05.10.2013 Aufrufe

Sie - deviantART

Sie - deviantART

Sie - deviantART

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

STAR TREK<br />

STARFLEET ACADEMY<br />

Tension<br />

Fanfiction-Roman<br />

Star Trek©<br />

Starfleet Academy<br />

Ω<br />

2010<br />

STARFURY PRODUCTIONS<br />

Erste Auflage<br />

www.st-legend.de.vu<br />

Paramount Pictures 2010. TM, ® & © by Paramount Pictures: STAR TREK, STAR TREK<br />

THE ANIMATET SERIES, STAR TREK - THE NEXT GENERATION, STAR TREK -<br />

DEEP SPACE NINE , STAR TREK VOYAGER, and STAR TREK: ENTERPRISE are<br />

Trademarks of Paramount Pictures. All Rights Reserverd!<br />

Die Verwendung des Begriffs Star Trek und damit verwandter Begriffe erfolgt nicht in<br />

Absicht einer Urheberrechtsverletzung. Copyrighted material has been used for noncommercial<br />

purposes only.


„Jeder Mensch hat das Recht das, was er für die Wahrheit<br />

hält, zu sagen. Und jeder anderen Mensch hat das Recht, ihn<br />

deswegen verbal niederzuknüppeln.“<br />

-Samuel Johnson<br />

„In Gottes Namen, lasst uns friedlich beide Seiten hören!”<br />

- Thomas Jefferson


My independence is calling my name<br />

A doubtful voice divides my faith<br />

My independence only hesitates<br />

An unsure choice I can't embrace<br />

You're gonna have to carve me,<br />

Carve me from stone<br />

Right to the bone<br />

Or I'll end up alone<br />

Playing the role<br />

Of someone in control<br />

My independence is turning the page<br />

Tomorrow comes we start to fade<br />

My independence only complicates<br />

It's not enough to meet half way


Vorwort des Autors, Danksagung, und sortierte Abschweifungen<br />

So. Hier ist es. Mein neuestes Werk. Nein, es ist nicht die<br />

Geschichte mit den gestrandeten Sternenflotten-Offizieren, die sich<br />

darauf spezialisiert haben, auf möglichst blutige und dramatische Art<br />

zahlreich ins Gras zu beißen.<br />

Es ist das Kontrastprogramm dazu.<br />

Als ich mich damals entschied etwas völlig neues auszuprobieren<br />

und eine ernste, düstere, teilweise sogar haarsträubend morbide Star<br />

Trek-Geschichte namens „Cast Away“ zu schreiben, kam das<br />

ungewohnte Experiment sowohl bei mir, als auch bei den Lesern (bei<br />

allen drei) sehr gut an. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten,<br />

dass Cast Away das literarisch professionellste ist, was bisher meiner<br />

Feder entsprang. Aber aus irgendeinem Grund ist mein Glück darüber<br />

getrübt. Irgendwie empfinde ich – trotz meines immensen Stolzes auf<br />

die Geschichten - immer ein nagendes Schuldgefühl, wenn ich die<br />

„Cast Away“-Romane in Umlauf bringe. Und ich weiß auch warum.<br />

Auf Dauer ist das Schreiben einer solchen Endzeit-Geschichte sehr<br />

anstrengend, und es ist vor allem eines: Kein Star Trek.<br />

In einer Welt die – wie üblich – in Drogen, Krieg, Öl und medialem<br />

Nonsens erstickt, ist es wichtig einen Kontrast zu zeigen. Kein Ying<br />

ohne Yang. Gene Roddenberry hat das auf wunderbare Art und Weise<br />

verstanden und uns eine Welt geschaffen, die zum Träumen einlädt,<br />

weil wir dort unsere größten Probleme überwunden haben und nicht<br />

länger befürchten müssen, dass wir uns durch allzu menschliche<br />

Regungen wie Rachsucht oder Egoismus selbst zerstören. Stattdessen<br />

müssen wir uns in diesem Traum nur noch davor fürchten, von<br />

kybernetischen Zombies assimiliert, oder von Gestaltwandlern<br />

ausgelöscht zu werden...<br />

Moment mal.<br />

Das kam jetzt nicht so rüber, wie gewollt... Okay, auch in Star Trek<br />

gibt es Probleme und auch dort sind die Personen nicht perfekt, aber<br />

sie versuchen es wenigstens besser zu machen als wir, und sie<br />

versuchen uns, den Zuschauern und Lesern, möglichst eine kleine<br />

Lektion oder einen interessanten Gedankengang mit auf dem Weg zu


geben. Stoff zum nachdenken und zum Träumen eben.<br />

Genau aus diesem Grund existieren die Starfleet Academy-<br />

Geschichten. Die einfach gestrickten und etwas unspektakulären<br />

Abenteuer der furchtbar naiven aber dafür sympathischen Kadetten ist<br />

mein Kontrastprogramm zu „Cast Away“ – und somit auch eine kleine<br />

Entschuldigung, falls ich die Vision des großen Vogels der Galaxis<br />

missbraucht haben sollte. Es ist mein Geschenk für all jene, die Genug<br />

von Raumschlachten und Kriegen haben, und stattdessen wieder gerne<br />

lachen möchten. Und es ist natürlich wieder ein Geschenk für die<br />

einzig wahre, nächste Generation – nämlich für all jene, die zur Schule<br />

gehen, zur Schule gegangen sind, oder irgendwann zur Schule gehen<br />

werden.<br />

„Tension“ verdankt seine Existenz vielen Leuten, aber nur eine<br />

Handvoll davon befindet sich außerhalb meines Kopfes.<br />

Hauptsächlich sei diesmal den immerzu freundlichen und wahrhaft<br />

trekkigen Mitgliedern des SF3DFF-Forums gedankt - vor allem Max<br />

und Maik, die mich unabsichtlich auf die Idee zu dieser Geschichte<br />

brachten. Das habt ihr nun davon.<br />

Wie schon beim ersten Starfleet Academy-Roman „Beginnings“,<br />

war auch „Tension“ ursprünglich nur als Kurzgeschichte gedacht, die<br />

schon bald ein Eigenleben entwickelte und aus dem Ruder lief. Das<br />

zeugt zwar vom Spaß, den ich beim Schreiben hatte, führt aber leider<br />

auch dazu, dass ich – anders als üblich – auch beim zweiten Starfleet<br />

Academy-Roman keinen Masterplan hatte und die Geschichte mehr<br />

oder weniger spontan schrieb, ohne zu wissen, was als nächstes<br />

passieren würde. Gerade die in letzter Minute aus den Fingern<br />

gesogene Nebenhandlung mit der KI fällt daher etwas platt aus und ist<br />

sicher nicht frei von Logikfehlern oder Ungereimtheiten. Aber sei’s<br />

drum. Die Haupthandlung um Redefreiheit, Zensur, Loyalität und<br />

Rassismus ist dafür umso gelungener... hoffe ich. Wie auch immer.<br />

Ich wünsche mal wieder viel Spaß beim Lesen und immer dran<br />

denken: keep on trekking.


Prolog<br />

Die Nacht war still und drückend. Vom Campus der Sternenflotten-<br />

Akademie aus waren San Francisco und das von tiefhängendem Nebel<br />

bedeckte Meer kaum noch zu erkennen. Der Vollmond wurde von<br />

ziehenden Schwaden verschluckt - Das bisschen schwache Licht, das<br />

er verzweifelt abzugeben versuchte, reichte nicht aus, um den<br />

weitläufigen Gärten des Campus die Bedrohlichkeit zu rauben, die sie<br />

in dieser Nacht ausstrahlten. Von allen Seiten ragten Bäume auf. Zwei<br />

unscharfe Schatten huschten durch den Nebel einen engen Pfad zur<br />

Akademie hinab. Es war kurz vor zwei Uhr Nachts. <strong>Sie</strong> hatten ihr Ziel<br />

fast erreicht.<br />

Der eine war groß und kräftig. Er trug einen schweren Kasten auf<br />

den Schultern der von Innen heraus zu glühen schien und er federte<br />

bei jedem Schritt, als müsse er das Gewicht des Kastens ständig<br />

verlagern. Seine Fühler waren kerzengerade und strahlten dadurch<br />

äußerste Wachsamkeit aus.<br />

Der andere Schatten war klein, dünn und gehörte zum Körper einer<br />

jungen Frau. An beiden Hüften hingen Werkzeugtaschen von ihrem<br />

Gürtel. Auch sie hatte Fühler, die jedoch angespannt zuckten und auf<br />

sämtliche Geräusche in der Umgebung – Grillen, Vögel - mit großer<br />

Nervosität reagierten. Ihre Bewegungen waren fahrig, auch wenn sie<br />

gewandt durch die Dunkelheit glitt. Plötzlich stolperte sie über eine<br />

Wurzel und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. <strong>Sie</strong> war<br />

gewandt, ja, aber manchmal auch selten tollpatschig.<br />

„Verdammt.“, fluchte sie, als sie wieder auf sicheren Beinen stand.<br />

Es war beinahe geschafft, aber sie war nervös und aufgeregt. Die<br />

letzte Phase war immer die schwerste.<br />

„Alles in Ordnung?“, fragte der große, kräftige leise.<br />

„Ja.... Nein. Nicht wirklich. Ich habe irgendwie ein ungutes<br />

Gefühl.“<br />

Der große seufzte verdrossen und sah sich wachsam um. Niemand<br />

in Sicht. Der gesamte Campus war leer. In den Baracken brannte nicht<br />

mal mehr Licht, alle schliefen. Nach kurzem Zögern bedeutete der<br />

Große seiner Partnerin, ihm zu folgen und hastete geduckt zu einem


hohen Busch am Rande des Weges. Dort ließ er das schwere Gerät<br />

von seiner Schulter gleiten. Es geschah fast geräuschlos, nicht einmal<br />

das Gras raschelte. Er war gut. Er war wirklich gut und ging kein<br />

Risiko ein. Nachdem er sich ein weiteres Mal versichert hatte, dass sie<br />

alleine waren, legte er eine kräftige Hand auf die Schulter der Frau.<br />

„Wir ziehen das jetzt durch, hast du verstanden?“<br />

„Für Andoria?“<br />

„Nicht nur für Andoria. Für die gesamte Föderation.“<br />

<strong>Sie</strong> zögerte. „Denkst du nicht, was wir hier tun ist ein bisschen<br />

drastisch?“<br />

„Für Zweifel ist es längst zu spät, wir stecken schon mittendrin. Die<br />

Befehle waren klar und ich gedenke sie auszuführen.“<br />

Wieder das Zögern. Der große legte mehr Kraft in seine Berührung<br />

und sah ihr tief in die Augen. Er wusste, dass er auf diese Weise sehr<br />

überzeugend wirkte. „Du warst doch diejenige, die immer predigte,<br />

Vulkanier seien die Brut des Teufels. Man könne sogar sehen, dass<br />

Krog’nig ihnen sein Zeichen aufgedrückt habe. Ich weiß, dass du<br />

nichts gegen die Spitzohren Per Se hast, aber dieser eine Vulkanier...<br />

der ist definitiv teuflisch. Darin stimmst du mit mir doch sicher noch<br />

überein. Du hast nicht vergessen, was er über unser Volk sagte, nicht<br />

wahr? Über die Bewohner der Hafenstadt, deiner Heimat?“<br />

<strong>Sie</strong> schüttelte verärgert den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Wie hätte<br />

man so etwas auch vergessen können?<br />

Er setzte fort: „Du bist Opfer der Konflikte geworden, die seine<br />

Worte entfachten. Willst du das erneut? Oder willst du zulassen, dass<br />

anderen dasselbe widerfährt?“<br />

„Schön“, zischte sie verärgert „lass es uns durchziehen.“<br />

„Noch fünfzehn Minuten, dann ist alles vorbei.“, sagte der große<br />

sanft, während er den Kasten wieder schulterte. <strong>Sie</strong> überquerten den<br />

Rasen der zu den Baracken führte, und hielten sich dann im Schatten<br />

der Gebäude. An der Ecke blickte der große Kräftige vorsichtig in<br />

beide Richtungen. Trotz aller Bedenken seiner Partnerin, war er fest<br />

entschlossen die Mission durchzuführen, aber jedes Detail musste<br />

perfekt klappen. Dazu gehörte auch, dass sie die Sicherheitswächter<br />

genau abpassten, um ihre Wege nicht zu kreuzen. Es waren nie<br />

besonders viele und fast nur Kadetten, die zwar eine gute Ausbildung<br />

genossen, denen es aber noch erheblich an Erfahrung und Instinkt<br />

mangelte. Hier auf der Erde, im Herzen der Föderation und auf dem


Campus der Institution, die im ganzen Quadranten für ihre Offenheit<br />

und Freundlichkeit bekannt war, entsprach es mehr einer alten<br />

Tradition, denn einer echten Notwendigkeit, in der Nacht Wachen<br />

aufzustellen. Man versuchte damit die Kadetten des<br />

Sicherheitspersonals zu schulen, oder ihnen einfach den Kopf für<br />

freches Benehmen oder sonstige Regelverstöße zu waschen. Keiner<br />

von ihnen rechnete wirklich mit einem Zwischenfall, wenn sie Nachts<br />

zum Wachdienst berufen wurden. Schließlich gab es seit<br />

Jahrhunderten keine Kriminalität auf der Erde und die empfindlichen<br />

Anlagen des Campus wurden von den Profis überwacht. Trotzdem<br />

wollte der große Kräftige kein Risiko eingehen und wartete geduldig,<br />

bis die junge Wache, die vor der Sudak-Halle gelangweilt ihre Runden<br />

drehte, außer Sichtweite war. Als er seiner Partnerin ein Zeichen zum<br />

weitergehen geben wollte, stand sie bereits dicht hinter ihm.<br />

Zusammen eilten sie geduckt über den Platz, bis sie zu einer<br />

Wartungsluke kamen, die hinter einer Hecke halb vom Efeu bedeckt<br />

war. Die Frau holte ein kleines Werkzeug aus einer der Taschen an<br />

ihrem Gürtel und koppelte es an die Kontrollen der Luke an. Jetzt ging<br />

alles sehr schnell. <strong>Sie</strong> überbrückte den Verriegelungsmechanismus<br />

innerhalb von Sekunden und betätigte anschließend den manuellen<br />

Auslöser zwei Mal. Mit einem leisen zischen glitt die Luke beiseite<br />

und gab den Weg zum Schacht frei. <strong>Sie</strong> musste nicht hinab sehen, um<br />

zu wissen, dass er fünf Meter nach unten führte und in einem kleinen<br />

Wartungsraum mündete. <strong>Sie</strong> hatten sich die Pläne gut genug<br />

eingeprägt, aber hier war jedes Detail der Mission genauestens<br />

bekannt.<br />

Die Frau steckte das Werkzeug wieder ein, und krempelte als<br />

nächstes die Beine der Tarnhose ihres Partners hoch. Darunter kam<br />

ein schweres paar Antigravitationsstiefel zum Vorschein, die sie nun<br />

mit eleganten Bewegungen justierte.<br />

„Okay. Jetzt.“<br />

Der große Nickte und aktivierte die Stiefeldüsen über interne<br />

Kontrollen mit den Zehenspitzen. Es war einige Übung erforderlich,<br />

um die Stiefel zu beherrschen, aber er hatte bereits einiges Training<br />

hinter sich. Ohne zu zögern trat er ins gähnende Loch, schwebte einen<br />

Moment lang über dem Abgrund – ohne die Stiefel wäre er längst<br />

gestürzt und hätte sich das Genick gebrochen - und sank schließlich


langsam und kontrolliert hinab. Die Frau justierte ihre eigenen Stiefel<br />

und folgte nach wenigen Sekunden.<br />

Dank der Sonar-Fähigkeiten ihrer Antennen musste sie keine Lampe<br />

aktivieren, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. <strong>Sie</strong> spürte die<br />

enge des Schachtes mehr als deutlich. Wenn sie ihre Sinne<br />

konzentrierte, konnte sie sogar den feinen Staub fühlen, der sich auf<br />

den isolinearen Chips an den Wänden sammelte. Dieser<br />

Zugangsschacht wurde nur sehr selten gewartet – genau deswegen<br />

hatten sie ihn für ihre kleine Mission ausgewählt. Als sie endlich<br />

unten ankam, hatte ihr Partner den Kasten bereits aufgestellt. Auch er<br />

bewegte sich problemlos in der Finsternis. Einzig das leichte Glühen<br />

das aus dem Behälter floss, durchschnitt die Dunkelheit. <strong>Sie</strong> reichte<br />

ihm die Werkzeuge die er brauchte, um den Kasten mit der<br />

Schnittstelle des Computerzugangs zu verbinden, damit sie endlich<br />

das Programm einschleusen und verschwinden konnten. <strong>Sie</strong><br />

schauderte. Wie lächerlich sich das doch anhörte: Ein fremdes<br />

Programm in den Akademiecomputer einschleusen. Wieder nagten<br />

Zweifel an ihr. <strong>Sie</strong> flüsterte: „Bist du sicher, dass das klappt?“<br />

Er gab keine Antwort und arbeitete einfach weiter.<br />

Das ist natürlich kaum ein widerlegbares Argument, dachte sie<br />

verdrossen. Also startete sie einen zweiten Versuch. „Hast du eine<br />

Ahnung, wie unwahrscheinlich es ist, erfolgreich ein fremdes<br />

Programm in das Computersystem der Akademie platzieren zu<br />

können, ohne, dass es bemerkt wird?“<br />

„Ja weiß ich.“<br />

„Es ist sehr unwahrscheinlich, mein Lieber!“, sagte sie trotzdem.<br />

„Jede funktionierende Konsole, jede Schnittstele wird im Abstand von<br />

dreißig Millisekunden vom Zugriffs- und Abfragesystem des<br />

Bibliothekscomputers abgefragt, sodass der lokale Subprozessor über<br />

alle Eingaben informiert ist.“<br />

Er brummte: „Als ob ich das nicht wüsste.“<br />

„Alleine die Firewall zu überwinden-“<br />

„Schluss jetzt! Das hier ist kein gewöhnliches Programm. Nicht mal<br />

ein gewöhnliches Virus. Es ist ein... Ding, eine höchst<br />

anpassungsfähige künstliche Intelligenz die in der Lage ist, sämtliche<br />

Computersicherungen auszutricksen. Nicht einmal die<br />

Sicherheitsdiagnosen können es entdecken, weil es schneller reagiert<br />

und lernfähig ist. Es wird sich positionieren und strikt den


Missionsdirektiven folgen, die wir ihm einprogrammiert haben. Und<br />

zwar, die drohende Gefahr zu beseitigen, mit allem, was nötig ist.<br />

Aber das haben wir schon tausendmal durchgekaut.“<br />

<strong>Sie</strong> seufzte. „Ich weiß.“<br />

„Mach dir keine Gedanken. Es wird alles klappen.“<br />

„Ich weiß.“<br />

Es nickte in der Dunkelheit und griff nach dem Verbindungskabel.<br />

Einen Moment lang zögerte, als müsse er sich wappnen. Oder als<br />

wolle er den Moment genießen. Dann stellte er die Verbindung her<br />

und betätigte die Kontrollen des Tastenfeldes am Kasten. Das Glühen<br />

im Innern wurde jetzt intensiver, flackerte, glühte heller, flackerte<br />

wieder und gleißte dann regelrecht. Es erschien irgendwie wütend.<br />

Irgendwie...<br />

... lebendig.<br />

Der große Kräftige öffnete die Ports.<br />

Und dann jagte das Gleißen aus dem Kasten raus, durch das<br />

Transferkabel und war einen Lidschlag später in der Wand<br />

verschwunden. Es war wieder finster im Schacht und einen Moment<br />

lang sprach niemand. Dann öffnete der große Kräftige seinen<br />

Tricorder und überprüfte die Anzeigen. Man musste schon genau<br />

wissen, worauf man zu achten hatte, um das Ding im Computersystem<br />

zu erkennen. „Hat geklappt. Es überlistet bereits die Systeme und<br />

bewegt sich rasend schnell über das gesamte optische Datennetz des<br />

Campus fort.“<br />

Er klappte das Gerät zu und sah seine Partnerin grinsend an. „Und<br />

ehe jemand überhaupt begreift, was geschieht, ist der Vulkanier tot.“


Tala<br />

Tala Era’Noor sh’Aqbaar spürte es in ihrem andorianischen Blut:<br />

Der Tag versprach gut zu werden.<br />

Schon alleine weil die Nacht endlich ein Ende nahm. Als<br />

überzeugte Morgenperson, der drei Stunden Schlaf völlig ausreichten,<br />

und die auf dieser Basis den ganzen Tag über problemlos operieren<br />

und immer auf Abruf bereit stehen konnte, sah Tala voller Tatendrang<br />

den heutigen Aufgaben entgegen, mit denen sie nie früh genug<br />

beginnen konnte.<br />

Schlafen, so sagte sie stets, konnte sie schließlich noch, wenn sie tot<br />

war. Und wenn man nicht aufpasste – das wusste schließlich jeder -,<br />

mochte das schneller geschehen, als einem lieb war. Diese simple<br />

Geisteseinstellung führte dazu, dass sie meistens vor den anderen<br />

Kadetten der Sternenflottenakademie auf den Beinen und kampfbereit<br />

war. Unter der Woche stand sie bereits stramm und unter Strom, noch<br />

ehe die morgendliche Zimmerinspektion von Offizieren und<br />

Ausbildern durchgeführt wurde, die sich ihren Gesichtsausdrücken<br />

nach zu urteilen selbst noch im Halbschlaf befanden. Wenn sie ihren<br />

Spind durchsuchten, und Tala den Rücken kehrten, malte sich die<br />

Andorianerin jedes Mal mit einigem Stolz aus, wie sie ihnen im<br />

Handumdrehen das Genick brechen könnte, ohne, dass die Inspekteure<br />

mitbekommen würden, wie ihnen geschieht.<br />

Vermutlich würden sie es nicht einmal bei einem Frontalangriff<br />

mitbekommen. Ehe sie den Schlaf abgeschüttelt hatten, hätte sich das<br />

Brechen ihrer Hälse längst durch ein schnappendes und auf<br />

merkwürdige Art für Tala äußerst befriedigendes Geräusch bemerkbar<br />

gemacht.<br />

Es lohnte sich also durchaus Wachsam zu sein, wie sie fand, um so<br />

etwas zu vermeiden. Als Gewohnheitstier pflegte Tala daher auch an<br />

einem Wochenende wie diesem stets das gleiche Ritual<br />

durchzuführen, obwohl sie theoretisch hätte ausschlafen können.<br />

Um eine Nacht zu beenden, musste man natürlich erst eine<br />

beginnen, und nichts eignete sich besser dazu als Sex. <strong>Sie</strong> kam leider<br />

nicht immer dazu, aber ein Stelldichein war eher die Regel als die


Ausnahme. Nach vollzogenem Liebesakt, der je nach dem<br />

Durchhaltevermögen des Partners eine ganze Weile andauern konnte,<br />

fiel sie meist in einen leichten, aber erholsamen Schlaf, aus dem sie<br />

sofort erwachen würde, sobald sie ein merkwürdiges Geräusch<br />

vernahm, oder wenn die drei Stunden Schlaf vorbei waren, die sie<br />

brauchte, und man endlich beginnen konnte den Tag zu starten.<br />

Zunächst würde sie nach abgeschlossener Rem-Phase einfach eine<br />

Weile daliegen, mit der Dunkelheit verschmelzen und die<br />

Wahrnehmungsorgane in ihren Antennen konzentrieren, um den<br />

Raum und jede noch so kleine Veränderung darin zu spüren. Zu<br />

diesem Zeitpunkt war sie bereits vollkommen wach. Wenn jemand mit<br />

einem Messer in ihr Zimmer eindringen würde (was auf der Akademie<br />

recht unwahrscheinlich war), dann wäre sie innerhalb eines<br />

Liedschlags aus dem Bett raus und bereit, den Attentäter zu zerstören.<br />

Da solch außerordentliche Schnelligkeit und Handlungsbereitschaft<br />

auf dem Campus eher selten erforderlich war, begnügte sie sich meist<br />

damit, die Realität eines heranbrechenden Tages langsam über sich<br />

kommen zu lassen, anstatt danach zu greifen und sie zu strangulieren.<br />

Nachdem sie eine Zeitlang lautlos dagelegen hätte, würde sie<br />

schließlich und ebenfalls lautlos aufstehen, und an ihren Muskeln<br />

arbeiten, um warm zu werden. <strong>Sie</strong> würde mit den Füßen beginnen, die<br />

Zehen durchnehmen, die Fußballen, dann die Waden, Oberschenkel,<br />

und sich auf diese Art und Weise langsam nach oben arbeiten und für<br />

jede einzelne Muskelgruppe diverse Dehn- und Stimulanzübungen<br />

durchführen.<br />

Und genau damit war Tala gegenwärtig beschäftigt, als sie sich in<br />

ihrer Stube bewegte, nackt, gleichmäßig, und bei gedämmten Licht,<br />

um die Person, die hinter ihr ausgestreckt auf dem Bett lag, nicht zu<br />

wecken. Das Abendessen für zwei stand noch immer unangetastet auf<br />

dem schmalen Arbeitstisch. Zum Glück war es ohnehin nur kalter<br />

Frostaal gewesen. Bei der Zubereitung gestern, hatte Tala bereits<br />

vermutet, dass sie sich anderen Vergnügen hingeben würden, als einer<br />

Speise.<br />

Ein leichter Schweißfilm - Indiz für die Großartigkeit der<br />

vergangenen Nacht -, bedeckte noch immer ihren Körper, als sie nun<br />

ihren Arm auf Brusthöhe und dann in einer halbkreisförmigen, sanften<br />

Bewegung zur Seite führte. Anschließend senkte sie ihn, brachte ihren<br />

anderen Arm sehr gleichmäßig herum, und formte eine Tigerkralle, als


würde sie sich auf einen Kampf vorbereiten. Während den<br />

bedächtigen, mit Präzision ausgeführten Bewegungen, die auf<br />

Beobachter eine regelrecht hypnotische Wirkung zu entfalten<br />

vermochten, achtete sie sorgsam darauf, dass sich jeder Muskel<br />

streckte, bis er zu ihrer Zufriedenheit gedehnt und locker war. Und<br />

dann begann sie von vorne.<br />

Das war zweifellos die entspannendste Art, die Nacht endlich hinter<br />

sich zu lassen.<br />

Tala wusste natürlich, dass es keinerlei rationalen Grund gab, die<br />

eine Zeit des Tages der anderen vorzuziehen. Zumal sie sich nicht<br />

einmal auf ihrem Heimatplaneten befand, sondern auf der Erde - ein<br />

klimatisch gesehen scheußlich warmer Planet mit einer völlig anderen<br />

Rotationsgeschwindigkeit, und einer entsprechend anderen<br />

Zeiteinteilungen. Hier waren die Nächte sogar kürzer. Und später<br />

würde sie auf Raumschiffen arbeiten, in den Tiefen des Alls, wo sie<br />

über Monate hinweg einer konstanten, natürlichen Lichtquelle beraubt<br />

wurde, und auf das herauf- und herabfahren der künstlichen Lichter<br />

angewiesen war, um einen Tag-Nacht-Zyklus zu simulieren. Es spielte<br />

im Grunde also gar keine Rolle. Zumindest würde es bald keine Rolle<br />

mehr spielen.<br />

Aber sie war nie ein großer Freund der Nacht gewesen, was sicher<br />

auch auf ihren Geburtsort zurückfiel, wo die Temperaturen nach<br />

Schwund der Sonne auf tödliche Minusgrade abfiel. Außerdem<br />

verabscheute sie den Gedanken, ihr halbes Leben mit Rumliegen und<br />

Nichtstun zu verbringen, weshalb sie die Zeit lieber nutzte, um etwas<br />

zu erledigen. Und es gab zweifellos immer etwas aufzubereiten.<br />

Besonders in ihrer neuen Position...<br />

… als Staffelführerin.<br />

Für gewöhnlich studierten 4000 Kadetten pro Jahr auf der Erd-<br />

Akademie. Es gab sechs Bataillone, die man in sechs Kompanien mit<br />

je etwa 100 Kadetten unterteilte. Diese Kompanien wurden wiederum<br />

in kleinere Staffeln unterteilt mit durchschnittlich 7-10 Kadetten. Und<br />

Tala hatte das Kommando über die Omega-Staffel erhalten, die fast<br />

nur aus ihren engsten Freunden bestand. Aber selbst ohne diese<br />

erfreuliche Tatsache wäre es ein Grund zum Feiern gewesen.<br />

Staffelführerin Era’Noor.<br />

Das hörte sich so gut an.<br />

Ihr erstes Kommando.


Wow.<br />

Selbstverständlich hatte Tala nicht einen Moment daran gezweifelt,<br />

diese Position früher oder später zu erlangen. Schließlich war es genau<br />

das, was sie wollte. Und was sie sich in den Kopf setzte, das erreichte<br />

sie auch. Aber es tatsächlich geschafft zu haben...<br />

... das war etwas anderes. Ein gutes Gefühl. Der erste kleine Schritt<br />

zum großen Ziel: Zu ihrem eigenen großen Sternenflotten-<br />

Raumschiff. Und wenn sie das erst einmal hatte, mit einer loyalen<br />

Crew, dem Segen der Götter und der guten Sache im Rücken, konnte<br />

sie alle Probleme auf ihrer Heimatwelt in Ordnung bringen. Dann<br />

hätte sie endlich die Möglichkeit einen Unterschied zu bewirken und<br />

die Dinge zum besseren zu Verändern. Bis dahin würde es allerdings<br />

noch ein wenig dauern – Andoria musste noch eine Weile durchhalten<br />

- obwohl die Zeit mit Warpgeschwindigkeit an Tala vorbeiraste, wie<br />

ihr schien.<br />

<strong>Sie</strong> konnte kaum glauben, wie schnell vier Monate vergangen<br />

waren. Es kam Tala so vor, als sei sie erst gestern mit Sha’Nyn,<br />

Durkin und den anderen auf dem Campus eingetroffen, wo sie die<br />

nächsten Vier Jahre zu verbringen gedachte, um eine glorreiche<br />

Karriere in der Sternenflotte zu beginnen.<br />

Und nichts sprach dagegen. Trotz einiger Startschwierigkeiten<br />

während des Frischling-Sommers, und der ein oder anderen<br />

Massenschlägerei, über die in der Mensa hinter vorgehaltener Hand<br />

noch immer getuschelt wurde, hatten sie sich gut eingefunden und<br />

recht schnell an den härteren Drill gewöhnt. Es fiel ihr zwar ab und zu<br />

noch schwer, sich an die größtenteils von Menschen beherrschte<br />

Umgebung anzupassen, und bei zwei Gelegenheiten hatte die Macht<br />

der Gewohnheit Tala vergessen lassen, dass sich Menschen – anders<br />

wie Andorianer etwa - nicht mit einer Kopfnuss begrüßten, was vor<br />

allem Dekan Barclay einiges... Kopfzerbrechen bereitet hatte.<br />

Wenigstens war er inzwischen wieder aus der Krankenstation<br />

entlassen worden. Außerdem begriff Tala noch immer nicht, warum es<br />

als höflich galt zu lächeln, auch wenn etwas nicht lustig war. Aber<br />

alles in allem waren die Dinge bisher ganz gut gelaufen. Andernfalls<br />

wäre sie auch kaum noch hier und erst recht nicht in der Position der<br />

Anführerin ihrer eigenen Staffel.<br />

Tala bewegte sich nun bereits seit zwanzig Minuten in ihrer<br />

Routine, und es war eine hervorragende isometrische Übung für den


ganzen Körper. <strong>Sie</strong> hielt grade ihre Balance perfekt auf einem Bein,<br />

während sie mit dem anderen einen präzisen Tritt seitlich in die Luft<br />

vollführte. Dann spürte sie vom Bett her eine Bewegung und hörte das<br />

Knistern des Lakens. Die Person war eindeutig erwacht – das<br />

verrieten Herzrhythmus und abgestrahlte Körperwärme, aber sie<br />

unterbrach Talas Routine nicht. Es war nichts speziell sexuelles an<br />

Talas Bewegungen, aber die Person schätzte die Straffheit ihrer<br />

Muskeln und die Form ihres wohlproportionierten Körpers – auch das<br />

verrieten Herzrhythmus und die abgestrahlte Körperwärme. Und wer<br />

hätte das nicht getan, überlegte Tala? <strong>Sie</strong> hatte einen großartigen<br />

Körper.<br />

Weitere fünfzehn Minuten vergingen in der stillen Routine, bevor<br />

Tala schließlich lange und bedächtig ausamtete. <strong>Sie</strong> lächelte und<br />

schob sich mit der Hand einige Strähnen ihres weißen Haares aus der<br />

Stirn. Das war stimulierend gewesen.<br />

„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“<br />

Tala hob eine Braue und drehte sich zu Khaleen um. Nur wenige<br />

hatten sie bisher nach dem Sex um einen Gefallen gebeten.<br />

„Sicher.“, antwortete sie, sich fragend, was die Cardassianerin wohl<br />

im Schilde führte.<br />

„Können wir das hier Galak verschweigen?“<br />

Tala rollte die Augen bei der Erwähnung ihres Freundes. „Dang!<br />

Warum sollten wir? Es ist nichts falsches daran.“<br />

„Nun ja, wenn er herausfindet, dass wir zwei...“<br />

„Das ist Unsinn. Lass mich das direkt klarstellen: Ich gehöre nicht<br />

ihm, ich gehöre nicht dir, ich bin niemandes Errungenschaft und auch<br />

kein Preis. Ich bin ein andorianisches Wesen und lebe meine<br />

Sexualität frei aus.“ <strong>Sie</strong> stutzte „Außerdem kommt Galak von einer<br />

Welt, die aus einer fast völlig weiblichen Bevölkerung besteht,<br />

Khaleen. Gleichgeschlechtliche und wechselnde Partnerschaften bei<br />

Frauen sind ganz normal für ihn. Er würde uns wohl eher zujubeln.<br />

Nur gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern sollte man ihm<br />

nicht auf die Nase binden. Dafür ist er nicht reif genug.“<br />

„Genau das meinte ich ja. Er ist nicht reif genug. Ich glaube er hat<br />

ein ernsthaftes mentales Problem.“<br />

Tala lachte. „Ja, eine Testosteron-Vergiftung.“<br />

„Wenn er hiervon erfährt, werde ich mir für den Rest unserer<br />

Akademiezeit seine zweideutigen Kommentare anhören dürfen, und


das würde ich gerne vermeiden. Er schaut mich auch jetzt schon<br />

lüstern genug an.“<br />

Das hingegen konnte Tala sehr gut nachvollziehen. Galak<br />

vermochte schon eine ziemlich unreife Nervensäge zu sein, wenn man<br />

ihn an einem schlechten Tag erwischte. Was – wenn man den<br />

Behauptungen diverser anderer (zumeist weiblicher) Kadetten glauben<br />

schenken mochte – 360 Tage im Jahr der Fall war. Er dachte<br />

hauptsächlich mit seinem Geschlechtsteil und sein Geschlechtsteil war<br />

nicht besonders intelligent. Das war einer der Gründe, weshalb sie ihn<br />

auf eine sehr schräge Art und Weise ziemlich charmant fand. Sein<br />

Auftreten mochte noch so arrogant und unreif sein – es war vor allem<br />

eines: Unverfälscht. Er war ein sexistischer Idiot und versuchte es gar<br />

nicht erst zu verbergen. Stattdessen sagte er immer frei heraus, was er<br />

gerade dachte – auch wenn das meist nichts kluges war. Das war ein<br />

Maß an Ehrlichkeit, das fast schon Andorianisch erschien. Außerdem<br />

waren sie Zimmergenossen und ein Zimmergenosse eignete sich am<br />

besten für Sex. Man musste nicht lange auf den Korridoren<br />

herumlaufen und man musste nicht befürchten, nach Zapfenstreich<br />

von den Ausbildern in einem fremden Zimmer erwischt zu werden.<br />

Und außerdem war Galak genauso wenig auf der Suche nach etwas<br />

festem, wie sie. Das ideale Arrangement also. Sex ohne<br />

Verpflichtungen.<br />

Normalerweise war die Akademie bemerkenswert altmodisch, wenn<br />

es um solche Arrangements ging. Die offizielle Politik richtete sich<br />

nach der Befürchtung, dass Studium und Beziehung eine unheilvolle<br />

Mischung darstellte. Dementsprechend war es Paaren nicht erlaubt<br />

gemeinsam einen Raum zu teilen.<br />

Diese Regel stand seit über hundert Jahren in den Büchern und<br />

niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu ändern. Das lag daran,<br />

dass sich inzwischen auch niemand mehr die Mühe machte, diese<br />

Regel überhaupt durchzusetzen. Davon war man nämlich<br />

abgekommen, nachdem man früher beträchtliche Zeit damit verbracht<br />

hatte, die Kadetten nach Zapfenstreich in die Zimmer zurück zu<br />

stopfen, in die sie wirklich gehörten, und jenen Kadetten neue Zimmer<br />

zuzuweisen, die sich schlicht nicht mehr die Mühe gemacht hatten,<br />

nach Zapfenstreich durch die Flure zu wandern, sondern sich mit dem<br />

Begnügten, was vor zu haben Ort war. Zumal sich einige Kadetten in<br />

Zeiten der Personentransporter und Interdimensionalkrümmungen als


äußerst kreativ erwiesen hatten, dem Akademiepersonal stets einen<br />

Schritt voraus zu sein und von Bett zu Bett zu hüpfen – womit sie<br />

durch stümperhaft zusammengebaute Geräte irgendwann nicht nur<br />

sich selbst, sondern auch noch andere gefährdet hatten.<br />

Daher vertrat man inzwischen seitens der Akademieleitung die „Wir<br />

fragen nicht, wenn ihr nichts sagt“-Politik, mit der jeder prima leben<br />

konnte, solange sich private Angelegenheiten nicht auf die Leistungen<br />

der Kadetten auswirkte. Und dafür sorgten die schon selbst, um<br />

unangenehme Gespräche mit Admiral Janeway zu vermeiden, die sich<br />

fast immer um Sterilisation drehten.<br />

„Okay.“, beschloss Tala, trat zu Khaleen herüber und kniete sich vor<br />

das Bett. „Meine Lippen sind versiegelt.“<br />

Khaleen blickte sie verführerisch an, auf eine Art, wie nur sie es<br />

konnte. „Das wäre schade. Damit kann man so schöne Dinge<br />

anstellen.“<br />

<strong>Sie</strong> küssten sich lange und intensiv und es fiel Tala nicht mehr<br />

schwer zu verstehen, warum man die auf den ersten Blick sehr kühl<br />

wirkenden Cardassianer als leidenschaftliches Volk betrachtete.<br />

Khaleens Zunge untersuchte noch einen Moment lang Talas<br />

Mundhöhle und schließlich lösten sie sich voneinander und lächelten<br />

einander an.<br />

„So...“, begann Khaleen. „Und was ist jetzt mit uns?“<br />

„Was soll mit uns sein?“<br />

„Wir kennen uns jetzt seit einem Monat, Tala. Mit Galak führst du<br />

eine offene Beziehung, er ist an nichts festem interessiert. Ich frage<br />

mich nur... ob das hier vielleicht irgendwo hinführt.“<br />

„Du und ich?“<br />

<strong>Sie</strong> nickte.<br />

Tala grinste. „Du bist nur eine Eroberung. Eine Kerbe an meinem<br />

Gürtel.“<br />

Khaleens Augen verengten sich. „Sehr witzig.“<br />

„Ja, man sagt mir einen gewissen Humor nach...“ <strong>Sie</strong> stand wieder<br />

auf. „Was dagegen, wenn ich zuerst unter die Schalldusche springe?”<br />

„Wir könnten gemeinsam drunter gehen.“<br />

„Dann würde es doppelt solange dauern.“<br />

Khaleen sah auf das Chronometer. Der Zeiger stand noch nicht mal<br />

auf fünf Uhr Morgens. „Es ist noch früh.“


„Ich will in die Kommunikationszentrale und möchte nicht zu spät<br />

sein.“, erklärte Tala. „Wenn man da am Wochenende nicht zeitig<br />

genug hinkommt, steht man ewig Schlange.“<br />

„Du bist fast jeden Morgen dort.“ Khaleen grinste verführerisch.<br />

„Erwarten dich Liebesbriefe von der Heimat?“<br />

„So etwas in der Art.“<br />

„Ich kann sehr eifersüchtig sein, musst du wissen.“<br />

Tala erwiderte das Grinsen. „Ich weiß.“ <strong>Sie</strong> öffnete die<br />

Badezimmertür, blieb aber stehen und drehte sich noch einmal um, als<br />

sie Khaleen hinter sich rufen hörte: „Hey... erm...“<br />

„Ja?“<br />

„Ich bin neugierig... War ich die erste für dich?“<br />

Tala neigte schmunzelnd den Kopf. „Nein.“<br />

„Die zweite?“<br />

„Dang, warum wollt ihr Nicht-Andorianer immer wissen, ob ihr die<br />

ersten seid?“<br />

„Millionen Jahre evolutionärer Entwicklung, schätze ich.“<br />

„Entwickelt euch weiter.“ Und damit ging sie ins Bad.<br />

Die Kommunikationszentrale war ein relativ großer Komplex im<br />

Hauptgebäude, der unter anderem den gesamten ein- und ausgehenden<br />

Postverkehr der Kadetten verwaltete und sich deswegen hinter einem<br />

lächerlich kleinen Empfangsbereich zu verstecken versuchte, der dem<br />

Besucheransturm für gewöhnlich nie lange standhielt.<br />

Natürlich konnten die Kadetten die an sie andressierten Briefe aus<br />

der Heimat auch zu jeder Zeit an den Tischcomputern in ihren<br />

Zimmern abrufen, aber das war keine allzu private Methode, da diese<br />

Computer alle untereinander verbunden waren und man leicht die<br />

Daten der anderen einsehen konnte – selbst die, die deutlich als Privat<br />

gekennzeichnet waren. Das entsprach nicht nur dem offenen Geiste<br />

der Akademie, in dem niemand Geheimnisse vor seinen Kameraden<br />

haben sollte, nein es war auch, wie man allgemein munkelte, ein<br />

ziemlich ausgefuchster und beinahe schon biblischer Test, da man<br />

ganz bewusst mit Verlockungen und der Neugierde der jungen Leute<br />

spielte. Schließlich waren Klatsch und Tratsch seit Jeher fester<br />

Bestandteil jeder sozialen Umgebung gewesen und auch auf der


Akademie war das nicht anders. Private Dinge über andere zu wissen,<br />

mochte den eigenen Status in einer Gruppe durchaus zum positiven<br />

ändern. Aber zweifellos wurden sämtliche Vorgänge vom Zugriffs-<br />

und Abfragesystem protokolliert und aufgezeichnet, sodass die Leute<br />

in der Kommunikationszentrale genau sehen konnten, wer auf Daten<br />

zugriff, die ihn im Grunde überhaupt nichts anging. Und das hatte<br />

ganz sicher einen Eintrag in die Akte zur Folge.<br />

Alle wussten das.<br />

Die meisten Kadetten verhielten sich daher von Anfang an Korrekt<br />

und Erwachsen, und schenkten dem verführerischen Apfel, der von<br />

der paradiesischen Schlange bewacht wurde, möglichst keine<br />

Aufmerksamkeit (weshalb man sich auf die gute alte Methode berief<br />

und einfach tuschelte und Gerüchte in die Welt setzte). Aber gerade<br />

unter den Technik-Studenten, die sich auf Kommunikationswesen<br />

spezialisiert hatten, gab es nicht gerade wenige, die es als große<br />

Mutprobe sahen, genau jene Überwachungsvorgänge zu umgehen, um<br />

die privaten Briefe ihrer Mitschüler unentdeckt lesen zu können.<br />

Natürlich taten sie es nicht. Jedenfalls meistens. Der Inhalt der Briefe<br />

interessierte sie gar nicht. Es ging lediglich darum, ihre Fähigkeiten zu<br />

trainieren und den wesentlich erfahreneren Leuten in der<br />

Kommunikationszentrale ein Schnippchen zu schlagen, die sich<br />

wiederum bemühten, den Kadetten möglichst viele Steine in den Weg<br />

zu werfen. Es fand sozusagen ein Krieg zwischen der neuen und der<br />

älteren Generation der Kommunikationsoffiziere statt - auf Kosten der<br />

Privatsphäre.<br />

Das Lehrpersonal wusste von diesen Vorgängen. Die<br />

Akademieleitung wusste von diesen Vorgängen. Die Kadetten<br />

wussten von diesen Vorgängen. Ohne dieses Wissen hätte es nicht<br />

halb so viel Spaß gemacht.<br />

Wer also Nachrichten privater Natur einsehen oder versenden<br />

wollte, die ganz sicher nicht für die Blicke Dritter gedacht waren, der<br />

kam direkt in die Kommunikationszentrale.<br />

Was Tala auch heute wieder tat. Der Empfangsbereich war relativ<br />

schmucklos und setzte sich aus zwei durch einen kleinen Gang<br />

miteinander verbundenen Räumen zusammen. Es gab in jedem Raum<br />

nur ein paar Stühle, die für einen andorianer viel zu komfortabel<br />

waren, einen Teppich, der eine Änderung der Farbe dringend nötig


gehabt hätte und Rezeptionisten, deren Lieblingsbeschäftigung es<br />

morgens war, die Kadetten zu verärgern.<br />

Bei ihrem ersten Besuch hatte sich auch Tala ärgern lassen. <strong>Sie</strong> war<br />

am Empfang gefragt worden, ob sie private oder offizielle<br />

Nachrichten bearbeiten wollte.<br />

„Private“, hatte Tala geantwortet.<br />

Die übergewichtige, ältere Frau am Empfang hatte grenzenlos<br />

verdrossen den Kopf geschüttelt und gesagt, Tala müsse in dem<br />

anderen der beiden Empfangsräume sein. Wer das nicht wusste, war<br />

offenbar geisteskrank oder zumindest leicht beschränkt. <strong>Sie</strong> hatte<br />

dagesessen, hinter ihrem kleinen Schreibtisch, und ziemlich pikiert die<br />

Augenbrauen hochgezogen, verwundert und betroffen darüber, wie<br />

heillos dämlich die Kadetten im allgemeinen und Tala im besonderen<br />

waren, bis Tala durch den Gang in den Nebenraum gegangen war.<br />

Der hatte genauso ausgesehen wie der erste, und seine eigene,<br />

diesmal aber schlanke ältere Empfangsfrau besessen.<br />

„Private oder offizielle Nachrichten?“, hatte auch sie gefragt.<br />

„Private.“<br />

Die Frau sah Tala an, als hätte sich der Verstand der Andorianierin<br />

nun endgültig verabschiedet. „Da sind sie hier falsch, Schätzchen.“<br />

<strong>Sie</strong> hatte Tala mit einer erhabenen Geste vom Tresen weggewinkt und<br />

durch den Gang in den Nebenraum zurückgescheucht, wo die<br />

übergewichtige Frau sie eine Minute später erneut entdeckte.<br />

<strong>Sie</strong> hatte Tala angesehen.<br />

Ein zentnerschweres Unverständnis überkam sie, gefolgt von<br />

Traurigkeit, Wut, tiefer Enttäuschung und dem Gefühl, dass die Welt<br />

einzig und allein geschaffen worden war, um ihr Verdruss zu bereiten.<br />

<strong>Sie</strong> hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt, die Stirngerunzelt und<br />

die Augen geschlossen. „<strong>Sie</strong> sind im falschen Raum.“, hatte sie<br />

schlicht gesagt. „<strong>Sie</strong> wollen private Nachrichten bearbeiten,<br />

Schätzchen. Bitte gehen sie in den anderen Raum.“<br />

Da man Tala gesagt hatte, den Empfangsbereich der<br />

Kommunikationszentrale könne man Morgens nur in einem Zustand<br />

äußerster Gelassenheit in Angriff nehmen (was nicht gerade ihre<br />

Stärke war), beschloss Tala, es weiterhin damit zu versuchen, anstatt<br />

dem nächsten, der sie >Schätzchen< nannte, mit seiner eigenen Zunge<br />

zu erwürgen.


<strong>Sie</strong> hatte genickt und sich durch den Gang auf den Rückweg in den<br />

anderen Raum gemacht.<br />

Dort sprach die dünne Frau sie wieder an, aber diesmal erklärte Tala<br />

ihr geduldig, dass sie sich verpissen könne.<br />

Offenbar hatte diese Dreistigkeit beträchtliche Bestürzung<br />

ausgelöst, denn binnen weniger Minuten waren beide Empfangsdamen<br />

zum Frühstück verschwunden. Die Türen waren verschlossen<br />

geblieben und sie waren auch eine Stunde später nicht wieder<br />

aufgetaucht. Zwei Tage Später hatte Tala einen erneuten versuch<br />

gestartet. Die dicke Frau hatte den Mund geöffnet, aber Tala war<br />

einfach an ihr vorbeigestürmt und in die Zentrale gegangen. Dort hatte<br />

sie sich durchgefragt, bis sie einen freundlichen Sachbearbeiter traf,<br />

der ihr erklärte, dass Tala zwar vollkommen falsch war, dass es im<br />

Grunde aber auch egal sei.<br />

Heute hatte Tala weniger Pech. <strong>Sie</strong> war an diesem Samstag-Morgen<br />

die erste Kadettin und der Junior-Lieutenant hinter dem Tresen war<br />

ganz offensichtlich noch viel zu müde, um irgendjemanden ärgern zu<br />

wollen. Genaugenommen sah er so zerknittert aus, als hätte er bis vor<br />

wenigen Minuten noch in seinem eigenen Gesicht geschlafen.<br />

Tala hingegen wirkte wie das Rollenmodell der Perfektion. Ihre<br />

Uniform saß tadellos, ihre Stiefel glänzten und ihre Haltung war so<br />

vorbildlich kerzengerade, dass selbst der Junior-Lieutenant peinlich<br />

berührt seinen Rücken durchstreckte, während er versuchte sich auf<br />

die Daten auf seinem Computerbildschirm zu konzentrieren. Auch<br />

wenn er es äußerst subtil tat, entging Tala nicht, dass er hin und<br />

wieder zu ihr herüberschielte – immer dann, wenn er glaubte, dass sie<br />

es nicht bemerken würde. <strong>Sie</strong> wusste, dass er interessiert an ihr war.<br />

So etwas konnte sie immer leicht erkennen. <strong>Sie</strong> konnte es fühlen. Der<br />

Anstieg der Körpertemperatur, die Pheromone...<br />

Menschen waren so leicht durchschaubar.<br />

„Okay.“, sagte er nach einer Weile und blickte von der Anzeigetafel<br />

auf. „<strong>Sie</strong> können zu Lieutenant Mu’uss, Kadett.“<br />

„Danke.“<br />

Mu’uss war ein kleiner gütiger und furchtbar alter Mann mit dem<br />

Gebaren eines Aenar-Mönchs, der für irgendwas Abbitte leistete. Er<br />

saß für gewöhnlich da, hinter seiner Konsole, als hätte er sich über den<br />

Stuhl ergossen, kratzte gelegentlich seinen Nasenrücken und murmelte


für sich: „Ja, ah, ja.“, als bestätige all dies eine Vermutung, die er<br />

schon seit langem hegte.<br />

Mu’uss war angenehm unkompliziert, auch wenn sich nach kurzer<br />

Zeit herausgestellt hatte, dass Mu’uss gar nicht >Mu’uss< sondern<br />

>Mus< hieß, was die Abkürzung für >Hieronimus< darstellte. Tala<br />

war sich ein bisschen blöd vorgekommen, weil sie >Mu’uss<<br />

verstanden hatte. Es wäre schon ziemlich ungewöhnlich gewesen,<br />

einen indonesischen Kommunikationsoffizier nach dem<br />

Geschlechtsteil eines großen andorianischen Eisochsen zu benennen.<br />

Wohl fast so ungewöhnlich, wie ihn mit unausgesprochener<br />

>Hieronie< Hieronymus zu nennen.<br />

Da ihr Mu’uss aber wesentlich besser gefiel (und es sie jedes Mal<br />

zum Schmunzeln brachte), nannte Tala ihn einfach weiter so, und es<br />

schien ihn nicht zu stören. In der bereits voll besetzten Zentrale<br />

herrschte eine angenehm ruhige Arbeitsatmosphäre. Die<br />

Kommunikationsoffiziere bewegten sich bedächtig durch die Halle,<br />

gingen mal hier hin, und mal dorthin, oder saßen hinter ihren<br />

Konsolen und nahmen in aller Seelenruhe Anrufe von Eltern<br />

entgegen, die ihre Kinder vermissten, sie zu sprechen verlangten, und<br />

sich dabei kindischer anstellten, als die Kinder selbst.<br />

Tala brauchte nicht lange, um Mu’uss zu finden. Wie üblich saß er<br />

in der dritten der schier endlosen Konsolenreihen hinter seinem<br />

Schreibtisch, starrte auf die Anzeigen und murmelte vor sich hin. „Ah,<br />

ja, achso.“<br />

„Morgen, Mu’uss.“<br />

Er blickte schwerfällig zur Seite und seine Gesichtszüge erhellten<br />

sich sofort, als er Tala entdeckte. „Oh, Miss Era’Noor.” Mu’uss freute<br />

sich immer sie zu sehen. „<strong>Sie</strong> sind aber früh auf.“<br />

„Nur der Frühe Eiswurm wird nicht gefressen.“ <strong>Sie</strong> setzte sich auf<br />

seinen Schreibtisch. „Was machen die Enkel?“<br />

„Tanzen ihren Eltern auf der Nase herum.“ Er grinste großväterlich.<br />

„Nur beim Opa tun sie, was man ihnen sagt.“<br />

„Wer könnte diesem Großvater auch etwas abschlagen?“ <strong>Sie</strong> deutete<br />

mit einem Kopfnicken zur Computerkonsole. „Haben sie etwas neues<br />

aus der Heimat für mich, Mu’uss?“<br />

Tatsächlich hatte Mu’uss bereits einen Datenblock herausgelegt,<br />

den er mit seinen wie üblich schwerfälligen Bewegungen in die Hand<br />

nahm und „Ja, ahja, achso.“ Murmelte.


