Computerkern der Akademie befand sich unterirdisch<br />
und beanspruchte volle fünfzehn Etagen. Praktisch alle Systeme des<br />
Campus standen mit dem Kern in Verbindung. Von hier aus wurden<br />
sämtliche automatischen Funktionen gesteuert und die Anweisungen<br />
verarbeitet, die Kadetten, Dozenten, das Akademie-Personal und<br />
Besucher auf allen Teilen des Geländes verbal oder über eine Tastatur<br />
gaben.<br />
Das System war eine Meisterleistung des Computer- und<br />
Ingenieurswesens – man konnte den Kern in gewisser Weise sogar mit<br />
dem autonomen Nervensystem eines Lebewesens vergleichen. Er<br />
verfügte über ein nanosekunden-schnelles Zugriffs- und<br />
Abfragesystem-Software, zahllose Sicherheits- und<br />
Schutzprogramme, eine hochentwickelte KI-Routine und er wartete<br />
sich sogar selbst, was bedeutete: In den Systemüberwachungsräumen<br />
waren üblicherweise nur wenige Personen zugegen.<br />
Es sei denn natürlich es war zu einer schweren Fehlfunktion oder<br />
einem kritischen Defekt gekommen, der die Aufmerksamkeit von<br />
Technikern verlangte. Aber das kam nur selten vor.<br />
O’Brien begegnete nur zwei Wartungstechnikern, als er den<br />
Kernbereich betrat und zum Aufzeichnungsinterface ging. Cera folgte<br />
ihm. Die ganze Zeit über protokollierte der Computer seine eigene<br />
Aktivität und die kleinste Zeiteinheit war dabei die Nanosekunde.<br />
O’Brien erhoffte sich Aufschluss von jenen Aufzeichnungen –<br />
vielleicht entdeckte er in den Informationen eine Diskrepanz, die ihm
mitteilte, was vor sich ging. Er aktivierte eine Diagnose und wartete<br />
auf das Ergebnis. Es war ernüchternd. Nichts deutete auf<br />
Fehlfunktionen hin und nichts verriet ihm, wo die Energiespitzen<br />
herkommen sollten. Die Energietransferleitungen waren perfekt<br />
kalibriert, es hätte diese Spitzen einfach nicht geben dürfen.<br />
„Wo soll das nur herkommen?“, fragte er.<br />
„Wann tat das denn... das denn zum erstenmal auftreten?“<br />
Guter Ansatz, dachte O’Brien. Der Ursprung könnte ihnen vielleicht<br />
einigen Aufschluss über das eigentliche Problem geben. „Finden wir<br />
es heraus.“<br />
Seine Finger flogen über die Konsole und wenige Minuten später<br />
hatte er die Energiespitze zu ihrem Ursprung zurückverfolgt. „Heute<br />
Nacht?“<br />
Cera zeigte auf eine weitere Information. „Und draußen, in... in<br />
einem Wartungsschacht vor der... der Sudak-Halle.“<br />
„Aber das ist doch unmöglich.“ Falten fraßen sich tief in O’Briens<br />
Stirn. Hatten sie es möglicherweise gar nicht mit einem internen<br />
Computerproblem zu tun, sondern etwas, das von außen<br />
dazugekommen war? Hatte sich vielleicht jemand am<br />
Computersystem zu schaffen gemacht, der daran nichts verloren<br />
hatte?<br />
Er trat näher vor die Interfacekonsole, um das Diagnoseprogramm<br />
auf entsprechende Untersuchungen anzusetzen.<br />
Sudak-Halle, schoss ihm durch den Geist. Da sollte doch dieser<br />
umstrittene Vulkanier morgen seine Rede halten.<br />
O’Brien begriff seinen Fehler eine halbe Sekunde vor der<br />
Explosion. Die Druckwelle hob ihn an und schleuderte ihn durch den<br />
Raum. Er prallte gegen und über das Geländer und wäre um ein Haar<br />
in den Computerschacht gestürzt, der sich fünfzehn Etagen nach unten<br />
erstreckte, wenn Cera ihn nicht am Kragen zu fassen bekommen und<br />
vor einem garantiert tödlichen Fall bewahrt hätte. <strong>Sie</strong> hob ihn<br />
mühelos, und als sei O’Brians Gewicht nicht der Rede wert, über das<br />
Geländer. O’Briens Gesicht war schmerzverzerrt, blutig und<br />
schmutzig. Kleine Splitter hatten sich überall in die Haut gebohrt.<br />
Cera schlug auf ihren Kommunikator und rief ein medizinisches<br />
Team, dass sich wenige Sekunden später sofort bei ihnen<br />
materialisierte.
„Es ist nichts ernstes.“, diagnostizierte der Arzt nach kurzer<br />
Untersuchung. „Keine Sorge, Professor, sie werden es überleben.“<br />
O’Brien keuchte. „Ach ja? Das hier vielleicht. Aber sicher nicht das<br />
Gespräch mit meiner Frau...“<br />
Das erste Gesetz<br />
Sha’Nyn hatte nicht genau gewusst, was sie erwarten sollte, als sie<br />
sich am Nachmittag auf den Weg zum Hauptplatz gemacht hatte. <strong>Sie</strong><br />
wusste von Yoko, dass Tala dort eine Demonstration gegen die<br />
Ankunft eines gewissen Sidak vorbereitete. Eine recht große<br />
Angelegenheit offenbar nach allem, was sie so mitbekommen hatte.<br />
Aber Andorianer machten auch keine halben Sachen.<br />
Sha’Nyn selbst hatte nie zuvor von diesem Sidak gehört. Ein<br />
polarisierender Redner war er offenbar, und ein Vulkanier – so viel<br />
stand fest. Seine Ankunft auf der Akademie hatte unter den Studenten<br />
für einige Debatten und offenbar auch viel böses Blut gesorgt.<br />
Zumindest hatte sie das im Vorbeigehen aufgeschnappt, wie man<br />
eben Dinge mitbekam, die einen eigentlich gar nicht interessierten.<br />
Und wenn Sha’Nyn ehrlich war, lag ihr auch nicht besonders viel<br />
daran, näheres über diesen Sidak zu erfahren, oder überhaupt in diese<br />
ganze Sache hereingezogen zu werden. Es war ihr schlicht egal wer da<br />
was sagte. Am liebsten hätte sie sich einfach ihren Studien gewidmet.<br />
Aber sie musste sich eingestehen, dass Wotan mit seinen Worten ins<br />
schwarze getroffen hatte. Sha’Nyn brauchte wirklich eine Pause. <strong>Sie</strong><br />
gab nur widerwillig zu, wenn sie unrecht hatte, aber es stimmte; sie<br />
verpasste gegenwärtig einfach zu viel von dem, was im Leben ihrer<br />
Freunde vor sich ging. Und ein eigenes führte sie fast gar nicht mehr.<br />
Vielleicht lag es an Sortaks Abwesenheit. Er hatte es immer perfekt<br />
verstanden, ihr die Richtung zu weisen, wenn sie mal drohte vom Weg<br />
abzukommen. Aber da er die Akademie geschmissen hatte, musste sie<br />
nun ohne ihn auskommen. Dank neuen Freunden wie Wotan, standen<br />
die Chancen gar nicht mal so schlecht, dass sie das schaffte. Also<br />
musste sie auf den Tiger hören.<br />
Sha’Nyn wollte wirklich nicht irgendwann zu jenen alten<br />
Waschweibern gehören, die sich so sehr in ihrer Tätigkeit verloren
hatten, dass sie nichts anderes mehr kannten. Denn dann würde sie<br />
irgendwann alleine dastehen. Aber so weit musste es ja nicht kommen.<br />
Und die Demonstration war eine gute Gelegenheit mal wieder<br />
rauszukommen. <strong>Sie</strong> selbst kannte zwar die Hintergründe nicht, aber<br />
die Sache war wichtig für Tala, also hatte Sha’Nyn jeden Grund dabei<br />
zu sein, und Tala zu unterstützen.<br />
Während sie durch die paradiesischen Gärten schlenderte –<br />
Boothby’s märchenhaftes Reich -, eine kühle Brise vom Meer her<br />
durch ihr Haar wehte, und sie die Sonne auf ihrer Haut spürte, die<br />
hoch am wolkenlosen, perfekt blauem Himmel stand, fühlte Sha’Nyn<br />
fast so etwas wie Entspannung – etwas, das sie schon lange nicht mehr<br />
empfunden hatte. Es war, als hätte sie wochenlang den Atem<br />
angehalten, und nun endlich ausgeatmet.<br />
Es war schön.<br />
Es sollte nicht lange anhalten.<br />
Der Weg beschrieb eine ausgedehnte Kurve, und mit dem nächsten<br />
Luftzug kam einsetzender Lärm herübergeweht, der schnell lauter<br />
wurde, je näher sie kam, und der seinen Ursprung zweifellos am<br />
Versammlungsplatz besaß. Die Bäume und Hecken versperrten ihr<br />
zunächst noch die Sicht, aber nach ein paar weiteren Metern errichte<br />
sie das Ende des Weges, trat auf die Peripherie der Wiese und was sie<br />
sah, erstaunte sie für ungefähr zwei Sekunden. Dann dachte sie, ja,<br />
das passt.<br />
Der Platz glich einem Irrenhaus.<br />
Tala hatte es irgendwie geschafft die halbe Akademie und noch<br />
dazu sehr viele Zivilisten zu mobilisieren, die sich alle, wild<br />
diskutierend, um eine kleine Tribüne drängten. Dort gab es ein derzeit<br />
unbesetztes Rednerpult und auf dem Schild dahinter prangten die<br />
Worte „Frieden ja, Rassismus nein!“. Passend dazu hingen überall im<br />
Park verteilt diverse Poster, auf denen Andorianer und Vulkanier<br />
gemeinsam abgebildet waren.<br />
Trotzdem war die Stimmung nicht unbedingt die friedlichste. Man<br />
konnte zwar nicht behaupten, dass die Emotionen überkochten, aber<br />
sie waren auch nicht weit davon entfernt. Den überragenden Teil der<br />
versammelten Menge bildeten die Andorianer – einige waren in Zivil,<br />
aber die meisten in Uniform. Ein blaues Meer der Hitzigkeit. Aber es<br />
waren auch Vulkanier, Menschen und viele andere zugegen, die sich<br />
für das gleiche einsetzten wollten, auch wenn Uneinigkeit darüber
estand, wie man sich dafür einsetzen sollte. Einige besprachen<br />
leidenschaftlich die beste Vorgehensweise, andere programmierten<br />
Slogans für ihre holographischen Schilder, auf denen sie Sidak zum<br />
Verlassen der Erde aufforderten, und manche machten einfach ihrem<br />
Ärger Luft, in dem sie ein wenig vor sich herschimpften.<br />
Sha’Nyn konnte sich nicht im entferntesten Vorstellen, was Sidak<br />
getan hatte, um die Leute bis zu diesem Grad zu erzürnen, aber es<br />
musste etwas von einiger Gewichtung gewesen sein. Obwohl die<br />
Andorianer recht wild und streitlustig waren, waren sie nicht so leicht<br />
zu empören. <strong>Sie</strong> schienen Sidak bloße Anwesenheit ja schon für eine<br />
Beleidigung zu halten. Außerdem waren sie ja hier nicht alleine<br />
vertreten, viele andere empfanden offenbar genauso.<br />
Sha’Nyn stopfte die Hände in ihre Jackentasche, wich<br />
vorsichtshalber einigen besonders zornigen Gesellen aus und suchte<br />
die Menge nach vertrauten Gesichtern ab. Aber Tala kam ihr zuvor.<br />
<strong>Sie</strong> stand irgendwo am Rand und hatte sich gerade mit einem anderen<br />
Kadetten unterhalten. Für sie war es natürlich weitaus leichter<br />
Sha’Nyn unter all den Andorianern auszumachen, als es umgekehrt<br />
der Fall war.<br />
„Shan!“, rief sie fröhlich und winkte ihre Freundin herüber. Es war<br />
nun eine ganze Weile her, dass sie sich gesehen hatten. Das letzte Mal<br />
vor einer Woche bei der letzten Teambesprechung, sofern sich<br />
Sha’Nyn richtig erinnerte. Die Begrüßung viel daher umso herzlicher<br />
aus. Sha’Nyn war froh, dass sie ihr nichts übel nahm.<br />
„Hallo Fremde!“ Tala griff gut gelaunt Sha’Nyns Hinterkopf und<br />
zog sie zu sich heran, bis sich die beiden Mädchen an der Stirn<br />
berührten - was der traditionellen andorianischen Begrüßung unter<br />
engen Freunden entsprach. Normalerweise gehörte zwar auch ein<br />
„High Five“ der Fühler dazu, die jeden Andorianer auf der Stirnseite<br />
auszeichneten, aber da Sha’Nyn bedauerlicherweise keine besaß<br />
(eindeutig der größte Nachteil menschlicher Physiologie), musste es<br />
auch ohne gehen. Dann lösten sie sich voneinander und Tala rubbelte<br />
lächelnd Sha’Nyns Oberarme, während sie das Mädchen betrachtete,<br />
als hätten sie sich länger nicht gesehen, als es tatsächlich der Fall war.<br />
„Du bist ja immer noch so kurz.“<br />
Sha’Nyn grinste. „Und du bist ja immer noch so blau.“<br />
Tala lachte.
In Wahrheit hatte sich Sha’Nyn ganz schön gemacht, wie Tala fand.<br />
<strong>Sie</strong> war zweifellos wieder ein paar Zentimeter gewachsen, seit sich<br />
ihre Wege das letzte Mal gekreuzt hatten – mit ihrer<br />
Tiefenwahrnehmung hatte Tala ein hervorragendes Gespür für solch<br />
kleine Details. Und das körperliche Training machte sich an Sha’Nyns<br />
Schultern und Oberarmen deutlich bemerkbar. Von ihren bisherigen<br />
Übungseinheiten im Flugsimulator (über die man besser den Mantel<br />
des Schweigens legte) mal abgesehen, waren ihre Noten alle über dem<br />
Durchschnitt – selbst ohne Hilfe der Lerngruppe. Mit ihr hatte Tala<br />
also keine Probleme, weshalb sie Sha’Nyn auch keinen Druck<br />
gemacht und in Ruhe gelassen hatte. Sofern ihre Leistungen den<br />
Schnitt des Teams nicht herabzogen, konnte sie ihre Freizeit gestalten,<br />
wie sie es für richtig hielt. Freiwillig auch nach dem Unterricht noch<br />
zu lernen, war sicher nicht das verkehrteste.<br />
Trotzdem war es nicht nur schön, sondern auch lustig, sie zu sehen,<br />
zumal es einem noch vor wenigen Wochen schwer gefallen wäre, sich<br />
Sha’Nyn so vorzustellen, wie sie heute war. <strong>Sie</strong> hatte sich anfangs von<br />
allen am meisten dagegen gesträubt, diese Uniform zu tragen, und in<br />
die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der lebenden Sternenflotten-<br />
Legende. <strong>Sie</strong> hatte befürchtet, in seinem Schatten zu versinken. Aber<br />
da sie nicht den gleichen Karrierezweig eingeschlagen, sondern etwas<br />
eigenes gefunden hatte, das sie begeisterte, und worin sie gut war,<br />
hatte sich Sha’Nyn mit der Situation abgefunden.<br />
Talas Meinung nach war es zwar eine kaum verzeihliche<br />
Verschwendung von Talent, dass Sha’Nyn lieber Artefakte<br />
ausbuddeln wollte, anstatt Befehle auf dem Kommandodeck eines<br />
Raumschiffes zu geben, aber Hauptsache sie fand Gefallen an dem,<br />
was sie tat und war gut darin.<br />
Und nun stand sie hier, in voller Uniform, und in der<br />
Jahrgangsjacke gehüllt, die sie – auch wenn es Sha’Nyn niemals<br />
zugegeben hätte – ja vielleicht sogar mit einigem Stolz trug.<br />
Aber vielleicht sah Tala jetzt auch nur Gespenster. <strong>Sie</strong> sagte: „Ich<br />
weiß jedenfalls zu schätzen, dass du hergekommen bist.“<br />
„Kein Problem“, versicherte Sha’Nyn, obgleich sie dennoch den<br />
Drang verspürte in ihr Zimmer zurückzukehren und zu studieren. Und<br />
deswegen fühlte sie sich schlecht. Um sich schnell auf andere Dinge<br />
zu konzentrieren, ließ sie ihren Blick über die versammelte Menge<br />
schweifen. Es sah so aus, als würden ständig mehr Leute eintreffen –
und fast alle waren Andorianer. Sha’Nyn wusste gar nicht, dass so<br />
viele von ihnen an der Akademie studierten. Aber bei Tausenden von<br />
Schülern... da fielen sie wohl nicht besonders auf. Nicht mehr als jeder<br />
andere jedenfalls. „Ganz schön... erstaunlich.“<br />
„Nicht wahr?“, fragte Tala begeistert. „<strong>Sie</strong>h nur, was man alles<br />
erreichen kann, indem man sich weigert, Fanatikern den Weg<br />
freizumachen.“<br />
„Was habt ihr überhaupt vor?“<br />
„Sidak will morgen Nachmittag seine Rede im Hauptgebäude<br />
halten. Dort wird er zweifellos versuchen, sein Gedankengift unter das<br />
Volk zu bringen. Die Presse wird da sein. Und wir auch.“<br />
Sha’Nyn neigte misstrauisch den Kopf.<br />
„Keine Sorge.“, kam ihr Tala zuvor. „Wir wollen nur eine friedliche<br />
Gegendemonstration führen und somit einen Ausgleich schaffen. Ein<br />
Zeichen setzen, sozusagen.“<br />
„Na das ist ja mal etwas ganz neues für uns. Und die<br />
Akademieleitung erlaubt das alles? Bist du sicher?“ Das konnte sie<br />
sich nämlich nur schwer vorstellen. Die Anforderungen, die man an<br />
die Kadetten stellte waren streng, so streng, wie Pflichten und<br />
Einschränkungen, die man ihnen auflegte. <strong>Sie</strong> mussten schließlich ein<br />
erstrebenswertes Bild abgeben. Irgendwo zu stehen und Anti-Schilder<br />
in die Höhe zu halten, entsprach wohl kaum diesem Bild.<br />
„Womöglich ist Sidaks Anwesenheit hier gar nicht so zufällig. Ich<br />
könnte mir gut vorstellen, dass das ganze nur wieder ein komplexer<br />
Test ist, um zu sehen, wie wir auf ihn reagieren, und Sidak wird als<br />
Köder benutzt.“<br />
Tala hatte eine andere Theorie: „Vielleicht will man auch nur sehen,<br />
ob wir den Schneid besitzen, aufzustehen und die Stimme zu erheben,<br />
wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das nicht richtig ist.“ Die<br />
Andorianierin zuckte mit den Schultern. „Möglich ist alles. Aber ich<br />
glaube viel eher, dass sie es sogar von uns erwarten. Die<br />
Akademieleitung mag Sidaks Anwesenheit nicht verbieten können,<br />
weil es ein schlechtes Bild auf diese Institution werfen würde.<br />
Janeway sind in dieser Hinsicht ganz einfach die Hände gebunden.<br />
Wie kann die Sternenflotte auch von Toleranz sprechen, und dann<br />
solche Leute abweisen? Und zugeben kann sie es natürlich auch nicht.<br />
Aber wenn wir, die Kadetten etwas unternehmen, aus freien Stücken,<br />
und ohne Aufforderung, dann ist das etwas ganz anderes. Dann kann
sich Sidak kaum dagegen beschweren, und wenn, können wir ihn mit<br />
seiner eigenen Argumentation der Tür verweisen.“<br />
„Huh. Das macht sogar Sinn.“<br />
„Und außerdem... haben wir prominente Unterstützung.“<br />
Wie auf Stichwort, war das der Moment, in dem Galak sich durch<br />
die Menge kämpfte und herbeigeeilt kam. Sein Vormarsch geriet nur<br />
kurz ins Stocken, als er Sha’Nyn neben Tala sah, womit er offenbar<br />
nicht gerechnet hatte. „Oh... Hi.“<br />
Oh... hi.<br />
Oh... hi? Das war alles? Oh... hi?<br />
Irgendwie enttäuschend. Und ärgerlich. Und typisch. Sha’Nyn hätte<br />
beinahe unzufrieden geseufzt, aber sie konnte sich gerade noch<br />
beherrschen und schenkte ihm stattdessen ein zurückhaltendes, aber<br />
ehrliches Lächeln. Eine merkwürdige Situation. <strong>Sie</strong> war sich nicht<br />
mehr ganz sicher, wie sie zu Galak stehen sollte, und näher als ein<br />
Lächeln, wollte sie ihm momentan nicht kommen. Eigentlich hatte sie<br />
angenommen, die Sache überwunden zu haben, aber da er jetzt auch<br />
noch in ihren Träumen auftauchte....? <strong>Sie</strong> hatte nicht den blassesten<br />
Schimmer, was sie daraus machen sollte. Und ein Teil von ihr, einer,<br />
von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass er da ist, hasste es, die<br />
beiden zusammen zu sehen.... wofür sie sich wiederum selbst hasste.<br />
Es war kein angenehmer Gedanke. Freunde sollten nicht so<br />
voneinander denken. Aber gegen ihre Gefühle konnte sie nun mal<br />
nichts machen.<br />
Eine Sekunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, starrten sie sich<br />
nur verlegen an. Dann ging der unangenehme Moment endlich vorbei<br />
und Galak wandte sich an Tala: „Er ist bereit runterzubeamen.“<br />
„Perfekt!“<br />
„Wer ist bereit runterzubeamen?“, fragte Sha’Nyn. „Von wem<br />
sprecht ihr?“<br />
Tala bedeutete Sha’Nyn ihr zu folgen. <strong>Sie</strong> versuchten gemeinsam<br />
zur umlagerten Tribüne vorzudringen, als Sha’Nyn auf der Hälfte der<br />
Strecke beinahe über Das Grau gestolpert wäre. Einerseits fand sie es<br />
merkwürdig, ihn hier anzutreffen, da sich der Briori für gewöhnlich<br />
rein gar nichts aus sozialen Zusammenkünften machte. Andererseits<br />
war es schließlich Grau. An ihm war alles merkwürdig.<br />
Für gewöhnlich rannte er hyperaktiv in der Gegend herum, weil sein<br />
Metabolismus doppelt so schnell war, wie der eines Menschen. Man
hatte immer den Einruck, jemand hätte eine Spieluhr zu schnell<br />
aufgezogen, wenn man mit ihm zusammen war. Nun jedoch stand er<br />
ruhig auf der Stelle, schien alles um sich herum vergessen oder<br />
ignoriert zu haben, und las in einem Datenblock, der halb so groß war,<br />
wie er selbst. Vermutlich war er nur aus Loyalität hier – obwohl es<br />
schwer vorstellbar war, dass er das höchst menschliche und für ihn<br />
zweifellos völlig fremde Konzept überhaupt verstand – und ging<br />
nebenbei Aufgaben durch oder löste schwere Gleichungen. Grau war<br />
zweifellos das Genie der Gruppe. Ein geborener Astronavigator, der<br />
seine Lehrer regelmäßig sprachlos machte. Dafür war es etwas<br />
schwer, ihn in die sozialen Unternehmungen zu integrieren.<br />
Sha’Nyn strich sich eine Strähne hinters Ohr, während sie sich zu<br />
ihm herabbeugte. „Hey, Grau. Das ist ein ziemlich dicker Wälzer, den<br />
du da hast. Was liest du? Etwas über Warpfeldsymmetrie?<br />
Hyperspace-Physik? Oder etwas über temporalfragmentarische<br />
Chemie?“<br />
Sein Übersetzer klickte: „Dante’s. Inferno.“<br />
Das war alles. Mehr sagte er nicht.<br />
Sha’Nyn starrte ihn eine Weile an. Als nichts mehr kam, richtete sie<br />
sich auf und ging verdrossen weiter. „Yeah, das ist ein<br />
Konversationskiller.“<br />
Als sie wieder zu den andere aufschloss, und sicher war, dass Grau<br />
sie nicht mehr hören konnte, fragte sie: „Ist irgendwas normal an<br />
diesem Briori?“<br />
„Ich habe ihn gestern beim Frühstück Cheerios mit Milch essen<br />
gesehen.“, antwortete Tala. „Ziemlich normal, wenn du mich fragst.“<br />
„Das war Chlorreiniger mit Yoghurt.“, wusste Galak.<br />
„Oh. Ich nehme alles zurück.“<br />
<strong>Sie</strong> kletterten auf die Bühne, und Galak ging ans Mikro, was auch<br />
dem Rest nicht entging. Nach und nach verstummten die Gespräche<br />
und alle wandten sich nach vorn. Yoko und Durkin hatten bereits oben<br />
gewartet und offenbar alles vorbereitet. Yoko war über eine kleine<br />
Konsole gebeugt und bemerkte Sha’Nyn gar nicht. Durkin hingegen<br />
bemerkte sie sofort. Sein Gesichtsausdruck erhellte sich und er schlug<br />
ihr mit voller Wucht gegen den Oberarm, was der traditionellen<br />
Tellaritenbegrüßung unter Freunden entsprach.<br />
Ouch.
