Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 69<br />
In der Tat sieht sich Rechtsanwalt Spät bald in Kohlers Spiel verstrickt. Während der pensionierte<br />
Prof. Knulpe von Kohler beauftragt wurde, die Folgen der Tat zu untersuchen, wird<br />
Spät angetragen, den Fall unter der Annahme zu eruieren, dass er, Kohler, nicht der Mörder<br />
gewesen sei. Kohlers Wahl fällt auf Spät, da dieser „nichts von Billard“ verstehe, 32 d. h. die<br />
Zusammenhänge nicht durchschauen soll.<br />
Trotzdem macht sich Spät daran, die Verbindungen zwischen den Menschen zu durchleuchten.<br />
Beziehungen tauchen auf, verwandtschaftliche, berufliche, politische, ökonomische, kulturelle.<br />
Alles hängt mit allem zusammen in der kleinen Schweizer Stadt, wobei Kohlers<br />
Kenntnis dieser Verflechtungen offenbar eine wesentliche Voraussetzung für das Spiel mit<br />
den Vorhersehbarkeiten ist -- „Gesellschaftsmathematik“ 33 , wie Spät selbst einmal kommentiert,<br />
der Kohlers Plan bei einem Besuch in dessen Haus nichtsdestotrotz allmählich zu erkennen<br />
beginnt:<br />
„Ich begriff den Kantonsrat mit einemmal. Unerwartet. Die Einsicht überfiel mich geradezu.<br />
Ich erriet plötzlich das Motiv seines Handelns. Ich witterte es aus den kostbaren<br />
Möbeln, aus den Büchern, aus dem Billardtisch. Ich erspähte es aus der Verbindung von<br />
strengster Logik und Spiel, die sich diesem Raume eingeprägt hatte. Ich war in seinen<br />
Bau gedrungen, und nun sah ich klar. Kohler hatte nicht gemordet, weil er ein Spieler<br />
war. Er war kein Hasardeur. Ihn lockte nicht der Einsatz. Ihn lockte das Spiel selbst, das<br />
Rollen der Bälle, die Berechnung und die Ausführung, die Möglichkeit der Partie. (...) Er<br />
war nur stolz darauf, dass es in seiner Macht lag, die Bedingungen des Spiels zu wählen,<br />
liebte es, das Anschnurren einer Notwendigkeit zu verfolgen, die er selbst geschaffen<br />
hatte. (...) Es lief alles nach seinem Plan. Ich war nichts als eine seiner Billardkugeln, die<br />
sein Stoß in Bewegung gesetzt hatte.“ 34<br />
Auch wenn der durch Kohlers großzügige Honorarzahlungen zunächst konsolidierte, anschließend<br />
aber wieder zum chronisch alkoholisierten Milieuanwalt abgestiegene Spät der<br />
Determiniertheit des Geschehens zunehmend inne wird, keinen Augenblick lang an Kohlers<br />
Schuld zweifelt, weiß er nicht wie, d. h. über welche Positionen und Mittlerpositionen die<br />
Partie vonstatten geht. 35 Zu den wenigen Evidenzen in seinem ansonsten fragmentarischen<br />
Wissen gehört etwa die, dass Kohler den Verdacht von sich auf Dr. Benno umzulenken versucht.<br />
Mit Erfolg: Dr. Benno ist zwar nicht der Mörder, besitzt jedoch ein starkes Tatmotiv.<br />
Das fiktive „Nachwort des Herausgebers“ leistet nicht nur die Reintegration eines ungeheuerlichen,<br />
trotz besseren Wissens der beteiligten Personen ausgesessenen ‚Justizirrtums‘ in die<br />
32 Ebd., S. 61.<br />
33 Ebd., S. 69.<br />
34 Ebd., S. 81f.<br />
35 Vgl. ebd., S. 129.