Mu’uss verstand sein Metier und besaß überall im Quadranten gute<br />

Kontakte. Wer Informationen wollte, die tiefer gingen, als alles, was<br />

die offiziellen Kanäle ausspuckten, war bei ihm an genau der richtigen<br />

Adresse. Er tat mehr als einem der Kadetten – seinen unehelichen<br />

Kindern, wie er immer sagte – einen Gefallen in dem er Leute überall<br />

im Föderationsraum aufspürte, entfernte Familienangehörige oder<br />

Freunde etwa, oder Informationen aus der Heimat besorgte, die man<br />

sonst nirgends herbekam. Dennoch fragte sich Tala manchmal, warum<br />

er überhaupt noch im Dienst war. Seinen Bewegungen nach zu<br />

urteilen war er bereits halb gelähmt.<br />

Er gab den Datenblock an Tala weiter. „Es sind keine guten<br />

Nachrichten, fürchte ich.“<br />

„Der Kanzler rückt nicht von seiner Politik ab?“<br />

„Nein, kein bisschen. Trotz der Schiffe, die man hingeschickt hat.“<br />

Tala überflog den Text und mit jedem Satz stürzten ihre<br />

Mundwinkel weiter nach unten. Zu sagen, sie hielte schlechte<br />

Nachrichten über die Heimat in den Händen, wäre noch eine<br />

Untertreibung gewesen. Tala musste den Text zweimal lesen, um die<br />

Worte fassen zu können. Schließlich senkte sie den Block und starrte<br />

in die Ferne.<br />

„Ich hatte gehofft er würde sich noch besinnen.“, flüsterte sie.<br />

Mu’uss rutschte auf seinem Stuhl herum – wenn er sich so viel<br />

bewegte, war das ein klares Zeichen dafür, dass der alte Indonesier<br />

noch mehr schlechte Nachrichten hatte. „Das ist noch nicht alles, Miss<br />

Era’Noor.“<br />

„Bessere Nachrichten, hoffe ich?“<br />

Mu’uss schüttelte den Kopf.<br />

Tala warf den Datenblock zurück auf den Tisch. „Was könnte<br />

schlimmer sein, als das hier?“<br />

„Sidak kommt her.“<br />

<strong>Sie</strong> starrte ihn an. „Was?! Der Rassist?“<br />

„Uh-huh. Habe es eben erst erfahren. Die Akademie ist sein<br />

nächstes Reiseziel.“<br />

„Ist das sicher?“<br />

Erneut das Kopfnicken. „Er wird noch heute früh eintreffen.“<br />

„Hier? Wirklich hier?“


„Konnte es selbst kaum glauben, aber es ist bestätigt. Man hat<br />

seiner Bitte, auf dem Campus eine Rede halten zu dürfen,<br />

entsprochen.“<br />

Tala machte es sich gedanklich klar, was das bedeutete.<br />

Sidak war unterwegs.<br />

Sidak der Rassist.<br />

Er würde ohne Zweifel Öl ins Feuer gießen.<br />

Mu’uss legte ihr in einer väterlichen Geste eine Hand auf die<br />

Schulter, da sie schon seit geraumer Zeit nichts gesagt und einfach vor<br />

sich hingestarrt hätte, als hätte sie eine Hiobsbotschaft erhalten. „Sind<br />

sie in Ordnung, Tala?“<br />

„Ja. Ja, schon gut.“, log sie nach kurzem Zögern. „Danke Mu’uss.<br />

Es geht mir bestens.“<br />

In Wahrheit konnte sich Tala nur schwer vorstellen, wie<br />

irgendjemand einen schlechteren Start in den Tag haben könnte.<br />

Sha’Nyn<br />

Sha’Nyn Bartez träumte einen angenehmen Traum. Eindringliche<br />

Bilder zogen an ihr vorbei, Bilder eines nackten, muskulösen<br />

Oberkörpers und Bilder von schwingenden männlichen Lenden, die<br />

lediglich von einer vielfarbenen Wolke verhüllt wurden, in der kleine<br />

Lichtkugeln fröhlich tanzten. <strong>Sie</strong> erlebte noch einmal den Kuss mit<br />

Galak Arsamandi, dem Prinz des orsorianischen Reiches, die<br />

schreckliche Wendung, als sie kurz darauf herausfand, dass er eine –<br />

reichlich offene - Beziehung mit Tala führte, und wie sie die Situation<br />

nach einigem Ärger schließlich akzeptierte und über ihren Schatten<br />

sprang, um die Freundschaft zu beiden fortzusetzen und ihr Leben<br />

weiterzuleben, ohne Reue, ohne über das Nachzudenken, was<br />

vergangen war.<br />

Aber hier, in der Traumwelt...<br />

...da sah sie wieder sein Gesicht, diese kantigen, maskulinen Züge,<br />

die pupillenlosen Augen, in denen ein merkwürdiger Nebel waberte.<br />

<strong>Sie</strong> vernahm seinen süßlichen Atem, und spürte das Prickeln, dieses<br />

aufregende Prickeln, dass sie stets empfunden hatte – und teilweise


noch immer empfand -, wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt. Sein<br />

blaues, langes Haar wehte wie üblich in einem rätselhaften Luftzug,<br />

der nur für ihn bestimmt zu sein schien.<br />

Galak.<br />

Er hatte ihr vom ersten Moment an auf seine ganz eigene, arrogante<br />

Art mehrere Avancen gemacht, und Sha’Nyn hatte – entgegen ihrer<br />

tatsächlichen Sehnsüchte – unverzüglich klargestellt, dass sie nicht<br />

geneigt war, seiner unverblümten Forderungen zur Paarung<br />

nachzugehen. Und in dem Augenblick, als Sha’Nyn es sich anders<br />

überlegt hatte, hatte sie Galak Arm in Arm mit ihrer Freundin Tala<br />

gesehen; die beiden waren offensichtlich gerade erst mit einem<br />

Stelldichein fertig gewesen. Damit hatte Sha’Nyn plötzlich auf dem<br />

Trockenen gesessen – was sie ziemlich geärgert hatte.<br />

Galak lächelte ihr nun zu, zeigte perfekte weiße Zähne. Dann hob er<br />

seine muskelbepackten Arme und streckte ihr die Hände entgegen,<br />

worauf Sha’Nyn sich selbst sah, wie sie nach kurzem Zögern in seine<br />

Umarmung stürzte. Sämtliche Bedenken waren mit einem Mal<br />

irrelevant, alles was zählte war der Moment, und der Moment gehörte<br />

ganz ihrer Leidenschaft. <strong>Sie</strong> ertrank förmlich in seinen starken Armen,<br />

während sie sich berauscht küssten.<br />

„Shan...“<br />

Die Traumwelt verzerrte sich für einen Moment, ein grauer Schleier<br />

durchzog ihre Wahrnehmung. Sha’Nyn stöhnte. <strong>Sie</strong> spürte Galaks<br />

Zunge, auf ihrem Hals, die Wärme seines Speichels. Irgendwas roch<br />

komisch. Irgendwie bitter.<br />

„Shan...“<br />

<strong>Sie</strong> fühlte, wie Galak erneut ansetzte, über ihren Hals leckte und wie<br />

seine Zunge ihre Wange emporwanderte. Es fühlte sich so gut an, aber<br />

die Traumwelt verblasste zunehmend. Sha’Nyn wollte nicht, dass es<br />

endete, aber aus irgendeinem Grund zwang sie sich dennoch die<br />

Augen zu öffnen. Galak blickte mit sanften Augen auf sie herab. Seine<br />

erstaunlich breite Zunge fuhr erneut über ihre Wange und die<br />

Berührung bereitete ihr Freude. Sha’Nyn lächelte. Der Graue Schleier<br />

der Müdigkeit lichtete sich weiter und-<br />

Es war nicht Galak.<br />

Sha’Nyn fiel aus dem Bett. „Oh Gott!“<br />

Eher durch Glück als durch Können, gelang es ihr, sich mehr oder<br />

weniger geschickt auf dem Boden abzurollen und – Captain


Flemmings eindringlichem Nahkampftraining sei Dank –<br />

unverzüglich eine Verteidigungsposition einzunehmen, während sie<br />

den Kopf zurückwarf, um die Strähnen ihres schulterlangen blonden<br />

Haares aus den Augen zu bekommen.<br />

„Gut zu sehen, dass ich nicht der einzige hier mit katzenartigen<br />

Reflexen bin.“, drang eine sarkastische, aber warmherzige Stimme an<br />

ihr Ohr.<br />

Als Sha’Nyn realisierte, wo sie war, und wer gesprochen hatte,<br />

seufzte sie und entspannte ihren Körper - was auf den ersten Blick ein<br />

wenig selbstmörderisch erschien, in Anbetracht der Tatsache, dass ein<br />

ausgewachsener Tiger auf ihrem Bett stand und sie gerade<br />

wachgeleckt hatte. An und für sich war das ein mehr als<br />

nachvollziehbarer Grund zur hellen Panik, wenn es nicht der Tiger<br />

selbst gewesen wäre, der gesprochen hätte.<br />

Das Licht im Zimmer glühte in voller Stärke und löste einen<br />

stechenden Schmerz hinter Sha’Nyns Schläfen aus. „Wotan“, stöhnte<br />

sie und ließ sich mit zusammengekniffenen Augen auf den Rücken<br />

fallen, die Arme weit ausgebreitet, als hätte man sie gekreuzigt.<br />

„Ouuuuw. Mach um Himmels Willen das Licht aus!“<br />

„Damit du wieder einschläfst, Liebes? Ich denke nicht dran.“<br />

„Grrr, wenn ich könnte, würde ich dich erwürgen!“ <strong>Sie</strong> stöhnte.<br />

„Wie spät ist es überhaupt?“<br />

Ihr vierbeiniger Zimmergenosse brachte ein amüsiertes Lächeln<br />

zustande und sprang mit wedelndem Schwanz zu ihr auf den Boden<br />

herab.<br />

Einst mochte er ja ein völlig gewöhnlicher Bengaltiger gewesen<br />

sein, der in freier Wildbahn seinen eigenen Angelegenheiten<br />

nachgegangen war (Schlafen, Fressen... und dann wieder schlafen).<br />

Seine Erinnerungen an diese Zeit waren aber bestenfalls wage. Wie<br />

ihn der Pfeil des Betäubungsgewehrs getroffen hatte, das wusste<br />

Wotan jedoch noch ganz genau. Das Gefühl der Verständnis- und<br />

Hilflosigkeit hatte sich tief in seine Seele eingebrannt. Die Welt war<br />

um ihn herum schwarz geworden, und als er in einem Labor wieder zu<br />

sich gekommen war, hatte er plötzlich ein Ich-Bewusstsein besessen –<br />

das Ergebnis der genetischen Experimente, die man illegal an ihm<br />

durchgeführt hatte. Mit einem Mal hatte sich seine gesamte Existenz<br />

grundlegend verändert. Er sah die Welt seither völlig anders. Es war,


als hätte jemand in einem stickigen, dunklen Raum die Fenster<br />

geöffnet.<br />

Vermutlich, so dachte Wotan, erging es Sha’Nyn gerade ganz<br />

ähnlich. Er stieß sie sanft mit der Schnauze an. „Na komm schon. Du<br />

musst aufstehen, Liebes.“<br />

Erneutes Stöhnen. Es hörte sich allerdings ganz anders an, als das<br />

Stöhnen vorhin im Bett. „Du scheinst ja hin und weg gewesen zu<br />

sein.“<br />

Sha’Nyn stemmte sich schwerfällig auf die Ellenbogen, während<br />

sich ihre Augen langsam an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen<br />

versuchten. „Ich hatte...“ <strong>Sie</strong> dachte an Galak und realisierte: „Ich<br />

hatte einen Alptraum!“<br />

Wotan schnaubte amüsiert. „So hat es sich auch angehört.“<br />

„Angehört?“<br />

„Na komm schon.“ Er stubste sie erneut an. „Du verschläfst noch.“<br />

Sha’Nyn drückte ihre Unkooperation aus, in dem sie versuchte ihn<br />

beiseite zu schieben – was nicht recht gelang, da Wotan weitaus<br />

schwerer und kräftiger war. Also stieß er erneut zu, diesmal etwas<br />

bestimmter. <strong>Sie</strong> stöhnte erschöpft: „Du zottelige Nervensäge. Es ist<br />

Samsta-“<br />

Und dann riss sie die Augen auf. „Oh Gott, es ist ja Samstag!“<br />

Mit einem Mal war Sha’Nyn hellwach und auf den Beinen, um zum<br />

Kleiderschrank zu rennen, wobei sie sich natürlich prompt das Knie<br />

am Tisch anstieß, und beherzt fluchte - Ein gutes Zeichen, dass sie<br />

wieder voll und ganz da war. „Wie viel Uhr? Wie viel Uhr?“<br />

„Fünf nach sieben.“<br />

„Shiiiiiit! Ich komme zu spät! Schon wieder zu spät!“ <strong>Sie</strong> riss eine<br />

Uniform vom Kleiderbügel, wirbelte herum und bedachte Wotan wild<br />

gestikulierend mit einem bösen Blick. „Warum hast du mich nicht<br />

geweckt?“<br />

„Das habe ich doch versucht.“<br />

„Warum hast du es nicht nachdrücklicher versucht?“<br />

Er lachte. „Noch eindrücklicher und ich hätte dich beißen müssen.“<br />

Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Mit einem frustrierten Laut<br />

wirbelte sie wieder in die andere Richtung und wäre mit zwei<br />

Schritten im Bad gewesen, wenn sie nicht – wie jeden Morgen – mit<br />

einigem Getöse über Wotans Fressnapf gestolpert wäre. Was dazu<br />

führte, dass sie sich nun das andere, noch intakte Knie, am Schrank


annte, und humpelnd, fluchend, und mit den Armen rudernd im<br />

Nebenraum verschwand, wo es zwei Sekunden später nur noch mehr<br />

schepperte.<br />

Wotan schüttelte amüsiert den Kopf.<br />

Menschen.<br />

Während vom Bad her das Summen der Schalldusche erklang, sah<br />

er zu Sha’Nyns Bett herüber und bemerkte jetzt erst die Datenblöcke,<br />

die auf dem Laken verstreut waren. <strong>Sie</strong> türmten sich auch auf ihrem<br />

Schreibtisch. Andere quollen förmlich aus ihrem verschlissenen<br />

Rucksack heraus. Das war an und für sich nichts ungewöhnliches,<br />

zumal Sha’Nyn – ganz ihrer wirbelnden Persönlichkeit getreu – nicht<br />

allzu viel von Ordnung hielt und überall ein gewisses Chaos<br />

hinterließ. Aber in letzter Zeit deckte sie sich so stark in Arbeit ein,<br />

dass es Wotan zunehmend schwerer fiel, ihre Zweierstube jeden<br />

Abend für die morgendliche Zimmerinspektion aufgeräumt zu<br />

bekommen.<br />

Er tat es gern, zumal er wusste, dass Sha’Nyns wissenschaftliches<br />

Studium anstrengend und ihr wichtig war, und er unterstützte sie wo<br />

er konnte. Aber dass sie ihre Arbeit jetzt selbst noch mit ins Bett<br />

nahm, war neu, und es bereitete ihm einige Sorgen – zumal es nicht so<br />

war, dass Sha’Nyn Schwierigkeiten gehabt hätte dem Unterricht zu<br />

folgen. Im Gegenteil. <strong>Sie</strong> hätte sehr viel weniger lernen müssen, als<br />

sie es eigentlich tat, aber die Themen faszinierten sie so sehr, dass ihre<br />

gesamte Freizeit opferte, um sich noch mehr Wissen anzueignen. Das<br />

konnte Wotan nicht unbedingt gutheißen. Der Akademiealltag war<br />

schon anstrengend genug, - sowohl für Geist, als auch für Körper. Erst<br />

recht wo sie noch am Anfang standen, und ihre Körper sich in der<br />

Eingewöhnungsphase befanden. Routine setzte nämlich auch nach<br />

zwei Monaten noch nicht ein. Die Akademieleitung dachte sich<br />

täglich etwas neues aus, um sie zu fordern. Sogar Wotan hatte<br />

Probleme beim sportlichen Training mitzuhalten – von den Menschen<br />

ganz zu schweigen. Die meisten Kadetten waren abends bereits im<br />

Reich der Träume, kaum dass sie ihre Kopfkissen berührten.<br />

Nicht so Sha’Nyn. Mitunter sprühte sie derart vor Energie und war<br />

so stur, dass man, wenn man sie erschießen wollte, vermutlich<br />

zweimal feuern musste, ehe sie umfiel.<br />

<strong>Sie</strong> musste die ganze Nacht lang im Dunkeln durchgearbeitet haben,<br />

um ihn nicht zu wecken. Wotan warf einen Blick auf die Etikette.


Alles wissenschaftliche Lektüren. Datenblöcke über Artefakte, über<br />

Ausgrabungsstellen, über Archäologen, deren Biografien, Interviews,<br />

Memoiren, ja sogar Datenblöcke mit Dissertationen, die das Thema<br />

Altertum nur im entferntesten anschnitten. <strong>Sie</strong> verschlang alles, was<br />

sie in die Finger bekam. Ihr Wissensdurst war schier unstillbar. Zeit<br />

zum Abschalten gönnte sie sich nur selten; um zur Ruhe zu kommen<br />

betrieb sie Sport, obwohl sie beim täglichen Training schon genug<br />

über den Campus gehetzt wurden. Und jetzt hatte sie sich auch noch<br />

in die Wochenend-Vorlesungen eingeschrieben.<br />

Die Tür zum Bad öffnete sich wieder und der fluchende<br />

Wirbelwind, der hineingeflogen war, kam nun geringfügig langsamer,<br />

aber dafür teilweise uniformiert heraus, während er versuchte wieder<br />

alles gleichzeitig zu machen: sich die Stiefel überzustreifen, das Haar<br />

zu Kämmen und die Datenblockstapel nach ihren etwas bestimmten<br />

zu durchwühlen.<br />

„Shan...“<br />

„Ich brauche einen leeren Block. Hilf mir suchen.“<br />

Er deutete zu seinem Wandschrank. „Du kannst meinen nehmen.“<br />

„Okay, gut. Danke.“ Sha’Nyn fummelte an ihrer Uniform und<br />

zupfte an den Ärmeln. Dann wollte sie zu seinem Schrank, aber<br />

Wotan war mit einem großen Satz, der ihm keinerlei Mühe bereitete,<br />

über das Bett gesprungen, wo er sich ihr demonstrativ in den Weg<br />

stellte. „Liebes, hör mal. Du brauchst eine Pause.”<br />

„Sicher nicht jetzt. Ich bin viel zu spät!“ <strong>Sie</strong> kletterte einfach über<br />

ihn drüber. „Im oberen Fach?“<br />

Er rollte mit den Augen. Eine erstaunlich menschliche Geste. „Wir<br />

haben dich in letzter Zeit beim Frühstück vermisst. Und beim<br />

Abendessen.“<br />

„Keine Zeit dafür. Hab im Labor gegessen.“<br />

Er wandte sich in dem Moment zu ihr um, als Sha’Nyn bereits auf<br />

dem Rückweg war und an ihm vorbeirannte, was dazu führte, dass er<br />

sich einmal im Kreis drehte und wie ein Idiot vorkam. Konnte sie<br />

nicht einmal still halten?<br />

„Was tust du zur Entspannung?“<br />

<strong>Sie</strong> stopfte den Datenblock und andere Sachen, die sie heute<br />

brauchen würde in ihren Rucksack. „Sport.“<br />

„Ich meine richtige Entspannung.“


„Das ist richtige Entspannung, Sigmund. Ich tue lieber was, als<br />

rumzusitzen.“<br />

Das konnte er nachvollziehen. Trotzdem hakte er weiter nach,<br />

obwohl e sie nervte: „Wann hast du das letzte Mal ausgeschlafen?“<br />

„Weiß nicht.“<br />

„Wann hast du das letzte Mal länger als sechs Stunden geschlafen.“<br />

„Weiß nicht.“<br />

„Und länger als fünf?“<br />

<strong>Sie</strong> warf sich den Rucksack über ihre Schulter und gab erst gar<br />

keine Antwort.<br />

„Ich will dir doch nur helfen.“ Es klang fast vorwurfsvoll.<br />

Sha’Nyn seufzte, drehte sich zu ihm um und verharrte zum ersten<br />

Mal an diesem Morgen länger als eine knappe Sekunde an einem Ort.<br />

„Ich weiß. Aber wir sind jetzt auf der Akademie und ich gedenke so<br />

viel vom Studium mitzunehmen, wie ich kann.“ <strong>Sie</strong> kniete sich vor<br />

ihn und kraulte Wotan am Ohr. So eilig sie es auch hatte, dafür war<br />

Zeit. <strong>Sie</strong> wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. „Ich habe endlich<br />

etwas gefunden, das mich begeistert, verstehst du? Ich weiß, was ich<br />

werden will. Welchen Beruf ich mal ausüben möchte. Aber nicht<br />

unbedingt in der Sternenflotte - von der will ich nur die Ausbildung.<br />

Und auf dem freien Markt gibt es eine Menge Konkurrenz, also lege<br />

ich mich lieber gleich ins Zeug.“<br />

„Das verstehe ich. Du hast Angst, dass du in der Zukunft nicht<br />

wettbewerbsfähig bist, aber du... du nimmst dir dadurch die<br />

Gegenwart. Der Unterschied zwischen Existieren und Leben liegt<br />

oftmals im Gebrauch der Freizeit, musst du wissen.“<br />

„Heh. Du nutzt deine Freizeit um zu plappern.“<br />

„Wobei einige gute Freundschaften entstehen. Kannst du dasselbe<br />

behaupten?“<br />

<strong>Sie</strong> sah zur Seite. Die vergangenen zwei Monate waren tatsächlich<br />

ziemlich schnell an ihr vorbeigezogen. Von den anderen hatte sie<br />

nicht viel gesehen. Zunächst war es ihr nicht weiter aufgefallen, aber<br />

sie vermisste sie inzwischen doch. „Nein.“<br />

„Ich will nur, dass du dir hin und wieder ein bisschen Zeit nimmst,<br />

um abzuschalten. Um die Dinge zu reflektieren, und dir bewusst zu<br />

werden, wo und was du im hier und jetzt bist. Mehr verlange ich<br />

nicht.“<br />

„Ich werd’s versuchen.“


„Tu’s wirklich.“<br />

<strong>Sie</strong> richtete sich unter Wotans misstrauischem Blick auf. „Okay.“<br />

„Wirklich.“<br />

„Ja, ja.“<br />

Sanfter sagte er: „Und versuch dich mal wieder öfters blicken zu<br />

lassen. Die anderen vermissen dich schon.“<br />

„Ich sie ja auch.“ <strong>Sie</strong> schnaubte und betätigte kopfschüttelnd den<br />

Türöffner. „Heh. Ich fange sogar schon an von Galak zu träumen.”<br />

Jetzt war Wotans Interesse erst recht geweckt. Seine Ohren richteten<br />

sich auf und er neigte überrascht den Kopf. „Galak?“<br />

Shan war schon auf dem Korridor, als sie noch mal im Türrahmen<br />

erschien und drohend den Finger auf ihn richtete. „Behalte das für<br />

dich!“<br />

Wotan neigte den Kopf und setzte einen gekränkten Blick auf.<br />

„Liebes. Ich bin die Verschwiegenheit in Person.“<br />

„Galak?!“ Arqa kicherte, was sich immer wie ein Gluckern anhörte.<br />

„<strong>Sie</strong> träumt von Galak?“<br />

„Aber wenn ich es dir doch sagen.“, bestätigte Wotan. Er hatte ihr<br />

gemeinsames Quartier verlassen, kurz nachdem Sha’Nyn gegangen –<br />

oder vielmehr losgerannt – war. Anschließend hatte er Arqa Ichtos<br />

abgeholt, und nun machten sie sich auf den Weg zu einer Vorlesung in<br />

Psychologie. Arqa stammte von einer Welt namens Dchka, die fast<br />

vollständig vom Ozean bedeckt wurde. Es gab lediglich eine winzige<br />

Landmasse, die kaum mehr Grundfläche aufbrachte als etwa<br />

Manhatten. Als Folge der verständlicherweise nur geringen<br />

Bevölkerungsdichte kannte auf Dchka jeder jeden und da es aufgrund<br />

des Platzmangels nicht viele Orte zu besuchen, Tiere zu sehen, oder<br />

Hobbys auszuüben gab, galt das Hauptinteresse der Dchkaner den<br />

zwischendchkanischen Beziehungen. Kurz gesagt, Arqa war im<br />

Psychologiebereich, für den sich auch Wotan entschieden hatte,<br />

perfekt aufgehoben.<br />

Leider neigte sie zuweilen zur Geschwätzigkeit. <strong>Sie</strong> konnte kaum<br />

etwas für sich behalten – eine Eigenart, die Wotan für eine ziemliche<br />

Charakterschwäche hielt (und die er, wie er glaubte, zum Glück nicht<br />

teilte). Daher bat er: „Behalte das aber für dich, ja?“


„Aber selbstverständlich, Wotan.“, entgegnete sie aufrichtig<br />

lächelnd. Und das reichte ihm als Zusicherung vollkommen aus.<br />

Schließlich besaß er, so glaubte Wotan, eine beängstigend stark<br />

ausgeprägte, nahezu perfekte Menschenkenntnis. Hätte Aqua ihn<br />

angeschummelt, hätte er es sofort bemerkt. Und er war sich sicher,<br />

dass sie ein Geheimnis behalten konnte, wenn es drauf ankam.<br />

„<strong>Sie</strong> ist ein interessanter Fall. Sha’Nyn meine ich. Du hast dir genau<br />

die richtige Person ausgesucht, um deine Abschlussstudie zu<br />

schreiben.“<br />

„In der Tat.“<br />

„Was denkst du, warum sie Probleme hat sich Galak zu nähern?“<br />

„Ich glaube es liegt an Sha’Nyns überwältigendem Wunsch nach<br />

Unabhängigkeit, der dazu führt, dass sie sich oft selbst im Weg steht,<br />

und noch lange im Weg stehen wird. Vor allem in<br />

Herzensangelegenheiten. Aber wer weiß.“, grinste Wotan. „Vielleicht<br />

läuft ihr sie ja schon heute ihrem Traummann über den Weg.“<br />

Sha’Nyn nahm jeweils zwei Stufen gleichzeitig, als sie die<br />

Gartenanlage hinter sich ließ und die Treppe zum Eingang der Sudak-<br />

Halle hinaufstürmte. <strong>Sie</strong> schnaufte aufgrund der Anstrengung, wurde<br />

aber nicht langsamer. Oben angekommen schienen die automatischen<br />

Glastüren ein Bewusstsein entwickelt zu haben und öffneten sich<br />

zügiger als üblich, da Sha’Nyn sonst glatt durch sie hindurchgerannt<br />

wäre. <strong>Sie</strong> hatte es wirklich furchtbar eilig. Ein Blick auf ihr<br />

Chronometer verriet die Dringlichkeit der Situation: Elf nach sieben.<br />

<strong>Sie</strong> kam fast eine viertel Stunde zu spät!<br />

Verdammt!<br />

Das Geräusch ihrer Stiefel lärmte durch die Halle, die sie<br />

vollkommen leer vorfand. Normalerweise war das Gebäude mit<br />

Kadetten des ersten Jahres gefüllt – scheinbar ganz gleich, zu welcher<br />

Tageszeit man eintrat. Vor allem morgens musste man sich durch eine<br />

gewaltige Ansammlung vielfüßiger, vielbeiniger, vieläugiger Aliens<br />

und Menschen kämpfen, manche mit Fell, andere mit Rüsseln, und<br />

wieder andere mit Flügeln, die in Gruppen oder alleine, lachend,<br />

tratschend, oder gedankenverloren die Halle bevölkerten und für eine<br />

beständige Kakophonie der Belebtheit sorgten.


Jetzt am Wochenende und um diese frühe Uhrzeit befanden sich die<br />

meisten aber entweder in ihren Betten, machten die Stadt unsicher,<br />

studierten in Gruppen hinter verschlossenen Türen, oder saßen in<br />

einem der Auditorien, in dem Sha’Nyn nun auch hätte sitzen müssen,<br />

um den Wochenendvorlesungen zu lauschen.<br />

Wenigstens, so dachte Sha’Nyn, hatte sie freie Bahn. Also legte sie<br />

noch einen Zahn zu, hatte aber gerade mal die Hälfte der Halle hinter<br />

sich gelassen. Erst jetzt, im Angesicht der Leere des Gebäudes, wurde<br />

ihr bewusst, wie groß die Akademie eigentlich war. Der gesamte<br />

Campus mit seinen zahlreichen Einrichtungen, die durch die<br />

weitläufigen Gartenanlagen miteinander verbunden waren, erstreckte<br />

sich über mehrere Quadratkilometer. Und dann waren da noch die<br />

unterirdischen Anlagen, deren Ausmaße man nur zu leicht<br />

unterschätzte!<br />

Ich bin eine von Tausenden, dachte Sha’Nyn und fühlte sich<br />

plötzlich ziemlich klein und unbedeutend. Was... vielleicht sogar von<br />

Vorteil war, denn immerhin konnte sie hoffen, so klein und<br />

unbedeutend zu sein, dass Tuvok aus ihrer Verspätung kein Drama<br />

machen würde.<br />

<strong>Sie</strong> ließ die Halle hinter sich und stürmte durch das dahinterliegende<br />

Labyrinth an Korridoren, in denen sie sich in den ersten Tagen allzu<br />

oft verirrt hatte. Das war so gut wie jedem passiert. Inzwischen hatte<br />

sie sich die Wege aber so gut eingeprägt, dass sie gar nicht mehr<br />

hinsehen musste, wohin sie rannte.<br />

Was sie auch nicht tat, und stattdessen erneut auf ihr Chronometer<br />

blickte, als wäre in den letzten zwanzig Sekunden eine temporale<br />

Anomalie aufgetreten, die ihre Verspätung noch verlängert hätte. Als<br />

sie um eine Ecke stürmte, den Blick noch immer auf den Zeitmesser<br />

gerichtet, bemerkte sie nicht, dass ihr jemand mit ähnlicher<br />

Geschwindigkeit, und mindestens genauso unachtsam entgegenkam -<br />

was dazu führte, dass beide mit schockierender Wucht<br />

zusammenprallten und in einem Gewühl aus Gliedmaßen zu Boden<br />

stürzten.<br />

„Uff!”<br />

Sha’Nyn blieb einen Moment lang benommen liegen und spürte ein<br />

merkwürdiges Gewicht auf sich ruhen. Der Junge, mit dem sie<br />

zusammengerasselt war, und der nun äußerst... (un?)günstig auf ihr<br />

drauflag, schüttelte die Härte des Aufpralls als erstes ab. Er stemmte


sich ein Stück hoch und schaute zunächst – sprichwörtlich - etwas<br />

überrumpelt drein, aber als er begriff, was beim Aufprall sein Gesicht<br />

vor Schaden bewahrt hatte, und in welcher Position er sich nun auf<br />

dem Mädchen befand, kroch ein spöttisches Grinsen über seine<br />

jugendlichen Züge. „Und ich musste dich nicht einmal bitten auf einen<br />

Raktajino reinzukommen...“<br />

Sha’Nyns Blick verdüsterte sich. Das war ja wohl die Höhe! Erst<br />

passte er nicht auf, wo er hinlief, und dann brachte er so einen blöden<br />

Spruch! Sha’Nyn grollte: „Runter von mir!“<br />

Nicht, dass sie ihm die Chance dazu gegeben hätte, es von selbst zu<br />

tun. <strong>Sie</strong> schlug ihm kurzerhand auf die Nase und das reichte völlig<br />

aus, um sich aus der unfreiwilligen Liebkosung zu befreien. Der Kopf<br />

des Jungen flog zurück... und der Rest seines Körpers gleich hinterher.<br />

Sha’Nyn ächzte, rollte herum und versuchte auf die Beine zu<br />

kommen. <strong>Sie</strong> hatte beim Aufprall ein Ratschen und anschließend ein<br />

Scheppern gehört. Es war von ihrem Rucksack gekommen, der – wie<br />

hätte es auch anders sein können – aufgerissen war. Nun lagen ihre<br />

Datenblöcke auf dem Boden verteilt. Sha’Nyn mochte ihren<br />

Rucksack. Es war kein Sternenflottenmodell, sondern ein altes,<br />

zerschlissenes Ding, dass sie auf der Eiswelt Frigoria gefunden hatte.<br />

Natürlich hätte sie einen besseren verwenden könnten, aber sie<br />

verband einiges mit diesem alten Ding. Aber in solchen Momenten, da<br />

wünschte sie sich wirklich, weniger nostalgische Gefühle für den<br />

Rucksack zu hegen...<br />

Während sie sich daran machte, alles, was sie verloren hatte, hurtig<br />

wieder einzupacken, richtete der Junge stöhnend den Oberkörper auf,<br />

und hielt sich den Riechkolben. Offenbar hatte er Schmerzen. „Ich<br />

glaube du hast mir die Nase gebrochen!“<br />

Er wusste nicht, ob er aufgebracht, oder beeindruckt sein sollte.<br />

„Sag noch mal so was blödes, wie vorhin, und ich breche den Rest<br />

deines Gesichts gleich mit!“ <strong>Sie</strong> warf ihm einen kurzen Seitenblick zu,<br />

um zu schauen, wie er überhaupt aussah. „Nicht, dass es jemandem<br />

auffallen würde...“, ergänzte sie dann.<br />

Der Junge blinzelte erstaunt über das Ausmaß ihrer Biestigkeit.<br />

„Das war... unfassbar beleidigend und gemein.“ Dann grinste er breit.<br />

„Das gefällt mir!“<br />

Sha’Nyn rollte die Augen. So einer war das. „Dämlicher Trottel!<br />

Wegen dir komme ich viel zu spät.“


„Also, nur als dämlich, oder als Trottel bezeichnet zu werden“,<br />

meinte er spöttisch. „das könnte ich ja grade noch verkraften. Aber<br />

beides zusammen trifft einen ja doch härter, als etwa >blöder Idiotgemeiner Fiesling


eine Sekunde. Zwei im äußersten Notfall. Ein weiteres Indiz für<br />

Emotionen war seine Kaumuskulatur, die sich immer dann in<br />

Bewegung setzte, wenn sich Tuvok ärgerte.<br />

Nun setzte sie sich in Bewegung.<br />

Was sämtliche Kadetten als Vorbote der Apokalypse begriffen.<br />

Augenblicklich wurde es still im Auditorium – manche wagten es<br />

nicht einmal zu atmen – und alle Köpfe drehten sich in die Richtung,<br />

zu der auch Tuvok blickte.<br />

Die Schamesröte schoss Sha’Nyn ins Gesicht, als sie die Blicke<br />

aller auf sich Ruhen spürte, und verzweifelt versuchte möglichst flott<br />

mehrere Millionen Jahre der Evolution zu überspringen und spontan<br />

und durch die pure Kraft des Willens die Fähigkeit zu entwickeln, sich<br />

unsichtbar zu machen – was verständlicherweise, aber dennoch zu<br />

ihrem großen Bedauern nicht funktionierte.<br />

„Wie freundlich von ihnen, uns doch noch mit ihrer Anwesenheit zu<br />

beehren, Kadett.“, sagte Tuvok kalt.<br />

„Tut mir leid, Sir.“<br />

Tuvok mochte es nicht sonderlich unterbrochen zu werden, aber er<br />

konnte damit leben. Tatsächlich war er sogar weit weniger erbost, als<br />

es den Anschein hatte. Doch aus jahrzehntelanger praktischer<br />

Erfahrung als Dozent wusste er sehr wohl, dass Kadetten dazu neigten<br />

einem den Arm abzureißen, wenn man ihnen die Hand der<br />

Freundlichkeit anbot. Wer dem ersten etwas durchgehen ließ, fand<br />

sich schon bald in einem Flohzirkus wieder, der dazu neigte, dem<br />

Lehrpersonal auf der Nase herumzutanzen. Und zum anderen genoss<br />

er den Anblick einer peinlich berührten Sha’Nyn Bartez so sehr... wie<br />

ein Vulkanier eben etwas genießen konnte - Immerhin war sie anfangs<br />

eine der vorlautesten und aufmüpfigsten Studenten gewesen. Weshalb<br />

er die Schärfe seines ohnehin schon Schutzschild durchschlagenden<br />

Blickes noch ein wenig steigerte. „Sollten sie sich erneut verspäten,<br />

brauchen sie an diesem Kurs nicht mehr teilzunehmen.“<br />

„Verstanden, Sir.“<br />

„Setzen sie sich.“<br />

„Ja, Sir.“<br />

Sha’Nyn nickte und machte sich möglichst klein, während sie einen<br />

freien Platz suchte – alles natürlich noch immer unter dem richtenden<br />

Blick Tuvoks. <strong>Sie</strong> hoffte, dass ihre Wangen nur halb so rot waren, wie<br />

sie sich anfühlten. In der achten Reihe entdeckte sie Yoko – ein


weiteres Mitglied ihrer Omega-Staffel und fraglos einer ihrer engsten<br />

Freunde. Der Vulkanier hatte ihr offenbar einen Platz freigehalten.<br />

Oder niemand war willens gewesen, sich neben ihn zu setzen, da<br />

Yoko zuweilen etwas... merkwürdig erschien. Er litt noch immer an<br />

den Spätfolgen einer Geistesverschmelzung mit einem<br />

phylosianischen Beamten, die bei beiden einen neuralen Schock<br />

ausgelöst hatte. Als Folge, wirkte Yoko oft etwas neben der Spur. Tala<br />

hatte scherzhaft gemeint, Yokos Verstand sei wie Gott. Er arbeite in<br />

mysteriösen Wegen, niemand verstand ihn wirklich, und es gab einige<br />

Leute, die darüber debattierten, ob er überhaupt existierte. Es war<br />

natürlich nur liebevoller Spott gewesen, aber an manchen Tagen<br />

steckte mehr Wahrheit darin, als Sha’Nyn zugeben wollte.<br />

<strong>Sie</strong> rutschte in den freien Stuhl und vorne räusperte sich Tuvok, um<br />

endlich fortzufahren. „Wie ich gerade ausführen wollte, neigt ein<br />

Sternenflottenoffizier, nicht zum spekulieren. Er tut es einfach nicht,<br />

im Gegensatz, zu etwa den sogenannten ernsten Medien, die wir alle<br />

fraglos kennen, und die der Auffassung sind, mehr als nur Fakten<br />

darlegen zu müssen, um Konsumenten zu unterhalten. Sehen wir uns<br />

als abschreckendes Beispiel die heute Schlagzeile der CBS-Terranews<br />

an.“ Er betätigte eine Taste, am Pult, und der holographische<br />

Bildschirm hinter ihm erwachte flackernd zum Leben. Zu sehen war<br />

die neueste Ausgabe des Nachrichtenblatts. Die Hauptkolumne<br />

befasste sich mit der Sorge über Präsident Baccos außergewöhnliche<br />

Importpolitik betreffend der Duranium-Legierung aus dem Vermoff-<br />

Gürtel.<br />

Tuvok las vor: „Präsident Baccos kühne und im Föderationsrat heiß<br />

diskutierte Importpolitik“ und er betonte die folgenden Worte sehr<br />

genau „ könnte möglicherweise zu Protesten in der Bengari-Kolonie<br />

führen, die sich bisher für die Duranium-Versorgung verantwortlich<br />

zeichnete. Es ist anzunehmen, dass sie künftig, hohe Gegenleistungen<br />

für den Export ihrer letzten Ressource, den Dilithium-Kristallen<br />

verlangen. Wir gehen davon aus, dass ihre Exportstellung langfristig<br />

stark geschwächt wird – was, wie unsere Experten spekulieren,<br />

diverse Bündnispartner, wie die Caitianer, dazu animieren dürfte, die<br />

Chance zu nutzen, um selbst in den Markt einzusteigen.“<br />

Tuvok pausierte einen Moment und ließ den Nonsens der Worte<br />

wirken. „<strong>Sie</strong> mögen sich nun fragen, was das alles soll. Ob es nicht<br />

verständlich ist, über aktuelle Ereignisse in dieser Art und Weise zu


sprechen. Ich sage ihnen ganz klar: Nein. Nein, das ist nicht<br />

verständlich. Spekulationen solcher Art sind Zeitverschwendung. <strong>Sie</strong><br />

sind unsinnig. <strong>Sie</strong> sind nutzlos. Und der Grund warum sie nutzlos<br />

sind, ist ein einfacher. <strong>Sie</strong> sind nutzlos, weil niemand die Zukunft<br />

kennt.“ Er ließ seinen Blick über die Sitzreihen schweifen. „Sind wir<br />

uns in diesem Punkt alle einig?“<br />

Nicken.<br />

„Oder muss ich ihnen diese simple Tatsache beweisen?“<br />

Kopfschütteln.<br />

„Ich stelle diese Frage, weil es Personen gibt, die dazu neigen, zu<br />

behaupten, sie würden eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen, weil<br />

sich ihre Spekulationen häufig als richtig erwiesen. Behaupten sie<br />

jedenfalls. <strong>Sie</strong> sind so überzeugt von ihren Spekulationen, dass man<br />

meinen könnte, sie besäßen die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen.<br />

Was nicht der Fall ist. Nicht einmal annähernd. Unser bester<br />

Supercomputer ist kaum in der Lage zutreffende Prognosen von sich<br />

zu geben, die weiter als zwei Stunden in die Zukunft reichen. Und<br />

dennoch existiert ein weit verbreiteter Irrglaube, dass es Personen<br />

geben würde, die zuverlässiger spekulieren könnten, als jener<br />

Supercomputer, und denen man aus diesem Grunde Gehör schenken<br />

müsse. Dazu gehören vor allem zwei Gruppen. Erstens, Gelehrte. <strong>Sie</strong><br />

sind belesen, sie haben Erfahrung, und deshalb wissen sie auch,<br />

wovon sie reden, wenn sie spekulieren. Oder? Nein. Nicht wirklich.<br />

Während der ein oder andere gelegentlich richtig tippen mag, liegt<br />

mehr als bloßes Raten nicht in ihrer Macht. Ich bin über hundert Jahre<br />

alt, und unterrichte mein halbes Leben lang. Man kann behaupten,<br />

dass ich einiges an Erfahrung gesammelt habe. Wenn man von mir<br />

nun wissen möchte, ob Kadettin Bartez bei meinem nächsten Kurs<br />

pünktlich erscheint, könnte ich so viel spekulieren, wie ich wollte, in<br />

Wahrheit hätte ich nicht die leiseste Ahnung.“<br />

Gelächter erfüllte das Auditorium.<br />

Sha’Nyn versank in ihrem Stuhl.<br />

„Zur zweiten Gruppe von der man erwartet, sie könne in die<br />

Zukunft sehen, gehören Experten, Spezialisten und Fachleute jeder<br />

Art. Und auch dies ist ein Trugschluss. <strong>Sie</strong> können nicht in die<br />

Zukunft sehen. Nicht einmal Zukunftsforscher. Zukunftsforscher<br />

studieren Trends, um vorhersagen zu können, was als nächstes<br />

geschieht. Das wäre nützlich... wenn es möglich wäre. Aber es ist


nicht möglich. Zukunftsforscher wissen nicht mehr über das nächste<br />

Jahr, als sie oder ich. Man muss sich lediglich ihre Prognosen von vor<br />

einigen Jahren durchlesen, um eine schier endlose Parade an Fehlern<br />

zu sehen. Es spielt keine Rolle wer spekuliert. Wie viele spekulieren.<br />

Wie oft sie spekulieren. Und wie gerne sie spekulieren. Niemand<br />

weiß, was die Zukunft für uns bereit hält, und wenn wir es versuchen,<br />

liegen wir öfter falsch als richtig. Expertisen sind kein Schild gegen<br />

die Fehlschläge vorauszuschauen. Sedak von Vulkan, ein brillanter<br />

Akademiker, der vor dreihundert Jahren sein gesamtes Leben der<br />

Erforschung ökologischer Probleme widmete, lag in fast all seinen<br />

großen Vorhersagen falsch. Er irrte sich, als er schrumpfende<br />

Ressourcen ankündigte. Er irrte sich, als er eine Populationsexplosion<br />

ankündigte. Und er irrte sich, dass wir fünfzig Prozent unserer<br />

Tierwelt innerhalb weniger Jahre durch einen leichten Anstieg der<br />

Vulkanaktivität verlieren würden. Sein lebenslanges Studium all<br />

dieser Themen verhinderte nicht, dass er falsch lag.“<br />

And diesem Punkt seiner Vorlesung begann Tuvok die Hände hinter<br />

dem Rücken zu verschränken, und um das Pult herumzuwandern,<br />

während er weitersprach. „Oder nehmen wir das Beispiel Praxis. Als<br />

2293 der klingonische Mond Praxis explodierte, der ein<br />

Schlüsselelement in der Hauptenergieversorgung des Reichs spielte,<br />

waren sich Experten allerorts einig, das klingonische Reich würde<br />

bestenfalls noch fünfzig Jahre leben. Eine sehr genaue Prognose. Eine<br />

Prognose, die zur Basis wichtiger Entscheidungen wurde, die<br />

wiederum den Kithomer-Vertrag nach sich zogen und in einem<br />

andauernden Frieden mit den Klingonen mündeten. Das war<br />

zweifellos ein begrüßenswerter Nebeneffekt. Die Prognose selbst<br />

erwies sich aber als vollkommen falsch. Es sah zunächst danach aus,<br />

die Strahlung der Explosion würde die Ozonschicht der Heimatwelt<br />

der Klingonen abbauen. Die Vorhersagen verhießen fürchterliches.<br />

Leben sei dort schon bald nicht mehr möglich. Eine Katastrophe<br />

unfassbaren Ausmaßes drohe. Der Großteil der klingonischen<br />

Bevölkerung würde elendig zugrunde gehen. Die Klingonen, die man<br />

erfolgreich evakuieren könnte, würden Krankheiten einschleppen,<br />

Epidemien auslösen, Chaos verursachen. Die Romulaner würden das<br />

Machtvakuum nutzen, um Mobil zu machen. Die Grenzkolonien<br />

wären gefährdet. Die Föderation sähe einer Ära des Krieges und der<br />

Gewalt entgegen. Die Sternenflotte müsse mobilisiert werden. Nichts


werde mehr so sein, wie es mal war. Und das alles wegen der<br />

Explosion eines einzigen Mondes.“ Er hielt einen Moment inne, und<br />

sein Blick verriet, was er von den damaligen Prognosen und<br />

Schlagzeilen hielt.<br />

„Stattdessen war die Strahlung weniger gefährlich als zunächst<br />

angenommen, und die Ozonschicht von Kronos regenerierte sich<br />

aufgrund natürlicher Retan-Partikel von selbst. Die Klingonen<br />

entdeckten vier Monate später einen neuen Mond, dessen Kernenergie<br />

sie anzapfen konnten, und sechs Jahre später befand sich ihre<br />

Energieversorgung auf altem Niveau, ohne, dass sie Hilfe gebraucht<br />

hätten. Dafür kam es vor allem auf den Grenzwelten aufgrund der<br />

düsteren Prognosen zu Panik, und Gewalt. Zweitausend Tote waren<br />

die Folge. Wegen einer Spekulation, die sich letztendlich als völlig<br />

falsch erwies. Wir halten nochmals fest, dass man die Zukunft nicht<br />

vorhersagen kann, in einer Weise, wie ich sie gerade besprochen habe.<br />

Aber was ist mit direkteren Vorhersagen, beispielsweise<br />

Wahlprognosen?“<br />

Er blieb stehen und sah die Kadetten an. „Auf sie trifft dasselbe zu.<br />

Es ist Raterei. Nichts weiter. Und auch hier muss man sich nur alte<br />

Wahlprognosen ansehen, um zu bestätigen, was ich gerne noch einmal<br />

wiederhole: Niemand kann in die Zukunft sehen. Können wir<br />

überhaupt etwas voraussagen? Nein. Aber lernen wir etwas daraus?<br />

Nein. Unser Leben wird nach wie vor von haltlosen Prognosen<br />

bestimmt, die wir oft nicht einmal bewusst als solche Wahrnehmen,<br />

oder die gar von uns selbst in die Welt gesetzt werden, ohne, dass wir<br />

es wollen. Aber warum? Warum wird so viel Spekuliert? Ich werde es<br />

ihnen sagen.“<br />

Tuvok reckte einen Finger. „Erstens. Es ist einfach. Reden ist<br />

einfach. Und spekulatives Gerede ist das denkbar bequemste Mittel,<br />

um Zeit zu überbrücken. Etwa, während man auf das Ergebnis einer<br />

Diagnose wartet, oder während man mit Kameraden zusammensitzt,<br />

und Nahrung zu sich nimmt. Es lenkt einen nicht vom Teller ab. Man<br />

muss sich nicht konzentrieren. Es gibt keine Untersuchungsgruppe,<br />

die einem Fakten liefert, es gibt keine Deadline, die einem im Nacken<br />

sitzt, es gibt keinen Vorgesetzten, der wartet. Nichts. Nur einfaches<br />

Gerede. Was... der Grund dafür ist, dass Vulkanier zumeist alleine<br />

essen.“<br />

Zögerliches Gelächter erschallte im Auditiorium.


„Ich diente einige Jahre mit einem Mann – sein Name war Neelix –,<br />

den ich... zu respektieren und zu schätzen lernte, der aber den ganzen<br />

Tag redete. Mehr, als jede andere Lebensform, der ich bis dahin<br />

begegnet war Um für dieses merkwürdige Verhalten eine Erklärung<br />

zu finden, stellte ich eine Theorie auf. Wenn er seine Lippen nicht<br />

ständig in Bewegung hielt, so dachte ich, klebten sie vermutlich<br />

zusammen. Nach einigen Monaten, verwarf ich diese Theorie<br />

zugunsten einer anderen: Wenn er seine Lippen nicht ständig in<br />

Bewegung hielt, sagte ich mir, fing sein Gehirn an zu arbeiten.“<br />

Das Gelächter wurde lauter. Auch Sha’Nyn lachte. <strong>Sie</strong> musste<br />

unwillkürlich an Wotan denken.<br />

Neben ihr hob Yoko lediglich eine Braue.<br />

Tuvok wurde wieder ernst, auch wenn der Unterschied bei ihm nur<br />

mit der Lupe feststellbar war. „Zweitens. Man kann nicht verlieren.<br />

Selbst wenn sich Prognosen nur zufällig als richtig erweisen, was<br />

bedeutet, dass man in mindestens fünfzig Prozent der Fälle falsch<br />

liegt, wird es sich keiner merken. Dementsprechend wird es<br />

niemanden kümmern. Wer erinnert sich langfristig noch daran, wer<br />

welche Prognose während der Praxis-Krise aufstellte?“ Er schaute<br />

erwartungsvoll in die Runde. „Niemand? Das ist nicht überraschend.<br />

In wenigen Tagen wird sich auch niemand mehr erinnern, wer über<br />

die Folgen von Präsident Baccos Handelspolitik spekulierte – und ob<br />

er richtig oder falsch lag. Zu spekulieren... zu reden... ohne Sinn und<br />

verstand – das mag für Föderationsbürger noch in Ordnung sein.“ Er<br />

machte eine bedeutungsschwangere Pause, ehe er weitersprach. „Für<br />

einen Sternenflotten-Offizier ist es das nicht. Von einem<br />

Sternenflotten-Offizier wird mehr erwartet. Wenn ihr vorgesetzter<br />

Offizier vor einer Entscheidung steht, dann ist es ihre Aufgabe, meine<br />

Damen und Herren, ihm Fakten zu liefern, auf deren Grundlage er<br />

bestmöglich handeln kann. Nicht mehr. Nicht weniger. <strong>Sie</strong> werden<br />

vielleicht noch nach ihrer persönlichen Meinung gefragt, oder sie<br />

werden gebeten, eine gründlich geprüfte Theorie aufzustellen, oder sie<br />

haben gar ein Bauchgefühl, auf das sie – auch wenn das von einem<br />

Vulkanier merkwürdig klingt – hören sollten und äußern können,<br />

sofern es erwünscht ist. All dies können sie tun. All dies müssen sie<br />

tun. Aber ein Sternenflotten-Offizier rät nicht in der Gegend herum.“<br />

Tuvok begann erneut um den Tisch herumzuwandern.<br />

„Abschließend, möchte ich sie daran erinnern, dass wir gewisse Dinge


dennoch sehr wohl in Erfahrung bringen können, und dass wir nicht in<br />

einer beängstigenden Welt grenzloser, unbestätigter Meinungen leben<br />

müssen. Aber die Kluft, die harte Fakten von purer Spekulation trennt,<br />

ist so ungewöhnlich groß, dass es vielen Kadetten im ersten Jahr<br />

schwer fällt, ihr ganzes Ausmaß zu begreifen. Vielleicht kann ich<br />

ihnen das Konzept mit einer Geschichte näher bringen: Vor einigen<br />

Jahren, während ich mich auf einem Raumschiff auf dem Weg nach<br />

Vulkan befand, saß ich neben einem Menschen, der... nicht glücklich<br />

war. Gelinde gesagt. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ihm<br />

um einen Wissenschaftler, der in einer zweijährigen Doppelblind-<br />

Studie über die Auswirkungen von Sensorkaskaden auf Trill-<br />

Symbionten engagiert war, und wie es aussah, drohte die Studie kurz<br />

vor ihrem Ende abgewürgt zu werden. Eine Doppelblind-Studie<br />

bedeutet, dass vier voneinander getrennte Untersuchungsteams<br />

existieren, die an derselben Studie arbeiten, aber keinerlei Kontakt<br />

zueinander haben. <strong>Sie</strong> befinden sich in unterschiedlichen<br />

Laboratorien, an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Teilen<br />

des Föderationsraums und sind alle für einen bestimmten Teilbereich<br />

der Studie verantwortlich. Ein beträchtlicher Aufwand, wie sie sich<br />

sicher vorstellen können, schließlich benötigt man für so ein<br />

Unterfangen viele verschiedene Forschungseinrichtungen. Ein<br />

Aufwand, der unternommen wird, damit sich die verschiedenen<br />

Teams niemals treffen. Der Wissenschaftler, dem ich begegnete, war<br />

unglücklich, weil er zwei Wochen, bevor seine Studie beendet<br />

gewesen wäre, in einem Warteraum auf dem Raumhafen gesessen<br />

hatte, eine Konversation mit einem anderen Mann begann, und zu<br />

ihrem beider Entsetzen mussten sie feststellen, dass sie an derselben<br />

Studie arbeiteten. Der eine auf Vulkan, der andere auf Alpha-Centauri.<br />

Dass sie sich trafen, war ein unwahrscheinlicher Zufall. Es gab nicht<br />

den geringsten Grund, warum sich beide zu einem derart späten<br />

Zeitpunkt noch hätten beeinflussen sollen... oder können. Aber nichts<br />

desto trotz, erfordert das Protokoll, dass sich Mitglieder<br />

unterschiedlicher Doppelblind-Teams niemals treffen. Weshalb die<br />

Studie, so kurz vor dem Abschluss, vom Wissenschaftsrat der<br />

Föderation komplett widerrufen wurde. Nur wegen eines flüchtigen<br />

Treffens auf einem Raumhafen auf der Erde.“<br />

Tuvok dachte kurz über das gesagte nach und fuhr dann fort. Die<br />

Kadetten sahen ihn an, wie Autos. „Wenn ich diese Geschichte den


Kadetten des ersten Jahres erzähle, werde ich für gewöhnlich genau so<br />

angeschaut, wie sie es gerade tun. Mit Fassungslosigkeit. Und voller<br />

Unverständnis. Die meisten Kadetten finden die Entscheidung des<br />

Wissenschaftsrates absurd. Und viel zu streng. Geradezu<br />

unmenschlich. <strong>Sie</strong> denken, es sei nicht nötig, solch einen Aufwand für<br />

eine einfache Studie zu betreiben, denn sie kommen aus einer Welt in<br />

der die CBS-Terranews offenbar zu jedem Zeitpunkt, zu jeder<br />

Gelegenheit, und zu jedem Thema genau die richtigen Informationen<br />

zur Verfügung hat, und sie kommen von Bildungseinrichtungen auf<br />

diesen Campus, denen es völlig genügte, wenn sie zwei Wochen lang<br />

an einem schlecht recherchierten Aufsatz arbeiteten. Und sie haben<br />

vergessen – oder nie gelernt -, was echte, zuverlässige Informationen<br />

sind, und welche Mühen man in Kauf nehmen muss, um sie zu<br />

erhalten. Es ist so viel schwerer, als einfach zu spekulieren. Und in<br />

diesem Punkt stimme ich zu. Aber das hier sind nicht die CBS-<br />

Terranews. Das hier ist keine gewöhnliche Bildungseinrichtung. Das<br />

ist nicht die Junior-High, auf der sie möglicherweise vor ein paar<br />

Wochen noch waren. Das hier ist die Sternenflotten-Akademie. Hier<br />

werden sie arbeiten müssen. Hier werden sie Fakten aufbringen<br />

müssen. Hier... wird nicht spekuliert.“<br />

Als hätte es sich exakt nach Tuvok gerichtet, und nicht umgekehrt,<br />

läutete ein akustisches Signal das Ende der Vorlesung ein. Die<br />

Kadetten packten ihre Sachen und begaben sich zum Ausgang. Tuvok<br />

rief: „Heute Nachmittag: Skeptizismus – Grundlagen einer Theorie.<br />

Wir beginnen mit den Niederschriften Roger Korbys aus dem Jahre<br />

2258. Die Teilnahme ist freiwillig, wer anschließend sein Wissen<br />

testen lassen will, wird benotet. Für Fragen stehe ich ihnen jederzeit<br />

zur Verfügung.“<br />

Damit war Tuvoks Arbeit getan und er deaktivierte den<br />

holographischen Wandschirm.<br />

Während die meisten Kadetten gleich hinausdrängten, blieben<br />

Sha’Nyn und Yoko noch einen Moment sitzen. Sha’Nyn hatte sich<br />

während der Vorlesung Notizen gemacht, die sie nun schnell mit ein<br />

paar Fragen ergänzte, die sie später nachzuschlagen gedachte. Tuvoks<br />

Vorlesungen waren immer interessant, und er gehörte zu der Art


Lehrer, die von den Kadetten erwarteten, sich auch über die Stunde<br />

hinaus Gedanken zu machen. Da er ebenfalls auf seinem Platz blieb,<br />

ging Sha’Nyn automatisch davon aus, dass Yoko dasselbe tat. Umso<br />

erstaunter war sie, als sie nach Abschluss ihrer Vermerke entdeckte,<br />

dass er mit etwas ganz anderem beschäftigt war.<br />

Nämlich mit Glotzen.<br />

Direkt vor ihm, lediglich durch zwei Sitzreihen getrennt, saß eine<br />

junge Vulkanierin, die Sha’Nyn bisher gar nicht bemerkt hatte. <strong>Sie</strong> sah<br />

wirklich... faszinierend aus. Abgesehen von der exotischen Wirkung,<br />

die ihre spitzen Ohren und Brauen erzielten, hatte sie ihr langes,<br />

schwarzes Haar, das von einer runden Brosche gehalten wurde,<br />

hochgesteckt. Yoko war zweifellos von ihr fasziniert und betrachtete<br />

die Kadettin ziemlich geradeheraus – vermutlich, weil er selbst nicht<br />

merkte, wie auffällig er war.<br />

Ihr Name lautete T’Prell, und sie war Mitglied der Beta-Staffel.<br />

Sha’Nyn hatte nur einmal kurz mit ihr zu tun gehabt, als sie von Tala<br />

der Beta-Staffel vorgestellt worden war. Die cardassianische<br />

Teamleiterin Khaleen, hatte ihre Leute einzeln präsentiert. „Das ist<br />

Korga, unser Navigationsexperte“, hatte sie gesagt „und das ist<br />

T’Prell, Wissenschaftlerin.“<br />

T’Prell war vorgetreten und hatte gesagt: „Ich kann Karten spielen.“<br />

Und dabei hatte sie ziemlich zufrieden mit sich gewirkt, während ihr<br />

ein anderer Kadett hinter ihrem Rücken den Vogel gezeigt hatte.<br />

„Ihr müsst ihr verzeihen“, hatte die Cardassianerin schnell<br />

hinzugefügt „T’Prell ist etwas neben der Spur seit sie vor zwei<br />

Wochen in O’Briens Kurs von einer Energieladung getroffen wurde.“<br />

Sha’Nyn und Tala hatten sich nur angesehen und gegrinst. T’Prell<br />

war ihr vom ersten Moment an sympathisch gewesen. <strong>Sie</strong> war der<br />

perfekte Deckel zu Yokos Topf. Auch... wenn Sha’Nyn sich<br />

insgeheim fragte, wo ihr Deckel blieb, wenn selbst der ungewöhnliche<br />

Yoko jemanden fand, der mit ihm auf einer Wellenlänge war.<br />

Aber den Gedanken schob sie schnell wieder beiseite. Die<br />

Schlussfolgerungen, die man daraus zu ziehen vermochte, waren zu<br />

deprimierend. Zumindest begriff Sha’Nyn nun, dass sich Yoko<br />

möglicherweise nicht zufällig, sondern extra auf diesen Platz gesetzt<br />

hatte. Vermutlich, um T’Prell näher zu sein...<br />

... auch, wenn diese Annahme einer Spekulation erschreckend nahe<br />

kam. Mehr traute er sich allerdings nicht, wie es den Anschein hatte.