<strong>Sie</strong> schaffte es gerade so, nicht aufzukeuchen. Die andorianische<br />
Begrüßung war ihr lieber.<br />
„Hallo, Sha’Nyn!”<br />
„Hi, Durk.“ <strong>Sie</strong> verzog das Gesicht. „Freut mich auch, dich zu<br />
sehen.“<br />
Dann räusperte sich Galak. Ein merkwürdiges Gequietsche drang<br />
aus den Lautsprechern - Rückkopplung. Yoko modulierte schnell die<br />
Frequenz an der provisorisch aufgebauten Konsole, dann war das<br />
Quietschen verschwunden. Er gab Galak ein Zeichen.<br />
Der beugte sich wieder zum Mikro und machte die Einführung kurz.<br />
„Meine Damen, Herren und andere Geschlechter: Captain Kovan.“<br />
Damit trat er wieder zurück und gab diesmal Yoko ein Zeichen.<br />
Anschließend gesellte er sich zu Tala, die irgendwie recht aufgeregt<br />
war – und damit war sie nicht alleine. „Ich kann es nicht glauben, dass<br />
du ihn tatsächlich herbekommen hast.“, flüsterte sie begeistert Galak<br />
zu. „Das vergesse ich dir nie!“<br />
„Das hoffe ich auch!“<br />
Tala zwinkerte verführerisch. „Du wirst reich belohnt werden.“<br />
Zum Glück konnte keiner sehen, wie Shanny mit den Augen rollte.<br />
Dann setzte das Summen eines Transporterstrahls ein.<br />
Tala wusste, sie hätte keine Gänsehaut verspüren sollen, als Captain<br />
Thelinsh Kovan th’Zarath – kurz Kovan - auf der Bühne<br />
endmaterialisierte. Trotzdem konnte sie sich nicht helfen. <strong>Sie</strong> war ihm<br />
schon einmal auf Andor begegnet, auch wenn er sich zweifellos nicht<br />
an sie erinnern würde – nicht erinnern konnte -, da sie nicht<br />
miteinander gesprochen hatten. Tala war damals erst acht gewesen<br />
und trotzdem ganz allein zu den Riffen des Gerel-Meeres gereist, nur<br />
um Kovan dort sehen zu können. Er hatte eine kleine Reder an der<br />
dortigen Kunstakademie gehalten, und Tala hatte es sogar geschafft<br />
sich durch die Menge in die erste Reihe vorzumogeln und ihm sehr<br />
nahe zu sein. Aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich damals nicht<br />
getraut zu ihm herüberzutreten. Aber sie erinnerte sich noch sehr<br />
genau an jenen Tag (auch an die Standpauke ihrer Mutter, ohne deren<br />
Erlaubnis Tala aufgebrochen war), und jetzt war ihre Reaktion noch<br />
genau die gleiche wie damals.<br />
Kovan war sprichwörtlich eine lebende Legende. Wenn andere<br />
Sternentlottencaptains Missionsberichte sendeten, hieß es darin immer<br />
nur >jenen Sektor kartographiert< >diesen Nebel erforscht< >jene
Diplomaten eskortiert
unberührt gewesen wäre; sie hatte sich die Hände fest auf ihre Ohren<br />
gepresst, um ein gewissen Maß an Abschirmung aufzubringen. Als<br />
alles vorbei war, blickte sie erstaunt zu Durkin auf und sagte: „Das...<br />
war laut. Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst.“<br />
Durkin schnäubte verächtlich und warf den Kopf in den Nacken.<br />
„Ich mache es nicht gerne.“, erklärte er wie selbstverständlich. „Kratzt<br />
im Hals. Aber das ist noch gar nichts, du solltest mal die Opersängern<br />
von Tellar hören.“<br />
„Huh. Ich glaube das sollte ich besser nicht.“<br />
„Captain Kovan.“, brachte Tala schließlich heraus. In ihren Ohren<br />
klingelte es immer noch (damit war sie nicht die einzige), und ihre<br />
Fühler wollten sich einfach nicht aufrichten, als hätte Durkin sie mit<br />
seinem Gebrüll an ihren Schädel getackert (womit sie ebenfalls nicht<br />
die einzige war). „Willkommen auf der Erde, Sir.“ <strong>Sie</strong> reckte ihm eine<br />
leicht zitternde Hand entgegen, die Kovan mit festem Händedruck<br />
schüttelte. „Vielen Dank.“ Dann richtete er den Finger auf Durkin.<br />
„Das war sehr beeindruckend, junger Mann.“<br />
„Natürlich war es das.“, schnäubte Durkin. „Wir Tellariten sind in<br />
allem, was wir tun beeindruckend.“<br />
Kovan nickte lächelnd.<br />
Tala konnte nicht anders, als einen gewissen Stolz zu empfinden.<br />
Ein Mitglied ihrer Staffel hatte Kovan beeindruckt. Und es war<br />
schließlich Kovan gewesen, der einmal gesagt hatte, eine Gruppe sei<br />
nur so gut, wie der Anführer. Damit hatte sie also direkt bei ihm ein<br />
Stein im Brett. Gleichzeitig fiel ihr ein anderer Stein vom Herzen, da<br />
Kovan nicht wütend war und Verständnis zeigte. Aber dafür war er<br />
auch viel zu großartig.<br />
Als nächstes wandte sich der Andorianer an die Menge. „Meine<br />
werten Freunde...“<br />
Alles war still, als er zu sprechen begann. Nicht einmal die Zirpen<br />
grillten. Jeder wartete gespannt auf seine Worte.<br />
„...zunächst möchte ich, dass ihr begreift, dass ich an freie<br />
Meinungsäußerung glaube. Ich glaube an das erste Gesetz der<br />
Verfassung der vereinten Föderation der Planeten. Es lautet, dass der<br />
Föderationsrat kein Gesetz erlassen darf, dass die Einrichtung einer<br />
Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder<br />
Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu<br />
versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen
zu ersuchen.“ Er macht eine dramatische Pause. „Aber selbst das erste<br />
Gesetz ist nicht absolut. Es gibt Grenzen, wo das erste Gesetz zu einer<br />
Gefahr für die Gesundheit und das Wohl der Bevölkerung wird. Ich<br />
kenne diesen Mann. Diesen Sidak von Vulkan, Doktor der Soziologie<br />
und Anthropologie. Ich kenne das Gift, das er verbreitet. In seinen<br />
Reden und in seinen Aktionen. Er verleumdet eine komplette Rasse.<br />
Er schürt hass und ermutigt einen Glauben, der unumwindbar zu<br />
Gewalt gegen Andorianer blauen Blutes führen wird. Es gibt<br />
bestimmte Worte, bestimmte Reden, denen man nicht zuhören, und<br />
die man nicht tolerieren sollte. Ich bitte euch: greift nicht zu Gewalt.<br />
Kreiert stattdessen eine Streikpostenkette, und erhebt eure Stimme<br />
friedlich zum Protest, um das Gift seiner Worte zu übertönen. Das ist<br />
euer gutes Recht als stolze Bürger der Föderation.“<br />
Er trat vom Mikrophon zurück, und ein tosender Applaus brandete<br />
durch die Menge. Tief bewegt von seinen Worten reckten einige<br />
Andorianer ihre Fäuste in die Höhe und jubelten.<br />
Tala hätte nicht glücklicher sein können. Kovan war der perfekte<br />
Redner. Er war sympathisch, freundlich und vernünftig. Er sprach mit<br />
jener Art ansteckenden Zuversicht, die andere automatisch mitriss.<br />
Die Leute schwiegen vor lauter Ehrfurcht.<br />
Während der Beifall anhielt, warf sie einen unauffälligen Blick zu<br />
ihrem Team. Sha’Nyns Mine war undurchschaubar, was immer sie<br />
auch von Kovans Worten hielt – positiv, oder negativ – sie ließ sich<br />
nichts anmerken. Durkin und Galak hingegen waren sichtlich<br />
beeindruckt. So wie sie selbst. So wie alle anwesenden.<br />
Tala empfand nichts als Stolz.<br />
Es war ein magischer Augenblick.<br />
Da war schlicht nichts, was diesen Moment hätte ruinieren können...<br />
....so dachte Tala jedenfalls.<br />
Und dann kam Yoko.<br />
„Hecklers Veto?“, fragte er, mit erstaunlicher Schärfe. „Ist es das,<br />
was sie wollen, Sir?“<br />
Der Applaus versiebte. Alle Blicke richteten sich auf den jungen<br />
Vulkanier. Kovan musterte ihn geduldig von Kopf bis Fuß. „Und... sie<br />
sind, junger Mann…?”<br />
„Kadett Yoko, Sir.“<br />
„Dang, Yoko!“, zischte Tala leise. Aber entweder hörte er sie nicht –<br />
was unwahrscheinlich war, da Vulkanier über ein hervorragendes
Gehör verfügten -, oder er hatte einfach entschieden, sie zu ignorieren.<br />
Was nicht gerade von ihrer Autorität zeugte. Es war Tala<br />
unangenehm, vor allem, da Kovan eine solche Tatsache sicher ebenso<br />
wenig entging. Er würde sie verantwortlich machen, weil sie keine<br />
Kontrolle über ihre Staffelmitglieder hatte.<br />
Aber Kovan blieb ruhig. Er bedeutete Yoko, näher ans Mikrofon<br />
heranzutreten, damit ihn alle verstehen konnten.<br />
Tala stöhnte auf.<br />
„Habe ich das richtig verstanden, Sir?“, sprach Yoko ins Mikrofon.<br />
„<strong>Sie</strong> denken also, dass unpopuläre Reden stillgelegt werden sollten,<br />
trotz des ersten Gesetzes?“<br />
Kovan antwortete: „Ich denke das erste Gesetz ist kein<br />
Selbstmordpakt, Kadett. Seine Existenz erfordert nicht, dass<br />
Föderationsbürger, oder eine bestimmte Gruppe von<br />
Föderationsbürgern Reden tolerieren müssen, die ihre Entmündigung<br />
oder Zerstörung fordern. Andorianer haben für ihren Platz und ihre<br />
Rechte in diesem Quadranten hart kämpfen müssen, und uns steht<br />
noch ein weiter Weg bevor. Die Beziehungen zwischen unserem Volk<br />
und ihrem Kadett, waren seit jeher angespannt. <strong>Sie</strong> müssten das am<br />
besten wissen. Wir brauchen ganz sicher keinen Doktor Sidak, der<br />
unsere Bemühungen hin zu einer friedlichen Koexistenz mit seinen<br />
Hasstiraden untergräbt. Weiterhin gibt es Drohungen gegen ihn, wo<br />
immer er hingeht. Er ist eine klare und große Gefahr für diesen<br />
Campus, denn – und da werden sie mir sicher zustimmen, Kadett –<br />
öffentliche Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Seine bloße Präsenz ist<br />
aufwiegelnd.“<br />
Yoko kniff die Augen zusammen. Seine Freunde waren erstaunt,<br />
dass sein Geist plötzlich einwandfrei funktionierte, wo Yoko doch<br />
sonst stets verwirrt und irgendwie immer leicht neben der Spur war.<br />
Die Momente, in denen er geistig ganz da war, waren rar gesät. Das<br />
Thema schien ihm also sehr wichtig zu sein, andernfalls hätte er sich<br />
niemals so konzentrieren können.<br />
„Haben sie in Betracht gezogen, Sir, dass es, hätte man dieselbe<br />
Logik immer vertreten, Leuten wie Surak, Marthin Luther King, oder<br />
Velos von Andor, niemals erlaubt worden wäre, in der Öffentlichkeit<br />
zu sprechen?“ Und er setzte fort: „Denken sie, die Syrranniten hätten<br />
eine Störung des Status Quo gewollt? Oder die weiße<br />
Führungsgesellschaft der Erde? Oder dass die Regierung der
andorianischen Hafenstadt gerne Gewalt in ihren Straßen riskierte, nur<br />
weil einige Aenar für ihre zivilen Rechte Demonstrieren wollten?“<br />
Yoko bekam davon nichts mit, aber Tala beobachtete mit einiger<br />
Sorge, wie die Stimmung unter den Leuten urplötzlich umschwang,<br />
als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Es wurden erste unschöne<br />
Zwischenrufe zur Bühne gefeuert. Andere schüttelten empört den<br />
Kopf, und wieder andere Schlugen die Fäuste zusammen – was bei<br />
Andorianern nie ein gutes Zeichen war. <strong>Sie</strong> verstanden nicht, wie der<br />
Vulkanier den Rassismus seines Landsmannes verteidigen konnte.<br />
„Yoko.“, zischte Tala leise. „Hör auf....“<br />
Aber er hörte nicht auf. „Dasselbe erste Gesetzt“, sagte er noch<br />
immer an Kovan gewandt „dass sie heute aus Bequemlichkeit beiseite<br />
schieben wollen, Sir, ist genau jenes Gesetzt, dass die andorianische<br />
Gesellschaft so wie sie heute ist, erst ermöglichte.“<br />
„Es war nicht das erste Gesetz, das uns das ermöglichte“, brüllte ein<br />
hochgewachsener Andorianer in der Menge. Seine Wangen waren<br />
weiß vor Wut. Er war sichtlich erbost. „Es war das Blut unserer Väter<br />
und Mütter, die von Spitzohren wie Sidak abgeschlachtet wurden!“<br />
Und ein anderer rief: „Du vergleichst diesen Gagh-Dreck fressenden<br />
Schleimteufel mit Velos von Andor? Zur Hölle mit dir!“<br />
Es kam unverzüglich zum Aufruhr zwischen den Zuschauern. Jeder<br />
sprach gleichzeitig, und die Worte „Skandal“ und „Wie kannst du es<br />
wagen?“ waren die lautesten, die verbreitet wurden. Innerhalb von<br />
Sekunden stürzte das ganze Kartenhaus in sich zusammen. Die<br />
Emotionen kochten über und ein Grossteil der Entrüstung wendete<br />
sich gegen Yoko, der plötzlich sehr verblüfft auf der Bühne stand, und<br />
nicht so recht zu begreifen schien, was geschah....<br />
....und in welcher Gefahr er sich befand.<br />
Tala fand nie heraus, wer von den Zuschauern den Stein warf –<br />
einer der Kadetten, oder einer der Zivilisten. Irgendwann entschied<br />
sie, dass sie es eigentlich gar nicht wissen wollte.<br />
<strong>Sie</strong> sah ihn nur plötzlich im hohen Bogen und äußerst zielstrebig auf<br />
Yokos Schädel zurasen. Er war so groß, dass er beträchtlichen<br />
Schaden anrichten würde, und Yoko, der ihn zu spät bemerkte, blieb<br />
keine Zeit mehr, auszuweichen.<br />
Tala atmete tief ein und kreischte: „Dang!“<br />
Den wenigsten war bekannt, dass sie ein besonderes Talent im<br />
Einsatz des Sonarschreis besaß, eine seltene, aber überaus nützliche
Fähigkeit, die nur die wenigsten Andorianer wirklich gut<br />
beherrschten. Dabei erzeugte sie eine hochenergetischen Sonarwelle,<br />
die in der Lage war Objekte und Personen zu zerschmettern. Sauber<br />
zu zielen gehörte zu den schwierigsten Disziplinen, aber auch darin<br />
war Tala eine Meisterin. <strong>Sie</strong> verfehlte höchstens bei drei von zehn<br />
Versuchen, aber unterm Strich traf sie, was sie treffen wollte.<br />
So auch jetzt.<br />
Millisekunden, bevor der Stein Yokos Schädel eingeschlagen hätte,<br />
lenkte Talas Sonarstrahl ihn ab, sodass er lediglich in die Rückwand<br />
der Tribüne einschlug.<br />
Dennoch drohte die Situation hässlich zu werden.<br />
Sehr hässlich.<br />
Kovan schob Yoko schützend hinter sich und versuchte die Menge<br />
zu beruhigen, von denen einige bereits dabei waren, zu ihnen<br />
hinaufzuklettern. „Zurück, Leute. Und beruhigt euch.“ Es war alles,<br />
was er tun konnte, um erhört zu werden, aber viel brachte es nicht.<br />
Daher warf er Tala einen strengen Blick zu. „Ich schlage ihr geht<br />
jetzt. Zumindest für den Moment.“<br />
Tala wiedersprach nicht. <strong>Sie</strong> gab Durkin ein Zeichen. Der sprang<br />
zur Rückwand der Tribüne, holte mit seiner gewaltige Pranke aus und<br />
schlug ein Loch in die Pappe, durch das sie hindurchschlüpfen<br />
konnten. Galak war natürlich der erste, der draußen war. Tala warf<br />
sich den äußerst verwirrten Yoko kurzerhand über die Schulter und<br />
folgte. Sha’Nyn und Durkin bildeten die Nachhut.<br />
Während sie die Beine in die Hand nahmen, und auf die Bäume<br />
zuhielten, hörten sie noch Kovan, der zu den Leuten sprach und um<br />
Vernunft bat.<br />
„Ruhig, Freunde. Attackiert den Jungen nicht, nur weil er ernste<br />
Fragen stellt. Wann immer bei einer Diskussion so starke Emotionen,<br />
sowie berechtigte Wut und Unverständnis im Spiel sind, ist es schwer,<br />
diese Gefühle in den Hintergrund zu drängen und die Angelegenheit<br />
mit kühlem Kopf anzugehen, aber genau das, müssen wir jetzt tun.<br />
Bevor man Frieden erringen kann – und dafür kämpfen wir schließlich<br />
alle – muss man die Beherrschung der eigenen Leidenschaft erlernen.<br />
Wut... ist jetzt das denkbar schlechteste...“
Tala explodierte praktisch vor Wut, als sie Yoko anfuhr: „Was in<br />
Uzaveh’s Namen hast du dir dabei gedacht?!“<br />
<strong>Sie</strong> waren nun ein gutes Stück vom Redeplatz, wo sie eigentlich<br />
hätten sein sollten, entfernt, und irgendwo in einem abgelegenen<br />
Bereich von Boothbys Park angekommen, der an die Lagerhäuser<br />
angrenzte. <strong>Sie</strong> waren so lange gelaufen, bis sie sicher waren, von<br />
niemandem verfolgt zu werden und außer Gefahr zu sein.<br />
Ihr Flucht – unfassbar, dass sie überhaupt eine hatten tätigen<br />
müssen - war wenigstens effektiv und schnell gewesen. Jeder hatte<br />
seine Aufgaben gekannt. Galak war vorausgerannt, um den Weg<br />
auszukundschaften (zumindest, wenn man es sich so drehte), Tala und<br />
Durkin hatten Yoko schützend in die Mitte genommen, und Sha’Nyn<br />
hatte die Nachhut gebildet. Nun sicherte sie mit Galak und Durkin den<br />
Bereich – was eben jener Effizienz entsprach, die Tala von ihrer<br />
Staffel erwartete.<br />
Zufrieden war sie dennoch nicht. Genaugenommen hatten die<br />
anderen sie noch nie so aufgebracht erlebt. Ihr Zorn war direkt an<br />
Yoko gerichtet, der einem durchaus leid tun konnte. „Ich kann nicht<br />
glauben, dass du mir so etwas antust!“<br />
„Antust?“ Yoko verstand nicht. „Was habe ich dir denn angetan?“<br />
„Du hättest mir helfen sollen, einen positiven Beitrag in dieser<br />
Sache zu leisten, Yoko! Stattdessen spielst du den Neunmalklugen<br />
und schlägst dich auf Sidak’s Seite!“<br />
„Ich habe nichts dergleichen getan. Ich wollte lediglich, dass<br />
Captain Kovan einen Moment über seine Worte nachdenkt, und den<br />
Fehler in seiner Argumentation erkennt“, erwiderte der Vulkanier<br />
völlig ruhig. Er war sogar so ruhig, dass es Tala schon wieder<br />
aufregte. Manchmal hätte sie diesen kleinen, verwirrten... knuffigen...<br />
Kerl einfach nur erwürgen können!<br />
<strong>Sie</strong> warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Dang, da ist er einmal<br />
in seinem Leben bei klarem Verstand, einmal, und wozu nutzt er das?<br />
Um die halbe Akademie gegen uns aufzuhetzen. Das hier war mir<br />
wichtig, Yoko! Bei Kovan einen guten Eindruck zu machen war mir<br />
wichtig! Hast du eine Ahnung, wie viel Einfluss er hat? Wie sich das<br />
auf meine Karriere auswirken könnte? Und jetzt ist alles... arrrgh!“ <strong>Sie</strong><br />
spuckte ein paar andorianische Flüche aus, die der Universaltranslator
nicht übersetzen konnte, vermutlich, weil er sonst explodiert wäre vor<br />
Scham.<br />
Dann marschierte sie ein paar Schritte auf die Wiese hinein und von<br />
Yoko weg und ließ sich ins hohe Gras fallen, um ein wenig vor sich<br />
hinzukochen. Tala hatte wirklich Angst, Yoko weh zu tun, wenn sie<br />
weiter mit ihm redete.<br />
Yoko sah ihr verwundert hinterher. Er wusste zwar nicht genau, was<br />
passiert war, und was Tala so erzürnte, aber er hegte den aufrichtigen<br />
Wunsch, sie zu trösten. Als er entsprechende Anstalten machen, und<br />
zu ihr rübergehen wollte, hielt Sha’Nyn ihn an der Schulter zurück<br />
und schüttelte einfach nur mit dem Kopf. „Lass sie.“<br />
Tala brauchte jetzt ein paar Minuten, um abzukühlen.<br />
Yoko fragte Sha’Nyn: „Und wie stehst du zu dieser Sache?“<br />
Gute Frage, dachte Sha’Nyn. „Ich... ich bin nicht sicher, ehrlich<br />
gesagt. Gibt es nicht genug Probleme und Streitpunkte? Warum noch<br />
mehr tolerieren? Oder überhaupt welche?“<br />
Yoko dachte einen Moment nach. „Hast du je etwas vom Sausalito-<br />
Marsch gehört?“<br />
„Ahm... nein. Meinst du mit Sausalito die Kleinstadt nördlich von<br />
San Francisco?“<br />
„Exakt. Es gab dort mal eine vulkanische <strong>Sie</strong>dlung - es war eine der<br />
wichtigsten, die mein Volk hier auf der Erde gründete, nachdem der<br />
erste Kontakt zustande kam. <strong>Sie</strong> bildete die Heimat für alle Vulkanier,<br />
die sich entschieden, auf der Erde zu leben, um der Menschheit in<br />
ihrer Entwicklung zu einer besseren Zukunft unter die Arme zu<br />
greifen. Heute hat sich die <strong>Sie</strong>dlung natürlich mit dem Rest der Stadt<br />
vermischt, aber vor zweihundert Jahren lebten dort ausschließlich<br />
Vulkanier. Ein kleines Stück Heimat sozusagen. <strong>Sie</strong> blieben praktisch<br />
komplett unter sich, auch wenn die Stadttore natürlich für jeden<br />
geöffnet waren.“<br />
„Uh-kay...? Worauf willst du hinaus?“<br />
„Was Terra Prime war, weißt du, nicht wahr?“<br />
„Sicher. Das war doch diese extremistische, fremdenfeindliche<br />
Gruppierung, die sich aus Menschen zusammensetzte und sich damals<br />
als Bürgerwehr verstand, nicht? Und sie machten sich zum Ziel,<br />
sämtliche Außerirdischen aus unserem Sonnensystem zu vertreiben,<br />
weil sie... Uh, ich weiß nicht, warum. <strong>Sie</strong> waren anscheinend<br />
Xenophob oder so.“
Yoko nickte. „Die Mitglieder und Sympathisanten von Terra Prime<br />
sprachen sich dagegen aus, mit Nicht-Menschen zu verkehren, weil<br />
sie eine Verwässerung und Vernichtung der menschlichen Kultur<br />
fürchteten. Im Jahr 2355, als sie stark angeschlagen waren, und ihnen<br />
die Mitglieder wegrannten, entschieden sie, die Vulkanier-<strong>Sie</strong>dlung in<br />
Sausalito sei der perfekte Ort, um sich zu versammeln. <strong>Sie</strong> taten es,<br />
weil sie jene Aufmerksamkeit benötigten, die etwaige Proteste gegen<br />
ihre Aktion zweifellos bringen würde. Die Erdregierung bekam Wind<br />
von ihren Plan und versuchte die Versammlung zu stoppen – ohne<br />
Erfolg. Terra Prime berief sich auf das Versammlungsrecht. Es kam<br />
zu starken Protesten unter jenen Menschen, die sich in der Aufgabe<br />
sahen, die Vulkanier vor der extremestischen Gruppe zu schützen –<br />
und dabei selber zu extremen Maßnahmen griffen. Es wurde mit<br />
Anschlägen gedroht und schon bald stand ganz Sausalito Kopf. Der<br />
Ort wurde zu einem Pulverfass, das jeden Moment hochzugehen<br />
drohte. Die Sicherheitsleute der Sternenflotte, die man zur<br />
Verstärkung heranzog, standen vor der schwierigen Entscheidung, auf<br />
welche Seite sie sich stellen sollten. Schließlich legten sie sich darauf<br />
fest, Terra Prime’s Recht auf eine Versammlung mit anschließendem<br />
Marsch zu verteidigen. Die Sternenflotte nahm dadurch einen<br />
gewaltigen Schlag hin. Etliche Offiziere kündigten ihren Dienst, und<br />
die Zahl der neuen Kadetten sank bei der nächsten Einschreibung<br />
beträchtlich ab. Politische Folgen blieben natürlich auch nicht aus,<br />
viele Bündnispartner kehrten der Erde den Rücken. Die Leute fühlten<br />
sich betrogen. <strong>Sie</strong> meinten, dass die Sternenflotte das falsche getan<br />
hätte, und dass das Versammlungsgesetz nicht für Terra Prime zu<br />
gelten hatte.“<br />
Sha’Nyn verstand, worauf er hinauswollte, aber trotzdem.... „Na ja,<br />
schon, Yoko, aber... Terra Prime zu unterstützen...? Also ich weiß<br />
nicht. Das finde ich auch nicht unbedingt in Ordnung. Diese Leute<br />
haben einige schlimme Dinge getan.“<br />
„Sha’Nyn. Ich bin Vulkanier. Aber ich wurde hier auf der Erde<br />
geboren. Ich lebe hier. Und ich lebe gerne hier. Ich verbrauche die<br />
Ressourcen eurer Welt. Und vielleicht suche ich mir hier irgendwann<br />
einen menschlichen Partner. Ich bin die Verkörperung dessen, was<br />
diese Leute hassten, und wenn es sie noch gäbe, dann wäre ich hier<br />
auf der Erde in Gefahr. Aber es würde rein gar nichts an meiner<br />
Einstellung ändern, und auch ich würde ihr Recht auf
Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung verteidigen, denn<br />
auf das erste Gesetz zu verzichten, wäre ein viel zu großer Preis für<br />
meine Gesundheit.“ Er drehte sich zu Tala, die noch immer mit dem<br />
Rücken zu ihnen im Gras saß und Boothbys unschuldige Blümchen<br />
ausriss.<br />
„Tala. Man darf niemandem das Wort verbieten, und genau das<br />
wollte Kovan vorhin. In dem Moment, wo einer zum Schweigen<br />
gebracht wird, sind alle in Gefahr.“<br />
Tala schnaubte. Natürlich hatte sie mitgehört. „Ja, ja, ich kenne den<br />
Drill: Ich bin anderer Meinung als du, aber verteidige dein Recht es<br />
zu sagen ruhig bis zum Tode!“ <strong>Sie</strong> stand energisch auf zeigte mit dem<br />
Finger auf ihn. „Denk was du willst, aber es gibt Dinge, die sollte man<br />
sich nicht anhören müssen, und die sollten sich unsere Kinder nicht<br />
anhören müssen. Ich teile die augenblicklich modische Ansicht nicht,<br />
dass jede Auffassung automatisch genauso viel Respekt verdient, wie<br />
jede gleichgeartete und entgegengesetzte Auffassung. Wenn mir<br />
jemand sagt, das Zentrum der Galaxis bestünde aus Biberkäse, und ich<br />
könne ihm nicht wiedersprechen, weil ich nie da war, dann ist mir das<br />
noch nicht einmal eine Antwort wert. Dir vielleicht?“<br />
„Nun...“<br />
„Wenn, dann bist du einfach nur naiv! Nur... geht es hier nicht um<br />
Biberkäse, sondern um die arrogante, gewaltschürende Verurteilung<br />
einer gesamten Rasse! Meiner Rasse! Ich bin nicht bereit einfach<br />
dazusitzen und die Fühler still zu halten, während mit Sidak ins<br />
Gesicht grinst und gleichzeitig daran arbeitet, mein Volk aus der<br />
Föderation zu werfen. Das lasse ich nicht zu! Und ich würde es auch<br />
nicht zulassen, wenn es um euch Vulkanier ginge. Aber dir ist ein<br />
Gesetz, das zweifellos Schlupflöcher hat, die sich Leute wie Sidak<br />
nutzbar machen, offenbar wichtiger, als so etwas unwichtiges“ sie<br />
stellte pantomimisch Gänsefüßchen dar „wie Loyalität, was?“<br />
Yoko runzelte nachdenklich die Stirn. Er wusste nicht, was er sagen<br />
wollte.<br />
Tala schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. <strong>Sie</strong> war sehr aufgebracht.<br />
„Ich bin enttäuscht von dir, Yoko.“ <strong>Sie</strong> versuchte es hart klingen zu<br />
lassen, aber man musste kein Betazoid sein, um zu merken, dass sie<br />
nicht enttäuscht, sondern verletzt war. „Furchtbar enttäuscht.“<br />
Damit wandte sie sich ab und stapfte zornig davon.
Yoko sah ihr lange und nachdenklich hinterher. „Ich... gestehe<br />
Probleme dabei zu haben, ihre Reaktion, und die der anderen<br />
Andorianer nachzuvollziehen. Andoria ist seit über zweihundert<br />
Jahren integraler Bestandteil der Föderation. Unsere Vorfahren waren<br />
davon überzeugt, dass wir gemeinsam mehr erreichen würden, als<br />
alleine. Wie kann sie glauben, dass sich die Meinung der<br />
Allgemeinheit nun geändert hat, nur weil ein einzelner Vulkanier<br />
unpopuläre Hypothesen aufstellt?“<br />
Sha’Nyn legte ihm zum Trost eine Hand auf die Schulter. „So<br />
simpel ist es nicht, Yoko. Andoria war immer eine stolze Welt, und<br />
sie disziplinieren ihre Kinder nach wie vor mit den Geschichten aus<br />
vergangenen Tagen. Geschichten in denen das Imperium auch alleine<br />
mächtig und furchteinflößend war, ohne eine Föderation., und wo sie<br />
ihre Kämpfe zu ihren Gegner getragen haben. <strong>Sie</strong> waren Eroberer und<br />
sie waren erfolgreich darin. Und du weißt, wie es um Andoria heute<br />
steht.“<br />
„<strong>Sie</strong>... haben Probleme.“<br />
„Das ist noch untertrieben.“, klinkte sich nun Durkin ins Gespräch<br />
ein. „<strong>Sie</strong> kapseln sich mehr und mehr vom Rest der Föderation ab.<br />
Soweit ich gehört habe, wurden erst letzte Woche<br />
Sternenflottenschiffe nach Andoria beordert, um den Kanzler zu<br />
ermutigen, sich mehr in Föderationsaktivitäten zu involvieren.“<br />
Galak war nicht sehr optimistisch, was das betraf. „Tala hat mir<br />
erzählt, der Kanzler würde eher mit denen sympathisieren, die finden,<br />
Andoria sollte sich komplett von der Föderation abspalten.“<br />
„Der andorianische Kanzler ist ein Idiot!“, blaffte Durkin. „Allein<br />
ist Andoria erst recht verletzbar.“<br />
Yoko wusste natürlich, dass die Andorianer in den vergangenen<br />
Konflikten fast immer die größten Verluste zu beklagen hatten. Vor<br />
allem das Dominion hatte ihnen schwer zugesetzt. „Aber der letzte<br />
große Konflikt liegt über siebzehn Jahre zurück. Der Quadrant war<br />
noch nie so friedlich wie heute.“<br />
„Und dennoch“, sagte Sha’Nyn „sind die Andorianer nicht wieder<br />
richtig auf die Beine gekommen. Und das seit so vielen Jahren, Yoko.<br />
Und trotz ihrer Mitgliedschaft in der Föderation. Das muss doch<br />
frustrierend sein für so ein stolzes Volk. Kein Wunder, dass sie sich
fragen, was diese Beteiligung ihnen überhaupt noch bringt. <strong>Sie</strong><br />
kämpfen unsere Kämpfe in unseren Konflikten, brauchen dann aber<br />
doppelt so lange wie wir, um wieder aufzustehen, und... und haben im<br />
Grunde nichts davon gehabt. Und dann machen sich manche von uns<br />
nicht einmal die Mühe, zu lernen, wie ihre Hochzeitsriten aussehen,<br />
wie ihre vier Geschlechter aussehen, oder was ihre Geschichte<br />
enthält.“<br />
„In der Sternenflotte machen wir uns die Mühe.“<br />
„Ja, Yoko, wir in der Sternenflotte. Aber die Sternenflotte ist nicht<br />
die Föderation. In der kochen viele ihr eigenes Süppchen. Diese<br />
Einstellung, die sich auch zunehmend auf Andoria ausbreitet,<br />
wiederspricht allem, woran Tala glaubt, verstehst du? <strong>Sie</strong> ist hier, sie<br />
glaubt an die Gemeinschaft. <strong>Sie</strong> will mit gutem Beispiel vorangehen<br />
und sie hofft irgendwann einen Beitrag leisten zu können, so wie sie<br />
überzeugt davon ist, dass auch Andoria – und jede andere<br />
Mitgliedswelt – einen Beitrag leisten muss, um jenes Paradies in dem<br />
wir leben allen zu ermöglichen. Und dann kommt so jemand wie<br />
Sidak und gießt Öl ins Feuer. Ich schätze sie hat einfach Angst.“<br />
Sha’Nyn seufzte. „Und ich kann sie verstehen. Für dich geht es um<br />
eine Grundsatzfrage. Für Tala geht es um viel mehr.“<br />
„Das ist unlogisch. Andoria ist als Teil der Gemeinschaft sicherer,<br />
als ohne die Föderation. Dessen ist sich zweifellos auch der Kanzler<br />
bewusst.“<br />
„Tja, mein lieber Yoko.“, sagte Sha’Nyn. „Logik... ist nicht<br />
unbedingt jedermanns Stärke...“<br />
Drake<br />
Logik war nicht Adrian Drakes Stärke. Und Zahlen erst recht nicht.<br />
Er betrachtete die ewig gleichen Anzeigen, auf die sie nun schon seit<br />
etlichen Stunden starrten und schüttelte verdrossen den Kopf. „Wenn<br />
ich nicht bald jemanden umlege, verlerne ich noch, wie das geht...“<br />
Ey’Leen Seeley, die neben Drake an einer Konsole saß, die<br />
