Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 73<br />
(in diesem Fall) skeptisch-handlungsabstinenten Standpunkt des Nichtwissens als die vernünftigste<br />
Lösung. Mehr noch: Er ermöglicht sogar die Rettung.<br />
5. Resümee<br />
Die Geschlossenheit deterministischer Weltbilder, ihre ‚Sättigung‘ mit Wissen und Information<br />
und ihre lückenlose Aufrasterung der Welt, so die Ausgangsthese, ist die Bewährungsprobe<br />
für das Angewandte Nichtwissen. Dessen Leistungsfähigkeit sollte überprüft werden, indem<br />
man es – man gestatte das militärische Vokabular – möglichst tief in Feindesland hineinführt.<br />
Dabei hat sich gezeigt, dass das Angewandte Nichtwissen dieses Trainingslager wohlbehalten<br />
und ohne gravierende Blessuren übersteht. Mehr noch: Angewandtes Nichtwissen<br />
vermag sich innerhalb des vermeintlich feindlichen Determinismus konstitutiv zu entfalten.<br />
Der Grund dafür ist, dass sich dessen Universalitätsanspruch bei genauerer Betrachtung eher<br />
als ein Erklärungsversprechen denn als faktische Mathematisierung bzw. Physikalisierung der<br />
Welt offenbart. Wo genau liegen die Defizite des Determinismus, die das Nichtwissen aktivieren?<br />
Schon in Laplaces Wahrscheinlichkeitstheorie keimt der Verdacht auf, dass ein strenger Determinismus<br />
an der Wirklichkeit scheitern muss. Diese ist zu sperrig und komplex, als dass sie<br />
sich ohne Reibungsverluste in mathematische Formeln überführen ließe. Auch infolge unserer<br />
‚individuellen‘ psychischen Disposition täuschen wir uns in Wahrscheinlichkeitsabschätzungen.<br />
Beides zusammen erzwingt eine Beschneidung der Wahrscheinlichkeit um ihren Anspruch<br />
auf mathematische Genauigkeit und damit einen Triumph des anfangs noch ‚dämonisch‘<br />
aus der Welt verbannten Nichtwissens. In einer zweiten, moderneren Form des Determinismus,<br />
der Zufallsmechanik bzw. Synchronizität, bricht ebenfalls ein Widerspruch zwischen<br />
einem idealtypischen System des Wissens auf und der Unmöglichkeit, dieses wissenschaftlich<br />
zu begreifen. Als psychologisch bedeutsame Variable tritt hier ein animistisch gefärbtes<br />
Nichtwissenwollen hinzu: Man begnügt sich mit der Erkenntnis, dass die Welt determiniert<br />
ist und alles mit allem zusammen hängt. Da unser eigenes, ‚okkultes‘ Bewusstsein in<br />
diese Verflechtungen hineinspielt, so der Glaube, wird man sie nicht tiefer ergründen können.<br />
In Felix Spät und Malte Laurenz Patzer finden wir zwei Romanhelden, denen in einem deterministischen<br />
Billard-Universum buchstäblich mitgespielt wird. Wie Laplace unternehmen sie<br />
alle Anstrengungen, Wissen über die ihnen verborgenen Verbindungen zu erlangen. Beide<br />
haben theoretische Kenntnis um die billardspielgleiche Verfassung der Welt, sie kennen aber<br />
weder die einzelnen Position der Kugeln noch die Richtung der Bewegungen, die diese auf<br />
dem grünen Filz vollführen. Im Unterschied zu Patzer vermag Spät seine Unwissenheit je-