War Yoko etwa schüchtern? Ziemlich ungewöhnlich für einen<br />

Vulkanier. Andererseits... war Yoko ja auch kein gewöhnlicher<br />

Vulkanier.<br />

Sha’Nyn konnte nicht anders, als breit zu grinsen.<br />

Es war einfach nur süß.<br />

Und sie passten wirklich gut zueinander.<br />

Aus Gründen, die Sha’Nyn nicht einmal erahnen konnte, war<br />

T’Prell gerade damit beschäftigt, intensiv den Sitz vor ihr zu<br />

betrachten und mit einem Finger ihre Nasenspitze zu berühren. Dann<br />

führte sie den Finger langsam zum Sitz, bis sie ihn berührte... und<br />

führte ihn wieder zur Nase zurück. Während Sha’Nyn sie beobachtete,<br />

machte T’Prell dies zweimal, ohne anscheinend zu bemerken, wie<br />

seltsam sie sich benahm, oder wie leer das Auditorium wurde.<br />

Sha’Nyn beugte sich zu Yoko herüber, um einen entsprechenden<br />

Kommentar von sich zu geben, als sie bemerkte, dass er dasselbe tat<br />

wie T’Prell. Finger, Nase, Stuhl, Nase.<br />

Sha’Nyn seufzte. „Ihr seid wirklich füreinander geschaffen.“ Dann<br />

stand sie auf, und stieß Yoko an. „Kommst du?“<br />

„Huh? Oh. Selbstverständlich.“<br />

„Ich will nämlich nicht auch noch zu Chapmans Wochenendkurs<br />

verspätet sein.“<br />

„Das wäre in der Tat nicht ratsam.“ Er folgte ihr auf den nun recht<br />

belebten Korridor hinaus, warf dabei einen Blick auf seinen<br />

Datenblock und fragte: „Warum warst du heute so spät?“<br />

„Hab schlecht geträumt.“<br />

„Von Galak?“<br />

Sha’Nyn blieb so unvermittelt stehen, dass Yoko beinahe in sie<br />

hineingerannt wäre. <strong>Sie</strong> drehte sich zu ihm um und maß den Vulkanier<br />

mit einem forschenden Blick. „Woher... Du hast ins Blaue getippt,<br />

oder? Du spekulierst.“<br />

Yoko hielt ihr seinen Datenblock vor die Nase. Das elektronische<br />

Gerät war ständig mit dem Akademienetzwerk verbunden - eine Art<br />

Schülerzeitung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Kadetten<br />

über Neuigkeiten und Veränderungen auf dem Campus auf dem<br />

Laufenden zu halten. Meist war das Netzwerk sehr nützlich – man<br />

erfuhr auf effiziente Weise, wann, wo, welche Kurse stattfanden,<br />

welche Dozenten Sprechstunde hatten, oder welche Veranstaltungen


geplant waren. Allerdings gab es auch einen Bereich, der sich...<br />

unwichtigeren Dingen hingab.<br />

Nämlich Klatsch und Tratsch.<br />

Und natürlich tauchte Sha’Nyns Name in einer kleinen Meldung<br />

von einer gewissen Aqa Ishtos auf – und zwar in Verbindung mit<br />

Galak.<br />

Yoko sagte: „Fakten, Sha’Nyn. Harte Fakten.“<br />

In dem Moment setzte hinter ihnen der vertraute Singsang ein.<br />

„Shaaa’Nyn liebt Gaaaalaaak, Shaaaa’Nyn liebt Gaaaalaaak...“<br />

Es waren ein paar Jungs, die am Fuß der Treppe zur zweiten Etage<br />

standen und angefangen hatten zu tanzen, sobald sie Sha’Nyn sahen.<br />

<strong>Sie</strong> amüsierten sich köstlich.<br />

Wenn Blicke töten könnten, wäre Sha’Nyn in diesem Moment zur<br />

Massenvernichtungswaffe erklärt worden. „Ich mache einen<br />

Bettvorleger aus Wotan!“, entschied sie.<br />

Taktisches Training<br />

Die Ausbildungsstelle des Sternenflotten Taktik-Teams – einer Art<br />

Spezialeinheit, in der Kadetten für besonders selbstmörderische<br />

Einsätze ausgebildet wurden, die niemandem sonst zuzutrauen waren -<br />

, hatte ihre Räumlichkeiten in einem kleinen Gebäude neben dem<br />

Campus der Sternenflotten-Akademie. Auf den ersten Blick schien<br />

das Ausbildungszentrum des taktischen Trainings zur Akademie zu<br />

gehören, denn über dem Eingang prangte sogar das Logo „Ex Astris,<br />

Scientia – von den Sternen wissen.“, aber in Wahrheit war es eine<br />

unabhängige Einrichtung. Im Zentrum des Gebäudes befand sich ein<br />

kleiner Konferenzraum mit einem Rednerpult und zwei Reihen mit je<br />

fünf Stühlen gegenüber dem Monitor ganz vorn, der die halbe Wand<br />

einnahm.<br />

Um zehn Uhr des Samstag Morgen stand ein Mann am Rednerpult,<br />

den die Kadetten nur als „Der Admiral“ kannten. Seine wahre<br />

Identität blieb den Studenten verborgen und die meisten wussten nicht<br />

einmal, wie er überhaupt aussah – selbst wenn er sie von Angesicht zu<br />

Angesicht über Einsätze informierte. Das schien zwar zunächst kaum


möglich, zumal der Admiral ein hochgewachsener Mann von<br />

beeindruckender Gestalt war, der man nicht leicht übersah und dem<br />

man instinktiv Respekt zollte. Aber als erfahrener Veteran, der schon<br />

viel zu lange in diesem Metier tätig war und eine ganze Menge Dinge<br />

gesehen hatte, hatte er irgendwann die unheimliche Fähigkeit<br />

entwickelt mit seiner Umgebung zu verschmelzen, unauffällig und<br />

fast unsichtbar zu werden.<br />

So auch heute.<br />

Als Adrian Drake eingetreten war, hatte er zunächst geglaubt alleine<br />

zu sein. Doch dann hatte er jemanden aus den Augenwinkeln bemerkt<br />

und kaum glauben können, dass er ihn bisher übersehen hatte. Es war<br />

dem Admiral gelungen – obwohl der Raum vernünftig ausgeleuchtet<br />

war – ein dunkles Plätzchen zu finden. Er hatte die wenigen Schatten<br />

am Rednerpult perfekt genutzt, und sich darin eingehüllt wie in ein<br />

Tuch, als wäre er ein Teil davon.<br />

Drake war sich nicht einmal sicher, ob er den Admiral wegen seiner<br />

guten Augen erspäht hatte – oder weil der Mann ihm erlaubt hatte, ihn<br />

zu sehen. Auch heute blieb sein Gesicht vor Drake verborgen. Einzig<br />

das dunkelblonde Haar schimmerte im Glanz eines Oberlichts und<br />

wenn er den Kopf bewegte, und man ganz genau hinsah, war man in<br />

der Lage die Trillflecken zu entdecken, die sich auf seinen Schläfen<br />

abzeichneten. Obwohl man ihn nur den Admiral nannte, glitzerten an<br />

seinem Kragen die Sterne eines Flottenadmirals mit Auszeichnung.<br />

Höher geht’s nicht mehr, dachte Drake. Dieser Mann hatte bereits<br />

alles gesehen und alles erreicht was man in der Sternenflotte erreichen<br />

konnte.<br />

Das ungewöhnlichste an seinem Erscheinungsbild, war zweifellos<br />

die beunruhigende Tatsache, dass er schwarze Lederhandschuhe trug.<br />

Niemand wusste genau warum, aber wie es bei solchen Dingen immer<br />

der Fall war, machten allerhand Gerüchte und Theorien die Runde.<br />

Manche behaupteten der Admiral hätte seine beiden Hände bei einem<br />

Unfall verloren und würde nun mechanische Komponenten als Ersatz<br />

tragen, mit denen er jemanden problemlos erwürgen konnte. In Zeiten<br />

der Organsynthese fand Drake das ziemlich unwahrscheinlich. Wieder<br />

andere munkelten, der Admiral würde zuweilen Attentate ausführen<br />

und sei stets bedacht keine Spuren zu hinterlassen. Was zu seinem<br />

restlichen Auftreten passen würde. Und wieder andere spekulierten,


dass er einfach nur einen ziemlich scheußlichen Modegeschmack<br />

besaß.<br />

Nun stand er einfach da und fixierte Drake. Nicht ein Muskel<br />

zuckte. Man hätte sich fragen können, ob er überhaupt lebte, oder<br />

vielleicht nur eine kunstvoll gearbeitete Statue war. Er lieferte<br />

wirklich eine fantastische Show und wie Drake vermutete, steckte<br />

auch wirklich nicht mehr dahinter. Irgendwie sagte ihm sein Instinkt,<br />

dass der Admiral auch nur ein ganz normaler Mann mit Sorgen und<br />

Nöten war, der den jungen Leuten hier das Gefühl geben wollte, sie<br />

seien besonderer, als es eigentlich der Fall war.<br />

Aber wer sich beim taktischen Training – allen voran bei der<br />

Unterabteilung der Perimeterverteidigung meldete – und genau da<br />

wollte Drake hin -, der war für gewöhnlich nicht besonders, sondern<br />

einfach nur lebensmüde. Es handelte sich nicht umsonst um eine der<br />

lebensgefährlichsten Abteilungen innerhalb der Sternenflotte,<br />

gefährlicher noch als der Geheimdienst. Meist bestand die Aufgabe<br />

dieser Leute darin, in kleinen Perimeterschiffen entlang der<br />

Föderations-Grenzen als erste – und oft einzige Defensivlinie zu<br />

patrouillieren und eben jene Grenzen bis zum letzten zu verteidigen.<br />

Während der Rest der Sternenflotte innerhalb dieser Grenzen für<br />

operierte, und meist wusste, womit sie sich konfrontiert sahen, ehe sie<br />

zu einem Einsatz aufbrachen, stellten sich die Perimeterverteidiger<br />

dem wirklich Unbekannten. Weiter draußen im Nirgendwo konnte<br />

man gar nicht sein.<br />

Wenn die Leute von der Borg-Invasion aus dem Jahr 2367<br />

sprachen, fiel ihnen als erstes die Schlacht von Wolf 359 ein, bei der<br />

ein Großteil der Flotte zerstört worden war. Aber nur wenige<br />

erinnerten sich an die Perimeterschiffe, die alles versucht hatten, um<br />

die Grenzkolonie New Providence vor der kybernetischen Gefahr zu<br />

bewahren. Selbst die Sternenflotte hatte erst sechs Monate später von<br />

ihrem Opfer erfahren, als ihre Signalbojen weit draußen im All<br />

entdeckt worden waren – und das auch nur durch Zufall.<br />

Es war ein gefährlicher Job, der gefährlichste in der heutigen Zeit<br />

des Friedens, und weniger als fünf Prozent erreichten überhaupt das<br />

Rentenalter. Wer zur Perimeterverteidigung ging, der starb auch bei<br />

der Perimeterverteidigung... irgendwo da draußen, ganz allein in<br />

einem kleinen Schiff und möglicherweise ohne dass jemand je


erfahren würde, was einen erwischt und wie gut oder schlecht man<br />

sich gewehrt hatte. Man verschwand einfach.<br />

Es war eine undankbare Angelegenheit, aber die Leute kannten das<br />

Risiko. <strong>Sie</strong> wussten, wofür sie unterschrieben und sie wussten von der<br />

Gefahr, innerhalb eines Lidschlages in einen Kampf verwickelt zu<br />

werden, mit wenigen bis gar keinen Überlebenschancen. Diese Leute<br />

hatten nur eine Aufgabe: Die Föderationsgrenzen verteidigen. Punkt,<br />

aus.<br />

Man sollte meinen, niemand würde sich freiwillig für so etwas<br />

melden. Aber in einer Welt, in der der Alpha-Quadrant zu jenem<br />

friedlichen Paradies geworden war, das man sich immer erträumt<br />

hatte, gab es nicht gerade wenige, die das Abenteuer und Risiko der<br />

alten Tage vermissten und neue Herausforderungen suchten, um sich<br />

beweisen zu können. Zumeist waren das alleinstehende Leute ohne<br />

Familie, die ohnehin nicht viel zu verlieren hatten.<br />

So auch Adrian Drake.<br />

Er war sechzehn Jahre alt, mittelgroß, mit unbändigem schwarzen<br />

Haar und einem athletischem Körper (von dem nur Teile sechzehn<br />

Jahre alt waren). Das hier war sein erstes Ausbildungsjahr und er<br />

gehörte schon jetzt zu den Top-Studenten seiner Klasse. Er hielt auf<br />

die zweite Sitzreihe zu und nahm platz.<br />

Eine Efrosianerin trat gleich nach ihm ein. <strong>Sie</strong> war hochgewachsen<br />

und leichtfüßig. Aus ihrem dunkelhäutigen Kopf wuchs kontrastreich<br />

eine lange Mähne aus hell-weißem Haar, die im matten Licht des<br />

Raumes zu glühen schien, was auch auf die kobalt-blauen, wachsamen<br />

Augen in ihrem Gesicht zutraf. Auf exotische Art und Weise war sie<br />

äußerst attraktiv. Ihr Name war Ey’leen Seeley und sie war nur ein<br />

Jahr älter als Drake. Nun setzte sie sich schräg hinter ihm.<br />

Der Admiral nickte ihnen zu und sagte zunächst nichts.<br />

Dann wurde der Raum abgedunkelt, und gab dem Admiral somit<br />

mehr Bewegungsfreiheit in seinen Schatten. Es geschah langsam,<br />

damit sich die Augen daran gewöhnten. Einige Wandsegmente glitten<br />

beiseite und zusätzliche Bildschirme kamen zum Vorschein. Andere<br />

Monitore schoben sich geräuschlos aus dem Boden. Schließlich<br />

schloss sich die Tür und wurde mit einem aufblitzenden Kraftfeld<br />

verriegelt. Erst dann ergriff der Admiral das Wort.<br />

„Guten Morgen, Kadett Drake. Und guten Morgen, Kadett Seeley.<br />

Wir haben sie beide sehr genau beobachtet und sind äußerst zufrieden


mit ihren bisherigen Leistungen und den Trainingsergebnissen. Daher<br />

sind wir der Meinung, dass es für sie beide an der Zeit für einen ersten<br />

echten Feldeinsatz ist.“<br />

Die beiden Kadetten nickten. Seeley lächelte erwartungsvoll. Zu<br />

recht, dachte der Admiral. Das war es schließlich, wofür sie so hart<br />

trainierten.<br />

„Sehen sie es als Test, damit wir herausfinden können, ob es sich<br />

lohnt, sie beide auf die nächste Stufe der Ausbildung zu bringen.“ Er<br />

betätigte eine Taste am Schaltpult und als nächstes leuchteten die<br />

Monitore nacheinander auf. <strong>Sie</strong> zeigten das Bild eines älteren<br />

Vulkaniers. Name und Lebenslauf erschienen in kleiner Schrift.<br />

„Morgen Nachmittag will dieser Mann hier, ein umstrittener Redner<br />

namens Sidak, eine Rede auf dem Campus der Sternenflotten-<br />

Akademie halten, die einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfte -<br />

in der Sudak-Halle genauer gesagt. Presse, Demonstrationsteilnehmer,<br />

Zuschauer... das wird alles zugegen sein. Es gibt diverse Fraktionen,<br />

die aus politischen und persönlichen Gründen eben diese Rede um<br />

jeden Preis verhindern wollen und offensichtlich bereit sind zu<br />

drastischen Maßnahmen zu greifen.“<br />

Er betätigte eine andere Taste und das Bild wechselte erneut.<br />

Diesmal jedoch war es schwer festzustellen, worauf man blickte und<br />

es erschienen keine Zusatzinformationen auf der Anzeige. Drake<br />

glaubte eine entfernt humanoide Gestalt zu erkennen, mit einem<br />

großen merkwürdigen Kopf. Aber das Bild war sehr unscharf und<br />

verschwommen, es hätte alles mögliche sein können. Aber die Gestalt<br />

leuchtete. Seine Konturen leuchteten und der Rest war fast<br />

durchsichtig, wie ein schlechtes altertümliches Hologramm.<br />

Der Admiral fuhr fort: „Wir haben Grund zur Annahme, dass heute<br />

Morgen gegen drei Uhr Nachts ein Waffensystem, eine Art...<br />

künstlicher Attentäter in unsere Computersysteme geschleust wurde,<br />

der den Job übernehmen und Sidak morgen bei betreten des<br />

Rednerpultes im zweiten Stockwerk umbringen soll. Und sie beide<br />

wurden auserkoren um das verhindern.“<br />

Seeley lehnte sich vor. „Ein mörderisches Computerprogramm?“<br />

Jemand sagte: „Mehr eine künstliche Intelligenz.“ Ein junger<br />

hagerer Romulaner kam aus dem Nebenraum und gesellte sich zum<br />

Admiral, der ihn vorstellte und dann beiseite trat. „Crewman Marcius,<br />

unser Computerexperte.“


Marcius fügte verdrossen hinzu: „Ja, und Marcius könnte der<br />

jüngste unterrichtende Professor an der Wissenschaftsakademie sein,<br />

wenn Marcius nur seine vorlaute Klappe gehalten und nicht jedem die<br />

Wahrheit gesagt hätte, weshalb der beste Job den er kriegen konnte,<br />

der hier ist, wo die Aufstiegschancen irgendwo im Bereich zwischen<br />

Null und weniger als Null liegen.“<br />

Drake hob seine rechte Hand, um eine Frage zu signalisieren.<br />

Der Admiral rief ihn auf: „Ja, Kadett?“<br />

„Redet der Typ immer so viel?“<br />

Der Admiral brummte. „Sagen sie ihnen einfach, was wir wissen,<br />

Marcius.“<br />

„Also, das hier ist eine völlig neue Art von Waffensystem. Wir<br />

haben es mit einer künstlichen Intelligenz zu tun, einer autonom<br />

arbeitende Einheit, die im Grunde nur aus Energie und Licht besteht<br />

und sich nicht in den Computer einnistet, sondern ihn benutzt, um sich<br />

– sprichwörtlich - wie auf einer Datenautobahn durch das gesamte<br />

Areal zu bewegen. Das heißt, es kann auftauchen wo und wann es will<br />

– und ich meine auftauchen, da es in der Lage ist, sich auch außerhalb<br />

des Computers zu manifestieren, was die KI aber erst bei einer<br />

Entdeckung oder beim Erfüllen des Missionszieles tun wird. Die KI<br />

ist schnell, annähernd unzerstörbar und anpassungsfähig. Der perfekte<br />

Killer. Die Waffenhändler von Minos haben die Prototypen solche<br />

Dinger vor Jahrzehnten entwickelt und sich damit selbst vernichtet.<br />

Leider ist die Technologie auch anderen in die Hände gefallen und<br />

wurde von denen bis zur Perfektion weiterentwickelt. Wir hätten die<br />

Anwesenheit der KI nicht einmal bemerkt, wenn ein ziemlich<br />

aufmerksamer Briori namens Das Grau – einer der Sternenflotten-<br />

Kadetten – nicht bei einer Routinearbeit eine subtile Veränderung im<br />

Computersystem bemerkt und uns informiert hätte.“<br />

„Eine subtile Veränderung?“, fragte Seeley.<br />

„Wenn die KI durch die optischen Datennetzleitungen oder die<br />

Gelpacks rast, messen wir genau dort einen leichten Anstieg des<br />

Energieflusses. Aber wenn wir den bemerken... ist es längst<br />

weitergezogen und wir haben keine Möglichkeit zu sagen, wo es als<br />

nächstes auftauchen wird. Wir können es höchstens zurückverfolgen,<br />

aber da die KI praktisch zu jeder Zeit an jedem Ort sein kann... <strong>Sie</strong> ist<br />

zu schnell, um sie aufzuspüren. Selbst unsere besten Supercomputer<br />

verblassen im Vergleich zu ihrer Geschwindigkeit.“


Drake runzelte die Stirn. „Okay, gut, die KI ist ein bisschen<br />

hyperaktiv. Aber was genau soll das Ding jetzt so gefährlich machen,<br />

dass man uns braucht?“<br />

Marcius starrte ihn lange an, ohne etwas zu sagen. Stellen sie sich<br />

einfach vor, dass innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde eine<br />

schemenartige Gestalt hier im Raum erscheint, direkt vor ihnen, sie<br />

mit einer blitzartigen Energieentladung grillt und wieder<br />

verschwunden ist, ehe der Staub, der als einziges von ihnen übrig<br />

geblieben ist, anfängt zu Boden zu rieseln. Und das einzige, was der<br />

Täter zurücklässt, ist eine kaum messbare Energiespitze im<br />

Computernetzwerk.“<br />

„Autsch.“, machte Seeley.<br />

„Genau, autsch. Es würde aussehen wie ein Unfall.“<br />

„Solche Dinger sollten verboten werden.“<br />

„Sind sie.“, warf der Admiral ein. „Aber auf dem Schwarzmarkt<br />

wird noch immer mit solchen Waffensystemen gehandelt und<br />

irgendwie hat es jemand geschafft, eines davon unbemerkt hierher, ins<br />

Herz der Föderation zu bringen.“<br />

Seeley fragte: „Wer könnte es eingeschleust haben?“<br />

„Jedermann. Die Ermittlungen wurden vom Geheimdienst<br />

übernommen und laufen noch.“<br />

Drake rutschte auf seinem Platz herum. Er hatte Probleme sich so<br />

ein Waffensystem vorzustellen. Selbst er als Laie erkannte keine<br />

nachvollziehbare wissenschaftliche Basis für so ein... Ding. „Eine<br />

KI“, fasste er zusammen „die sich durch den Akademie-Computer<br />

bewegt und Blitze erzeugen kann?“<br />

„Energieentladungen.“, korrigierte Marcius.<br />

„Aber wie ist das nur möglich?“<br />

Marcius zögerte einen Moment. Dann begann er seine detaillierte<br />

Erklärung mit „Folgendermaßen.“<br />

Und >Folgendermaßen< war das letzte Wort, das Drake verstand. In<br />

den nächsten fünf Minuten spuckte Marcius so viele Fremdwörter und<br />

Fachbegriffe mit einer an Wahnsinn grenzenden Leichtigkeit aus, dass<br />

Drake glaubte, der Romulaner hätte spontan seine eigene<br />

Fremdsprache entwickelt. Er fragte sich einen Moment, ob es möglich<br />

war, dass sein Universal-Übersetzer den Geist aufgegeben hatte, da er<br />

kein Wort verstand - Was er sich natürlich nicht anmerken lies und<br />

stattdessen ein nachdenkliches, wissendes Gesicht zog. Er schielte nur


einmal kurz zu Seeley herüber, um festzustellen, ob er der einzige<br />

war, der nicht mitkam. Die Efrosianerin hatte ihre buschigen, weißen<br />

Brauen tief heruntergezogen, nickte dann und wann und gab an<br />

einigen Stellen von Marcius’ Ausführung ein gemurmeltes „Achso“<br />

von sich, oder ein „Ja, das ergibt Sinn“ oder „Ziemlich einleuchtend.“<br />

In Kurz: <strong>Sie</strong> verstand auch kein Wort.<br />

Schließlich beendete Marcius seinen Vortrag, stellte fest, dass<br />

Drake und Seeley ihn wie Autos anglotzten, und versuchte nicht allzu<br />

laut zu seufzten.<br />

Drake war der erste, der wieder Fragen stellte. „Und wie kann man<br />

es aufhalten?“<br />

„Ich habe eine Theorie.“<br />

„Ist es eine Theorie mit langen Worten?“<br />

Marcius sah ihn verdrossen an und schnaubte nur. „Wir haben<br />

bereits auf die herkömmliche Art und Weise versucht, sind ihm mit<br />

Sicherheitsprogrammen, Firewalls und etlichen anderen Dingen auf<br />

die Pelle gerückt. Ohne Erfolg. Das Ding ist schlicht zu schnell und<br />

anpassungsfähig. Fast, als hätte es ein Bewusstsein – was es nicht hat.<br />

Was mich aber auch nicht wundern würde, immerhin ist es<br />

anpassungs- und lernfähig. Nein, ich glaube die einzige Art es<br />

aufzuhalten besteht darin, einen Weg zu finden, es aus dem Computer<br />

rauszulocken.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und alles was uns dann<br />

noch zu tun bleibt, ist Drake zu rufen, um es umzulegen.“<br />

„Können sie das noch mal sagen?“, fragte Drake. „Ich mag den<br />

Klang dieser Worte...“<br />

Marcius fuhr fort: „Leider haben wir keine Ahnung, wie wir es aus<br />

dem Computer locken sollen.“<br />

Alle sahen ihn überrascht an.<br />

„He“, verteidigte sich der Romulaner. „Ich weiß auch nicht alles.“<br />

„Den beiden wird schon etwas einfallen.“, sagte der Admiral.<br />

„Nicht wahr, Kadetten?“<br />

Seeley und Drake standen auf und stramm. „Ja, Sir!“<br />

„Ja, Sir!“<br />

Drake wandte sich an Marcius: „Wenn es erst mal aus dem<br />

Computer raus ist, wie bringen wir es dann am besten um?“<br />

„Man kann es nicht umbringen, weil es gar nicht lebt.“<br />

„<strong>Sie</strong> wissen, was ich meine. Können wir es mit den Phasern<br />

erschießen?“


„Es besteht bereits aus Licht und Energie.“<br />

„Erstechen?“<br />

„Keine feste Form, keine inneren Organe zum verletzen.“<br />

„Ah, dann zünden wir es an.“<br />

„Nicht brennbar.“<br />

„Ertränken?“<br />

Er machte nur Witze, wie er immer witze machte, wenn er sich mit<br />

einem ernsten Thema konfrontiert war. Dennoch spielte auch Seeley<br />

ihre Rolle und sah ihn fassungslos an. „Wie viele Arten jemanden zu<br />

verletzen kennst du, Drake?“<br />

Er grinste. Es war ihre Art mit Stress umzugehen.<br />

Der Admiral räusperte sich. „Wir sind dabei einige Phaser zu<br />

modifizieren, damit die Strahlen Wirkung zeigen und die KI<br />

eliminieren.“<br />

„Achtung.“, warnte Marcius. „Das Ding besteht fast nur aus<br />

Energie. Wenn es explodiert, wird es einen ordentlichen Knall geben.“<br />

„Das hört man gerne.“, grinste Drake.<br />

„Sehen sie also zu, dass sie fertig sind, ehe Sidak das Gebäude<br />

betritt.“<br />

„Moment mal.“ Seeley runzelte die Stirn. „Wenn das so gefährlich<br />

ist, warum blasen wir die Rede dann nicht ab? Leute könnten verletzt<br />

werden.“<br />

„Das wäre ein Bonus für Drake.“, wusste Marcius. Drake<br />

widersprach nicht.<br />

„Mitglieder des taktischen Trainings“, erklärte der Admiral mit<br />

eindringlicher Stimme „existieren vor allem aus einem Grund: damit<br />

alle anderen ihr Leben ohne Unterbrechung und ohne<br />

Unannehmlichkeiten fortführen können. Und zwar ohne zu erfahren,<br />

dass sie sich je in Bedrängnis befunden haben. Wir arbeiten leise und<br />

im Hintergrund. Man sieht uns nur aus den Augenwinkeln, man hört<br />

uns nur im Rauschen der Nacht, man erfährt höchstens in Gerüchten,<br />

dass wir da waren und niemanden an uns vorbeigelassen haben. Wir<br />

sorgen für einen ununterbrochenen Weiterfluss des öffentlichen<br />

Lebens. Verstanden?“<br />

Die Kadetten nickten.<br />

„Viel Glück.“<br />

Der Admiral wandte sich ab und verließ den Raum im Schatten.<br />

Marcius folgte ihm.


„Das bedeutet“, übersetzte Drake für sich selbst „KI aufspüren,<br />

eliminieren und humpty-dumpty pünktlich zurück sein, um Sonntag<br />

Abend das Spiel der Pike City-Pioneers sehen zu können.“ Er<br />

klatschte in die Hände. „Na dann los.“<br />

Sidak<br />

Tala wünschte, sie könnte wie üblich lächeln, als sie auf dem Dach<br />

der Baracken am Geländer lehnte und auf den Campus hinabblickte.<br />

Die Morgensonne hatte den für San Francisco typischen Nebel noch<br />

nicht weggebrannt, und die Stadt war in eine sanft-weiße Decke<br />

gehüllt, die sie verschlafener wirken ließ, als es tatsächlich der Fall<br />

war. Nur hin und wieder konnte man die Positionslichter kleiner<br />

Shuttles sehen, wie durch einen dichten Schleier. <strong>Sie</strong> verloren aber<br />

beinahe sofort wieder an Kontur, verschwanden im wattigen Weiß und<br />

ließen höchstens erahnen, welche Aktivitäten zu dieser Zeit bereits<br />

herrschten.<br />

Selbst die mächtige Golden Gate-Bridge, das Wahrzeichen der<br />

Stadt, tat sich schwer damit, sich aus der wabernden Umklammerung<br />

des Nebels zu befreien, den ein salziger und kühler Wind vom Meer<br />

heranwehte.<br />

Die einzige Ausnahme stellte die Akademie dar, die aus Gründen,<br />

die wohl nur die Götter kannten, gegenwärtig in Sonnelicht gebadet<br />

war. Eine Insel der Klarheit im trüben Nebel des Morgens. Es war<br />

eine fantastische Aussicht, die sich Tala darbot, aber auch das<br />

vermochte nicht ihre Stimmung zu heben.<br />

Alles, woran sie denken konnte, war Sidak, der sich auf dem Weg<br />

hierher befand. <strong>Sie</strong> hatte ihn bisher nie in Natura gesehen, aber das<br />

war auch gar nicht nötig. Sein Ruf eilte ihm voraus, und mit seinen<br />

Texten und Reden war Tala sehr wohl vertraut. Er war selbst für<br />

vulkanische Maßstäbe überraschend Intelligent und besonnen,<br />

obgleich ihm die stoische Kälte fehlte, die Mitglieder seiner Spezies<br />

üblicherweise auszeichneten. Tatsächlich sagte man ihm eine gewisse<br />

Freundlichkeit und Wärme nach – selbst seine Gegner sprachen oft in<br />

hohen Tönen von seinem Betragen – etwas, dass Tala im Angesicht<br />

der Propaganda, die er verbreitete nur schwer nachvollziehen konnte.


Aber Sidak war nie eine körperliche Bedrohung gewesen, war nie<br />

ausfallend geworden, oder hatte jemanden angegriffen. Er hatte eine<br />

reine Weste. Nicht die Art reiner Weste, die Gangsterbosse sich<br />

erkauften. Nein, er war wirklich völlig harmlos.<br />

Mit der Ausnahme, dass seine Worte pures Gift waren! Seine<br />

Predigen gegen das andorianische Volk waren im ganzen Quadranten<br />

bekannt und reichten weit in seine Jugend zurück – Aufzeichnungen<br />

zufolge hatte sich Sidak bereits vor mehr als achtzig Jahren für einen<br />

Ausschluss der Andorianer aus der Föderation ausgesprochen.<br />

Manche sagten ihm nach, die Geisteshaltung der Syrraniten zu<br />

besitzen. Vielleicht war er ja sogar ein Mietglied dieser einst<br />

xenophoben und ausvulkanierfeindlichen Gruppierung. Beweisen<br />

konnte man es ihm nie – und selbst wenn, wäre es nichts illegales<br />

gewesen.<br />

Rechtlich gesehen war er wie ein Stück Seife, dass man einfach<br />

nicht zu fassen bekam – was bei vielen seiner Gegner zu Frustration<br />

und schließlich zu Gewalt geführt hatte. Er hatte ständig<br />

Morddrohungen bekommen und mehr als einen Anschlag unbeschadet<br />

er- und überlebt. Der letzte war vor zwanzig Jahren erfolgt, als er die<br />

Dreistigkeit besessen hatte, in der Schuler einer andorianischen<br />

Kolonie aufzutreten. Die ganze Sache stand unter Verschluss, aber<br />

wenn man den Gerüchten glauben schenken durfte, hatte jemand eine<br />

Bombe in sein Shuttle geschmuggelt. <strong>Sie</strong> war zwei Minuten explodiert<br />

nachdem er gelandet und ausgestiegen war.<br />

Nach diesem Vorfall hatte er sich ziemlich isoliert, und da er<br />

aufgrund seiner kontroversen Theorien nicht der angesehenste Mann<br />

war, war niemand besonders interessiert daran gewesen, ihn<br />

aufzuspüren. Aber jetzt hatten sich die Dinge verändert. Die<br />

Fertigstellung seines neuen Buches, und nicht zuletzt die angespannte<br />

politische Situation auf Andoria ließen ihn wieder in die<br />

Öffentlichkeit treten.<br />

Daher führte er gegenwärtig eine neue Kampagne durch, die ihn<br />

wieder Quer durch den Föderationsraum brachte. Er suchte<br />

Kindergärten, Grundschulen, Universitäten, und einfach jede<br />

Bildungseinrichtung auf, die dumm genug war, seine Reden zu<br />

erlauben. Er setzte genau da an, wo es weh tat: Bei denen, die sich am<br />

ehesten beeinflussen ließen, eben weil sie sich nicht wehren konnten –<br />

und gar nicht wussten, dass sie es hätten tun sollten.


Und nun kam er hierher, auf die Sternenflotten-Akademie. Tala<br />

konnte noch immer nicht glauben, dass Admiral Janeway, die<br />

Akademieleiterin, ihn nicht von vornherein abgewiesen hatte. War sie<br />

so naiv, oder einfach nur dumm? Oder war sie gar rassistisch? Tala<br />

konnte es nicht verstehen. <strong>Sie</strong> wollte es nicht verstehen. Seine<br />

Anwesenheit war schlicht inakzeptabel. Für Sidak stellte es zweifellos<br />

einen unfassbar großen <strong>Sie</strong>g dar, dass seiner Bitte, auf dem Campus<br />

eine Rede zu halten, entsprochen worden war. Der Höhepunkt seiner<br />

Karriere. Er würde ihn ausgerechnet hier feiern. Und das ärgerte Tala.<br />

Das ärgerte sie so sehr, dass der bloße Gedanke an den Vulkanier<br />

ihren Magen zuschnürte. <strong>Sie</strong> hätte platzen können vor Wut. Aber sie<br />

war nicht die einzige, die Sidak Anwesenheit bewegte.<br />

Ihre drei Begleiter waren Durkin, der aufbrausende Tellarit und<br />

Mitglied ihrer Staffel, Khaleen, eine befreundete Staffelführerin, mit<br />

der sie seit kurzem das Bett teilte, und Therynn ein andorianisches<br />

Mitglied von Khaleens Staffel, die ebenfalls das ein oder andere Mal<br />

bei Tala übernachtet hatte...<br />

... auch wenn keiner von ihnen bei diesen Gelegenheiten zum<br />

Schlafen gekommen war.<br />

Therynn hatte bereits Erfahrungen mit Sidak Texten gesammelt. Als<br />

Folge einer seiner Reden, war es vor ein paar Jahren auf Andor in der<br />

Hafenstadt zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Therynn hatte zu<br />

den Verletzten gehört, obwohl sie zu jenem Zeitpunkt nicht einmal<br />

gewusst hatte, was diese Ausschreitungen auslöste. <strong>Sie</strong> hatte sich<br />

einfach zur falschen Zeit am falschen Ort befunden und aus nächster<br />

Nähe gespürt, welche Auswirkungen simple Worte eines rassistischen<br />

Vulkaniers auslösen konnten. Aber selbst sie hatte Sidak nie<br />

persönlich gesehen. Das bedeutete natürlich, dass sie ein ganz<br />

besonderes Interesse an diesem Scheusal besaß. Während sie auf das<br />

Dach hinaufgegangen waren, hatte Tala überlegt, ob es eine gute Idee<br />

gewesen wäre, auch den Rest ihrer Staffel zu versammeln. Schließlich<br />

war sie jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass es<br />

höchstwahrscheinlich besser sei, sie ausschlafen zu lassen. Tala<br />

forderte sie unter der Woche schon genug, sodass sie es zweifellos<br />

genossen, eine Weile Ruhe vor ihrer Staffelführerin zu haben.<br />

Einzig Sha’Nyn hatte Tala schon seit geraumer Zeit nicht mehr<br />

gesehen, weil sie vollkommen in ihren Studien vertieft war.<br />

Ausgerechnet ihre Unterstützung hätte Tala jetzt am meisten brauchen


können, da sie der Ansicht war, dass Sha’Nyn sie von allen am<br />

ehesten verstand. Es bestand keine Blutsverwandtschaft, aber<br />

irgendwie waren die beiden dennoch aus demselben Holz geschnitzt.<br />

Heute waren Tala, Khaleen, Therynn und Durkin aber nicht die<br />

einzigen, die sich so früh bereits auf den Beinen befanden. Unten am<br />

Shuttle-Landefeld hatten sich zahlreiche Kadetten eingefunden, die<br />

ebenfalls von Sidak baldiger Ankunft Wind bekommen hatten und<br />

sich den Mann ansehen wollten, der hinter den polarisierenden Reden<br />

stand. Viele vertraten die Einstellung, ihn erst sehen zu müssen, um<br />

begreifen zu können, dass die Akademie ihn ernsthaft eingeladen<br />

hatten, und das es sich nicht etwa um einen Scherz handelte. Aus der<br />

Gestik und der Mimik der Kadetten dort unten, konnte Tala leicht<br />

herauslesen, dass die meisten seine Anwesenheit für eine dumme Idee<br />

hielten, oder gar für einen Affront.<br />

Das sah sie genauso.<br />

Während sie warteten, und immer mehr Kadetten eintrafen,<br />

erinnerte sich Tala daran, wie sie damals selbst auf diesem Landefeld<br />

eingetroffen waren. Obwohl es erst vier Monate her war, kam es ihr in<br />

gewisser Hinsicht vor, als wäre es vor einer halben Ewigkeit gewesen.<br />

<strong>Sie</strong> konnte kaum glauben, dass so viel in so kurzer Zeit geschehen<br />

war. <strong>Sie</strong> fühlte sich hier so heimisch, so wohl...<br />

... die Akademie war der erste Schritt zu allem, was sie sich<br />

erträumte. <strong>Sie</strong> war ihr zuhause.<br />

Und nun hatte dieses Zuhause einen unwillkommenen Eindringling.<br />

Khaleen sah das Shuttle vor allen anderen. <strong>Sie</strong> blinzelte einen<br />

Augenblick in die Sonne, während Tala noch in ihrer Gedankenwelt<br />

versunken war. Dann reckte sie den Zeigefinger zum Himmel und<br />

sagte: „Dort.“<br />

„Wo?“, verlangte Durkin natürlich sofort zu wissen. „Wo soll es<br />

sein?!“ Er konnte er nichts erkennen. Was nicht verwunderlich war,<br />

denn das Sehvermögen der Tellariten ließ schon immer enorm zu<br />

wünschen übrig. Aber das... sah er selbst natürlich vollkommen<br />

anders und fand die kreativsten Ausreden für diese seine<br />

Unzulänglichkeit. „Du musst in die falsche Richtung zeigen! Ein<br />

betrunkenes Tellaritenkind hat eine bessere Hand-Augen-<br />

Koordination.“<br />

„Ich zeige richtig. Da oben ist es doch.“


Er folgte ihrem Blick sehr genau und kniff seine kleinen<br />

Schweinsäugelchen zusammen. Dann schnäubte er verächtlich. „Du<br />

halluzinierst!“<br />

„Aber nein, da oben-“<br />

„Spar dir den Atem.“, unterbrach Tala. Leiser sagte sie zu ihr: „Er<br />

würde das Shuttle nicht einmal sehen, wenn du es ihm auf die Stirn<br />

klebst.“<br />

Durkin stierte sie an und wurde mit einem Mal äußerst bombastisch:<br />

„Was hast du da gesagt?!“<br />

„Ich sagte, du würdest das Shuttle nicht einmal sehen, wenn man es<br />

dir auf die Stirn klebt.“<br />

Er stierte sie noch ein paar Sekunden blöd an, und dann äußerste er<br />

ruhig: „Oh. Dann habe ich dich ja doch richtig verstanden.“<br />

„Seht.“, rief Therynn.<br />

Das Transportshuttle fiel anmutig aus dem Himmel, und näherte<br />

sich zunächst mit einschüchternder Geschwindigkeit. Im einen<br />

Moment war es kaum größer als ein Kommunikator vor der Sonne,<br />

und zwei oder drei Augenblicke später, schwebte es direkt über dem<br />

Campus.<br />

Die Piloten, zweifellos Profis, bremsten weiter ab und senkten das<br />

Shuttle dann präzise auf die ein paar Meter tiefer liegende<br />

Landefläche. Kaum berührten die Warpgondeln den Boden, eilten<br />

bereits Techniker zu dem Shuttle, um es zu warten, und auf die<br />

Fortsetzung seiner Reise vorzubereiten. Zusätzlich betraten einige<br />

Sicherheitsoffiziere die Landefläche, um Sidak zu eskortieren.<br />

Tief in ihrem Innern hatte Tala gehofft, dass das Shuttle niemals<br />

ankommen würde. <strong>Sie</strong> hätte wissen müssen, dass diese Hoffnung sich<br />

nicht erfüllen würde.<br />

Die Einstiegsluke fuhr herab und ein Vulkanier trat in den<br />

morgendlichen Sonnenschein.<br />

Das war Sidak.<br />

Er wirkte – wie die meisten Mitglieder seines Volkes - völlig<br />

unscheinbar, was Tala dazu veranlasste, automatisch vom<br />

Schlimmsten auszugehen. Er war recht alt – selbst für vulkanische<br />

Verhältnisse, schien die Jahre aber sehr gut weggesteckt zu haben.<br />

Tatsächlich strahlte er eine gewisse Frische aus, die sich auch in<br />

seinen Bewegungen wiederfand. In seinem Gesicht zeigten sich weit


weniger Falten, als man hätte erwarten können, und sein kurzes<br />

dunkles Haar, war lediglich an den Schläfen ergraut.<br />

Nach seinem Eintreffen wurde er sofort von einer Eskorte<br />

empfangen, die respektvoll und sogar etwas eingeschüchtert auf seine<br />

Anwesenheit reagierte und ihn in die Mitte nahm. Überraschender als<br />

das, war die Tatsache, dass Sidak mit einem angedeuteten Lächeln auf<br />

den Lippen zwischen ihnen wandelte. Kein bösartiges Lächeln.<br />

Sondern ein zweifellos warmherziges.<br />

Die dunkle, schmucklose Robe, die er trug war schon bald von einer<br />

dünnen Schicht Morgentau bedeckt. Der Anhänger, den er an einer<br />

Kette um seinen Hals trag, funkelte wann immer sich ein Sonnenstrahl<br />

an ihm brach.<br />

Khaleen fragte: „Was ist das?“<br />

„Das ist das UMUK-Symbol.“, sagte Tala, ohne den Blick von<br />

Sidak abzuwenden.<br />

Khaleen blinzelte überrascht. „Was?“<br />

„Das Symbol, das er um den Hals trägt. Es heißt UMUK. Ein<br />

vulkanischer Begriff.“, erklärte sie. „Eine Philosophie der geistigen<br />

Einheit. Das vulkanische Wort wird etwas anders ausgesprochen.<br />

Menschen haben es mit U-M-U-K umschrieben und behaupten, dass<br />

es für >Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlicher Kombination<<br />

steht.“ <strong>Sie</strong> schnaubte. „Der reinste Hohn, wenn es von jemandem wie<br />

Sidak getragen wird. Er verspottet uns.“<br />

„Das wäre eine Emotion.“, sagte Therynn abfällig. „Und die<br />

Spitzohren haben keine Emotionen.“<br />

„Oh glaub mir, die haben Emotionen.“, entgegnete Tala wissend. In<br />

den vergangenen vier Monaten hatte sie einiges über die Vulkanier<br />

von Yoko gelernt, auch wenn er nicht der exemplarischste Vertreter<br />

seiner Art war. „Wenn sie keine Emotionen hätten, müssten sie nicht<br />

so diszipliniert sein. <strong>Sie</strong> beherrschen ihre Gefühle nur, sodass sie<br />

andere Beschäftigungen nicht stören. Logik ist ihnen dabei von<br />

größter Bedeutung. Genau wie die Klingonen recht geschickt darin<br />

sind, auch die dümmsten ihrer Handlungen noch mit ihrem Streben<br />

nach Ehre zu rechtfertigen, sind Vulkanier ziemlich gewieft darin<br />

einfach alles mit ihrer Logik zu entschuldigen.“<br />

„Was Sidak macht ist nicht mehr zu entschuldigen.“<br />

Tala wandte sich zu Therynn um. <strong>Sie</strong> spürte ihren Zorn und sah<br />

deutlich die Wut in ihren Augen. Was auch immer damals bei den


Ausschreitungen in der Hafenstadt genau passiert war, setzte ihr noch<br />

immer zu. „Nein, ist es nicht.“, pflichtete sie bei.<br />

„Und wir würden uns genauso schuldig machen, wenn wir Sidak<br />

falsche Reden einfach tolerieren, Tala. Jemand sollte endlich etwas<br />

gegen ihn unternehmen. Wenn sein Shuttle ein weiteres Mal<br />

explodieren würde, würde ich ihm keine Träne nachweinen.“<br />

Tala sagte nichts.<br />

„Warum startet ihr nicht einen friedlichen Protest, wenn euch die<br />

Sache so wichtig ist?“, schlug Khaleen vor.<br />

Tala und Therynn sahen sie an. „Einen Protest?“, fragten beide<br />

gleichzeitig.<br />

Khaleen zuckte mit den Schultern. „Wenn Sidak seinen Rassismus<br />

an die Öffentlichkeit bringen will, dann spricht nichts dagegen, dass<br />

die Öffentlichkeit ihre Gegenmeinung äußert. Er macht vom<br />

Versammlungsrecht gebrauch. Das könnt ihr auch.“<br />

„Dafür wäre einige Organisation nötig.“, wusste Therynn. „Und wir<br />

bräuchten Leute deren Stimme ein gewisses Maß an Gewicht hat.<br />

Leute mit viel Einfluss.“<br />

„Ja.“, nickte Tala grimmig. „Und weißt du was? Ich kenne da<br />

jemanden, der uns helfen könnte.“<br />

Während Tala und Therynn ihre im vergleich zu tellaritischen<br />

Zusammenkünften zweifellos lächerliche Prostestversammlung<br />

planten, begab sich Durkin zum Quell ihrer Aufgewühltheit: zu Sidak<br />

höchstpersönlich. Als angehender Diplomat und (seiner Ansicht nach)<br />

bester Student seines Faches, war Durkin von Professor Obato dazu<br />

auserkoren, ja geradezu angefleht worden, den umstrittenen Redner<br />

exklusiv zu interviewen.<br />

Als Durkin den Professor heute früh aufgesucht hatte, um ihn auf<br />

die zahlreichen Fehler aufmerksam zu machen, die ihm während der<br />

gestrigen Vorlesung unterlaufen war, so wie es Durkin jeden Morgen<br />

zu tun pflegte, da er annahm, dass der Professor dankbar sei für jede<br />

Richtigstellung, hatte Obato (der noch ziemlich verschlafen gewirkt<br />

hatte, wovon sich Durkin aber nicht irritieren ließ) plötzlich das<br />

Thema gewechselt und war auf Sidak zu sprechen gekommen.<br />

Menschen waren immer etwas zerstreut und ließen sich viel zu leicht


von den trivialsten Gedanken und Thema ablenken, aber Durkin hatte<br />

sich nur zweimal und auch nur aus reiner Höflichkeit darüber<br />

beschwert und anschließend zugehört.<br />

Es sei ihm ein schrecklicher Fehler unterlaufen, hatte Obato ihm<br />

gähnend anvertraut, da der Professor es versäumt hätte, jemanden<br />

rechtzeitig für ein Interview zu bestimmen, das er für eine seiner<br />

künftigen Vorlesungen bräuchte. Es sei von äußerster Wichtigkeit, alle<br />

Seiten einer Geschichte kennenzulernen, ehe man Schlussfolgerungen<br />

traf. Sidak sei aufgrund seiner umstrittenen Person, die leicht zu<br />

Vorverurteilungen führte ein gutes Beispiel, um den Kadetten diese<br />

einfache Lehre zu vermitteln, und Durkin sei nun seine letzte<br />

Hoffnung.<br />

Jemand müsse für Obato in die Bresche springen und zugegen sein,<br />

wenn der Redner auf dem Campus vom Dekan und der<br />

Akademieleiterin begrüßt würde. Er selbst könne diese Aufgabe nicht<br />

erfüllen, da er zum einen noch eine wichtige Angelegenheit zu<br />

erledigen, und zum anderen bei weitem nicht so qualifiziert sei wie<br />

der Tellarit. Eine Einschätzung der Durkin ohne zu zögern energisch<br />

beigepflichtet hatte. Obato hatte daraufhin mit den Augen gerollt.<br />

Vermutlich, so dachte Durkin, weil ihn seine eigene Schusseligkeit<br />

ärgerte.<br />

Also hatte sich Durkin freiwillig gemeldet und sofort auf den Weg<br />

gemacht. Es hatte ihn nur kurz gewundert, dass Obato sofort wieder<br />

Richtung Bett gewankt war, anstatt die dringende Angelegenheit zu<br />

erledigen, von der er vorhin gesprochen hatte, und auf dem Weg ins<br />

Schlafzimmer etwas von „Hauptsache er lässt mich heute in Ruhe“<br />

murmelte. Aber vermutlich war der Mensch mit seinen Gedanken<br />

schon wieder woanders gewesen.<br />

Nicht-Tellariten konnten ja so begriffsstutzig sein.<br />

Als er nun Janeways Büro betrat, in dem sich Sidak, Dekan Barclay<br />

und Admiral Janeway bereits eingefunden hatten (zweifellos weil sie<br />

viel zu früh waren – Nicht-Tellariten waren nie in der Lage sich an<br />

feste Termine zu halten), unterbrach Sidak ihr laufendes Gespräch und<br />

erhob sich von der Couch, um Durkin zur Begrüßung die Hand zu<br />

schütteln. Er hatte einen festen Händedruck und schenkte dem<br />

Tellariten ein warmes Lächeln. „<strong>Sie</strong> müssen Kadett Durkin sein. Freut<br />

mich ihre Bekanntschaft zu machen.“


Durkin verbeugte sich leicht und schnuffelte. „Ganz meiner<br />

Meinung, Mr. Sidak.“<br />

„Kein Grund für den Aufbau von Barrieren. Sidak reicht völlig.“<br />

„Wie sie wünschen.“<br />

Janeway war schlau genug, Durkin nicht darauf aufmerksam zu<br />

machen, dass er sich verspätet hatte, da sie keine große Lust auf die<br />

anschließende Diskussion verspürte. Der Tellarit wäre ohnehin kein<br />

Stück von seiner Meinung pünktlich zu sein abgerückt. Also deutete<br />

sie einfach auf einen leeren Stuhl und alle nahmen in der Sitzecke<br />

wieder platz.<br />

Durkin kramte einen kleinen Datenblock hervor, machte sich<br />

schnell erste Notizen und bedachte Sidak dann mit einem prüfenden<br />

Blick der ihn, wie Durkin fälschlicherweise glaubte, ganz schön<br />

scharfsinnig aussehen ließ. „So...“, begann er ohne Umschweife. „Wo<br />

sind ihre scharfen Fangzähne, Sidak? Wenn man glaubt, was man so<br />

hört, sind sie die Inkarnation des Krognig-Dämons.“<br />

Janeway bedachte ihn mit einem strengen Blick. So eine<br />

Unverfrorenheit duldete sie in ihrem Büro nicht. „Kadett...!“, zischte<br />

sie in einem warnenden Tonfall.<br />

Durkin beschloss, sie – wie sooft - einfach zu ignorieren.<br />

Jede Diskussion mit Janeway war nämlich höchst... unangenehm -<br />

Für Janeway. Die Frau fühlte sich ganz offensichtlich von ihm<br />

angezogen – nicht, dass er es ihr hätte verübeln können. Schließlich<br />

war er ein stattlicher, aufgeweckter Tellarit. Leider war es so, dass sie<br />

ihre Gefühle nicht so recht auszudrücken vermochte. Mal fuhr sie ihn<br />

grundlos an, was Paarungsbereitschaft signalisierte, und im nächsten<br />

Moment zeigte sie sich wieder abweisend freundlich, als hätte sie<br />

überhaupt nichts für ihn übrig - was für einige geistige Konfusion<br />

sprach. Er sympathisierte mit der armen Frau, aber manchmal machte<br />

ihre Verwirrung die Zusammenarbeit schwierig. Wie neulich, als sie<br />

einen äußerst hitzigen Disput hatten. Wäre Janeway in der Lage<br />

gewesen, einfach zuzugeben, dass der Dienstplan, den Durkin für die<br />

Dozenten aufgestellt hatte, viel effizienter war, als Janeways, hätte er<br />

sie nicht einfach übergehen und den Plan ohne Erlaubnis aushängen<br />

müssen.<br />

Seitdem machte sie ihm erst recht unmissverständliche Avancen,<br />

sobald sie unter sich waren. Die kalten Blicke, das Grummeln, das<br />

Ballen der Fäuste... Dieses Gebaren konnte man gar nicht


missverstehen. Es war nur ungewöhnlich, dass Janeway ihre<br />

Absichten nun auch in Anwesenheit anderer zeigte. Womöglich war<br />

sie langsam dazu bereit, zu ihm zu stehen. Durkin rechnete schon bald<br />

mit einem Heiratsantrag. <strong>Sie</strong> war für seinen Geschmack zwar<br />

eigentlich ein bisschen zu alt, aber in Anbetracht ihres<br />

beeindruckenden, fast schon tellaritischen Temperaments konnte er<br />

darüber hinwegsehen. Bis dahin musste sich aber wenigstens einer<br />

von beiden konzentrieren, weshalb er ihre Anbandelungsversuche<br />

vorerst einfach ignorierte.<br />

Sidak schien denselben Schluss zu fassen und schmunzelte über<br />

Durkins Kommentar – soweit wie ein Vulkanier eben schmunzeln<br />

konnte. „Glauben sie mir, Kadett, man hat mich schon schlimmer<br />

beschimpft.“ Er faltete die Hände und beugte sich zu Durkin vor. „Ich<br />

vertrete unpopuläre Ansichten, das ist mir bewusst. Das taten auch<br />

Surak, Copernikus... oder gar Jesus. Ich würde es bevorzugen nicht<br />

aufgrund meiner Meinung gekreuzigt oder verhaftet zu werden, aber<br />

ich stehe zu den Theorien die ich äußere. Und meine Recherchen<br />

sprechen eine eindeutige Sprache: ich bin der festen Überzeugung,<br />

dass die Andorianische Kultur... als Mitglied unserer großen<br />

Gemeinschaft... die Föderation in den Ruin treiben wird. Aufgrund der<br />

harschen Bedingungen auf ihrer Heimatwelt verbrauchen die<br />

Andorianer beträchtliche Unmengen an Ressourcen – mehr als jede<br />

andere Mitgliedswelt und das seit vielen Jahren. Im Gegenzug sind sie<br />

kaum in der Lage nützliche Güter zu liefern. Andor ist ein nackter<br />

kalter Fels.“<br />

„Ihr Beitrag beschränkt sich eben auf andere Dinge.“, hielt Durkin<br />

dagegen.<br />

„Ja, in der Vergangenheit lieferten sie einen großen Teil unserer<br />

Flottenproduktion. Aber in Zeiten des Friedens wird ihre<br />

Kriegsmaschinerie schon lange nicht mehr benötigt und die<br />

Andorianer haben es versäumt, sich auf anderen Gebieten<br />

hervorzuheben. Ihr Nachwuchs ist schlecht ausgebildet, es fehlt an<br />

allen Ecken und Kanten an qualifiziertem Personal. Ihr ganzes<br />

Schulsystem ist rückständig, da die andorianische Führungsebene auf<br />

eine Vermittlung ihrer alten Werte besteht und sich nicht helfen lassen<br />

möchte. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Immer mehr Kinder enden<br />

auf den Straßen, wo sie – wie die Menschen es auszudrücken pflegen<br />

– auf die Schiefe Bahn geraten. Von der natürlichen


Gewaltbereitschaft der Andorianer möchte ich gar nicht erst sprechen.<br />

Auch heute noch führen sie brutale, blutige Riten durch, in die sie<br />

auch andere hineinziehen.“<br />

Durkins wulstige Brauen senkten sich herab. „Ihnen ist klar, wie<br />

rassistisch das klingt?“ Er blickte abwechselnd von Janeway zu<br />

Barclay. Wenn sie Sidak oder Sidak Aussagen missbilligten, so<br />

verbargen sie es gut. „Und die Akademie begrüßt Sidak Ansichten?“<br />

Das konnte er kaum glauben.<br />

„Reg.“, sagte Janeway und erteilte dem Dekan damit das Wort.<br />

Barclay war ein freundlicher und stets nervöser Mann mit<br />

schütterem Haar, der sich die Worte nun sehr genau zurechtlegte,<br />

während er sich vorbeugte. „Die Akademie begrüßt lediglich einen<br />

freien Austausch an Ideen und Meinungen.“, erklärte er. „Doktor<br />

Sidak befindet sich auf einer umfassenden Reise durch die gesamte<br />

Föderation und er verbalisiert Ideen, die einigen Einfluss haben und<br />

weitreichende Entwicklungen in Gang setzen könnten.“<br />

„Sehen sie, Kadett...“, übernahm Janeway „Ob uns gefällt was er<br />

sagt, oder nicht, Doktor Sidak tut nichts illegales. Es steht jedem<br />

Bürger in der Föderation zu, seine Meinung frei zu äußern. Wir<br />

werden den Studenten dieser Einrichtung keinen Gefallen tun, in dem<br />

wir sie vor gewissen... Denkweisen einfach abschirmen – selbst wenn<br />

diese Denkweisen für manche – oder viele - unpopulär und empörend<br />

sein mögen. Nichts für ungut, Doktor.“<br />

Sidak verbeugte sich leicht. „Kein Problem, Admiral.“<br />

Und Janeway fuhr fort: „Die Akademie ist keine Einrichtung, an der<br />

Gedankengut verboten wird, ganz gleich welcher Art dieses<br />

Gedankengut auch sein mag. Die Meinung und das Verhalten anderer<br />

zu respektieren ist der Stammpfeiler der Toleranz und genau darauf<br />

baut diese Institution. Darauf baut die gesamte Sternenflotte.“<br />

„Ich zwinge niemanden seine Meinung zu ändern.“, ergänzte Sidak.<br />

„Ich liefere lediglich eine neue Sichtweise.“<br />

„Denen sich viele nicht aussetzen möchten.“<br />

Janeway sagte: „Die Akademie ist voller Dinge, die einem Kadetten<br />

nicht gefallen könnten. <strong>Sie</strong> werden sich daran gewöhnen müssen.<br />