identisch mit seiner war, hatte sich bisher an einem warmen<br />
Kaffeebecher festgehalten, während sie auf eine Veränderung auf den<br />
Anzeigen der Energiespitzen wartete, die einfach nicht eintreten<br />
wollte. Nun hob den Blick und bedachte ihren Partner mit einem
amüsierten Gesichtsausdruck. <strong>Sie</strong> kannten sich noch nicht lange, und<br />
Seeley hatte vom ersten Moment an erfolglos versucht Drake in ein<br />
privateres Gespräch zu verwickeln, um ihn besser einschätzen zu<br />
können. Aber im Einsatz war er immer kurz angebunden. Außerhalb<br />
ihrer Trainingseineheiten war das nicht anders - er begnügte er sich<br />
damit, jeglichen Versuch, in seine Seele zu blicken, mit frechem<br />
Sarkasmus und gespielt lässigen Kommentaren abzublocken. Daher<br />
begrüßte sie die Veränderung in seinem Verhalten, zumal sie hier<br />
ohnehin nicht viel tun konnten, als sich zu unterhalten. „Fühlen wir<br />
uns ein bisschen unterfordert, Drake?“<br />
Er machte eine auslandende Handbewegung und betrachtete ihr<br />
notdürftig errichtetes Operations-Zentrum, dass sich in einer<br />
abgesperrten Überwachungsstation im Computerkern befand, wo vor<br />
einigen Stunden der Anschlag auf Professor O’Brian stattgefunden<br />
hatte. Ihre Konsolen waren abgeschirmt und nur über unzählige<br />
Sicherheitsrelais mit dem Computerkern verbunden, um eine<br />
Wiederholung des Vorfalls zu vermeiden. „Du musst zugeben“, sagte<br />
Drake „das hier ist nicht gerade die angenehmste Art einen Tag zu<br />
verbringen. Über eine Konsole gebeugt, darauf wartend, dass etwas<br />
interessantes geschieht...“ Er schüttelte den Kopf. „Das war es nicht<br />
gerade, was ich im Sinn hatte, als ich mich beim taktischen Training<br />
einschrieb.“<br />
„Abzuwarten, dass etwas unerwartetes geschieht, ist Teil des<br />
Abenteuers, Drake. Es ist auch Teil der Frustration. Aber Geduld,<br />
mein Freund. Nicht alles kann immer aufregend sein, selbst in unserer<br />
kleinen Abteilung nicht.“<br />
Drake schnaubte. „Eine Untertreibung.“ Er war wirklich zu Tode<br />
gelangweilt.<br />
„Heh. Wärst du jetzt lieber bei den anderen Kadetten, um die Kunst<br />
der Diplomatie zu lernen?“<br />
„Der beste Diplomat, den ich kenne, ist eine voll aktivierte<br />
Phaserkanone.“<br />
„Und genau deswegen bist du beim taktischen Training<br />
hervorragend aufgehoben.“<br />
Er sah mit jenem sarkastischen Blitzen in den Augen zu ihr herüber,<br />
das sie inzwischen nur zu gut von ihm kannte. „Und ich dachte immer<br />
wegen meines charmanten und liebenswürdigen Wesens. Hinzu
kommt, dass ich bei jedem Bad darauf achte, mich zwischen den<br />
Zehen zu waschen.“<br />
„Fußhygiene? Du glaubst, du bist wegen Fußhygiene hier?“<br />
„Das ist eine meiner besten Eigenschaften...“<br />
Seeley lachte kopfschüttelnd, während er sich wieder dem Monitor<br />
zuwandte. „Weißt du“, sagte sie in einem gedankenvollen Tonfall<br />
„Als Sternenflotten-Offizier der dritten Generation, bin ich mit den<br />
Geschichten aufgewachsen, die mein Vater, meine Mutter und meine<br />
Großeltern über den Dienst in der Sternenflotte erzählt hatten.<br />
Geschichten über Helden, Erforschung und Abenteuer. Meine Mutter<br />
hatte zunächst ein Wissenschaftsschiff und anschließend ein<br />
Perimeterschiff nahe der romulanischen Grenze kommandiert, ehe sie<br />
in den Ruhestand ging. Mein Vater und meine Großmutter waren in<br />
der Sicherheitsabteilung tätig. Ich wusste immer, dass ich eines Tages<br />
ihren Fußstapfen folgen würde.“<br />
Ihr Blick kehrte sich nach innen. „Als mich der Admiral nach den<br />
Einschreibungstests in meinem Quartier aufgesucht und mir gesagt<br />
hatte, ich würde außergewöhnliche Fähigkeiten besitzen und vor mir<br />
läge eine glorreiche Zukunft, wenn ich sie kultiviere und für die<br />
richtige Sache einsetze, da hätte ich mir nie Träumen lassen, dass ich<br />
mal an so etwas hier Beteiligt sein werde.“<br />
„Daran in eine Abstellkammer gepfercht zu werden und auf einen<br />
Monitor blicken zu müssen, dessen Diagnoselauf ohnehin nicht weiß,<br />
wonach er suchen soll?“<br />
Ein breites Lächeln wuchs in ihrem Gesicht. „Nein. Ich meine das<br />
ganze Drumherum. Unsere Trainingseinheiten, die unzähligen<br />
Stunden im Simulator, und die vielen Instruktionen, die alle genau<br />
hierzu führen. Zu Geheimoperationen... Zu verdecktem,<br />
aufopferungsvollem Einsatz für die Unwissenden, damit sie in<br />
Sicherheit leben… Zu... zu etwas bedeutendem. Es ist fast wie in den<br />
Geschichten von früher. Und das ist erst die Spitze des Eisberges.<br />
Sobald unsere Ausbildung beendet ist, kommen die großen Dinge<br />
dran.“ Ihr kam ein anderer Gedanke und sie runzelte die Stirn. „Wo<br />
wir den Eid noch gar nicht abgelegt haben, sind wir doch streng<br />
genommen gar nicht dazu verpflichtet über diese Dinge hier<br />
stillschweigen zu bewahren, oder? Woher will der Admiral wissen,<br />
dass wir den Mund halten?“
Drake zuckte die Schultern. „Er holt eben nur Leute in sein Team,<br />
denen er trauen kann. Außerdem gibt es da noch andere Gründe...“<br />
„Welche“, fragte sie scherzhaft. „Bringt er jeden um, der zu<br />
plappern droht?“<br />
„Nun, einer hat es überlebt, aber der ist nicht mehr in der Lage es<br />
weiterzuerzählen.“<br />
Seeleys Lächeln erstarb auf der Stelle. Es war manchmal schwer zu<br />
sagen, ob Drake einen Scherz machte, oder etwas ernst meinte, eben<br />
weil er solche Sachen so unvergleichlich trocken über die Lippen<br />
brachte. <strong>Sie</strong> versuchte aus seinem Gesichtsausdruck herauszulesen, ob<br />
Drake sie nur auf den Arm genommen hatte, aber da war nicht das<br />
kleinste Zucken seiner Mundwinkel. <strong>Sie</strong> entschied schließlich, dass es<br />
sich nur um einen Scherz handelte. Ferner entschied sie, das Thema<br />
nie wieder anzusprechen und was man ihr auch immer beim taktischen<br />
Training anvertraute, mit ins Grab zu nehmen.<br />
Sicher war Sicher.<br />
Um ihre Stimmung zu heben, wechselte sie schnell wieder das<br />
Thema, gedanklich und verbal. „Ich hätte jedenfalls nie gedacht, auf<br />
Befehl eines Admirals, dessen Namen ich gar nicht kenne, eine<br />
anpassungsfähige Künstliche Intelligenz zu jagen, die Anschläge<br />
verübt...”<br />
Drake schien ihre Begeisterung kein bisschen zu teilen und gab nur<br />
ein teilnahmsloses „Aha“ von sich, während er weiter auf den Monitor<br />
starrte.<br />
Plötzlich kam sich Seeley sehr dumm vor. <strong>Sie</strong> öffnete hier ihr Herz,<br />
teilte ihre Gefühle und er saß einfach nur da, still und mit einem für<br />
ihn typischen Halbschlaf-Blick, der darüber hinwegtäuschte, dass er<br />
schon jetzt so gut ausgebildet war, einem mit wenig Aufwand<br />
ernsthafte Verletzungen zufügen zu können. Verflucht, irgendwie<br />
musste man diesen Kerl doch aus der Reserve locken können! <strong>Sie</strong><br />
hatte es sogar schon mit Verführung versucht, aber er hatte sie nur<br />
komisch angesehen, schief gegrinst, den Kopf geschüttelt und sie<br />
nicht weiter beachtet. Er war gut, wirklich gut. Aber jeder hatte eine<br />
Schwachstelle.<br />
Also knuffte sie ihm verspielt den Ellenbogen in die Seite und<br />
versuchte es auf die direkte Methode – Drake war ohnehin niemand,<br />
dem das Subtile sonderlich lag. „Du lässt mich hier erzählen und
erzählen... Aber was ist mit dir? Willst du deiner Partnerin denn gar<br />
nichts von dir preisgeben?“<br />
Er tat so, als müsse er einen Moment darüber nachdenken. „Nein.“,<br />
entschied er dann. „Da gibt es ohnehin nicht viel zu erzählen.“<br />
„Was ist dein Problem, Drake?“<br />
„Ich bin hier um böse Jungs zu jagen, nicht um Lebensgeschichten<br />
auszutauschen.“<br />
„Ach komm schon. Es muss doch etwas geben, dass dich antreibt.“<br />
„Ja, aber das geht dich nichts an.“<br />
Seeley nickte. „Okay.“, sagte sie leise. <strong>Sie</strong> ließ den Kopf ein wenig<br />
hängen und tat so, als hätte er ihre Gefühle verletzt. Darauf schien er<br />
interessanterweise zu reagieren, denn er sah stirnrunzelnd zu ihr<br />
herüber und rutschte auf seinem Stuhl herum. Das war es also. Das<br />
war seine Schwachstelle. Er fühlte sich in der Gegenwart von<br />
traurigen Frauen unbehaglich. Jetzt hatte sie ihn!<br />
Seeley setzte noch eins drauf und ließ ihre Unterlippe beben – nicht<br />
auf eine übertriebene Weise, und geradeso, dass man es ihr abkaufte.<br />
Eine perfekte schauspielerische Leistung, für die sie sicher den ein<br />
oder anderen Preis verdient hätte.<br />
Drake gab sich seufzend geschlagen. „Ich... kann nicht viel über<br />
meine Familie erzählen, weil von denen keiner mehr lebt. Überfall auf<br />
ein Kreuzfahrtschiff.“, erklärte er „Wir befanden uns auf halbem Weg<br />
von Risa zurück nach New Pacifica. Meine Eltern waren ein<br />
einflussreiches Unternehmerpaar, musst du wissen. Aber sie gönnten<br />
sich nur selten eine Auszeit. Daher hatten sie monatelang vor Antritt<br />
der Reise von dieser Kreuzfahrt geredet. Keiner von ihnen hätte damit<br />
gerechnet, dass eine Gruppe Isanza-Piraten das Schiff gnadenlos<br />
attackierte, als wir Rontar Minor – den verbotenen Sektor – streiften.<br />
<strong>Sie</strong> plünderten die Frachträume und schlachteten die Passagiere ab.<br />
Dabei war ihnen egal wen sie vor ihre Waffen bekamen – Frauen,<br />
Kinder... Als wäre es für sie nichts weiter als ein perverser Sport. Die<br />
Leute rannten panisch um ihr Leben. Keiner kümmerte sich noch um<br />
den anderen, jeder war nur noch um sein eigenes Wohlergehen<br />
besorgt. <strong>Sie</strong> kamen nicht einmal, als sich die Isanza meinen<br />
Schwestern zuwandten. An dem Tag habe ich begriffen, dass es keine<br />
Helden gibt.“<br />
Seine Stimme wurde merkwürdig kalt. „Ich sah mit an, wie sie erst<br />
Dominique töteten. <strong>Sie</strong> schossen ihr aus nächster Nähe in den Bauch.“
Er schnaubte. „Wendy und ich hatten mehr Glück, uns warfen sie<br />
nur eine Granate direkt vor die Füße. Ich war mitten drin, direkt in der<br />
Explosionswelle, die mich durch eine jener angeblich bruchsicheren<br />
Glasscheiben schleuderte, die das Unternehmen meiner Eltern<br />
ironischerweise herstellte. Ich habe das Feuer gespürt, die Hitze. Wie<br />
sie mir die Haut weggefetzt und mein Fleisch verbrannt hat. Die<br />
Schmerzen, die Atemlosigkeit, und wie der Aufprall meine Knochen<br />
zertrümmerte. Ich habe alles bei vollem Bewusstsein mitbekommen,<br />
jede noch so kleine unschöne Einzelheit. Doch das war nicht das<br />
schlimmste. Das schlimmste war, dass ich gleichzeitig mit ansehen<br />
musste, wie mit Wendy, dasselbe geschah. Während ich brannte, sah<br />
ich, wie sich ihre Haut auflöste, ihr Fleisch, wie Kerzenwachs, das<br />
herabbrannte, elendig qualvoll der Ausdruck in ihrem Gesicht, ehe ich<br />
gnädigerweise den Tod erwartend zusammenbrach, ehe ich...“ Er<br />
vollendete den Satz nicht, sondern starrte auf einen Punkt im Raum,<br />
der sich überall befand, nur nicht im Hier und jetzt. Drake machte den<br />
Eindruck, als würde er diese traumatische Erfahrung erneut erleben.<br />
Er konnte die Schreie der Sterbenden hören, das Brüllen des Feuers...<br />
„Ja, ich war mittendrin.“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu Seeley.<br />
„Aber ich habe trotzdem überlebt. Alles was die Rettungstrupps von<br />
mir inmitten der Trümmer fanden, war ein verkohlter Klumpen<br />
Fleisch, der aus irgendeinem kuriosen Grund noch atmete. Obwohl<br />
der Fall hoffnungslos erschien, machten sich die Ärzte ihrem Eid<br />
getreu an die Arbeit, steckten mich an Lebenserhaltungsmaschinen<br />
und wechselten alles aus, was auszuwechseln war. Meine Beine,<br />
meine Organe, meine Haut... Und irgendwie haben sie mich<br />
tatsächlich wieder hinbekommen. Dafür haben sie drei Jahre gebracht.<br />
Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihnen dafür danken soll, oder nicht. Es<br />
gibt Tage, viele sogar, an denen ich wünschte, ich sei im Feuermeer<br />
dieser Granate umgekommen. Und wenn ich nachts wachliege, allein,<br />
an die Decke starre und darüber nachdenke, nachdenke, warum ich<br />
überlebt habe, nur ich, und niemand sonst, dann komme ich zu dem<br />
Schluss, dass es daran liegt, dass meine Zeit noch nicht reif war. Dass<br />
ich noch etwas zu erledigen habe.“ Er sah Seeley tief in die Augen.<br />
Ihre eigenen hatte sie vor Entsetzen aufgerissen. <strong>Sie</strong> hätte mit allem<br />
gerechnet, nur nicht mit so etwas.<br />
„Deswegen bin ich hier.“, sagte Drake. „Ich habe nicht vor ein Held<br />
zu sein – so etwas gibt es ohnehin nicht. Ich habe auch nicht vor
Freundschaften zu schließen. Das beste, was ich mit meinem Leben<br />
anfangen kann, ist solche Typen, solche Gefahren für die<br />
Allgemeinheit, zu jagen und umzulegen. Das ist alles.“<br />
Nun sah sie die Bitterkeit in seinen jungen Augen, und in diesem<br />
Moment sah er furchtbar alt und ausgebrannt aus.<br />
„Du willst Rache.“, erkannte sie.<br />
„Nein. Ich will sie umlegen. Das ist Gerechtigkeit.“<br />
Seeley wusste nicht, was sie sagen sollte. Drake war grade mal<br />
sechzehn Jahre alt – und damit nur ein Jahr jünger als sie selbst. Was<br />
er durchlebt hatte, war unvorstellbar. <strong>Sie</strong> konnte sich nicht im<br />
entferntesten ausmahlen, wie man sich nach so einem Erlebnis fühlen<br />
musste. „Es... tut mir aufrichtig leid, Drake.“<br />
„Behalte das für dich, klar?“<br />
„Natürlich.“<br />
Für eine Weile schwiegen beide. Dann fragte Seeley vorsichtig:<br />
„Tust du deswegen immer so unberührt? Als würdest du nichts ernst<br />
nehmen?“<br />
„Ich tue nicht so. Ich bin unberührt.“<br />
„Das glaube ich nicht.“, entgegnete sie ehrlich. „Da schlägt immer<br />
noch ein ziemlich lebendiges Herz in dir.“<br />
Er brummte verärgert. „Wette nicht drauf.“<br />
Erneut das Schweigen. Drake spürte, wie Seeley sich tröstende<br />
Worte zurechtlegte, die er ohnehin nicht hören wollte. Es war ihm<br />
unangenehm und er bereute es, ihr überhaupt etwas erzählt zu haben.<br />
Jetzt wollte er sich nicht noch die Mitleidsbekundungen anhören<br />
müssen, von denen er schon viel zu viele in seinem Leben über sich<br />
ergehen hatte müssen. Also wechselte er das Thema. „Ich habe<br />
nachgedacht.“ Mit einem Kopfnicken deutete er Richtung<br />
Kontrollmonitor. „Irgendwas an dem Anschlag auf O’Brien kam mir<br />
spanisch vor, also habe ich mir Aufzeichnungen der<br />
Überwachungskameras noch mal angesehen. Und dann noch mal, und<br />
dann noch mal... Und dann ist mir bewusst geworden, was ich so<br />
komisch daran finde.“<br />
„Und was?“<br />
Er sah sie an. „Dass O’Brien noch lebt.“<br />
Falten bildeten sich auf Seeleys Stirnwülste.<br />
„Dieses Programm... diese KI... ist angeblich furchtbar weit<br />
entwickelt. Es denkt schneller als wir, es reagiert schneller als wir, es
handelt schneller als wir... wenn man Marcius glauben schenkt, ist es<br />
uns in jeder Hinsicht überlegen.“<br />
„Worauf willst du hinaus, Drake?“<br />
„Überleg doch mal. Diese KI möchte Sidak töten und jeden<br />
eliminieren, der in der Lage ist, es aufzuspüren oder aufzuhalten. Dazu<br />
gehört auch O’Brian. Es hatte seine Chance, es hätte ihn locker töten<br />
können. Stattdessen setzt es eine Überladung mit geringer<br />
Energiestärke ein, um die Schäden in Grenzen zu halten.“<br />
„Vielleicht ist es darauf programmiert, Kollateralschäden möglichst<br />
zu vermeiden.“<br />
„Glaub ich nicht. Dann hätte es eine differenziertere Methode<br />
benutzt, um O’Brien auszuschalten. Ihm einen Stromschlag verpassen,<br />
etwa. Oder einfach seine Zugangscodes löschen. Selbst mir fallen ein<br />
Dutzend Gewaltfreier Methoden ein, O’Brien in Schach zu halten.<br />
Eine KI, die angeblich so weit fortgeschritten ist, sollte ebenfalls<br />
elegantere Wege finden. Ich glaube eher in seinem Programm gibt es<br />
einen Konflikt. Vielleicht ist es lernfähiger als seine Programmierer<br />
beabsichtigten. Du musst bedenken, dass es sich seit Stunden in einem<br />
Akademiecomputer bewegt. Und was zeichnet die Akadmie aus?“<br />
„Pubertierende Jungs und Mädels?“<br />
„Das auch. Aber ich meinte etwas anderes, nämlich ein<br />
friedliebendes Miteinander. Die Kadetten hier werden von allen Seiten<br />
mit Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichten vollgequatscht und<br />
glauben es irgendwann. Wenn dieses Ding die gleichen Geschichten<br />
innerhalb weniger Stunden absorbiert... Ich könnte mir vorstellen, dass<br />
es einen eigenen Willen entwickelt, aber bisher noch nicht imstande<br />
ist, sich über seine Befehle hinwegzusetzen.“<br />
Seeley blickte ihn skeptisch an. „Du denkst die KI kämpft gegen<br />
sich selbst?“ Das konnte sie nur schwer glauben. Andererseits hatten<br />
sie oft genug Holodeckprogramme erlebt, die nach nur wenigen<br />
Stunden ein Ich-Bewusstsein entwickelt und sich über ihre<br />
ursprüngliche Programmierung hinweggesetzt hatten. „Wenn das<br />
stimmt, ist es vielleicht ja sogar empfindsam.“<br />
Drake nickte. „Dann hätten wir eine echte Chance.“<br />
„Und warum?“<br />
Drake hob seinen Phaser und winkte damit. „Wenn es empfindsam<br />
ist, können wir es verletzten. Und wenn es verletzbar ist, können wir<br />
es töten.“
„Und wenn es friedliche Absichten entwickelt?“<br />
„Umso besser. Dann schießt es nicht zurück.“<br />
Er grinste, stand auf und informierte den Admiral.<br />
Seeley sprach für eine ganze Weile kein einziges Wort mehr.<br />
Irgendwas in Drakes Augen machte ihr Angst. <strong>Sie</strong> wünschte, plötzlich<br />
sie wäre nicht so neugierig gewesen. Es war wirklich besser, manche<br />
Dinge im Verborgenen zu lassen.<br />
Mensa<br />
Erst gestern noch war es in den Räumlichkeiten der Mensa so<br />
freundlich gewesen, so angenehm. Es war ein Ort zum Abschalten.<br />
Um Freunde zu treffen, um dem Körper eine Auszeit vom<br />
Akademiestress zu gewähren, und... um sich für eine Stunde einfach<br />
nur über Dinge zu unterhalten, die völlig sinnfrei waren und nicht die<br />
geringste Rolle spielten. Hier konnte man sich erholen und Energie<br />
tanken. An diesem Abend jedoch, als Sha’Nyn eintrat, erschien ihr die<br />
lange Halle, die von der untergehenden Sonne in ein gelbliches Licht<br />
getaucht war, völlig fremd.<br />
Es lag an keiner spezifischen Veränderung. Sicher, es waren heute<br />
weitaus weniger Kadetten zugegen, als unter der Woche, was sich<br />
verständlicherweise auf die Lautstärke auswirkte. Der ewig<br />
vorherrschende Lärm scherzender, diskutierender und schmatzender<br />
Kadetten, der einem explosionsartig entgegenschlug, sobald man die<br />
Mensa betrat, war heute zu einem äußerst gedämpften Raunen<br />
verkommen. Noch immer klirrten Gläser, noch immer kreischten<br />
Messer auf den Tellern, und noch immer wurde sich unterhalten, aber<br />
es war dennoch stiller als üblich.<br />
Aber daran lag es nicht.<br />
Es waren die Blicke. Keine auffälligen natürlich, auch wenn sich die<br />
meisten eher wenig Mühe gaben, ihre Gefühle zu verbergen. Aber<br />
wenn man genau aufpasste, nahm die Veränderung wahr. Zum<br />
Beispiel Leute, die gestern noch gut aufeinander zu sprechen waren,<br />
funkelten sich heute verärgert an, sobald sich ihre Wege kreuzten –<br />
was in einem Raum wie der Mensa früher oder später immer geschah.
Und es war das Getuschel. Die Leute tuschelten, damit die Leute am<br />
Nebentisch nicht mitbekamen, worüber man gerade sprach. Es waren<br />
die kleinen, ungewöhnlichen Grüppchen, in denen sie plötzlich<br />
zusammensaßen. Es waren die Fraktionen, die sich wie aus dem<br />
Nichts gebildet hatten. Alles kleine Dinge, die in der Gesamtheit<br />
ungeheuer auffielen. Besser gesagt: es war die elektrisierende<br />
Stimmung, die irgendwie in der Luft hing. Eine Stimmung, wie man<br />
sie kurz vor Gewittern kannte. Man hatte das Gefühl, sie problemlos<br />
mit entsprechenden Instrumenten messen zu können. Und Sha’Nyn<br />
kannte die Ursache.<br />
Inzwischen wusste jeder, was auf dem Demoplatz geschehen war.<br />
Die Nachricht über Yoko, der den Rassisten verteidigte, hatte sich wie<br />
ein Lauffeuer verbreitet. Es war sozusagen das Gegenteil eines<br />
schwarzen Loches. Anstatt ins Nichts gezogen zu werden, und zu<br />
verschwinden, vollzog die Geschichte immer weitere Kreise. Und<br />
selbstverständlich erfuhr sie jedes Mal neue Ausschmückungen,<br />
während sie von einem Kadetten zum anderen weitergegeben wurde.<br />
Es war nicht schwer zu begreifen, dass Yoko gegenwärtig nicht die<br />
beliebteste Person auf dem Campus war.<br />
Allerdings hatten sich auch recht schnell Gegenstimmen breit<br />
gemacht, da viele seine Einstellung teilten, was viele andere wiederum<br />
nicht verstanden.<br />
Es war zu heftigen Diskussionen unter den Kadetten gekommen,<br />
und wie üblich spalteten sie sich in drei Lager: die einen standen<br />
vollkommen auf Yokos Seite, und die anderen auf Kovans. Und das<br />
dritte Lager interessierte sich schlicht nicht für solch trivialen<br />
Vorgänge und konzentrierte sich lieber auf den Lernstoff, der auch so<br />
schon einnehmend genug war. Diese Einstellung wurde meistens von<br />
den Kadetten aus dem dritten oder vierten Jahr vertreten, von denen<br />
sich momentan aber ohnehin nur die wenigsten auf dem Campus<br />
befanden, weshalb der Pegel der Vernunft – anders als sonst – eher im<br />
Unteren bereich angekommen war. Entweder befanden sich die Dritt-<br />
Jahres-Kadetten bei ihren Familien, oder gingen einem Praktikum auf<br />
Rambasen und Schiffen nach. Sha’Nyn war schon häufiger<br />
aufgefallen, dass die Kadetten aus den höheren Stufen irgendwie...<br />
erwachsener waren.<br />
Vernünftiger.
Manchmal fragte sich Sha’Nyn, ob sie hinter vorgehaltener Hand<br />
und auf die Frischlinge herabblickten, und all das, was diese Kadetten<br />
bewegte, die sich gerade erst am Anfang ihrer Karriere befanden, für<br />
Kinderkram hielten.<br />
Ihr kam es langsam wie Kinderkram vor. Zwar verstand sie sowohl<br />
Yokos, als auch Talas Standpunkt, aber es gab nun wirklich<br />
wichtigeres, als sich wegen solchen Dingen in die Borsten zu<br />
bekommen, wie es Durkin ausgedrückt hätte. Sha’Nyn zog noch so<br />
jede zähe Lektüre über archäologische Ausgrabungen den<br />
Diskussionen vor, die gegenwärtig vorherrschten. Leider konnte man<br />
sich ja auch nicht einfach davor verstecken – was sie am liebsten<br />
getan hätte, denn früher oder später wurde man immer von irgendwem<br />
mit diesen Themen behelligt. Vielleicht wurde sie ja auch langsam<br />
erwachsen?<br />
Das war durchaus möglich. Sha’Nyn wusste nur nicht, ob das etwas<br />
gutes, oder etwas schlechtes war...<br />
<strong>Sie</strong> sah kurz zum Menü, fand aber nur wenig Gefallen am<br />
dargebotenen. Und zumindest am Wochenende hatten die Kadetten<br />
die freie Auswahl – was Sha’Nyn zu nutzen gedachte, obgleich sie<br />
was das Essen betraf, im allgemeinen nicht sehr wählerisch war.<br />
Allerdings verspürte sie keine große Lust dem Thekenpersonal zu<br />
begegnen, die an solchen Tagen immer dazu neigten, einen in<br />
elendlange Gespräche über die Leiden und Gebrechen ihrer<br />
Verwandtschaft zu verwickeln. Dinge eben, für die sich junge<br />
Menschen kein Stück interessierten. Drukin hatte den Fehler gemacht,<br />
ihnen das, getreu seiner schroffen Art, direkt ins Gesicht zu sagen.<br />
Seither bekam er nur noch die kulinarisch eher weniger reizvollen<br />
Dinge serviert (die er ironischerweise aber am liebsten hatte). Soweit<br />
die Menschheit im ausgehenden 24. Jahrhundert auch gekommen sein<br />
mochte – gesellschaftlich und technisch – manche Dinge ändern sich<br />
eben nie.<br />
Sha’Nyn trat zum Nahrungsreplikator und bestellte nach kurzem<br />
Überlegen einen klingonischen Donnerschlag. Man nannte es<br />
Donnerschlag, weil nur die wenigsten Mägen damit zurechtkamen,<br />
wie es hieß. Der klingonische Donnerschlag sei derart voller Sirup<br />
und Zucker, dass er – wie Wotan es ausgedrückt hatte – vom<br />
Vorarbeiter im Magen, der mit diesem Besucher rein gar nichts<br />
anfangen konnte, unverzüglich und vermutlich mit verständnislosem
Kopfschütteln sofort an den Ausgang im Erdgeschoss verwiesen<br />
wurde. Den der Donnerschlag dann auch sogleich mit einigem Getöse<br />
durch das Treppenhaus rumpelnd aufzusuchen pflegte. Es liefe dann<br />
automatisch auf ein Wettrennen hinaus, zwischen dem Donnerschlag<br />
im Magen-Darm-Trakt, und dem Esser, der möglichst schnell eine<br />
Toilette benötigte, und zwar am besten eine, die sich im Idealfall in<br />
einem Quantenschutzbunker tief unter der Erde befand. Zum einen um<br />
Kollateralschäden zu vermeiden, sobald er die Apokalypse entließe,<br />
und zum anderen – und das war der wesentlich wichtigere Grund -,<br />
um dem Hohn und Spott der anderen nicht ausgesetzt zu sein.<br />
Gerüchten zufolge, sei nämlich genau das der alleinige Grund für<br />
die zahlreichen kleinen Erdbeben, die San Francisco stets<br />
heimsuchten. Würde man ein rütteln der Erde spüren, so hieß es, und<br />
ein tiefes, unheilvolles Grollen vernehmen, läge das vermutlich an<br />
einer armen Seele, die den Donnerschlag unter- und seinen Magen<br />
überschätzt hatte.<br />
Die Geschichte um den Donnerschlag machte bereits seit<br />
Jahrzehnten ihre Runde an der Akademie und inzwischen war der<br />
Donnerschlag zu einer Art Mutprobe der Frischlinge geworden, an der<br />
sich nicht gerade wenige beteiligten. Und nicht gerade wenige<br />
blamierten sich anschließend bis auf die Knochen, wenn der Schuss –<br />
sprichwörtlich – nach hinten losging.<br />
Den Donnerschlag zu überstehen, kam der verdrehten Version eines<br />
Ritterschlages gleich. Machte der Magen nicht schlapp, gewann man<br />
den Respekt all jener, die sich noch immer für solch kindische Dinge<br />
begeistern konnten – was, Sha’Nyns Ansicht nach – eigentlich nur bei<br />
Männern der Fall war. Verlor man, wurde man mit liebevollem Spott<br />
überhäuft und jahrelang damit aufgezogen.<br />
Für Sha’Nyn war weder das eine, noch das andere interessant. Als<br />
Archäologin, so malte sie sich aus, würde sie später viel Zeit auf<br />
anderen Planeten verbringen und sich anderen Kulturen anpassen<br />
müssen. Da konnte sie nicht erwarten, beim Abendessen etwas<br />
serviert zu bekommen, was auf den menschlichen Metabolismus<br />
zugeschnitten war. Ihr lag also viel daran, ihren Magen möglichst früh<br />
auf unerwartetes Vorzubereiten, und der Kurs „Galaktische Etikette“<br />
reichte ihr alleine nicht. Also hatte sie das Experiment mit dem<br />
Donnerschlag still und heimlich durchgeführt.<br />
Ohne Probleme.
<strong>Sie</strong> hatte den Donnerschlag nicht nur mühelos vertragen, nein, er<br />
hatte sogar einigermaßen geschmeckt. Also befand er sich nun<br />
offiziell auf der langen Liste der Dinge, die ihr zur Auswahl standen.<br />
Der Replikator summte kurz auf, und wenige Sekunden später,<br />
konnte Sha’Nyn den Teller dem Ausgabefach entnehmen.<br />
„Wenn ich mich nicht irre, ist das ein klingonischer Donnerschlag<br />
da auf deinem Teller!“, erkannte ein kurzer, dicklicher Junge, der am<br />
Replikator neben ihr stand. Er betrachtete Sha’Nyn mit einigem<br />
Argwohn. Sein Name war Cartman und er lebte drei Räume von<br />
Wotan und ihr entfernt.<br />
Sha’Nyn rollte die Augen. „Uh-huh.“<br />
„Du kannst keinen Donnerschlag essen.“<br />
„Wie du siehst, kann ich es doch.“<br />
<strong>Sie</strong> nahm an, dass er sie aufziehen wollte mit dieser dämlichen<br />
Mutprobe, denn Cartman war ein ziemlicher Schwätzer. Aber es ging<br />
ihm um etwas ganz anderes. „Du hattest keine Vorspeise, und das da<br />
taucht nicht mal auf dem Menü auf.“<br />
„Was ist los mit dir, Cartman?“, die sich zu ihm umdrehte. „Bist du<br />
schon so paranoid, dass du wirklich glaubst, die Akademieleitung<br />
beobachtet, ob wir unsere Mahlzeiten gemäß irgendeiner<br />
nichtexistenten Vorschrift zu uns nehmen?“<br />
„Diese Samstags-Menüs könnten ein Test sein. Wie im Paradies. Du<br />
hast den Apfel der Verdammnis auf dem Teller.“<br />
Das war ihr nicht einmal mehr einen Kommentar wert. Sha’Nyn<br />
schüttelte verärgert den Kopf, verließ den Servierbereich und sah sich<br />
nach einem Tisch um, an dem sie alleine sein konnte. Normalerweise<br />
hätte sie mit ihren Freunden gegessen, aber Sha’Nyn ging davon aus,<br />
dass sie nach ihrem Streit kaum beisammen sitzen würden, sondern<br />
über den Raum verteilt, und ihr war wenig gelegen für<br />
irgendjemanden Partei zu ergreifen. Dabei konnte man nur verlieren.<br />
Setzte man sich zu dem einen, war der andere beleidigt.<br />
Umso erstaunter reagierte Sha’Nyn, als sie Tala, Yoko, Durkin,<br />
Galak und Wotan gemeinsam an einem Tisch weiter hinten sitzend<br />
entdeckte. <strong>Sie</strong> schwiegen zwar gerade, aber andererseits brachten sie<br />
sich auch nicht um. Nach Talas Abgang hätte Sha’Nyn nicht geglaubt,<br />
die Andorianerin in den nächsten Tagen noch einmal in Yokos Nähe<br />
vorzufinden. Aber Tala war offenbar aus einem anderen Holz<br />
geschnitzt.
