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Dokument 1.pdf - Universität Siegen

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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 67<br />

nismus: Wir erwehren uns des Unfassbaren, indem wir ihm höheren Sinn und tiefere Bedeutung<br />

verleihen. Unter der Hand verwandelt sich der Zufall in absichtsvolle Planung.<br />

Obwohl Synchronizität ein akausales Verknüpfungsprinzip ist, eliminiert auch sie den Zufall<br />

als kontingente Nichtverfügbarkeit von Ereignissen – zumindest psychisch. Alles, was geschieht,<br />

geschieht für die Synchronizitätsgläubigen aus bestimmten Gründen. Die Welt erscheint<br />

ihnen, anders als in den exakten Naturwissenschaften herkömmlicher Prägung, als ein<br />

Gespinst aus geheimen, undurchschauten Verbindungen und Beziehungen. Wie die empirischen<br />

Erfahrungswissenschaften ausgehend vom Paradigma des Erkannten und Erkennbaren<br />

operieren, so postuliert die Synchronizitätsthese, dass es Dinge auf der Welt gibt, die der<br />

menschlichen Vernunft prinzipiell nicht zugänglich sind.<br />

Eingedenk der individuell zurechenbaren Synchronizitätserfahrungen (Déjà-vu-Erlebnisse,<br />

Datums- und Namenskoinzidenzen etc.) wie auch der Experimente der Zufallsmechaniker<br />

mag man sich mit Freud an den mittelalterlichen Animismus erinnert fühlen – an den Glauben,<br />

dass Wünsche in Erfüllung gehen, geheime Kräfte vorhanden sind, Gedanken allmächtig<br />

sind, Blicke betören oder töten können, daran, dass das Leblose belebt ist:<br />

„Die Analyse der Fälle des Unheimlichen hat uns zur alten Weltauffassung des Animismus<br />

zurückgeführt, die ausgezeichnet war durch die Erfüllung der Welt mit Menschengeistern,<br />

durch narzisstische Überschätzung der eigenen seelischen Vorgänge, die Allmacht<br />

der Gedanken und die darauf aufgebaute Technik der Magie, die Zuteilung von<br />

sorgfältig abgestuften Zauberkräften an fremde Personen und Dinge (Mana). Es scheint,<br />

(...) dass alles, was uns heute als das Unheimliche erscheint, die Bedingung erfüllt, dass<br />

es an die Reste animistischer Seelentätigkeit rührt und sie zur Äußerung anregt.“ 29<br />

Die Sinnangebote der Zufallsmechanik und der Synchronizität geben diesem Animismus neue<br />

Nahrung, mit entscheidenden Konsequenzen für das ihnen inhärente Nichtwissen. Einerseits<br />

werden die entsprechenden Ereignisse für prinzipiell, d. h. mit den Erkenntnismitteln einer<br />

künftigen, revolutionierten Physik erklärbar gehalten: Wenn man nur intensiv genug weiter<br />

forscht, so die Hoffnung, kann die noch verborgene ‚Mechanik‘ des Zufalls beschrieben und<br />

definitorisch eingegrenzt werden. Nimmt man jedoch Freuds Analysen ernst, so heißt die andere,<br />

die dunkle Seite des Determinismus animistische Ignoranz. Sie manifestiert sich in der<br />

augenfälligen Zurückhaltung, das Nichtwissen zumindest hypothetisch in Wissen aufzulösen.<br />

Denn seltsamerweise genießt man, vor allem unter den Anhängern der Synchronizität, den<br />

wohligen Schauer, den das Unerklärliche und Ahnungsvolle hervorruft. Auch ist es bezeichnend,<br />

dass keiner der Zufallsmechaniker auch nur den Ansatz einer Deutungshypothese ent-<br />

29 Sigmund Freud. Zitiert nach: Ebd., S. 157.

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