Andernfalls sind die entsprechenden Personen hier am falschen Ort.<br />

Unterschiedliche Ansichten sollte man begrüßen wo auch immer man<br />

sie findet... Anstatt sich wegen trivialster Dinge in Konflikte zu<br />

stürzten.“


Durkin neigte beim Wort „Konflikt“ den Kopf. „Ihnen ist klar, dass<br />

es sehr wahrscheinlich zu Protesten kommen wird?“<br />

„Proteste die wir dulden.“, nickte Janeway ruhig. „Vorausgesetzt<br />

natürlich, dass sie friedlich verlaufen und keinen Einfluss auf das<br />

Studium und den Dienst der Kadetten haben. Der Zug der freien Rede<br />

fährt in beide Richtungen, Kadett Durkin. Wir werden niemandem den<br />

Mund verbieten, auch nicht unseren eigenen Schülern.“<br />

Janeway hoffte lediglich, dass ihre Schüler auch erwachsen genug<br />

waren, sich entsprechend zu verhalten. Viele von ihnen standen gerade<br />

erst am Anfang und hatten die offene, tolerante Art, die man den<br />

jungen Leuten zu vermitteln versuchte, noch nicht völlig absorbiert.<br />

Andererseits... wer sollte schon dumm genug sein, wegen eines<br />

einzelnen Redners Probleme zu machen?<br />

Galak<br />

Galak Arsamandi, Prinz des orsorianischen Reiches, schlenderte<br />

den Korridor im Verwaltungsgebäude herab, während er eine<br />

amüsante Diskussion mit zwei attraktiven jungen Kadettinen aus<br />

seinem Diplomatenkurs führte, die sich rechts und links bei ihm<br />

eingehakt hatten. <strong>Sie</strong> hingen förmlich an seinen Lippen, und kicherten<br />

und quiekten jedes Mal ausladend, sobald er etwas lustiges sagte.<br />

Selbst... wenn es kein bisschen lustig war.<br />

Aber das war nicht wichtig.<br />

Der Subtext spielte in dieser Situation eine größere Rolle als das<br />

gesprochene Wort – sofern man beim Gebaren der beiden Damen,<br />

welches zurückhaltender ausgefallen wäre, wenn sie in Unterwäsche<br />

an einem gewaltigen Würstchen geknabbert hätten, überhaupt von<br />

Subtext sprechen konnte. Was aber genau Galaks Vorstellung einer<br />

guten Unterhaltung entsprach.<br />

„...dieser Sortak baut sich also zu seiner vollen Größe von<br />

zweieinhalb Metern vor mir auf“, erzählte er „betrunken wie er war,<br />

und pocht auf sein Recht die Kadettin zu belästigen und begrabschen,<br />

wie es ihm beliebte. Als der Gentleman, der ich, wie ihr wisst, nun<br />

mal bin, war ich selbstverständlich verpflichtet, etwas dagegen zu<br />

unternehmen, weshalb ich natürlich sofort-“


Das war der Moment in dem Tala aus einem Seitenkorridor<br />

heraustrat, Galak im Vorbeigehen bei seinem linken Ohrläppchen<br />

schnappte, und ihn einigermaßen unsanft zum nächsten Turbolift mit<br />

sich zog. „Was zum--?“, war das einzige, das er zu sagen in der Lage<br />

war.<br />

Anstatt Galak anzusprechen, äußerte Tala kurz zu den beiden<br />

Frauen: „Entschuldigt uns... Eine dringende Angelegenheit. Ich hoffe<br />

ihr versteht das. Und wenn nicht, ist es mir auch egal.“<br />

<strong>Sie</strong> schob ihn in die enge Kabine und als sich die Lifttüren<br />

schließen, und der Computer einen Bestimmungsort forderte, nannte<br />

sie den Bürokomplex im dritten Stock.<br />

Galak fragte verwirrt: „Warum der Bürokomplex?“<br />

„Damit ich das hier sagen kann: Computer, Lift anhalten.“<br />

Der Lift kam unverzüglich zu einem graziösen Stopp. Jetzt waren<br />

sie ungestört. Tala wandte sich Galak zu. Ihr Kinn war vorgeschoben,<br />

ihre Schultern angespannt. Galak kannte ihre Körpersprache<br />

inzwischen genau: entweder erwartete sie einen Kampf, oder suchte<br />

einen.<br />

Zu seiner Verteidigung sagte er schnell: „Ich schwöre, ich hätte<br />

dabei nur an dich gedacht.“<br />

<strong>Sie</strong> winkte ab. „Darum geht’s nicht.“<br />

„Ach nein? Ich hatte befürchtet, du könntest eifersüchtig sein.“<br />

„Eifersichtig? Ich bin nicht eifersüchtig. Ich warte darauf, dass ich<br />

den ersten wissenschaftlichen Aufsatz über einen Kadetten schreiben<br />

kann, der an einer Gehirnblutung stirbt, die von einem Überschuss an<br />

Ego ausgelöst wurde.“<br />

„Ich dachte...“<br />

„Das war dein erster Fehler: Denken. Galak, du kannst doch machen<br />

was du willst. Jeder von uns kann das. Wir sind frei. Das haben wir<br />

von Anfang an so beschlossen. Es ist eine offene Beziehung. Wir...<br />

sind ein gegenseitiger Nutzen. Wie zwei vorrüberziehende Schiffe.“<br />

„Das ist verletzend.“, log er.<br />

<strong>Sie</strong> neigte den Kopf, da sie wusste, dass er nicht so empfand. „Du<br />

wirst es überleben, schließlich musst du dadurch nicht auf diese<br />

wandelnden Heliumballons da draußen verzichten.“<br />

„Stimmt.“ Dann fragte er verblüfft: „Warum sind wir dann hier?“<br />

„Ich brauche deine Hilfe. Deine... spezielle Hilfe.“


Galak war nun verwirrter als je zuvor und musterte Tala von oben<br />

bis unten, als sei ihr ein drittes Auge, oder ein dritter Arm gewachsen.<br />

„Hier?!“, fragte er schließlich. „Im Turbolift?“ Andererseits... war die<br />

Idee gar nicht so übel. Hier hatten sie es noch nicht getan. „Hm, der<br />

Raum ist zwar etwas beengt, aber das bekommen wir schon-“<br />

<strong>Sie</strong> schlug ihm mit der flachen Hand auf die Stirn. Es klatschte<br />

geräuschvoll. „Dang! Nicht das, du wandelndes Riesenhormon!“<br />

„Oh.“, machte er mit einiger Enttäuschung. „Aber wozu brauchst du<br />

mich dann?“<br />

„Du bist von einer noblen und einflussreichen Familie. Du hast<br />

Kontakte. Wichtige Kontakte.“<br />

„Das ist der Hauptgrund, warum ich hier bin, ja. Mein Volk stirbt<br />

aus, wie du weißt. Auf Orsoria werden immer weniger Männer<br />

geboren, aus irgendeinem Grund werden wir steril. Uns bleiben<br />

vielleicht noch zehn Generationen. Aber wir sind Genießer, keine<br />

Wissenschaftler, wie etwa die meisten Leute in der Sternenflotte.<br />

Dafür liegt unser Reich allerdings in einer für die Föderation<br />

strategisch günstigen Position. An einer Kooperation wäre beiden<br />

Welten gelegen, aber eure dämliche oberste Direktive verkompliziert<br />

alles nur. Ich wurde hergeschickt, um der erste Ölzweig zu sein, und<br />

um auf die Not meines Volkes aufmerksam zu machen.“ Er rollte die<br />

Augen. „Nicht, dass ich großartig ein Mitspracherecht bei dieser<br />

Entscheidung gehabt hätte...“<br />

„Ich weiß, Galak.“ Es war kein Geheimnis, dass Galak nicht aus<br />

freien Stücken auf der Akademie studierte, und auch nicht sonderlich<br />

viel davon hielt. Zumindest setzte er alles daran, so zu tun. Befehle<br />

von jemandem entgegenzunehmen, nur weil er kleine funkelnde<br />

Dinger am Kragen trug – mehr als er -, sei eines Nobelmannes von<br />

Orsoria nicht würdig, wie er immer betonte. Aber Tala kannte ihn<br />

besser und wusste, dass er auf der Akademie zum ersten Mal in<br />

seinem Leben echte Freunde gefunden hatten, die ihn akzeptierten und<br />

mochten so wie er war – verschroben und arrogant -, und es nicht nur<br />

vorspielten, um die Vorzüge des Königshauses genießen zu können.<br />

Niemand aus ihrer Gruppe machte einen Knicks, wenn Galak kam<br />

und niemand zögerte, ihm eine ehrliche Meinung ins Gesicht zu<br />

sagen, auch wenn er sie gar nicht hören wollte. Dafür waren alle für<br />

ihn da, wenn er sie brauchte. Und gerade das zeichnete gute Freunde<br />

schließlich aus. Im Gegenzug hielt er seine Meinung ja auch nicht


hinterm Berg, und die Sache mit dem Helfen... nun, da musste man<br />

noch etwas dran arbeiten. „Meine Mission hier zu erfüllen“, setzte er<br />

fort „ist das wichtigste in meinem Leben.“<br />

Das war ebenfalls typisch Galak: Er besaß absolut kein Taktgefühl.<br />

Tala hustete, um ihn daran zu erinnern, dass sie auch noch da war.<br />

„Ahem...“<br />

Der Orsorianer wich von ihr zurück, als hätte sie plötzlich Pusteln<br />

bekommen. „Was ist mit dir? Bist du krank? Komm mir nicht zu nahe,<br />

ich kann es mir nicht leisten, krank zu werden.“<br />

Tala rollte die Augen. „Also manchmal frage ich mich wirklich, wie<br />

ihr Orsorianer euch überhaupt so weit entwickeln konntet.“<br />

„Wir brauchen uns nicht zu entwickeln. Unser gutes Aussehen<br />

erledigt alles für uns.“ Daran bestand schließlich kein Zweifel.<br />

„Kein Wunder, dass ihr aussterbt.“<br />

„He, jetzt werde nicht beleidigend!“ Er stutze. „Gibt es überhaupt<br />

einen Weg diese Konversation für mich zu gewinnen?“<br />

„Nö.“<br />

„Wollte nur sicher gehen. Also? Wenn schon nicht für schnellen,<br />

bedeutungslosen Sex... wozu brauchst du mich dann?“<br />

<strong>Sie</strong> erzählte ihm von Sidak, seinen Ansichten, und dass sie eine<br />

Demonstration organisieren wollten.<br />

Galak hörte sich alles in Ruhe an, nickte hier und da<br />

bedeutungsschwanger und setzte einen überzeugend mitfühlenden<br />

Blick auf, als Tala ihre Ausführungen beendete. Und dann sagte er:<br />

„Ihr seid vollkommen verrückt.“<br />

„Wieso das?“<br />

„Weil die Sternenflotte das nicht zulässt, ganz einfach.“<br />

„Doch, lässt sie. Durk hat es bestätigt. Janeway wird keine Proteste<br />

oder Demonstrationen verhindern, solange sie friedlich verlaufen.“<br />

„Was? Warum?“<br />

„Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle. Fakt ist, dass wir<br />

diesem Mistkerl Paroli bieten können – ja sogar müssen. Aber dafür<br />

müssen wir uns erst organisieren. Wir brauchen eine Lobby, Galak.“<br />

Galak schaute verwirrt. „Wollt ihr ein Hotel bauen?“<br />

Tala stöhnte. Er verbrachte zu viel Zeit mit Yoko. Es steckte bereits<br />

an. „Nein, Galak. Wenn Sidak meint, wir würden einfach daneben<br />

stehen, während er seinen Rassenhass verbreitet, dann hat er sich<br />

geschnitten.“


„Warum sollte er sich selbst verstümmeln?“<br />

<strong>Sie</strong> klatschte ihm erneut auf die Stirn. „Dang, Konzentrier dich! Wir<br />

müssen ihm entgegentreten, mit den gleichen Waffen. Ich bin keine<br />

gute Rednerin, und ich kenne auch sonst keinen, der dafür geeignet<br />

wäre, zumal unsere Stimmen ohnehin kein Gewicht haben. Aber<br />

vielleicht kennst du jemanden. Oder kannst jemanden organisieren.“<br />

„Kann ich das?“<br />

Tala hob ihre geballte Faust. Er konnte so unfassbar faul sein!<br />

Immer versuchte er sich vor unnötiger Arbeit zu drücken. Also zischte<br />

sie: „Wenn du diesen Turbolift lebend verlassen willst, dann ja, dann<br />

kannst du es!“<br />

„Oh. Ja, jetzt wo du es sagst, fallen mir tatsächlich diverse Namen<br />

ein...“<br />

Tala lächelte. „Gut.“ <strong>Sie</strong> begann im beengten Raum des Lifts auf<br />

und ab zu marschieren, so wie es der Platz eben zuließ. „Wir brauchen<br />

jemanden der die Massen bewegt. Eine Respektsperson, zu dem<br />

sowohl Andorianer, als auch Vulkanier aufsehen. Wir brauchen einen<br />

Sternenflotten-Offizier. Jemanden mit Muskeln.“<br />

„Ich hab Muskeln.“<br />

„Und jemanden mit Hirn.“<br />

„Oh.“ Dadurch fiel er natürlich aus der Kandidatenliste. „Und du<br />

willst wirklich, dass ich dir dabei helfe?“<br />

Tala blieb stehen und seufzte. „Im Moment nehme ich jede Hilfe an,<br />

die ich bekommen kann, auch wenn sie noch so gering und<br />

unbedeutend ist.“<br />

„War das eine Beleidigung?“<br />

„Wirst du mir helfen?“<br />

„Habe ich denn eine Wahl?“<br />

„Wenn das so ist, war es keine Beleidigung.“<br />

Er überlegte einen Moment. „Nun, ich habe in den letzten Wochen<br />

tatsächlich einen guten Kontakt zu einigen Leuten aus dem<br />

Flottekommando aufbauen können. Darunter auch einige<br />

einflussreiche Andorianer. Wenn ich meine Beziehungen spielen lasse<br />

und den ein oder anderen Gefallen einfordere... und eventuell sogar<br />

mit jemandem schlafe – was, wenn ich es recht bedenke, unter die<br />

-Rubrik fällt... Ich denke ich könnte jemanden<br />

herholen, den du sehr mögen wirst. Was hälst du von Kovan?“


„Kovan?“ <strong>Sie</strong> sah ihn aus großen, überraschten Augen an. „Etwa<br />

der Kovan?“<br />

„Nun, eine <strong>Sie</strong> ist Kovan glaube ich nicht. Wobei... man sich bei<br />

euch Andorianern da nie so ganz sicher sein kann“, musste er<br />

einräumen.<br />

„Der Held von Sigma Tauris Vier? Der Bezwinger der Bobolot? Du<br />

könntest Kovan herholen?“<br />

Galak zuckte mit den Schultern. „Soweit ich weiß, ist er sowieso<br />

schon hier. Hab ihn vor zwei Tagen erst im Flottenkommando<br />

gesehen. Ich glaube sein Schiff wird im Erdorbit einer<br />

Generalüberholung unterzogen oder so. Er müsste Zeit haben. Ich<br />

denke ich kann ihn herholen.“<br />

„Oh, Galak!“ <strong>Sie</strong> fiel ihm regelrecht um den Hals und küsste ihn<br />

leidenschaftlich. Dann flüsterte sie lächelnd: „Weißt du, manchmal da<br />

bist du richtig liebenswürdig.“<br />

Er schnaubte verächtlich. „Behalte das ja für dich. Ich habe<br />

schließlich einen Ruf zu verlieren.“<br />

O’Brien<br />

Miles O’Briens Körper schien keinen Kopf zu haben. Der Professor<br />

für Ingenieurswissenschaften steckte mit dem Oberkörper in einer<br />

Wartungsröhre des üblicherweise überfüllten, aber heute verlassenen<br />

C-Trakts, und schaute auf die Anzeigen seines Tricorders, in der<br />

Hoffnung, auf dem Sensorfeld würde sich eine gerade Linie zeigen.<br />

Unglücklicherweise wies die Linie, die er sah, eine<br />

unmissverständliche Energiespitze auf, die in einem drei Sekunden-<br />

Intervall erschien. O’Brien seufzte resignierend. Einen Moment lang<br />

lag er einfach nur da und glaubte zu spüren, wie sein einst lockiges,<br />

fülliges Haar immer lichter wurde. Und grauer. Er wurde langsam zu<br />

alt, um in diesen heißen Röhren herumzukriechen. Schließlich wusch<br />

er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, und wandte<br />

sich an seine beste Studentin, die irgendwo draußen wartete.<br />

„Cera, die Energiespitze ist wieder da.“<br />

Streng genommen war Cera Regonod nicht seine beste Studentin.<br />

Nicht einmal annähernd. Obwohl die korpulente Pakled ein gewisses


Händchen für die Bedienung des Transporters bewiesen hatte, siedelte<br />

sich ihr Notendurchschnitt irgendwo im unteren Bereich an.<br />

Technische Zusammenhänge begriff sie nur langsam, was zu ihrer<br />

allgemein eher behäbigen Art passte und was es umso erstaunlicher<br />

machte, dass sie ausgerechnet eine technische Laufbahn eingeschlagen<br />

hatte. Andererseits waren ihre Noten in den anderen Fächern auch<br />

nicht gerade berauschend. Was Cera aber an Auffassungsgabe fehlte,<br />

das machte sie mit Fleiß und Einsatzbereitschaft wieder wett. Ihr<br />

Scharfsinn mochte zu wünschen übrig lassen, und einige Kadetten<br />

machten sich deswegen über sie lustig, aber im Gegensatz zu einigen<br />

anderen, zeigte sie den Willen, das Studium ernstzunehmen und sich<br />

reinzuhängen – auch wenn sich trotzdem nicht gerade ein<br />

durchschlagender Erfolg darbot.<br />

Für O’Brien war aber allein ihr guter Wille Grund genug, Cera eine<br />

Chance zu geben, und die Tatsache, dass sie sich als einzige seiner<br />

zahlreichen Studenten freiwillig gemeldet hatte, ihm am Wochenende<br />

bei einem technischen Problem zur Hand zu gehen, machte ihm die<br />

Pakled nur noch sympathischer.<br />

Und jetzt, wo sie unter sich waren, der Leistungsdruck wegfiel, und<br />

sie sich nicht mit den anderen, fremden Kadetten konfrontiert sah, war<br />

Cera wie ausgetauscht. <strong>Sie</strong> war nicht so nervös, viel konzentrierter<br />

und konnte deswegen auch tatsächlich einen nützlichen Beitrag<br />

leisten.<br />

<strong>Sie</strong> lässt sich eben nur zu leicht einschüchtern, dachte O’Brien.<br />

Aber das war okay. Die meisten Ingenieure zogen ihre Maschinen der<br />

Gegenwart anderer Menschen vor. Er hatte oft genug ganz ähnlich<br />

empfunden, und auch ihm war es Anfangs aufgrund seiner eher<br />

introvertierten Art, die man nur zu leicht mit Ruppigkeit verwechseln<br />

konnte, nicht leicht gefallen, Freundschaften zu schließen.<br />

Mitunter brauchte das ein bisschen Zeit.<br />

„Versuchen sie die Energierelais für das OHD umzuschalten.“<br />

Cera zögerte. Wie üblich, wenn sie unsicher war, begann sie zu<br />

stottern. „Tun sie nicht... tun sie nicht... das ODN meinen, Sir?“<br />

O’Briens Gesicht wurde rot vor Scham. Es lag ein großer<br />

Unterschied zwischen dem optischen Datennetz und einer<br />

omnidirektionalen holographischen Diode. „Ja.“, gab er zu. „Hab<br />

mich versprochen.“


Cera nickte nur schwerfällig und machte sich daran, an der Konsole<br />

die entsprechende Umschaltung durchzuführen. Der Professor<br />

schüttelte den Kopf über die Verwechslung. Für gewöhnlich unterlief<br />

ihm ein solcher Fehler nicht. Andererseits war er für gewöhnlich auch<br />

nicht so abgelenkt wie im Moment.<br />

Molly, seine älteste Tochter war vor drei Tagen von einem langen<br />

Aufenthalt auf New Pacifica zurückgekehrt und er hatte sich bei der<br />

Begrüßungsfeier verspätet, da noch Arbeit auf dem Campus auf ihn<br />

gewartet hatte. Er hatte sich auch jetzt im Ruhestand, nie ganz von<br />

seiner Zeit auf der Enterprise oder DS9 lösen können, und sich immer<br />

freiwillig mit Arbeit eingedeckt – selbst, wenn es genügend andere<br />

gab, die für ihn hätten einspringen können. Natürlich hatte das öfters<br />

zu Streitereien zwischen ihm und seiner Frau Keiko geführt und als er<br />

Mollys Begrüßungsfeier fast verpasst hatte, war sie besonders<br />

aufgebracht gewesen.<br />

Er hatte ihr versichert, dass er in Zukunft mehr Zeit mit ihr<br />

verbringen würde, aber die Wahrheit sah aus, dass er Zuhause<br />

verrückt wurde. Er liebte seine Frau, er liebte sie über alles, aber in<br />

O’Briens Brust schlug einfach ein Arbeiterherz. Er musste etwas mit<br />

seinen Händen tun, sich nützlich machen, sonst war er nicht glücklich.<br />

„Professor?“, hörte er Ceras Stimme.<br />

„Ja?“<br />

„Die Energiespitze.“<br />

„Immer noch da?“<br />

Cera nickte. Dann begriff sie, dass O’Brien sie gar nicht sehen<br />

konnte und sagte: „Uh-huh.“<br />

Der Professor kam schwerfällig aus der Röhre gekrochen und<br />

richtete sich ächzend auf.<br />

„Immer noch da.“, bestätigte Cera und zeigte auf den Monitor, als<br />

würde er ihr sonst nicht glauben. „Aber es... es tut nicht die... die<br />

Leistung unserer Maschinen beeinflussen.“<br />

„Hm.“, machte O’Brien nachdenklich und trommelte mit den<br />

Fingern auf der Verkleidung der Konsole. „Es mag die Leistung nicht<br />

beeinflussen, aber es könnte zu Systemfehlern führen.“<br />

„Bisher sind... sind keine aufgetreten.“<br />

O’Brien seufzte. Er hatte gehofft, das Problem innerhalb einer<br />

halben Stunde zu lösen. Stattdessen waren sie schon seit fast zwei


Stunden dabei die Energiespitze zu verfolgen, die er am Morgen<br />

zufällig im Klassencomputer entdeckt hatte.<br />

Keiko würde nicht glücklich sein.<br />

Aber es entsprach ihm nicht, Arbeit einfach liegen zu lassen.<br />

„Tun wir... tun wir es den Technikern überlassen?“<br />

„Nein.“, entschied er nach kurzem zögern. Einen letzten Versuch<br />

wollte er noch unternehmen. „Wir sehen uns das mal im<br />

Computerkern an. Wenn wir da die Quelle des Problems nicht finden,<br />

machen wir Schluss für heute.“<br />

Cera nickte und packte ihre Werkzeuge zusammen.<br />

Keiko wird mich umbringen, dachte O’Brien.<br />

Der zentrale Computerkern der Akademie befand sich unterirdisch<br />

und beanspruchte volle fünfzehn Etagen. Praktisch alle Systeme des<br />

Campus standen mit dem Kern in Verbindung. Von hier aus wurden<br />

sämtliche automatischen Funktionen gesteuert und die Anweisungen<br />

verarbeitet, die Kadetten, Dozenten, das Akademie-Personal und<br />

Besucher auf allen Teilen des Geländes verbal oder über eine Tastatur<br />

gaben.<br />

Das System war eine Meisterleistung des Computer- und<br />

Ingenieurswesens – man konnte den Kern in gewisser Weise sogar mit<br />

dem autonomen Nervensystem eines Lebewesens vergleichen. Er<br />

verfügte über ein nanosekunden-schnelles Zugriffs- und<br />

Abfragesystem-Software, zahllose Sicherheits- und<br />

Schutzprogramme, eine hochentwickelte KI-Routine und er wartete<br />

sich sogar selbst, was bedeutete: In den Systemüberwachungsräumen<br />

waren üblicherweise nur wenige Personen zugegen.<br />

Es sei denn natürlich es war zu einer schweren Fehlfunktion oder<br />

einem kritischen Defekt gekommen, der die Aufmerksamkeit von<br />

Technikern verlangte. Aber das kam nur selten vor.<br />

O’Brien begegnete nur zwei Wartungstechnikern, als er den<br />

Kernbereich betrat und zum Aufzeichnungsinterface ging. Cera folgte<br />

ihm. Die ganze Zeit über protokollierte der Computer seine eigene<br />

Aktivität und die kleinste Zeiteinheit war dabei die Nanosekunde.<br />

O’Brien erhoffte sich Aufschluss von jenen Aufzeichnungen –<br />

vielleicht entdeckte er in den Informationen eine Diskrepanz, die ihm


mitteilte, was vor sich ging. Er aktivierte eine Diagnose und wartete<br />

auf das Ergebnis. Es war ernüchternd. Nichts deutete auf<br />

Fehlfunktionen hin und nichts verriet ihm, wo die Energiespitzen<br />

herkommen sollten. Die Energietransferleitungen waren perfekt<br />

kalibriert, es hätte diese Spitzen einfach nicht geben dürfen.<br />

„Wo soll das nur herkommen?“, fragte er.<br />

„Wann tat das denn... das denn zum erstenmal auftreten?“<br />

Guter Ansatz, dachte O’Brien. Der Ursprung könnte ihnen vielleicht<br />

einigen Aufschluss über das eigentliche Problem geben. „Finden wir<br />

es heraus.“<br />

Seine Finger flogen über die Konsole und wenige Minuten später<br />

hatte er die Energiespitze zu ihrem Ursprung zurückverfolgt. „Heute<br />

Nacht?“<br />

Cera zeigte auf eine weitere Information. „Und draußen, in... in<br />

einem Wartungsschacht vor der... der Sudak-Halle.“<br />

„Aber das ist doch unmöglich.“ Falten fraßen sich tief in O’Briens<br />

Stirn. Hatten sie es möglicherweise gar nicht mit einem internen<br />

Computerproblem zu tun, sondern etwas, das von außen<br />

dazugekommen war? Hatte sich vielleicht jemand am<br />

Computersystem zu schaffen gemacht, der daran nichts verloren<br />

hatte?<br />

Er trat näher vor die Interfacekonsole, um das Diagnoseprogramm<br />

auf entsprechende Untersuchungen anzusetzen.<br />

Sudak-Halle, schoss ihm durch den Geist. Da sollte doch dieser<br />

umstrittene Vulkanier morgen seine Rede halten.<br />

O’Brien begriff seinen Fehler eine halbe Sekunde vor der<br />

Explosion. Die Druckwelle hob ihn an und schleuderte ihn durch den<br />

Raum. Er prallte gegen und über das Geländer und wäre um ein Haar<br />

in den Computerschacht gestürzt, der sich fünfzehn Etagen nach unten<br />

erstreckte, wenn Cera ihn nicht am Kragen zu fassen bekommen und<br />

vor einem garantiert tödlichen Fall bewahrt hätte. <strong>Sie</strong> hob ihn<br />

mühelos, und als sei O’Brians Gewicht nicht der Rede wert, über das<br />

Geländer. O’Briens Gesicht war schmerzverzerrt, blutig und<br />

schmutzig. Kleine Splitter hatten sich überall in die Haut gebohrt.<br />

Cera schlug auf ihren Kommunikator und rief ein medizinisches<br />

Team, dass sich wenige Sekunden später sofort bei ihnen<br />

materialisierte.


„Es ist nichts ernstes.“, diagnostizierte der Arzt nach kurzer<br />

Untersuchung. „Keine Sorge, Professor, sie werden es überleben.“<br />

O’Brien keuchte. „Ach ja? Das hier vielleicht. Aber sicher nicht das<br />

Gespräch mit meiner Frau...“<br />

Das erste Gesetz<br />

Sha’Nyn hatte nicht genau gewusst, was sie erwarten sollte, als sie<br />

sich am Nachmittag auf den Weg zum Hauptplatz gemacht hatte. <strong>Sie</strong><br />

wusste von Yoko, dass Tala dort eine Demonstration gegen die<br />

Ankunft eines gewissen Sidak vorbereitete. Eine recht große<br />

Angelegenheit offenbar nach allem, was sie so mitbekommen hatte.<br />

Aber Andorianer machten auch keine halben Sachen.<br />

Sha’Nyn selbst hatte nie zuvor von diesem Sidak gehört. Ein<br />

polarisierender Redner war er offenbar, und ein Vulkanier – so viel<br />

stand fest. Seine Ankunft auf der Akademie hatte unter den Studenten<br />

für einige Debatten und offenbar auch viel böses Blut gesorgt.<br />

Zumindest hatte sie das im Vorbeigehen aufgeschnappt, wie man<br />

eben Dinge mitbekam, die einen eigentlich gar nicht interessierten.<br />

Und wenn Sha’Nyn ehrlich war, lag ihr auch nicht besonders viel<br />

daran, näheres über diesen Sidak zu erfahren, oder überhaupt in diese<br />

ganze Sache hereingezogen zu werden. Es war ihr schlicht egal wer da<br />

was sagte. Am liebsten hätte sie sich einfach ihren Studien gewidmet.<br />

Aber sie musste sich eingestehen, dass Wotan mit seinen Worten ins<br />

schwarze getroffen hatte. Sha’Nyn brauchte wirklich eine Pause. <strong>Sie</strong><br />

gab nur widerwillig zu, wenn sie unrecht hatte, aber es stimmte; sie<br />

verpasste gegenwärtig einfach zu viel von dem, was im Leben ihrer<br />

Freunde vor sich ging. Und ein eigenes führte sie fast gar nicht mehr.<br />

Vielleicht lag es an Sortaks Abwesenheit. Er hatte es immer perfekt<br />

verstanden, ihr die Richtung zu weisen, wenn sie mal drohte vom Weg<br />

abzukommen. Aber da er die Akademie geschmissen hatte, musste sie<br />

nun ohne ihn auskommen. Dank neuen Freunden wie Wotan, standen<br />

die Chancen gar nicht mal so schlecht, dass sie das schaffte. Also<br />

musste sie auf den Tiger hören.<br />

Sha’Nyn wollte wirklich nicht irgendwann zu jenen alten<br />

Waschweibern gehören, die sich so sehr in ihrer Tätigkeit verloren


hatten, dass sie nichts anderes mehr kannten. Denn dann würde sie<br />

irgendwann alleine dastehen. Aber so weit musste es ja nicht kommen.<br />

Und die Demonstration war eine gute Gelegenheit mal wieder<br />

rauszukommen. <strong>Sie</strong> selbst kannte zwar die Hintergründe nicht, aber<br />

die Sache war wichtig für Tala, also hatte Sha’Nyn jeden Grund dabei<br />

zu sein, und Tala zu unterstützen.<br />

Während sie durch die paradiesischen Gärten schlenderte –<br />

Boothby’s märchenhaftes Reich -, eine kühle Brise vom Meer her<br />

durch ihr Haar wehte, und sie die Sonne auf ihrer Haut spürte, die<br />

hoch am wolkenlosen, perfekt blauem Himmel stand, fühlte Sha’Nyn<br />

fast so etwas wie Entspannung – etwas, das sie schon lange nicht mehr<br />

empfunden hatte. Es war, als hätte sie wochenlang den Atem<br />

angehalten, und nun endlich ausgeatmet.<br />

Es war schön.<br />

Es sollte nicht lange anhalten.<br />

Der Weg beschrieb eine ausgedehnte Kurve, und mit dem nächsten<br />

Luftzug kam einsetzender Lärm herübergeweht, der schnell lauter<br />

wurde, je näher sie kam, und der seinen Ursprung zweifellos am<br />

Versammlungsplatz besaß. Die Bäume und Hecken versperrten ihr<br />

zunächst noch die Sicht, aber nach ein paar weiteren Metern errichte<br />

sie das Ende des Weges, trat auf die Peripherie der Wiese und was sie<br />

sah, erstaunte sie für ungefähr zwei Sekunden. Dann dachte sie, ja,<br />

das passt.<br />

Der Platz glich einem Irrenhaus.<br />

Tala hatte es irgendwie geschafft die halbe Akademie und noch<br />

dazu sehr viele Zivilisten zu mobilisieren, die sich alle, wild<br />

diskutierend, um eine kleine Tribüne drängten. Dort gab es ein derzeit<br />

unbesetztes Rednerpult und auf dem Schild dahinter prangten die<br />

Worte „Frieden ja, Rassismus nein!“. Passend dazu hingen überall im<br />

Park verteilt diverse Poster, auf denen Andorianer und Vulkanier<br />

gemeinsam abgebildet waren.<br />

Trotzdem war die Stimmung nicht unbedingt die friedlichste. Man<br />

konnte zwar nicht behaupten, dass die Emotionen überkochten, aber<br />

sie waren auch nicht weit davon entfernt. Den überragenden Teil der<br />

versammelten Menge bildeten die Andorianer – einige waren in Zivil,<br />

aber die meisten in Uniform. Ein blaues Meer der Hitzigkeit. Aber es<br />

waren auch Vulkanier, Menschen und viele andere zugegen, die sich<br />

für das gleiche einsetzten wollten, auch wenn Uneinigkeit darüber


estand, wie man sich dafür einsetzen sollte. Einige besprachen<br />

leidenschaftlich die beste Vorgehensweise, andere programmierten<br />

Slogans für ihre holographischen Schilder, auf denen sie Sidak zum<br />

Verlassen der Erde aufforderten, und manche machten einfach ihrem<br />

Ärger Luft, in dem sie ein wenig vor sich herschimpften.<br />

Sha’Nyn konnte sich nicht im entferntesten Vorstellen, was Sidak<br />

getan hatte, um die Leute bis zu diesem Grad zu erzürnen, aber es<br />

musste etwas von einiger Gewichtung gewesen sein. Obwohl die<br />

Andorianer recht wild und streitlustig waren, waren sie nicht so leicht<br />

zu empören. <strong>Sie</strong> schienen Sidak bloße Anwesenheit ja schon für eine<br />

Beleidigung zu halten. Außerdem waren sie ja hier nicht alleine<br />

vertreten, viele andere empfanden offenbar genauso.<br />

Sha’Nyn stopfte die Hände in ihre Jackentasche, wich<br />

vorsichtshalber einigen besonders zornigen Gesellen aus und suchte<br />

die Menge nach vertrauten Gesichtern ab. Aber Tala kam ihr zuvor.<br />

<strong>Sie</strong> stand irgendwo am Rand und hatte sich gerade mit einem anderen<br />

Kadetten unterhalten. Für sie war es natürlich weitaus leichter<br />

Sha’Nyn unter all den Andorianern auszumachen, als es umgekehrt<br />

der Fall war.<br />

„Shan!“, rief sie fröhlich und winkte ihre Freundin herüber. Es war<br />

nun eine ganze Weile her, dass sie sich gesehen hatten. Das letzte Mal<br />

vor einer Woche bei der letzten Teambesprechung, sofern sich<br />

Sha’Nyn richtig erinnerte. Die Begrüßung viel daher umso herzlicher<br />

aus. Sha’Nyn war froh, dass sie ihr nichts übel nahm.<br />

„Hallo Fremde!“ Tala griff gut gelaunt Sha’Nyns Hinterkopf und<br />

zog sie zu sich heran, bis sich die beiden Mädchen an der Stirn<br />

berührten - was der traditionellen andorianischen Begrüßung unter<br />

engen Freunden entsprach. Normalerweise gehörte zwar auch ein<br />

„High Five“ der Fühler dazu, die jeden Andorianer auf der Stirnseite<br />

auszeichneten, aber da Sha’Nyn bedauerlicherweise keine besaß<br />

(eindeutig der größte Nachteil menschlicher Physiologie), musste es<br />

auch ohne gehen. Dann lösten sie sich voneinander und Tala rubbelte<br />

lächelnd Sha’Nyns Oberarme, während sie das Mädchen betrachtete,<br />

als hätten sie sich länger nicht gesehen, als es tatsächlich der Fall war.<br />

„Du bist ja immer noch so kurz.“<br />

Sha’Nyn grinste. „Und du bist ja immer noch so blau.“<br />

Tala lachte.


In Wahrheit hatte sich Sha’Nyn ganz schön gemacht, wie Tala fand.<br />

<strong>Sie</strong> war zweifellos wieder ein paar Zentimeter gewachsen, seit sich<br />

ihre Wege das letzte Mal gekreuzt hatten – mit ihrer<br />

Tiefenwahrnehmung hatte Tala ein hervorragendes Gespür für solch<br />

kleine Details. Und das körperliche Training machte sich an Sha’Nyns<br />

Schultern und Oberarmen deutlich bemerkbar. Von ihren bisherigen<br />

Übungseinheiten im Flugsimulator (über die man besser den Mantel<br />

des Schweigens legte) mal abgesehen, waren ihre Noten alle über dem<br />

Durchschnitt – selbst ohne Hilfe der Lerngruppe. Mit ihr hatte Tala<br />

also keine Probleme, weshalb sie Sha’Nyn auch keinen Druck<br />

gemacht und in Ruhe gelassen hatte. Sofern ihre Leistungen den<br />

Schnitt des Teams nicht herabzogen, konnte sie ihre Freizeit gestalten,<br />

wie sie es für richtig hielt. Freiwillig auch nach dem Unterricht noch<br />

zu lernen, war sicher nicht das verkehrteste.<br />

Trotzdem war es nicht nur schön, sondern auch lustig, sie zu sehen,<br />

zumal es einem noch vor wenigen Wochen schwer gefallen wäre, sich<br />

Sha’Nyn so vorzustellen, wie sie heute war. <strong>Sie</strong> hatte sich anfangs von<br />

allen am meisten dagegen gesträubt, diese Uniform zu tragen, und in<br />

die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der lebenden Sternenflotten-<br />

Legende. <strong>Sie</strong> hatte befürchtet, in seinem Schatten zu versinken. Aber<br />

da sie nicht den gleichen Karrierezweig eingeschlagen, sondern etwas<br />

eigenes gefunden hatte, das sie begeisterte, und worin sie gut war,<br />

hatte sich Sha’Nyn mit der Situation abgefunden.<br />

Talas Meinung nach war es zwar eine kaum verzeihliche<br />

Verschwendung von Talent, dass Sha’Nyn lieber Artefakte<br />

ausbuddeln wollte, anstatt Befehle auf dem Kommandodeck eines<br />

Raumschiffes zu geben, aber Hauptsache sie fand Gefallen an dem,<br />

was sie tat und war gut darin.<br />

Und nun stand sie hier, in voller Uniform, und in der<br />

Jahrgangsjacke gehüllt, die sie – auch wenn es Sha’Nyn niemals<br />

zugegeben hätte – ja vielleicht sogar mit einigem Stolz trug.<br />

Aber vielleicht sah Tala jetzt auch nur Gespenster. <strong>Sie</strong> sagte: „Ich<br />

weiß jedenfalls zu schätzen, dass du hergekommen bist.“<br />

„Kein Problem“, versicherte Sha’Nyn, obgleich sie dennoch den<br />

Drang verspürte in ihr Zimmer zurückzukehren und zu studieren. Und<br />

deswegen fühlte sie sich schlecht. Um sich schnell auf andere Dinge<br />

zu konzentrieren, ließ sie ihren Blick über die versammelte Menge<br />

schweifen. Es sah so aus, als würden ständig mehr Leute eintreffen –


und fast alle waren Andorianer. Sha’Nyn wusste gar nicht, dass so<br />

viele von ihnen an der Akademie studierten. Aber bei Tausenden von<br />

Schülern... da fielen sie wohl nicht besonders auf. Nicht mehr als jeder<br />

andere jedenfalls. „Ganz schön... erstaunlich.“<br />

„Nicht wahr?“, fragte Tala begeistert. „<strong>Sie</strong>h nur, was man alles<br />

erreichen kann, indem man sich weigert, Fanatikern den Weg<br />

freizumachen.“<br />

„Was habt ihr überhaupt vor?“<br />

„Sidak will morgen Nachmittag seine Rede im Hauptgebäude<br />

halten. Dort wird er zweifellos versuchen, sein Gedankengift unter das<br />

Volk zu bringen. Die Presse wird da sein. Und wir auch.“<br />

Sha’Nyn neigte misstrauisch den Kopf.<br />

„Keine Sorge.“, kam ihr Tala zuvor. „Wir wollen nur eine friedliche<br />

Gegendemonstration führen und somit einen Ausgleich schaffen. Ein<br />

Zeichen setzen, sozusagen.“<br />

„Na das ist ja mal etwas ganz neues für uns. Und die<br />

Akademieleitung erlaubt das alles? Bist du sicher?“ Das konnte sie<br />

sich nämlich nur schwer vorstellen. Die Anforderungen, die man an<br />

die Kadetten stellte waren streng, so streng, wie Pflichten und<br />

Einschränkungen, die man ihnen auflegte. <strong>Sie</strong> mussten schließlich ein<br />

erstrebenswertes Bild abgeben. Irgendwo zu stehen und Anti-Schilder<br />

in die Höhe zu halten, entsprach wohl kaum diesem Bild.<br />

„Womöglich ist Sidaks Anwesenheit hier gar nicht so zufällig. Ich<br />

könnte mir gut vorstellen, dass das ganze nur wieder ein komplexer<br />

Test ist, um zu sehen, wie wir auf ihn reagieren, und Sidak wird als<br />

Köder benutzt.“<br />

Tala hatte eine andere Theorie: „Vielleicht will man auch nur sehen,<br />

ob wir den Schneid besitzen, aufzustehen und die Stimme zu erheben,<br />

wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das nicht richtig ist.“ Die<br />

Andorianierin zuckte mit den Schultern. „Möglich ist alles. Aber ich<br />

glaube viel eher, dass sie es sogar von uns erwarten. Die<br />

Akademieleitung mag Sidaks Anwesenheit nicht verbieten können,<br />

weil es ein schlechtes Bild auf diese Institution werfen würde.<br />

Janeway sind in dieser Hinsicht ganz einfach die Hände gebunden.<br />

Wie kann die Sternenflotte auch von Toleranz sprechen, und dann<br />

solche Leute abweisen? Und zugeben kann sie es natürlich auch nicht.<br />

Aber wenn wir, die Kadetten etwas unternehmen, aus freien Stücken,<br />

und ohne Aufforderung, dann ist das etwas ganz anderes. Dann kann


sich Sidak kaum dagegen beschweren, und wenn, können wir ihn mit<br />

seiner eigenen Argumentation der Tür verweisen.“<br />

„Huh. Das macht sogar Sinn.“<br />

„Und außerdem... haben wir prominente Unterstützung.“<br />

Wie auf Stichwort, war das der Moment, in dem Galak sich durch<br />

die Menge kämpfte und herbeigeeilt kam. Sein Vormarsch geriet nur<br />

kurz ins Stocken, als er Sha’Nyn neben Tala sah, womit er offenbar<br />

nicht gerechnet hatte. „Oh... Hi.“<br />

Oh... hi.<br />

Oh... hi? Das war alles? Oh... hi?<br />

Irgendwie enttäuschend. Und ärgerlich. Und typisch. Sha’Nyn hätte<br />

beinahe unzufrieden geseufzt, aber sie konnte sich gerade noch<br />

beherrschen und schenkte ihm stattdessen ein zurückhaltendes, aber<br />

ehrliches Lächeln. Eine merkwürdige Situation. <strong>Sie</strong> war sich nicht<br />

mehr ganz sicher, wie sie zu Galak stehen sollte, und näher als ein<br />

Lächeln, wollte sie ihm momentan nicht kommen. Eigentlich hatte sie<br />

angenommen, die Sache überwunden zu haben, aber da er jetzt auch<br />

noch in ihren Träumen auftauchte....? <strong>Sie</strong> hatte nicht den blassesten<br />

Schimmer, was sie daraus machen sollte. Und ein Teil von ihr, einer,<br />

von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass er da ist, hasste es, die<br />

beiden zusammen zu sehen.... wofür sie sich wiederum selbst hasste.<br />

Es war kein angenehmer Gedanke. Freunde sollten nicht so<br />

voneinander denken. Aber gegen ihre Gefühle konnte sie nun mal<br />

nichts machen.<br />

Eine Sekunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, starrten sie sich<br />

nur verlegen an. Dann ging der unangenehme Moment endlich vorbei<br />

und Galak wandte sich an Tala: „Er ist bereit runterzubeamen.“<br />

„Perfekt!“<br />

„Wer ist bereit runterzubeamen?“, fragte Sha’Nyn. „Von wem<br />

sprecht ihr?“<br />

Tala bedeutete Sha’Nyn ihr zu folgen. <strong>Sie</strong> versuchten gemeinsam<br />

zur umlagerten Tribüne vorzudringen, als Sha’Nyn auf der Hälfte der<br />

Strecke beinahe über Das Grau gestolpert wäre. Einerseits fand sie es<br />

merkwürdig, ihn hier anzutreffen, da sich der Briori für gewöhnlich<br />

rein gar nichts aus sozialen Zusammenkünften machte. Andererseits<br />

war es schließlich Grau. An ihm war alles merkwürdig.<br />

Für gewöhnlich rannte er hyperaktiv in der Gegend herum, weil sein<br />

Metabolismus doppelt so schnell war, wie der eines Menschen. Man


hatte immer den Einruck, jemand hätte eine Spieluhr zu schnell<br />

aufgezogen, wenn man mit ihm zusammen war. Nun jedoch stand er<br />

ruhig auf der Stelle, schien alles um sich herum vergessen oder<br />

ignoriert zu haben, und las in einem Datenblock, der halb so groß war,<br />

wie er selbst. Vermutlich war er nur aus Loyalität hier – obwohl es<br />

schwer vorstellbar war, dass er das höchst menschliche und für ihn<br />

zweifellos völlig fremde Konzept überhaupt verstand – und ging<br />

nebenbei Aufgaben durch oder löste schwere Gleichungen. Grau war<br />

zweifellos das Genie der Gruppe. Ein geborener Astronavigator, der<br />

seine Lehrer regelmäßig sprachlos machte. Dafür war es etwas<br />

schwer, ihn in die sozialen Unternehmungen zu integrieren.<br />

Sha’Nyn strich sich eine Strähne hinters Ohr, während sie sich zu<br />

ihm herabbeugte. „Hey, Grau. Das ist ein ziemlich dicker Wälzer, den<br />

du da hast. Was liest du? Etwas über Warpfeldsymmetrie?<br />

Hyperspace-Physik? Oder etwas über temporalfragmentarische<br />

Chemie?“<br />

Sein Übersetzer klickte: „Dante’s. Inferno.“<br />

Das war alles. Mehr sagte er nicht.<br />

Sha’Nyn starrte ihn eine Weile an. Als nichts mehr kam, richtete sie<br />

sich auf und ging verdrossen weiter. „Yeah, das ist ein<br />

Konversationskiller.“<br />

Als sie wieder zu den andere aufschloss, und sicher war, dass Grau<br />

sie nicht mehr hören konnte, fragte sie: „Ist irgendwas normal an<br />

diesem Briori?“<br />

„Ich habe ihn gestern beim Frühstück Cheerios mit Milch essen<br />

gesehen.“, antwortete Tala. „Ziemlich normal, wenn du mich fragst.“<br />

„Das war Chlorreiniger mit Yoghurt.“, wusste Galak.<br />

„Oh. Ich nehme alles zurück.“<br />

<strong>Sie</strong> kletterten auf die Bühne, und Galak ging ans Mikro, was auch<br />

dem Rest nicht entging. Nach und nach verstummten die Gespräche<br />

und alle wandten sich nach vorn. Yoko und Durkin hatten bereits oben<br />

gewartet und offenbar alles vorbereitet. Yoko war über eine kleine<br />

Konsole gebeugt und bemerkte Sha’Nyn gar nicht. Durkin hingegen<br />

bemerkte sie sofort. Sein Gesichtsausdruck erhellte sich und er schlug<br />

ihr mit voller Wucht gegen den Oberarm, was der traditionellen<br />

Tellaritenbegrüßung unter Freunden entsprach.<br />

Ouch.