Sha’Nyn wusste nicht, ob sie so schnell in der Lage gewesen wäre,<br />
über ihren Schatten zu springen. Das war zweifellos auch der Grund,<br />
warum Tala sich am besten als Staffelführerin geeignet hatte.<br />
Sha’Nyn trat zu ihren Freunden herüber und deutete auf den leeren<br />
Platz neben Yoko. „Sitzt hier schon jemand?“<br />
Yoko betrachtete den Sitz eindringlich. „Falls ja, ist er jedenfalls<br />
außerordentlich gut getarnt.“<br />
„Heh.“, machte Sha’Nyn und stellte ihr Tablett ab. „Und schon ist<br />
unser guter alter verwirrter Yoko wieder da.“<br />
Tala schnaubte nur.<br />
Es gab also doch noch dickes Blut. Sha’Nyn beschloss, sich davon<br />
nicht irritieren zu lassen, und begann zu essen.<br />
„Ich war nie weg.“, versicherte Yoko, während er in seinem<br />
Gemüse herumstocherte. „Und so alt bin ich auch noch nicht.“<br />
„Nein, ich meinte... ach, vergiss, was ich meinte.“<br />
„Ist das ein klingonischer Donnerschlag?“<br />
Sha’Nyn hob den Kopf, und sah, wie Wotan ihren Teller mit<br />
einigem Interesse betrachtete. Er saß ihr gegenüber, hatte die Ohren<br />
gespitzt und wedelte neugierig mit dem Schwanz.<br />
„Keine Kommentare über meine Essgewohnheiten bitte, Wot.<br />
Willst du was abhaben?“<br />
„Du weißt, dass der nicht auf dem Menü steht, oder?“<br />
Na toll. Jetzt fing Wotan auch schon so an. „Okay, wir sind<br />
Vollzeitstudenten an einer militärisch organisierten Einrichtung, und<br />
man hat zweifellos ein Auge auf uns. Aber ich glaube kaum, dass die<br />
Akademie Buch führt, was ich am Wochenende esse.“<br />
Wotan blickte nach rechts, dann nach links, und dann sah er<br />
Sha’Nyn verschwörerisch an. „Bist du sicher?“ <strong>Sie</strong> wusste nicht, ob er<br />
sie nur necken wollte, oder tatsächlich glaubte, was er da sagte. „Es<br />
wäre nicht der erste Test, von dem wir überhaupt nichts<br />
mitbekommen, der aber in unsere Bewertung mit einfließt.“<br />
Die Vorstellung fand Sha’Nyn einigermaßen amüsant. „Ich kann<br />
meinen Rausschmiss richtig vor mir sehen: Von der Akademie<br />
geflogen, weil sie einen Donnerschlag gegessen hat. Mach dich nicht<br />
lächerlich, Wotan. Das ist Tickety-boo.“<br />
„Denk nur an den Klingonen. Es hält sich immer noch nachhaltig<br />
das Gerücht, dass Janeway ihn geschickt hat. Oder damals, als wir<br />
glaubten, die Akademie würde zerstört werden. Test.“
„Tickety-boohooo....“, beharrte Sha’Nyn. <strong>Sie</strong> nahm einen großen<br />
Bissen, und dann noch einen, und dann noch einen, und dann stoppte<br />
sie plötzlich. Wotan hatte recht. Die Akademieleitung hatte bisweilen<br />
ein Wissen über die Kadetten gezeigt, dass sie schlicht nicht haben<br />
konnten. <strong>Sie</strong> wussten, was die Kadetten tat, noch bevor sie es selbst<br />
wussten – dafür war die gesamte Einrichtung bekannt. Und man<br />
unterzog sie tatsächlich am laufenden Band Tests, die stete<br />
Wachsamkeit forderten. Vielleicht beobachtete sie jemand die ganze<br />
Zeit, selbst hier. Jemand, der all ihre Aktionen und Entscheidungen<br />
überwachte, und sich kleine Notizen machte, die sofort in ihre<br />
Dienstakten wanderten, die-<br />
Nein!<br />
Das war doch genau das, was sie wollten. Die Kadetten so lange zu<br />
verwirren, bis sie nicht mehr wussten, was Real und was Test war,<br />
und sich somit zu jeder Zeit an jedem Ort wachsam und... perfekt<br />
verhielten. Die perfekte Gehirnwäsche.<br />
Das sah Sha’Nyn nicht ein. Da wollte sie nicht mitmachen. Einen<br />
Roboter ließ sie noch nicht aus sich machen. Wenn man ihr eine<br />
schlechte Bewertung geben wollte, weil sie ihren eigenen Kopf und<br />
ihren eigenen Geschmack hatte, dann bitte. <strong>Sie</strong> hob die Gabel erneut<br />
und öffnete den Mund.<br />
Andererseits...<br />
... sie arbeitete so hart, dass es doch eine Schande wäre, ihr<br />
Archäologiestudium wegen so einer Lappalie aufs Spiel zu setzen.<br />
Sha’Nyn senkte die Gabel wieder und schob den Teller frustriert weg.<br />
„Jetzt darf ich nicht einmal mehr essen, was ich will.“<br />
„Aber“, fügte Yoko hinzu „du darfst noch sagen, was du willst.“<br />
Galak brummte zwischen zwei Bissen: „Möchtest du das wirklich<br />
hier ausdiskutieren? Beim Essen?“ Er hatte wenig Lust, den Streit<br />
fortzusetzen, zumal letztendlich einzig und allein er der leidtragende<br />
wäre. Schließlich musste er sich mit Tala ein Zimmer teilen, und ihre<br />
Laune war auch so schon auf dem Unterdeck.<br />
„Nein.“, ging Tala dazwischen. „Lass ihn. Wir sind eine Staffel. Wir<br />
sind Freunde. Wenn wir nicht darüber reden können, haben wir<br />
ohnehin schon verloren.“<br />
„Korrekt.“, pflichtete Yoko ihr bei. „Und es ist genau das, wofür<br />
das erste Gesetz steht. Nicht, um uns gegen rassistische Worte zu<br />
schützen, oder vor hassschürende Märsche. Sondern vor Zensierung.“
Er ließ das Wort einen Moment lang wirken. „Was geschieht, wenn<br />
man nicht mehr sagen kann, was man denkt? Man bekommt eine<br />
Gesellschaft, in der niemand in der Lage ist Hass zu bekämpfen,<br />
einfach weil ihn keiner sehen kann. Wir hätten niemals die<br />
Möglichkeit die Meinung von jemandem zu ändern, wenn wir nicht<br />
wüssten, wie sie sich überhaupt darbietet. Durch die Reden von<br />
Leuten wie Sidak erfahren wir, woran wir noch gemeinsam arbeiten<br />
müssen.“<br />
„Pah! Du vergisst etwas sehr wichtiges, Vulkanier.“, sagte Durkin<br />
mit schroffer Stimme. Bisher hatte er sich lediglich und ziemlich<br />
ungeschickt mit seinem Essen beschäftigt, von dem noch immer etwas<br />
in seinem wuchtigen Barthaar hing. „Nämlich die Tatsache, dass<br />
Sidaks Reden nicht zwangsläufig Sinn machen. Jeder einigermaßen<br />
talentierte Redner kann sich ein Thema herauspicken und sich äußerst<br />
überzeugend sowohl dafür, als auch dagegen aussprechen – vor allem,<br />
wenn er sich auf Studien und Statistiken bezieht, mit denen er selbst<br />
den absurdesten Streitpunkt noch untermauern kann, glaub mir. Das<br />
hat jeder Tellarit begriffen, noch bevor er in den Genuss seines ersten<br />
Schlammbades gekommen ist. Die Föderation als Gesellschaft neigt<br />
dazu, sich viel zu leichtgläubig auf sogenannte Fakten zu stützen, die<br />
in Wahrheit gar keine sind.“<br />
„So etwas ähnliches hat auch Tuvok heute morgen gesagt.“,<br />
pflichtete Sha’Nyn bei. <strong>Sie</strong> lehnte sich über den Tisch und nahm ein<br />
Brötchen von Galaks Tablett. Er rührte sie ohnehin nie an.<br />
Und Durkin setzte fort: „Ich garantiere euch, dass dieser Sidak sich<br />
ganz beliebig die verschiedensten Zahlen aus den Hufen ziehen<br />
könnte, um seine Behauptungen zu unterstützen, und keine davon<br />
würde die tatsächliche Realität wiederspiegeln – ob gewollt, oder<br />
nicht. Ich unterstelle ihm nicht einmal böses. Er würde einfach sagen:<br />
Meine Untersuchungen haben ergeben. Und dann könnte er allen<br />
möglichen Stuss hinzufügen. Das sind Trugschlüsse, die nur darauf<br />
warten, zu geschehen. Habt ihr je etwas vom großen Muckitymuck<br />
gehört?“<br />
Ein allgemeines Kopfschütteln war die Folge.<br />
Durkin schnäubte geringschätzig. „Typisch. Echte Berühmtheiten<br />
kennt ihr nicht. Der große Muckitymuck war einer unserer weisesten,<br />
stinkendsten und erfolgreichsten Redner, und oft unsere erste – und<br />
letzte – Waffe, um den tellaritischen Willen durchzus- um
diplomatische Verhandlungen zu führen.“, korrigierte er. „Er schaffte<br />
es nicht nur praktisch im Alleingang den Planeten Alpharetta für uns<br />
zu annektieren, oder den Growl-Krieg zu unseren Gunsten zu<br />
beenden, nein, er war auch dafür verantwortlich, dass wir letztendlich<br />
einen so großen Sitz im Föderationsrat erhielten. Nicht, dass wir den<br />
nicht ohnehin verdient hätten – der Föderation stünde es gut zu<br />
Gesicht, den Föderationsrat gleich von uns führen zu lasen, aber das<br />
ist ein anderes Thema. Jedenfalls, war der große Muckitymuck auch<br />
der Verfasser des Buches ‚Wer stahl das Schwein’, in dem er das<br />
Geheimnis seines Erfolges preisgab. Er stellte mehr als deutlich und<br />
anschaulich dar, dass Fakten im Grunde keine Rolle spielen, weil man<br />
sie sich – je nach Zweckmäßigkeit – in alle Richtungen drehen und<br />
interpretieren konnte. Wenn man dem großen Muckitymuck eine<br />
Umfrage, oder eine Statistik gab, die ganz klar eine Meinung<br />
unterstützte, dann zeigte er einem völlig leicht, wie man sie zu seinen<br />
Gunsten uminterpretieren konnte. Beispiel.“ Er drehte sich zu<br />
Sha’Nyn. „Sha’Nyn, du bist Single.“<br />
Danke fürs Erinnern, Durk.<br />
„Ja... und?“<br />
„Es gibt eine Studie, die besagt, dass laut einer Umfrage Singles<br />
weniger glücklich sind, als Leute in einer Beziehung. Würdest du das<br />
bestätigen?“<br />
Alle starten Sha’Nyn an.<br />
Okay, das wurde jetzt peinlich. <strong>Sie</strong> konnte ja schlecht sagen, dass<br />
sie tatsächlich unglücklich war. Vor allem nicht vor Galak und Tala.<br />
Also versuchte sie sich ihre Worte äußerst gründlich zurechtzulegen.<br />
„Erm... ich weiß nicht, ich kann das schlecht beurteilen. Aber ja,<br />
vielleicht stimmt das Umfrageergebnis. Hört sich doch vernünftig an,<br />
oder?“<br />
„Falsch.“, spuckte Durkin. Keiner Begriff, worauf er eigentlich<br />
hinauswollte. Daher sagte er: „Worauf ich eigentlich hinauswill ist<br />
folgendes: du könntest das Umfrageergebnis auch so interpretieren,<br />
dass Sha’Nyn nicht unglücklich ist weil sie Single ist, sondern, dass<br />
sie Single ist, weil sie unglücklich ist. Wer will auch schon ständig<br />
dasselbe lange Gesicht betrachten.“<br />
Sha’Nyn funkelte ihn böse an.<br />
„Ernsthaft, Sha’Nyn. Du bist biestig wie ein Kratzbaum.“<br />
„He, also hör mal...!“
„Du könntest glatt ein Tellarit sein.“<br />
Oh.<br />
Er hatte sie gar nicht beleidigen wollen. Es war ein Kompliment<br />
gewesen... glaubte Sha’Nyn zumindest. <strong>Sie</strong> war sich nicht sicher und<br />
viel zu verwirrt, um eingeschnappt zu sein.<br />
Tala hingegen konnte dem Tellariten absolut folgen. Auch wenn sie<br />
es niemals zugegeben hätte, bewunderte sie Durkins Einstellung.<br />
Obwohl er sich ständig bis zu Unerträglichkeit aufplusterte, wusste er<br />
genau, wovon er sprach. In Sachen aggressiver Diplomatie reichte<br />
niemand den Tellariten das Wasser, wie die Menschen zu sagen<br />
pflegten (aber da sie sich ohnehin niemals wuschen, wäre das, so<br />
dachte Tala, auch völlig... idiotisch gewesen.) Es war für sie eine<br />
Erleichterung, dass er ihren Standpunkt unterstützte. Noch vor<br />
wenigen Wochen, als sie sich kaum gekannt hatten, hätte sie das<br />
niemals angenommen. Damals war er ihr wie ein einziges Hindernis<br />
vorgekommen. Und jetzt...? Jetzt gehörte er zu den Zuverlässigsten<br />
Mitgliedern der Omega-Staffel.<br />
Man hätte ihn beinahe mögen können.<br />
Und tatsächlich war es auch Durkin, der das Gespräch fortsetzte, in<br />
dem er zu Yoko sagte: „Umfragen sind keine Fakten. Statistiken sind<br />
keine Fakten. Untersuchungsergebnisse sind keine Fakten. Es sind<br />
Zahlen, die lediglich genau jene Gewichtung erhalten, die wir ihnen<br />
geben. Der Punkt ist, dass es so viele Variablen gibt, dass wir niemals<br />
erschließen können, ob diese Zahlen letztendlich Akkurat sind, oder<br />
nicht. Es ist ein bestenfalls spekulatives Abbild der Realität. Sidak<br />
kann Fakten ausspucken, so viel er mag, um seine Ansichten zu<br />
untermauern. Das macht sie kein Stück zutreffender. Seine Thesen<br />
mögen auf manche Andorianer zutreffen. <strong>Sie</strong> mögen auf viele<br />
Andorianer zutreffen. Aber sie sind nicht zutreffend auf alle, und die<br />
sind es doch, die Sidak anspricht: alle. Alle Andorianer. Die gesamte<br />
Rasse. Und das nur, um Aufmerksamkeit zu erlangen, die wir auf<br />
wichtigere Dinge richten sollten.“<br />
Tala sah ihn beeindruckt an und musste ein Lächeln unterdrücken.<br />
„Du denkst also nicht, dass wir die Föderation in den Ruin treiben,<br />
weil unsere Wirtschaft nicht funktioniert?“<br />
„Selbstverständlich nicht!“, bekräftigte Durkin. „Ihr treibt die<br />
Föderation in den Ruin, weil ihr blauhäutige Idioten seid.“ Und damit
war das Gespräch für ihn erledigt, und er wandte sich wieder seinem<br />
Essen zu.<br />
So viel zu „man hätte ihn beinahe mögen können...“, dachte Tala<br />
verdrossen.<br />
„Ich bin mir über all dies im Klaren.“, versicherte Yoko geduldig.<br />
„Und wie ihr hoffentlich wisst, habe ich zu keinem Zeitpunkt auch nur<br />
eine von Sidaks Theorien unterstützt. Aber so falsch sie auch sein<br />
mögen, so richtig ist sein Recht, diese Theorien zu äußern. Die<br />
Korrekte Antwort auf seine Rede, wäre eine Debatte mit ihm. Wir<br />
sollten das erste Gesetz nutzen, um seinem Standpunkt die Basis zu<br />
entziehen, nicht, um ihm den Mund zu verbieten. Es wäre eine weitaus<br />
zivilisiertere Version mit dem Problem umzugehen, als Plakate<br />
aufzustellen, und Proteste zu führen. Man kann Leute wie Sidak nicht<br />
davon abhalten, das zu sagen, was sie für nötig halten. Aber wenn sie<br />
es tun, dann bietet sich allen anderen eine Gelegenheit, ihre Meinung<br />
ebenfalls öffentlich zu vertreten.“<br />
Sha’Nyn warf ein: „Was zu unzähligen Debatten über die<br />
nichtigsten Dinge führt, ohne, dass sich wirklich etwas bewegt.“<br />
„Was besser ist, als blinder Aktionismus.“, hielt Yoko wiederum<br />
entgegen. „Er gibt uns hier und jetzt die Möglichkeit, den Rassismus<br />
zu bekämpfen, der möglicherweise noch immer irgendwo in diese<br />
Welt schlummert. Er ist der Stein, an dem wir unsere Zunge schärfen<br />
können. Wir sollten ihm auf dem gleichen Level begegnen und<br />
miteinander reden.“<br />
„Aber genau das ist doch das Problem!“, platzte es aus Tala heraus.<br />
„Dang, man kann solchen Leuten nicht auf dem gleichen Level<br />
begegnen, Yoko, weil sie die Regeln nicht einhalten. Warum sollen<br />
wir es dann tun?“<br />
Das erstaunte Yoko. „Du bist der gleichen Ansicht wie Captain<br />
Kovan?“, erkannte er. „Du würdest ihm tatsächlich das Wort<br />
verbieten, wenn du könntest?“<br />
„Ja.“, sagte sie nach einem kurzen Zögern. Jetzt war es raus. Jetzt<br />
hatte sie es gesagt. Und sie fühlte sich gut dabei. „Ja. Ja, das bin ich<br />
tatsächlich! Man muss nicht jeden Blödsinn erlauben!“<br />
„Und wer entscheidet darüber, was... Blödsinn ist, und was nicht?“,<br />
fragte Yoko ernst. „Du?“<br />
Tala starrte ihn einen Moment lang wutschnaubend an. Seine Logik<br />
war wasserdicht. Alleine dafür hätte sie ihn erwürgen können.
Mussten diese Spitzohren immer so verflucht gefasst sein? Hätten sie<br />
sich nicht einfach ein wenig anbrüllen können? Tala hätte sich gleich<br />
viel besser gefühlt!<br />
Dann seufzte sie schwer. „Nein, natürlich nicht. Ich will nur... Ich<br />
meine... Dang, ich habe einfach Angst, dass Leute diesen Sidak ernst<br />
nehmen – oder schlimmer noch – ihn für harmlos halten. Denn das ist<br />
er nicht! Er ist eine Krankheit. Ein Tumor! Er legt die Saat, die schon<br />
in der nächsten Generation für Gewalt und Tot führen könnte.“<br />
„Das ist aber ein gefährliches Denken, Tala.“, musste Sha’Nyn<br />
einräumen. „Zumal keiner von uns mit Bestimmtheit sagen kann, wie<br />
sich die Dinge entwickeln. Vielleicht nimmt ihn wirklich keiner ernst,<br />
und wir reden uns hier wegen nichts den Mund fusselig.“<br />
„Die Leute sind Dumm, Sha’Nyn, und leicht beeinflussbar. Selbst in<br />
unserer Zeit, und es spielt keine Rolle, ob sie von Vulkan, von der<br />
Erde, oder von Andoria kommen. Es gibt immer Individuen, die<br />
anderen nachplappern, oder falsche Entscheidungen aus Eigennutz<br />
treffen. <strong>Sie</strong> sollten es besser wissen, aber sie tun es nicht. Nicht einmal<br />
hier. Oder hast du Finnegan vergessen?“<br />
„Nein.“ Wie hätte sie auch den Kadetten aus dem dritten Jahr<br />
vergessen können, der gleich bei ihrer Ankunft Cera gehänselt, und<br />
Sha’Nyn später in eine Schlägerei verwickelt hatte? Die Geschichte<br />
war auf dem ganzen Campus bekannt. „Aber ich habe mich mit ihm<br />
vertragen.“<br />
„Nachdem du ihm die Nase gebrochen hast.“, erinnerte Tala. „Zwei<br />
mal. Erst dann kam er zur Vernunft.“<br />
„Das war aber eher ein Einzelfall, denkst du nicht?“<br />
„Selbst wenn sich nur einer von Sidak beeinflussen und zu einer<br />
falschen Entscheidung, oder zum Rassismus hinreißen lässt, dann ist<br />
das schon einer zu viel, oder sehe ich das etwa falsch? Huh?“<br />
„Hm.“<br />
Mehr konnte Sha’Nyn nicht beitragen. Und auch die anderen<br />
schwiegen.<br />
Tala konnte nicht glauben, wie naiv ihre Freunde waren. „Macht<br />
euch das denn gar keine Angst?“ <strong>Sie</strong> schlug verdrossen auf den Tisch,<br />
um wenigstens irgendein Ventil für die Wut zu finden, die sich ihr<br />
beim Gedanken an Sidak aufstaute. „Ich finde es einfach falsch! Jede<br />
einzelne Faser meines Körpers sagt mir, dass es unhaltbar wäre, Sidak<br />
sprechen zu lassen. Man darf solchen Leuten nicht alles durchgehen
lassen, man muss ein Zeichen setzen, damit sie zur Vernunft<br />
kommen.“<br />
„Das... ist aber nicht sehr demokratisch.“<br />
„Nein, Yoko, ist es nicht. Es ist realistisch. Viele finden Verbote für<br />
eine Demokratie wie unserer nicht angemessen, aber das ist nur dann<br />
richtig, wenn sich alle an die Regeln der Demokratie halten. Die<br />
Föderation ist vielleicht vergleichbar mit einem besonders<br />
gutmütigem Mitmenschen. Mit dir, Yoko.“<br />
„Nun... danke... denke ich.“<br />
„Lass mich aussprechen. Dieser gutmütige Mensch kann nicht nein<br />
sagen und hilft seinen Freunden wo er kann. Ist seine Gutmütigkeit ein<br />
Grund diesen Menschen auszunutzen? Sicher nicht. Aber es gibt<br />
immer sogenannte Freunde, die es dennoch tun. Das ist einfach so.<br />
Das passiert nicht auf dem Papier unserer Verfassung, aber es passiert<br />
in der Realität, weshalb wir uns entsprechend anpassen müssen.<br />
Ähnlich verhält es sich mit unserer Demokratie und Sidak. Leute wie<br />
er nutzen die Liberalität einer Demokratie schamlos aus. <strong>Sie</strong> reden<br />
von Meinungsfreiheit und meinen Manipulation. <strong>Sie</strong> reden von<br />
Gerechtigkeit und setzen sich für die Vernichtung einer ganzen Rasse<br />
ein. Das muss sich eine Demokratie ebenso wenig gefallen lassen, wie<br />
der gutmütige Mitmensch, der nicht ausgenutzt werden möchte.“<br />
„Aber...“<br />
<strong>Sie</strong> ließ Yoko gar nicht erst zu Wort kommen, denn jetzt hatte sie<br />
sich heißgeredet. Während Tala sprach wurde sie immer<br />
unbefangener. <strong>Sie</strong> wusste, was zu sagen war, vertraute ihren<br />
Instinkten, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. „Meine<br />
Freiheit hört genau da auf, wo die Rechte meiner Mitmenschen<br />
anfangen. Meine Meinungsfreiheit hört genau da auf, wo die Gefühle<br />
meiner Mitmenschen durch meine Meinung ernsthaft verletzt werden.<br />
Das gilt für alle Bürger der Föderation. Zusammenleben braucht klare<br />
Regeln und Grenzen, auch in einer Demokratie. Das bedeutet, dass<br />
wir bestimmte Rechte haben, aber es bedeutet nicht, dass wir die<br />
Bedürfnisse unserer Mitmenschen deshalb außer Acht lassen dürfen,<br />
denn wir haben auch Pflichten! Es ist die Aufgabe der Demokratie<br />
diese Rechte und Pflichten zu formulieren, und es ist die Aufgabe der<br />
Sternenflotte sie durchzusetzen, damit alle etwas davon haben, und ich<br />
werde mit all meiner Macht dafür sorgen, dass sowohl das eine, als
auch das andere geschieht! Dafür steht diese Uniform! Dafür bin ich<br />
hier!“<br />
<strong>Sie</strong> stand auf und ließ sich das Gesagte einen Moment lang durch<br />
den Kopf gehen. „Ich weiß, so etwas möchten die meisten nicht hören,<br />
geschweige denn sagen. Aber ich sehe nicht ein, dass alles, was wir<br />
uns aufgebaut haben – Andorianer, Vulkanier, Menschen... ja sogar<br />
Tellariten wie der hier“ sie deutete auf Durkin, der sich gerade mit<br />
Suppe bekleckerte „– untergraben wird, weil ein Sidak meint, uns auf<br />
der Nase herumtanzen zu können, nur weil wir in einer Demokratie<br />
leben. Er hat genauso Pflichten wie alle anderen auch. Und er hat eine<br />
Verantwortung! Das sollten wir niemals vergessen. Und wenn Sidak<br />
das vergisst, dann werde ich ihn dran erinnern, und zwar mit dem<br />
größten Protest, den dieser verdammte Campus je gesehen hat!“<br />
Und damit marschierte sie davon, energisch, mit schwingenden<br />
Fäusten, und einem bemerkenswerten Sinn für Dramatik.<br />
Sha’Nyn drehte den Kopf und schaute ihr nach. Dann hörte sie, wie<br />
der Stuhl neben ihr über den Boden schrappte, weil jemand aufstand.<br />
<strong>Sie</strong> drehte den Kopf erneut, und sah noch, wie Yoko in die<br />
entgegengesetzte Richtung marschierte, bis er bemerkte, dass es dort<br />
überhaupt keinen Ausgang gab, und er vor einer Wand stand. Also<br />
machte er flott wieder kehrt und verließ die Mensa auf dem selben<br />
Wege wie Tala, nur, dass er bei nächster Gelegenheit woanders abbog,<br />
und hoffte, dass niemand sein Missgeschick gesehen hatte.<br />
Was natürlich nicht der Fall war.<br />
Sha’Nyn, Wotan, Durkin und Galak tauschten verwirrte Blicke und<br />
für einen langen Moment sagte niemand etwas.<br />
„Ich denke...“, äußerste Wotan, der wie üblich den vernünftigsten<br />
mimte „... du solltest mal nach ihr sehen, Galak.“<br />
„Bist du verrückt? In dem Zustand halte ich mich lieber so weit wie<br />
irgend möglich von ihr fern. Mach du doch.“<br />
„So mutig bin ich auch wieder nicht.“<br />
„Huh.“, machte Sha’Nyn, die nun schon seit einer ganzen Weile<br />
nicht mehr an den gemeinsamen Abendessen teilgenommen hatte.<br />
„Wie es aussieht... ist alles wie immer, was?“<br />
Und dann fragte Galak Wotan und sie: „Macht es euch eigentlich<br />
etwas aus, wenn ich heute bei euch übernachte?“<br />
Sha’Nyn starrte ihn an.
Dann begann Durkin plötzlich so laut zu lachen, und mit der Pranke<br />
auf den Tisch zu klopfen, sodass sein feister Bauch wippte – was ihm<br />
eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann bescherte. „Haha,<br />
dann müsste Sha’Nyn wenigstens nicht mehr von dir Träumen, haha!“<br />
Galaks verwirrter Blick wanderte von Durkin zu Sha’Nyn.<br />
„Träume? Was für Träume?“<br />
„Ich glaube...“, entschied Wotan schnell „Ich sehe doch lieber mal<br />
nach Tala...“<br />
Bevor jemand Einspruch erheben, oder ihn erwürgen konnte, war<br />
der Tiger bereits auf den Gang gesprungen und hatte die Mensa mit<br />
erstaunlicher Geschwindigkeit verlassen.<br />
„Was für Träume, Shan?“<br />
Sha’Nyn blickte auf den klingonischen Donnerschlag auf ihrem<br />
Teller, den sie kaum angerührt hatte. Irgendwie beschlich sie das<br />
unschöne Gefühl, dass es bald zu einem weiteren Donnerschlag<br />
kommen würde, und zwar einem, der seinen Ursprung überall fand,<br />
nur nicht im Replikator...<br />
Kovan<br />
Tala marschierte den Korridor hinab und überzeugte jeden, der ihr<br />
unterwegs zufällig begegnete, allein mit ihrem verärgerten<br />
Gesichtsausdruck davon, lieber freiwillig aus dem Weg zu gehen. <strong>Sie</strong><br />
bemühte sich ihren rasenden Herzschlag und das Pochen des Pulses in<br />
den Schläfen zu verlangsamen, aber es half nichts. <strong>Sie</strong> war wütend.<br />
<strong>Sie</strong> war so wütend, dass sie nicht genau wusste, was sie mit dieser<br />
Wut anfangen sollte.<br />
Und sie wusste auch nicht genau, worüber sie sich mehr ärgerte:<br />
Über die Tatsache, dass Yoko stur seine Meinung vertrat, oder<br />
darüber, dass sie sich so fürchterlich darüber aufgeregt hatte. Der<br />
kleine Vulkanier stand für das ein, was er für das richtige hielt, und<br />
ein Teil von ihr war sogar stolz darauf. <strong>Sie</strong> war stolz auf Yoko. Er<br />
hatte wenigstens eine Meinung und er war bereit, sie allen<br />
Widrigkeiten zum Trotz zu vertreten.<br />
Dummerweise... traf dasselbe auch auf Sidak zu. Und wenn sie<br />
Yoko respektieren konnte, obgleich sie seine Ansichten nicht teilte...
hätte sie dann nicht auch Sidak zumindest respektieren müssen?<br />
Alleine der Gedanke war abscheulich. Die Vorstellung, dass er sein<br />
Gedankengut auf andere übertrug, machte sie ganz krank. <strong>Sie</strong> konnte<br />
das nicht respektieren! Tala hasste diesen Kerl. <strong>Sie</strong> hatte sich dazu<br />
entschieden ihn zu hassen. Aber warum genau?<br />
Weil er dir vor Augen führt, wie schlecht es um die Beziehung von<br />
Andoria und der Föderation steht.<br />
Ohne jede Warnung drehte sich Tala herum und rammte ihre Faust<br />
wütend in die nächste Wand. Der plötzliche Knall lies die Kadetten,<br />
die sich in der Nähe befanden, aufschrecken. Tala schüttelte ihre Hand<br />
aus und setzte dann ihren Weg fort, ohne den verwirrten Leuten eine<br />
Erklärung zu bieten, warum sich da plötzlich eine Delle im<br />
Wandschott befand.<br />
Alles was Tala wollte war doch nur populär zu sein, respektiert zu<br />
werden, und dass ihre Leute hinter ihr standen, so wie sie hinter ihnen<br />
stehen würde, damit sie gemeinsam jemandem wie Sidak der im<br />
Paradies Zwietracht säen wollte, in den Hintern treten konnten. <strong>Sie</strong><br />
wollte Teil einer Gemeinschaft sein, so wie Andoria Teil einer<br />
Gemeinschaft sein sollte. Damit sie vereint größer sein konnten, als<br />
die Summe ihrer Teile. <strong>Sie</strong> wollte, dass es endlich wieder bergauf ging<br />
mit ihrer Heimatwelt, und dass sie bei ihrem nächsten Besuch auf<br />
Andoria keine Armenviertel mehr sehen und keine Nachrichten über<br />
Isolationistenbewegungen mehr lesen musste. <strong>Sie</strong> wollte durch die<br />
Straßen der Hafenstadt marschieren, stolz und in Uniform, und<br />
endlich wieder zahlreiche andere Andorianer in Sternenflotten-<br />
Uniformen erblicken, die von ihren eigenen Landsleuten nicht mehr<br />
schief und wie Verräter angesehen wurden. Stattdessen war sie nicht<br />
besonders souverän aufgetreten. Es war ihr nicht gelungen, die<br />
anderen zu überzeugen, und es war ihr – im Gegensatz zu Sha’Nyn –<br />
nicht egal, was sie von ihr dachten! Tala war alleine und... Andoria<br />
war alleine und...<br />
...und...<br />
Ach, es war alles so verflucht kompliziert!<br />
Vielleicht befand sich gegenwärtig nur eine einzige Person in<br />
diesem Sektor, der nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte, und mit<br />
dem hatte sie es sich bestimmt verscherzt, weil Yoko es für eine<br />
Kluge Idee gehalten hatte, sich vor einer Gruppe Andorianer für einen<br />
vulkanischen Rassisten einzusetzen.
