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„Diese radikale Spaltung des geschlechtlich bestimmten Subjekts (gendered subject) wirft freilich eine<br />
Reihe von Fragen auf: Können wir noch von einem ‚gegebenen’ Geschlecht oder von einer ‚gegebenen’<br />
Geschlechtsidentität sprechen, ohne wenigstens zu versuchen, wie, d.h. durch welche Mittel, das<br />
Geschlecht und/oder die Geschlechtsidentität gegeben sind? Und was bedeutet der Begriff ‚Geschlecht’<br />
(sex) überhaupt? Handelt es sich um eine natürliche, anatomische, durch Hormone oder Chromosomen<br />
bedingte Tatsache? Wie muss eine feministische Kritik jene wissenschaftlichen Diskurse beurteilen, die<br />
solche ‚Tatsachen’ für uns nachweisen sollen? Hat das Geschlecht eine Geschichte? Oder hat jedes<br />
Geschlecht eine andere Geschichte (bzw. andere Geschichten)? Gibt es eine Geschichte, wie diese<br />
Dualität der Geschlechter (duality of sex) errichtet wurde, eine Genealogie, die die binäre Option<br />
möglicherweise als veränderbare Konstruktion offenbart? Werden die angeblichen natürlichen<br />
Sachverhalte des Geschlechts nicht in Wirklichkeit diskursiv produziert, nämlich durch verschiedene<br />
wissenschaftliche Diskurse, die im Dienste anderer politischer und gesellschaftlicher Interessen stehen?“<br />
(Butler 1991, 23f.)<br />
Butler weist damit auch darauf hin, dass „Geschlecht“ niemals wertfrei sein kann – auch nicht in der<br />
wissenschaftlichen Auseinandersetzung, da jeder Wissensdiskurs immer auch als von anderen<br />
gesellschaftlichen Diskursen beeinflusst zu sehen ist.<br />
Im nächsten Schritt schließt Butler dann, dass auch das biologische Geschlecht, „sex“, ein<br />
gesellschaftlich bestimmter, kulturell geformter Begriff ist:<br />
„Wenn man den unveränderlichen Charakter des Geschlechts bestreitet, erweist sich dieses Konstrukt<br />
namens ‚Geschlecht’ vielleicht als ebenso kulturell hervorgebracht wie die Geschlechtsidentität. Ja,<br />
möglicherweise ist das Geschlecht (sex) immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen, so dass<br />
sich herausstellt, dass die Unterscheidung zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität letztlich gar<br />
keine Unterscheidung ist.“ (Butler 1991, 24)<br />
Wenn aber das biologische Geschlecht ebenso wie das soziokulturelle Geschlecht ein kulturelles<br />
Konstrukt ist, ist die Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht auf der einen Seite und<br />
dem soziokulturellen Geschlecht auf der anderen Seite obsolet geworden, da es nicht mehr möglich ist,<br />
auf ein prädiskursiv vorhandenes biologisches Geschlecht zu rekurrieren, das mit dem soziokulturellen<br />
Geschlecht einfach nur verknüpft ist.<br />
„Wenn also das „Geschlecht“ (sex) selbst eine kulturell generierte Geschlechtskategorie (gendered<br />
category) ist, wäre es sinnlos, die Geschlechtsidentität (gender) als kulturelle Interpretation des<br />
Geschlechts zu bestimmen. Die Geschlechtsidentität darf nicht nur als kulturelle Zuschreibung von<br />
Bedeutung an ein vorgegebenes anatomisches Geschlecht gedacht werden.“ (Butler 1991, 24)<br />
Damit ist die Differenz zwischen biologischem und soziokulturellem Geschlecht keine eindeutige, klare<br />
Differenz mehr und kann so auch nicht mehr verwendet werden. An diese Schlussfolgerung bindet<br />
Butler die Frage danach, inwieweit es sich beim biologischen Geschlecht um ein soziokulturelles<br />
Konstrukt handelt und wem es nützt, das biologische Geschlecht als natürlich und binär erscheinen zu<br />
lassen.<br />
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