<strong>Sie</strong> schaffte es gerade so, nicht aufzukeuchen. Die andorianische<br />

Begrüßung war ihr lieber.<br />

„Hallo, Sha’Nyn!”<br />

„Hi, Durk.“ <strong>Sie</strong> verzog das Gesicht. „Freut mich auch, dich zu<br />

sehen.“<br />

Dann räusperte sich Galak. Ein merkwürdiges Gequietsche drang<br />

aus den Lautsprechern - Rückkopplung. Yoko modulierte schnell die<br />

Frequenz an der provisorisch aufgebauten Konsole, dann war das<br />

Quietschen verschwunden. Er gab Galak ein Zeichen.<br />

Der beugte sich wieder zum Mikro und machte die Einführung kurz.<br />

„Meine Damen, Herren und andere Geschlechter: Captain Kovan.“<br />

Damit trat er wieder zurück und gab diesmal Yoko ein Zeichen.<br />

Anschließend gesellte er sich zu Tala, die irgendwie recht aufgeregt<br />

war – und damit war sie nicht alleine. „Ich kann es nicht glauben, dass<br />

du ihn tatsächlich herbekommen hast.“, flüsterte sie begeistert Galak<br />

zu. „Das vergesse ich dir nie!“<br />

„Das hoffe ich auch!“<br />

Tala zwinkerte verführerisch. „Du wirst reich belohnt werden.“<br />

Zum Glück konnte keiner sehen, wie Shanny mit den Augen rollte.<br />

Dann setzte das Summen eines Transporterstrahls ein.<br />

Tala wusste, sie hätte keine Gänsehaut verspüren sollen, als Captain<br />

Thelinsh Kovan th’Zarath – kurz Kovan - auf der Bühne<br />

endmaterialisierte. Trotzdem konnte sie sich nicht helfen. <strong>Sie</strong> war ihm<br />

schon einmal auf Andor begegnet, auch wenn er sich zweifellos nicht<br />

an sie erinnern würde – nicht erinnern konnte -, da sie nicht<br />

miteinander gesprochen hatten. Tala war damals erst acht gewesen<br />

und trotzdem ganz allein zu den Riffen des Gerel-Meeres gereist, nur<br />

um Kovan dort sehen zu können. Er hatte eine kleine Reder an der<br />

dortigen Kunstakademie gehalten, und Tala hatte es sogar geschafft<br />

sich durch die Menge in die erste Reihe vorzumogeln und ihm sehr<br />

nahe zu sein. Aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich damals nicht<br />

getraut zu ihm herüberzutreten. Aber sie erinnerte sich noch sehr<br />

genau an jenen Tag (auch an die Standpauke ihrer Mutter, ohne deren<br />

Erlaubnis Tala aufgebrochen war), und jetzt war ihre Reaktion noch<br />

genau die gleiche wie damals.<br />

Kovan war sprichwörtlich eine lebende Legende. Wenn andere<br />

Sternentlottencaptains Missionsberichte sendeten, hieß es darin immer<br />

nur >jenen Sektor kartographiert< >diesen Nebel erforscht< >jene


Diplomaten eskortiert


unberührt gewesen wäre; sie hatte sich die Hände fest auf ihre Ohren<br />

gepresst, um ein gewissen Maß an Abschirmung aufzubringen. Als<br />

alles vorbei war, blickte sie erstaunt zu Durkin auf und sagte: „Das...<br />

war laut. Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst.“<br />

Durkin schnäubte verächtlich und warf den Kopf in den Nacken.<br />

„Ich mache es nicht gerne.“, erklärte er wie selbstverständlich. „Kratzt<br />

im Hals. Aber das ist noch gar nichts, du solltest mal die Opersängern<br />

von Tellar hören.“<br />

„Huh. Ich glaube das sollte ich besser nicht.“<br />

„Captain Kovan.“, brachte Tala schließlich heraus. In ihren Ohren<br />

klingelte es immer noch (damit war sie nicht die einzige), und ihre<br />

Fühler wollten sich einfach nicht aufrichten, als hätte Durkin sie mit<br />

seinem Gebrüll an ihren Schädel getackert (womit sie ebenfalls nicht<br />

die einzige war). „Willkommen auf der Erde, Sir.“ <strong>Sie</strong> reckte ihm eine<br />

leicht zitternde Hand entgegen, die Kovan mit festem Händedruck<br />

schüttelte. „Vielen Dank.“ Dann richtete er den Finger auf Durkin.<br />

„Das war sehr beeindruckend, junger Mann.“<br />

„Natürlich war es das.“, schnäubte Durkin. „Wir Tellariten sind in<br />

allem, was wir tun beeindruckend.“<br />

Kovan nickte lächelnd.<br />

Tala konnte nicht anders, als einen gewissen Stolz zu empfinden.<br />

Ein Mitglied ihrer Staffel hatte Kovan beeindruckt. Und es war<br />

schließlich Kovan gewesen, der einmal gesagt hatte, eine Gruppe sei<br />

nur so gut, wie der Anführer. Damit hatte sie also direkt bei ihm ein<br />

Stein im Brett. Gleichzeitig fiel ihr ein anderer Stein vom Herzen, da<br />

Kovan nicht wütend war und Verständnis zeigte. Aber dafür war er<br />

auch viel zu großartig.<br />

Als nächstes wandte sich der Andorianer an die Menge. „Meine<br />

werten Freunde...“<br />

Alles war still, als er zu sprechen begann. Nicht einmal die Zirpen<br />

grillten. Jeder wartete gespannt auf seine Worte.<br />

„...zunächst möchte ich, dass ihr begreift, dass ich an freie<br />

Meinungsäußerung glaube. Ich glaube an das erste Gesetz der<br />

Verfassung der vereinten Föderation der Planeten. Es lautet, dass der<br />

Föderationsrat kein Gesetz erlassen darf, dass die Einrichtung einer<br />

Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder<br />

Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu<br />

versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen


zu ersuchen.“ Er macht eine dramatische Pause. „Aber selbst das erste<br />

Gesetz ist nicht absolut. Es gibt Grenzen, wo das erste Gesetz zu einer<br />

Gefahr für die Gesundheit und das Wohl der Bevölkerung wird. Ich<br />

kenne diesen Mann. Diesen Sidak von Vulkan, Doktor der Soziologie<br />

und Anthropologie. Ich kenne das Gift, das er verbreitet. In seinen<br />

Reden und in seinen Aktionen. Er verleumdet eine komplette Rasse.<br />

Er schürt hass und ermutigt einen Glauben, der unumwindbar zu<br />

Gewalt gegen Andorianer blauen Blutes führen wird. Es gibt<br />

bestimmte Worte, bestimmte Reden, denen man nicht zuhören, und<br />

die man nicht tolerieren sollte. Ich bitte euch: greift nicht zu Gewalt.<br />

Kreiert stattdessen eine Streikpostenkette, und erhebt eure Stimme<br />

friedlich zum Protest, um das Gift seiner Worte zu übertönen. Das ist<br />

euer gutes Recht als stolze Bürger der Föderation.“<br />

Er trat vom Mikrophon zurück, und ein tosender Applaus brandete<br />

durch die Menge. Tief bewegt von seinen Worten reckten einige<br />

Andorianer ihre Fäuste in die Höhe und jubelten.<br />

Tala hätte nicht glücklicher sein können. Kovan war der perfekte<br />

Redner. Er war sympathisch, freundlich und vernünftig. Er sprach mit<br />

jener Art ansteckenden Zuversicht, die andere automatisch mitriss.<br />

Die Leute schwiegen vor lauter Ehrfurcht.<br />

Während der Beifall anhielt, warf sie einen unauffälligen Blick zu<br />

ihrem Team. Sha’Nyns Mine war undurchschaubar, was immer sie<br />

auch von Kovans Worten hielt – positiv, oder negativ – sie ließ sich<br />

nichts anmerken. Durkin und Galak hingegen waren sichtlich<br />

beeindruckt. So wie sie selbst. So wie alle anwesenden.<br />

Tala empfand nichts als Stolz.<br />

Es war ein magischer Augenblick.<br />

Da war schlicht nichts, was diesen Moment hätte ruinieren können...<br />

....so dachte Tala jedenfalls.<br />

Und dann kam Yoko.<br />

„Hecklers Veto?“, fragte er, mit erstaunlicher Schärfe. „Ist es das,<br />

was sie wollen, Sir?“<br />

Der Applaus versiebte. Alle Blicke richteten sich auf den jungen<br />

Vulkanier. Kovan musterte ihn geduldig von Kopf bis Fuß. „Und... sie<br />

sind, junger Mann…?”<br />

„Kadett Yoko, Sir.“<br />

„Dang, Yoko!“, zischte Tala leise. Aber entweder hörte er sie nicht –<br />

was unwahrscheinlich war, da Vulkanier über ein hervorragendes


Gehör verfügten -, oder er hatte einfach entschieden, sie zu ignorieren.<br />

Was nicht gerade von ihrer Autorität zeugte. Es war Tala<br />

unangenehm, vor allem, da Kovan eine solche Tatsache sicher ebenso<br />

wenig entging. Er würde sie verantwortlich machen, weil sie keine<br />

Kontrolle über ihre Staffelmitglieder hatte.<br />

Aber Kovan blieb ruhig. Er bedeutete Yoko, näher ans Mikrofon<br />

heranzutreten, damit ihn alle verstehen konnten.<br />

Tala stöhnte auf.<br />

„Habe ich das richtig verstanden, Sir?“, sprach Yoko ins Mikrofon.<br />

„<strong>Sie</strong> denken also, dass unpopuläre Reden stillgelegt werden sollten,<br />

trotz des ersten Gesetzes?“<br />

Kovan antwortete: „Ich denke das erste Gesetz ist kein<br />

Selbstmordpakt, Kadett. Seine Existenz erfordert nicht, dass<br />

Föderationsbürger, oder eine bestimmte Gruppe von<br />

Föderationsbürgern Reden tolerieren müssen, die ihre Entmündigung<br />

oder Zerstörung fordern. Andorianer haben für ihren Platz und ihre<br />

Rechte in diesem Quadranten hart kämpfen müssen, und uns steht<br />

noch ein weiter Weg bevor. Die Beziehungen zwischen unserem Volk<br />

und ihrem Kadett, waren seit jeher angespannt. <strong>Sie</strong> müssten das am<br />

besten wissen. Wir brauchen ganz sicher keinen Doktor Sidak, der<br />

unsere Bemühungen hin zu einer friedlichen Koexistenz mit seinen<br />

Hasstiraden untergräbt. Weiterhin gibt es Drohungen gegen ihn, wo<br />

immer er hingeht. Er ist eine klare und große Gefahr für diesen<br />

Campus, denn – und da werden sie mir sicher zustimmen, Kadett –<br />

öffentliche Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Seine bloße Präsenz ist<br />

aufwiegelnd.“<br />

Yoko kniff die Augen zusammen. Seine Freunde waren erstaunt,<br />

dass sein Geist plötzlich einwandfrei funktionierte, wo Yoko doch<br />

sonst stets verwirrt und irgendwie immer leicht neben der Spur war.<br />

Die Momente, in denen er geistig ganz da war, waren rar gesät. Das<br />

Thema schien ihm also sehr wichtig zu sein, andernfalls hätte er sich<br />

niemals so konzentrieren können.<br />

„Haben sie in Betracht gezogen, Sir, dass es, hätte man dieselbe<br />

Logik immer vertreten, Leuten wie Surak, Marthin Luther King, oder<br />

Velos von Andor, niemals erlaubt worden wäre, in der Öffentlichkeit<br />

zu sprechen?“ Und er setzte fort: „Denken sie, die Syrranniten hätten<br />

eine Störung des Status Quo gewollt? Oder die weiße<br />

Führungsgesellschaft der Erde? Oder dass die Regierung der


andorianischen Hafenstadt gerne Gewalt in ihren Straßen riskierte, nur<br />

weil einige Aenar für ihre zivilen Rechte Demonstrieren wollten?“<br />

Yoko bekam davon nichts mit, aber Tala beobachtete mit einiger<br />

Sorge, wie die Stimmung unter den Leuten urplötzlich umschwang,<br />

als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Es wurden erste unschöne<br />

Zwischenrufe zur Bühne gefeuert. Andere schüttelten empört den<br />

Kopf, und wieder andere Schlugen die Fäuste zusammen – was bei<br />

Andorianern nie ein gutes Zeichen war. <strong>Sie</strong> verstanden nicht, wie der<br />

Vulkanier den Rassismus seines Landsmannes verteidigen konnte.<br />

„Yoko.“, zischte Tala leise. „Hör auf....“<br />

Aber er hörte nicht auf. „Dasselbe erste Gesetzt“, sagte er noch<br />

immer an Kovan gewandt „dass sie heute aus Bequemlichkeit beiseite<br />

schieben wollen, Sir, ist genau jenes Gesetzt, dass die andorianische<br />

Gesellschaft so wie sie heute ist, erst ermöglichte.“<br />

„Es war nicht das erste Gesetz, das uns das ermöglichte“, brüllte ein<br />

hochgewachsener Andorianer in der Menge. Seine Wangen waren<br />

weiß vor Wut. Er war sichtlich erbost. „Es war das Blut unserer Väter<br />

und Mütter, die von Spitzohren wie Sidak abgeschlachtet wurden!“<br />

Und ein anderer rief: „Du vergleichst diesen Gagh-Dreck fressenden<br />

Schleimteufel mit Velos von Andor? Zur Hölle mit dir!“<br />

Es kam unverzüglich zum Aufruhr zwischen den Zuschauern. Jeder<br />

sprach gleichzeitig, und die Worte „Skandal“ und „Wie kannst du es<br />

wagen?“ waren die lautesten, die verbreitet wurden. Innerhalb von<br />

Sekunden stürzte das ganze Kartenhaus in sich zusammen. Die<br />

Emotionen kochten über und ein Grossteil der Entrüstung wendete<br />

sich gegen Yoko, der plötzlich sehr verblüfft auf der Bühne stand, und<br />

nicht so recht zu begreifen schien, was geschah....<br />

....und in welcher Gefahr er sich befand.<br />

Tala fand nie heraus, wer von den Zuschauern den Stein warf –<br />

einer der Kadetten, oder einer der Zivilisten. Irgendwann entschied<br />

sie, dass sie es eigentlich gar nicht wissen wollte.<br />

<strong>Sie</strong> sah ihn nur plötzlich im hohen Bogen und äußerst zielstrebig auf<br />

Yokos Schädel zurasen. Er war so groß, dass er beträchtlichen<br />

Schaden anrichten würde, und Yoko, der ihn zu spät bemerkte, blieb<br />

keine Zeit mehr, auszuweichen.<br />

Tala atmete tief ein und kreischte: „Dang!“<br />

Den wenigsten war bekannt, dass sie ein besonderes Talent im<br />

Einsatz des Sonarschreis besaß, eine seltene, aber überaus nützliche


Fähigkeit, die nur die wenigsten Andorianer wirklich gut<br />

beherrschten. Dabei erzeugte sie eine hochenergetischen Sonarwelle,<br />

die in der Lage war Objekte und Personen zu zerschmettern. Sauber<br />

zu zielen gehörte zu den schwierigsten Disziplinen, aber auch darin<br />

war Tala eine Meisterin. <strong>Sie</strong> verfehlte höchstens bei drei von zehn<br />

Versuchen, aber unterm Strich traf sie, was sie treffen wollte.<br />

So auch jetzt.<br />

Millisekunden, bevor der Stein Yokos Schädel eingeschlagen hätte,<br />

lenkte Talas Sonarstrahl ihn ab, sodass er lediglich in die Rückwand<br />

der Tribüne einschlug.<br />

Dennoch drohte die Situation hässlich zu werden.<br />

Sehr hässlich.<br />

Kovan schob Yoko schützend hinter sich und versuchte die Menge<br />

zu beruhigen, von denen einige bereits dabei waren, zu ihnen<br />

hinaufzuklettern. „Zurück, Leute. Und beruhigt euch.“ Es war alles,<br />

was er tun konnte, um erhört zu werden, aber viel brachte es nicht.<br />

Daher warf er Tala einen strengen Blick zu. „Ich schlage ihr geht<br />

jetzt. Zumindest für den Moment.“<br />

Tala wiedersprach nicht. <strong>Sie</strong> gab Durkin ein Zeichen. Der sprang<br />

zur Rückwand der Tribüne, holte mit seiner gewaltige Pranke aus und<br />

schlug ein Loch in die Pappe, durch das sie hindurchschlüpfen<br />

konnten. Galak war natürlich der erste, der draußen war. Tala warf<br />

sich den äußerst verwirrten Yoko kurzerhand über die Schulter und<br />

folgte. Sha’Nyn und Durkin bildeten die Nachhut.<br />

Während sie die Beine in die Hand nahmen, und auf die Bäume<br />

zuhielten, hörten sie noch Kovan, der zu den Leuten sprach und um<br />

Vernunft bat.<br />

„Ruhig, Freunde. Attackiert den Jungen nicht, nur weil er ernste<br />

Fragen stellt. Wann immer bei einer Diskussion so starke Emotionen,<br />

sowie berechtigte Wut und Unverständnis im Spiel sind, ist es schwer,<br />

diese Gefühle in den Hintergrund zu drängen und die Angelegenheit<br />

mit kühlem Kopf anzugehen, aber genau das, müssen wir jetzt tun.<br />

Bevor man Frieden erringen kann – und dafür kämpfen wir schließlich<br />

alle – muss man die Beherrschung der eigenen Leidenschaft erlernen.<br />

Wut... ist jetzt das denkbar schlechteste...“


Tala explodierte praktisch vor Wut, als sie Yoko anfuhr: „Was in<br />

Uzaveh’s Namen hast du dir dabei gedacht?!“<br />

<strong>Sie</strong> waren nun ein gutes Stück vom Redeplatz, wo sie eigentlich<br />

hätten sein sollten, entfernt, und irgendwo in einem abgelegenen<br />

Bereich von Boothbys Park angekommen, der an die Lagerhäuser<br />

angrenzte. <strong>Sie</strong> waren so lange gelaufen, bis sie sicher waren, von<br />

niemandem verfolgt zu werden und außer Gefahr zu sein.<br />

Ihr Flucht – unfassbar, dass sie überhaupt eine hatten tätigen<br />

müssen - war wenigstens effektiv und schnell gewesen. Jeder hatte<br />

seine Aufgaben gekannt. Galak war vorausgerannt, um den Weg<br />

auszukundschaften (zumindest, wenn man es sich so drehte), Tala und<br />

Durkin hatten Yoko schützend in die Mitte genommen, und Sha’Nyn<br />

hatte die Nachhut gebildet. Nun sicherte sie mit Galak und Durkin den<br />

Bereich – was eben jener Effizienz entsprach, die Tala von ihrer<br />

Staffel erwartete.<br />

Zufrieden war sie dennoch nicht. Genaugenommen hatten die<br />

anderen sie noch nie so aufgebracht erlebt. Ihr Zorn war direkt an<br />

Yoko gerichtet, der einem durchaus leid tun konnte. „Ich kann nicht<br />

glauben, dass du mir so etwas antust!“<br />

„Antust?“ Yoko verstand nicht. „Was habe ich dir denn angetan?“<br />

„Du hättest mir helfen sollen, einen positiven Beitrag in dieser<br />

Sache zu leisten, Yoko! Stattdessen spielst du den Neunmalklugen<br />

und schlägst dich auf Sidak’s Seite!“<br />

„Ich habe nichts dergleichen getan. Ich wollte lediglich, dass<br />

Captain Kovan einen Moment über seine Worte nachdenkt, und den<br />

Fehler in seiner Argumentation erkennt“, erwiderte der Vulkanier<br />

völlig ruhig. Er war sogar so ruhig, dass es Tala schon wieder<br />

aufregte. Manchmal hätte sie diesen kleinen, verwirrten... knuffigen...<br />

Kerl einfach nur erwürgen können!<br />

<strong>Sie</strong> warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Dang, da ist er einmal<br />

in seinem Leben bei klarem Verstand, einmal, und wozu nutzt er das?<br />

Um die halbe Akademie gegen uns aufzuhetzen. Das hier war mir<br />

wichtig, Yoko! Bei Kovan einen guten Eindruck zu machen war mir<br />

wichtig! Hast du eine Ahnung, wie viel Einfluss er hat? Wie sich das<br />

auf meine Karriere auswirken könnte? Und jetzt ist alles... arrrgh!“ <strong>Sie</strong><br />

spuckte ein paar andorianische Flüche aus, die der Universaltranslator


nicht übersetzen konnte, vermutlich, weil er sonst explodiert wäre vor<br />

Scham.<br />

Dann marschierte sie ein paar Schritte auf die Wiese hinein und von<br />

Yoko weg und ließ sich ins hohe Gras fallen, um ein wenig vor sich<br />

hinzukochen. Tala hatte wirklich Angst, Yoko weh zu tun, wenn sie<br />

weiter mit ihm redete.<br />

Yoko sah ihr verwundert hinterher. Er wusste zwar nicht genau, was<br />

passiert war, und was Tala so erzürnte, aber er hegte den aufrichtigen<br />

Wunsch, sie zu trösten. Als er entsprechende Anstalten machen, und<br />

zu ihr rübergehen wollte, hielt Sha’Nyn ihn an der Schulter zurück<br />

und schüttelte einfach nur mit dem Kopf. „Lass sie.“<br />

Tala brauchte jetzt ein paar Minuten, um abzukühlen.<br />

Yoko fragte Sha’Nyn: „Und wie stehst du zu dieser Sache?“<br />

Gute Frage, dachte Sha’Nyn. „Ich... ich bin nicht sicher, ehrlich<br />

gesagt. Gibt es nicht genug Probleme und Streitpunkte? Warum noch<br />

mehr tolerieren? Oder überhaupt welche?“<br />

Yoko dachte einen Moment nach. „Hast du je etwas vom Sausalito-<br />

Marsch gehört?“<br />

„Ahm... nein. Meinst du mit Sausalito die Kleinstadt nördlich von<br />

San Francisco?“<br />

„Exakt. Es gab dort mal eine vulkanische <strong>Sie</strong>dlung - es war eine der<br />

wichtigsten, die mein Volk hier auf der Erde gründete, nachdem der<br />

erste Kontakt zustande kam. <strong>Sie</strong> bildete die Heimat für alle Vulkanier,<br />

die sich entschieden, auf der Erde zu leben, um der Menschheit in<br />

ihrer Entwicklung zu einer besseren Zukunft unter die Arme zu<br />

greifen. Heute hat sich die <strong>Sie</strong>dlung natürlich mit dem Rest der Stadt<br />

vermischt, aber vor zweihundert Jahren lebten dort ausschließlich<br />

Vulkanier. Ein kleines Stück Heimat sozusagen. <strong>Sie</strong> blieben praktisch<br />

komplett unter sich, auch wenn die Stadttore natürlich für jeden<br />

geöffnet waren.“<br />

„Uh-kay...? Worauf willst du hinaus?“<br />

„Was Terra Prime war, weißt du, nicht wahr?“<br />

„Sicher. Das war doch diese extremistische, fremdenfeindliche<br />

Gruppierung, die sich aus Menschen zusammensetzte und sich damals<br />

als Bürgerwehr verstand, nicht? Und sie machten sich zum Ziel,<br />

sämtliche Außerirdischen aus unserem Sonnensystem zu vertreiben,<br />

weil sie... Uh, ich weiß nicht, warum. <strong>Sie</strong> waren anscheinend<br />

Xenophob oder so.“


Yoko nickte. „Die Mitglieder und Sympathisanten von Terra Prime<br />

sprachen sich dagegen aus, mit Nicht-Menschen zu verkehren, weil<br />

sie eine Verwässerung und Vernichtung der menschlichen Kultur<br />

fürchteten. Im Jahr 2355, als sie stark angeschlagen waren, und ihnen<br />

die Mitglieder wegrannten, entschieden sie, die Vulkanier-<strong>Sie</strong>dlung in<br />

Sausalito sei der perfekte Ort, um sich zu versammeln. <strong>Sie</strong> taten es,<br />

weil sie jene Aufmerksamkeit benötigten, die etwaige Proteste gegen<br />

ihre Aktion zweifellos bringen würde. Die Erdregierung bekam Wind<br />

von ihren Plan und versuchte die Versammlung zu stoppen – ohne<br />

Erfolg. Terra Prime berief sich auf das Versammlungsrecht. Es kam<br />

zu starken Protesten unter jenen Menschen, die sich in der Aufgabe<br />

sahen, die Vulkanier vor der extremestischen Gruppe zu schützen –<br />

und dabei selber zu extremen Maßnahmen griffen. Es wurde mit<br />

Anschlägen gedroht und schon bald stand ganz Sausalito Kopf. Der<br />

Ort wurde zu einem Pulverfass, das jeden Moment hochzugehen<br />

drohte. Die Sicherheitsleute der Sternenflotte, die man zur<br />

Verstärkung heranzog, standen vor der schwierigen Entscheidung, auf<br />

welche Seite sie sich stellen sollten. Schließlich legten sie sich darauf<br />

fest, Terra Prime’s Recht auf eine Versammlung mit anschließendem<br />

Marsch zu verteidigen. Die Sternenflotte nahm dadurch einen<br />

gewaltigen Schlag hin. Etliche Offiziere kündigten ihren Dienst, und<br />

die Zahl der neuen Kadetten sank bei der nächsten Einschreibung<br />

beträchtlich ab. Politische Folgen blieben natürlich auch nicht aus,<br />

viele Bündnispartner kehrten der Erde den Rücken. Die Leute fühlten<br />

sich betrogen. <strong>Sie</strong> meinten, dass die Sternenflotte das falsche getan<br />

hätte, und dass das Versammlungsgesetz nicht für Terra Prime zu<br />

gelten hatte.“<br />

Sha’Nyn verstand, worauf er hinauswollte, aber trotzdem.... „Na ja,<br />

schon, Yoko, aber... Terra Prime zu unterstützen...? Also ich weiß<br />

nicht. Das finde ich auch nicht unbedingt in Ordnung. Diese Leute<br />

haben einige schlimme Dinge getan.“<br />

„Sha’Nyn. Ich bin Vulkanier. Aber ich wurde hier auf der Erde<br />

geboren. Ich lebe hier. Und ich lebe gerne hier. Ich verbrauche die<br />

Ressourcen eurer Welt. Und vielleicht suche ich mir hier irgendwann<br />

einen menschlichen Partner. Ich bin die Verkörperung dessen, was<br />

diese Leute hassten, und wenn es sie noch gäbe, dann wäre ich hier<br />

auf der Erde in Gefahr. Aber es würde rein gar nichts an meiner<br />

Einstellung ändern, und auch ich würde ihr Recht auf


Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung verteidigen, denn<br />

auf das erste Gesetz zu verzichten, wäre ein viel zu großer Preis für<br />

meine Gesundheit.“ Er drehte sich zu Tala, die noch immer mit dem<br />

Rücken zu ihnen im Gras saß und Boothbys unschuldige Blümchen<br />

ausriss.<br />

„Tala. Man darf niemandem das Wort verbieten, und genau das<br />

wollte Kovan vorhin. In dem Moment, wo einer zum Schweigen<br />

gebracht wird, sind alle in Gefahr.“<br />

Tala schnaubte. Natürlich hatte sie mitgehört. „Ja, ja, ich kenne den<br />

Drill: Ich bin anderer Meinung als du, aber verteidige dein Recht es<br />

zu sagen ruhig bis zum Tode!“ <strong>Sie</strong> stand energisch auf zeigte mit dem<br />

Finger auf ihn. „Denk was du willst, aber es gibt Dinge, die sollte man<br />

sich nicht anhören müssen, und die sollten sich unsere Kinder nicht<br />

anhören müssen. Ich teile die augenblicklich modische Ansicht nicht,<br />

dass jede Auffassung automatisch genauso viel Respekt verdient, wie<br />

jede gleichgeartete und entgegengesetzte Auffassung. Wenn mir<br />

jemand sagt, das Zentrum der Galaxis bestünde aus Biberkäse, und ich<br />

könne ihm nicht wiedersprechen, weil ich nie da war, dann ist mir das<br />

noch nicht einmal eine Antwort wert. Dir vielleicht?“<br />

„Nun...“<br />

„Wenn, dann bist du einfach nur naiv! Nur... geht es hier nicht um<br />

Biberkäse, sondern um die arrogante, gewaltschürende Verurteilung<br />

einer gesamten Rasse! Meiner Rasse! Ich bin nicht bereit einfach<br />

dazusitzen und die Fühler still zu halten, während mit Sidak ins<br />

Gesicht grinst und gleichzeitig daran arbeitet, mein Volk aus der<br />

Föderation zu werfen. Das lasse ich nicht zu! Und ich würde es auch<br />

nicht zulassen, wenn es um euch Vulkanier ginge. Aber dir ist ein<br />

Gesetz, das zweifellos Schlupflöcher hat, die sich Leute wie Sidak<br />

nutzbar machen, offenbar wichtiger, als so etwas unwichtiges“ sie<br />

stellte pantomimisch Gänsefüßchen dar „wie Loyalität, was?“<br />

Yoko runzelte nachdenklich die Stirn. Er wusste nicht, was er sagen<br />

wollte.<br />

Tala schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. <strong>Sie</strong> war sehr aufgebracht.<br />

„Ich bin enttäuscht von dir, Yoko.“ <strong>Sie</strong> versuchte es hart klingen zu<br />

lassen, aber man musste kein Betazoid sein, um zu merken, dass sie<br />

nicht enttäuscht, sondern verletzt war. „Furchtbar enttäuscht.“<br />

Damit wandte sie sich ab und stapfte zornig davon.


Yoko sah ihr lange und nachdenklich hinterher. „Ich... gestehe<br />

Probleme dabei zu haben, ihre Reaktion, und die der anderen<br />

Andorianer nachzuvollziehen. Andoria ist seit über zweihundert<br />

Jahren integraler Bestandteil der Föderation. Unsere Vorfahren waren<br />

davon überzeugt, dass wir gemeinsam mehr erreichen würden, als<br />

alleine. Wie kann sie glauben, dass sich die Meinung der<br />

Allgemeinheit nun geändert hat, nur weil ein einzelner Vulkanier<br />

unpopuläre Hypothesen aufstellt?“<br />

Sha’Nyn legte ihm zum Trost eine Hand auf die Schulter. „So<br />

simpel ist es nicht, Yoko. Andoria war immer eine stolze Welt, und<br />

sie disziplinieren ihre Kinder nach wie vor mit den Geschichten aus<br />

vergangenen Tagen. Geschichten in denen das Imperium auch alleine<br />

mächtig und furchteinflößend war, ohne eine Föderation., und wo sie<br />

ihre Kämpfe zu ihren Gegner getragen haben. <strong>Sie</strong> waren Eroberer und<br />

sie waren erfolgreich darin. Und du weißt, wie es um Andoria heute<br />

steht.“<br />

„<strong>Sie</strong>... haben Probleme.“<br />

„Das ist noch untertrieben.“, klinkte sich nun Durkin ins Gespräch<br />

ein. „<strong>Sie</strong> kapseln sich mehr und mehr vom Rest der Föderation ab.<br />

Soweit ich gehört habe, wurden erst letzte Woche<br />

Sternenflottenschiffe nach Andoria beordert, um den Kanzler zu<br />

ermutigen, sich mehr in Föderationsaktivitäten zu involvieren.“<br />

Galak war nicht sehr optimistisch, was das betraf. „Tala hat mir<br />

erzählt, der Kanzler würde eher mit denen sympathisieren, die finden,<br />

Andoria sollte sich komplett von der Föderation abspalten.“<br />

„Der andorianische Kanzler ist ein Idiot!“, blaffte Durkin. „Allein<br />

ist Andoria erst recht verletzbar.“<br />

Yoko wusste natürlich, dass die Andorianer in den vergangenen<br />

Konflikten fast immer die größten Verluste zu beklagen hatten. Vor<br />

allem das Dominion hatte ihnen schwer zugesetzt. „Aber der letzte<br />

große Konflikt liegt über siebzehn Jahre zurück. Der Quadrant war<br />

noch nie so friedlich wie heute.“<br />

„Und dennoch“, sagte Sha’Nyn „sind die Andorianer nicht wieder<br />

richtig auf die Beine gekommen. Und das seit so vielen Jahren, Yoko.<br />

Und trotz ihrer Mitgliedschaft in der Föderation. Das muss doch<br />

frustrierend sein für so ein stolzes Volk. Kein Wunder, dass sie sich


fragen, was diese Beteiligung ihnen überhaupt noch bringt. <strong>Sie</strong><br />

kämpfen unsere Kämpfe in unseren Konflikten, brauchen dann aber<br />

doppelt so lange wie wir, um wieder aufzustehen, und... und haben im<br />

Grunde nichts davon gehabt. Und dann machen sich manche von uns<br />

nicht einmal die Mühe, zu lernen, wie ihre Hochzeitsriten aussehen,<br />

wie ihre vier Geschlechter aussehen, oder was ihre Geschichte<br />

enthält.“<br />

„In der Sternenflotte machen wir uns die Mühe.“<br />

„Ja, Yoko, wir in der Sternenflotte. Aber die Sternenflotte ist nicht<br />

die Föderation. In der kochen viele ihr eigenes Süppchen. Diese<br />

Einstellung, die sich auch zunehmend auf Andoria ausbreitet,<br />

wiederspricht allem, woran Tala glaubt, verstehst du? <strong>Sie</strong> ist hier, sie<br />

glaubt an die Gemeinschaft. <strong>Sie</strong> will mit gutem Beispiel vorangehen<br />

und sie hofft irgendwann einen Beitrag leisten zu können, so wie sie<br />

überzeugt davon ist, dass auch Andoria – und jede andere<br />

Mitgliedswelt – einen Beitrag leisten muss, um jenes Paradies in dem<br />

wir leben allen zu ermöglichen. Und dann kommt so jemand wie<br />

Sidak und gießt Öl ins Feuer. Ich schätze sie hat einfach Angst.“<br />

Sha’Nyn seufzte. „Und ich kann sie verstehen. Für dich geht es um<br />

eine Grundsatzfrage. Für Tala geht es um viel mehr.“<br />

„Das ist unlogisch. Andoria ist als Teil der Gemeinschaft sicherer,<br />

als ohne die Föderation. Dessen ist sich zweifellos auch der Kanzler<br />

bewusst.“<br />

„Tja, mein lieber Yoko.“, sagte Sha’Nyn. „Logik... ist nicht<br />

unbedingt jedermanns Stärke...“<br />

Drake<br />

Logik war nicht Adrian Drakes Stärke. Und Zahlen erst recht nicht.<br />

Er betrachtete die ewig gleichen Anzeigen, auf die sie nun schon seit<br />

etlichen Stunden starrten und schüttelte verdrossen den Kopf. „Wenn<br />

ich nicht bald jemanden umlege, verlerne ich noch, wie das geht...“<br />

Ey’Leen Seeley, die neben Drake an einer Konsole saß, die<br />

identisch mit seiner war, hatte sich bisher an einem warmen<br />

Kaffeebecher festgehalten, während sie auf eine Veränderung auf den<br />

Anzeigen der Energiespitzen wartete, die einfach nicht eintreten<br />

wollte. Nun hob den Blick und bedachte ihren Partner mit einem


amüsierten Gesichtsausdruck. <strong>Sie</strong> kannten sich noch nicht lange, und<br />

Seeley hatte vom ersten Moment an erfolglos versucht Drake in ein<br />

privateres Gespräch zu verwickeln, um ihn besser einschätzen zu<br />

können. Aber im Einsatz war er immer kurz angebunden. Außerhalb<br />

ihrer Trainingseineheiten war das nicht anders - er begnügte er sich<br />

damit, jeglichen Versuch, in seine Seele zu blicken, mit frechem<br />

Sarkasmus und gespielt lässigen Kommentaren abzublocken. Daher<br />

begrüßte sie die Veränderung in seinem Verhalten, zumal sie hier<br />

ohnehin nicht viel tun konnten, als sich zu unterhalten. „Fühlen wir<br />

uns ein bisschen unterfordert, Drake?“<br />

Er machte eine auslandende Handbewegung und betrachtete ihr<br />

notdürftig errichtetes Operations-Zentrum, dass sich in einer<br />

abgesperrten Überwachungsstation im Computerkern befand, wo vor<br />

einigen Stunden der Anschlag auf Professor O’Brian stattgefunden<br />

hatte. Ihre Konsolen waren abgeschirmt und nur über unzählige<br />

Sicherheitsrelais mit dem Computerkern verbunden, um eine<br />

Wiederholung des Vorfalls zu vermeiden. „Du musst zugeben“, sagte<br />

Drake „das hier ist nicht gerade die angenehmste Art einen Tag zu<br />

verbringen. Über eine Konsole gebeugt, darauf wartend, dass etwas<br />

interessantes geschieht...“ Er schüttelte den Kopf. „Das war es nicht<br />

gerade, was ich im Sinn hatte, als ich mich beim taktischen Training<br />

einschrieb.“<br />

„Abzuwarten, dass etwas unerwartetes geschieht, ist Teil des<br />

Abenteuers, Drake. Es ist auch Teil der Frustration. Aber Geduld,<br />

mein Freund. Nicht alles kann immer aufregend sein, selbst in unserer<br />

kleinen Abteilung nicht.“<br />

Drake schnaubte. „Eine Untertreibung.“ Er war wirklich zu Tode<br />

gelangweilt.<br />

„Heh. Wärst du jetzt lieber bei den anderen Kadetten, um die Kunst<br />

der Diplomatie zu lernen?“<br />

„Der beste Diplomat, den ich kenne, ist eine voll aktivierte<br />

Phaserkanone.“<br />

„Und genau deswegen bist du beim taktischen Training<br />

hervorragend aufgehoben.“<br />

Er sah mit jenem sarkastischen Blitzen in den Augen zu ihr herüber,<br />

das sie inzwischen nur zu gut von ihm kannte. „Und ich dachte immer<br />

wegen meines charmanten und liebenswürdigen Wesens. Hinzu


kommt, dass ich bei jedem Bad darauf achte, mich zwischen den<br />

Zehen zu waschen.“<br />

„Fußhygiene? Du glaubst, du bist wegen Fußhygiene hier?“<br />

„Das ist eine meiner besten Eigenschaften...“<br />

Seeley lachte kopfschüttelnd, während er sich wieder dem Monitor<br />

zuwandte. „Weißt du“, sagte sie in einem gedankenvollen Tonfall<br />

„Als Sternenflotten-Offizier der dritten Generation, bin ich mit den<br />

Geschichten aufgewachsen, die mein Vater, meine Mutter und meine<br />

Großeltern über den Dienst in der Sternenflotte erzählt hatten.<br />

Geschichten über Helden, Erforschung und Abenteuer. Meine Mutter<br />

hatte zunächst ein Wissenschaftsschiff und anschließend ein<br />

Perimeterschiff nahe der romulanischen Grenze kommandiert, ehe sie<br />

in den Ruhestand ging. Mein Vater und meine Großmutter waren in<br />

der Sicherheitsabteilung tätig. Ich wusste immer, dass ich eines Tages<br />

ihren Fußstapfen folgen würde.“<br />

Ihr Blick kehrte sich nach innen. „Als mich der Admiral nach den<br />

Einschreibungstests in meinem Quartier aufgesucht und mir gesagt<br />

hatte, ich würde außergewöhnliche Fähigkeiten besitzen und vor mir<br />

läge eine glorreiche Zukunft, wenn ich sie kultiviere und für die<br />

richtige Sache einsetze, da hätte ich mir nie Träumen lassen, dass ich<br />

mal an so etwas hier Beteiligt sein werde.“<br />

„Daran in eine Abstellkammer gepfercht zu werden und auf einen<br />

Monitor blicken zu müssen, dessen Diagnoselauf ohnehin nicht weiß,<br />

wonach er suchen soll?“<br />

Ein breites Lächeln wuchs in ihrem Gesicht. „Nein. Ich meine das<br />

ganze Drumherum. Unsere Trainingseinheiten, die unzähligen<br />

Stunden im Simulator, und die vielen Instruktionen, die alle genau<br />

hierzu führen. Zu Geheimoperationen... Zu verdecktem,<br />

aufopferungsvollem Einsatz für die Unwissenden, damit sie in<br />

Sicherheit leben… Zu... zu etwas bedeutendem. Es ist fast wie in den<br />

Geschichten von früher. Und das ist erst die Spitze des Eisberges.<br />

Sobald unsere Ausbildung beendet ist, kommen die großen Dinge<br />

dran.“ Ihr kam ein anderer Gedanke und sie runzelte die Stirn. „Wo<br />

wir den Eid noch gar nicht abgelegt haben, sind wir doch streng<br />

genommen gar nicht dazu verpflichtet über diese Dinge hier<br />

stillschweigen zu bewahren, oder? Woher will der Admiral wissen,<br />

dass wir den Mund halten?“


Drake zuckte die Schultern. „Er holt eben nur Leute in sein Team,<br />

denen er trauen kann. Außerdem gibt es da noch andere Gründe...“<br />

„Welche“, fragte sie scherzhaft. „Bringt er jeden um, der zu<br />

plappern droht?“<br />

„Nun, einer hat es überlebt, aber der ist nicht mehr in der Lage es<br />

weiterzuerzählen.“<br />

Seeleys Lächeln erstarb auf der Stelle. Es war manchmal schwer zu<br />

sagen, ob Drake einen Scherz machte, oder etwas ernst meinte, eben<br />

weil er solche Sachen so unvergleichlich trocken über die Lippen<br />

brachte. <strong>Sie</strong> versuchte aus seinem Gesichtsausdruck herauszulesen, ob<br />

Drake sie nur auf den Arm genommen hatte, aber da war nicht das<br />

kleinste Zucken seiner Mundwinkel. <strong>Sie</strong> entschied schließlich, dass es<br />

sich nur um einen Scherz handelte. Ferner entschied sie, das Thema<br />

nie wieder anzusprechen und was man ihr auch immer beim taktischen<br />

Training anvertraute, mit ins Grab zu nehmen.<br />

Sicher war Sicher.<br />

Um ihre Stimmung zu heben, wechselte sie schnell wieder das<br />

Thema, gedanklich und verbal. „Ich hätte jedenfalls nie gedacht, auf<br />

Befehl eines Admirals, dessen Namen ich gar nicht kenne, eine<br />

anpassungsfähige Künstliche Intelligenz zu jagen, die Anschläge<br />

verübt...”<br />

Drake schien ihre Begeisterung kein bisschen zu teilen und gab nur<br />

ein teilnahmsloses „Aha“ von sich, während er weiter auf den Monitor<br />

starrte.<br />

Plötzlich kam sich Seeley sehr dumm vor. <strong>Sie</strong> öffnete hier ihr Herz,<br />

teilte ihre Gefühle und er saß einfach nur da, still und mit einem für<br />

ihn typischen Halbschlaf-Blick, der darüber hinwegtäuschte, dass er<br />

schon jetzt so gut ausgebildet war, einem mit wenig Aufwand<br />

ernsthafte Verletzungen zufügen zu können. Verflucht, irgendwie<br />

musste man diesen Kerl doch aus der Reserve locken können! <strong>Sie</strong><br />

hatte es sogar schon mit Verführung versucht, aber er hatte sie nur<br />

komisch angesehen, schief gegrinst, den Kopf geschüttelt und sie<br />

nicht weiter beachtet. Er war gut, wirklich gut. Aber jeder hatte eine<br />

Schwachstelle.<br />

Also knuffte sie ihm verspielt den Ellenbogen in die Seite und<br />

versuchte es auf die direkte Methode – Drake war ohnehin niemand,<br />

dem das Subtile sonderlich lag. „Du lässt mich hier erzählen und


erzählen... Aber was ist mit dir? Willst du deiner Partnerin denn gar<br />

nichts von dir preisgeben?“<br />

Er tat so, als müsse er einen Moment darüber nachdenken. „Nein.“,<br />

entschied er dann. „Da gibt es ohnehin nicht viel zu erzählen.“<br />

„Was ist dein Problem, Drake?“<br />

„Ich bin hier um böse Jungs zu jagen, nicht um Lebensgeschichten<br />

auszutauschen.“<br />

„Ach komm schon. Es muss doch etwas geben, dass dich antreibt.“<br />

„Ja, aber das geht dich nichts an.“<br />

Seeley nickte. „Okay.“, sagte sie leise. <strong>Sie</strong> ließ den Kopf ein wenig<br />

hängen und tat so, als hätte er ihre Gefühle verletzt. Darauf schien er<br />

interessanterweise zu reagieren, denn er sah stirnrunzelnd zu ihr<br />

herüber und rutschte auf seinem Stuhl herum. Das war es also. Das<br />

war seine Schwachstelle. Er fühlte sich in der Gegenwart von<br />

traurigen Frauen unbehaglich. Jetzt hatte sie ihn!<br />

Seeley setzte noch eins drauf und ließ ihre Unterlippe beben – nicht<br />

auf eine übertriebene Weise, und geradeso, dass man es ihr abkaufte.<br />

Eine perfekte schauspielerische Leistung, für die sie sicher den ein<br />

oder anderen Preis verdient hätte.<br />

Drake gab sich seufzend geschlagen. „Ich... kann nicht viel über<br />

meine Familie erzählen, weil von denen keiner mehr lebt. Überfall auf<br />

ein Kreuzfahrtschiff.“, erklärte er „Wir befanden uns auf halbem Weg<br />

von Risa zurück nach New Pacifica. Meine Eltern waren ein<br />

einflussreiches Unternehmerpaar, musst du wissen. Aber sie gönnten<br />

sich nur selten eine Auszeit. Daher hatten sie monatelang vor Antritt<br />

der Reise von dieser Kreuzfahrt geredet. Keiner von ihnen hätte damit<br />

gerechnet, dass eine Gruppe Isanza-Piraten das Schiff gnadenlos<br />

attackierte, als wir Rontar Minor – den verbotenen Sektor – streiften.<br />

<strong>Sie</strong> plünderten die Frachträume und schlachteten die Passagiere ab.<br />

Dabei war ihnen egal wen sie vor ihre Waffen bekamen – Frauen,<br />

Kinder... Als wäre es für sie nichts weiter als ein perverser Sport. Die<br />

Leute rannten panisch um ihr Leben. Keiner kümmerte sich noch um<br />

den anderen, jeder war nur noch um sein eigenes Wohlergehen<br />

besorgt. <strong>Sie</strong> kamen nicht einmal, als sich die Isanza meinen<br />

Schwestern zuwandten. An dem Tag habe ich begriffen, dass es keine<br />

Helden gibt.“<br />

Seine Stimme wurde merkwürdig kalt. „Ich sah mit an, wie sie erst<br />

Dominique töteten. <strong>Sie</strong> schossen ihr aus nächster Nähe in den Bauch.“


Er schnaubte. „Wendy und ich hatten mehr Glück, uns warfen sie<br />

nur eine Granate direkt vor die Füße. Ich war mitten drin, direkt in der<br />

Explosionswelle, die mich durch eine jener angeblich bruchsicheren<br />

Glasscheiben schleuderte, die das Unternehmen meiner Eltern<br />

ironischerweise herstellte. Ich habe das Feuer gespürt, die Hitze. Wie<br />

sie mir die Haut weggefetzt und mein Fleisch verbrannt hat. Die<br />

Schmerzen, die Atemlosigkeit, und wie der Aufprall meine Knochen<br />

zertrümmerte. Ich habe alles bei vollem Bewusstsein mitbekommen,<br />

jede noch so kleine unschöne Einzelheit. Doch das war nicht das<br />

schlimmste. Das schlimmste war, dass ich gleichzeitig mit ansehen<br />

musste, wie mit Wendy, dasselbe geschah. Während ich brannte, sah<br />

ich, wie sich ihre Haut auflöste, ihr Fleisch, wie Kerzenwachs, das<br />

herabbrannte, elendig qualvoll der Ausdruck in ihrem Gesicht, ehe ich<br />

gnädigerweise den Tod erwartend zusammenbrach, ehe ich...“ Er<br />

vollendete den Satz nicht, sondern starrte auf einen Punkt im Raum,<br />

der sich überall befand, nur nicht im Hier und jetzt. Drake machte den<br />

Eindruck, als würde er diese traumatische Erfahrung erneut erleben.<br />

Er konnte die Schreie der Sterbenden hören, das Brüllen des Feuers...<br />

„Ja, ich war mittendrin.“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu Seeley.<br />

„Aber ich habe trotzdem überlebt. Alles was die Rettungstrupps von<br />

mir inmitten der Trümmer fanden, war ein verkohlter Klumpen<br />

Fleisch, der aus irgendeinem kuriosen Grund noch atmete. Obwohl<br />

der Fall hoffnungslos erschien, machten sich die Ärzte ihrem Eid<br />

getreu an die Arbeit, steckten mich an Lebenserhaltungsmaschinen<br />

und wechselten alles aus, was auszuwechseln war. Meine Beine,<br />

meine Organe, meine Haut... Und irgendwie haben sie mich<br />

tatsächlich wieder hinbekommen. Dafür haben sie drei Jahre gebracht.<br />

Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihnen dafür danken soll, oder nicht. Es<br />

gibt Tage, viele sogar, an denen ich wünschte, ich sei im Feuermeer<br />

dieser Granate umgekommen. Und wenn ich nachts wachliege, allein,<br />

an die Decke starre und darüber nachdenke, nachdenke, warum ich<br />

überlebt habe, nur ich, und niemand sonst, dann komme ich zu dem<br />

Schluss, dass es daran liegt, dass meine Zeit noch nicht reif war. Dass<br />

ich noch etwas zu erledigen habe.“ Er sah Seeley tief in die Augen.<br />

Ihre eigenen hatte sie vor Entsetzen aufgerissen. <strong>Sie</strong> hätte mit allem<br />

gerechnet, nur nicht mit so etwas.<br />

„Deswegen bin ich hier.“, sagte Drake. „Ich habe nicht vor ein Held<br />

zu sein – so etwas gibt es ohnehin nicht. Ich habe auch nicht vor


Freundschaften zu schließen. Das beste, was ich mit meinem Leben<br />

anfangen kann, ist solche Typen, solche Gefahren für die<br />

Allgemeinheit, zu jagen und umzulegen. Das ist alles.“<br />

Nun sah sie die Bitterkeit in seinen jungen Augen, und in diesem<br />

Moment sah er furchtbar alt und ausgebrannt aus.<br />

„Du willst Rache.“, erkannte sie.<br />

„Nein. Ich will sie umlegen. Das ist Gerechtigkeit.“<br />

Seeley wusste nicht, was sie sagen sollte. Drake war grade mal<br />

sechzehn Jahre alt – und damit nur ein Jahr jünger als sie selbst. Was<br />

er durchlebt hatte, war unvorstellbar. <strong>Sie</strong> konnte sich nicht im<br />

entferntesten ausmahlen, wie man sich nach so einem Erlebnis fühlen<br />

musste. „Es... tut mir aufrichtig leid, Drake.“<br />

„Behalte das für dich, klar?“<br />

„Natürlich.“<br />

Für eine Weile schwiegen beide. Dann fragte Seeley vorsichtig:<br />

„Tust du deswegen immer so unberührt? Als würdest du nichts ernst<br />

nehmen?“<br />

„Ich tue nicht so. Ich bin unberührt.“<br />

„Das glaube ich nicht.“, entgegnete sie ehrlich. „Da schlägt immer<br />

noch ein ziemlich lebendiges Herz in dir.“<br />

Er brummte verärgert. „Wette nicht drauf.“<br />

Erneut das Schweigen. Drake spürte, wie Seeley sich tröstende<br />

Worte zurechtlegte, die er ohnehin nicht hören wollte. Es war ihm<br />

unangenehm und er bereute es, ihr überhaupt etwas erzählt zu haben.<br />

Jetzt wollte er sich nicht noch die Mitleidsbekundungen anhören<br />

müssen, von denen er schon viel zu viele in seinem Leben über sich<br />

ergehen hatte müssen. Also wechselte er das Thema. „Ich habe<br />

nachgedacht.“ Mit einem Kopfnicken deutete er Richtung<br />

Kontrollmonitor. „Irgendwas an dem Anschlag auf O’Brien kam mir<br />

spanisch vor, also habe ich mir Aufzeichnungen der<br />

Überwachungskameras noch mal angesehen. Und dann noch mal, und<br />

dann noch mal... Und dann ist mir bewusst geworden, was ich so<br />

komisch daran finde.“<br />

„Und was?“<br />

Er sah sie an. „Dass O’Brien noch lebt.“<br />

Falten bildeten sich auf Seeleys Stirnwülste.<br />

„Dieses Programm... diese KI... ist angeblich furchtbar weit<br />

entwickelt. Es denkt schneller als wir, es reagiert schneller als wir, es


handelt schneller als wir... wenn man Marcius glauben schenkt, ist es<br />

uns in jeder Hinsicht überlegen.“<br />

„Worauf willst du hinaus, Drake?“<br />

„Überleg doch mal. Diese KI möchte Sidak töten und jeden<br />

eliminieren, der in der Lage ist, es aufzuspüren oder aufzuhalten. Dazu<br />

gehört auch O’Brian. Es hatte seine Chance, es hätte ihn locker töten<br />

können. Stattdessen setzt es eine Überladung mit geringer<br />

Energiestärke ein, um die Schäden in Grenzen zu halten.“<br />

„Vielleicht ist es darauf programmiert, Kollateralschäden möglichst<br />

zu vermeiden.“<br />

„Glaub ich nicht. Dann hätte es eine differenziertere Methode<br />

benutzt, um O’Brien auszuschalten. Ihm einen Stromschlag verpassen,<br />

etwa. Oder einfach seine Zugangscodes löschen. Selbst mir fallen ein<br />

Dutzend Gewaltfreier Methoden ein, O’Brien in Schach zu halten.<br />

Eine KI, die angeblich so weit fortgeschritten ist, sollte ebenfalls<br />

elegantere Wege finden. Ich glaube eher in seinem Programm gibt es<br />

einen Konflikt. Vielleicht ist es lernfähiger als seine Programmierer<br />

beabsichtigten. Du musst bedenken, dass es sich seit Stunden in einem<br />

Akademiecomputer bewegt. Und was zeichnet die Akadmie aus?“<br />

„Pubertierende Jungs und Mädels?“<br />

„Das auch. Aber ich meinte etwas anderes, nämlich ein<br />

friedliebendes Miteinander. Die Kadetten hier werden von allen Seiten<br />

mit Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichten vollgequatscht und<br />

glauben es irgendwann. Wenn dieses Ding die gleichen Geschichten<br />

innerhalb weniger Stunden absorbiert... Ich könnte mir vorstellen, dass<br />

es einen eigenen Willen entwickelt, aber bisher noch nicht imstande<br />

ist, sich über seine Befehle hinwegzusetzen.“<br />

Seeley blickte ihn skeptisch an. „Du denkst die KI kämpft gegen<br />

sich selbst?“ Das konnte sie nur schwer glauben. Andererseits hatten<br />

sie oft genug Holodeckprogramme erlebt, die nach nur wenigen<br />

Stunden ein Ich-Bewusstsein entwickelt und sich über ihre<br />

ursprüngliche Programmierung hinweggesetzt hatten. „Wenn das<br />

stimmt, ist es vielleicht ja sogar empfindsam.“<br />

Drake nickte. „Dann hätten wir eine echte Chance.“<br />

„Und warum?“<br />

Drake hob seinen Phaser und winkte damit. „Wenn es empfindsam<br />

ist, können wir es verletzten. Und wenn es verletzbar ist, können wir<br />

es töten.“


„Und wenn es friedliche Absichten entwickelt?“<br />

„Umso besser. Dann schießt es nicht zurück.“<br />

Er grinste, stand auf und informierte den Admiral.<br />

Seeley sprach für eine ganze Weile kein einziges Wort mehr.<br />

Irgendwas in Drakes Augen machte ihr Angst. <strong>Sie</strong> wünschte, plötzlich<br />

sie wäre nicht so neugierig gewesen. Es war wirklich besser, manche<br />

Dinge im Verborgenen zu lassen.<br />

Mensa<br />

Erst gestern noch war es in den Räumlichkeiten der Mensa so<br />

freundlich gewesen, so angenehm. Es war ein Ort zum Abschalten.<br />

Um Freunde zu treffen, um dem Körper eine Auszeit vom<br />

Akademiestress zu gewähren, und... um sich für eine Stunde einfach<br />

nur über Dinge zu unterhalten, die völlig sinnfrei waren und nicht die<br />

geringste Rolle spielten. Hier konnte man sich erholen und Energie<br />

tanken. An diesem Abend jedoch, als Sha’Nyn eintrat, erschien ihr die<br />

lange Halle, die von der untergehenden Sonne in ein gelbliches Licht<br />

getaucht war, völlig fremd.<br />

Es lag an keiner spezifischen Veränderung. Sicher, es waren heute<br />

weitaus weniger Kadetten zugegen, als unter der Woche, was sich<br />

verständlicherweise auf die Lautstärke auswirkte. Der ewig<br />

vorherrschende Lärm scherzender, diskutierender und schmatzender<br />

Kadetten, der einem explosionsartig entgegenschlug, sobald man die<br />

Mensa betrat, war heute zu einem äußerst gedämpften Raunen<br />

verkommen. Noch immer klirrten Gläser, noch immer kreischten<br />

Messer auf den Tellern, und noch immer wurde sich unterhalten, aber<br />

es war dennoch stiller als üblich.<br />

Aber daran lag es nicht.<br />

Es waren die Blicke. Keine auffälligen natürlich, auch wenn sich die<br />

meisten eher wenig Mühe gaben, ihre Gefühle zu verbergen. Aber<br />

wenn man genau aufpasste, nahm die Veränderung wahr. Zum<br />

Beispiel Leute, die gestern noch gut aufeinander zu sprechen waren,<br />

funkelten sich heute verärgert an, sobald sich ihre Wege kreuzten –<br />

was in einem Raum wie der Mensa früher oder später immer geschah.


Und es war das Getuschel. Die Leute tuschelten, damit die Leute am<br />

Nebentisch nicht mitbekamen, worüber man gerade sprach. Es waren<br />

die kleinen, ungewöhnlichen Grüppchen, in denen sie plötzlich<br />

zusammensaßen. Es waren die Fraktionen, die sich wie aus dem<br />

Nichts gebildet hatten. Alles kleine Dinge, die in der Gesamtheit<br />

ungeheuer auffielen. Besser gesagt: es war die elektrisierende<br />

Stimmung, die irgendwie in der Luft hing. Eine Stimmung, wie man<br />

sie kurz vor Gewittern kannte. Man hatte das Gefühl, sie problemlos<br />

mit entsprechenden Instrumenten messen zu können. Und Sha’Nyn<br />

kannte die Ursache.<br />

Inzwischen wusste jeder, was auf dem Demoplatz geschehen war.<br />

Die Nachricht über Yoko, der den Rassisten verteidigte, hatte sich wie<br />

ein Lauffeuer verbreitet. Es war sozusagen das Gegenteil eines<br />

schwarzen Loches. Anstatt ins Nichts gezogen zu werden, und zu<br />

verschwinden, vollzog die Geschichte immer weitere Kreise. Und<br />

selbstverständlich erfuhr sie jedes Mal neue Ausschmückungen,<br />

während sie von einem Kadetten zum anderen weitergegeben wurde.<br />

Es war nicht schwer zu begreifen, dass Yoko gegenwärtig nicht die<br />

beliebteste Person auf dem Campus war.<br />

Allerdings hatten sich auch recht schnell Gegenstimmen breit<br />

gemacht, da viele seine Einstellung teilten, was viele andere wiederum<br />

nicht verstanden.<br />

Es war zu heftigen Diskussionen unter den Kadetten gekommen,<br />

und wie üblich spalteten sie sich in drei Lager: die einen standen<br />

vollkommen auf Yokos Seite, und die anderen auf Kovans. Und das<br />

dritte Lager interessierte sich schlicht nicht für solch trivialen<br />

Vorgänge und konzentrierte sich lieber auf den Lernstoff, der auch so<br />

schon einnehmend genug war. Diese Einstellung wurde meistens von<br />

den Kadetten aus dem dritten oder vierten Jahr vertreten, von denen<br />

sich momentan aber ohnehin nur die wenigsten auf dem Campus<br />

befanden, weshalb der Pegel der Vernunft – anders als sonst – eher im<br />

Unteren bereich angekommen war. Entweder befanden sich die Dritt-<br />

Jahres-Kadetten bei ihren Familien, oder gingen einem Praktikum auf<br />

Rambasen und Schiffen nach. Sha’Nyn war schon häufiger<br />

aufgefallen, dass die Kadetten aus den höheren Stufen irgendwie...<br />

erwachsener waren.<br />

Vernünftiger.