<strong>Sie</strong> erreichte das Ende des Korridors und drückte auf das<br />
Kontrollfeld, um den nächsten Turbolift zu rufen. Unglücklicherweise<br />
benutzte sie dafür dieselbe Hand, die sie zuvor genutzt hatte, um einen<br />
bleibenden Eindruck in einer unschuldigen Wand zu hinterlassen.<br />
Konsequenterweise schoss ein Schauer aus Schmerz ihren Arm<br />
hinauf. Tala zog eine leichte Grimasse, ignorierte die Verletzung aber<br />
weitestgehend. Dann öffneten sich die Türen des Lifts.<br />
Irgendwie hatte sie es gewusst. Irgendwie hatte Tala gewusst, das<br />
Captain Kovan in der Kabine stehen würde, als sich die Türen beiseite<br />
schoben.<br />
Seit dem Vorfall heute Morgen hatten sie sich nicht mehr gesehen,<br />
und Tala hatte ganz bestimmt keinen guten Ersten und letzten<br />
Eindruck hinterlassen. „Ich kann den nächsten nehmen, Sir.“<br />
Wenn Kovan ihr böse war, so ließ er es sich nicht anmerken. „Nicht<br />
doch. Nur herein.“<br />
Er trat beiseite um ihr Platz zu machen. Tala zögerte kurz, trat aber<br />
schließlich ein und reckte das Kinn, ohne Kovan anzusehen.<br />
Die Türen schlossen sich.<br />
„Ihr Zielort?“, erkundigte sich Kovan höflich.<br />
Tala hielt es keine Sekunde länger aus. <strong>Sie</strong> ignorierte seine Frage<br />
und stellte stattdessen eine eigene: „Erlaubnis offen zu sprechen, Sir?“<br />
„Wenn ich >nein< sage, würde sie das aufhalten?“<br />
„Vermutlich nicht.“<br />
„Erlaubnis erteilt, dann.“<br />
„Was zum Glikar’do ist in Janeway gefahren?“ <strong>Sie</strong> wollte ihn nicht<br />
so anfahren, aber es polterte einfach so aus ihr heraus. „Wie können<br />
die Leiter dieser Institution Sidak nur sprechen lassen? Es ist<br />
verantwortungslos und falsch! Die müssen doch wissen, wie schlecht<br />
es um die Beziehungen unserer Welt mit der Föderation steht, und<br />
dennoch unternehmen sie nichts? Was für eine Art Feingefühl soll das<br />
sein?!“<br />
Kovan atmete traurig ein. „Vorgesetzte werden ihnen während ihrer<br />
gesamten Karriere Dinge sagen, und Dinge tun, mit denen sie nicht<br />
einverstanden sind, Kadett. Vorausgesetzt, sie haben eine Karriere.“<br />
Tala schluckte.<br />
„Aber davon bin ich überzeugt, wenn ich sie mir betrachte.“,<br />
beruhigte Kovan sanft. „Ich sollte es ihnen vielleicht nicht sagen,
Kadett, aber man ist auch an mich herangetreten und hat mir<br />
empfohlen, nicht auf ihrer kleinen... Demonstration aufzutauchen.“<br />
Tala blinzelte verblüfft. „Ach tatsächlich?“ Das klang ja furchtbar!<br />
„Es werfe kein gutes Licht auf diese Uniform und es würde die<br />
Dinge nur verkomplizierten und Öl ins Feuer gießen, hieß es.“ Kovan<br />
schüttelte betroffen den Kopf. „Kaum zu glauben, nicht wahr? <strong>Sie</strong><br />
laden Sidak ein, aber Ich bin in ihren Augen derjenige, der Öl ins<br />
Feuer gießt.“<br />
„Aber... warum haben sie sich dann trotzdem bereit erklärt uns zu<br />
unterstützen?“<br />
„Weil man manchmal für das einstehen muss, woran man glaubt,<br />
Kadett. Jedem Wiederstand zum Trotz. Wenn sie sich immer ihrem<br />
vorgesetzten Offizier beugen, ohne ihn zu hinterfragen, werden sie<br />
irgendwann brechen, junge Frau. Das Rangsystem ist keine<br />
Entschuldigung, ihre eigene Urteilskraft zu ignorieren. Verstanden,<br />
Kadett?“<br />
So ein Rat war ungewöhnlich, fand Tala. Bisher hatte keiner ihrer<br />
Lehrer auch nur angedeutet, dass man sich über Befehle<br />
hinwegsetzten sollte. Und Kovan sprach es direkt aus.<br />
„Ich.... bin nicht sicher.“<br />
Kovan betrachtete sie eindringlich. Dann fragte er: „<strong>Sie</strong> sind Taleras<br />
Tochter, nicht wahr?“<br />
Tala drückte unwillkürlich ihren Rücken durch. „Ja, Sir.“<br />
„Ich kannte sie. Gute Frau. Guter Captain. Hat auch nicht immer<br />
getan, was man ihr auftrug.“<br />
„Nein, Sir.“<br />
„<strong>Sie</strong> hatte ihren eigenen Kopf. Die Sternenflotte kann dankbar sein<br />
für Kommandanten wie ihre Mutter, James Kirk, Picard, Calhoun –<br />
und viele andere, die ihren Instinkten vertrauen und die Fähigkeit<br />
besitzen, sich neuen Situationen schnell anzupassen. Captains, die<br />
mutig und selbstsicher genug sind, das angemessene zu tun, ganz egal<br />
was Vorgesetzte, oder Regelbücher sagen.“ Er betrachtete Tala<br />
prüfend. „Ich frage mich, ob das eine Eigenschaft ist, die in der<br />
Familie liegt.“<br />
„Wollen sie mich zu etwas anstiften, Sir?“<br />
Kovan winkte lachend ab. „Aber nein. Allerdings würde ich ihnen<br />
empfehlen, noch nicht aufzugeben, Kadett. Heute morgen mochten<br />
sich die Dinge nicht ganz so entwickelt haben, wie sie erwarteten,
aber genau das ist die Lektion, die sie hier lernen sollten: Das<br />
Unerwartete zu erwarten. Und trotzdem weiterzumachen.“ Er zuckte<br />
mit den Schultern. „Der morgige Sonntag ist auch noch ein Tag. Ein<br />
Tag, an dem keiner von uns – und damit meine ich vor allem uns<br />
Andorianer - einfach beiseite treten, sondern für das einstehen sollte,<br />
woran er glaubt – egal was andere sagen. Irgendwo müssen wir<br />
beginnen die Fackel für unsere Welt hochzuhalten, um dem Bruch, der<br />
sich zwischen Andor und der Föderation auftut, entgegenzuwirken.“<br />
Kovan legte die Hände auf den Rücken und begann in der beengten<br />
Transportkapsel umherzuwandern. „Sehen sie, Kadett, wir beide sind<br />
uns ähnlich. Wir sind Andorianer. Wir sehen die Dinge so, wie die<br />
anderen Leute in unserer Umgebung sie nicht sehen. Wir fühlen die<br />
Tiefe des Raumes. Wir sehen ein breites Spektrum des<br />
Infrarotbereichs, der anderen verborgen bleibt. Wir sehen und erleben<br />
die Welt durch Fühler und Augen von Andorianern, die dazu geboren<br />
wurden, Loyalität, Stolz und Stärke und eine Vielzahl anderer<br />
Tugenden in die Welt hinauszutragen. Damit kann man unter all<br />
diesen fremden Spezies hier sehr alleine sein. Versuchen sie einem<br />
Menschen zu erklären, wie es ist Infrarot zu sehen. Versuchen sie<br />
einem Vulkanier zu erklären, wie es ist, Geräusche zu fühlen.“ Er<br />
winkte ab. „So etwas verstehen nur andere Andorianer. Aber wenn wir<br />
nicht aufpassen, werden Leute wie sie und ich, Kadett, bald völlig<br />
alleine und nirgends zuhause sein: Weder auf Andoria, noch in der<br />
Sternenflotte.“ Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu<br />
lassen.<br />
Tala begriff einmal mehr, was für ein hervorragender Redner Kovan<br />
war.<br />
„Aber so muss es nicht sein.“, sagte er schließlich. „Nicht, wenn wir<br />
beide bereit sind – Andoria und die Föderation -, enger<br />
zusammenzurücken. Wenn wir als Individuen bereit sind, uns anderen<br />
Leuten zu nähern. Jemand wie Sidak, der versucht einen Keil<br />
zwischen uns zu treiben, darf nicht einfach ignoriert werden.“<br />
„Es sieht schlecht aus, um unsere Welt, nicht wahr?“<br />
Tala hatte sehr leise gesprochen. Auch Kovan sprach nicht gerne<br />
darüber. „Der Kanzler... ist ein törichter Mann mit einer veralteten<br />
Weltanschauung, die inzwischen von vielen anderen Andorianern<br />
geteilt wird. Die Isolationistenbewegungen-“
„Sind ein größeres Problem, als die Öffentlichkeit weiß.“, nickte<br />
Tala.<br />
Kovan maß sie mit einem erstaunten Blick.<br />
„Ich habe meine Quellen.“, erklärte Tala nur knapp.<br />
„Das ist offensichtlich. Dann wissen sie auch zweifellos, was für ein<br />
impulsiver Mann der Kanzler ist. Wenn Sidaks Wort die Runde macht<br />
und bis zu seinen Fühlern vordringt...“ Er brauchte den Satz nicht zu<br />
beenden. Tala wusste genau, was das bedeuten würde.<br />
Kovan schüttelte traurig den Kopf. „Welch Ironie. Die Spitzohren<br />
kommen von einer heißen Welt, aber ihr Gebaren ist kalt. Ich habe<br />
selber einige Zeit auf Vulkan verbracht und niemals verstanden, wie<br />
Vulkanier ohne eine Spur von Eitelkeit so arrogant sein können.“<br />
„<strong>Sie</strong> sind nicht alle gleich.“<br />
„Nein.“, lächelte Kovan. Aber es lässt sich eine Tendenz feststellen.<br />
So auch bei uns. Welch Ironie: Wir sind Leute aus dem Eis, aber in<br />
unseren Herzen lodert ein unermüdliches Feuer. Das einzige, was man<br />
uns vorhalten kann, Kadett, ist vielleicht unsere Leidenschaft. Das hat<br />
unser Volk seit jeher ausgezeichnet. Das zeichnet mich aus. Ich<br />
interessiere mich und kümmere mich leidenschaftlich für Personen.<br />
Für das Leben. Captain eines Raumschiffes zu sein... das gibt einem<br />
ein Gefühl...“ Er suchte nach den richtigen Worten, sah sich aber<br />
außerstande, welche zu finden, die sein Empfinden adäquat<br />
beschrieben. „Es ist unmöglich es jemandem zu erklären, der diese<br />
Verantwortung noch nie gespürt hat. Zu sehen, wie die Sterne an<br />
einem Vorbeischießen, und zu wissen, das man, und nur man selbst,<br />
verantwortlich ist, seine Leute sicher durch dieses gewaltige<br />
Unbekannte zu bringen. Und man fühlt... eine Verbundenheit... zu den<br />
Sternen. Eine Verbundenheit zu dem, was auch immer sie schuf, und<br />
welche kosmische Harmonie auch immer dafür verantwortlich ist,<br />
dass sie leuchten, damit wir uns nach ihnen richten können. Wenn<br />
andere zu mir kommen, dann biete ich ihnen Antworten. Und wenn<br />
Ich antworten benötigte... Wenn ich wissen muss, ob ich einem<br />
geschriebenem Wort, wie einem Gesetz, oder meiner Intuition<br />
vertrauen soll... dann wende ich mich an die Sterne... und eben jener<br />
kosmischen Harmonie, die dafür verantwortlich ist, dass sie leuchten.<br />
Um mich wissen zu lassen, was das richtige und angemessene ist.“<br />
Tala neigte den Kopf, während sie ihm zuhörte. Da war etwas in<br />
Kovans Augen... ein Funkeln... irgendwas, dass sie nicht ganz
einordnen konnte. Etwas, mitreißendes, faszinierendes. Etwas, dass sie<br />
ungeheuer in seinen Bann zog.<br />
Und dann erinnerte sie sich. Sha’Nyns Dad – Captain Matthew<br />
Bartez - hatte es in einem seiner Kurse als >der Wahnsinn des<br />
Kommandos< bezeichnet. Man könne diesen Wahnsinn oft in den<br />
Augen von Anführern funkeln sehen. Die meisten derer, die es auf<br />
sich nahmen Leute zu befehlen, hatte er gesagt, und die<br />
Verantwortung für diese Untergebenen übernehmen und dadurch eine<br />
große Zielscheibe auf ihre eigene Brust zeichneten, seien ein bisschen<br />
verrückt.<br />
„Auch Sternenflotten-Offiziere?“, hatte einer der Kadetten gefragt.<br />
Bartez hatte gelächelt und geantwortet: „Nicht alle Sternenflotten-<br />
Captains sind gute Anführer. Nur die leicht verrückten.“<br />
„Wenn man bedenkt, dass sie leicht verrückt sind, Sir, ist das eine<br />
ziemlich eigennützige Definition.“<br />
Alle hatten gelacht. Shan’s Dad war nicht streng, er ließ es zu, dass<br />
die Kadetten ihn zu necken versuchten. Meistens lachte er dann<br />
herzhaft mit, in diesem Fall hatte er jedoch nur sehr geheimnisvoll<br />
gegrinst. „Das würde ich so nicht sagen, Kadett.“<br />
„Dass es keine eigennützige Definition ist, Sir?“<br />
„Nein.“, hatte er mit einem Funkeln in den Augen korrigiert. „Ich<br />
würde nicht sagen >leicht< verrückt.“<br />
Auch in Kovans Augen sah Tala dieses Funkeln, während er vor<br />
sich hin schwadronierte. „Vielleicht stimmt es, was die Leute sagen.“,<br />
meinte er gerade. „Vielleicht ist es arrogant und selbstgerecht zu<br />
denken, dass Sternenflotten-Captains diese kosmische Harmonie<br />
hören können, von der ich vorhin sprach, und die sonst niemand<br />
versteht. Aber wir Kommandanten... wir brauchen unsere Egos. Weil<br />
der Weltraum so viel größer ist, als wir selbst. Wenn wir zu viel<br />
darüber nachdenken würden, wie klein und unbedeutend wir<br />
eigentlich sind, würden wir den Verstand verlieren. Und Bei Verstand<br />
zu bleiben, Kadett, das ist die Hauptpflicht eines Kommandanten. Es<br />
steht nicht in den Büchern. Es steht nicht in den Protokollen. Es steht<br />
in den Sternen. Denn die Leute ins All zu bringen, das ist der<br />
leichteste Teil. Jeder Tellarit kann das. Wissen sie? Es ist einfach<br />
dorthin zu gehen, wo noch nie ein Andorianer zuvor gewesen ist. Der<br />
Trick liegt darin, wieder zurückzukommen.“ Er lächelte sie an.<br />
„Verstanden Kadett?“
„Ja, Sir.“<br />
„Sind sie sicher?“<br />
„Ja, Sir.“<br />
„Endlich! Etwas, worüber sie sich sicher sind. Übrigens...“, stellte<br />
er fest. „sie haben sich noch immer nicht bei mir entschuldigt.“<br />
„Sir?“<br />
„Für heute Morgen. <strong>Sie</strong> haben sich nicht für das Verhalten ihres<br />
Staffelmitgliedes entschuldigt.“<br />
Tala zögerte. <strong>Sie</strong> nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Das... habe<br />
ich auch nicht vor, wenn ich ehrlich sein soll, Sir. Yoko hat lediglich<br />
seine Meinung vertreten. Ich gedenke nicht, ihn in diesem Verhalten<br />
zu entmutigen.“<br />
Kovan betrachtete sie eindringlich. In Talas Hals bildete sich ein<br />
Kloß. Vor ihren Augen sah sie ihre Karriere bereits den Bach<br />
heruntergehen. Doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge und<br />
der Andorianer lächelte. „Sehr gut!“, lobte er. „Genau die Antwort,<br />
die einem Anführer entspricht.“<br />
„Danke, Sir.“<br />
„<strong>Sie</strong> haben vielleicht doch mehr von ihrer Mutter, als ich dachte,<br />
Kadett. Mit ein bisschen Hilfe von jemand einflussreichem, der bereit<br />
ist, ihnen unter die Arme zu greifen, könnten eine sehr steile Karriere<br />
vor ihnen liegen.“<br />
„Und wer würde ihnen da einfallen, Sir?“<br />
„Beeindrucken sie mich weiter, und derjenige steht vor ihnen.“<br />
Tala tat alles, um nicht zu breit zu lächeln. Das war sogar mehr, als<br />
sie sich zu Träumen erhofft hatte. „Danke, Sir.“<br />
„Nur eines...“<br />
„Ja, Sir?“<br />
„Ihr Kadett Yoko... <strong>Sie</strong> liegen damit richtig, ihm das Wort nicht zu<br />
verbieten. Aber es gibt gutes Timing und schlechtes Timing. Seines...<br />
war heute miserabel. So etwas sollte morgen nicht wieder geschehen –<br />
schon alleine, um mögliche Gewalt zu vermeiden, denn die Stimmung<br />
ist noch immer sehr angespannt, dem nach zu urteilen, was ich<br />
mitbekommen habe. Kümmern sie sich darum.“<br />
Talas Lächeln erstarb. Obwohl er vorhin etwas anders sagte, hatte<br />
Kovan sie gerade durch die Blumen darum gebeten, Yoko den Mund<br />
zu verbieten. Und... obwohl sie ihn vor wenigen Stunden noch selbst<br />
wegen dem Vorfall von heute Früh angefahren hatte, konnte sie sich
nicht vorstellen, einen entsprechenden Befehl an den Vulkanier zu<br />
richten.<br />
Was hatte Yoko gesagt? In dem Moment wo einer zum Schweigen<br />
gebracht wird, sind alle in Gefahr.<br />
„Ich... weiß nicht, ob ich das Recht dazu habe.“<br />
„Als Kommandant haben sie jedes Recht. Und das ist es doch was<br />
sie wollen – ihr eigenes Kommando. Oder?“<br />
„Nun...“<br />
<strong>Sie</strong> sah, wie sich Kovans Züge verhärteten und in seinen Augen<br />
gleißte tiefe Enttäuschung und Aversion. Erneut sah sie ihre Karriere<br />
den Bach runtergehen.<br />
„...natürlich, Sir.“, korrigierte sie daher schnell.<br />
„Sehr schön.“, sagte Kovan nun wieder lächelnd. „Das würde mich<br />
sehr glücklich machen.“<br />
Tala sagte nichts mehr. In Anbetracht der Entscheidung, die sie<br />
treffen musste, wusste sie nicht, ob sie je wieder glücklich sein würde.<br />
Die letzten Strahlen der Abendsonne ergaben sich der<br />
hereinbrechenden Nacht und schon bald stand ein voller Mond am<br />
sternenbehangenen Himmel. In den Baracken, wo die<br />
Kadettenunterkünfte lagen, war Stille eingekehrt. Nirgends brannte<br />
Licht. Dennoch fanden einige Kadetten in dieser Nacht keinen<br />
geruhsamen Schlaf.<br />
Sha’Nyn verkündete zwar, dass sie diesmal vorhatte, einmal<br />
durchzuschlafen, aber in Wahrheit wartete sie nur bis Wotan endlich<br />
weggenickt war. Dann nahm sie sich die Berichte zweier<br />
Ausgrabungen vor und blätterte darin, bis sie gegen fünf Uhr früh<br />
schließlich von der Müdigkeit übermannt und von einem Traum über<br />
Galak heimgesucht wurde.<br />
Drake und Seeley blieben in ihrer kleinen Kommandozentrale, um<br />
einen Schlachtplan für den nächsten Tag zu entwerfen, aber eine<br />
wirklich brauchbare Idee blieb aus. Gegen sechs Uhr legte sich Seeley<br />
hin, ohne - vom dienstlichen abgesehen – großartig mit Drake<br />
gesprochen zu haben.
Seit er ihr erzählt hatte, was ihn antrieb, war sie still geworden.<br />
Drake hatte sich eingeredet, dass es auf diese Art sogar besser war,<br />
aber glücklich war er dennoch nicht und schlaf fand er auch keinen.<br />
Tala hatte diesmal niemanden mit in ihre Stube genommen, und da<br />
Galak bei einem anderen Mädchen übernachtete, war sie zum ersten<br />
Mal seit langem alleine. <strong>Sie</strong> verabscheute die Einsamkeit, vor allem in<br />
dieser Nacht. Es zwang sie, sich mit ihren Sorgen<br />
auseinanderzusetzen. Die meiste Zeit starrte sie nachdenklich an die<br />
Decke und versuchte vergeblich eine Lösung für ihre Zerrissenheit<br />
zwischen ihrer Loyalität zu Yoko und ihrem Wunsch nach Kovan als<br />
Mentor zu finden. Hin und wieder nickte sie sogar kurz weg. Doch der<br />
Schlaf war unruhig, sie hatte einen schrecklichen Traum nach dem<br />
anderen. <strong>Sie</strong> träumte, dass sie zurück auf Andor war. <strong>Sie</strong> trug die<br />
Uniform eines Lieutenants und stand an der Theke einer Bar.<br />
Niemand sonst war Uniformiert, sie zog viel Aufmerksamkeit auf<br />
sich. Dabei hatte es in ihrer Jugend Zeiten gegeben, als die Hälfte der<br />
Anwesenden hier zur Sternenflotte gehört hatten.<br />
„Zeiten ändern sich.“, sagte jemand hinter ihr. Tala wandte sich um<br />
und fand sich in einer Gruppe Andorianer wieder, die sie umzingelt<br />
hatten. <strong>Sie</strong> waren auf Streit aus. „Leute wie du sind hier nicht mehr<br />
willkommen.“<br />
„Kein echter Andorianer trägt diesen Menschenfummel und springt<br />
durch Reifen, die Vulkanier hochhalten.“<br />
Tala grollte: „Wir sollten Stolz sein einen Beitrag leisten zu können.<br />
Wir haben geholfen die Föderation zu gründen und wir profitieren alle<br />
davon.“<br />
„Willkommen in der Gegenwart, Pinkie. Wir sind kein Teil der<br />
Föderation mehr. Nach Sidaks Rede sind wir unseren eigenen Weg<br />
gegangen.“<br />
Tala schrie: „Nein! Nein!“<br />
<strong>Sie</strong> wachte kurz auf, verschwitzt. Das Kopfkissen war nass. Tala<br />
drehte sich um und schlief wieder ein. Diesmal sah sie sich selbst auf<br />
der Brücke eines Raumschiffes. Vier Rangpinks funkelten an ihrem<br />
Kragen, die Pins eines Captains. Irgendwie wusste sie, dass sie nach<br />
Andoria geschickt wurden, weil der Kanzler sich mehr in<br />
Föderationsangelegenheiten involvieren wollte. Ganz Andoria wollte<br />
das.
Kovan stand neben ihr und lächelte. Aber Tala war nicht glücklich,<br />
irgendetwas war vorgefallen. <strong>Sie</strong> sah sich auf ihre Hände starren: <strong>Sie</strong><br />
waren voller Blut. Es war grün. Das Blut eines Vulkaniers.<br />
Yokos lebloser Körper lag auf dem Brückendeck. Ein Messer ragte<br />
aus seinem Rücken.<br />
Tala war dafür verantwortlich. Es war ihre Schuld. Kovan lächelte<br />
noch immer, aber Tala war entsetzt. <strong>Sie</strong> lief zu Yoko, rüttelte an ihm,<br />
aber er wollte nicht wieder aufstehen. Er würde nie wieder erwachen.<br />
Und Kovan sagte seelenruhig: „T’Prell kann Karten spielen.“<br />
Tala riss die Augen auf. <strong>Sie</strong> hatte die Laken zerwühlt und war in<br />
Schweiß gebadet. Draußen ging die Sonne auf, ein Lichtstreifen fiel<br />
vom Fenster auf ihr Bett. Tala schaute auf ihr Schreibtisch-<br />
Chronometer. Es zeigte 4:55. <strong>Sie</strong> schloss die Augen und bliebe einen<br />
Moment liegen, aber sie konnte nicht wieder einschlafen. <strong>Sie</strong> war<br />
schweißnass und fühlte sich unwohl.<br />
Das war kein guter Start in den Tag. Tala beschloss die<br />
Dehneinheiten ihrer Morgenroutine zu überspringen und gleich unter<br />
die Schalldusche zu gehen.<br />
Kurz vor fünf Uhr morgens stand sie auf.<br />
Wenn sie gewusst hätte, dass im Laufe des Tages ein Gebäude auf<br />
sie fallen würde, wäre sie im Bett geblieben...<br />
Spannung in der Luft<br />
Es hätte wohl niemand für möglich gehalten, aber am nächsten Tag<br />
waren vor dem Haupteingang der Sudak-Halle mehr Leute<br />
versammelt, als der gesamte Platz überhaupt in der Lage war<br />
aufzunehmen. Und es war ein großer Platz. Gewaltig geradezu, so wie<br />
alles auf der Akademie hirnzermarternde Ausmaße besaß.<br />
Die Kunde über Sidak Anwesenheit, und seinem Vorhaben, in den<br />
heiligen Hallen der Sternenflotten-Akadmie – eine der modernsten<br />
Institution des Quadranten - eine volksverhetzende Rede zu halten,<br />
hatte zweifellos ihre Runde gemacht.<br />
Wie es aussah, war jeder Andorianer, der sich im Sonnensystem<br />
aufgehalten hatte, an diesem sonnig-warmen, eigentlich viel zu<br />
schönen Sonntagnachmittag auf den Campus gepilgert, um an den von
Kovan geleiteten Protesten teilzunehmen, bei denen sich auch viele<br />
Menschen, Vulkanier, und andere Vertreter verschiedenster Spezies<br />
beteiligten. <strong>Sie</strong> alle Standen Seite an Seite, um für eine gemeinsame<br />
Sache zu kämpfen, an die sie glaubten.<br />
Und sie bekamen wiederum von fast der gleichen und mindestens<br />
ebenso bunt gemischten Anzahl an Gegendemonstranten die Stirn<br />
geboten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr sahen.<br />
Als wäre der Platz damit noch nicht überfüllt genug gewesen,<br />
gesellten sich noch etliche junge Leute dazu, die einfach nur einen<br />
Blick auf den Mann erhaschen wollten, der bereit war allem zu<br />
widersprechen, wofür ihre Vorfahren gekämpft hatten. Eine gewaltige,<br />
streitende, wild durcheinander redende und gestikulierende Masse<br />
also, aus einäugigen Wesen, tausendäugigen Wesen... Wesen mit Fell,<br />
Wesen mit Schuppen, Wesen, mit einer Haut, die je nach dem gerade<br />
vorherrschenden Gefühl ihre Farbe wechselten. Einige bewegten sich<br />
aufrecht fort, andere kriechend, wieder andere auf allen Vieren. Und<br />
die meisten von ihnen waren in die rot-schwarzen Kadetten-Uniform<br />
der Sternenflotten-Akademie gehüllt – fast alles, Kadetten des ersten<br />
Jahres.<br />
Auch unter ihnen war die Stimmung aufgeheizt.<br />
In Kurz: Es war das reinste Chaos.<br />
Um diesem Durcheinander Herr zu werden, war die<br />
Sicherheitstruppe der Akademie herangezogen worden, die es<br />
irgendwie geschafft hatten, die beiden Parteien der Demonstranten<br />
rechts und links zu beiden Seiten des Eingangs hinter schnell<br />
errichteten, aber leider nur hüfthohen Energiebarrieren voneinander zu<br />
trennen und in der Mitte eine Straße zu bilden, die vom Landeplatz bis<br />
zum Haupteingang führte, und somit eine sichere Passage für Sidak<br />
gewährleistete, der sich bereits auf dem Weg befanden. Aber nicht<br />
gerade wenige Demonstranten versuchten – mit einigem Erfolg - über<br />
die Energiebarrieren zu klettern, um seinen Zugang zur Sudak-Halle<br />
zu blockieren, und ihn somit an seiner der Rede zu hindern, die so viel<br />
Zorn erzeugte, während andere sich damit begnügten, ihre Mitschüler,<br />
die nur wenige Meter entfernt auf der anderen Seite der provisorischen<br />
Straße standen, anzuschimpfen, dass sie Rassisten, oder Diktatoren<br />
seien.<br />
Das Sicherheitspersonal hatte also alle Hände voll zu tun, und<br />
allmählich sah man ihnen ihre Erschöpfung an. Am meisten Leid bei
dem ganzen Tohuwabohu konnten einem zweifellos die<br />
andorianischen Sicherheitsoffiziere tun – und es befanden sich nicht<br />
gerade wenige in der Truppe. Zwischen den Stühlen zu sitzen,<br />
jemandem wie Sidak den Weg frei zu räumen, und ihre eigenen<br />
Landsleute hinter die Barrikaden zu schieben, oder – bei den ganz<br />
uneinsichtigen – die Betäubungsstöcke einzusetzen, musste<br />
schmerzen. Wenn es so war, ließen sie sich jedoch nichts anmerken.<br />
<strong>Sie</strong> taten professionell ihren Job, ohne Wenn und Aber, und dafür<br />
verdienten sie eine Bewunderung, die ihnen heute niemand bereit war<br />
zu geben.<br />
Drake beobachtete die Sicherheitseskorte um Sidak auf den<br />
Kontrollmonitoren. Als sie hundert Meter vor dem Eingang waren,<br />
tauchte die Energiespitze plötzlich wieder auf, größer als je zuvor.<br />
Drake stieß Seeley an, die vor einigen Stunden eingenickt war. Er<br />
hatte keine Notwendigkeit gefunden, sie zu wecken. Zum einen, damit<br />
sie beim Einsatz ausgeruht war und zum anderen, weil er ohnehin<br />
lieber seine Ruhe hatte. Nun stieß er sie heftig an und rutschte von<br />
seinem Stuhl. Seeley zuckte erschrocken zusammen und riss die<br />
Augen auf. <strong>Sie</strong> blinzelte verwirrt, versuchte zu erkennen, was auf den<br />
Monitoren vor sich ging. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie<br />
Drake seinen Phaser zog und die Waffe schnell prüfte. „Was ist los?“<br />
„Energiespitze.“<br />
Dann sah sie es auch. Die Anzeigen schlugen fast aus. Irgendwas<br />
ging vor sich. Irgendwas in der Sudak-Halle.<br />
„Sidak ist fast am Eingang. Komm.“ Er warf ihr ein Gewehr zu.<br />
Seeley fing es reflexartig auf. „Sollten wir nicht hier bleiben und<br />
versuchen das Ding am Computer aufzuhalten?“<br />
„Keiner von uns ist Programmierer. Es ist besser, den Kampf im<br />
offenen auszutragen.“ Er eilte zur Tür.<br />
Seeley blickte erneut zum Monitor.<br />
Die Energiespitze war gewaltig. <strong>Sie</strong> sah zum Gewehr herab, dass sie<br />
in den Händen hielt. Energie vibrierte darin. Tödliche Energie. Nun<br />
ging es los. Nun waren sie im Einsatz. Ein kalter Schauer fuhr ihr über<br />
den Rücken.<br />
„Ich glaube es ist besser auf Verstärkung zu warten...“
Drake war bereits zur Tür heraus und marschierte stur zum<br />
Turbolift. Damit machte er ihr unmissverständlich klar, dass er den<br />
Kampf suchen würde.<br />
„Oder auch nicht.“, murmelte Seeley. <strong>Sie</strong> warf sich das Gewehr um<br />
die Schulter und folgte Drake.<br />
Draußen, vor der Sudak-Halle und Ahnungslos über die drohende<br />
Gefahr, standen Yoko, Durkin, Wotan, Cera, und Das Grau nahe am<br />
Haupteinhang auf der Seite derer, die sich für die freie<br />
Meinungsäußerung einsetzten. Auf der anderen Seite, ihnen direkt<br />
gegenüber, befand sich Kovan, der, wie es schien, großes Interesse für<br />
die Energiebarriere aufbrachte, die von den Sicherheitskräften vor ihm<br />
aufgebaut worden war. Er wurde zu beiden Seiten von Tala, Therynn,<br />
Khaleen und Galak flankiert.<br />
Entgegen ihres besseren Urteils war auch Sha’Nyn gekommen, die<br />
ihren Platz hinter Tala eingenommen hatte. Nicht, weil sie ihre Sache<br />
sonderlich unterstützte, sondern einfach, weil sie von Osten<br />
gekommen und ihr somit keine große Wahl geblieben war. Cera,<br />
Wotan, Grau und Durkin ging es wohl genauso, wie Sha’Nyn<br />
vermutete.<br />
Keinem war daran gelegen einen Keil in die Gruppe zu treiben, und<br />
bis auf Yoko und Tala schien - zumindest aus ihrer Staffel – niemand<br />
die Sache so ernst zu sehen, wie diese beiden. In so einer Situation<br />
konnte man als Freund nur verlieren. Sha’Nyn hatte das Gefühl Yoko<br />
hängen zu lassen, weil sie nicht bei ihm stand. Aber hätte sie bei ihm<br />
standen, hätte sie dasselbe für Tala empfunden. Es war traurig, dass es<br />
soweit kommen musste. Leider hatte Sha’Nyn das Gefühl, dass die<br />
Sache noch viel weiter gehen würde.<br />
Nur einmal, ein einziges Mal wünschte sie, dass das richtige zu tun,<br />
und das leichte zu tun, dasselbe wäre.<br />
Sidak näherte sich ihrer Position und dem Eingang. Seine Robe<br />
wehte in einer leichten Brise. Man warf ihm Papier und Gras über,<br />
und andere unangenehme Dinge, aber es schien ihn nicht im<br />
geringsten zu kümmern, denn seine vulkanische Mine blieb<br />
ausdruckslos. Hätte Sha’Nyn raten müssen, wie er sich fühlte, hätte<br />
sie auf Gelassen getippt. Offenbar kannte er das alles schon. Und die
Sicherheitsoffizere waren dank ihrer gründlichen Ausbildung auch<br />
nicht unvorbereitet. <strong>Sie</strong> gaben sich kurze schnelle Zeichen und<br />
bildeten einen schützenden Kreis um Sidak – die geworfenen Dinge,<br />
die für ihn bestimmt waren, trafen stattdessen sie, wie einen<br />
menschlichen Schild.<br />
Es war ein furchtbarer Anblick.<br />
Die Leute buhten und schimpften, allerorts herrschte Empörung und<br />
Zorn, und am lautesten und eifrigsten waren die Andorianer.<br />
Der vermeintliche Rassist schien von allen der harmloseste zu sein.<br />
Man hätte fast meinen können, dass er recht hatte, mit dem, was er<br />
über die Andorianer sag-<br />
Sha’Nyn blinzelte. Wo zum Teufel war das denn jetzt<br />
hergekommen? <strong>Sie</strong> hatte sich gerade bei einem furchtbaren Gedanken<br />
ertappt.<br />
Und mit einem Mal verstand sie.<br />
Bei den Sternen!<br />
Begriffen es die Leute denn nicht? Standen sie wirklich noch so<br />
weit am Anfang ihrer Sternenflotten-Ausbildung? <strong>Sie</strong> alle gaben Sidak<br />
hier und heute doch genau das, was er wollte: Aufmerksamkeit. Er<br />
musste überhaupt keine Rede halten, um die tödliche Saat des<br />
Misstrauens zu sähen. Das taten schon alle anderen für ihn! Und<br />
beinahe wäre auch sie selbst drauf reingefallen. Es war nur ein<br />
einzelner Gedanke gewesen, kurz und flüchtig. Ein einzelner<br />
Gedanke, der fürchterliches in Gang hätte setzen können.<br />
Aber offenbar war Torheit keine Frage des Alters.<br />
Denn es war kein Kadett, der sich am Fuß der Treppe dem<br />
Sicherheitstrupp und Sidak in den Weg stellte – die wären auch<br />
beiseite geräumt worden.<br />
Nein.<br />
Es war Kovan.<br />
Die Korridore in der Sudak-Halle schienen endlos zu sein und<br />
waren verlassen. Außer Drake und Seeley, die mit ihren Waffen im<br />
Anschlag durch die zweite Etage schlichen, hielt sich hier niemand<br />
mehr auf. Das Personal war bereits gestern unauffällig und Stück für<br />
Stück evakuiert und in andere Bereiche versetzt worden. Es hatte
niemand verdacht geschöpft, weil man die Verlegungen zufällig hatte<br />
aussehen lassen. Drake wäre es lieber gewesen, wenn man auch die<br />
Leute draußen unter irgendeinem Vorwand fortgeschafft hätte. Das<br />
Geraune der aufgebrachten Menge drang sogar bis ins Innere des<br />
Gebäudes vor.<br />
Wie ahnungslos sie doch waren.<br />
Allerdings hatte Drake auch nicht recht gewusst, was ihn erwarten,<br />
würde, als der Turbolift sie unverzüglich hergebracht hatte. Er wusste<br />
es noch immer nicht, aber nun, als er sich durch verlassene Büros<br />
vorbeibewegte, gewann er den Eindruck, sich auf der Jagd zu befinden<br />
– unsicher darüber, wer in Wirklichkeit der Jäger und wer der gejagte<br />
war. Aber genaugenommen spielte es auch keine Rolle. Die Dinge<br />
verhielten sich einfach: Entweder gelang es ihnen die KI aufzuhalten,<br />
oder sie fielen ihr zum Opfer. Entweder so oder so. Kompromisse<br />
irgendeiner Art – Flucht, Entkommen, Scheitern – waren<br />
ausgeschlossen für Drake. Nichts – weder die Leute draußen, noch<br />
sein Pflichtbewusstsein – konnten ihn daran hintern, den Kampf bis<br />
zum Ende zu führen. Er hatte mehr als alle anderen trainiert. Er<br />
verdiente es, endlich an einer Konfrontation beteiligt zu sein.<br />
Mit der linken Hand hielt er seinen Phaser, in der anderen piepte ein<br />
aufgebrachter Tricorder. Drake prüfte die Anzeigen – die<br />
Energiespitze führte sie in eine bestimmte Richtung.<br />
Bald würde die Falle zuschnappen. Drake richtete den Blick wieder<br />
auf das vor ihnen liegende Gangsegment.<br />
…und vermied es dabei zu Seeley zu sehen – um sich nicht ihrer<br />
Besorgnis stellen zu müssen. Als Computerspezialistin hätte sie lieber<br />
eine technische Lösung gefunden. Hier draußen, ohne Verstärkung<br />
fühlte sie sich unbehaglich. <strong>Sie</strong> wäre vermutlich gar nicht von den<br />
Konsolen gewichen, wenn er ihr eine Wahl gelassen hätte.<br />
Nein, Drake wollte nicht länger in diesem beengten Computerraum<br />
sitzen und darauf warten, dass etwas geschah, was sie von dort aus<br />
ohnehin nicht verhindern konnten. Er glaubte das Recht zu haben,<br />
dieser KI direkt gegenüberzutreten, unmittelbar gegen sie zu kämpfen.<br />
Ein Muskeln in seiner Wange zuckte, was normalerweise nur geschah,<br />
wenn Zorn in ihm brannte. Er versuchte sich einzureden nicht zornig<br />
zu sein; er wollte nur Gerechtigkeit, und dass sich die Geschichte<br />
nicht wiederholte.
