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und abstraktionsunfähig beschreiben. Dabei reduziert sie die Komplexität, die die Entwicklung von<br />
Moralverstellungen immer mit sich bringt, auf zwei Ebenen:<br />
„[...] eine Reduktion in Hinblick auf die Vielfalt möglicher moralischer Orientierungen und eine Reduktion<br />
in Hinblick auf die Vielfalt möglicher Faktoren, die im Prozeß des Erwerbs einer moralischen Orientierung<br />
eine Rolle spielen.“ (Nunner-Winkler 1995, 16)<br />
Wie auch immer jetzt Gilligans Befunde und deren Interpretation betrachtet werden, hat sie einen<br />
Zusammenhang zwischen Fürsorglichkeit und (weiblichem) Geschlecht festgeschrieben und damit das<br />
den Frauen unterstellte Gefühl der Fürsorglichkeit und Verantwortung, dass sich auch im<br />
vergeschlechtlichten Elternverhalten wiederfindet, empirisch untersucht und in ihren Entwurf der<br />
Entstehung zweier moralischer Ordnungen eingebaut.<br />
„Die heutige Konstruktion von Mutterschaft in den westlichen Kulturen geht davon aus, daß Frauen von<br />
Natur aus bedingungslose Liebe für ihre Kinder empfinden und sie hegen und pflegen wollen, vor allem<br />
als Babies. Aber das Phänomen, das wir mothering nennen, die mütterliche Fürsorge, ist eine erlernte<br />
Erfahrung, und jeder Mensch, der diese Fürsorge praktiziert, entwickelt Fähigkeiten, Kompetenzen und<br />
emotionale Bindungen.“ (Lorber 2003, 245).<br />
Hinter dem Faktor „Individuelle Bedachtnahme“ aus Bass Faktorenbündel, mit dessen Hilfe<br />
transaktionale und transformationale Führung abgebildet werden kann, finden sich so Eigenschaften,<br />
Verhaltensmuster, die tatsächlich „weiblich“ assoziiert sind. Frauen können demnach vielleicht nicht so<br />
leicht charismatisch sein, aber „Individuelle Bedachtnahme“ scheint doch eher weiblich – konkreter<br />
noch: mütterlich – zu sein. Und ist ein entscheidender Faktor im Zusammenhang mit transformationaler<br />
Führung. Demzufolge wären vielleicht Mütter die wirklichen Führerinnen ...<br />
Die Kehrseite der Medaille dieses überraschenden Einbruchs der Weiblichkeit in die Welt des<br />
Führungsverhaltens ist allerdings die, dass „weiblich“ hier hauptsächlich „weiblich“ im Sinne von<br />
traditionell „mütterlich“ 149 meint (vgl. Lorber 2003, 245). Und die Wertschätzung dieser Eigenschaften im<br />
Rahmen eines Führungsverhaltens ist eine Projektion dessen, was im Rahmen der sozialen Ordnung<br />
auch sonst von Frauen erwünscht ist. Die geschlechtsspezifische Trennung des Elternverhaltens, die<br />
unterschiedlichen Rollen von Müttern und Vätern sind ein Teil der geschlechtsspezifischen<br />
Unterschiede im (bezahlten) Arbeitsleben.<br />
149 Im Rahmen meiner Analyse, die selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, war die aufzufindende<br />
„weibliche“ Eigenschaft die „Fürsorge“, die „Bedachtnahme für andere“, eine Eigenschaft, die zwar Frauen (vgl. Bem 1974,<br />
1981) zugeschrieben wird, allerdings weisen die Debatten um „Mütterlichkeit“ darauf hin, dass es eine<br />
Bedeutungsverbindung zwischen „Mütterlichkeit“ und „Fürsorge für andere“ gibt (vgl. Lorber 2003, 215ff.).<br />
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