Manchmal fragte sich Sha’Nyn, ob sie hinter vorgehaltener Hand<br />

und auf die Frischlinge herabblickten, und all das, was diese Kadetten<br />

bewegte, die sich gerade erst am Anfang ihrer Karriere befanden, für<br />

Kinderkram hielten.<br />

Ihr kam es langsam wie Kinderkram vor. Zwar verstand sie sowohl<br />

Yokos, als auch Talas Standpunkt, aber es gab nun wirklich<br />

wichtigeres, als sich wegen solchen Dingen in die Borsten zu<br />

bekommen, wie es Durkin ausgedrückt hätte. Sha’Nyn zog noch so<br />

jede zähe Lektüre über archäologische Ausgrabungen den<br />

Diskussionen vor, die gegenwärtig vorherrschten. Leider konnte man<br />

sich ja auch nicht einfach davor verstecken – was sie am liebsten<br />

getan hätte, denn früher oder später wurde man immer von irgendwem<br />

mit diesen Themen behelligt. Vielleicht wurde sie ja auch langsam<br />

erwachsen?<br />

Das war durchaus möglich. Sha’Nyn wusste nur nicht, ob das etwas<br />

gutes, oder etwas schlechtes war...<br />

<strong>Sie</strong> sah kurz zum Menü, fand aber nur wenig Gefallen am<br />

dargebotenen. Und zumindest am Wochenende hatten die Kadetten<br />

die freie Auswahl – was Sha’Nyn zu nutzen gedachte, obgleich sie<br />

was das Essen betraf, im allgemeinen nicht sehr wählerisch war.<br />

Allerdings verspürte sie keine große Lust dem Thekenpersonal zu<br />

begegnen, die an solchen Tagen immer dazu neigten, einen in<br />

elendlange Gespräche über die Leiden und Gebrechen ihrer<br />

Verwandtschaft zu verwickeln. Dinge eben, für die sich junge<br />

Menschen kein Stück interessierten. Drukin hatte den Fehler gemacht,<br />

ihnen das, getreu seiner schroffen Art, direkt ins Gesicht zu sagen.<br />

Seither bekam er nur noch die kulinarisch eher weniger reizvollen<br />

Dinge serviert (die er ironischerweise aber am liebsten hatte). Soweit<br />

die Menschheit im ausgehenden 24. Jahrhundert auch gekommen sein<br />

mochte – gesellschaftlich und technisch – manche Dinge ändern sich<br />

eben nie.<br />

Sha’Nyn trat zum Nahrungsreplikator und bestellte nach kurzem<br />

Überlegen einen klingonischen Donnerschlag. Man nannte es<br />

Donnerschlag, weil nur die wenigsten Mägen damit zurechtkamen,<br />

wie es hieß. Der klingonische Donnerschlag sei derart voller Sirup<br />

und Zucker, dass er – wie Wotan es ausgedrückt hatte – vom<br />

Vorarbeiter im Magen, der mit diesem Besucher rein gar nichts<br />

anfangen konnte, unverzüglich und vermutlich mit verständnislosem


Kopfschütteln sofort an den Ausgang im Erdgeschoss verwiesen<br />

wurde. Den der Donnerschlag dann auch sogleich mit einigem Getöse<br />

durch das Treppenhaus rumpelnd aufzusuchen pflegte. Es liefe dann<br />

automatisch auf ein Wettrennen hinaus, zwischen dem Donnerschlag<br />

im Magen-Darm-Trakt, und dem Esser, der möglichst schnell eine<br />

Toilette benötigte, und zwar am besten eine, die sich im Idealfall in<br />

einem Quantenschutzbunker tief unter der Erde befand. Zum einen um<br />

Kollateralschäden zu vermeiden, sobald er die Apokalypse entließe,<br />

und zum anderen – und das war der wesentlich wichtigere Grund -,<br />

um dem Hohn und Spott der anderen nicht ausgesetzt zu sein.<br />

Gerüchten zufolge, sei nämlich genau das der alleinige Grund für<br />

die zahlreichen kleinen Erdbeben, die San Francisco stets<br />

heimsuchten. Würde man ein rütteln der Erde spüren, so hieß es, und<br />

ein tiefes, unheilvolles Grollen vernehmen, läge das vermutlich an<br />

einer armen Seele, die den Donnerschlag unter- und seinen Magen<br />

überschätzt hatte.<br />

Die Geschichte um den Donnerschlag machte bereits seit<br />

Jahrzehnten ihre Runde an der Akademie und inzwischen war der<br />

Donnerschlag zu einer Art Mutprobe der Frischlinge geworden, an der<br />

sich nicht gerade wenige beteiligten. Und nicht gerade wenige<br />

blamierten sich anschließend bis auf die Knochen, wenn der Schuss –<br />

sprichwörtlich – nach hinten losging.<br />

Den Donnerschlag zu überstehen, kam der verdrehten Version eines<br />

Ritterschlages gleich. Machte der Magen nicht schlapp, gewann man<br />

den Respekt all jener, die sich noch immer für solch kindische Dinge<br />

begeistern konnten – was, Sha’Nyns Ansicht nach – eigentlich nur bei<br />

Männern der Fall war. Verlor man, wurde man mit liebevollem Spott<br />

überhäuft und jahrelang damit aufgezogen.<br />

Für Sha’Nyn war weder das eine, noch das andere interessant. Als<br />

Archäologin, so malte sie sich aus, würde sie später viel Zeit auf<br />

anderen Planeten verbringen und sich anderen Kulturen anpassen<br />

müssen. Da konnte sie nicht erwarten, beim Abendessen etwas<br />

serviert zu bekommen, was auf den menschlichen Metabolismus<br />

zugeschnitten war. Ihr lag also viel daran, ihren Magen möglichst früh<br />

auf unerwartetes Vorzubereiten, und der Kurs „Galaktische Etikette“<br />

reichte ihr alleine nicht. Also hatte sie das Experiment mit dem<br />

Donnerschlag still und heimlich durchgeführt.<br />

Ohne Probleme.


<strong>Sie</strong> hatte den Donnerschlag nicht nur mühelos vertragen, nein, er<br />

hatte sogar einigermaßen geschmeckt. Also befand er sich nun<br />

offiziell auf der langen Liste der Dinge, die ihr zur Auswahl standen.<br />

Der Replikator summte kurz auf, und wenige Sekunden später,<br />

konnte Sha’Nyn den Teller dem Ausgabefach entnehmen.<br />

„Wenn ich mich nicht irre, ist das ein klingonischer Donnerschlag<br />

da auf deinem Teller!“, erkannte ein kurzer, dicklicher Junge, der am<br />

Replikator neben ihr stand. Er betrachtete Sha’Nyn mit einigem<br />

Argwohn. Sein Name war Cartman und er lebte drei Räume von<br />

Wotan und ihr entfernt.<br />

Sha’Nyn rollte die Augen. „Uh-huh.“<br />

„Du kannst keinen Donnerschlag essen.“<br />

„Wie du siehst, kann ich es doch.“<br />

<strong>Sie</strong> nahm an, dass er sie aufziehen wollte mit dieser dämlichen<br />

Mutprobe, denn Cartman war ein ziemlicher Schwätzer. Aber es ging<br />

ihm um etwas ganz anderes. „Du hattest keine Vorspeise, und das da<br />

taucht nicht mal auf dem Menü auf.“<br />

„Was ist los mit dir, Cartman?“, die sich zu ihm umdrehte. „Bist du<br />

schon so paranoid, dass du wirklich glaubst, die Akademieleitung<br />

beobachtet, ob wir unsere Mahlzeiten gemäß irgendeiner<br />

nichtexistenten Vorschrift zu uns nehmen?“<br />

„Diese Samstags-Menüs könnten ein Test sein. Wie im Paradies. Du<br />

hast den Apfel der Verdammnis auf dem Teller.“<br />

Das war ihr nicht einmal mehr einen Kommentar wert. Sha’Nyn<br />

schüttelte verärgert den Kopf, verließ den Servierbereich und sah sich<br />

nach einem Tisch um, an dem sie alleine sein konnte. Normalerweise<br />

hätte sie mit ihren Freunden gegessen, aber Sha’Nyn ging davon aus,<br />

dass sie nach ihrem Streit kaum beisammen sitzen würden, sondern<br />

über den Raum verteilt, und ihr war wenig gelegen für<br />

irgendjemanden Partei zu ergreifen. Dabei konnte man nur verlieren.<br />

Setzte man sich zu dem einen, war der andere beleidigt.<br />

Umso erstaunter reagierte Sha’Nyn, als sie Tala, Yoko, Durkin,<br />

Galak und Wotan gemeinsam an einem Tisch weiter hinten sitzend<br />

entdeckte. <strong>Sie</strong> schwiegen zwar gerade, aber andererseits brachten sie<br />

sich auch nicht um. Nach Talas Abgang hätte Sha’Nyn nicht geglaubt,<br />

die Andorianerin in den nächsten Tagen noch einmal in Yokos Nähe<br />

vorzufinden. Aber Tala war offenbar aus einem anderen Holz<br />

geschnitzt.


Sha’Nyn wusste nicht, ob sie so schnell in der Lage gewesen wäre,<br />

über ihren Schatten zu springen. Das war zweifellos auch der Grund,<br />

warum Tala sich am besten als Staffelführerin geeignet hatte.<br />

Sha’Nyn trat zu ihren Freunden herüber und deutete auf den leeren<br />

Platz neben Yoko. „Sitzt hier schon jemand?“<br />

Yoko betrachtete den Sitz eindringlich. „Falls ja, ist er jedenfalls<br />

außerordentlich gut getarnt.“<br />

„Heh.“, machte Sha’Nyn und stellte ihr Tablett ab. „Und schon ist<br />

unser guter alter verwirrter Yoko wieder da.“<br />

Tala schnaubte nur.<br />

Es gab also doch noch dickes Blut. Sha’Nyn beschloss, sich davon<br />

nicht irritieren zu lassen, und begann zu essen.<br />

„Ich war nie weg.“, versicherte Yoko, während er in seinem<br />

Gemüse herumstocherte. „Und so alt bin ich auch noch nicht.“<br />

„Nein, ich meinte... ach, vergiss, was ich meinte.“<br />

„Ist das ein klingonischer Donnerschlag?“<br />

Sha’Nyn hob den Kopf, und sah, wie Wotan ihren Teller mit<br />

einigem Interesse betrachtete. Er saß ihr gegenüber, hatte die Ohren<br />

gespitzt und wedelte neugierig mit dem Schwanz.<br />

„Keine Kommentare über meine Essgewohnheiten bitte, Wot.<br />

Willst du was abhaben?“<br />

„Du weißt, dass der nicht auf dem Menü steht, oder?“<br />

Na toll. Jetzt fing Wotan auch schon so an. „Okay, wir sind<br />

Vollzeitstudenten an einer militärisch organisierten Einrichtung, und<br />

man hat zweifellos ein Auge auf uns. Aber ich glaube kaum, dass die<br />

Akademie Buch führt, was ich am Wochenende esse.“<br />

Wotan blickte nach rechts, dann nach links, und dann sah er<br />

Sha’Nyn verschwörerisch an. „Bist du sicher?“ <strong>Sie</strong> wusste nicht, ob er<br />

sie nur necken wollte, oder tatsächlich glaubte, was er da sagte. „Es<br />

wäre nicht der erste Test, von dem wir überhaupt nichts<br />

mitbekommen, der aber in unsere Bewertung mit einfließt.“<br />

Die Vorstellung fand Sha’Nyn einigermaßen amüsant. „Ich kann<br />

meinen Rausschmiss richtig vor mir sehen: Von der Akademie<br />

geflogen, weil sie einen Donnerschlag gegessen hat. Mach dich nicht<br />

lächerlich, Wotan. Das ist Tickety-boo.“<br />

„Denk nur an den Klingonen. Es hält sich immer noch nachhaltig<br />

das Gerücht, dass Janeway ihn geschickt hat. Oder damals, als wir<br />

glaubten, die Akademie würde zerstört werden. Test.“


„Tickety-boohooo....“, beharrte Sha’Nyn. <strong>Sie</strong> nahm einen großen<br />

Bissen, und dann noch einen, und dann noch einen, und dann stoppte<br />

sie plötzlich. Wotan hatte recht. Die Akademieleitung hatte bisweilen<br />

ein Wissen über die Kadetten gezeigt, dass sie schlicht nicht haben<br />

konnten. <strong>Sie</strong> wussten, was die Kadetten tat, noch bevor sie es selbst<br />

wussten – dafür war die gesamte Einrichtung bekannt. Und man<br />

unterzog sie tatsächlich am laufenden Band Tests, die stete<br />

Wachsamkeit forderten. Vielleicht beobachtete sie jemand die ganze<br />

Zeit, selbst hier. Jemand, der all ihre Aktionen und Entscheidungen<br />

überwachte, und sich kleine Notizen machte, die sofort in ihre<br />

Dienstakten wanderten, die-<br />

Nein!<br />

Das war doch genau das, was sie wollten. Die Kadetten so lange zu<br />

verwirren, bis sie nicht mehr wussten, was Real und was Test war,<br />

und sich somit zu jeder Zeit an jedem Ort wachsam und... perfekt<br />

verhielten. Die perfekte Gehirnwäsche.<br />

Das sah Sha’Nyn nicht ein. Da wollte sie nicht mitmachen. Einen<br />

Roboter ließ sie noch nicht aus sich machen. Wenn man ihr eine<br />

schlechte Bewertung geben wollte, weil sie ihren eigenen Kopf und<br />

ihren eigenen Geschmack hatte, dann bitte. <strong>Sie</strong> hob die Gabel erneut<br />

und öffnete den Mund.<br />

Andererseits...<br />

... sie arbeitete so hart, dass es doch eine Schande wäre, ihr<br />

Archäologiestudium wegen so einer Lappalie aufs Spiel zu setzen.<br />

Sha’Nyn senkte die Gabel wieder und schob den Teller frustriert weg.<br />

„Jetzt darf ich nicht einmal mehr essen, was ich will.“<br />

„Aber“, fügte Yoko hinzu „du darfst noch sagen, was du willst.“<br />

Galak brummte zwischen zwei Bissen: „Möchtest du das wirklich<br />

hier ausdiskutieren? Beim Essen?“ Er hatte wenig Lust, den Streit<br />

fortzusetzen, zumal letztendlich einzig und allein er der leidtragende<br />

wäre. Schließlich musste er sich mit Tala ein Zimmer teilen, und ihre<br />

Laune war auch so schon auf dem Unterdeck.<br />

„Nein.“, ging Tala dazwischen. „Lass ihn. Wir sind eine Staffel. Wir<br />

sind Freunde. Wenn wir nicht darüber reden können, haben wir<br />

ohnehin schon verloren.“<br />

„Korrekt.“, pflichtete Yoko ihr bei. „Und es ist genau das, wofür<br />

das erste Gesetz steht. Nicht, um uns gegen rassistische Worte zu<br />

schützen, oder vor hassschürende Märsche. Sondern vor Zensierung.“


Er ließ das Wort einen Moment lang wirken. „Was geschieht, wenn<br />

man nicht mehr sagen kann, was man denkt? Man bekommt eine<br />

Gesellschaft, in der niemand in der Lage ist Hass zu bekämpfen,<br />

einfach weil ihn keiner sehen kann. Wir hätten niemals die<br />

Möglichkeit die Meinung von jemandem zu ändern, wenn wir nicht<br />

wüssten, wie sie sich überhaupt darbietet. Durch die Reden von<br />

Leuten wie Sidak erfahren wir, woran wir noch gemeinsam arbeiten<br />

müssen.“<br />

„Pah! Du vergisst etwas sehr wichtiges, Vulkanier.“, sagte Durkin<br />

mit schroffer Stimme. Bisher hatte er sich lediglich und ziemlich<br />

ungeschickt mit seinem Essen beschäftigt, von dem noch immer etwas<br />

in seinem wuchtigen Barthaar hing. „Nämlich die Tatsache, dass<br />

Sidaks Reden nicht zwangsläufig Sinn machen. Jeder einigermaßen<br />

talentierte Redner kann sich ein Thema herauspicken und sich äußerst<br />

überzeugend sowohl dafür, als auch dagegen aussprechen – vor allem,<br />

wenn er sich auf Studien und Statistiken bezieht, mit denen er selbst<br />

den absurdesten Streitpunkt noch untermauern kann, glaub mir. Das<br />

hat jeder Tellarit begriffen, noch bevor er in den Genuss seines ersten<br />

Schlammbades gekommen ist. Die Föderation als Gesellschaft neigt<br />

dazu, sich viel zu leichtgläubig auf sogenannte Fakten zu stützen, die<br />

in Wahrheit gar keine sind.“<br />

„So etwas ähnliches hat auch Tuvok heute morgen gesagt.“,<br />

pflichtete Sha’Nyn bei. <strong>Sie</strong> lehnte sich über den Tisch und nahm ein<br />

Brötchen von Galaks Tablett. Er rührte sie ohnehin nie an.<br />

Und Durkin setzte fort: „Ich garantiere euch, dass dieser Sidak sich<br />

ganz beliebig die verschiedensten Zahlen aus den Hufen ziehen<br />

könnte, um seine Behauptungen zu unterstützen, und keine davon<br />

würde die tatsächliche Realität wiederspiegeln – ob gewollt, oder<br />

nicht. Ich unterstelle ihm nicht einmal böses. Er würde einfach sagen:<br />

Meine Untersuchungen haben ergeben. Und dann könnte er allen<br />

möglichen Stuss hinzufügen. Das sind Trugschlüsse, die nur darauf<br />

warten, zu geschehen. Habt ihr je etwas vom großen Muckitymuck<br />

gehört?“<br />

Ein allgemeines Kopfschütteln war die Folge.<br />

Durkin schnäubte geringschätzig. „Typisch. Echte Berühmtheiten<br />

kennt ihr nicht. Der große Muckitymuck war einer unserer weisesten,<br />

stinkendsten und erfolgreichsten Redner, und oft unsere erste – und<br />

letzte – Waffe, um den tellaritischen Willen durchzus- um


diplomatische Verhandlungen zu führen.“, korrigierte er. „Er schaffte<br />

es nicht nur praktisch im Alleingang den Planeten Alpharetta für uns<br />

zu annektieren, oder den Growl-Krieg zu unseren Gunsten zu<br />

beenden, nein, er war auch dafür verantwortlich, dass wir letztendlich<br />

einen so großen Sitz im Föderationsrat erhielten. Nicht, dass wir den<br />

nicht ohnehin verdient hätten – der Föderation stünde es gut zu<br />

Gesicht, den Föderationsrat gleich von uns führen zu lasen, aber das<br />

ist ein anderes Thema. Jedenfalls, war der große Muckitymuck auch<br />

der Verfasser des Buches ‚Wer stahl das Schwein’, in dem er das<br />

Geheimnis seines Erfolges preisgab. Er stellte mehr als deutlich und<br />

anschaulich dar, dass Fakten im Grunde keine Rolle spielen, weil man<br />

sie sich – je nach Zweckmäßigkeit – in alle Richtungen drehen und<br />

interpretieren konnte. Wenn man dem großen Muckitymuck eine<br />

Umfrage, oder eine Statistik gab, die ganz klar eine Meinung<br />

unterstützte, dann zeigte er einem völlig leicht, wie man sie zu seinen<br />

Gunsten uminterpretieren konnte. Beispiel.“ Er drehte sich zu<br />

Sha’Nyn. „Sha’Nyn, du bist Single.“<br />

Danke fürs Erinnern, Durk.<br />

„Ja... und?“<br />

„Es gibt eine Studie, die besagt, dass laut einer Umfrage Singles<br />

weniger glücklich sind, als Leute in einer Beziehung. Würdest du das<br />

bestätigen?“<br />

Alle starten Sha’Nyn an.<br />

Okay, das wurde jetzt peinlich. <strong>Sie</strong> konnte ja schlecht sagen, dass<br />

sie tatsächlich unglücklich war. Vor allem nicht vor Galak und Tala.<br />

Also versuchte sie sich ihre Worte äußerst gründlich zurechtzulegen.<br />

„Erm... ich weiß nicht, ich kann das schlecht beurteilen. Aber ja,<br />

vielleicht stimmt das Umfrageergebnis. Hört sich doch vernünftig an,<br />

oder?“<br />

„Falsch.“, spuckte Durkin. Keiner Begriff, worauf er eigentlich<br />

hinauswollte. Daher sagte er: „Worauf ich eigentlich hinauswill ist<br />

folgendes: du könntest das Umfrageergebnis auch so interpretieren,<br />

dass Sha’Nyn nicht unglücklich ist weil sie Single ist, sondern, dass<br />

sie Single ist, weil sie unglücklich ist. Wer will auch schon ständig<br />

dasselbe lange Gesicht betrachten.“<br />

Sha’Nyn funkelte ihn böse an.<br />

„Ernsthaft, Sha’Nyn. Du bist biestig wie ein Kratzbaum.“<br />

„He, also hör mal...!“


„Du könntest glatt ein Tellarit sein.“<br />

Oh.<br />

Er hatte sie gar nicht beleidigen wollen. Es war ein Kompliment<br />

gewesen... glaubte Sha’Nyn zumindest. <strong>Sie</strong> war sich nicht sicher und<br />

viel zu verwirrt, um eingeschnappt zu sein.<br />

Tala hingegen konnte dem Tellariten absolut folgen. Auch wenn sie<br />

es niemals zugegeben hätte, bewunderte sie Durkins Einstellung.<br />

Obwohl er sich ständig bis zu Unerträglichkeit aufplusterte, wusste er<br />

genau, wovon er sprach. In Sachen aggressiver Diplomatie reichte<br />

niemand den Tellariten das Wasser, wie die Menschen zu sagen<br />

pflegten (aber da sie sich ohnehin niemals wuschen, wäre das, so<br />

dachte Tala, auch völlig... idiotisch gewesen.) Es war für sie eine<br />

Erleichterung, dass er ihren Standpunkt unterstützte. Noch vor<br />

wenigen Wochen, als sie sich kaum gekannt hatten, hätte sie das<br />

niemals angenommen. Damals war er ihr wie ein einziges Hindernis<br />

vorgekommen. Und jetzt...? Jetzt gehörte er zu den Zuverlässigsten<br />

Mitgliedern der Omega-Staffel.<br />

Man hätte ihn beinahe mögen können.<br />

Und tatsächlich war es auch Durkin, der das Gespräch fortsetzte, in<br />

dem er zu Yoko sagte: „Umfragen sind keine Fakten. Statistiken sind<br />

keine Fakten. Untersuchungsergebnisse sind keine Fakten. Es sind<br />

Zahlen, die lediglich genau jene Gewichtung erhalten, die wir ihnen<br />

geben. Der Punkt ist, dass es so viele Variablen gibt, dass wir niemals<br />

erschließen können, ob diese Zahlen letztendlich Akkurat sind, oder<br />

nicht. Es ist ein bestenfalls spekulatives Abbild der Realität. Sidak<br />

kann Fakten ausspucken, so viel er mag, um seine Ansichten zu<br />

untermauern. Das macht sie kein Stück zutreffender. Seine Thesen<br />

mögen auf manche Andorianer zutreffen. <strong>Sie</strong> mögen auf viele<br />

Andorianer zutreffen. Aber sie sind nicht zutreffend auf alle, und die<br />

sind es doch, die Sidak anspricht: alle. Alle Andorianer. Die gesamte<br />

Rasse. Und das nur, um Aufmerksamkeit zu erlangen, die wir auf<br />

wichtigere Dinge richten sollten.“<br />

Tala sah ihn beeindruckt an und musste ein Lächeln unterdrücken.<br />

„Du denkst also nicht, dass wir die Föderation in den Ruin treiben,<br />

weil unsere Wirtschaft nicht funktioniert?“<br />

„Selbstverständlich nicht!“, bekräftigte Durkin. „Ihr treibt die<br />

Föderation in den Ruin, weil ihr blauhäutige Idioten seid.“ Und damit


war das Gespräch für ihn erledigt, und er wandte sich wieder seinem<br />

Essen zu.<br />

So viel zu „man hätte ihn beinahe mögen können...“, dachte Tala<br />

verdrossen.<br />

„Ich bin mir über all dies im Klaren.“, versicherte Yoko geduldig.<br />

„Und wie ihr hoffentlich wisst, habe ich zu keinem Zeitpunkt auch nur<br />

eine von Sidaks Theorien unterstützt. Aber so falsch sie auch sein<br />

mögen, so richtig ist sein Recht, diese Theorien zu äußern. Die<br />

Korrekte Antwort auf seine Rede, wäre eine Debatte mit ihm. Wir<br />

sollten das erste Gesetz nutzen, um seinem Standpunkt die Basis zu<br />

entziehen, nicht, um ihm den Mund zu verbieten. Es wäre eine weitaus<br />

zivilisiertere Version mit dem Problem umzugehen, als Plakate<br />

aufzustellen, und Proteste zu führen. Man kann Leute wie Sidak nicht<br />

davon abhalten, das zu sagen, was sie für nötig halten. Aber wenn sie<br />

es tun, dann bietet sich allen anderen eine Gelegenheit, ihre Meinung<br />

ebenfalls öffentlich zu vertreten.“<br />

Sha’Nyn warf ein: „Was zu unzähligen Debatten über die<br />

nichtigsten Dinge führt, ohne, dass sich wirklich etwas bewegt.“<br />

„Was besser ist, als blinder Aktionismus.“, hielt Yoko wiederum<br />

entgegen. „Er gibt uns hier und jetzt die Möglichkeit, den Rassismus<br />

zu bekämpfen, der möglicherweise noch immer irgendwo in diese<br />

Welt schlummert. Er ist der Stein, an dem wir unsere Zunge schärfen<br />

können. Wir sollten ihm auf dem gleichen Level begegnen und<br />

miteinander reden.“<br />

„Aber genau das ist doch das Problem!“, platzte es aus Tala heraus.<br />

„Dang, man kann solchen Leuten nicht auf dem gleichen Level<br />

begegnen, Yoko, weil sie die Regeln nicht einhalten. Warum sollen<br />

wir es dann tun?“<br />

Das erstaunte Yoko. „Du bist der gleichen Ansicht wie Captain<br />

Kovan?“, erkannte er. „Du würdest ihm tatsächlich das Wort<br />

verbieten, wenn du könntest?“<br />

„Ja.“, sagte sie nach einem kurzen Zögern. Jetzt war es raus. Jetzt<br />

hatte sie es gesagt. Und sie fühlte sich gut dabei. „Ja. Ja, das bin ich<br />

tatsächlich! Man muss nicht jeden Blödsinn erlauben!“<br />

„Und wer entscheidet darüber, was... Blödsinn ist, und was nicht?“,<br />

fragte Yoko ernst. „Du?“<br />

Tala starrte ihn einen Moment lang wutschnaubend an. Seine Logik<br />

war wasserdicht. Alleine dafür hätte sie ihn erwürgen können.


Mussten diese Spitzohren immer so verflucht gefasst sein? Hätten sie<br />

sich nicht einfach ein wenig anbrüllen können? Tala hätte sich gleich<br />

viel besser gefühlt!<br />

Dann seufzte sie schwer. „Nein, natürlich nicht. Ich will nur... Ich<br />

meine... Dang, ich habe einfach Angst, dass Leute diesen Sidak ernst<br />

nehmen – oder schlimmer noch – ihn für harmlos halten. Denn das ist<br />

er nicht! Er ist eine Krankheit. Ein Tumor! Er legt die Saat, die schon<br />

in der nächsten Generation für Gewalt und Tot führen könnte.“<br />

„Das ist aber ein gefährliches Denken, Tala.“, musste Sha’Nyn<br />

einräumen. „Zumal keiner von uns mit Bestimmtheit sagen kann, wie<br />

sich die Dinge entwickeln. Vielleicht nimmt ihn wirklich keiner ernst,<br />

und wir reden uns hier wegen nichts den Mund fusselig.“<br />

„Die Leute sind Dumm, Sha’Nyn, und leicht beeinflussbar. Selbst in<br />

unserer Zeit, und es spielt keine Rolle, ob sie von Vulkan, von der<br />

Erde, oder von Andoria kommen. Es gibt immer Individuen, die<br />

anderen nachplappern, oder falsche Entscheidungen aus Eigennutz<br />

treffen. <strong>Sie</strong> sollten es besser wissen, aber sie tun es nicht. Nicht einmal<br />

hier. Oder hast du Finnegan vergessen?“<br />

„Nein.“ Wie hätte sie auch den Kadetten aus dem dritten Jahr<br />

vergessen können, der gleich bei ihrer Ankunft Cera gehänselt, und<br />

Sha’Nyn später in eine Schlägerei verwickelt hatte? Die Geschichte<br />

war auf dem ganzen Campus bekannt. „Aber ich habe mich mit ihm<br />

vertragen.“<br />

„Nachdem du ihm die Nase gebrochen hast.“, erinnerte Tala. „Zwei<br />

mal. Erst dann kam er zur Vernunft.“<br />

„Das war aber eher ein Einzelfall, denkst du nicht?“<br />

„Selbst wenn sich nur einer von Sidak beeinflussen und zu einer<br />

falschen Entscheidung, oder zum Rassismus hinreißen lässt, dann ist<br />

das schon einer zu viel, oder sehe ich das etwa falsch? Huh?“<br />

„Hm.“<br />

Mehr konnte Sha’Nyn nicht beitragen. Und auch die anderen<br />

schwiegen.<br />

Tala konnte nicht glauben, wie naiv ihre Freunde waren. „Macht<br />

euch das denn gar keine Angst?“ <strong>Sie</strong> schlug verdrossen auf den Tisch,<br />

um wenigstens irgendein Ventil für die Wut zu finden, die sich ihr<br />

beim Gedanken an Sidak aufstaute. „Ich finde es einfach falsch! Jede<br />

einzelne Faser meines Körpers sagt mir, dass es unhaltbar wäre, Sidak<br />

sprechen zu lassen. Man darf solchen Leuten nicht alles durchgehen


lassen, man muss ein Zeichen setzen, damit sie zur Vernunft<br />

kommen.“<br />

„Das... ist aber nicht sehr demokratisch.“<br />

„Nein, Yoko, ist es nicht. Es ist realistisch. Viele finden Verbote für<br />

eine Demokratie wie unserer nicht angemessen, aber das ist nur dann<br />

richtig, wenn sich alle an die Regeln der Demokratie halten. Die<br />

Föderation ist vielleicht vergleichbar mit einem besonders<br />

gutmütigem Mitmenschen. Mit dir, Yoko.“<br />

„Nun... danke... denke ich.“<br />

„Lass mich aussprechen. Dieser gutmütige Mensch kann nicht nein<br />

sagen und hilft seinen Freunden wo er kann. Ist seine Gutmütigkeit ein<br />

Grund diesen Menschen auszunutzen? Sicher nicht. Aber es gibt<br />

immer sogenannte Freunde, die es dennoch tun. Das ist einfach so.<br />

Das passiert nicht auf dem Papier unserer Verfassung, aber es passiert<br />

in der Realität, weshalb wir uns entsprechend anpassen müssen.<br />

Ähnlich verhält es sich mit unserer Demokratie und Sidak. Leute wie<br />

er nutzen die Liberalität einer Demokratie schamlos aus. <strong>Sie</strong> reden<br />

von Meinungsfreiheit und meinen Manipulation. <strong>Sie</strong> reden von<br />

Gerechtigkeit und setzen sich für die Vernichtung einer ganzen Rasse<br />

ein. Das muss sich eine Demokratie ebenso wenig gefallen lassen, wie<br />

der gutmütige Mitmensch, der nicht ausgenutzt werden möchte.“<br />

„Aber...“<br />

<strong>Sie</strong> ließ Yoko gar nicht erst zu Wort kommen, denn jetzt hatte sie<br />

sich heißgeredet. Während Tala sprach wurde sie immer<br />

unbefangener. <strong>Sie</strong> wusste, was zu sagen war, vertraute ihren<br />

Instinkten, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. „Meine<br />

Freiheit hört genau da auf, wo die Rechte meiner Mitmenschen<br />

anfangen. Meine Meinungsfreiheit hört genau da auf, wo die Gefühle<br />

meiner Mitmenschen durch meine Meinung ernsthaft verletzt werden.<br />

Das gilt für alle Bürger der Föderation. Zusammenleben braucht klare<br />

Regeln und Grenzen, auch in einer Demokratie. Das bedeutet, dass<br />

wir bestimmte Rechte haben, aber es bedeutet nicht, dass wir die<br />

Bedürfnisse unserer Mitmenschen deshalb außer Acht lassen dürfen,<br />

denn wir haben auch Pflichten! Es ist die Aufgabe der Demokratie<br />

diese Rechte und Pflichten zu formulieren, und es ist die Aufgabe der<br />

Sternenflotte sie durchzusetzen, damit alle etwas davon haben, und ich<br />

werde mit all meiner Macht dafür sorgen, dass sowohl das eine, als


auch das andere geschieht! Dafür steht diese Uniform! Dafür bin ich<br />

hier!“<br />

<strong>Sie</strong> stand auf und ließ sich das Gesagte einen Moment lang durch<br />

den Kopf gehen. „Ich weiß, so etwas möchten die meisten nicht hören,<br />

geschweige denn sagen. Aber ich sehe nicht ein, dass alles, was wir<br />

uns aufgebaut haben – Andorianer, Vulkanier, Menschen... ja sogar<br />

Tellariten wie der hier“ sie deutete auf Durkin, der sich gerade mit<br />

Suppe bekleckerte „– untergraben wird, weil ein Sidak meint, uns auf<br />

der Nase herumtanzen zu können, nur weil wir in einer Demokratie<br />

leben. Er hat genauso Pflichten wie alle anderen auch. Und er hat eine<br />

Verantwortung! Das sollten wir niemals vergessen. Und wenn Sidak<br />

das vergisst, dann werde ich ihn dran erinnern, und zwar mit dem<br />

größten Protest, den dieser verdammte Campus je gesehen hat!“<br />

Und damit marschierte sie davon, energisch, mit schwingenden<br />

Fäusten, und einem bemerkenswerten Sinn für Dramatik.<br />

Sha’Nyn drehte den Kopf und schaute ihr nach. Dann hörte sie, wie<br />

der Stuhl neben ihr über den Boden schrappte, weil jemand aufstand.<br />

<strong>Sie</strong> drehte den Kopf erneut, und sah noch, wie Yoko in die<br />

entgegengesetzte Richtung marschierte, bis er bemerkte, dass es dort<br />

überhaupt keinen Ausgang gab, und er vor einer Wand stand. Also<br />

machte er flott wieder kehrt und verließ die Mensa auf dem selben<br />

Wege wie Tala, nur, dass er bei nächster Gelegenheit woanders abbog,<br />

und hoffte, dass niemand sein Missgeschick gesehen hatte.<br />

Was natürlich nicht der Fall war.<br />

Sha’Nyn, Wotan, Durkin und Galak tauschten verwirrte Blicke und<br />

für einen langen Moment sagte niemand etwas.<br />

„Ich denke...“, äußerste Wotan, der wie üblich den vernünftigsten<br />

mimte „... du solltest mal nach ihr sehen, Galak.“<br />

„Bist du verrückt? In dem Zustand halte ich mich lieber so weit wie<br />

irgend möglich von ihr fern. Mach du doch.“<br />

„So mutig bin ich auch wieder nicht.“<br />

„Huh.“, machte Sha’Nyn, die nun schon seit einer ganzen Weile<br />

nicht mehr an den gemeinsamen Abendessen teilgenommen hatte.<br />

„Wie es aussieht... ist alles wie immer, was?“<br />

Und dann fragte Galak Wotan und sie: „Macht es euch eigentlich<br />

etwas aus, wenn ich heute bei euch übernachte?“<br />

Sha’Nyn starrte ihn an.


Dann begann Durkin plötzlich so laut zu lachen, und mit der Pranke<br />

auf den Tisch zu klopfen, sodass sein feister Bauch wippte – was ihm<br />

eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann bescherte. „Haha,<br />

dann müsste Sha’Nyn wenigstens nicht mehr von dir Träumen, haha!“<br />

Galaks verwirrter Blick wanderte von Durkin zu Sha’Nyn.<br />

„Träume? Was für Träume?“<br />

„Ich glaube...“, entschied Wotan schnell „Ich sehe doch lieber mal<br />

nach Tala...“<br />

Bevor jemand Einspruch erheben, oder ihn erwürgen konnte, war<br />

der Tiger bereits auf den Gang gesprungen und hatte die Mensa mit<br />

erstaunlicher Geschwindigkeit verlassen.<br />

„Was für Träume, Shan?“<br />

Sha’Nyn blickte auf den klingonischen Donnerschlag auf ihrem<br />

Teller, den sie kaum angerührt hatte. Irgendwie beschlich sie das<br />

unschöne Gefühl, dass es bald zu einem weiteren Donnerschlag<br />

kommen würde, und zwar einem, der seinen Ursprung überall fand,<br />

nur nicht im Replikator...<br />

Kovan<br />

Tala marschierte den Korridor hinab und überzeugte jeden, der ihr<br />

unterwegs zufällig begegnete, allein mit ihrem verärgerten<br />

Gesichtsausdruck davon, lieber freiwillig aus dem Weg zu gehen. <strong>Sie</strong><br />

bemühte sich ihren rasenden Herzschlag und das Pochen des Pulses in<br />

den Schläfen zu verlangsamen, aber es half nichts. <strong>Sie</strong> war wütend.<br />

<strong>Sie</strong> war so wütend, dass sie nicht genau wusste, was sie mit dieser<br />

Wut anfangen sollte.<br />

Und sie wusste auch nicht genau, worüber sie sich mehr ärgerte:<br />

Über die Tatsache, dass Yoko stur seine Meinung vertrat, oder<br />

darüber, dass sie sich so fürchterlich darüber aufgeregt hatte. Der<br />

kleine Vulkanier stand für das ein, was er für das richtige hielt, und<br />

ein Teil von ihr war sogar stolz darauf. <strong>Sie</strong> war stolz auf Yoko. Er<br />

hatte wenigstens eine Meinung und er war bereit, sie allen<br />

Widrigkeiten zum Trotz zu vertreten.<br />

Dummerweise... traf dasselbe auch auf Sidak zu. Und wenn sie<br />

Yoko respektieren konnte, obgleich sie seine Ansichten nicht teilte...


hätte sie dann nicht auch Sidak zumindest respektieren müssen?<br />

Alleine der Gedanke war abscheulich. Die Vorstellung, dass er sein<br />

Gedankengut auf andere übertrug, machte sie ganz krank. <strong>Sie</strong> konnte<br />

das nicht respektieren! Tala hasste diesen Kerl. <strong>Sie</strong> hatte sich dazu<br />

entschieden ihn zu hassen. Aber warum genau?<br />

Weil er dir vor Augen führt, wie schlecht es um die Beziehung von<br />

Andoria und der Föderation steht.<br />

Ohne jede Warnung drehte sich Tala herum und rammte ihre Faust<br />

wütend in die nächste Wand. Der plötzliche Knall lies die Kadetten,<br />

die sich in der Nähe befanden, aufschrecken. Tala schüttelte ihre Hand<br />

aus und setzte dann ihren Weg fort, ohne den verwirrten Leuten eine<br />

Erklärung zu bieten, warum sich da plötzlich eine Delle im<br />

Wandschott befand.<br />

Alles was Tala wollte war doch nur populär zu sein, respektiert zu<br />

werden, und dass ihre Leute hinter ihr standen, so wie sie hinter ihnen<br />

stehen würde, damit sie gemeinsam jemandem wie Sidak der im<br />

Paradies Zwietracht säen wollte, in den Hintern treten konnten. <strong>Sie</strong><br />

wollte Teil einer Gemeinschaft sein, so wie Andoria Teil einer<br />

Gemeinschaft sein sollte. Damit sie vereint größer sein konnten, als<br />

die Summe ihrer Teile. <strong>Sie</strong> wollte, dass es endlich wieder bergauf ging<br />

mit ihrer Heimatwelt, und dass sie bei ihrem nächsten Besuch auf<br />

Andoria keine Armenviertel mehr sehen und keine Nachrichten über<br />

Isolationistenbewegungen mehr lesen musste. <strong>Sie</strong> wollte durch die<br />

Straßen der Hafenstadt marschieren, stolz und in Uniform, und<br />

endlich wieder zahlreiche andere Andorianer in Sternenflotten-<br />

Uniformen erblicken, die von ihren eigenen Landsleuten nicht mehr<br />

schief und wie Verräter angesehen wurden. Stattdessen war sie nicht<br />

besonders souverän aufgetreten. Es war ihr nicht gelungen, die<br />

anderen zu überzeugen, und es war ihr – im Gegensatz zu Sha’Nyn –<br />

nicht egal, was sie von ihr dachten! Tala war alleine und... Andoria<br />

war alleine und...<br />

...und...<br />

Ach, es war alles so verflucht kompliziert!<br />

Vielleicht befand sich gegenwärtig nur eine einzige Person in<br />

diesem Sektor, der nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte, und mit<br />

dem hatte sie es sich bestimmt verscherzt, weil Yoko es für eine<br />

Kluge Idee gehalten hatte, sich vor einer Gruppe Andorianer für einen<br />

vulkanischen Rassisten einzusetzen.


<strong>Sie</strong> erreichte das Ende des Korridors und drückte auf das<br />

Kontrollfeld, um den nächsten Turbolift zu rufen. Unglücklicherweise<br />

benutzte sie dafür dieselbe Hand, die sie zuvor genutzt hatte, um einen<br />

bleibenden Eindruck in einer unschuldigen Wand zu hinterlassen.<br />

Konsequenterweise schoss ein Schauer aus Schmerz ihren Arm<br />

hinauf. Tala zog eine leichte Grimasse, ignorierte die Verletzung aber<br />

weitestgehend. Dann öffneten sich die Türen des Lifts.<br />

Irgendwie hatte sie es gewusst. Irgendwie hatte Tala gewusst, das<br />

Captain Kovan in der Kabine stehen würde, als sich die Türen beiseite<br />

schoben.<br />

Seit dem Vorfall heute Morgen hatten sie sich nicht mehr gesehen,<br />

und Tala hatte ganz bestimmt keinen guten Ersten und letzten<br />

Eindruck hinterlassen. „Ich kann den nächsten nehmen, Sir.“<br />

Wenn Kovan ihr böse war, so ließ er es sich nicht anmerken. „Nicht<br />

doch. Nur herein.“<br />

Er trat beiseite um ihr Platz zu machen. Tala zögerte kurz, trat aber<br />

schließlich ein und reckte das Kinn, ohne Kovan anzusehen.<br />

Die Türen schlossen sich.<br />

„Ihr Zielort?“, erkundigte sich Kovan höflich.<br />

Tala hielt es keine Sekunde länger aus. <strong>Sie</strong> ignorierte seine Frage<br />

und stellte stattdessen eine eigene: „Erlaubnis offen zu sprechen, Sir?“<br />

„Wenn ich >nein< sage, würde sie das aufhalten?“<br />

„Vermutlich nicht.“<br />

„Erlaubnis erteilt, dann.“<br />

„Was zum Glikar’do ist in Janeway gefahren?“ <strong>Sie</strong> wollte ihn nicht<br />

so anfahren, aber es polterte einfach so aus ihr heraus. „Wie können<br />

die Leiter dieser Institution Sidak nur sprechen lassen? Es ist<br />

verantwortungslos und falsch! Die müssen doch wissen, wie schlecht<br />

es um die Beziehungen unserer Welt mit der Föderation steht, und<br />

dennoch unternehmen sie nichts? Was für eine Art Feingefühl soll das<br />

sein?!“<br />

Kovan atmete traurig ein. „Vorgesetzte werden ihnen während ihrer<br />

gesamten Karriere Dinge sagen, und Dinge tun, mit denen sie nicht<br />

einverstanden sind, Kadett. Vorausgesetzt, sie haben eine Karriere.“<br />

Tala schluckte.<br />

„Aber davon bin ich überzeugt, wenn ich sie mir betrachte.“,<br />

beruhigte Kovan sanft. „Ich sollte es ihnen vielleicht nicht sagen,


Kadett, aber man ist auch an mich herangetreten und hat mir<br />

empfohlen, nicht auf ihrer kleinen... Demonstration aufzutauchen.“<br />

Tala blinzelte verblüfft. „Ach tatsächlich?“ Das klang ja furchtbar!<br />

„Es werfe kein gutes Licht auf diese Uniform und es würde die<br />

Dinge nur verkomplizierten und Öl ins Feuer gießen, hieß es.“ Kovan<br />

schüttelte betroffen den Kopf. „Kaum zu glauben, nicht wahr? <strong>Sie</strong><br />

laden Sidak ein, aber Ich bin in ihren Augen derjenige, der Öl ins<br />

Feuer gießt.“<br />

„Aber... warum haben sie sich dann trotzdem bereit erklärt uns zu<br />

unterstützen?“<br />

„Weil man manchmal für das einstehen muss, woran man glaubt,<br />

Kadett. Jedem Wiederstand zum Trotz. Wenn sie sich immer ihrem<br />

vorgesetzten Offizier beugen, ohne ihn zu hinterfragen, werden sie<br />

irgendwann brechen, junge Frau. Das Rangsystem ist keine<br />

Entschuldigung, ihre eigene Urteilskraft zu ignorieren. Verstanden,<br />

Kadett?“<br />

So ein Rat war ungewöhnlich, fand Tala. Bisher hatte keiner ihrer<br />

Lehrer auch nur angedeutet, dass man sich über Befehle<br />

hinwegsetzten sollte. Und Kovan sprach es direkt aus.<br />

„Ich.... bin nicht sicher.“<br />

Kovan betrachtete sie eindringlich. Dann fragte er: „<strong>Sie</strong> sind Taleras<br />

Tochter, nicht wahr?“<br />

Tala drückte unwillkürlich ihren Rücken durch. „Ja, Sir.“<br />

„Ich kannte sie. Gute Frau. Guter Captain. Hat auch nicht immer<br />

getan, was man ihr auftrug.“<br />

„Nein, Sir.“<br />

„<strong>Sie</strong> hatte ihren eigenen Kopf. Die Sternenflotte kann dankbar sein<br />

für Kommandanten wie ihre Mutter, James Kirk, Picard, Calhoun –<br />

und viele andere, die ihren Instinkten vertrauen und die Fähigkeit<br />

besitzen, sich neuen Situationen schnell anzupassen. Captains, die<br />

mutig und selbstsicher genug sind, das angemessene zu tun, ganz egal<br />

was Vorgesetzte, oder Regelbücher sagen.“ Er betrachtete Tala<br />

prüfend. „Ich frage mich, ob das eine Eigenschaft ist, die in der<br />

Familie liegt.“<br />

„Wollen sie mich zu etwas anstiften, Sir?“<br />

Kovan winkte lachend ab. „Aber nein. Allerdings würde ich ihnen<br />

empfehlen, noch nicht aufzugeben, Kadett. Heute morgen mochten<br />

sich die Dinge nicht ganz so entwickelt haben, wie sie erwarteten,


aber genau das ist die Lektion, die sie hier lernen sollten: Das<br />

Unerwartete zu erwarten. Und trotzdem weiterzumachen.“ Er zuckte<br />

mit den Schultern. „Der morgige Sonntag ist auch noch ein Tag. Ein<br />

Tag, an dem keiner von uns – und damit meine ich vor allem uns<br />

Andorianer - einfach beiseite treten, sondern für das einstehen sollte,<br />

woran er glaubt – egal was andere sagen. Irgendwo müssen wir<br />

beginnen die Fackel für unsere Welt hochzuhalten, um dem Bruch, der<br />

sich zwischen Andor und der Föderation auftut, entgegenzuwirken.“<br />

Kovan legte die Hände auf den Rücken und begann in der beengten<br />

Transportkapsel umherzuwandern. „Sehen sie, Kadett, wir beide sind<br />

uns ähnlich. Wir sind Andorianer. Wir sehen die Dinge so, wie die<br />

anderen Leute in unserer Umgebung sie nicht sehen. Wir fühlen die<br />

Tiefe des Raumes. Wir sehen ein breites Spektrum des<br />

Infrarotbereichs, der anderen verborgen bleibt. Wir sehen und erleben<br />

die Welt durch Fühler und Augen von Andorianern, die dazu geboren<br />

wurden, Loyalität, Stolz und Stärke und eine Vielzahl anderer<br />

Tugenden in die Welt hinauszutragen. Damit kann man unter all<br />

diesen fremden Spezies hier sehr alleine sein. Versuchen sie einem<br />

Menschen zu erklären, wie es ist Infrarot zu sehen. Versuchen sie<br />

einem Vulkanier zu erklären, wie es ist, Geräusche zu fühlen.“ Er<br />

winkte ab. „So etwas verstehen nur andere Andorianer. Aber wenn wir<br />

nicht aufpassen, werden Leute wie sie und ich, Kadett, bald völlig<br />

alleine und nirgends zuhause sein: Weder auf Andoria, noch in der<br />

Sternenflotte.“ Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu<br />

lassen.<br />

Tala begriff einmal mehr, was für ein hervorragender Redner Kovan<br />

war.<br />

„Aber so muss es nicht sein.“, sagte er schließlich. „Nicht, wenn wir<br />

beide bereit sind – Andoria und die Föderation -, enger<br />

zusammenzurücken. Wenn wir als Individuen bereit sind, uns anderen<br />

Leuten zu nähern. Jemand wie Sidak, der versucht einen Keil<br />

zwischen uns zu treiben, darf nicht einfach ignoriert werden.“<br />

„Es sieht schlecht aus, um unsere Welt, nicht wahr?“<br />

Tala hatte sehr leise gesprochen. Auch Kovan sprach nicht gerne<br />

darüber. „Der Kanzler... ist ein törichter Mann mit einer veralteten<br />

Weltanschauung, die inzwischen von vielen anderen Andorianern<br />

geteilt wird. Die Isolationistenbewegungen-“


„Sind ein größeres Problem, als die Öffentlichkeit weiß.“, nickte<br />

Tala.<br />

Kovan maß sie mit einem erstaunten Blick.<br />

„Ich habe meine Quellen.“, erklärte Tala nur knapp.<br />

„Das ist offensichtlich. Dann wissen sie auch zweifellos, was für ein<br />

impulsiver Mann der Kanzler ist. Wenn Sidaks Wort die Runde macht<br />

und bis zu seinen Fühlern vordringt...“ Er brauchte den Satz nicht zu<br />

beenden. Tala wusste genau, was das bedeuten würde.<br />

Kovan schüttelte traurig den Kopf. „Welch Ironie. Die Spitzohren<br />

kommen von einer heißen Welt, aber ihr Gebaren ist kalt. Ich habe<br />

selber einige Zeit auf Vulkan verbracht und niemals verstanden, wie<br />

Vulkanier ohne eine Spur von Eitelkeit so arrogant sein können.“<br />

„<strong>Sie</strong> sind nicht alle gleich.“<br />

„Nein.“, lächelte Kovan. Aber es lässt sich eine Tendenz feststellen.<br />

So auch bei uns. Welch Ironie: Wir sind Leute aus dem Eis, aber in<br />

unseren Herzen lodert ein unermüdliches Feuer. Das einzige, was man<br />

uns vorhalten kann, Kadett, ist vielleicht unsere Leidenschaft. Das hat<br />

unser Volk seit jeher ausgezeichnet. Das zeichnet mich aus. Ich<br />

interessiere mich und kümmere mich leidenschaftlich für Personen.<br />

Für das Leben. Captain eines Raumschiffes zu sein... das gibt einem<br />

ein Gefühl...“ Er suchte nach den richtigen Worten, sah sich aber<br />

außerstande, welche zu finden, die sein Empfinden adäquat<br />

beschrieben. „Es ist unmöglich es jemandem zu erklären, der diese<br />

Verantwortung noch nie gespürt hat. Zu sehen, wie die Sterne an<br />

einem Vorbeischießen, und zu wissen, das man, und nur man selbst,<br />

verantwortlich ist, seine Leute sicher durch dieses gewaltige<br />

Unbekannte zu bringen. Und man fühlt... eine Verbundenheit... zu den<br />

Sternen. Eine Verbundenheit zu dem, was auch immer sie schuf, und<br />

welche kosmische Harmonie auch immer dafür verantwortlich ist,<br />

dass sie leuchten, damit wir uns nach ihnen richten können. Wenn<br />

andere zu mir kommen, dann biete ich ihnen Antworten. Und wenn<br />

Ich antworten benötigte... Wenn ich wissen muss, ob ich einem<br />

geschriebenem Wort, wie einem Gesetz, oder meiner Intuition<br />

vertrauen soll... dann wende ich mich an die Sterne... und eben jener<br />

kosmischen Harmonie, die dafür verantwortlich ist, dass sie leuchten.<br />

Um mich wissen zu lassen, was das richtige und angemessene ist.“<br />

Tala neigte den Kopf, während sie ihm zuhörte. Da war etwas in<br />

Kovans Augen... ein Funkeln... irgendwas, dass sie nicht ganz


einordnen konnte. Etwas, mitreißendes, faszinierendes. Etwas, dass sie<br />

ungeheuer in seinen Bann zog.<br />

Und dann erinnerte sie sich. Sha’Nyns Dad – Captain Matthew<br />

Bartez - hatte es in einem seiner Kurse als >der Wahnsinn des<br />

Kommandos< bezeichnet. Man könne diesen Wahnsinn oft in den<br />

Augen von Anführern funkeln sehen. Die meisten derer, die es auf<br />

sich nahmen Leute zu befehlen, hatte er gesagt, und die<br />

Verantwortung für diese Untergebenen übernehmen und dadurch eine<br />

große Zielscheibe auf ihre eigene Brust zeichneten, seien ein bisschen<br />

verrückt.<br />

„Auch Sternenflotten-Offiziere?“, hatte einer der Kadetten gefragt.<br />

Bartez hatte gelächelt und geantwortet: „Nicht alle Sternenflotten-<br />

Captains sind gute Anführer. Nur die leicht verrückten.“<br />

„Wenn man bedenkt, dass sie leicht verrückt sind, Sir, ist das eine<br />

ziemlich eigennützige Definition.“<br />

Alle hatten gelacht. Shan’s Dad war nicht streng, er ließ es zu, dass<br />

die Kadetten ihn zu necken versuchten. Meistens lachte er dann<br />

herzhaft mit, in diesem Fall hatte er jedoch nur sehr geheimnisvoll<br />

gegrinst. „Das würde ich so nicht sagen, Kadett.“<br />

„Dass es keine eigennützige Definition ist, Sir?“<br />

„Nein.“, hatte er mit einem Funkeln in den Augen korrigiert. „Ich<br />

würde nicht sagen >leicht< verrückt.“<br />

Auch in Kovans Augen sah Tala dieses Funkeln, während er vor<br />

sich hin schwadronierte. „Vielleicht stimmt es, was die Leute sagen.“,<br />

meinte er gerade. „Vielleicht ist es arrogant und selbstgerecht zu<br />

denken, dass Sternenflotten-Captains diese kosmische Harmonie<br />

hören können, von der ich vorhin sprach, und die sonst niemand<br />

versteht. Aber wir Kommandanten... wir brauchen unsere Egos. Weil<br />

der Weltraum so viel größer ist, als wir selbst. Wenn wir zu viel<br />

darüber nachdenken würden, wie klein und unbedeutend wir<br />

eigentlich sind, würden wir den Verstand verlieren. Und Bei Verstand<br />

zu bleiben, Kadett, das ist die Hauptpflicht eines Kommandanten. Es<br />

steht nicht in den Büchern. Es steht nicht in den Protokollen. Es steht<br />

in den Sternen. Denn die Leute ins All zu bringen, das ist der<br />

leichteste Teil. Jeder Tellarit kann das. Wissen sie? Es ist einfach<br />

dorthin zu gehen, wo noch nie ein Andorianer zuvor gewesen ist. Der<br />

Trick liegt darin, wieder zurückzukommen.“ Er lächelte sie an.<br />

„Verstanden Kadett?“


„Ja, Sir.“<br />

„Sind sie sicher?“<br />

„Ja, Sir.“<br />

„Endlich! Etwas, worüber sie sich sicher sind. Übrigens...“, stellte<br />

er fest. „sie haben sich noch immer nicht bei mir entschuldigt.“<br />

„Sir?“<br />

„Für heute Morgen. <strong>Sie</strong> haben sich nicht für das Verhalten ihres<br />

Staffelmitgliedes entschuldigt.“<br />

Tala zögerte. <strong>Sie</strong> nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Das... habe<br />

ich auch nicht vor, wenn ich ehrlich sein soll, Sir. Yoko hat lediglich<br />

seine Meinung vertreten. Ich gedenke nicht, ihn in diesem Verhalten<br />

zu entmutigen.“<br />

Kovan betrachtete sie eindringlich. In Talas Hals bildete sich ein<br />

Kloß. Vor ihren Augen sah sie ihre Karriere bereits den Bach<br />

heruntergehen. Doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge und<br />

der Andorianer lächelte. „Sehr gut!“, lobte er. „Genau die Antwort,<br />

die einem Anführer entspricht.“<br />

„Danke, Sir.“<br />

„<strong>Sie</strong> haben vielleicht doch mehr von ihrer Mutter, als ich dachte,<br />

Kadett. Mit ein bisschen Hilfe von jemand einflussreichem, der bereit<br />

ist, ihnen unter die Arme zu greifen, könnten eine sehr steile Karriere<br />

vor ihnen liegen.“<br />

„Und wer würde ihnen da einfallen, Sir?“<br />

„Beeindrucken sie mich weiter, und derjenige steht vor ihnen.“<br />

Tala tat alles, um nicht zu breit zu lächeln. Das war sogar mehr, als<br />

sie sich zu Träumen erhofft hatte. „Danke, Sir.“<br />

„Nur eines...“<br />

„Ja, Sir?“<br />

„Ihr Kadett Yoko... <strong>Sie</strong> liegen damit richtig, ihm das Wort nicht zu<br />

verbieten. Aber es gibt gutes Timing und schlechtes Timing. Seines...<br />

war heute miserabel. So etwas sollte morgen nicht wieder geschehen –<br />

schon alleine, um mögliche Gewalt zu vermeiden, denn die Stimmung<br />

ist noch immer sehr angespannt, dem nach zu urteilen, was ich<br />

mitbekommen habe. Kümmern sie sich darum.“<br />

Talas Lächeln erstarb. Obwohl er vorhin etwas anders sagte, hatte<br />

Kovan sie gerade durch die Blumen darum gebeten, Yoko den Mund<br />

zu verbieten. Und... obwohl sie ihn vor wenigen Stunden noch selbst<br />

wegen dem Vorfall von heute Früh angefahren hatte, konnte sie sich


nicht vorstellen, einen entsprechenden Befehl an den Vulkanier zu<br />

richten.<br />

Was hatte Yoko gesagt? In dem Moment wo einer zum Schweigen<br />

gebracht wird, sind alle in Gefahr.<br />

„Ich... weiß nicht, ob ich das Recht dazu habe.“<br />

„Als Kommandant haben sie jedes Recht. Und das ist es doch was<br />

sie wollen – ihr eigenes Kommando. Oder?“<br />

„Nun...“<br />

<strong>Sie</strong> sah, wie sich Kovans Züge verhärteten und in seinen Augen<br />

gleißte tiefe Enttäuschung und Aversion. Erneut sah sie ihre Karriere<br />

den Bach runtergehen.<br />

„...natürlich, Sir.“, korrigierte sie daher schnell.<br />

„Sehr schön.“, sagte Kovan nun wieder lächelnd. „Das würde mich<br />

sehr glücklich machen.“<br />

Tala sagte nichts mehr. In Anbetracht der Entscheidung, die sie<br />

treffen musste, wusste sie nicht, ob sie je wieder glücklich sein würde.<br />

Die letzten Strahlen der Abendsonne ergaben sich der<br />

hereinbrechenden Nacht und schon bald stand ein voller Mond am<br />

sternenbehangenen Himmel. In den Baracken, wo die<br />

Kadettenunterkünfte lagen, war Stille eingekehrt. Nirgends brannte<br />

Licht. Dennoch fanden einige Kadetten in dieser Nacht keinen<br />

geruhsamen Schlaf.<br />

Sha’Nyn verkündete zwar, dass sie diesmal vorhatte, einmal<br />

durchzuschlafen, aber in Wahrheit wartete sie nur bis Wotan endlich<br />

weggenickt war. Dann nahm sie sich die Berichte zweier<br />

Ausgrabungen vor und blätterte darin, bis sie gegen fünf Uhr früh<br />

schließlich von der Müdigkeit übermannt und von einem Traum über<br />

Galak heimgesucht wurde.<br />

Drake und Seeley blieben in ihrer kleinen Kommandozentrale, um<br />

einen Schlachtplan für den nächsten Tag zu entwerfen, aber eine<br />

wirklich brauchbare Idee blieb aus. Gegen sechs Uhr legte sich Seeley<br />

hin, ohne - vom dienstlichen abgesehen – großartig mit Drake<br />

gesprochen zu haben.