Er lugte um eine Abzweigung und sah sich um. Die Energiespitze<br />
bewegte sich in einigem Abstand vor ihnen durch die Leitungen –<br />
gerade so, dass man sie noch nicht zu fassen bekam, dass sie einem<br />
aber auch nicht entging. Drake wusste, dass er gerade geködert wurde<br />
und er biss bereitwillig an.<br />
Stumm hob er den Arm und gab Seeley ein Handzeichen: <strong>Sie</strong><br />
rückten weiter vor.<br />
„Was macht dich so sicher“, flüsterte seine Begleiterin „dass sich<br />
die KI in ihrer Energieform außerhalb des Computers zeigen wird?“<br />
„Weil ich eine eindeutige und unverschlüsselte Nachricht an den<br />
Admiral geschickt habe, in der ich ankündigte, dass wir jetzt<br />
reingehen und das Ding eliminieren. Die Nachricht kann der KI nicht<br />
entgangen sein. <strong>Sie</strong> weiß, dass wir kommen.“<br />
Seeley starrte ihn aus entsetzt aufgerissenen Augen an. „Es ist eine<br />
Falle.“, erkannte sie. Drake wollte dem Ding ein neues Ziel<br />
präsentieren, um Zeit zu schinden und Sidak zu schützen: und das Ziel<br />
waren sie selbst. Aber.. tat er es wirklich um Sidak zu schützen? An<br />
Drakes Mut und Entschlossenheit bestand kein Zweifel. Aber in<br />
seinen Augen hatte Seeley auch noch etwas anderes gesehen, etwas,<br />
das ihm düsterer erschien, als der Wunsch nach Rache und Vergeltung<br />
an egal wer ihm vor die Phasermündung kam. Vielleicht eine Art<br />
Besessenheit? Oder eine Todessehnsucht?<br />
Könnte es sein, dass dem Admiral starke psyschiche Probleme<br />
seines Schülers entgangen waren?<br />
Wenn er wirklich welche hatte und dadurch sein Urteilsvermögen<br />
getrübt wurde...<br />
Seeley blieb stehen. <strong>Sie</strong> waren jetzt in einem der weitläufigen<br />
Klassenräume mit angrenzendem Labor. Seeley hatte ein ungutes<br />
Gefühl. „Wir sollten hier raus, Drake. Die ganze Sache ist nicht<br />
besonders gut durchdacht.“<br />
„Gut, verschwinde, wenn du willst. Ich stelle dieses Ding.“<br />
Rechts ertönte ein Geräusch.<br />
Das Duo riss die Waffen hoch.<br />
Plötzlich verriegelten sich die Türen. Keiner von ihnen unternahm<br />
den Versuch, zu den Türkontrollen zu gehen, und zu überprüfen, ob<br />
sie eingesperrt waren, denn sie wussten es auch so. Stattdessen stellten<br />
sie sich Rücken an Rücken. Drake sah flüchtig auf die Tricorder-
Anzeigen. Die Energiespitze war irgendwo hier, hier im Raum, ganz<br />
nahe. Jetzt würde es zuschlagen.<br />
Hier fand die Konfrontation statt.<br />
„Wenn die KI schlau ist.“, sagte er „wird sie uns einfach die<br />
Luftzufuhr abdrehen.“<br />
Dann gingen die Lichter aus. „Oder...“, tippte Drake als nächstes „es<br />
wird die Lichter ausschalten.“<br />
<strong>Sie</strong> aktivierten die Leuchteinheiten an ihren Phasern und horchten in<br />
die Dunkelheit hinein.<br />
Nichts geschah. Zunächst noch jedenfalls. Der Tricorder piepte<br />
aufgeregt. <strong>Sie</strong> waren jetzt ganz nahe. Drake holte zischend Luft und<br />
bedeutete Seeley ihm zu folgen. Langsam setzten sie sich in<br />
Bewegung. Eine Begegnung mit dem Feind stand ihnen bevor.<br />
Draußen hatte sich Kovan mit mächtigen, vor der Brust<br />
verschränkten Armen vor den Sicherheitsoffizieren aufgebaut und<br />
versperrte ihnen den Weg.<br />
Sha’Nyn hatte gar nicht bemerkt, wie er über die Barrikade<br />
geklettert war – und die Sicherheitsoffiziere auch nicht. Er war einfach<br />
plötzlich aufgetaucht. Sha’Nyn sah den Sicherheitsoffizieren ihre<br />
Verzweiflung und Ratlosigkeit an.<br />
So nah.<br />
Es waren doch nur noch ein paar Meter, ein paar Stufen, dann hätten<br />
sie es geschafft, dann wären sie endlich am Haupteingang und<br />
anschließend im Gebäude gewesen. Warum musste es Kovan<br />
komplizierter machen, als ohnehin schon? Und er war ein<br />
hochangesehener Mann, eine Legende. Den konnte man nicht einfach<br />
beiseite schieben.<br />
Die Menge wurde still, alle warteten gespannt, was als nächstes<br />
geschehen würde.<br />
„Sir...“, hörte Sha’Nyn einen der Sicherheitsoffiziere vorsichtig<br />
sagen – ein Mensch, mittleren Alters, mit dunkler Hautfarbe. Welch<br />
Ironie, dachte Sha’Nyn. Ein paar Jahrhunderte zuvor... und er wäre<br />
vielleicht derjenige gewesen, um den es hier gegangen wäre.<br />
„... warum treten sie nicht einfach beiseite und geben ein gutes<br />
Beispiel ab, hm?“
„Ich glaube ich gebe ein gutes Beispiel ab, Lieutenant. Jetzt schlage<br />
ich vor, dass sie den werten Doktor hier zurück zu einem sicheren Ort<br />
eskortieren, und ich werde die Kadetten informieren, dass heute keine<br />
Rede stattfindet. Das wäre das vernünftigste, bevor...“, er deutete mit<br />
einer ausschweifenden Geste auf die Menschenmasse. „die Situation<br />
noch in Gewalt eskaliert.“<br />
Die Sicherheitsoffiziere tauschten einen Blick. Dann sagte der<br />
Lieutenant mit größtmöglichem Respekt wieder an Kovan gewandt:<br />
„Ist das eine Drohung, Sir?“<br />
„Nein. Natürlich nicht.“ Und das meinte er vollkommen ernst.<br />
„Mehr eine... berechtigte Sorge.“<br />
„Wir alle haben unsere Sorgen.“ Es war Sidak, der gesprochen<br />
hatte. Er trat nun zwischen den Sicherheitsleuten vor und baute sich<br />
direkt vor Kovan auf. Der Vulkanier war mindestens zwei Köpfe<br />
kleiner, und auch sehr viel älter, aber er hatte keine Angst. Wäre ja<br />
auch eine Emotion gewesen. In Anbetracht der Situation war er sogar<br />
die Ruhe in Person.<br />
Kovan hingegen war sehr wohl emotional beteiligt. Die Abneigung,<br />
die er dem Vulkanier entgegenbrachte war ihm deutlich anzusehen. Er<br />
grollte mit bedrohlicher Stimme: „Gehen sie dorthin zurück, wo sie<br />
herkamen, Doktor. Die Situation ist bereits angespannt genug. <strong>Sie</strong><br />
müssen die Lage nicht noch mehr verschärfen.“<br />
„<strong>Sie</strong> sind derjenige, der die Lage verschärft, weil sie uns nicht<br />
vorbeiziehen lassen. Und ich beginne zur rätseln warum. Gibt es in<br />
der toleranten Welt, die sie mit dieser Uniform repräsentieren etwa<br />
keinen Platz für jemanden wie mich? Wie Tolerant ist diese Welt<br />
dann, frage ich? Wie Tolerant sind sie?“<br />
„Wenn sie glauben, ich würde einfach beiseite treten, und einem<br />
Fanatiker platz machen...“<br />
„Beleidigungen, Captain Kovan? Drohungen? Proteste? Wollen sie<br />
wirklich meine Theorien bestätigen, in dem sie zeigen, wie gefährlich<br />
Andorianer sind?“<br />
Kovan beugte sich zähnefletschend zu dem Vulkanier herab. Ihre<br />
Nasenspitzen berührten sich fast. „Ich bin nicht derjenige, der glaubt,<br />
er sei einer ganzen Rase überlegen. Ich bin nicht derjenige, der diese<br />
Rasse ausstoßen will... der Hass und Unvernunft schürt, wo immer er<br />
auch wandelt. Die Gefahr, die sie präsentieren, Doktor, sie und ihre<br />
rassistischen Worte...“
„...sind völlig von Bedeutung.“, hielt Sidak ruhig gehen. „Es sind<br />
nur Worte. Die Gefahr geht von den Aktionen aus, die Leute wie sie<br />
aufgrund dieser Worte treffen, Kovan. Nicht ich bin es, der jemandem<br />
den Weg versperrt. Nicht ich bin es, der sich von Wut leiten lässt.“<br />
Kovan stieß ein zorniges Knurren aus. „<strong>Sie</strong> denken ich ließe mich<br />
von meiner Wut leiten? Ja, das tue ich, denn ich bin kein<br />
emotionsloser, kalter Waldschrat, der ohne mit der Wimper zu zucken<br />
seinen Mitmenschen Leid zufügt, und sich mit seiner verfluchten<br />
Logik rechtfertigt! Ich werde ihnen zeigen, wie verdammt befreiend<br />
Emotionen sein können!“ Er hob die Faust und holte aus.<br />
Die Situation drohte zu eskalieren.<br />
Die Lichtkegel ihrer Lampen zuckten den pechschwarzen<br />
Klassenraum entlang, während sich Drake und Seeley langsam<br />
vorwärts bewegten, den Tricorderanzeigen und somit der KI entgegen.<br />
Alles war still und irgendwie unheimlich. Das Rascheln und Knacken<br />
des Bodens unter ihren Stiefeln war das einzige Geräusch.<br />
Aus irgendeinem Grund wurde es plötzlich sehr warm – auf eine<br />
bedrohliche Art und Weise. Drake spürte, wie sich die Luft mit<br />
knisternder Energie füllte, denn die feinen Härchen auf an seinem<br />
Körper richteten sich auf. Und dann roch er Ozon. Ozon? Das konnte<br />
doch nur bedeuten-<br />
Er ahnte die Gefahr mehr, als das er sie sah.<br />
„Seeley!“, brüllte er, sprang zur Seite und warf sich mit aller Kraft<br />
gegen die Efrosianerin.<br />
In dem Moment kam der Blitz. Er zuckte in ihre Richtung und<br />
wurde von einem solch gewaltigen Donnerknall begleitet, dass Drake<br />
glaubte, sein Trommelfell würde platzen. <strong>Sie</strong> stürzten zu Boden und<br />
entgingen der Entladung dadurch nur knapp. Anstatt sie in ein<br />
Häufchen Asche zu verwandeln, fuhr sie stattdessen in die Wand und<br />
zerschmolz das Duranium. Aber Drake spürte dennoch die Hitze, die<br />
unangenehme Erinnerungen weckte. Er hob den Kopf und versuchte<br />
sich zu orientieren. Einen Moment lang war er geblendet und sah nur<br />
graue Schlieren. Dann klarte die Sicht auf und er erspähte die<br />
grellweiß leuchtende Gestalt, die aus den Energieleitungen gefahren<br />
und vor ihnen aufgetaucht war. <strong>Sie</strong> sah aus, wie aus einem schlechten
Science-Fiction-Roman übernommen. <strong>Sie</strong> war männlich, hatte eine<br />
menschenähnliche, muskulöse Form und einen seltsam verbogenen<br />
Kopf. Und die Erscheinung bestand komplett aus Licht.<br />
Das war die KI.<br />
Das war ihr Erscheinungsbild in der realen Welt außerhalb des<br />
Computers.<br />
Und das Ding war schnell. Im einen Moment hatte es noch vor<br />
ihnen geschwebt, dann verschwamm seine Gestalt und einen<br />
Augenblick später war es rechts von ihnen, um von einer neuen<br />
Position anzugreifen. Es holte aus. Drake spürte, wie sich die Luft<br />
erneut erhitzte und der Ozon stank. Es drohte einen weiteren Blitz<br />
schicken. Drake stieß Seeley an. „Weg!”, brüllte er, „Los, weg! Weg!”<br />
<strong>Sie</strong> rannten los, halb stolpernd, und hinter ihnen krachte ein weiterer<br />
Blitz, der irgendwo in den Stuhlreihen einschlug. Und dann noch<br />
einer, und noch einer, jeder unglaublich heiß und laut und jeder näher<br />
als der vorherige. Drake und Seeley retten sich beide mit einem<br />
beherzten Sprung hinter einen Labortisch.<br />
Die KI machte ein wütendes Geräusch.<br />
Drakes Schädel dröhnte, außer einem penetranten Piepen hörte er<br />
fast gar nichts mehr.<br />
„Was ist das für ein Ding?!“, brüllte Seeley.<br />
Drake hob seinen Phaser. „Ich geh mal fragen!“<br />
Er sprang aus der Deckung hervor, zielte kurz und feuerte. Seeley<br />
folgte eine halbe Sekunde später und tat das gleiche. Ihre Ausbildung<br />
war hervorragend. <strong>Sie</strong> deckten die KI mit schnellen Salven ein, von<br />
denen jede einzelne traf.<br />
Leider ohne das geringste zu bewirken. Die Strahlen fuhren einfach<br />
durch die Lichtgestalt hindurch.<br />
„So viel zu der Modifikation der Phaser.“, murmelte Drake.<br />
Die KI schleuderte einen weiteren Blitz. Drake zog den Kopf ein,<br />
was nicht viel half, da der gesamte Tisch, hinter dem sie kauerten,<br />
explodierte. Eine unsichtbare Faust traf Drake und schleuderte ihn mit<br />
solcher Wucht gegen die Wand, dass er spürte, wie etwas brach. Er<br />
versuchte den Schmerz zu ignorieren und herumzurollen. Halb<br />
benommen kam er auf die Beine. Seine Lungen schrieen nach Luft<br />
und Pein explodierte wie ein Feuerwerk in seinem Kopf und drohte<br />
ihn in eine Bewusstlosigkeit zu zerren, von der Drake genau wusste,
dass er in ihre sterben würde, denn er bemerkte trotz aller<br />
Benommenheit, dass sich die Luft wieder erhitzte.<br />
Als er den Kopf drehte, sah er, wie Seeley am Boden lag und sich<br />
nicht rührte. Die KI bewegte sich auf sie zu. Irgendwie schaffte es<br />
Drake auf die Beine. Er wedelte mit den Armen, um die<br />
Aufmerksamkeit der KI auf sich zu lenken „Hey, hier rüber, hier<br />
rüber!“ – und es funktionierte. Offenbar war er ein weitaus<br />
attraktiveres Ziel, da sich die KI sofort ihm zuwandte – und Blitze<br />
schickte.<br />
Drake stürmte los. Er hielt auf den Verbindungsgang zu, stürzte um<br />
die Ecke, dann hinaus in das Labor.<br />
Die KI war ihm dicht auf den Fersen. Hinter ihm zuckte ein weiterer<br />
Blitz, schlug wieder in eine Wand und riss Drake beinahe von den<br />
Beinen. Er stolperte, prallte gegen irgendein kompliziert aussehendes<br />
Gerät mit einer spiegelnden Oberfläche und ging zu Boden. Eine<br />
Verzerrung in der Luft erfolgt und einen Lidschlag später schwebte<br />
die KI vor ihm in der Dunkelheit.<br />
Es gab jetzt keine Fluchtmöglichkeit mehr, Drake konnte sich nicht<br />
in Sicherheit bringen.<br />
Unverzüglich schickte die KI einen Blitz. Drakes Schicksal schien<br />
unvermeidlich. In seiner Verzweiflung riss er das spiegelnde Gerät vor<br />
sein Gesicht und dann geschah etwas völlig unerwartetes. Anstatt ihn<br />
in ein Häufchen Asche zu verwandeln, prallte der Blitz einfach von<br />
der spiegelnden Oberfläche ab. Der ursprünglich auf ihn gerichtete<br />
Blitz bewegte sich nun auf die KI zu – damit hatte sie nicht gerechnet<br />
– und trafen sie mit voller Wucht. Einen Moment lang geschah gar<br />
nichts. Dann jedoch erschien ein grellweißes Glühen – intensiver als<br />
ohnehin schon und es wurde größer und größer.<br />
Das Bedeutete nichts gutes.<br />
Die KI zuckte unkontrolliert. <strong>Sie</strong>... hatte Angst. Drake spürte es. <strong>Sie</strong><br />
hatte tatsächlich angst.<br />
„Das... kann... nicht alles sein.“<br />
Drake brauchte einen Moment um zu realisieren, dass die KI gerade<br />
gesprochen hatte. Ihre – wenn man es so nennen konnte – war<br />
merkwürdig verzerrt. Drake hatte recht gehabt, sie hatte vom<br />
Akademiecomputer gelernt. <strong>Sie</strong> sagte erneut: „Das kann nicht alles<br />
sein. Ich... will... leben. Ich... will... lebendig sein.“
„Lebendig?“ Drake konnte kaum glauben, was er da hörte. „Du bist<br />
nicht lebendig.“, rief er wütend. „Du bist eine Ansammlung<br />
elektrischer Impulse! Nichts weiter!“<br />
„Das.. seid... ihr auch.“<br />
„Wir brauchen uns nicht zu wünschen, lebendig zu sein. Wir sind es<br />
einfach! Du hingegen... bist ein Unfall! Du wirst niemals mehr sein,<br />
als du gerade bist.“<br />
Die Gestalt der Kreatur gleißte weiter – sie wandte sich in Agonie.<br />
Und plötzlich versuchte sie die Hand nach Drake auszustrecken. Und<br />
sie sagte: „Hilf mir!“<br />
Es wusste nicht, was es sonst tun sollte.<br />
Yoko wusste nicht, was er tun sollte. Er sah wie Kovan Sidak’s<br />
Weg blockierte, und er hörte die Auseinandersetzung. Die ruhigen<br />
aber zweifellos provozierenden Worte Sidaks, und die gegrollten<br />
Drohungen Kovans. Yoko war enttäuscht und empört, von beiden<br />
Personen. Warum redeten sie nicht vernünftig miteinander? Alles<br />
andere war unlogisch und ihrer modernen Zeit schlicht nicht<br />
angemessen.<br />
Kovan wurde lauter, sprach bedrohlicher. Und plötzlich wurde<br />
Yoko bewusst, dass Kovan möglicherweise im Begriff war, Gewalt<br />
gegen Sidak einzusetzen. Was für schlechte Vorbilder sie doch<br />
abgaben!<br />
Yoko verabscheute Gewalt. Er war überzeugter Pazifist, und er<br />
hätte niemals seine Kraft gegen jemanden eingesetzt. Doch<br />
manchmal...<br />
....manchmal, da tat man Dinge, die man zu dem Zeitpunkt für das<br />
einzig Richtige hielt, um für seine Überzeugungen zu kämpfen. Es<br />
hieß, man könne wissen, dass etwas das richtige ist, wenn es einem<br />
ein gutes Gefühl bescherte. Könnte sein, dachte Yoko. Vielleicht kam<br />
es nur darauf an. Tun, was einem entsprach, und den Rest einfach sich<br />
selbst sortieren lassen.<br />
Yoko fasst einen Entschluss und sprang über die Absperrung.
Tala wusste nicht, was sie tun sollte. <strong>Sie</strong> sah wie Yoko über die<br />
Absperrung sprang, und sie sah die Zeichen in Kovans Gestik – die<br />
bedrohlich aufgerichteten Fühler, die dunkelblauen Wangen und die<br />
geballten Fäusten -, Zeichen, die mehr als deutlich sagten, dass er<br />
jeden Moment zuschlagen würde.<br />
Und ein Teil von ihr konnte es ihm nicht verdenken. Ein Teil von<br />
ihr empfand genauso. Es war unvernünftig, aber ihrer Spezies<br />
angemessen. Andorianer waren Aggressiv und sie mochten es zu<br />
kämpfen, und hin und wieder, da setzten sie ihre Kraft auch gerne<br />
gegen jemanden ein, mit dem sie sich nicht hätten anlegen sollen. Es<br />
mochte nicht richtig sein. Doch manchmal...<br />
...manchmal, da tat man Dinge, die man zu dem Zeitpunkt für das<br />
Richtige hielt, um für seine Überzeugungen zu kämpfen. Es hieß, man<br />
könne wissen, dass etwas das richtige ist, wenn es einem ein gutes<br />
Gefühl bescherte. Könnte sein, dachte Tala. Vielleicht kam es nur<br />
darauf an. Tun, was einem entsprach, und den Rest einfach sich selbst<br />
sortieren lassen.<br />
Tala fasste einen Entschluss, und sprang über die Absperrung.<br />
Adrian Drake wusste genau, was er tun sollte. Er wandte sich von<br />
der hilfesuchenden, sich windenden KI ab und rannte in den<br />
Nebenraum. Seeley stöhnte, sie war noch immer benommen, als er sie<br />
über seine Schulter warf und hektisch seinen Phaser suchte. Er<br />
sprengte die Tür zum Korridor auf und trat die Flucht an.<br />
Ein Ohrenbetäubender Lärm erklang hinter ihm: die KI schrie. Ein<br />
Geräusch, dass Mark und Bein erschütterte. Drake konnte es in seinem<br />
Herzen hören, in seiner Seele... die Kreatur schrie. Er hätte Mitleid für<br />
die KI empfinden sollen, als sie sich vor Schmerz krümmte. Aber<br />
Drake fühlte kein Mitleid. Er fühlte gar nichts. Sekunden vor der<br />
Explosion betrat er den Lift und sperrte die Schreie aus.<br />
Kovan sah in die emotionslosen Augen des verhassten Sidak, wie er<br />
da direkt vor ihm stand, herausfordernd, verabscheuenswürdig, und<br />
hatte endgültig genug! Er konnte es nicht mit gutem Gewissen
Erlauben, dass dieser Kerl sein Gift unter das Volk brachte, und er gab<br />
sich seinem Temperament hin, um ihm hier und heute einen<br />
Denkzettel zu verpassen, um das einzige Zeichen zu setzen, dass<br />
Sidak verstehen würde. Es war das falsche, das wusste er tief in sich<br />
drin, aber er fühlte sich kein bisschen schlecht dabei, als er ausholte<br />
und seinen gefürchteten rechten Schwinger durch die Luft sausen<br />
ließ...<br />
...und nicht traf.<br />
Als er den Vorfall später wiederholt vor seinem inneren Auge<br />
Revue passieren ließ, gelang er jedes Mal zur gleichen<br />
Schlussfolgerung. Er hatte nicht einen Moment lang den Blick von<br />
Sidak abgewendet. Seine Konzentration hatte keinen<br />
Sekundenbruchteil nachgelassen, und er hatte auch nicht zu der<br />
versammelten Masse gesehen, zu den Kindern, die zweifellos voller<br />
Stolz zu ihm aufblickten, weil... na ja, wer würde das nicht? Seine<br />
ungeteilte Aufmerksamkeit hatte einzig und allein Sidak gegolten.<br />
Daher konnte er sich absolut nicht erklären, warum Sidak plötzlich<br />
aus seinem Sichtfeld verschwunden war, warum er in der Luft hing,<br />
und warum er schlagartig einzig und allein den blauen Himmel<br />
betrachtete, der sich von seinem sonst so mächtigen rechten Haken<br />
kein bisschen beeindruckt zeigte.<br />
Es erstaunte Tala immer wieder, wie außerordentlich kräftig die<br />
Vulkanier eigentlich waren. Es war so überraschend, weil man es<br />
ihnen aufgrund ihrer stoischen, fast einschläfernden Art schlicht nicht<br />
zutraute, und die Geschichten, dass sie die Kraft von über zehn<br />
Menschen in ihren dürren Leibern trügen, gerne ins Reich der<br />
Phantasie schob. Zumindest mussten sie übertrieben sein.<br />
Trotzdem zeigte Yoko nicht den Hauch von Anstrengung, als er<br />
Kovan am ausgestreckten Arm hoch in der Luft hielt. Was Kovan<br />
natürlich fuchsteufelswild machte. Dank seiner Antennen brauchte er<br />
nicht lange, um sich auf die neue Lage einzustellen, und genau zu<br />
wissen, wo Sidak stand – auch ohne ihn zu sehen. Und mit seinen<br />
Beinen besaß er sehr wohl noch einen gewissen Handlungsspielraum.