Seit er ihr erzählt hatte, was ihn antrieb, war sie still geworden.<br />

Drake hatte sich eingeredet, dass es auf diese Art sogar besser war,<br />

aber glücklich war er dennoch nicht und schlaf fand er auch keinen.<br />

Tala hatte diesmal niemanden mit in ihre Stube genommen, und da<br />

Galak bei einem anderen Mädchen übernachtete, war sie zum ersten<br />

Mal seit langem alleine. <strong>Sie</strong> verabscheute die Einsamkeit, vor allem in<br />

dieser Nacht. Es zwang sie, sich mit ihren Sorgen<br />

auseinanderzusetzen. Die meiste Zeit starrte sie nachdenklich an die<br />

Decke und versuchte vergeblich eine Lösung für ihre Zerrissenheit<br />

zwischen ihrer Loyalität zu Yoko und ihrem Wunsch nach Kovan als<br />

Mentor zu finden. Hin und wieder nickte sie sogar kurz weg. Doch der<br />

Schlaf war unruhig, sie hatte einen schrecklichen Traum nach dem<br />

anderen. <strong>Sie</strong> träumte, dass sie zurück auf Andor war. <strong>Sie</strong> trug die<br />

Uniform eines Lieutenants und stand an der Theke einer Bar.<br />

Niemand sonst war Uniformiert, sie zog viel Aufmerksamkeit auf<br />

sich. Dabei hatte es in ihrer Jugend Zeiten gegeben, als die Hälfte der<br />

Anwesenden hier zur Sternenflotte gehört hatten.<br />

„Zeiten ändern sich.“, sagte jemand hinter ihr. Tala wandte sich um<br />

und fand sich in einer Gruppe Andorianer wieder, die sie umzingelt<br />

hatten. <strong>Sie</strong> waren auf Streit aus. „Leute wie du sind hier nicht mehr<br />

willkommen.“<br />

„Kein echter Andorianer trägt diesen Menschenfummel und springt<br />

durch Reifen, die Vulkanier hochhalten.“<br />

Tala grollte: „Wir sollten Stolz sein einen Beitrag leisten zu können.<br />

Wir haben geholfen die Föderation zu gründen und wir profitieren alle<br />

davon.“<br />

„Willkommen in der Gegenwart, Pinkie. Wir sind kein Teil der<br />

Föderation mehr. Nach Sidaks Rede sind wir unseren eigenen Weg<br />

gegangen.“<br />

Tala schrie: „Nein! Nein!“<br />

<strong>Sie</strong> wachte kurz auf, verschwitzt. Das Kopfkissen war nass. Tala<br />

drehte sich um und schlief wieder ein. Diesmal sah sie sich selbst auf<br />

der Brücke eines Raumschiffes. Vier Rangpinks funkelten an ihrem<br />

Kragen, die Pins eines Captains. Irgendwie wusste sie, dass sie nach<br />

Andoria geschickt wurden, weil der Kanzler sich mehr in<br />

Föderationsangelegenheiten involvieren wollte. Ganz Andoria wollte<br />

das.


Kovan stand neben ihr und lächelte. Aber Tala war nicht glücklich,<br />

irgendetwas war vorgefallen. <strong>Sie</strong> sah sich auf ihre Hände starren: <strong>Sie</strong><br />

waren voller Blut. Es war grün. Das Blut eines Vulkaniers.<br />

Yokos lebloser Körper lag auf dem Brückendeck. Ein Messer ragte<br />

aus seinem Rücken.<br />

Tala war dafür verantwortlich. Es war ihre Schuld. Kovan lächelte<br />

noch immer, aber Tala war entsetzt. <strong>Sie</strong> lief zu Yoko, rüttelte an ihm,<br />

aber er wollte nicht wieder aufstehen. Er würde nie wieder erwachen.<br />

Und Kovan sagte seelenruhig: „T’Prell kann Karten spielen.“<br />

Tala riss die Augen auf. <strong>Sie</strong> hatte die Laken zerwühlt und war in<br />

Schweiß gebadet. Draußen ging die Sonne auf, ein Lichtstreifen fiel<br />

vom Fenster auf ihr Bett. Tala schaute auf ihr Schreibtisch-<br />

Chronometer. Es zeigte 4:55. <strong>Sie</strong> schloss die Augen und bliebe einen<br />

Moment liegen, aber sie konnte nicht wieder einschlafen. <strong>Sie</strong> war<br />

schweißnass und fühlte sich unwohl.<br />

Das war kein guter Start in den Tag. Tala beschloss die<br />

Dehneinheiten ihrer Morgenroutine zu überspringen und gleich unter<br />

die Schalldusche zu gehen.<br />

Kurz vor fünf Uhr morgens stand sie auf.<br />

Wenn sie gewusst hätte, dass im Laufe des Tages ein Gebäude auf<br />

sie fallen würde, wäre sie im Bett geblieben...<br />

Spannung in der Luft<br />

Es hätte wohl niemand für möglich gehalten, aber am nächsten Tag<br />

waren vor dem Haupteingang der Sudak-Halle mehr Leute<br />

versammelt, als der gesamte Platz überhaupt in der Lage war<br />

aufzunehmen. Und es war ein großer Platz. Gewaltig geradezu, so wie<br />

alles auf der Akademie hirnzermarternde Ausmaße besaß.<br />

Die Kunde über Sidak Anwesenheit, und seinem Vorhaben, in den<br />

heiligen Hallen der Sternenflotten-Akadmie – eine der modernsten<br />

Institution des Quadranten - eine volksverhetzende Rede zu halten,<br />

hatte zweifellos ihre Runde gemacht.<br />

Wie es aussah, war jeder Andorianer, der sich im Sonnensystem<br />

aufgehalten hatte, an diesem sonnig-warmen, eigentlich viel zu<br />

schönen Sonntagnachmittag auf den Campus gepilgert, um an den von


Kovan geleiteten Protesten teilzunehmen, bei denen sich auch viele<br />

Menschen, Vulkanier, und andere Vertreter verschiedenster Spezies<br />

beteiligten. <strong>Sie</strong> alle Standen Seite an Seite, um für eine gemeinsame<br />

Sache zu kämpfen, an die sie glaubten.<br />

Und sie bekamen wiederum von fast der gleichen und mindestens<br />

ebenso bunt gemischten Anzahl an Gegendemonstranten die Stirn<br />

geboten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr sahen.<br />

Als wäre der Platz damit noch nicht überfüllt genug gewesen,<br />

gesellten sich noch etliche junge Leute dazu, die einfach nur einen<br />

Blick auf den Mann erhaschen wollten, der bereit war allem zu<br />

widersprechen, wofür ihre Vorfahren gekämpft hatten. Eine gewaltige,<br />

streitende, wild durcheinander redende und gestikulierende Masse<br />

also, aus einäugigen Wesen, tausendäugigen Wesen... Wesen mit Fell,<br />

Wesen mit Schuppen, Wesen, mit einer Haut, die je nach dem gerade<br />

vorherrschenden Gefühl ihre Farbe wechselten. Einige bewegten sich<br />

aufrecht fort, andere kriechend, wieder andere auf allen Vieren. Und<br />

die meisten von ihnen waren in die rot-schwarzen Kadetten-Uniform<br />

der Sternenflotten-Akademie gehüllt – fast alles, Kadetten des ersten<br />

Jahres.<br />

Auch unter ihnen war die Stimmung aufgeheizt.<br />

In Kurz: Es war das reinste Chaos.<br />

Um diesem Durcheinander Herr zu werden, war die<br />

Sicherheitstruppe der Akademie herangezogen worden, die es<br />

irgendwie geschafft hatten, die beiden Parteien der Demonstranten<br />

rechts und links zu beiden Seiten des Eingangs hinter schnell<br />

errichteten, aber leider nur hüfthohen Energiebarrieren voneinander zu<br />

trennen und in der Mitte eine Straße zu bilden, die vom Landeplatz bis<br />

zum Haupteingang führte, und somit eine sichere Passage für Sidak<br />

gewährleistete, der sich bereits auf dem Weg befanden. Aber nicht<br />

gerade wenige Demonstranten versuchten – mit einigem Erfolg - über<br />

die Energiebarrieren zu klettern, um seinen Zugang zur Sudak-Halle<br />

zu blockieren, und ihn somit an seiner der Rede zu hindern, die so viel<br />

Zorn erzeugte, während andere sich damit begnügten, ihre Mitschüler,<br />

die nur wenige Meter entfernt auf der anderen Seite der provisorischen<br />

Straße standen, anzuschimpfen, dass sie Rassisten, oder Diktatoren<br />

seien.<br />

Das Sicherheitspersonal hatte also alle Hände voll zu tun, und<br />

allmählich sah man ihnen ihre Erschöpfung an. Am meisten Leid bei


dem ganzen Tohuwabohu konnten einem zweifellos die<br />

andorianischen Sicherheitsoffiziere tun – und es befanden sich nicht<br />

gerade wenige in der Truppe. Zwischen den Stühlen zu sitzen,<br />

jemandem wie Sidak den Weg frei zu räumen, und ihre eigenen<br />

Landsleute hinter die Barrikaden zu schieben, oder – bei den ganz<br />

uneinsichtigen – die Betäubungsstöcke einzusetzen, musste<br />

schmerzen. Wenn es so war, ließen sie sich jedoch nichts anmerken.<br />

<strong>Sie</strong> taten professionell ihren Job, ohne Wenn und Aber, und dafür<br />

verdienten sie eine Bewunderung, die ihnen heute niemand bereit war<br />

zu geben.<br />

Drake beobachtete die Sicherheitseskorte um Sidak auf den<br />

Kontrollmonitoren. Als sie hundert Meter vor dem Eingang waren,<br />

tauchte die Energiespitze plötzlich wieder auf, größer als je zuvor.<br />

Drake stieß Seeley an, die vor einigen Stunden eingenickt war. Er<br />

hatte keine Notwendigkeit gefunden, sie zu wecken. Zum einen, damit<br />

sie beim Einsatz ausgeruht war und zum anderen, weil er ohnehin<br />

lieber seine Ruhe hatte. Nun stieß er sie heftig an und rutschte von<br />

seinem Stuhl. Seeley zuckte erschrocken zusammen und riss die<br />

Augen auf. <strong>Sie</strong> blinzelte verwirrt, versuchte zu erkennen, was auf den<br />

Monitoren vor sich ging. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie<br />

Drake seinen Phaser zog und die Waffe schnell prüfte. „Was ist los?“<br />

„Energiespitze.“<br />

Dann sah sie es auch. Die Anzeigen schlugen fast aus. Irgendwas<br />

ging vor sich. Irgendwas in der Sudak-Halle.<br />

„Sidak ist fast am Eingang. Komm.“ Er warf ihr ein Gewehr zu.<br />

Seeley fing es reflexartig auf. „Sollten wir nicht hier bleiben und<br />

versuchen das Ding am Computer aufzuhalten?“<br />

„Keiner von uns ist Programmierer. Es ist besser, den Kampf im<br />

offenen auszutragen.“ Er eilte zur Tür.<br />

Seeley blickte erneut zum Monitor.<br />

Die Energiespitze war gewaltig. <strong>Sie</strong> sah zum Gewehr herab, dass sie<br />

in den Händen hielt. Energie vibrierte darin. Tödliche Energie. Nun<br />

ging es los. Nun waren sie im Einsatz. Ein kalter Schauer fuhr ihr über<br />

den Rücken.<br />

„Ich glaube es ist besser auf Verstärkung zu warten...“


Drake war bereits zur Tür heraus und marschierte stur zum<br />

Turbolift. Damit machte er ihr unmissverständlich klar, dass er den<br />

Kampf suchen würde.<br />

„Oder auch nicht.“, murmelte Seeley. <strong>Sie</strong> warf sich das Gewehr um<br />

die Schulter und folgte Drake.<br />

Draußen, vor der Sudak-Halle und Ahnungslos über die drohende<br />

Gefahr, standen Yoko, Durkin, Wotan, Cera, und Das Grau nahe am<br />

Haupteinhang auf der Seite derer, die sich für die freie<br />

Meinungsäußerung einsetzten. Auf der anderen Seite, ihnen direkt<br />

gegenüber, befand sich Kovan, der, wie es schien, großes Interesse für<br />

die Energiebarriere aufbrachte, die von den Sicherheitskräften vor ihm<br />

aufgebaut worden war. Er wurde zu beiden Seiten von Tala, Therynn,<br />

Khaleen und Galak flankiert.<br />

Entgegen ihres besseren Urteils war auch Sha’Nyn gekommen, die<br />

ihren Platz hinter Tala eingenommen hatte. Nicht, weil sie ihre Sache<br />

sonderlich unterstützte, sondern einfach, weil sie von Osten<br />

gekommen und ihr somit keine große Wahl geblieben war. Cera,<br />

Wotan, Grau und Durkin ging es wohl genauso, wie Sha’Nyn<br />

vermutete.<br />

Keinem war daran gelegen einen Keil in die Gruppe zu treiben, und<br />

bis auf Yoko und Tala schien - zumindest aus ihrer Staffel – niemand<br />

die Sache so ernst zu sehen, wie diese beiden. In so einer Situation<br />

konnte man als Freund nur verlieren. Sha’Nyn hatte das Gefühl Yoko<br />

hängen zu lassen, weil sie nicht bei ihm stand. Aber hätte sie bei ihm<br />

standen, hätte sie dasselbe für Tala empfunden. Es war traurig, dass es<br />

soweit kommen musste. Leider hatte Sha’Nyn das Gefühl, dass die<br />

Sache noch viel weiter gehen würde.<br />

Nur einmal, ein einziges Mal wünschte sie, dass das richtige zu tun,<br />

und das leichte zu tun, dasselbe wäre.<br />

Sidak näherte sich ihrer Position und dem Eingang. Seine Robe<br />

wehte in einer leichten Brise. Man warf ihm Papier und Gras über,<br />

und andere unangenehme Dinge, aber es schien ihn nicht im<br />

geringsten zu kümmern, denn seine vulkanische Mine blieb<br />

ausdruckslos. Hätte Sha’Nyn raten müssen, wie er sich fühlte, hätte<br />

sie auf Gelassen getippt. Offenbar kannte er das alles schon. Und die


Sicherheitsoffizere waren dank ihrer gründlichen Ausbildung auch<br />

nicht unvorbereitet. <strong>Sie</strong> gaben sich kurze schnelle Zeichen und<br />

bildeten einen schützenden Kreis um Sidak – die geworfenen Dinge,<br />

die für ihn bestimmt waren, trafen stattdessen sie, wie einen<br />

menschlichen Schild.<br />

Es war ein furchtbarer Anblick.<br />

Die Leute buhten und schimpften, allerorts herrschte Empörung und<br />

Zorn, und am lautesten und eifrigsten waren die Andorianer.<br />

Der vermeintliche Rassist schien von allen der harmloseste zu sein.<br />

Man hätte fast meinen können, dass er recht hatte, mit dem, was er<br />

über die Andorianer sag-<br />

Sha’Nyn blinzelte. Wo zum Teufel war das denn jetzt<br />

hergekommen? <strong>Sie</strong> hatte sich gerade bei einem furchtbaren Gedanken<br />

ertappt.<br />

Und mit einem Mal verstand sie.<br />

Bei den Sternen!<br />

Begriffen es die Leute denn nicht? Standen sie wirklich noch so<br />

weit am Anfang ihrer Sternenflotten-Ausbildung? <strong>Sie</strong> alle gaben Sidak<br />

hier und heute doch genau das, was er wollte: Aufmerksamkeit. Er<br />

musste überhaupt keine Rede halten, um die tödliche Saat des<br />

Misstrauens zu sähen. Das taten schon alle anderen für ihn! Und<br />

beinahe wäre auch sie selbst drauf reingefallen. Es war nur ein<br />

einzelner Gedanke gewesen, kurz und flüchtig. Ein einzelner<br />

Gedanke, der fürchterliches in Gang hätte setzen können.<br />

Aber offenbar war Torheit keine Frage des Alters.<br />

Denn es war kein Kadett, der sich am Fuß der Treppe dem<br />

Sicherheitstrupp und Sidak in den Weg stellte – die wären auch<br />

beiseite geräumt worden.<br />

Nein.<br />

Es war Kovan.<br />

Die Korridore in der Sudak-Halle schienen endlos zu sein und<br />

waren verlassen. Außer Drake und Seeley, die mit ihren Waffen im<br />

Anschlag durch die zweite Etage schlichen, hielt sich hier niemand<br />

mehr auf. Das Personal war bereits gestern unauffällig und Stück für<br />

Stück evakuiert und in andere Bereiche versetzt worden. Es hatte


niemand verdacht geschöpft, weil man die Verlegungen zufällig hatte<br />

aussehen lassen. Drake wäre es lieber gewesen, wenn man auch die<br />

Leute draußen unter irgendeinem Vorwand fortgeschafft hätte. Das<br />

Geraune der aufgebrachten Menge drang sogar bis ins Innere des<br />

Gebäudes vor.<br />

Wie ahnungslos sie doch waren.<br />

Allerdings hatte Drake auch nicht recht gewusst, was ihn erwarten,<br />

würde, als der Turbolift sie unverzüglich hergebracht hatte. Er wusste<br />

es noch immer nicht, aber nun, als er sich durch verlassene Büros<br />

vorbeibewegte, gewann er den Eindruck, sich auf der Jagd zu befinden<br />

– unsicher darüber, wer in Wirklichkeit der Jäger und wer der gejagte<br />

war. Aber genaugenommen spielte es auch keine Rolle. Die Dinge<br />

verhielten sich einfach: Entweder gelang es ihnen die KI aufzuhalten,<br />

oder sie fielen ihr zum Opfer. Entweder so oder so. Kompromisse<br />

irgendeiner Art – Flucht, Entkommen, Scheitern – waren<br />

ausgeschlossen für Drake. Nichts – weder die Leute draußen, noch<br />

sein Pflichtbewusstsein – konnten ihn daran hintern, den Kampf bis<br />

zum Ende zu führen. Er hatte mehr als alle anderen trainiert. Er<br />

verdiente es, endlich an einer Konfrontation beteiligt zu sein.<br />

Mit der linken Hand hielt er seinen Phaser, in der anderen piepte ein<br />

aufgebrachter Tricorder. Drake prüfte die Anzeigen – die<br />

Energiespitze führte sie in eine bestimmte Richtung.<br />

Bald würde die Falle zuschnappen. Drake richtete den Blick wieder<br />

auf das vor ihnen liegende Gangsegment.<br />

…und vermied es dabei zu Seeley zu sehen – um sich nicht ihrer<br />

Besorgnis stellen zu müssen. Als Computerspezialistin hätte sie lieber<br />

eine technische Lösung gefunden. Hier draußen, ohne Verstärkung<br />

fühlte sie sich unbehaglich. <strong>Sie</strong> wäre vermutlich gar nicht von den<br />

Konsolen gewichen, wenn er ihr eine Wahl gelassen hätte.<br />

Nein, Drake wollte nicht länger in diesem beengten Computerraum<br />

sitzen und darauf warten, dass etwas geschah, was sie von dort aus<br />

ohnehin nicht verhindern konnten. Er glaubte das Recht zu haben,<br />

dieser KI direkt gegenüberzutreten, unmittelbar gegen sie zu kämpfen.<br />

Ein Muskeln in seiner Wange zuckte, was normalerweise nur geschah,<br />

wenn Zorn in ihm brannte. Er versuchte sich einzureden nicht zornig<br />

zu sein; er wollte nur Gerechtigkeit, und dass sich die Geschichte<br />

nicht wiederholte.


Er lugte um eine Abzweigung und sah sich um. Die Energiespitze<br />

bewegte sich in einigem Abstand vor ihnen durch die Leitungen –<br />

gerade so, dass man sie noch nicht zu fassen bekam, dass sie einem<br />

aber auch nicht entging. Drake wusste, dass er gerade geködert wurde<br />

und er biss bereitwillig an.<br />

Stumm hob er den Arm und gab Seeley ein Handzeichen: <strong>Sie</strong><br />

rückten weiter vor.<br />

„Was macht dich so sicher“, flüsterte seine Begleiterin „dass sich<br />

die KI in ihrer Energieform außerhalb des Computers zeigen wird?“<br />

„Weil ich eine eindeutige und unverschlüsselte Nachricht an den<br />

Admiral geschickt habe, in der ich ankündigte, dass wir jetzt<br />

reingehen und das Ding eliminieren. Die Nachricht kann der KI nicht<br />

entgangen sein. <strong>Sie</strong> weiß, dass wir kommen.“<br />

Seeley starrte ihn aus entsetzt aufgerissenen Augen an. „Es ist eine<br />

Falle.“, erkannte sie. Drake wollte dem Ding ein neues Ziel<br />

präsentieren, um Zeit zu schinden und Sidak zu schützen: und das Ziel<br />

waren sie selbst. Aber.. tat er es wirklich um Sidak zu schützen? An<br />

Drakes Mut und Entschlossenheit bestand kein Zweifel. Aber in<br />

seinen Augen hatte Seeley auch noch etwas anderes gesehen, etwas,<br />

das ihm düsterer erschien, als der Wunsch nach Rache und Vergeltung<br />

an egal wer ihm vor die Phasermündung kam. Vielleicht eine Art<br />

Besessenheit? Oder eine Todessehnsucht?<br />

Könnte es sein, dass dem Admiral starke psyschiche Probleme<br />

seines Schülers entgangen waren?<br />

Wenn er wirklich welche hatte und dadurch sein Urteilsvermögen<br />

getrübt wurde...<br />

Seeley blieb stehen. <strong>Sie</strong> waren jetzt in einem der weitläufigen<br />

Klassenräume mit angrenzendem Labor. Seeley hatte ein ungutes<br />

Gefühl. „Wir sollten hier raus, Drake. Die ganze Sache ist nicht<br />

besonders gut durchdacht.“<br />

„Gut, verschwinde, wenn du willst. Ich stelle dieses Ding.“<br />

Rechts ertönte ein Geräusch.<br />

Das Duo riss die Waffen hoch.<br />

Plötzlich verriegelten sich die Türen. Keiner von ihnen unternahm<br />

den Versuch, zu den Türkontrollen zu gehen, und zu überprüfen, ob<br />

sie eingesperrt waren, denn sie wussten es auch so. Stattdessen stellten<br />

sie sich Rücken an Rücken. Drake sah flüchtig auf die Tricorder-


Anzeigen. Die Energiespitze war irgendwo hier, hier im Raum, ganz<br />

nahe. Jetzt würde es zuschlagen.<br />

Hier fand die Konfrontation statt.<br />

„Wenn die KI schlau ist.“, sagte er „wird sie uns einfach die<br />

Luftzufuhr abdrehen.“<br />

Dann gingen die Lichter aus. „Oder...“, tippte Drake als nächstes „es<br />

wird die Lichter ausschalten.“<br />

<strong>Sie</strong> aktivierten die Leuchteinheiten an ihren Phasern und horchten in<br />

die Dunkelheit hinein.<br />

Nichts geschah. Zunächst noch jedenfalls. Der Tricorder piepte<br />

aufgeregt. <strong>Sie</strong> waren jetzt ganz nahe. Drake holte zischend Luft und<br />

bedeutete Seeley ihm zu folgen. Langsam setzten sie sich in<br />

Bewegung. Eine Begegnung mit dem Feind stand ihnen bevor.<br />

Draußen hatte sich Kovan mit mächtigen, vor der Brust<br />

verschränkten Armen vor den Sicherheitsoffizieren aufgebaut und<br />

versperrte ihnen den Weg.<br />

Sha’Nyn hatte gar nicht bemerkt, wie er über die Barrikade<br />

geklettert war – und die Sicherheitsoffiziere auch nicht. Er war einfach<br />

plötzlich aufgetaucht. Sha’Nyn sah den Sicherheitsoffizieren ihre<br />

Verzweiflung und Ratlosigkeit an.<br />

So nah.<br />

Es waren doch nur noch ein paar Meter, ein paar Stufen, dann hätten<br />

sie es geschafft, dann wären sie endlich am Haupteingang und<br />

anschließend im Gebäude gewesen. Warum musste es Kovan<br />

komplizierter machen, als ohnehin schon? Und er war ein<br />

hochangesehener Mann, eine Legende. Den konnte man nicht einfach<br />

beiseite schieben.<br />

Die Menge wurde still, alle warteten gespannt, was als nächstes<br />

geschehen würde.<br />

„Sir...“, hörte Sha’Nyn einen der Sicherheitsoffiziere vorsichtig<br />

sagen – ein Mensch, mittleren Alters, mit dunkler Hautfarbe. Welch<br />

Ironie, dachte Sha’Nyn. Ein paar Jahrhunderte zuvor... und er wäre<br />

vielleicht derjenige gewesen, um den es hier gegangen wäre.<br />

„... warum treten sie nicht einfach beiseite und geben ein gutes<br />

Beispiel ab, hm?“


„Ich glaube ich gebe ein gutes Beispiel ab, Lieutenant. Jetzt schlage<br />

ich vor, dass sie den werten Doktor hier zurück zu einem sicheren Ort<br />

eskortieren, und ich werde die Kadetten informieren, dass heute keine<br />

Rede stattfindet. Das wäre das vernünftigste, bevor...“, er deutete mit<br />

einer ausschweifenden Geste auf die Menschenmasse. „die Situation<br />

noch in Gewalt eskaliert.“<br />

Die Sicherheitsoffiziere tauschten einen Blick. Dann sagte der<br />

Lieutenant mit größtmöglichem Respekt wieder an Kovan gewandt:<br />

„Ist das eine Drohung, Sir?“<br />

„Nein. Natürlich nicht.“ Und das meinte er vollkommen ernst.<br />

„Mehr eine... berechtigte Sorge.“<br />

„Wir alle haben unsere Sorgen.“ Es war Sidak, der gesprochen<br />

hatte. Er trat nun zwischen den Sicherheitsleuten vor und baute sich<br />

direkt vor Kovan auf. Der Vulkanier war mindestens zwei Köpfe<br />

kleiner, und auch sehr viel älter, aber er hatte keine Angst. Wäre ja<br />

auch eine Emotion gewesen. In Anbetracht der Situation war er sogar<br />

die Ruhe in Person.<br />

Kovan hingegen war sehr wohl emotional beteiligt. Die Abneigung,<br />

die er dem Vulkanier entgegenbrachte war ihm deutlich anzusehen. Er<br />

grollte mit bedrohlicher Stimme: „Gehen sie dorthin zurück, wo sie<br />

herkamen, Doktor. Die Situation ist bereits angespannt genug. <strong>Sie</strong><br />

müssen die Lage nicht noch mehr verschärfen.“<br />

„<strong>Sie</strong> sind derjenige, der die Lage verschärft, weil sie uns nicht<br />

vorbeiziehen lassen. Und ich beginne zur rätseln warum. Gibt es in<br />

der toleranten Welt, die sie mit dieser Uniform repräsentieren etwa<br />

keinen Platz für jemanden wie mich? Wie Tolerant ist diese Welt<br />

dann, frage ich? Wie Tolerant sind sie?“<br />

„Wenn sie glauben, ich würde einfach beiseite treten, und einem<br />

Fanatiker platz machen...“<br />

„Beleidigungen, Captain Kovan? Drohungen? Proteste? Wollen sie<br />

wirklich meine Theorien bestätigen, in dem sie zeigen, wie gefährlich<br />

Andorianer sind?“<br />

Kovan beugte sich zähnefletschend zu dem Vulkanier herab. Ihre<br />

Nasenspitzen berührten sich fast. „Ich bin nicht derjenige, der glaubt,<br />

er sei einer ganzen Rase überlegen. Ich bin nicht derjenige, der diese<br />

Rasse ausstoßen will... der Hass und Unvernunft schürt, wo immer er<br />

auch wandelt. Die Gefahr, die sie präsentieren, Doktor, sie und ihre<br />

rassistischen Worte...“


„...sind völlig von Bedeutung.“, hielt Sidak ruhig gehen. „Es sind<br />

nur Worte. Die Gefahr geht von den Aktionen aus, die Leute wie sie<br />

aufgrund dieser Worte treffen, Kovan. Nicht ich bin es, der jemandem<br />

den Weg versperrt. Nicht ich bin es, der sich von Wut leiten lässt.“<br />

Kovan stieß ein zorniges Knurren aus. „<strong>Sie</strong> denken ich ließe mich<br />

von meiner Wut leiten? Ja, das tue ich, denn ich bin kein<br />

emotionsloser, kalter Waldschrat, der ohne mit der Wimper zu zucken<br />

seinen Mitmenschen Leid zufügt, und sich mit seiner verfluchten<br />

Logik rechtfertigt! Ich werde ihnen zeigen, wie verdammt befreiend<br />

Emotionen sein können!“ Er hob die Faust und holte aus.<br />

Die Situation drohte zu eskalieren.<br />

Die Lichtkegel ihrer Lampen zuckten den pechschwarzen<br />

Klassenraum entlang, während sich Drake und Seeley langsam<br />

vorwärts bewegten, den Tricorderanzeigen und somit der KI entgegen.<br />

Alles war still und irgendwie unheimlich. Das Rascheln und Knacken<br />

des Bodens unter ihren Stiefeln war das einzige Geräusch.<br />

Aus irgendeinem Grund wurde es plötzlich sehr warm – auf eine<br />

bedrohliche Art und Weise. Drake spürte, wie sich die Luft mit<br />

knisternder Energie füllte, denn die feinen Härchen auf an seinem<br />

Körper richteten sich auf. Und dann roch er Ozon. Ozon? Das konnte<br />

doch nur bedeuten-<br />

Er ahnte die Gefahr mehr, als das er sie sah.<br />

„Seeley!“, brüllte er, sprang zur Seite und warf sich mit aller Kraft<br />

gegen die Efrosianerin.<br />

In dem Moment kam der Blitz. Er zuckte in ihre Richtung und<br />

wurde von einem solch gewaltigen Donnerknall begleitet, dass Drake<br />

glaubte, sein Trommelfell würde platzen. <strong>Sie</strong> stürzten zu Boden und<br />

entgingen der Entladung dadurch nur knapp. Anstatt sie in ein<br />

Häufchen Asche zu verwandeln, fuhr sie stattdessen in die Wand und<br />

zerschmolz das Duranium. Aber Drake spürte dennoch die Hitze, die<br />

unangenehme Erinnerungen weckte. Er hob den Kopf und versuchte<br />

sich zu orientieren. Einen Moment lang war er geblendet und sah nur<br />

graue Schlieren. Dann klarte die Sicht auf und er erspähte die<br />

grellweiß leuchtende Gestalt, die aus den Energieleitungen gefahren<br />

und vor ihnen aufgetaucht war. <strong>Sie</strong> sah aus, wie aus einem schlechten


Science-Fiction-Roman übernommen. <strong>Sie</strong> war männlich, hatte eine<br />

menschenähnliche, muskulöse Form und einen seltsam verbogenen<br />

Kopf. Und die Erscheinung bestand komplett aus Licht.<br />

Das war die KI.<br />

Das war ihr Erscheinungsbild in der realen Welt außerhalb des<br />

Computers.<br />

Und das Ding war schnell. Im einen Moment hatte es noch vor<br />

ihnen geschwebt, dann verschwamm seine Gestalt und einen<br />

Augenblick später war es rechts von ihnen, um von einer neuen<br />

Position anzugreifen. Es holte aus. Drake spürte, wie sich die Luft<br />

erneut erhitzte und der Ozon stank. Es drohte einen weiteren Blitz<br />

schicken. Drake stieß Seeley an. „Weg!”, brüllte er, „Los, weg! Weg!”<br />

<strong>Sie</strong> rannten los, halb stolpernd, und hinter ihnen krachte ein weiterer<br />

Blitz, der irgendwo in den Stuhlreihen einschlug. Und dann noch<br />

einer, und noch einer, jeder unglaublich heiß und laut und jeder näher<br />

als der vorherige. Drake und Seeley retten sich beide mit einem<br />

beherzten Sprung hinter einen Labortisch.<br />

Die KI machte ein wütendes Geräusch.<br />

Drakes Schädel dröhnte, außer einem penetranten Piepen hörte er<br />

fast gar nichts mehr.<br />

„Was ist das für ein Ding?!“, brüllte Seeley.<br />

Drake hob seinen Phaser. „Ich geh mal fragen!“<br />

Er sprang aus der Deckung hervor, zielte kurz und feuerte. Seeley<br />

folgte eine halbe Sekunde später und tat das gleiche. Ihre Ausbildung<br />

war hervorragend. <strong>Sie</strong> deckten die KI mit schnellen Salven ein, von<br />

denen jede einzelne traf.<br />

Leider ohne das geringste zu bewirken. Die Strahlen fuhren einfach<br />

durch die Lichtgestalt hindurch.<br />

„So viel zu der Modifikation der Phaser.“, murmelte Drake.<br />

Die KI schleuderte einen weiteren Blitz. Drake zog den Kopf ein,<br />

was nicht viel half, da der gesamte Tisch, hinter dem sie kauerten,<br />

explodierte. Eine unsichtbare Faust traf Drake und schleuderte ihn mit<br />

solcher Wucht gegen die Wand, dass er spürte, wie etwas brach. Er<br />

versuchte den Schmerz zu ignorieren und herumzurollen. Halb<br />

benommen kam er auf die Beine. Seine Lungen schrieen nach Luft<br />

und Pein explodierte wie ein Feuerwerk in seinem Kopf und drohte<br />

ihn in eine Bewusstlosigkeit zu zerren, von der Drake genau wusste,


dass er in ihre sterben würde, denn er bemerkte trotz aller<br />

Benommenheit, dass sich die Luft wieder erhitzte.<br />

Als er den Kopf drehte, sah er, wie Seeley am Boden lag und sich<br />

nicht rührte. Die KI bewegte sich auf sie zu. Irgendwie schaffte es<br />

Drake auf die Beine. Er wedelte mit den Armen, um die<br />

Aufmerksamkeit der KI auf sich zu lenken „Hey, hier rüber, hier<br />

rüber!“ – und es funktionierte. Offenbar war er ein weitaus<br />

attraktiveres Ziel, da sich die KI sofort ihm zuwandte – und Blitze<br />

schickte.<br />

Drake stürmte los. Er hielt auf den Verbindungsgang zu, stürzte um<br />

die Ecke, dann hinaus in das Labor.<br />

Die KI war ihm dicht auf den Fersen. Hinter ihm zuckte ein weiterer<br />

Blitz, schlug wieder in eine Wand und riss Drake beinahe von den<br />

Beinen. Er stolperte, prallte gegen irgendein kompliziert aussehendes<br />

Gerät mit einer spiegelnden Oberfläche und ging zu Boden. Eine<br />

Verzerrung in der Luft erfolgt und einen Lidschlag später schwebte<br />

die KI vor ihm in der Dunkelheit.<br />

Es gab jetzt keine Fluchtmöglichkeit mehr, Drake konnte sich nicht<br />

in Sicherheit bringen.<br />

Unverzüglich schickte die KI einen Blitz. Drakes Schicksal schien<br />

unvermeidlich. In seiner Verzweiflung riss er das spiegelnde Gerät vor<br />

sein Gesicht und dann geschah etwas völlig unerwartetes. Anstatt ihn<br />

in ein Häufchen Asche zu verwandeln, prallte der Blitz einfach von<br />

der spiegelnden Oberfläche ab. Der ursprünglich auf ihn gerichtete<br />

Blitz bewegte sich nun auf die KI zu – damit hatte sie nicht gerechnet<br />

– und trafen sie mit voller Wucht. Einen Moment lang geschah gar<br />

nichts. Dann jedoch erschien ein grellweißes Glühen – intensiver als<br />

ohnehin schon und es wurde größer und größer.<br />

Das Bedeutete nichts gutes.<br />

Die KI zuckte unkontrolliert. <strong>Sie</strong>... hatte Angst. Drake spürte es. <strong>Sie</strong><br />

hatte tatsächlich angst.<br />

„Das... kann... nicht alles sein.“<br />

Drake brauchte einen Moment um zu realisieren, dass die KI gerade<br />

gesprochen hatte. Ihre – wenn man es so nennen konnte – war<br />

merkwürdig verzerrt. Drake hatte recht gehabt, sie hatte vom<br />

Akademiecomputer gelernt. <strong>Sie</strong> sagte erneut: „Das kann nicht alles<br />

sein. Ich... will... leben. Ich... will... lebendig sein.“


„Lebendig?“ Drake konnte kaum glauben, was er da hörte. „Du bist<br />

nicht lebendig.“, rief er wütend. „Du bist eine Ansammlung<br />

elektrischer Impulse! Nichts weiter!“<br />

„Das.. seid... ihr auch.“<br />

„Wir brauchen uns nicht zu wünschen, lebendig zu sein. Wir sind es<br />

einfach! Du hingegen... bist ein Unfall! Du wirst niemals mehr sein,<br />

als du gerade bist.“<br />

Die Gestalt der Kreatur gleißte weiter – sie wandte sich in Agonie.<br />

Und plötzlich versuchte sie die Hand nach Drake auszustrecken. Und<br />

sie sagte: „Hilf mir!“<br />

Es wusste nicht, was es sonst tun sollte.<br />

Yoko wusste nicht, was er tun sollte. Er sah wie Kovan Sidak’s<br />

Weg blockierte, und er hörte die Auseinandersetzung. Die ruhigen<br />

aber zweifellos provozierenden Worte Sidaks, und die gegrollten<br />

Drohungen Kovans. Yoko war enttäuscht und empört, von beiden<br />

Personen. Warum redeten sie nicht vernünftig miteinander? Alles<br />

andere war unlogisch und ihrer modernen Zeit schlicht nicht<br />

angemessen.<br />

Kovan wurde lauter, sprach bedrohlicher. Und plötzlich wurde<br />

Yoko bewusst, dass Kovan möglicherweise im Begriff war, Gewalt<br />

gegen Sidak einzusetzen. Was für schlechte Vorbilder sie doch<br />

abgaben!<br />

Yoko verabscheute Gewalt. Er war überzeugter Pazifist, und er<br />

hätte niemals seine Kraft gegen jemanden eingesetzt. Doch<br />

manchmal...<br />

....manchmal, da tat man Dinge, die man zu dem Zeitpunkt für das<br />

einzig Richtige hielt, um für seine Überzeugungen zu kämpfen. Es<br />

hieß, man könne wissen, dass etwas das richtige ist, wenn es einem<br />

ein gutes Gefühl bescherte. Könnte sein, dachte Yoko. Vielleicht kam<br />

es nur darauf an. Tun, was einem entsprach, und den Rest einfach sich<br />

selbst sortieren lassen.<br />

Yoko fasst einen Entschluss und sprang über die Absperrung.


Tala wusste nicht, was sie tun sollte. <strong>Sie</strong> sah wie Yoko über die<br />

Absperrung sprang, und sie sah die Zeichen in Kovans Gestik – die<br />

bedrohlich aufgerichteten Fühler, die dunkelblauen Wangen und die<br />

geballten Fäusten -, Zeichen, die mehr als deutlich sagten, dass er<br />

jeden Moment zuschlagen würde.<br />

Und ein Teil von ihr konnte es ihm nicht verdenken. Ein Teil von<br />

ihr empfand genauso. Es war unvernünftig, aber ihrer Spezies<br />

angemessen. Andorianer waren Aggressiv und sie mochten es zu<br />

kämpfen, und hin und wieder, da setzten sie ihre Kraft auch gerne<br />

gegen jemanden ein, mit dem sie sich nicht hätten anlegen sollen. Es<br />

mochte nicht richtig sein. Doch manchmal...<br />

...manchmal, da tat man Dinge, die man zu dem Zeitpunkt für das<br />

Richtige hielt, um für seine Überzeugungen zu kämpfen. Es hieß, man<br />

könne wissen, dass etwas das richtige ist, wenn es einem ein gutes<br />

Gefühl bescherte. Könnte sein, dachte Tala. Vielleicht kam es nur<br />

darauf an. Tun, was einem entsprach, und den Rest einfach sich selbst<br />

sortieren lassen.<br />

Tala fasste einen Entschluss, und sprang über die Absperrung.<br />

Adrian Drake wusste genau, was er tun sollte. Er wandte sich von<br />

der hilfesuchenden, sich windenden KI ab und rannte in den<br />

Nebenraum. Seeley stöhnte, sie war noch immer benommen, als er sie<br />

über seine Schulter warf und hektisch seinen Phaser suchte. Er<br />

sprengte die Tür zum Korridor auf und trat die Flucht an.<br />

Ein Ohrenbetäubender Lärm erklang hinter ihm: die KI schrie. Ein<br />

Geräusch, dass Mark und Bein erschütterte. Drake konnte es in seinem<br />

Herzen hören, in seiner Seele... die Kreatur schrie. Er hätte Mitleid für<br />

die KI empfinden sollen, als sie sich vor Schmerz krümmte. Aber<br />

Drake fühlte kein Mitleid. Er fühlte gar nichts. Sekunden vor der<br />

Explosion betrat er den Lift und sperrte die Schreie aus.<br />

Kovan sah in die emotionslosen Augen des verhassten Sidak, wie er<br />

da direkt vor ihm stand, herausfordernd, verabscheuenswürdig, und<br />

hatte endgültig genug! Er konnte es nicht mit gutem Gewissen


Erlauben, dass dieser Kerl sein Gift unter das Volk brachte, und er gab<br />

sich seinem Temperament hin, um ihm hier und heute einen<br />

Denkzettel zu verpassen, um das einzige Zeichen zu setzen, dass<br />

Sidak verstehen würde. Es war das falsche, das wusste er tief in sich<br />

drin, aber er fühlte sich kein bisschen schlecht dabei, als er ausholte<br />

und seinen gefürchteten rechten Schwinger durch die Luft sausen<br />

ließ...<br />

...und nicht traf.<br />

Als er den Vorfall später wiederholt vor seinem inneren Auge<br />

Revue passieren ließ, gelang er jedes Mal zur gleichen<br />

Schlussfolgerung. Er hatte nicht einen Moment lang den Blick von<br />

Sidak abgewendet. Seine Konzentration hatte keinen<br />

Sekundenbruchteil nachgelassen, und er hatte auch nicht zu der<br />

versammelten Masse gesehen, zu den Kindern, die zweifellos voller<br />

Stolz zu ihm aufblickten, weil... na ja, wer würde das nicht? Seine<br />

ungeteilte Aufmerksamkeit hatte einzig und allein Sidak gegolten.<br />

Daher konnte er sich absolut nicht erklären, warum Sidak plötzlich<br />

aus seinem Sichtfeld verschwunden war, warum er in der Luft hing,<br />

und warum er schlagartig einzig und allein den blauen Himmel<br />

betrachtete, der sich von seinem sonst so mächtigen rechten Haken<br />

kein bisschen beeindruckt zeigte.<br />

Es erstaunte Tala immer wieder, wie außerordentlich kräftig die<br />

Vulkanier eigentlich waren. Es war so überraschend, weil man es<br />

ihnen aufgrund ihrer stoischen, fast einschläfernden Art schlicht nicht<br />

zutraute, und die Geschichten, dass sie die Kraft von über zehn<br />

Menschen in ihren dürren Leibern trügen, gerne ins Reich der<br />

Phantasie schob. Zumindest mussten sie übertrieben sein.<br />

Trotzdem zeigte Yoko nicht den Hauch von Anstrengung, als er<br />

Kovan am ausgestreckten Arm hoch in der Luft hielt. Was Kovan<br />

natürlich fuchsteufelswild machte. Dank seiner Antennen brauchte er<br />

nicht lange, um sich auf die neue Lage einzustellen, und genau zu<br />

wissen, wo Sidak stand – auch ohne ihn zu sehen. Und mit seinen<br />

Beinen besaß er sehr wohl noch einen gewissen Handlungsspielraum.


Also verlor Tala keine Zeit, griff nach Sidak Arm und riss ihn unter<br />

den Buhrufen der Demonstranten zur Seite. Kovan, der für seinen Tritt<br />

eine Sekunde zu lange ausholte, traf nichts als Luft.<br />

Dann stieß Tala Sidak die Treppe hinauf und gab den<br />

Sicherheitsleuten ein Zeichen, ihn endlich reinzubringen.<br />

Einer von ihnen - ein Andorianer - deutete mit einem Kopfnicken<br />

zu Kovan. „Was ist mit dem?“<br />

„Überlasst das uns.“<br />

Der Mann nickte sichtlich erleichtert, und die Offiziere schoben<br />

Sidak weiter die Stufen hinauf. Die Menge buhte. Sobald sie oben im<br />

Eingang verschwanden, ließ Yoko den wutschnaubenden Kovan<br />

wieder herab. Der wirbelte, als er Begriff, dass Sidak im Gebäude<br />

war, und er versagt hatte, sofort herum und bedachte Yoko mit einem<br />

Blick, der teilweise Wut, teilweise Enttäuschung, und teilweise<br />

Verachtung beinhaltete. „<strong>Sie</strong> tragen diese Uniform, Kadett und setzen<br />

sich für Unrecht ein?“ Er konnte es einfach nicht fassen!<br />

„Ich setze mich für Ideen ein, Sir, was genau dem entspricht, wofür<br />

diese Uniform steht.“<br />

„Das sind aber falsche Ideen!“, zürnte Kovan.<br />

„Das habe ich nicht zu entscheiden, Sir. Und sie auch nicht.“<br />

„Vielleicht sollte ich es entscheiden.“<br />

„Und dann? Was wird passieren, wenn man nicht mehr sagen darf,<br />

was man denkt? Was haben wir dann erreicht?“<br />

„Eine freundlichere und verantwortungsvollere Gesellschaft!“<br />

Yoko deutete entschlossen auf den Eingang, in dem Sidak<br />

verschwunden war. „Er mag unrecht haben. Er mag ein Schleimteufel<br />

sein. Und vielleicht sogar ein böses Monster.“<br />

Von drinnen rief eine Stimme, die verblüffende Ähnlichkeit mit<br />

Sidak hatte: „Ich kann sie noch hören, Kadett...!“<br />

Niemand ging darauf ein.<br />

„Aber er hat das Recht“, sprach Yoko weiter „seine Meinung – mag<br />

sie noch so falsch sein – zu äußern. So wie uns dasselbe recht<br />

zusteht.“<br />

„Und wir sollen einfach beiseite treten? Nichts tun öffnet Monstern<br />

wie Khan, Qualto, Hitler, oder diesem Sidak Tür und Tor!“<br />

„Soweit ich mich erinnere, haben diese Leute nicht die Macht<br />

ergriffen, Sir. <strong>Sie</strong> wurden gewählt. Das Volk hatte eine Wahl. Es hat<br />

die falsche getroffen. Aber das war ihr gutes Recht.“


„Was?!“<br />

Es reichte! Es war endgültig genug! Unbändiger Zorn vernebelte<br />

Kovans Geist. Er wollte es nicht einmal, aber er benötigte ein Ventil,<br />

um Dampf abzulassen, und dieses Ventil fand er in einem Schubs des<br />

Vulkaniers. Es war nicht einmal ein bemerkenswert starker Schubs,<br />

und er tat Kovan auch in dem Moment leid, in dem er geschah, aber er<br />

genügte, um Yoko aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Vulkanier<br />

stürzte zurück und plumpste auf den Hosenboden.<br />

Tala bedauerte sehr, dass es so weit kommen musste. Captain<br />

Kovan hätte ihr alles ermöglichen können, was sie anstrebte: eine<br />

schnelle, saubere Karriere in der Flotte. Sein Wort trug einiges<br />

Gewicht. Wenn er sich für sie eingesetzt hätte, wäre sie zweifellos<br />

durch die Ränge steil nach oben geflogen. Vor ihrem inneren Auge<br />

hatte sich Tala bereits auf dem Kommandostuhl eines Raumschiffes<br />

gesehen. Und sie sah all das Gute, dass sie mit der Macht ihres<br />

eigenen Schiffes hätte bewirken können. All die Leute, denen sie hätte<br />

helfen können.<br />

Vor allem ihrer eigenen Welt.<br />

Vor allem Andoria.<br />

Und dann wurden diese Bilder alle weggewaschen, durch einen<br />

einzigen, simplen Fakt: Das ein Freund in Not war.<br />

Kovan sah Talas Angriff gar nicht kommen. Ihre Faust bewegte sich<br />

so schnell, dass man sie selbst in Zeitlupe kaum wahrgenommen hätte.<br />

Es war ein sauberer Aufwärtshaken, der ihn an der Kinnspitze traf und<br />

unverzüglich die Sterne sehen ließ, durch die er normalerweise zu<br />

reisen pflegte. Alles, was er noch mitbekam, war, wie Tala vor ihn<br />

sprang, und grollte: „Yoko ist ein Mitglied meiner Staffel, und der<br />

einzige, der ihn herumschubst, das bin ich!“ Dann wurde sie kurz<br />

unscharf, und dann war da nur noch Schwärze.<br />

Tala reichte Yoko die Hand und half ihm auf.<br />

„Alles okay?“<br />

„Ich... denke schon. Danke.“


Es war endlich vorbei. Für heute hatte sie wirklich genug von dieser<br />

Demonstration, und sie war sicher, dass alle anderen genauso<br />

empfanden.<br />

Was natürlich nicht der Fall war.<br />

Indem Moment, in dem Kovans Körper wie ein nasser Sack<br />

eingeknickt war, waren alle verstummt. Die Vulkanier hatten die<br />

Brauen geringschätzig gehoben, die Menschen hatten mit offenen<br />

Mündern und großen Augen dagestanden, und die Andorianer hatten<br />

nur einen kurzen Augenblick gebraucht, um von Tala zu Kovan und<br />

dann wieder zu Tala zu blicken, und zu entscheiden, dass das die<br />

ideale Gelegenheit wäre, um jenen Vorfall, der als die größte<br />

Massenschlägerei der Akademie in die Geschichtsbücher eingegangen<br />

war, zu übertreffen.<br />

„<strong>Sie</strong> hat Captain Kovan geschlagen!“, rief einer.<br />

„Und dem Rassisten geholfen!“, rief ein anderer.<br />

„Packt sie!“, riefen alle.<br />

Es war Durkin, der plötzlich vor Tala gesprungen kam und die<br />

Menge gefährlich anknurrte: „Da müsst ihr aber erst an mir vorbei!“<br />

Er war Kampfeslustig und Willens, jeden in der Luft zu zerreißen, der<br />

sich ihnen auch nur näherte.<br />

Und die anderen Mitglieder der Omega-Staffel folgten seinem<br />

Beispiel, und stellten sich den anderen in den Weg, Schulter an<br />

Schulter - wenn auch weniger euphorisch als Durkin.<br />

„Und an mir.“<br />

„Und. An. Mir.“<br />

„Und an... an... mir.“<br />

„An mir nicht, aber Tala tut mir weh, wenn ich nicht hier stehe.“<br />

(Das war Galak)<br />

„Und an mir.“<br />

Sha’Nyn stöhnte auf. <strong>Sie</strong> wusste, was jetzt kommen würde.<br />

Dennoch nahm sie artig ihren Platz an der Seite der anderen ein. „Und<br />

an mir...“, sagte sie augenrollend.<br />

Tala hätte stolzer nicht sein können. In solchen Momenten, da fragte<br />

sie sich, ob es vielleicht genetische Veranlagung war. Eine feste<br />

Verdrahtung, ein Instinkt, der sich in jedem einzelnen von ihnen<br />

befand. Schließlich war der Überlebensinstinkt der stärkste, den sie<br />

hatten. Und je mehr sie waren, desto größer standen die Chancen zu<br />

überleben. Es war leicht, sich einzelne Individuen herauszupicken und


anzugreifen. Aber es lag Stärke in Zahlen. Selbst, wenn diese Zahl nur<br />

eine sieben war.<br />

Die Andorianer drängten durch die Menge, stießen diejenigen um,<br />

die an einer Schlägerei nicht beteiligt sein wollten, warfen die<br />

Barrikaden um und stürmten auf die Omega-Staffel zu.<br />

Sha’Nyn seufzte und sah zu Tala rüber. „Immer dasselbe, was?“<br />

„Ich weiß.“, erwiderte Tala mit einem grimmigen Lächeln. „Aber<br />

ich werde nie müde es zu tun.“<br />

Die Gegnermassen waren gewaltig. <strong>Sie</strong>ben gegen eine ganze Horde.<br />

Sha’Nyn war davon überzeugt, dass sie nun die Abreibung ihres<br />

Lebens bekommen würden. Und Admiral Janeway würde<br />

anschließend die Reste einsammeln, um sie höchstpersönlich noch ein<br />

bisschen weiterzubearbeiten, ehe sie jedes einzelne Mitglied der<br />

Omega-Staffel persönlich zur Tür begleiten würde.<br />

In diesem Moment setzte die Explosion ein.<br />

Das Tosen der heranstürmenden Menge war so laut und ablenkend,<br />

dass anfangs niemand das Gleißen bemerkte, das aus den Fenstern der<br />

oberen Etage der Sudak-Halle strömte. Doch die anschließende<br />

Explosion weckte unzweifelhaft die Aufmerksamkeit aller<br />

Anwesenden. Das halbe Bauwerk wurde von einem gewaltigen<br />

Feuerball erfasst, der im oberen Stockwerk aufbrandete und sich zu<br />

den Seiten ausbreitete, bis er alles zu verschlingen schien, was sich in<br />

Reichweite befand. Eine Flammen walzten aus den oberen Fenstern<br />

meterweit über ihnen hinweg, Rauchwolken quollen hervor,<br />

Stahlträger krümmten sich, Hagelschauer aus zersplittertem Glas<br />

gingen nieder, die Luft erzitterte in ohrenbetäubendem Getöse.<br />

Die Kadetten schrieen alle gleichzeitig auf, aber selbst das ging im<br />

grässlichen Lärm der Detonation unter. Die Erde rüttelte und<br />

schüttelte sich, und Millisekunden später folgte die Druckwelle. Es<br />

fühlte sich wie der Hammerschlag eines Gottes an, als Sha’Nyn<br />

erfasst und emporgehoben wurde. <strong>Sie</strong> schleuderte durch die Luft und<br />

prallte gegen gleich zwei Andorianer, die im selben Moment das<br />

Gleichgewicht verloren und mit rudernden Armen zu Boden gingen,<br />

während sich die Druckwelle der Detonation fortpflanzte und durch<br />

die Reihen der Kadetten fegte.


Sha’Nyn wurde die Luft aus den Lungen gepresst und sie spürte<br />

einen stechenden Schmerz in der Seite. Einen Moment lang wurde ihr<br />

Schwarz vor Augen, und dann nahm sie alles nur noch wie durch<br />

einen grauen Schleier wahr.<br />

Ein dumpfer Knall war von irgendwoher zu hören. <strong>Sie</strong> spürte, wie<br />

Glas auf sie niederprasselte. Dann vernahm sie für eine elend lange<br />

Zeit nur noch ihren Herzschlag.<br />

Später erfuhr Sha’Nyn, dass sie nur etwa ein oder zwei Minuten<br />

benommen dagelegen hatte, aber es war ihr vorgekommen wie ein<br />

oder zwei Jahre. <strong>Sie</strong> spürte, wie sie von jemandem auf den Rücken<br />

gedreht wurde, dann tauchte ein dunkler Schemen in ihrem Blickfeld<br />

auf.<br />

„-han?“<br />

Der Schemen hatte Fühler.<br />

„Shan?“<br />

Sha’Nyn blinzelte und der graue Schleier verwandelte sich nach und<br />

nach in ein klareres Bild. Talas Gesicht schälte sich hervor. <strong>Sie</strong> war<br />

über Sha’Nyn gebeugt und große Sorge zerfurchte ihre Züge.<br />

Und sie sah furchtbar aus.<br />

<strong>Sie</strong> war voller Dreck und ihre Haut war Ruß- und Blutverschmiert.<br />

Überall in ihren Haaren befanden sich Glassplitter. „Shan, bist du in<br />

Ordnung? Shan, komm schon. Tu mir das nicht an. Sag mir, dass du<br />

okay bist!“<br />

Ein Stöhnen war die Antwort. „Warum muss bei uns immer alles<br />

explodieren?“<br />

Tala hätte fast gelacht, hauptsächlich vor Erleichterung. „Kannst du<br />

aufstehen?“<br />

„Ich kann dir nicht einmal sagen, ob ich überhaupt noch einen<br />

Körper habe.“<br />

„Hast du.“, versicherte Tala und zog Sha’Nyn kurzerhand am Arm<br />

hoch. <strong>Sie</strong> schwankte zwar einen Moment gefährlich, hielt sich aber<br />

auf den Beinen.<br />

„Geht’s?“


„Glaub schon.“ Ihre ganze linke Seite tat schrecklich weh, aber sie<br />

konnte es aushalten. Tala hatte offenbar mehr Glück gehabt. Oder sie<br />

zeigte es nur nicht. „Was ist passiert?“<br />

„Ich habe keine Ahnung.“, antwortete Tala ehrlich.<br />

Der Anblick, der sich Sha’Nyn darbot, war furchtbar. Überall lagen<br />

Körper und überall war Glas. In der Luft schwirrte und brodelte es<br />

von verkohlten Trümmerteilen, Ascheflocken, Duranium und<br />

brennendem Plastik.<br />

<strong>Sie</strong> hörte Gestöhne, manche weinten auch. Alle waren bei der<br />

Explosion zu Boden geschleudert worden. Beim Sturz mochten sich<br />

viele verletzt haben. Sha’Nyn ging von etlichen Knochenbrüchen aus.<br />

Vielleicht auch schlimmeres. Nun taumelten etliche Kadetten wie<br />

Zombies durch die Gegend. <strong>Sie</strong> standen unter Schock und waren<br />

völlig desolutioniert. Kämpfen mochte in dieser Situation niemand<br />

mehr. Einige der Andorianer, die ihnen zuvor noch an den Kragen<br />

wollten, und unverletzt geblieben waren, versuchten nun ihre<br />

Kameraden in Sicherheit zu bringen, die weniger Glück gehabt hatten.<br />

Nun gab es kein die da mehr. Nun halfen sich alle gegenseitig.<br />

Sha’Nyn sah, wie Tala bereits jemand anderen aus den Trümmern<br />

zog. Es war Galak. Er hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen,<br />

und auch er sah übel mitgenommen aus. „Ha-habt ihr die Explosion<br />

gehört?“<br />

Tala stöhnte. „Die hat man noch auf dem Mars gehört, Galak! Bist<br />

du okay?“<br />

„Nein!“<br />

<strong>Sie</strong> trat zu ihm herüber und untersuchte seinen Körper. „Du hast ein<br />

paar Kratzer, aber es ist nicht schlimm, denke ich.“<br />

„Es ist mein Körper, ich entscheide, wie schlimm es ist.“<br />

„Sei nicht so ein Baby!“<br />

Tala merkte, dass er zitterte. Er hatte Angst und sie wusste, dass er<br />

panisch war. Er neigte in Extremsituationen wie dieser zur Hysterie –<br />

er war für solche Dinge einfach nicht geschaffen. Aber das konnte sie<br />

jetzt nicht brauchen, also scheuerte sie ihm eine. „Reiß dich<br />

zusammen! Ich brauche dich jetzt, verstanden?“<br />

Er rieb sich die schmerzende Wange und funkelte sie böse an. „Ich<br />

versuch’s.“<br />

„Gut so.“


Sha’Nyn suchte die Umgebung ab. <strong>Sie</strong> entdeckte Wotan – er war in<br />

Ordnung. Auch Cera stand gerade auf. <strong>Sie</strong> hatte sich schützend auf<br />

Das Grau geworfen, der platt wie eine Flunder war. Zum Glück gab es<br />

in seinem Körper keine Knochen, die man hätte brechen können. Er<br />

würde es überleben. Und da war auch Durkin, der zwar angeschlagen,<br />

aber wütend war. Er stand auf ziemlich wackligen Beinen, was ihn<br />

allerdings keineswegs daran hinderte, dem unbekannten Gegner, der<br />

ihn gerade umgehauen hatte, die Fäuste zu zeigen. Die Wildheit der<br />

Schlacht, in der er sich anscheinend befand, hatte ihn erregt. „Wer hat<br />

mich mit einem Shuttle überrollt?“, schnaufte er. „Wer hat es<br />

gewagt...?!“<br />

Da niemand antwortete, erklärte er für sich im Geiste schließlich,<br />

dass der unbekannte Gegner eindeutig zu feige war sich zu zeigen und<br />

zu kämpfen und ihm somit der <strong>Sie</strong>g gehörte.<br />

Sha’Nyn suchte die Gesichter ab.<br />

Wotan war da, Galak, Cera, Grau, Durkin...<br />

Sha’Nyn und Tala sahen gleichzeitig einander an: „Wo ist Yoko?“<br />

„Hier drüben!“ Es war Kovan, der rief. Die Explosion hatte ihn<br />

unsanft aus seiner Bewusstlosigkeit gerissen, und ihm brummte der<br />

Schädel gleich doppelt – sowohl von dem lauten Knall, als auch von<br />

Talas äußerst kräftigem Handkantenschlag. Aber der spielte nun keine<br />

Rolle mehr. Nichts fokussierte und schweiße mehr zusammen, als ein<br />

Notfall, und das hier war ganz klar einer. Man konnte sich den lieben<br />

langen Tag wegen Meinungsverschiedenheiten an die Gurgel gehen,<br />

aber wenn eine Katastrophe geschah, hielt man zusammen, ohne<br />

Wenn und Aber.<br />

Was auch erklärte, warum er Yoko aus den Trümmern zu befreien<br />

versuchte. Er lag direkt an der Treppe und ein Dachbalken war auf ihn<br />

niedergestürzt. Die anderen eilten ihm zu Hilfe. Während sie über<br />

Körper sprang und Glas auswich, sah Sha’Nyn erschüttert und atemlos<br />

hinauf zum brennenden Gebäude. Überall fielen Scherben herab, und<br />

in der Luft trieb brennende Papierfetzen.<br />

Tala war als erste bei Kovan. <strong>Sie</strong> zogen Yoko gemeinsam aus den<br />

Trümmern raus. Dann wollten sie ihn auf den Boden legen, aber er<br />

richtete sich von selbst auf. Sogar er schwankte.<br />

„Yoko, bist du okay?“<br />

„Was?“<br />

„Ob du okay bist.“, rief Tala.


„Was?!“<br />

„Das Gebäude ist direkt neben ihm explodiert.“, erklärte Kovan.<br />

„Und bei den Ohren... Er hört sie nicht, Kadett.“<br />

„Was?!“<br />

Ein Dröhnen erfüllte die Luft, als ein rückwärtiger Teil des<br />

Gebäudes absackte, da die Flammen die Stützträger fraßen. Ein<br />

starker Luftzug war die Folge und unter den entsetzten Blicken der<br />

Kadetten löste sich die Rauchwand auf und gab die ganze<br />

abgesprengte Gebäudeseite frei, sodass sie sehen konnte, wie<br />

Flammen innen durch die Korridore und die verwüsteten Ruinen<br />

abgeteilter Computer- und Vorlesungsräume tobten.<br />

„Sidak.“, grollte Kovan. Und dann geschah etwas, das Tala zutiefst<br />

erschreckte: Er grinste. Kovan grinste mit tiefer Befriedigung.<br />

„Endlich war es das mit ihm.“<br />

Tala sah ihn aus großen Augen an. <strong>Sie</strong> konnte nicht glauben, was sie<br />

da gehört hatte. Konnte nicht glauben, welche Kaltherzigkeit Kovan<br />

an den Tag legte. Eine Kaltherzigkeit die jemandem wie Sidak in<br />

nichts nachstand. Und die vielleicht sogar noch schlimmer war, weil<br />

Kovan im Alltag ein völlig anderes Bild von sich gezeigt hatte. Wie<br />

sooft, hatte der Schein getrogen.<br />

Tala packte ihn am Oberarm. „Und die Sicherheitsleute?“, fragte sie<br />

wütend. „Es waren auch Andorianer dabei!“<br />

Dem entgegnete er nichts. Er sah sie nicht einmal an, sondern<br />

blickte stur und starr zum lodernden Eingang empor. Aber er musste<br />

auch gar nichts mehr sagen. Tala hatte perfekt verstanden. <strong>Sie</strong> lies<br />

seinen Arm plötzlich los, als hätte sie sich an ihm verbrannt, aber ihr<br />

Blick verriet nicht mehr Überraschung, sondern Wut. Wut und...<br />

grenzenlose Enttäuschung.<br />

In der Ferne war das Dröhnen herannahender Shuttles zu hören, und<br />

aus den Augenwinkeln sah sie, wie überall Rettungskräfte auf den<br />

Platz beamten, die sofort die Kadetten versorgten. Aber keiner von<br />

denen wusste, dass sich jemand im Gebäude aufgehalten hatte. Tala<br />

war nicht bereit, die Andorianer da drin so einfach aufzugeben. Nun<br />

zählte jede Sekunde. „Omega-Staffel“, rief sie. „Mir nach!“<br />

Ohne ein Murren, ohne eine Sekunde zu zögern, folgten sie Tala die<br />

Treppe hoch und hinein in die flammende Hölle dessen, was vor<br />

wenigen Minuten noch ein Ort des friedlichen Gedankenaustauschs<br />

gewesen war.


Im Feuer geschmiedet<br />

Tala schirmte ihr Gesicht mit den Armen ab, als sie durch die<br />

Flammen sprang, die in der gesamten Halle loderten. Ein Großteil der<br />

Decke war runtergekracht, überall lagen Trümmer, überall war Feuer<br />

und dichter Rauch, der in ihren Lungen brannte. <strong>Sie</strong> konnte kaum<br />

atmen und noch viel schlechter sehen.<br />

Es erinnerte sie an die Katastrophe, die man ihnen vor ein paar<br />

Wochen in der Holodecksimulation vorgespielt hatte. Damals hatte sie<br />

sich ebenfalls gefühlt, als sei sie in der Unterwelt gelandet. Aber das<br />

hier war keinen Simulation. Das hier war echt.<br />

Und sie hatte Angst.<br />

<strong>Sie</strong> alle hatten Angst, aber die Mitglieder ihrer Staffel waren noch<br />

immer bei ihr.<br />

Ein Luftzug schob für einen Kurzen Moment den Rauch aus ihrem<br />

Sichtfeld und sie sah schemenhafte Gestalten vor sich. Die ersten<br />

Sicherheitsoffiziere kamen ihnen hustend entgegengewandt. Galak<br />

winkte sie herbei. „Hier herüber!“<br />

<strong>Sie</strong> wankten wie Zombies durch das Feuermeer.<br />

Es waren vier Stück. Einer fehlte. Der Andorianer. Der Andorianer<br />

und Sidak.<br />

„Shan, Cera!“, schrie Tala, um das Brüllen des Feuers zu übertönen.<br />

„Holt Feuerschläuche! Galak, Durkin, bringt die Leute hier heraus.<br />

Yoko, mir nach!“<br />

<strong>Sie</strong> setzte sich in Bewegung, suchte den Boden nach Körperteilen<br />

ab, die unter den Trümmern herausragten – möglicherweise waren<br />

Sidak und der Sicherheitsleute von herabstürzendem Schutt begraben<br />

worden. Hinter ihnen brachten Galak und Durkin die Sicherheitsleute<br />

ins Freie.<br />

Immer wieder musste sie die Richtung wechseln, weil Flammen den<br />

Weg versperrten. Langsam bekam sie keine Luft mehr. Eine weitere<br />

Explosion erschütterte die Erde und warf Tala von den Füßen. Yoko<br />

konnte sich irgendwie auf den Beinen halten und fing die<br />

Andorianerin auf, um sie vor einem schlimmen Sturz zu bewahren.


Tala hustete und verdrehte die Fühler. Der Rauch war jetzt zu heftig,<br />

sie konnte nichts mehr sehen.<br />

<strong>Sie</strong> versuchte tief einzuatmen, sämtliche verbliebenen<br />

Sauerstoffreserven in ihren Lungen zu mobilisieren und schrie dann<br />

laut: „DANG!“<br />

<strong>Sie</strong> konzentrierte ihre Wahrnehmung, lauschte dem Echo des<br />

Schalls...<br />

... da!<br />

Herzschläge einer Person, acht Meter entfernt. Tala zeigte in die<br />

entsprechende Richtung, brüllte etwas, dass selbst Yoko aufgrund des<br />

Lärms nicht verstand und versuchte Einzelheiten zu erkennen. Yoko<br />

sah die Gestalt als erstes: Es war Sidak.<br />

Und er war nicht allein.<br />

Er trug den vermissten Sicherheitsoffizier in den Armen und<br />

versuchte vergeblich den Ausgang zu finden. Der Andorianer war<br />

bewusstlos und offenbar schwer verletzt, sonst hätte Tala auch seinen<br />

Herzschlag wahrgenommen. Sidak hätte ihn einfach zurücklassen<br />

können und es hätte nie jemand erfahren. Aber er hatte es nicht getan.<br />

Tala und Yoko sahen einander an.<br />

Dann rannten sie zu Sidak herüber, nahmen ihn in die Mitte. Tala<br />

orientierte sich mithilfe ihres Echolots. Auf halbem Wege kamen<br />

ihnen Sha’Nyn, Durkin, Galak und Cera mit Feuerlöschern<br />

entgegengesprungen, um die Bahn freizumachen. Als alle ins<br />

Tageslicht nach draußen sprangen, krachte hinter ihnen der Rest der<br />

Decke herab und schwarzer Rauch quoll aus dem Eingang, aus dem<br />

sie soeben gekommen waren.<br />

Die Rettungskräfte bekamen die Situation schnell unter Kontrolle.<br />

Schon nach fünf Minuten waren sämtliche Feuer gelöscht und man<br />

machte sich auf die Suche nach Verschütteten, aber die Tricorder<br />

gaben Entwarnung. Das Gebäude war völlig leer gewesen, als Sidak<br />

und der Sicherheitstrupp die Halle betreten hatten. Es gab viele leicht<br />

Verletzte, aber wenigstens keine Todesfälle. Trotz der erschreckenden<br />

Nachrichten, dass es zu einem Bombenanschlag direkt auf der<br />

Akademie gekommen war, hatten sie Glück im Unglück gehabt.


Tala saß in einem der Rettungsshuttles, wo man sich um ihre<br />

Rauchvergiftung gekümmert hatte. Inzwischen konnte sie wieder<br />

problemlos atmen und die Ärzte hatten sie alleine gelassen, um sich<br />

um die nächsten zu kümmern. Neben ihr saß Galak an die Wand<br />

gelehnt. Er war in eine Decke gehüllt und schnarchte leise vor sich<br />

hin. Er war beinahe sofort eingeschlafen. Sein ganzer Körper war<br />

noch immer Rußverschmiert und seine Haare standen in alle<br />

Richtungen ab. Er sah so schrecklich aus, wie sie sich fühlte. Aber<br />

wenigstens war ihm nichts passiert.<br />

Tala legte ihm eine Hand auf sein Knie und er schmatzte ohne<br />

aufzuwachen.<br />

Der Rest ihrer Staffel – Durkin, Sha’Nyn, Cera, Yoko und Grau -<br />

saß im Shuttle auf der anderen Seite der Wiese und wurde noch von<br />

den Ärzten durchgecheckt. Tala konnte sie durch die offenstehende<br />

Einstiegsluke sehen. Sha’Nyn blickte im gleichen Moment zu ihr<br />

herüber und winkte. Plötzlich sah Tala, wie jung sie eigentlich waren<br />

und wie erschöpft. Galak schmatzte erneut und sank mit dem Kopf auf<br />

Talas Schulter. „Das nächste Mal...“, murmelte er im Schlaf „wenn<br />

man mich in einem Turbolift um einen Gefallen bittet, werde ich nur<br />

noch bei Sex ja sagen.“<br />

„Versprochen.“, erwiderte Tala sanft, auch wenn sie wusste, dass er<br />

sie nicht hörte.<br />

<strong>Sie</strong> sah wieder zur Tür hinaus und zur Sudak-Halle - das, was<br />

davon übrig geblieben war – herüber. Irgendwo in der Menge erspähte<br />

sie Therynn, die von den Sicherheitskräften ausgefragt wurde.<br />

„Wer ist der verantwortliche dafür?“, hörte Tala den zuständigen<br />

Offizier fragen.<br />

„Niemand.“<br />

„Wo waren sie vorletzte Nacht?“<br />

Therynn wirkte verärgert. „In meinem Zimmer, in den Baracken.“<br />

„Ihr Kommunikatorsignal ist dort aufgezeichnet worden, ja, nicht<br />

jedoch ihr Lebenszeichen. <strong>Sie</strong> haben ihn abgelegt. Wo waren sie<br />

vorletzte Nacht?<br />

„Was wollen sie von mir?“<br />

„Was wissen sie über die Explosion?“<br />

Tala runzelte die Stirn. Ihre Fragen waren ungewöhnlich bohrend.<br />

„Wir müssen sie bitten mit uns zu kommen.“<br />

„Und warum?“, fragte Therynn verständnislos.


„Wir glauben, das sie die verantwortliche sind.“<br />

„Das ist doch lächerlich!“<br />

„Es besteht der dringender Sabotageverdacht.“<br />

Es überraschte Tala nur kurz, als die Sicherheitsoffiziere ihr<br />

Energieschellen anlegten. Als sie Therynn abführten, brachte sie ihr<br />

Weg an Kovan vorbei, der ebenfalls von Sicherheitsoffizieren befragt<br />

wurde. Therynn versuchte angestrengt in eine andere Richtung zu<br />

sehen und seinem Blick auszuweichen.<br />

Tala wusste nicht wieso, aber sie konnte es sich denken. Als hätte er<br />

ihren Blick gespürt, schaute Kovan genau in dem Moment zu ihr<br />

herüber.<br />

Einen Augenblick lang sahen sie sich direkt in die Augen.<br />

Tala war zu müde, um viel zu empfinden. <strong>Sie</strong> schüttelte nur den<br />

Kopf und wandte sich ab. Der einbrechende Abend brachte eine<br />

angenehme Kühle mit sich. Tala lehnte ihren Kopf an Galaks, schloss<br />

die Augen und schlief ein.<br />

Leutenant Tev beschloss, dass heute einfach nicht sein Tag war, als<br />

er durch die Reihen der Rettungsshuttles und Ärzte wanderte und nach<br />

jemand bestimmtem Ausschau hielt. Der andorianische<br />

Sicherheitsoffizier blickte auf eine gut verlaufende Karriere in der<br />

Sternenflotte zurück – seine Dienstakte war tadellos – und er gehörte<br />

bei seinem Trupp zu den Besten. Er war ein geschickter Kämpfer und<br />

man sagte ihm außerordentlich gute Reflexe nach. Bisher hatte er an<br />

dreiundzwanzig echten Einsätzen teilgenommen und jedes Mal einen<br />

nützlichen Beitrag leisten können.<br />

Heute jedoch, als er Doktor Sidak mit den anderen<br />

Sicherheitswächtern vom Landefeld zur Sudak-Halle eskortiert hatte,<br />

hatte sein Beitrag aus nur zwei Dingen bestanden: Als erstes hatte er<br />

eine fürchterlich stinkende Bananenschale überbekommen, die<br />

eigentlich für Doktor Sidak gedacht war. Er hatte keine Mine<br />

verzogen, wie es sich für einen Profi gehörte, aber innerlich hatte er<br />

ein bisschen gezetert und geschimpft und beschlossen, bei der<br />

nächsten Schießübungen menschliches Obst an die Zielscheibe zu<br />

heften. Und dann hatte er eine fürchterlich laute Explosion<br />

überbekommen, die ebenfalls für Doktor Sidak gedacht war. Er hatte


sehr wohl eine Mine verzogen, wie es sich für einen Verletzten<br />

gehörte, und sich die Bananenschale zurückgewünscht.<br />

Zum Glück waren seine Verletzungen nicht allzu stark gewesen und<br />

es war den Rettungskräften draußen gelungen, ihn wiederzubeleben<br />

und seine Rauchvergiftung zu behandeln. Zwar waren seine Fühler ein<br />

bisschen angesengt und er hatte einige zusätzliche Narben am Rücken<br />

gewonnen (gegen deren Entfernung er sich vehement ausgesprochen<br />

hatte), aber alles in allem war er bemerkenswert unbeschadet<br />

geblieben.<br />

Und das hatte er ausgerechnet Sidak zu verdanken, was noch viel<br />

bemerkenswerter war. Tev hatte lange überlegt, warum Sidak ihn<br />

nicht einfach im Stich gelassen hatte, aber er war auf keine<br />

vernünftige Lösung gekommen. Da er unbeantwortete Fragen<br />

ziemlich verabscheute – auch beruflich bedingt -, hatte er beschlossen<br />

den Doktor selbst zu fragen.<br />

Er fand Sidak in einem der Shuttle am Ende der Wiese. Er hatte sich<br />

eine jener Atemmasken ins Gesicht gepresst, die irgendeine Art<br />

heilender Sauerstoff in seine Lungen pumpte, um den dort vom Rauch<br />

angerichteten Schaden auf eine Weise reparierte, die Tev nicht einmal<br />

annähernd verstand. Er war schließlich nur einfacher<br />

Sicherheitsoffizier...<br />

...Der heute eine Banane und eine Explosion überbekommen hatte.<br />

Sidak schaute nur kurz auf, als er Tev bemerkte. Er war an keinem<br />

Gespräch interessiert. Dennoch sagte Tev: „<strong>Sie</strong>... haben mir das Leben<br />

gerettet.“<br />

Noch immer nichts.<br />

„Verzeihen <strong>Sie</strong> die Frage, aber... warum? Jemand wie <strong>Sie</strong>...“<br />

Sidak sah ihn erneut an, diesmal verwirrt. Die Antwort war doch<br />

ganz offensichtlich. „Weil ich es konnte.“<br />

„Oh. Nun, ähm...“ Es kostete Tev zwar einige Überwindung, aber<br />

der Mann hatte sein Leben gerettet. Also reckte er Sidak die Hand<br />

entgegen. „Danke.“<br />

Sidak machte keine Anstalten den Gruß zu erwidern. Alles, was er<br />

sagte, war: „Uh-huh.“<br />

Tev zögerte einen Moment. Dann zog er die Hand zurück, kratzte<br />

sich mit ihr am Nacken, weil er sich irgendwie blöd vorkam und<br />

entfernte sich.


Kosmische Harmonien<br />

Drake stand am späten Abend im Park, beobachtete die<br />

Aufräumarbeiten um nicht weiter aufzufallen aus sicherer Entfernung<br />

und hatte keine Ahnung, wie er sich fühlen sollte. Noch immer<br />

wurden auf dem Rasen Verletzte versorgt, ständig starteten und<br />

landeten medizinische- und Reparaturfahrzeuge. Der ganze Bereich<br />

um die Sudak-Halle herum sah aus, als sei er ein Kriegsschauplatz<br />

gewesen. Drake und Seeley waren noch rechtzeitig rausgekommen,<br />

ehe die KI und somit auch das Gebäude explodiert war.<br />

Ein ganzes Gebäude...<br />

...einfach in die Luft geflogen.<br />

Eigentlich hätte er sich freuen müssen. Seit dem Zwischenfall auf<br />

dem Kreuzfahrtschiff damals, hatte er eine merkwürdige, an Sucht<br />

grenzende Faszination für Feuer und Explosionen entwickelt, und<br />

davon hatte er heute eine Menge gesehen. Obendrein war er noch in<br />

den Genuss einer Schießerei gekommen, und hatte eine Bedrohung für<br />

die Allgemeinheit eliminiert. Allen Grund also, eine tiefe<br />

Befriedigung zu spüren. Aber da war nichts. Er empfand keine<br />

Freude, keine Enttäuschung... gar nichts. Da war einfach nur... eine<br />

gähnende Leere.<br />

Eine gähnende Leere und das Wissen darüber, dass er gelogen hatte.<br />

Er hatte eine Kreatur in Not angelogen. Hatte der KI gesagt, dass sie<br />

ein Unfall sei, und dass es ihr niemals möglich sein werde, mehr zu<br />

sein, als das, was sie war. Aber er wusste es nicht genau. Er war mit<br />

einer Kreatur konfrontiert gewesen, die mehr sein wollte... und er<br />

hatte sich abgewandt.<br />

Und er würde ein weiteres Mal lügen, da er sich vorgenommen<br />

hatte, nichts davon im Abschlussbericht zu erwähnen.<br />

In Anbetracht dieser Tatsache hätte er etwas empfinden müssen. Er<br />

hätte sich schuldig fühlen müssen... oder mies... irgendwas. Aber er<br />

konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er das tat oder nicht. Ob<br />

solche Gefühle vorhanden waren, oder ob er inzwischen selbst zu dem<br />

Monster geworden war, das er bekämpfen wollte. Oder ob er einfach


nur gelernt hatte, solche Gefühle derart gut zu unterdrücken, dass er<br />

den Unterschied gar nicht mehr bemerkte.<br />

Er versuchte sich einzureden, dass es im Grunde egal sei, weil es<br />

keinen plausiblen Grund für Reue gab. Er hatte eine Mission gehabt<br />

und entsprechend gehandelt und vielleicht hatte er dadurch ja sogar<br />

einige Leben gerettet. Aber in dem er das getan hatte, hatte er seine<br />

Seele belastet.<br />

Das...<br />

...was davon noch übrig war.<br />

Wenn noch etwas übrig war.<br />

Drake seufzte.<br />

Vielleicht war das der Grund, warum er sich nie näher mit solchen<br />

Dingen auseinandersetzen wollte und warum er versuchte nichts ernst<br />

zu nehmen. Es war leichter, wenn man sich sagte, dass es sich bei<br />

einem Gegner, bei so einem Wesen wie der KI, einfach um eine<br />

Naturkatastrophe handelte. Und die waren nie gut oder böse, die<br />

forderten einen einfach zur Selbstverteidigung, und davon verstand er<br />

einiges. Es war ursprünglich. Es war Teil der menschlichen Natur.<br />

Und es war leicht zu rechtfertigen. Wenn man es mit einer<br />

Naturkatastrophe, einem Monster, oder einer Maschine zu tun hatte,<br />

gab es keine grauen Bereiche. Die konnte man einfach vernichten.<br />

Endmenschliche dein Gegenüber und alles wird leichter.<br />

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er das Klackern von<br />

Stiefeln hörte – jemand näherte sich ihm. Drake musste sich nicht zu<br />

ihr umdrehen, um zu wissen, dass es Seeley war.<br />

„Ich habe den Admiral informiert.“, sagte sie.<br />

„Uh-huh.“<br />

Drake konnte sich vorstellen, dass er nicht glücklich war. Die Dinge<br />

waren nicht ganz gelaufen, wie geplant – gelinde gesagt. Im Grunde<br />

konnte man den Einsatz als mittelprächtige Katastrophe bezeichnen.<br />

Dafür würde er früher oder später gerade stehen müssen. Wenigstens<br />

hatten sie inzwischen Gewissheit, dass es zwar einige leicht Verletzte,<br />

aber wenigstens keine Toten gegeben hatte.<br />

Seeley stellte sich neben ihn und eine Weile sprach keiner ein Wort.<br />

Die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen und langsam<br />

wurde es dunkel. Am Himmel glitzerten erste Sterne. Die<br />

Aufräumarbeiten würden noch bis weit in die Nacht andauern.


„Wenn er sich beruhigt hat...“, informierte Seeley zögernd „werde<br />

ich den Admiral darum bitten, in Zukunft mit jemand anderem zu<br />

trainieren.“<br />

Drake sah sie bestürzt an. „Was?!“<br />

Seeley starrte nur zu den Überresten der Halle herüber. <strong>Sie</strong> wich<br />

seinem Blick aus.<br />

„Okay, okay.“, sagte Drake schnell. „Ich hätte mich mit dir<br />

absprechen sollen, als ich beschloss in die Offensive zu gehen und das<br />

Ding direkt zu stellen. Und der Plan war auch nicht besonders gut,<br />

geschweige denn durchdacht.“<br />

<strong>Sie</strong> schüttelte den Kopf. „Nein, das-“<br />

„Aber ich sah darin die beste Chance das Ding aufzuhalten. Und<br />

unterm Strich hat es auch funktioniert.“<br />

„Das ist es nicht, Drake.“<br />

„Was ist es dann?“ Was hatte er denn in ihren Augen so falsch<br />

gemacht? Er konnte es nicht begreifen. Nach so einer Mission den<br />

Partner zu wechseln, kam einem Schlag ins Gesicht gleich. „Ich habe<br />

dir sogar das Leben gerettet!“<br />

„Und ich habe deinen Gesichtsausdruck gesehen.“, platzte es aus ihr<br />

raus. Seeley sah ihn lange an und seufzte. „Mein Leben zu retten war<br />

sekundär, nicht wahr? Dir ging es hauptsächlich darum dieses Ding zu<br />

konfrontieren.“<br />

Drake starrte die Efrosianerin nur an und diesmal war er es, der den<br />

Blick abwandte. Er wusste, dass sie recht hatte. Er konnte nicht<br />

widersprechen. Und noch einmal lügen wollte er nicht. Seeley hätte<br />

ihn sowieso durchschaut.<br />

„Tut mir leid, Drake.“<br />

„Ja.“, meinte er verärgert. „Mir auch.“<br />

Seeley haderte mit sich selbst. <strong>Sie</strong> öffnete den Mund, um noch<br />

etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. <strong>Sie</strong> wandte sich ab<br />

und ging. Drake sah ihr nicht einmal nach. Er war zu stolz, um sich<br />

umzudrehen, zu stolz, um sich zu erklären, oder gar zu entschuldigen.<br />

Er starrte einfach stur und wütend zur Sudak-Halle herüber.<br />

Sah, wie sich Familien und Freunde in die Arme nahmen, sah, wie<br />

sie ihre Erleichterung darüber verkündeten, dass sie gesund und<br />

wohlauf waren. Und Drake beobachtete sie aus der Ferne, allein,<br />

unbemerkt und außenstehend. Er war kein Teil ihrer Welt.


Er hatte keine Freunde, die sich Sorgen um ihn machen würden,<br />

keine Familie, die ihn suchen und in die Arme nehmen würden. Und<br />

jetzt hatte er auch noch einen Weg gefunden, seine Partnerin zu<br />

vergraulen, die im Gegensatz zu ihm, die Arbeit abstreifen und in den<br />

Schoß einer Familie zurückkehren konnte, wenn sie das wünschte.<br />

Dann sah Drake das Mädchen, am Rande der Menge. Die Blondine,<br />

die ihn über den Haufen gerannt und anschließend angegiftet hatte.<br />

<strong>Sie</strong> breitete ihre Arme fröhlich aus und umarmte eine andere Kadettin,<br />

die die Explosion offenbar unbeschadet überstanden hatte.<br />

Ihre braunen Augen funkelten vor Glück.<br />

Nein, realisierte Drake enttäuscht. Das war sie nicht. Ihre Haare<br />

waren gleich, auch die generelle Form des Körpers, aber es war ein<br />

anderes Gesicht, ein anderes Mädchen.<br />

Nicht sie.<br />

Vermutlich würde er sie nie wieder sehen. Und wenn, würde sie es<br />

vielleicht nicht mit ihm aushalten.<br />

Drake blieb stehen wo er war, ohne sich zu rühren, einfach, um zu<br />

sehen, was geschehen würde. Er hatte ohnehin kein Interesse daran<br />

seinen Bericht zu verfassen und schlafen und sich den Träumen<br />

stellen, die ihn jede Nacht heimsuchten, wollte er erst recht nicht.<br />

Er stand nur da.<br />

Die Nacht wurde älter...<br />

...und schließlich war das Feld verlassen. Einzig die Reparaturtrupps<br />

blieben vor Ort und taten ihr bestes, um das Gebäude wieder<br />

herzurichten. Hin und wieder sah einer von ihnen in Drakes Richtung,<br />

verwirrt und verblüfft über den Jungen, der einfach dastand und sich<br />

nicht rührte. Aber sie unternahmen keinen Versuch ihn anzusprechen.<br />

Es war eine herrliche Nacht, Wolkenlos und Drake blieb, bis der<br />

Mond hoch am Firmament stand.<br />

Niemand war zu ihm gekommen.<br />

Und irgendwie, in einem Moment völliger Klarheit, wusste er, dass<br />

er den Rest seines Lebens alleine verbringen würde.<br />

„Ich kann damit leben.“, sagte er schließlich, ging fort und<br />

verschwand im Schatten der Bäume.<br />

„Ich kann damit nicht leben.”, entschied Sha’Nyn.


„Leben?“, fragte Wotan. „Womit?“<br />

<strong>Sie</strong> befanden sich auf ihrer Stube und saßen auf ihren jeweiligen<br />

Betten. Wotan war dabei seinen Ruheplatz auf die Nacht<br />

vorzubereiten (was bedeutete, dass er solange auf dem Laken<br />

herumtrampelte, bis es die gewünschte Weichheit besaß – obgleich er<br />

in diesem Punkt nie hundertprozentig zufrieden war), er wollte gleich<br />

schlafen gehen. In einer halben Stunde würde sowieso der<br />

Zapfenstreich ausgerufen. Sha’Nyn, die im Schneidersitz ruhte, hatte<br />

sich hingegen mit einem Haufen Datenblöcken eingedeckt, die sich<br />

nun auf der Matratze stapelten. <strong>Sie</strong> würde, wie sooft, noch eine Weile<br />

Studieren, auch, wenn das Licht längst aus war. Vielleicht sogar die<br />

ganze Nacht lang.<br />

Nun aber warf sie den Datenblock, in dem sie bisher zu lesen<br />

vorgegeben hatte, von sich weg und zurück auf den Stapel. Ihre<br />

Gedanken waren immer wieder abgedriftet, sie konnte sich nicht<br />

konzentrieren.<br />

„Womit kannst du nicht leben, Liebes?“<br />

„Damit, alleine zu sein.“<br />

„Oh. Wo kommt das jetzt auf einmal her?“<br />

Sha’Nyn sah zum Fenster in die Nacht hinaus und zuckte mit den<br />

Schultern. Durkins Worte klangen auch jetzt noch in ihren Ohren<br />

nach. „Du bist biestig wie ein Tellarit.“, hatte er gesagt. Sha’Nyn<br />

wusste, dass es als Kompliment gemeint war, aber sie verstand es<br />

auch als Warnung. <strong>Sie</strong> war, wer sie war und sie konnte und wollte sich<br />

nicht ändern. Das sah sie nicht ein. Zum Glück gab es ein paar Leute –<br />

selber Außenseiter -, die sie genau so ertrugen, wie sie war. Die wollte<br />

sie nicht verlieren. Ihre Gegenwart wollte sie nicht verlieren. Und<br />

vielleicht – nur vielleicht – gab es irgendwo da draußen ja jemanden,<br />

der aus demselben Holz geschnitzt war, der es mit ihr aufnehmen und<br />

sie akzeptieren konnte. Jemanden, der genauso fehlerhaft und... biestig<br />

war. <strong>Sie</strong> musste ihn nur noch treffen, damit sie sich gegenseitig daran<br />

hindern konnten, ins falsche Verhalten abzudriften und stattdessen in<br />

ihrer in ihrer eigenen kleinen Welt glücklich zu werden.<br />

Hier, inmitten ihrer Datenblöcke, würde sie ihm aber kaum über den<br />

Weg laufen.<br />

Also beschloss sie es für heute gut sein zu lassen und räumte die<br />

Stapel vom Bett, um ebenfalls schlafen zu können. „Unternehmen wir<br />

morgen was?“


„Aber natürlich! Ich wollte morgen Abend mit Durkin und Cera das<br />

Holodeck besuchen. Irgendein tellaritisches Entspannungsprogramm<br />

mit Schlammbädern. Ich weiß nicht genau, was mich da erwartet, aber<br />

es wird sicher lustig. Du kannst dich uns gerne anschließen.“<br />

„Okay.“<br />

Wotan grinste. „Wer weiß, vielleicht bekommen wir es auch hin,<br />

ein holographisches Bild von Gala für dich zu erzeugen. Ich würde es<br />

auch keinem erzähl-.“<br />

Die Kissen, und Datenblöcke, die er überbekam waren zahlreich<br />

und treffsicher geworfen.<br />

Die Mensa war ungewöhnlich still und verlassen zu dieser späten<br />

Stunde der Sonntagnacht. Obwohl man Tala anders kannte, war es<br />

genau diese Einsamkeit, die sie im Moment bevorzugte. <strong>Sie</strong> hatte sich<br />

allein an ein Fenster gesetzt, hielt sich an einem Glas Zitronenmilch<br />

fest, und starrte nun schon seit geraumer Zeit gedankenverloren in die<br />

sternenklare Nacht hinaus.<br />

<strong>Sie</strong> hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie sich fühlen sollte. In<br />

den vergangenen Wochen war alles so viel schwerer und komplizierter<br />

gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Feinde hatten sich als<br />

Verbündete erwiesen, und Verbündete als Feinde. Tala konnte nicht<br />

umhin sich zu Fragen, ob ihr Weltbild nicht einer beträchtlichen<br />

Naivität unterbunden war. <strong>Sie</strong> hatte immer geglaubt Feindbilder seien<br />

klar definiert und klar erkennbar. Dass die bösen Jungs, schwarze<br />

Hüte tragen würden. Oder Hörner hätten. Oder spitze Ohren. Oder ein<br />

Namensschild, auf dem Stand: „Hallo, ich bin böse. Kommen sie bitte<br />

in möglichst heroischer Manier mit ihrem Sternenflottenschiff zu<br />

meiner Basis, um meine Pläne zu vereiteln.“<br />

Manche machten es einem ja auch einfach. Khan, Tomalak, die<br />

Borg... Alles böse aussehende Jungs, die böses sagten und böses taten.<br />

Bei denen konnte man sicher sein: egal auf welcher Seite die standen,<br />

es war besser, in der Opposition zu sein. Die machten es einem<br />

einfach zu wissen, was richtig war und was falsch, und welche Seite<br />

man ergreifen musste.<br />

Aber so einfach war es nicht.


In einer Welt, in der ein Mann, der falsches sprach, dann aber<br />

richtiges Tat, während ein anderer Mann, der richtiges sprach, aber<br />

falsches tat... da wurde alles komplizierter. Da verwuschen die Linien,<br />

und es blieben nur noch Grautöne. Natürlich war Tala bewusst, dass<br />

die Welt nicht in Weiß und Schwarz einzuteilen war. Aber sie hatte<br />

geglaubt, dass die Träger dieser Uniform wenigstens wussten, auf<br />

welcher Seite sie stehen sollten.<br />

Vor allem die Captains.<br />

Vor allem Kovan.<br />

Tala seufzte schwer.<br />

Richtig, Falsch, Recht, Unrecht...<br />

...alles vielleicht nur Auslegungssache. Es war schwer, sich einen<br />

moralischen Kompass zu bewahren, wenn alle Richtungen nur nach<br />

Norden zeigten.<br />

<strong>Sie</strong> dachte über all diese Dinge nach, als sie plötzlich aufblickte und<br />

bemerkte, dass Yoko sie anstarrte.<br />

<strong>Sie</strong> hatte ihn gar nicht kommen gehört, was ungewöhnlich war.<br />

Normalerweise legte sie mehr Aufmerksamkeit an den Tag und bekam<br />

alles mit, was um sie herum geschah.<br />

Er deutete auf den freien Stuhl ihr gegenüber. „Sitzt hier jemand?“<br />

Tala lächelte matt. „Wenn, dann ist er außerordentlich gut getarnt.“<br />

Als wäre er völlig außer Stande die Ironie zu kapieren – was<br />

vermutlich der Fall war -, tastete Yoko mit der Hand vorsichtig über<br />

den Stuhl, um sich zu vergewissern, dass nicht tatsächlich jemand mit<br />

einer Tarnvorrichtung dort verweilte. Tala konnte ehrlich nicht sagen,<br />

ob das seine Art war sie aufheitern zu wollen, oder ob er tatsächlich<br />

der größte Wirrkopf auf dem gesamten Campus war.<br />

Oder beides.<br />

<strong>Sie</strong> tat es mit einem dünnen Lächeln ab und schüttelte den Kopf.<br />

„Setz dich einfach, okay?“<br />

Als seine Untersuchung mit negativem Ergebnis abgeschlossen war,<br />

fragte Yoko: „Darf ich mich setzen?“<br />

Zu seiner Verwunderung vergrub Tala ihr Gesicht in ihren Händen,<br />

statt seiner Bitte zu entsprechen. Dann atmete sie einen Moment lang<br />

tief ein, einen weiteren Moment lang tief aus, und zweifelte an ihrer<br />

geistigen Gesundheit. War es möglich, dass nicht alle anderen,<br />

sondern sie selbst den Kontakt zur Realität verlor? Hatte sie nicht<br />

soeben genau diesen Vorschlag gemacht...? <strong>Sie</strong> beschloss nicht weiter


über diesen Punkt nachzudenken, da es ohnehin zu nichts geführt<br />

hätte. Es war irgendwie erstaunlich, und beängstigend zugleich, wie<br />

schnell sein Verstand zwischen Genie und Wahnsinn hin und<br />

herschwankte. Zumindest... erwies sich jede Unterhaltung mit ihm<br />

dadurch als spannend, denn man wusste nie so recht, was man<br />

bekommen würde. Und es war eine hervorragende Möglichkeit, um<br />

sich in Geduld und Ruhe zu üben.<br />

Also hob Tala den Kopf, und deutete auf den Stuhl. „Bitte.“,<br />

antwortete sie. „Setz dich.“<br />

„Vielen Dank.“, entgegnete Yoko und ließ sich ihr gegenüber in den<br />

Stuhl sinken. „Ich... wollte dich nur darüber informieren, dass Doktor<br />

Sidak seine Rede vor einer halben Stunde beendet hat.“<br />

Tala blickte in ihr Glas. Die Reflektion der Person, die sie dort sah,<br />

nahm die Tatsache emotionsloser auf, als sie je für möglich gehalten<br />

hätte. Der Drang etwas gegen Sidak zu unternehmen, war ihr vorerst<br />

vergangen. Und Tala wusste nicht, was das bedeuten sollte.<br />

<strong>Sie</strong> schaute auf: „Hast du sie verfolgt?“<br />

„In der Tat. Seine Äußerungen waren höchst...“ er hob eine Braue<br />

„unsinnig. Es gibt ein bisschen böses Blut bei einigen der<br />

Andorianischen Kadetten, soweit ich es mitbekommen habe, aber es<br />

dürfte niemandem schwer fallen, Sidaks Theorien zu widerlegen.<br />

Soweit ich die Reaktionen beurteilen kann, werden sich aber die<br />

wenigsten diese Mühe machen, weil es auf der Hand liegt, dass er<br />

unhaltbare Behauptungen aufstellte.“<br />

„Huh.“ Tala sah wieder in ihr Glas. „Viel Lärm um nichts, was?“<br />

Yoko war zu bescheiden – und in diesem Moment auch zu<br />

Einfühlsam -, um sie darauf hinzuweisen, dass er so was ähnliches<br />

von Anfang an Prophezeit hatte. Und obwohl er im Recht war, begann<br />

er unruhig auf dem Stuhl herumzurutschen, während er sich die<br />

folgenden Worte zurechtlegte. Es war wirklich nicht leicht, passende<br />

zu finden, da er in solchen Dingen nicht geübt war. „So wie ich alle<br />

meine Entscheidungen aufgrund einer gewissen Logik treffe... so<br />

basierte auch meine... Beharrlichkeit... in dieser Sache auf dem<br />

logischen Gefühl, mich für etwas einzusetzen, woran ich glaube. Und<br />

dennoch habe ich dich in Verlegenheit gebracht. Und das als dein<br />

Untergebener und Mitglied deiner Staffel.“ Die Reue in seinen Worten<br />

war unüberhörbar.


Tala seufzte. „Yoko. Du bist mehr als ein Teammitglied. Du bist<br />

auch ein Freund.“<br />

„Umso bedauerlicher, dass ich es versäumt habe, einen anderen<br />

Weg zu finden. Einen, in dem ich weiterhin aus meiner Überzeugung<br />

heraus handeln konnte, der dich aber vor Captain Kovan nicht in ein<br />

schlechtes Licht rücken würde. Ich weiß, dass er deiner Karriere hätte<br />

nützen können. Das habe ich dir verbaut. Und das tut mir leid.“<br />

Tala tat seine Bedenken mit einer lässigen Geste ab, die sie<br />

unberührter erscheinen ließ, als sie tatsächlich war. „Mach dir um<br />

mich keine Sorgen. Ich bin sehr widerstandsfähig. Es wäre schon<br />

mehr nötig, um mich zu verletzen, und meine Karriere zu stoppen.<br />

Jetzt mögen mir zwar einige Vorteile durch die Lappen gegangen sein,<br />

und vielleicht schmeißt mir Kovan ja sogar extra ein paar Steine in<br />

den Weg, aber ich hätte wohl nicht viel von einer Andorianerin, wenn<br />

ich da nicht einfach drüberklettern würde, oder? Aber ich möchte,<br />

dass du etwas weißt.“ <strong>Sie</strong> beugte sich zu ihm vor. „Ich will, dass du<br />

immer deinen Instinkten folgst, Yoko, tust, was du für richtig hälst,<br />

und sagst, was dir auf der Zunge brennt. Ob es mir gefällt, oder nicht.<br />

Ob ich es verstehe, oder nicht. Und das gilt für euch alle.“<br />

Yoko schürzte nachdenklich die Lippen. „Das erscheint mir... nicht<br />

besonders autoritär.“<br />

<strong>Sie</strong> lächelte bitter. „Nein. Aber das ist es, was eine Freundschaft<br />

auszeichnet. Dass es da jemanden gibt der dich akzeptiert, wie du bist<br />

und der deine Meinung sucht, und dankbar dafür ist, sie zu hören.<br />

Jemand, der Loyalität gibt, nicht weil es erwartet wird, sondern weil<br />

es ihn glücklich macht, sie zu geben. Jemand, den man gerne sieht,<br />

und an seinen Tisch bittet, selbst zu einer Zeit, in der man am liebsten<br />

niemanden sehen würde. Und natürlich jemand, den man einen<br />

spitzohrigen, grünblütigen Waldschrat nennen kann, und dem man<br />

trotzdem zur gleichen Zeit mit seinem Leben vertraut.“ <strong>Sie</strong> zuckte mit<br />

den Schultern. „Es ist schwer es in menschlichen Worten<br />

auszudrücken.“<br />

Nun war es Yoko, der „Huh“, machte. „Das ist“, wie er feststellte<br />

„höchst merkwürdig.“<br />

„So? Was denn?“<br />

„Wenn man nach den meisten dieser Definitionen geht, würde ich<br />

auch dich als Freund betrachten.“<br />

Tala schmunzelte. „Ja, höchst merkwürdig, was?“


„In der Tat.“<br />

Einen Moment lang schwiegen beide und Tala sah erneut zum<br />

Fenster raus, um die Sterne zu betrachte. „Weiß du...“, begann sie<br />

nach einer Weile. „Vielleicht macht mich das ja alles wirklich zu einer<br />

schlechten Anführerin. Vielleicht habe ich viel weniger das Zeug zum<br />

Captain, als bisher angenommen. Aber ich würde niemals etwas tun,<br />

das verhindert, dass ihr ganz ihr selbst sein könnt. Selbst wenn ich<br />

anderer Meinung bin als ihr, und selbst, wenn dadurch meine...<br />

Autorität verloren geht. Ich schätze es gibt wichtigeres. Die einzige<br />

Autoritätsperson zu der ich aufschaute, hat mich nämlich kürzlich<br />

hängen lassen und schwer enttäuscht, während meine streitlustigen<br />

Freunde die einzigen waren, auf die ich zählen konnte.“<br />

„Und was ist mit Leuten wie Sidak? Wirst du auch in der Lage sein,<br />

deren Meinung zu akzeptieren?“<br />

Tala seufzte. „Ich weiß es nicht, Yoko“, sagte sie ehrlich. „Ich weiß<br />

es einfach nicht. So leicht... kann und will ich meine Überzeugungen<br />

nicht beiseite legen. Das kleine bisschen Engstirnigkeit behalte ich mir<br />

vor.“<br />

„Aber du bist bereit über solche Dinge zu reden.“<br />

Tala spielte an ihrer Tasse herum. „Ja. Was immer das auch wert<br />

ist.“<br />

„Hm.“<br />

Wieder schwiegen sie für eine Weile.<br />

Irgendwann schlug sich Yoko auf die Schenkel und stand auf. Er<br />

trat zu Tala herüber und legte ihr auf erstaunlich menschliche – und<br />

freundschaftliche Art eine Hand auf die Schulter. „Es ist eine Menge<br />

wert. Und ich denke du wirst ein besserer Captain sein, als Kovan...<br />

Auch wenn du mir erst irgendwann noch erklären musst, was ein<br />

Waldschrat ist.“<br />

Damit ging er fort...<br />

... und kam dreißig Sekunden später erneut an ihr vorbei, weil er<br />

sich in der Richtung geirrt hatte. Der einzige Ausgang lag auf der<br />

anderen Seite der Mensa.<br />

Zurück blieb eine amüsierte Tala, die nur den Kopf grinsend<br />

schüttelte, und sich fragte, wer diese Staffel zusammengestellt hatte.<br />

Ihr waren Irrenhäuser untergekommen, in denen es normaler zuging.<br />

Andererseits hätte sie es auch gar nicht anders haben wollen. <strong>Sie</strong><br />

betrachtete noch eine Weile die Sterne und versuchte ein letztes Mal


die Harmonie zu hören, von der Kovan gesprochen hatte. Leider<br />

verweigerten sich ihr die Sterne. Statt Antworten zu geben... ließen sie<br />

Tala mit noch mehr Fragen zurück. Vielleicht würde sie ja eines Tages<br />

diese besondere Harmonie hören und Antworten auf ihre Fragen<br />

erhalten. Dann hätte sie jemanden, an den sie sich wenden könnte,<br />

wenn die Welt kopf stand.<br />

Aber vielleicht war das auch nicht nötig.<br />

... schließlich boten ihre Freunde alle Antworten, die sie brauchte,<br />

bis sie auf dem Kommandostuhl eines Raumschiffes saß.<br />

Und zum ersten Mal in ihrem Leben fand sie...<br />

... dass das noch ein bisschen Zeit hatte.


Epilog<br />

Professor Miles O’Brien meldete sich gleich nach seiner<br />

vollständigen Genesung für einige Zeit krank, um mehr Zeit bei seiner<br />

Frau Keiko zu verbringen. Als er anfing, am Haus herumzubasteln,<br />

und Dinge zu reparieren, die gar nicht kaputt waren, und ihr dabei auf<br />

die nerven ging, einigten sie sich schließlich darauf, dass er zwar mehr<br />

Zeit mit ihr verbringen, aber morgens bloß zur Arbeit gehen und dabei<br />

helfen sollte, die Sidak-Halle wieder aufzubauen. Sein Haar wurde<br />

durch die verwirrenden Meinungsänderungen seiner Frau zwar ein<br />

bisschen grauer, aber mit dem Kompromiss konnten beide ganz gut<br />

leben.<br />

Die Information, dass eine minosianische KI in Konfrontation mit<br />

zwei Kadetten des taktischen Trainings zur Explosion führte, hielt<br />

man unter Verschluss. Der Öffentlichkeit wurde lediglich von einer<br />

verheerenden Überladung im Energiegitter erzählt, was die meisten<br />

Leute nur zu gerne glaubten, damit ihr Weltbild nicht ins Wanken<br />

geriet.<br />

In den Nachrichtennetzwerken wurde dennoch allgemein über einen<br />

Bombenanschlag spekuliert und darüber, dass es zu weiteren, sehr viel<br />

verheerenderen Anschlägen kommen könnte, die vermutlich die<br />

gesamte Föderation ins Chaos stürzen könnte. Das erzeugte ein<br />

bisschen Panik in der Bevölkerung, aber so richtig wollte die Story<br />

nicht zünden, zumal sich die Interviews mit Commander Tuvok und<br />

Doktor Sidak alle als unspektakulär und unspekulativ herausstellten.<br />

Darum besann man sich lieber darauf, den Nies-Skandal von Dervion<br />

Fünf in den Vordergrund zu rücken, was auch gleich viel besser<br />

funktionierte und einstimmig als der unterhaltsamste Skandal des Juli-<br />

Monats ausgezeichnet wurde.<br />

Der Sicherheitsdienst verhörte unterdessen gründlich alle möglichen<br />

Verdächtigen, um herauszufinden, wer Kadettin Therynn beim<br />

Einschleusen der KI geholfen hatte. Es gab ein paar Spuren die zu<br />

Captain Kovan zu führen schienen, sich aber bei genauerer<br />

Betrachtung und letztendlich im Sande verliefen.


Galak wurde nicht müde, in den nachfolgenden Wochen jedem<br />

Mädchen an der Akademie von seinem heldenhaften Entschluss zu<br />

erzählen, ins Feuer zu springen und völlig ohne Hilfe Doktor Sidak<br />

und die Sicherheitsleute zu retten. Er bekam von siebzehn Kadettinen<br />

ihre Subraumfrequenzen zugeschoben und nur drei davon führten in<br />

Wahrheit zum Kundenservice einer asiatischen Wäscherei.<br />

Als eine Woche nach der Explosion eine Sondersitzung in der<br />

Lerngruppe der Diplomatie-Studenten eingerufen wurde, platzte<br />

mitten in der Debatte ein erboster Rigelianer in den Studienraum, der<br />

sich lauthals darüber beschwerte, dass man den bolianischen Redner<br />

Sando für die nächste Woche eingeladen hatte. Er würde mit all seiner<br />

Macht dagegen vorgehen, da er Sandos Reden für selbstverliebtes und<br />

gefährliches Gedankengut hielt.<br />

Sando, so äußerste die Vorsitzende der Lerngruppe verständnislos,<br />

sei ein inspirierender Redner mit bahnbrechenden Ansichten und<br />

Theorien. Es sei nicht fair, jemanden aufgrund seiner Meinung<br />

auszuschließen.<br />

Durkin hatte angefangen laut zu lachen, und keiner hatte verstanden<br />

weshalb.<br />

ENDE


Unnötiger Zusatz<br />

Die Rohfassung dieser Geschichte wurde zu hundert Prozent auf<br />

wiederverwertetem Papier geschrieben. Falls <strong>Sie</strong> dies dazu verleiten<br />

sollte, Kommentare über wiederverwertete Ideen abzugeben, behalten<br />

<strong>Sie</strong> sie für sich.<br />

Bitte beachten: Da... sind... vier... Geschlechter!<br />

Vielen Dank,<br />

Die (vollkommen blaue) Geschäftsleitung.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!