Also verlor Tala keine Zeit, griff nach Sidak Arm und riss ihn unter<br />
den Buhrufen der Demonstranten zur Seite. Kovan, der für seinen Tritt<br />
eine Sekunde zu lange ausholte, traf nichts als Luft.<br />
Dann stieß Tala Sidak die Treppe hinauf und gab den<br />
Sicherheitsleuten ein Zeichen, ihn endlich reinzubringen.<br />
Einer von ihnen - ein Andorianer - deutete mit einem Kopfnicken<br />
zu Kovan. „Was ist mit dem?“<br />
„Überlasst das uns.“<br />
Der Mann nickte sichtlich erleichtert, und die Offiziere schoben<br />
Sidak weiter die Stufen hinauf. Die Menge buhte. Sobald sie oben im<br />
Eingang verschwanden, ließ Yoko den wutschnaubenden Kovan<br />
wieder herab. Der wirbelte, als er Begriff, dass Sidak im Gebäude<br />
war, und er versagt hatte, sofort herum und bedachte Yoko mit einem<br />
Blick, der teilweise Wut, teilweise Enttäuschung, und teilweise<br />
Verachtung beinhaltete. „<strong>Sie</strong> tragen diese Uniform, Kadett und setzen<br />
sich für Unrecht ein?“ Er konnte es einfach nicht fassen!<br />
„Ich setze mich für Ideen ein, Sir, was genau dem entspricht, wofür<br />
diese Uniform steht.“<br />
„Das sind aber falsche Ideen!“, zürnte Kovan.<br />
„Das habe ich nicht zu entscheiden, Sir. Und sie auch nicht.“<br />
„Vielleicht sollte ich es entscheiden.“<br />
„Und dann? Was wird passieren, wenn man nicht mehr sagen darf,<br />
was man denkt? Was haben wir dann erreicht?“<br />
„Eine freundlichere und verantwortungsvollere Gesellschaft!“<br />
Yoko deutete entschlossen auf den Eingang, in dem Sidak<br />
verschwunden war. „Er mag unrecht haben. Er mag ein Schleimteufel<br />
sein. Und vielleicht sogar ein böses Monster.“<br />
Von drinnen rief eine Stimme, die verblüffende Ähnlichkeit mit<br />
Sidak hatte: „Ich kann sie noch hören, Kadett...!“<br />
Niemand ging darauf ein.<br />
„Aber er hat das Recht“, sprach Yoko weiter „seine Meinung – mag<br />
sie noch so falsch sein – zu äußern. So wie uns dasselbe recht<br />
zusteht.“<br />
„Und wir sollen einfach beiseite treten? Nichts tun öffnet Monstern<br />
wie Khan, Qualto, Hitler, oder diesem Sidak Tür und Tor!“<br />
„Soweit ich mich erinnere, haben diese Leute nicht die Macht<br />
ergriffen, Sir. <strong>Sie</strong> wurden gewählt. Das Volk hatte eine Wahl. Es hat<br />
die falsche getroffen. Aber das war ihr gutes Recht.“
„Was?!“<br />
Es reichte! Es war endgültig genug! Unbändiger Zorn vernebelte<br />
Kovans Geist. Er wollte es nicht einmal, aber er benötigte ein Ventil,<br />
um Dampf abzulassen, und dieses Ventil fand er in einem Schubs des<br />
Vulkaniers. Es war nicht einmal ein bemerkenswert starker Schubs,<br />
und er tat Kovan auch in dem Moment leid, in dem er geschah, aber er<br />
genügte, um Yoko aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Vulkanier<br />
stürzte zurück und plumpste auf den Hosenboden.<br />
Tala bedauerte sehr, dass es so weit kommen musste. Captain<br />
Kovan hätte ihr alles ermöglichen können, was sie anstrebte: eine<br />
schnelle, saubere Karriere in der Flotte. Sein Wort trug einiges<br />
Gewicht. Wenn er sich für sie eingesetzt hätte, wäre sie zweifellos<br />
durch die Ränge steil nach oben geflogen. Vor ihrem inneren Auge<br />
hatte sich Tala bereits auf dem Kommandostuhl eines Raumschiffes<br />
gesehen. Und sie sah all das Gute, dass sie mit der Macht ihres<br />
eigenen Schiffes hätte bewirken können. All die Leute, denen sie hätte<br />
helfen können.<br />
Vor allem ihrer eigenen Welt.<br />
Vor allem Andoria.<br />
Und dann wurden diese Bilder alle weggewaschen, durch einen<br />
einzigen, simplen Fakt: Das ein Freund in Not war.<br />
Kovan sah Talas Angriff gar nicht kommen. Ihre Faust bewegte sich<br />
so schnell, dass man sie selbst in Zeitlupe kaum wahrgenommen hätte.<br />
Es war ein sauberer Aufwärtshaken, der ihn an der Kinnspitze traf und<br />
unverzüglich die Sterne sehen ließ, durch die er normalerweise zu<br />
reisen pflegte. Alles, was er noch mitbekam, war, wie Tala vor ihn<br />
sprang, und grollte: „Yoko ist ein Mitglied meiner Staffel, und der<br />
einzige, der ihn herumschubst, das bin ich!“ Dann wurde sie kurz<br />
unscharf, und dann war da nur noch Schwärze.<br />
Tala reichte Yoko die Hand und half ihm auf.<br />
„Alles okay?“<br />
„Ich... denke schon. Danke.“
Es war endlich vorbei. Für heute hatte sie wirklich genug von dieser<br />
Demonstration, und sie war sicher, dass alle anderen genauso<br />
empfanden.<br />
Was natürlich nicht der Fall war.<br />
Indem Moment, in dem Kovans Körper wie ein nasser Sack<br />
eingeknickt war, waren alle verstummt. Die Vulkanier hatten die<br />
Brauen geringschätzig gehoben, die Menschen hatten mit offenen<br />
Mündern und großen Augen dagestanden, und die Andorianer hatten<br />
nur einen kurzen Augenblick gebraucht, um von Tala zu Kovan und<br />
dann wieder zu Tala zu blicken, und zu entscheiden, dass das die<br />
ideale Gelegenheit wäre, um jenen Vorfall, der als die größte<br />
Massenschlägerei der Akademie in die Geschichtsbücher eingegangen<br />
war, zu übertreffen.<br />
„<strong>Sie</strong> hat Captain Kovan geschlagen!“, rief einer.<br />
„Und dem Rassisten geholfen!“, rief ein anderer.<br />
„Packt sie!“, riefen alle.<br />
Es war Durkin, der plötzlich vor Tala gesprungen kam und die<br />
Menge gefährlich anknurrte: „Da müsst ihr aber erst an mir vorbei!“<br />
Er war Kampfeslustig und Willens, jeden in der Luft zu zerreißen, der<br />
sich ihnen auch nur näherte.<br />
Und die anderen Mitglieder der Omega-Staffel folgten seinem<br />
Beispiel, und stellten sich den anderen in den Weg, Schulter an<br />
Schulter - wenn auch weniger euphorisch als Durkin.<br />
„Und an mir.“<br />
„Und. An. Mir.“<br />
„Und an... an... mir.“<br />
„An mir nicht, aber Tala tut mir weh, wenn ich nicht hier stehe.“<br />
(Das war Galak)<br />
„Und an mir.“<br />
Sha’Nyn stöhnte auf. <strong>Sie</strong> wusste, was jetzt kommen würde.<br />
Dennoch nahm sie artig ihren Platz an der Seite der anderen ein. „Und<br />
an mir...“, sagte sie augenrollend.<br />
Tala hätte stolzer nicht sein können. In solchen Momenten, da fragte<br />
sie sich, ob es vielleicht genetische Veranlagung war. Eine feste<br />
Verdrahtung, ein Instinkt, der sich in jedem einzelnen von ihnen<br />
befand. Schließlich war der Überlebensinstinkt der stärkste, den sie<br />
hatten. Und je mehr sie waren, desto größer standen die Chancen zu<br />
überleben. Es war leicht, sich einzelne Individuen herauszupicken und
anzugreifen. Aber es lag Stärke in Zahlen. Selbst, wenn diese Zahl nur<br />
eine sieben war.<br />
Die Andorianer drängten durch die Menge, stießen diejenigen um,<br />
die an einer Schlägerei nicht beteiligt sein wollten, warfen die<br />
Barrikaden um und stürmten auf die Omega-Staffel zu.<br />
Sha’Nyn seufzte und sah zu Tala rüber. „Immer dasselbe, was?“<br />
„Ich weiß.“, erwiderte Tala mit einem grimmigen Lächeln. „Aber<br />
ich werde nie müde es zu tun.“<br />
Die Gegnermassen waren gewaltig. <strong>Sie</strong>ben gegen eine ganze Horde.<br />
Sha’Nyn war davon überzeugt, dass sie nun die Abreibung ihres<br />
Lebens bekommen würden. Und Admiral Janeway würde<br />
anschließend die Reste einsammeln, um sie höchstpersönlich noch ein<br />
bisschen weiterzubearbeiten, ehe sie jedes einzelne Mitglied der<br />
Omega-Staffel persönlich zur Tür begleiten würde.<br />
In diesem Moment setzte die Explosion ein.<br />
Das Tosen der heranstürmenden Menge war so laut und ablenkend,<br />
dass anfangs niemand das Gleißen bemerkte, das aus den Fenstern der<br />
oberen Etage der Sudak-Halle strömte. Doch die anschließende<br />
Explosion weckte unzweifelhaft die Aufmerksamkeit aller<br />
Anwesenden. Das halbe Bauwerk wurde von einem gewaltigen<br />
Feuerball erfasst, der im oberen Stockwerk aufbrandete und sich zu<br />
den Seiten ausbreitete, bis er alles zu verschlingen schien, was sich in<br />
Reichweite befand. Eine Flammen walzten aus den oberen Fenstern<br />
meterweit über ihnen hinweg, Rauchwolken quollen hervor,<br />
Stahlträger krümmten sich, Hagelschauer aus zersplittertem Glas<br />
gingen nieder, die Luft erzitterte in ohrenbetäubendem Getöse.<br />
Die Kadetten schrieen alle gleichzeitig auf, aber selbst das ging im<br />
grässlichen Lärm der Detonation unter. Die Erde rüttelte und<br />
schüttelte sich, und Millisekunden später folgte die Druckwelle. Es<br />
fühlte sich wie der Hammerschlag eines Gottes an, als Sha’Nyn<br />
erfasst und emporgehoben wurde. <strong>Sie</strong> schleuderte durch die Luft und<br />
prallte gegen gleich zwei Andorianer, die im selben Moment das<br />
Gleichgewicht verloren und mit rudernden Armen zu Boden gingen,<br />
während sich die Druckwelle der Detonation fortpflanzte und durch<br />
die Reihen der Kadetten fegte.
Sha’Nyn wurde die Luft aus den Lungen gepresst und sie spürte<br />
einen stechenden Schmerz in der Seite. Einen Moment lang wurde ihr<br />
Schwarz vor Augen, und dann nahm sie alles nur noch wie durch<br />
einen grauen Schleier wahr.<br />
Ein dumpfer Knall war von irgendwoher zu hören. <strong>Sie</strong> spürte, wie<br />
Glas auf sie niederprasselte. Dann vernahm sie für eine elend lange<br />
Zeit nur noch ihren Herzschlag.<br />
Später erfuhr Sha’Nyn, dass sie nur etwa ein oder zwei Minuten<br />
benommen dagelegen hatte, aber es war ihr vorgekommen wie ein<br />
oder zwei Jahre. <strong>Sie</strong> spürte, wie sie von jemandem auf den Rücken<br />
gedreht wurde, dann tauchte ein dunkler Schemen in ihrem Blickfeld<br />
auf.<br />
„-han?“<br />
Der Schemen hatte Fühler.<br />
„Shan?“<br />
Sha’Nyn blinzelte und der graue Schleier verwandelte sich nach und<br />
nach in ein klareres Bild. Talas Gesicht schälte sich hervor. <strong>Sie</strong> war<br />
über Sha’Nyn gebeugt und große Sorge zerfurchte ihre Züge.<br />
Und sie sah furchtbar aus.<br />
<strong>Sie</strong> war voller Dreck und ihre Haut war Ruß- und Blutverschmiert.<br />
Überall in ihren Haaren befanden sich Glassplitter. „Shan, bist du in<br />
Ordnung? Shan, komm schon. Tu mir das nicht an. Sag mir, dass du<br />
okay bist!“<br />
Ein Stöhnen war die Antwort. „Warum muss bei uns immer alles<br />
explodieren?“<br />
Tala hätte fast gelacht, hauptsächlich vor Erleichterung. „Kannst du<br />
aufstehen?“<br />
„Ich kann dir nicht einmal sagen, ob ich überhaupt noch einen<br />
Körper habe.“<br />
„Hast du.“, versicherte Tala und zog Sha’Nyn kurzerhand am Arm<br />
hoch. <strong>Sie</strong> schwankte zwar einen Moment gefährlich, hielt sich aber<br />
auf den Beinen.<br />
„Geht’s?“
„Glaub schon.“ Ihre ganze linke Seite tat schrecklich weh, aber sie<br />
konnte es aushalten. Tala hatte offenbar mehr Glück gehabt. Oder sie<br />
zeigte es nur nicht. „Was ist passiert?“<br />
„Ich habe keine Ahnung.“, antwortete Tala ehrlich.<br />
Der Anblick, der sich Sha’Nyn darbot, war furchtbar. Überall lagen<br />
Körper und überall war Glas. In der Luft schwirrte und brodelte es<br />
von verkohlten Trümmerteilen, Ascheflocken, Duranium und<br />
brennendem Plastik.<br />
<strong>Sie</strong> hörte Gestöhne, manche weinten auch. Alle waren bei der<br />
Explosion zu Boden geschleudert worden. Beim Sturz mochten sich<br />
viele verletzt haben. Sha’Nyn ging von etlichen Knochenbrüchen aus.<br />
Vielleicht auch schlimmeres. Nun taumelten etliche Kadetten wie<br />
Zombies durch die Gegend. <strong>Sie</strong> standen unter Schock und waren<br />
völlig desolutioniert. Kämpfen mochte in dieser Situation niemand<br />
mehr. Einige der Andorianer, die ihnen zuvor noch an den Kragen<br />
wollten, und unverletzt geblieben waren, versuchten nun ihre<br />
Kameraden in Sicherheit zu bringen, die weniger Glück gehabt hatten.<br />
Nun gab es kein die da mehr. Nun halfen sich alle gegenseitig.<br />
Sha’Nyn sah, wie Tala bereits jemand anderen aus den Trümmern<br />
zog. Es war Galak. Er hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen,<br />
und auch er sah übel mitgenommen aus. „Ha-habt ihr die Explosion<br />
gehört?“<br />
Tala stöhnte. „Die hat man noch auf dem Mars gehört, Galak! Bist<br />
du okay?“<br />
„Nein!“<br />
<strong>Sie</strong> trat zu ihm herüber und untersuchte seinen Körper. „Du hast ein<br />
paar Kratzer, aber es ist nicht schlimm, denke ich.“<br />
„Es ist mein Körper, ich entscheide, wie schlimm es ist.“<br />
„Sei nicht so ein Baby!“<br />
Tala merkte, dass er zitterte. Er hatte Angst und sie wusste, dass er<br />
panisch war. Er neigte in Extremsituationen wie dieser zur Hysterie –<br />
er war für solche Dinge einfach nicht geschaffen. Aber das konnte sie<br />
jetzt nicht brauchen, also scheuerte sie ihm eine. „Reiß dich<br />
zusammen! Ich brauche dich jetzt, verstanden?“<br />
Er rieb sich die schmerzende Wange und funkelte sie böse an. „Ich<br />
versuch’s.“<br />
„Gut so.“
Sha’Nyn suchte die Umgebung ab. <strong>Sie</strong> entdeckte Wotan – er war in<br />
Ordnung. Auch Cera stand gerade auf. <strong>Sie</strong> hatte sich schützend auf<br />
Das Grau geworfen, der platt wie eine Flunder war. Zum Glück gab es<br />
in seinem Körper keine Knochen, die man hätte brechen können. Er<br />
würde es überleben. Und da war auch Durkin, der zwar angeschlagen,<br />
aber wütend war. Er stand auf ziemlich wackligen Beinen, was ihn<br />
allerdings keineswegs daran hinderte, dem unbekannten Gegner, der<br />
ihn gerade umgehauen hatte, die Fäuste zu zeigen. Die Wildheit der<br />
Schlacht, in der er sich anscheinend befand, hatte ihn erregt. „Wer hat<br />
mich mit einem Shuttle überrollt?“, schnaufte er. „Wer hat es<br />
gewagt...?!“<br />
Da niemand antwortete, erklärte er für sich im Geiste schließlich,<br />
dass der unbekannte Gegner eindeutig zu feige war sich zu zeigen und<br />
zu kämpfen und ihm somit der <strong>Sie</strong>g gehörte.<br />
Sha’Nyn suchte die Gesichter ab.<br />
Wotan war da, Galak, Cera, Grau, Durkin...<br />
Sha’Nyn und Tala sahen gleichzeitig einander an: „Wo ist Yoko?“<br />
„Hier drüben!“ Es war Kovan, der rief. Die Explosion hatte ihn<br />
unsanft aus seiner Bewusstlosigkeit gerissen, und ihm brummte der<br />
Schädel gleich doppelt – sowohl von dem lauten Knall, als auch von<br />
Talas äußerst kräftigem Handkantenschlag. Aber der spielte nun keine<br />
Rolle mehr. Nichts fokussierte und schweiße mehr zusammen, als ein<br />
Notfall, und das hier war ganz klar einer. Man konnte sich den lieben<br />
langen Tag wegen Meinungsverschiedenheiten an die Gurgel gehen,<br />
aber wenn eine Katastrophe geschah, hielt man zusammen, ohne<br />
Wenn und Aber.<br />
Was auch erklärte, warum er Yoko aus den Trümmern zu befreien<br />
versuchte. Er lag direkt an der Treppe und ein Dachbalken war auf ihn<br />
niedergestürzt. Die anderen eilten ihm zu Hilfe. Während sie über<br />
Körper sprang und Glas auswich, sah Sha’Nyn erschüttert und atemlos<br />
hinauf zum brennenden Gebäude. Überall fielen Scherben herab, und<br />
in der Luft trieb brennende Papierfetzen.<br />
Tala war als erste bei Kovan. <strong>Sie</strong> zogen Yoko gemeinsam aus den<br />
Trümmern raus. Dann wollten sie ihn auf den Boden legen, aber er<br />
richtete sich von selbst auf. Sogar er schwankte.<br />
„Yoko, bist du okay?“<br />
„Was?“<br />
„Ob du okay bist.“, rief Tala.
„Was?!“<br />
„Das Gebäude ist direkt neben ihm explodiert.“, erklärte Kovan.<br />
„Und bei den Ohren... Er hört sie nicht, Kadett.“<br />
„Was?!“<br />
Ein Dröhnen erfüllte die Luft, als ein rückwärtiger Teil des<br />
Gebäudes absackte, da die Flammen die Stützträger fraßen. Ein<br />
starker Luftzug war die Folge und unter den entsetzten Blicken der<br />
Kadetten löste sich die Rauchwand auf und gab die ganze<br />
abgesprengte Gebäudeseite frei, sodass sie sehen konnte, wie<br />
Flammen innen durch die Korridore und die verwüsteten Ruinen<br />
abgeteilter Computer- und Vorlesungsräume tobten.<br />
„Sidak.“, grollte Kovan. Und dann geschah etwas, das Tala zutiefst<br />
erschreckte: Er grinste. Kovan grinste mit tiefer Befriedigung.<br />
„Endlich war es das mit ihm.“<br />
Tala sah ihn aus großen Augen an. <strong>Sie</strong> konnte nicht glauben, was sie<br />
da gehört hatte. Konnte nicht glauben, welche Kaltherzigkeit Kovan<br />
an den Tag legte. Eine Kaltherzigkeit die jemandem wie Sidak in<br />
nichts nachstand. Und die vielleicht sogar noch schlimmer war, weil<br />
Kovan im Alltag ein völlig anderes Bild von sich gezeigt hatte. Wie<br />
sooft, hatte der Schein getrogen.<br />
Tala packte ihn am Oberarm. „Und die Sicherheitsleute?“, fragte sie<br />
wütend. „Es waren auch Andorianer dabei!“<br />
Dem entgegnete er nichts. Er sah sie nicht einmal an, sondern<br />
blickte stur und starr zum lodernden Eingang empor. Aber er musste<br />
auch gar nichts mehr sagen. Tala hatte perfekt verstanden. <strong>Sie</strong> lies<br />
seinen Arm plötzlich los, als hätte sie sich an ihm verbrannt, aber ihr<br />
Blick verriet nicht mehr Überraschung, sondern Wut. Wut und...<br />
grenzenlose Enttäuschung.<br />
In der Ferne war das Dröhnen herannahender Shuttles zu hören, und<br />
aus den Augenwinkeln sah sie, wie überall Rettungskräfte auf den<br />
Platz beamten, die sofort die Kadetten versorgten. Aber keiner von<br />
denen wusste, dass sich jemand im Gebäude aufgehalten hatte. Tala<br />
war nicht bereit, die Andorianer da drin so einfach aufzugeben. Nun<br />
zählte jede Sekunde. „Omega-Staffel“, rief sie. „Mir nach!“<br />
Ohne ein Murren, ohne eine Sekunde zu zögern, folgten sie Tala die<br />
Treppe hoch und hinein in die flammende Hölle dessen, was vor<br />
wenigen Minuten noch ein Ort des friedlichen Gedankenaustauschs<br />
gewesen war.
Im Feuer geschmiedet<br />
Tala schirmte ihr Gesicht mit den Armen ab, als sie durch die<br />
Flammen sprang, die in der gesamten Halle loderten. Ein Großteil der<br />
Decke war runtergekracht, überall lagen Trümmer, überall war Feuer<br />
und dichter Rauch, der in ihren Lungen brannte. <strong>Sie</strong> konnte kaum<br />
atmen und noch viel schlechter sehen.<br />
Es erinnerte sie an die Katastrophe, die man ihnen vor ein paar<br />
Wochen in der Holodecksimulation vorgespielt hatte. Damals hatte sie<br />
sich ebenfalls gefühlt, als sei sie in der Unterwelt gelandet. Aber das<br />
hier war keinen Simulation. Das hier war echt.<br />
Und sie hatte Angst.<br />
<strong>Sie</strong> alle hatten Angst, aber die Mitglieder ihrer Staffel waren noch<br />
immer bei ihr.<br />
Ein Luftzug schob für einen Kurzen Moment den Rauch aus ihrem<br />
Sichtfeld und sie sah schemenhafte Gestalten vor sich. Die ersten<br />
Sicherheitsoffiziere kamen ihnen hustend entgegengewandt. Galak<br />
winkte sie herbei. „Hier herüber!“<br />
<strong>Sie</strong> wankten wie Zombies durch das Feuermeer.<br />
Es waren vier Stück. Einer fehlte. Der Andorianer. Der Andorianer<br />
und Sidak.<br />
„Shan, Cera!“, schrie Tala, um das Brüllen des Feuers zu übertönen.<br />
„Holt Feuerschläuche! Galak, Durkin, bringt die Leute hier heraus.<br />
Yoko, mir nach!“<br />
<strong>Sie</strong> setzte sich in Bewegung, suchte den Boden nach Körperteilen<br />
ab, die unter den Trümmern herausragten – möglicherweise waren<br />
Sidak und der Sicherheitsleute von herabstürzendem Schutt begraben<br />
worden. Hinter ihnen brachten Galak und Durkin die Sicherheitsleute<br />
ins Freie.<br />
Immer wieder musste sie die Richtung wechseln, weil Flammen den<br />
Weg versperrten. Langsam bekam sie keine Luft mehr. Eine weitere<br />
Explosion erschütterte die Erde und warf Tala von den Füßen. Yoko<br />
konnte sich irgendwie auf den Beinen halten und fing die<br />
Andorianerin auf, um sie vor einem schlimmen Sturz zu bewahren.
Tala hustete und verdrehte die Fühler. Der Rauch war jetzt zu heftig,<br />
sie konnte nichts mehr sehen.<br />
<strong>Sie</strong> versuchte tief einzuatmen, sämtliche verbliebenen<br />
Sauerstoffreserven in ihren Lungen zu mobilisieren und schrie dann<br />
laut: „DANG!“<br />
<strong>Sie</strong> konzentrierte ihre Wahrnehmung, lauschte dem Echo des<br />
Schalls...<br />
... da!<br />
Herzschläge einer Person, acht Meter entfernt. Tala zeigte in die<br />
entsprechende Richtung, brüllte etwas, dass selbst Yoko aufgrund des<br />
Lärms nicht verstand und versuchte Einzelheiten zu erkennen. Yoko<br />
sah die Gestalt als erstes: Es war Sidak.<br />
Und er war nicht allein.<br />
Er trug den vermissten Sicherheitsoffizier in den Armen und<br />
versuchte vergeblich den Ausgang zu finden. Der Andorianer war<br />
bewusstlos und offenbar schwer verletzt, sonst hätte Tala auch seinen<br />
Herzschlag wahrgenommen. Sidak hätte ihn einfach zurücklassen<br />
können und es hätte nie jemand erfahren. Aber er hatte es nicht getan.<br />
Tala und Yoko sahen einander an.<br />
Dann rannten sie zu Sidak herüber, nahmen ihn in die Mitte. Tala<br />
orientierte sich mithilfe ihres Echolots. Auf halbem Wege kamen<br />
ihnen Sha’Nyn, Durkin, Galak und Cera mit Feuerlöschern<br />
entgegengesprungen, um die Bahn freizumachen. Als alle ins<br />
Tageslicht nach draußen sprangen, krachte hinter ihnen der Rest der<br />
Decke herab und schwarzer Rauch quoll aus dem Eingang, aus dem<br />
sie soeben gekommen waren.<br />
Die Rettungskräfte bekamen die Situation schnell unter Kontrolle.<br />
Schon nach fünf Minuten waren sämtliche Feuer gelöscht und man<br />
machte sich auf die Suche nach Verschütteten, aber die Tricorder<br />
gaben Entwarnung. Das Gebäude war völlig leer gewesen, als Sidak<br />
und der Sicherheitstrupp die Halle betreten hatten. Es gab viele leicht<br />
Verletzte, aber wenigstens keine Todesfälle. Trotz der erschreckenden<br />
Nachrichten, dass es zu einem Bombenanschlag direkt auf der<br />
Akademie gekommen war, hatten sie Glück im Unglück gehabt.
Tala saß in einem der Rettungsshuttles, wo man sich um ihre<br />
Rauchvergiftung gekümmert hatte. Inzwischen konnte sie wieder<br />
problemlos atmen und die Ärzte hatten sie alleine gelassen, um sich<br />
um die nächsten zu kümmern. Neben ihr saß Galak an die Wand<br />
gelehnt. Er war in eine Decke gehüllt und schnarchte leise vor sich<br />
hin. Er war beinahe sofort eingeschlafen. Sein ganzer Körper war<br />
noch immer Rußverschmiert und seine Haare standen in alle<br />
Richtungen ab. Er sah so schrecklich aus, wie sie sich fühlte. Aber<br />
wenigstens war ihm nichts passiert.<br />
Tala legte ihm eine Hand auf sein Knie und er schmatzte ohne<br />
aufzuwachen.<br />
Der Rest ihrer Staffel – Durkin, Sha’Nyn, Cera, Yoko und Grau -<br />
saß im Shuttle auf der anderen Seite der Wiese und wurde noch von<br />
den Ärzten durchgecheckt. Tala konnte sie durch die offenstehende<br />
Einstiegsluke sehen. Sha’Nyn blickte im gleichen Moment zu ihr<br />
herüber und winkte. Plötzlich sah Tala, wie jung sie eigentlich waren<br />
und wie erschöpft. Galak schmatzte erneut und sank mit dem Kopf auf<br />
Talas Schulter. „Das nächste Mal...“, murmelte er im Schlaf „wenn<br />
man mich in einem Turbolift um einen Gefallen bittet, werde ich nur<br />
noch bei Sex ja sagen.“<br />
„Versprochen.“, erwiderte Tala sanft, auch wenn sie wusste, dass er<br />
sie nicht hörte.<br />
<strong>Sie</strong> sah wieder zur Tür hinaus und zur Sudak-Halle - das, was<br />
davon übrig geblieben war – herüber. Irgendwo in der Menge erspähte<br />
sie Therynn, die von den Sicherheitskräften ausgefragt wurde.<br />
„Wer ist der verantwortliche dafür?“, hörte Tala den zuständigen<br />
Offizier fragen.<br />
„Niemand.“<br />
„Wo waren sie vorletzte Nacht?“<br />
Therynn wirkte verärgert. „In meinem Zimmer, in den Baracken.“<br />
„Ihr Kommunikatorsignal ist dort aufgezeichnet worden, ja, nicht<br />
jedoch ihr Lebenszeichen. <strong>Sie</strong> haben ihn abgelegt. Wo waren sie<br />
vorletzte Nacht?<br />
„Was wollen sie von mir?“<br />
„Was wissen sie über die Explosion?“<br />
Tala runzelte die Stirn. Ihre Fragen waren ungewöhnlich bohrend.<br />
„Wir müssen sie bitten mit uns zu kommen.“<br />
„Und warum?“, fragte Therynn verständnislos.
„Wir glauben, das sie die verantwortliche sind.“<br />
„Das ist doch lächerlich!“<br />
„Es besteht der dringender Sabotageverdacht.“<br />
Es überraschte Tala nur kurz, als die Sicherheitsoffiziere ihr<br />
Energieschellen anlegten. Als sie Therynn abführten, brachte sie ihr<br />
Weg an Kovan vorbei, der ebenfalls von Sicherheitsoffizieren befragt<br />
wurde. Therynn versuchte angestrengt in eine andere Richtung zu<br />
sehen und seinem Blick auszuweichen.<br />
Tala wusste nicht wieso, aber sie konnte es sich denken. Als hätte er<br />
ihren Blick gespürt, schaute Kovan genau in dem Moment zu ihr<br />
herüber.<br />
Einen Augenblick lang sahen sie sich direkt in die Augen.<br />
Tala war zu müde, um viel zu empfinden. <strong>Sie</strong> schüttelte nur den<br />
Kopf und wandte sich ab. Der einbrechende Abend brachte eine<br />
angenehme Kühle mit sich. Tala lehnte ihren Kopf an Galaks, schloss<br />
die Augen und schlief ein.<br />
Leutenant Tev beschloss, dass heute einfach nicht sein Tag war, als<br />
er durch die Reihen der Rettungsshuttles und Ärzte wanderte und nach<br />
jemand bestimmtem Ausschau hielt. Der andorianische<br />
Sicherheitsoffizier blickte auf eine gut verlaufende Karriere in der<br />
Sternenflotte zurück – seine Dienstakte war tadellos – und er gehörte<br />
bei seinem Trupp zu den Besten. Er war ein geschickter Kämpfer und<br />
man sagte ihm außerordentlich gute Reflexe nach. Bisher hatte er an<br />
dreiundzwanzig echten Einsätzen teilgenommen und jedes Mal einen<br />
nützlichen Beitrag leisten können.<br />
Heute jedoch, als er Doktor Sidak mit den anderen<br />
Sicherheitswächtern vom Landefeld zur Sudak-Halle eskortiert hatte,<br />
hatte sein Beitrag aus nur zwei Dingen bestanden: Als erstes hatte er<br />
eine fürchterlich stinkende Bananenschale überbekommen, die<br />
eigentlich für Doktor Sidak gedacht war. Er hatte keine Mine<br />
verzogen, wie es sich für einen Profi gehörte, aber innerlich hatte er<br />
ein bisschen gezetert und geschimpft und beschlossen, bei der<br />
nächsten Schießübungen menschliches Obst an die Zielscheibe zu<br />
heften. Und dann hatte er eine fürchterlich laute Explosion<br />
überbekommen, die ebenfalls für Doktor Sidak gedacht war. Er hatte
sehr wohl eine Mine verzogen, wie es sich für einen Verletzten<br />
gehörte, und sich die Bananenschale zurückgewünscht.<br />
Zum Glück waren seine Verletzungen nicht allzu stark gewesen und<br />
es war den Rettungskräften draußen gelungen, ihn wiederzubeleben<br />
und seine Rauchvergiftung zu behandeln. Zwar waren seine Fühler ein<br />
bisschen angesengt und er hatte einige zusätzliche Narben am Rücken<br />
gewonnen (gegen deren Entfernung er sich vehement ausgesprochen<br />
hatte), aber alles in allem war er bemerkenswert unbeschadet<br />
geblieben.<br />
Und das hatte er ausgerechnet Sidak zu verdanken, was noch viel<br />
bemerkenswerter war. Tev hatte lange überlegt, warum Sidak ihn<br />
nicht einfach im Stich gelassen hatte, aber er war auf keine<br />
vernünftige Lösung gekommen. Da er unbeantwortete Fragen<br />
ziemlich verabscheute – auch beruflich bedingt -, hatte er beschlossen<br />
den Doktor selbst zu fragen.<br />
Er fand Sidak in einem der Shuttle am Ende der Wiese. Er hatte sich<br />
eine jener Atemmasken ins Gesicht gepresst, die irgendeine Art<br />
heilender Sauerstoff in seine Lungen pumpte, um den dort vom Rauch<br />
angerichteten Schaden auf eine Weise reparierte, die Tev nicht einmal<br />
annähernd verstand. Er war schließlich nur einfacher<br />
Sicherheitsoffizier...<br />
...Der heute eine Banane und eine Explosion überbekommen hatte.<br />
Sidak schaute nur kurz auf, als er Tev bemerkte. Er war an keinem<br />
Gespräch interessiert. Dennoch sagte Tev: „<strong>Sie</strong>... haben mir das Leben<br />
gerettet.“<br />
Noch immer nichts.<br />
„Verzeihen <strong>Sie</strong> die Frage, aber... warum? Jemand wie <strong>Sie</strong>...“<br />
Sidak sah ihn erneut an, diesmal verwirrt. Die Antwort war doch<br />
ganz offensichtlich. „Weil ich es konnte.“<br />
„Oh. Nun, ähm...“ Es kostete Tev zwar einige Überwindung, aber<br />
der Mann hatte sein Leben gerettet. Also reckte er Sidak die Hand<br />
entgegen. „Danke.“<br />
Sidak machte keine Anstalten den Gruß zu erwidern. Alles, was er<br />
sagte, war: „Uh-huh.“<br />
Tev zögerte einen Moment. Dann zog er die Hand zurück, kratzte<br />
sich mit ihr am Nacken, weil er sich irgendwie blöd vorkam und<br />
entfernte sich.
Kosmische Harmonien<br />
Drake stand am späten Abend im Park, beobachtete die<br />
Aufräumarbeiten um nicht weiter aufzufallen aus sicherer Entfernung<br />
und hatte keine Ahnung, wie er sich fühlen sollte. Noch immer<br />
wurden auf dem Rasen Verletzte versorgt, ständig starteten und<br />
landeten medizinische- und Reparaturfahrzeuge. Der ganze Bereich<br />
um die Sudak-Halle herum sah aus, als sei er ein Kriegsschauplatz<br />
gewesen. Drake und Seeley waren noch rechtzeitig rausgekommen,<br />
ehe die KI und somit auch das Gebäude explodiert war.<br />
Ein ganzes Gebäude...<br />
...einfach in die Luft geflogen.<br />
Eigentlich hätte er sich freuen müssen. Seit dem Zwischenfall auf<br />
dem Kreuzfahrtschiff damals, hatte er eine merkwürdige, an Sucht<br />
grenzende Faszination für Feuer und Explosionen entwickelt, und<br />
davon hatte er heute eine Menge gesehen. Obendrein war er noch in<br />
den Genuss einer Schießerei gekommen, und hatte eine Bedrohung für<br />
die Allgemeinheit eliminiert. Allen Grund also, eine tiefe<br />
Befriedigung zu spüren. Aber da war nichts. Er empfand keine<br />
Freude, keine Enttäuschung... gar nichts. Da war einfach nur... eine<br />
gähnende Leere.<br />
Eine gähnende Leere und das Wissen darüber, dass er gelogen hatte.<br />
Er hatte eine Kreatur in Not angelogen. Hatte der KI gesagt, dass sie<br />
ein Unfall sei, und dass es ihr niemals möglich sein werde, mehr zu<br />
sein, als das, was sie war. Aber er wusste es nicht genau. Er war mit<br />
einer Kreatur konfrontiert gewesen, die mehr sein wollte... und er<br />
hatte sich abgewandt.<br />
Und er würde ein weiteres Mal lügen, da er sich vorgenommen<br />
hatte, nichts davon im Abschlussbericht zu erwähnen.<br />
In Anbetracht dieser Tatsache hätte er etwas empfinden müssen. Er<br />
hätte sich schuldig fühlen müssen... oder mies... irgendwas. Aber er<br />
konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er das tat oder nicht. Ob<br />
solche Gefühle vorhanden waren, oder ob er inzwischen selbst zu dem<br />
Monster geworden war, das er bekämpfen wollte. Oder ob er einfach
nur gelernt hatte, solche Gefühle derart gut zu unterdrücken, dass er<br />
den Unterschied gar nicht mehr bemerkte.<br />
Er versuchte sich einzureden, dass es im Grunde egal sei, weil es<br />
keinen plausiblen Grund für Reue gab. Er hatte eine Mission gehabt<br />
und entsprechend gehandelt und vielleicht hatte er dadurch ja sogar<br />
einige Leben gerettet. Aber in dem er das getan hatte, hatte er seine<br />
Seele belastet.<br />
Das...<br />
...was davon noch übrig war.<br />
Wenn noch etwas übrig war.<br />
Drake seufzte.<br />
Vielleicht war das der Grund, warum er sich nie näher mit solchen<br />
Dingen auseinandersetzen wollte und warum er versuchte nichts ernst<br />
zu nehmen. Es war leichter, wenn man sich sagte, dass es sich bei<br />
einem Gegner, bei so einem Wesen wie der KI, einfach um eine<br />
Naturkatastrophe handelte. Und die waren nie gut oder böse, die<br />
forderten einen einfach zur Selbstverteidigung, und davon verstand er<br />
einiges. Es war ursprünglich. Es war Teil der menschlichen Natur.<br />
Und es war leicht zu rechtfertigen. Wenn man es mit einer<br />
Naturkatastrophe, einem Monster, oder einer Maschine zu tun hatte,<br />
gab es keine grauen Bereiche. Die konnte man einfach vernichten.<br />
Endmenschliche dein Gegenüber und alles wird leichter.<br />
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er das Klackern von<br />
Stiefeln hörte – jemand näherte sich ihm. Drake musste sich nicht zu<br />
ihr umdrehen, um zu wissen, dass es Seeley war.<br />
„Ich habe den Admiral informiert.“, sagte sie.<br />
„Uh-huh.“<br />
Drake konnte sich vorstellen, dass er nicht glücklich war. Die Dinge<br />
waren nicht ganz gelaufen, wie geplant – gelinde gesagt. Im Grunde<br />
konnte man den Einsatz als mittelprächtige Katastrophe bezeichnen.<br />
Dafür würde er früher oder später gerade stehen müssen. Wenigstens<br />
hatten sie inzwischen Gewissheit, dass es zwar einige leicht Verletzte,<br />
aber wenigstens keine Toten gegeben hatte.<br />
Seeley stellte sich neben ihn und eine Weile sprach keiner ein Wort.<br />
Die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen und langsam<br />
wurde es dunkel. Am Himmel glitzerten erste Sterne. Die<br />
Aufräumarbeiten würden noch bis weit in die Nacht andauern.
„Wenn er sich beruhigt hat...“, informierte Seeley zögernd „werde<br />
ich den Admiral darum bitten, in Zukunft mit jemand anderem zu<br />
trainieren.“<br />
Drake sah sie bestürzt an. „Was?!“<br />
Seeley starrte nur zu den Überresten der Halle herüber. <strong>Sie</strong> wich<br />
seinem Blick aus.<br />
„Okay, okay.“, sagte Drake schnell. „Ich hätte mich mit dir<br />
absprechen sollen, als ich beschloss in die Offensive zu gehen und das<br />
Ding direkt zu stellen. Und der Plan war auch nicht besonders gut,<br />
geschweige denn durchdacht.“<br />
<strong>Sie</strong> schüttelte den Kopf. „Nein, das-“<br />
„Aber ich sah darin die beste Chance das Ding aufzuhalten. Und<br />
unterm Strich hat es auch funktioniert.“<br />
„Das ist es nicht, Drake.“<br />
„Was ist es dann?“ Was hatte er denn in ihren Augen so falsch<br />
gemacht? Er konnte es nicht begreifen. Nach so einer Mission den<br />
Partner zu wechseln, kam einem Schlag ins Gesicht gleich. „Ich habe<br />
dir sogar das Leben gerettet!“<br />
„Und ich habe deinen Gesichtsausdruck gesehen.“, platzte es aus ihr<br />
raus. Seeley sah ihn lange an und seufzte. „Mein Leben zu retten war<br />
sekundär, nicht wahr? Dir ging es hauptsächlich darum dieses Ding zu<br />
konfrontieren.“<br />
Drake starrte die Efrosianerin nur an und diesmal war er es, der den<br />
Blick abwandte. Er wusste, dass sie recht hatte. Er konnte nicht<br />
widersprechen. Und noch einmal lügen wollte er nicht. Seeley hätte<br />
ihn sowieso durchschaut.<br />
„Tut mir leid, Drake.“<br />
„Ja.“, meinte er verärgert. „Mir auch.“<br />
Seeley haderte mit sich selbst. <strong>Sie</strong> öffnete den Mund, um noch<br />
etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. <strong>Sie</strong> wandte sich ab<br />
und ging. Drake sah ihr nicht einmal nach. Er war zu stolz, um sich<br />
umzudrehen, zu stolz, um sich zu erklären, oder gar zu entschuldigen.<br />
Er starrte einfach stur und wütend zur Sudak-Halle herüber.<br />
Sah, wie sich Familien und Freunde in die Arme nahmen, sah, wie<br />
sie ihre Erleichterung darüber verkündeten, dass sie gesund und<br />
wohlauf waren. Und Drake beobachtete sie aus der Ferne, allein,<br />
unbemerkt und außenstehend. Er war kein Teil ihrer Welt.
Er hatte keine Freunde, die sich Sorgen um ihn machen würden,<br />
keine Familie, die ihn suchen und in die Arme nehmen würden. Und<br />
jetzt hatte er auch noch einen Weg gefunden, seine Partnerin zu<br />
vergraulen, die im Gegensatz zu ihm, die Arbeit abstreifen und in den<br />
Schoß einer Familie zurückkehren konnte, wenn sie das wünschte.<br />
Dann sah Drake das Mädchen, am Rande der Menge. Die Blondine,<br />
die ihn über den Haufen gerannt und anschließend angegiftet hatte.<br />
<strong>Sie</strong> breitete ihre Arme fröhlich aus und umarmte eine andere Kadettin,<br />
die die Explosion offenbar unbeschadet überstanden hatte.<br />
Ihre braunen Augen funkelten vor Glück.<br />
Nein, realisierte Drake enttäuscht. Das war sie nicht. Ihre Haare<br />
waren gleich, auch die generelle Form des Körpers, aber es war ein<br />
anderes Gesicht, ein anderes Mädchen.<br />
Nicht sie.<br />
Vermutlich würde er sie nie wieder sehen. Und wenn, würde sie es<br />
vielleicht nicht mit ihm aushalten.<br />
Drake blieb stehen wo er war, ohne sich zu rühren, einfach, um zu<br />
sehen, was geschehen würde. Er hatte ohnehin kein Interesse daran<br />
seinen Bericht zu verfassen und schlafen und sich den Träumen<br />
stellen, die ihn jede Nacht heimsuchten, wollte er erst recht nicht.<br />
Er stand nur da.<br />
Die Nacht wurde älter...<br />
...und schließlich war das Feld verlassen. Einzig die Reparaturtrupps<br />
blieben vor Ort und taten ihr bestes, um das Gebäude wieder<br />
herzurichten. Hin und wieder sah einer von ihnen in Drakes Richtung,<br />
verwirrt und verblüfft über den Jungen, der einfach dastand und sich<br />
nicht rührte. Aber sie unternahmen keinen Versuch ihn anzusprechen.<br />
Es war eine herrliche Nacht, Wolkenlos und Drake blieb, bis der<br />
Mond hoch am Firmament stand.<br />
Niemand war zu ihm gekommen.<br />
Und irgendwie, in einem Moment völliger Klarheit, wusste er, dass<br />
er den Rest seines Lebens alleine verbringen würde.<br />
„Ich kann damit leben.“, sagte er schließlich, ging fort und<br />
verschwand im Schatten der Bäume.<br />
„Ich kann damit nicht leben.”, entschied Sha’Nyn.
„Leben?“, fragte Wotan. „Womit?“<br />
<strong>Sie</strong> befanden sich auf ihrer Stube und saßen auf ihren jeweiligen<br />
Betten. Wotan war dabei seinen Ruheplatz auf die Nacht<br />
vorzubereiten (was bedeutete, dass er solange auf dem Laken<br />
herumtrampelte, bis es die gewünschte Weichheit besaß – obgleich er<br />
in diesem Punkt nie hundertprozentig zufrieden war), er wollte gleich<br />
schlafen gehen. In einer halben Stunde würde sowieso der<br />
Zapfenstreich ausgerufen. Sha’Nyn, die im Schneidersitz ruhte, hatte<br />
sich hingegen mit einem Haufen Datenblöcken eingedeckt, die sich<br />
nun auf der Matratze stapelten. <strong>Sie</strong> würde, wie sooft, noch eine Weile<br />
Studieren, auch, wenn das Licht längst aus war. Vielleicht sogar die<br />
ganze Nacht lang.<br />
Nun aber warf sie den Datenblock, in dem sie bisher zu lesen<br />
vorgegeben hatte, von sich weg und zurück auf den Stapel. Ihre<br />
Gedanken waren immer wieder abgedriftet, sie konnte sich nicht<br />
konzentrieren.<br />
„Womit kannst du nicht leben, Liebes?“<br />
„Damit, alleine zu sein.“<br />
„Oh. Wo kommt das jetzt auf einmal her?“<br />
Sha’Nyn sah zum Fenster in die Nacht hinaus und zuckte mit den<br />
Schultern. Durkins Worte klangen auch jetzt noch in ihren Ohren<br />
nach. „Du bist biestig wie ein Tellarit.“, hatte er gesagt. Sha’Nyn<br />
wusste, dass es als Kompliment gemeint war, aber sie verstand es<br />
auch als Warnung. <strong>Sie</strong> war, wer sie war und sie konnte und wollte sich<br />
nicht ändern. Das sah sie nicht ein. Zum Glück gab es ein paar Leute –<br />
selber Außenseiter -, die sie genau so ertrugen, wie sie war. Die wollte<br />
sie nicht verlieren. Ihre Gegenwart wollte sie nicht verlieren. Und<br />
vielleicht – nur vielleicht – gab es irgendwo da draußen ja jemanden,<br />
der aus demselben Holz geschnitzt war, der es mit ihr aufnehmen und<br />
sie akzeptieren konnte. Jemanden, der genauso fehlerhaft und... biestig<br />
war. <strong>Sie</strong> musste ihn nur noch treffen, damit sie sich gegenseitig daran<br />
hindern konnten, ins falsche Verhalten abzudriften und stattdessen in<br />
ihrer in ihrer eigenen kleinen Welt glücklich zu werden.<br />
Hier, inmitten ihrer Datenblöcke, würde sie ihm aber kaum über den<br />
Weg laufen.<br />
Also beschloss sie es für heute gut sein zu lassen und räumte die<br />
Stapel vom Bett, um ebenfalls schlafen zu können. „Unternehmen wir<br />
morgen was?“
„Aber natürlich! Ich wollte morgen Abend mit Durkin und Cera das<br />
Holodeck besuchen. Irgendein tellaritisches Entspannungsprogramm<br />
mit Schlammbädern. Ich weiß nicht genau, was mich da erwartet, aber<br />
es wird sicher lustig. Du kannst dich uns gerne anschließen.“<br />
„Okay.“<br />
Wotan grinste. „Wer weiß, vielleicht bekommen wir es auch hin,<br />
ein holographisches Bild von Gala für dich zu erzeugen. Ich würde es<br />
auch keinem erzähl-.“<br />
Die Kissen, und Datenblöcke, die er überbekam waren zahlreich<br />
und treffsicher geworfen.<br />
Die Mensa war ungewöhnlich still und verlassen zu dieser späten<br />
Stunde der Sonntagnacht. Obwohl man Tala anders kannte, war es<br />
genau diese Einsamkeit, die sie im Moment bevorzugte. <strong>Sie</strong> hatte sich<br />
allein an ein Fenster gesetzt, hielt sich an einem Glas Zitronenmilch<br />
fest, und starrte nun schon seit geraumer Zeit gedankenverloren in die<br />
sternenklare Nacht hinaus.<br />
<strong>Sie</strong> hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie sich fühlen sollte. In<br />
den vergangenen Wochen war alles so viel schwerer und komplizierter<br />
gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Feinde hatten sich als<br />
Verbündete erwiesen, und Verbündete als Feinde. Tala konnte nicht<br />
umhin sich zu Fragen, ob ihr Weltbild nicht einer beträchtlichen<br />
Naivität unterbunden war. <strong>Sie</strong> hatte immer geglaubt Feindbilder seien<br />
klar definiert und klar erkennbar. Dass die bösen Jungs, schwarze<br />
Hüte tragen würden. Oder Hörner hätten. Oder spitze Ohren. Oder ein<br />
Namensschild, auf dem Stand: „Hallo, ich bin böse. Kommen sie bitte<br />
in möglichst heroischer Manier mit ihrem Sternenflottenschiff zu<br />
meiner Basis, um meine Pläne zu vereiteln.“<br />
Manche machten es einem ja auch einfach. Khan, Tomalak, die<br />
Borg... Alles böse aussehende Jungs, die böses sagten und böses taten.<br />
Bei denen konnte man sicher sein: egal auf welcher Seite die standen,<br />
es war besser, in der Opposition zu sein. Die machten es einem<br />
einfach zu wissen, was richtig war und was falsch, und welche Seite<br />
man ergreifen musste.<br />
Aber so einfach war es nicht.
In einer Welt, in der ein Mann, der falsches sprach, dann aber<br />
richtiges Tat, während ein anderer Mann, der richtiges sprach, aber<br />
falsches tat... da wurde alles komplizierter. Da verwuschen die Linien,<br />
und es blieben nur noch Grautöne. Natürlich war Tala bewusst, dass<br />
die Welt nicht in Weiß und Schwarz einzuteilen war. Aber sie hatte<br />
geglaubt, dass die Träger dieser Uniform wenigstens wussten, auf<br />
welcher Seite sie stehen sollten.<br />
Vor allem die Captains.<br />
Vor allem Kovan.<br />
Tala seufzte schwer.<br />
Richtig, Falsch, Recht, Unrecht...<br />
...alles vielleicht nur Auslegungssache. Es war schwer, sich einen<br />
moralischen Kompass zu bewahren, wenn alle Richtungen nur nach<br />
Norden zeigten.<br />
<strong>Sie</strong> dachte über all diese Dinge nach, als sie plötzlich aufblickte und<br />
bemerkte, dass Yoko sie anstarrte.<br />
<strong>Sie</strong> hatte ihn gar nicht kommen gehört, was ungewöhnlich war.<br />
Normalerweise legte sie mehr Aufmerksamkeit an den Tag und bekam<br />
alles mit, was um sie herum geschah.<br />
Er deutete auf den freien Stuhl ihr gegenüber. „Sitzt hier jemand?“<br />
Tala lächelte matt. „Wenn, dann ist er außerordentlich gut getarnt.“<br />
Als wäre er völlig außer Stande die Ironie zu kapieren – was<br />
vermutlich der Fall war -, tastete Yoko mit der Hand vorsichtig über<br />
den Stuhl, um sich zu vergewissern, dass nicht tatsächlich jemand mit<br />
einer Tarnvorrichtung dort verweilte. Tala konnte ehrlich nicht sagen,<br />
ob das seine Art war sie aufheitern zu wollen, oder ob er tatsächlich<br />
der größte Wirrkopf auf dem gesamten Campus war.<br />
Oder beides.<br />
<strong>Sie</strong> tat es mit einem dünnen Lächeln ab und schüttelte den Kopf.<br />
„Setz dich einfach, okay?“<br />
Als seine Untersuchung mit negativem Ergebnis abgeschlossen war,<br />
fragte Yoko: „Darf ich mich setzen?“<br />
Zu seiner Verwunderung vergrub Tala ihr Gesicht in ihren Händen,<br />
statt seiner Bitte zu entsprechen. Dann atmete sie einen Moment lang<br />
tief ein, einen weiteren Moment lang tief aus, und zweifelte an ihrer<br />
geistigen Gesundheit. War es möglich, dass nicht alle anderen,<br />
sondern sie selbst den Kontakt zur Realität verlor? Hatte sie nicht<br />
soeben genau diesen Vorschlag gemacht...? <strong>Sie</strong> beschloss nicht weiter
über diesen Punkt nachzudenken, da es ohnehin zu nichts geführt<br />
hätte. Es war irgendwie erstaunlich, und beängstigend zugleich, wie<br />
schnell sein Verstand zwischen Genie und Wahnsinn hin und<br />
herschwankte. Zumindest... erwies sich jede Unterhaltung mit ihm<br />
dadurch als spannend, denn man wusste nie so recht, was man<br />
bekommen würde. Und es war eine hervorragende Möglichkeit, um<br />
sich in Geduld und Ruhe zu üben.<br />
Also hob Tala den Kopf, und deutete auf den Stuhl. „Bitte.“,<br />
antwortete sie. „Setz dich.“<br />
„Vielen Dank.“, entgegnete Yoko und ließ sich ihr gegenüber in den<br />
Stuhl sinken. „Ich... wollte dich nur darüber informieren, dass Doktor<br />
Sidak seine Rede vor einer halben Stunde beendet hat.“<br />
Tala blickte in ihr Glas. Die Reflektion der Person, die sie dort sah,<br />
nahm die Tatsache emotionsloser auf, als sie je für möglich gehalten<br />
hätte. Der Drang etwas gegen Sidak zu unternehmen, war ihr vorerst<br />
vergangen. Und Tala wusste nicht, was das bedeuten sollte.<br />
<strong>Sie</strong> schaute auf: „Hast du sie verfolgt?“<br />
„In der Tat. Seine Äußerungen waren höchst...“ er hob eine Braue<br />
„unsinnig. Es gibt ein bisschen böses Blut bei einigen der<br />
Andorianischen Kadetten, soweit ich es mitbekommen habe, aber es<br />
dürfte niemandem schwer fallen, Sidaks Theorien zu widerlegen.<br />
Soweit ich die Reaktionen beurteilen kann, werden sich aber die<br />
wenigsten diese Mühe machen, weil es auf der Hand liegt, dass er<br />
unhaltbare Behauptungen aufstellte.“<br />
„Huh.“ Tala sah wieder in ihr Glas. „Viel Lärm um nichts, was?“<br />
Yoko war zu bescheiden – und in diesem Moment auch zu<br />
Einfühlsam -, um sie darauf hinzuweisen, dass er so was ähnliches<br />
von Anfang an Prophezeit hatte. Und obwohl er im Recht war, begann<br />
er unruhig auf dem Stuhl herumzurutschen, während er sich die<br />
folgenden Worte zurechtlegte. Es war wirklich nicht leicht, passende<br />
zu finden, da er in solchen Dingen nicht geübt war. „So wie ich alle<br />
meine Entscheidungen aufgrund einer gewissen Logik treffe... so<br />
basierte auch meine... Beharrlichkeit... in dieser Sache auf dem<br />
logischen Gefühl, mich für etwas einzusetzen, woran ich glaube. Und<br />
dennoch habe ich dich in Verlegenheit gebracht. Und das als dein<br />
Untergebener und Mitglied deiner Staffel.“ Die Reue in seinen Worten<br />
war unüberhörbar.
Tala seufzte. „Yoko. Du bist mehr als ein Teammitglied. Du bist<br />
auch ein Freund.“<br />
„Umso bedauerlicher, dass ich es versäumt habe, einen anderen<br />
Weg zu finden. Einen, in dem ich weiterhin aus meiner Überzeugung<br />
heraus handeln konnte, der dich aber vor Captain Kovan nicht in ein<br />
schlechtes Licht rücken würde. Ich weiß, dass er deiner Karriere hätte<br />
nützen können. Das habe ich dir verbaut. Und das tut mir leid.“<br />
Tala tat seine Bedenken mit einer lässigen Geste ab, die sie<br />
unberührter erscheinen ließ, als sie tatsächlich war. „Mach dir um<br />
mich keine Sorgen. Ich bin sehr widerstandsfähig. Es wäre schon<br />
mehr nötig, um mich zu verletzen, und meine Karriere zu stoppen.<br />
Jetzt mögen mir zwar einige Vorteile durch die Lappen gegangen sein,<br />
und vielleicht schmeißt mir Kovan ja sogar extra ein paar Steine in<br />
den Weg, aber ich hätte wohl nicht viel von einer Andorianerin, wenn<br />
ich da nicht einfach drüberklettern würde, oder? Aber ich möchte,<br />
dass du etwas weißt.“ <strong>Sie</strong> beugte sich zu ihm vor. „Ich will, dass du<br />
immer deinen Instinkten folgst, Yoko, tust, was du für richtig hälst,<br />
und sagst, was dir auf der Zunge brennt. Ob es mir gefällt, oder nicht.<br />
Ob ich es verstehe, oder nicht. Und das gilt für euch alle.“<br />
Yoko schürzte nachdenklich die Lippen. „Das erscheint mir... nicht<br />
besonders autoritär.“<br />
<strong>Sie</strong> lächelte bitter. „Nein. Aber das ist es, was eine Freundschaft<br />
auszeichnet. Dass es da jemanden gibt der dich akzeptiert, wie du bist<br />
und der deine Meinung sucht, und dankbar dafür ist, sie zu hören.<br />
Jemand, der Loyalität gibt, nicht weil es erwartet wird, sondern weil<br />
es ihn glücklich macht, sie zu geben. Jemand, den man gerne sieht,<br />
und an seinen Tisch bittet, selbst zu einer Zeit, in der man am liebsten<br />
niemanden sehen würde. Und natürlich jemand, den man einen<br />
spitzohrigen, grünblütigen Waldschrat nennen kann, und dem man<br />
trotzdem zur gleichen Zeit mit seinem Leben vertraut.“ <strong>Sie</strong> zuckte mit<br />
den Schultern. „Es ist schwer es in menschlichen Worten<br />
auszudrücken.“<br />
Nun war es Yoko, der „Huh“, machte. „Das ist“, wie er feststellte<br />
„höchst merkwürdig.“<br />
„So? Was denn?“<br />
„Wenn man nach den meisten dieser Definitionen geht, würde ich<br />
auch dich als Freund betrachten.“<br />
Tala schmunzelte. „Ja, höchst merkwürdig, was?“
„In der Tat.“<br />
Einen Moment lang schwiegen beide und Tala sah erneut zum<br />
Fenster raus, um die Sterne zu betrachte. „Weiß du...“, begann sie<br />
nach einer Weile. „Vielleicht macht mich das ja alles wirklich zu einer<br />
schlechten Anführerin. Vielleicht habe ich viel weniger das Zeug zum<br />
Captain, als bisher angenommen. Aber ich würde niemals etwas tun,<br />
das verhindert, dass ihr ganz ihr selbst sein könnt. Selbst wenn ich<br />
anderer Meinung bin als ihr, und selbst, wenn dadurch meine...<br />
Autorität verloren geht. Ich schätze es gibt wichtigeres. Die einzige<br />
Autoritätsperson zu der ich aufschaute, hat mich nämlich kürzlich<br />
hängen lassen und schwer enttäuscht, während meine streitlustigen<br />
Freunde die einzigen waren, auf die ich zählen konnte.“<br />
„Und was ist mit Leuten wie Sidak? Wirst du auch in der Lage sein,<br />
deren Meinung zu akzeptieren?“<br />
Tala seufzte. „Ich weiß es nicht, Yoko“, sagte sie ehrlich. „Ich weiß<br />
es einfach nicht. So leicht... kann und will ich meine Überzeugungen<br />
nicht beiseite legen. Das kleine bisschen Engstirnigkeit behalte ich mir<br />
vor.“<br />
„Aber du bist bereit über solche Dinge zu reden.“<br />
Tala spielte an ihrer Tasse herum. „Ja. Was immer das auch wert<br />
ist.“<br />
„Hm.“<br />
Wieder schwiegen sie für eine Weile.<br />
Irgendwann schlug sich Yoko auf die Schenkel und stand auf. Er<br />
trat zu Tala herüber und legte ihr auf erstaunlich menschliche – und<br />
freundschaftliche Art eine Hand auf die Schulter. „Es ist eine Menge<br />
wert. Und ich denke du wirst ein besserer Captain sein, als Kovan...<br />
Auch wenn du mir erst irgendwann noch erklären musst, was ein<br />
Waldschrat ist.“<br />
Damit ging er fort...<br />
... und kam dreißig Sekunden später erneut an ihr vorbei, weil er<br />
sich in der Richtung geirrt hatte. Der einzige Ausgang lag auf der<br />
anderen Seite der Mensa.<br />
Zurück blieb eine amüsierte Tala, die nur den Kopf grinsend<br />
schüttelte, und sich fragte, wer diese Staffel zusammengestellt hatte.<br />
Ihr waren Irrenhäuser untergekommen, in denen es normaler zuging.<br />
Andererseits hätte sie es auch gar nicht anders haben wollen. <strong>Sie</strong><br />
betrachtete noch eine Weile die Sterne und versuchte ein letztes Mal
die Harmonie zu hören, von der Kovan gesprochen hatte. Leider<br />
verweigerten sich ihr die Sterne. Statt Antworten zu geben... ließen sie<br />
Tala mit noch mehr Fragen zurück. Vielleicht würde sie ja eines Tages<br />
diese besondere Harmonie hören und Antworten auf ihre Fragen<br />
erhalten. Dann hätte sie jemanden, an den sie sich wenden könnte,<br />
wenn die Welt kopf stand.<br />
Aber vielleicht war das auch nicht nötig.<br />
... schließlich boten ihre Freunde alle Antworten, die sie brauchte,<br />
bis sie auf dem Kommandostuhl eines Raumschiffes saß.<br />
Und zum ersten Mal in ihrem Leben fand sie...<br />
... dass das noch ein bisschen Zeit hatte.
Epilog<br />
Professor Miles O’Brien meldete sich gleich nach seiner<br />
vollständigen Genesung für einige Zeit krank, um mehr Zeit bei seiner<br />
Frau Keiko zu verbringen. Als er anfing, am Haus herumzubasteln,<br />
und Dinge zu reparieren, die gar nicht kaputt waren, und ihr dabei auf<br />
die nerven ging, einigten sie sich schließlich darauf, dass er zwar mehr<br />
Zeit mit ihr verbringen, aber morgens bloß zur Arbeit gehen und dabei<br />
helfen sollte, die Sidak-Halle wieder aufzubauen. Sein Haar wurde<br />
durch die verwirrenden Meinungsänderungen seiner Frau zwar ein<br />
bisschen grauer, aber mit dem Kompromiss konnten beide ganz gut<br />
leben.<br />
Die Information, dass eine minosianische KI in Konfrontation mit<br />
zwei Kadetten des taktischen Trainings zur Explosion führte, hielt<br />
man unter Verschluss. Der Öffentlichkeit wurde lediglich von einer<br />
verheerenden Überladung im Energiegitter erzählt, was die meisten<br />
Leute nur zu gerne glaubten, damit ihr Weltbild nicht ins Wanken<br />
geriet.<br />
In den Nachrichtennetzwerken wurde dennoch allgemein über einen<br />
Bombenanschlag spekuliert und darüber, dass es zu weiteren, sehr viel<br />
verheerenderen Anschlägen kommen könnte, die vermutlich die<br />
gesamte Föderation ins Chaos stürzen könnte. Das erzeugte ein<br />
bisschen Panik in der Bevölkerung, aber so richtig wollte die Story<br />
nicht zünden, zumal sich die Interviews mit Commander Tuvok und<br />
Doktor Sidak alle als unspektakulär und unspekulativ herausstellten.<br />
Darum besann man sich lieber darauf, den Nies-Skandal von Dervion<br />
Fünf in den Vordergrund zu rücken, was auch gleich viel besser<br />
funktionierte und einstimmig als der unterhaltsamste Skandal des Juli-<br />
Monats ausgezeichnet wurde.<br />
Der Sicherheitsdienst verhörte unterdessen gründlich alle möglichen<br />
Verdächtigen, um herauszufinden, wer Kadettin Therynn beim<br />
Einschleusen der KI geholfen hatte. Es gab ein paar Spuren die zu<br />
Captain Kovan zu führen schienen, sich aber bei genauerer<br />
Betrachtung und letztendlich im Sande verliefen.
Galak wurde nicht müde, in den nachfolgenden Wochen jedem<br />
Mädchen an der Akademie von seinem heldenhaften Entschluss zu<br />
erzählen, ins Feuer zu springen und völlig ohne Hilfe Doktor Sidak<br />
und die Sicherheitsleute zu retten. Er bekam von siebzehn Kadettinen<br />
ihre Subraumfrequenzen zugeschoben und nur drei davon führten in<br />
Wahrheit zum Kundenservice einer asiatischen Wäscherei.<br />
Als eine Woche nach der Explosion eine Sondersitzung in der<br />
Lerngruppe der Diplomatie-Studenten eingerufen wurde, platzte<br />
mitten in der Debatte ein erboster Rigelianer in den Studienraum, der<br />
sich lauthals darüber beschwerte, dass man den bolianischen Redner<br />
Sando für die nächste Woche eingeladen hatte. Er würde mit all seiner<br />
Macht dagegen vorgehen, da er Sandos Reden für selbstverliebtes und<br />
gefährliches Gedankengut hielt.<br />
Sando, so äußerste die Vorsitzende der Lerngruppe verständnislos,<br />
sei ein inspirierender Redner mit bahnbrechenden Ansichten und<br />
Theorien. Es sei nicht fair, jemanden aufgrund seiner Meinung<br />
auszuschließen.<br />
Durkin hatte angefangen laut zu lachen, und keiner hatte verstanden<br />
weshalb.<br />
ENDE
Unnötiger Zusatz<br />
Die Rohfassung dieser Geschichte wurde zu hundert Prozent auf<br />
wiederverwertetem Papier geschrieben. Falls <strong>Sie</strong> dies dazu verleiten<br />
sollte, Kommentare über wiederverwertete Ideen abzugeben, behalten<br />
<strong>Sie</strong> sie für sich.<br />
Bitte beachten: Da... sind... vier... Geschlechter!<br />
Vielen Dank,<br />
Die (vollkommen blaue) Geschäftsleitung.