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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 63 Ein Beispiel dafür ist der Gottesglaube. Als letztes Prinzip nennt Laplace die uns immer wieder auf Irrwege führenden Leidenschaften. Laplace hat also zahlreiche Gründe, von seinem strengen Determinismus abzurücken. Zumindest im Bereich des Gesellschaftlichen und Sozialen ist der Mensch unfähig, die objektiven Gegebenheiten mit der gewünschten Genauigkeit zu erfassen. Ferner scheint sich eine Mathematisierung der Welt schon aus Gründen ihrer Komplexität und Kontingenz zu verbieten. Ausgehend von der Vision eines allwissenden Dämons läutert das Essai die Wahrscheinlichkeitsrechnung Schritt für Schritt zu einem Instrument, die schließlich freimütig eingestandene „Unwissenheit und Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes“ 20 wenigstens in mancher Hinsicht zu kompensieren. Wahrscheinlichkeitstheorie in diesem etwas bescheideneren Sinne ist „im Grunde nur der Berechnung unterworfene gesunde Menschenverstand“ 21 ; sie ist lediglich ein heuristisches Prüfverfahren, das uns in unserer Urteilsbildung leiten kann. Da die faktische Erschließung der Realität aus objektiven wie subjektiven Gründen scheitert, ist das im Näherungswissen der Wahrscheinlichkeitstheorie inkorporierte Nichtwissen oft die einzige Möglichkeit, überhaupt verwertbare Erkenntnisse hervorzubringen. 3. Zufallsmechanik und Synchronizität Obgleich sich die gegenwärtige Physik mehr und mehr von kausal-deterministischen Erklärungsweisen á la Laplace abwendet und viel lieber von ‚komplexen Strukturen‘ oder ‚Vernetzungen‘ spricht, existiert ein neuerer Ansatz, der nachgerade auf eine Wiederbelebung des Determinismus hinausläuft, und zwar durch die Eliminierung des Prinzips Zufall. Schien die Welt in Newtons Universum noch deterministischen Gesetzen zu gehorchen, war also im Prinzip die Gegenwart durch die Vergangenheit bestimmt, so behaupten die Quantentheoretiker das genaue Gegenteil: In der Natur ereignen sich Quantensprünge, radioaktive Zerfälle, die erstens nicht vorhersagbar sind und zweitens nicht vom menschlichen Willen abhängen. Der quantentheoretischen Deutung des Zufalls wiederum haben in jüngerer Zeit eine Reihe von Wissenschaftlern widersprochen. 22 Wenn für Ereignisse, deren Zustandekommen wir als zufällig erachten, in Wirklichkeit sehr wohl Ursachen angegeben können, dann bezieht sich das ‚Zufällige‘ am Zufall auf einen Mangel an rationaler Erklärung und nicht auf fehlende 20 Ebd., S. 171. 21 Ebd., S. 170. 22 Ich beziehe mich im folgenden auf die Wissenschaftsreportage Die Mechanik des Zufalls. Regie: Christian Bauer. ZDF/arte, 1998, 60 Min.

64 Frank Müller Gesetzmäßigkeiten. Auch vermeintlichen Zufallsereignissen könnte somit eine Wirkung zugrunde liegen, sie ist uns unter Umständen nur noch nicht bekannt. Verantwortlich für die Steuerung des Zufälligen mag eine Einflussgröße sein, die schon gemäß Heisenbergs Unschärferelation 23 den Ausgang des physikalischen Experiments wesentlich mitbestimmt: der Experimentator. Aus diesen Gründen versuchen der am Princetoner PEAR-Institute beschäftigte Professor Robert Jahn und seine Kollegin Brenda Dunne, experimentelle Widersprüche in der Physik aufzuweisen, indem sie den menschlichen Beobachter in die Versuchsanordnung miteinbeziehen. Zufallsgeneratoren wie eine von Jahn entworfene Kugelmaschine oder ein ‚zufällig‘ ausschlagendes Pendel zeigen eine signifikante Abweichung von der Gaußschen Normalverteilung, wenn ein Beobachter versucht, die Ergebnisse durch nichts anderes als durch seine bloßen Wünsche zu beeinflussen: „We don’t employ any kind of training or do we ask people to follow any particular procedure. We tell them ‚this is the outcome we would like you to try to get more high numers than low numbers‘. Or ‚this picture versus that picture. Do it however you can. If you get an effect you tell us what you did‘.“ 24 In Princeton ist man der Ansicht, dass die Probanden subjektiv in der Lage sind zu lernen, ihr ‚Tun‘ zu identifizieren und zu erkennen; dass sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn sie einen entsprechenden Effekt auslösen. Beschreibbar sind diese Gefühle jedoch ebenso wenig, wie es sich beschreiben lässt, was genau geschieht, wenn man sich verliebt. Apropos: Offensichtlich der Einfluss der Beobachterposition auch etwas mit dem Geschlecht der Probanden zu tun: Bei verliebten Paaren waren die beobachteten Effekte sieben Mal größer, als wenn beide getrennt voneinander gearbeitet hätten. Derartigen Versuchsreihen (und mehr noch den Ergebnissen) mag man mit offenäugigem Staunen begegnen, denn Physik im herkömmlichen Sinn beschäftigt sich mit der materiellen Realität und nicht mit Bewusstseinsprozessen. Von den telekinetischen Augenwischereien eines Uri Geller sind die beschriebenen Experimente nichtsdestotrotz weit entfernt. Die beobachteten Effekte und Anomalien sind kaum messbar und so geringfügig, dass je zehntausend zu erwartenden Würfen nur lediglich eine einzige abweichende Position registriert werden kann. Bezieht man allerdings die Millionen von einzelnen Entscheidungen, die ein moderner Computerprozessor pro Sekunde generiert, in diese Rechnung mit ein, oder bedenkt man die 23 Heisenbergs Prinzip der Unschärfe besagt, je genauer wir die Position eines Teilchens betrachten, desto ungenauer wird die Messung seiner Bewegungsgröße. Oder, allgemeiner: Wir können (Quanten-)Ereignisse nicht betrachten, ohne ihren Ablauf zu stören. 24 Brenda Dunne. In: Die Mechanik des Zufalls, ebd., Manuskript S. 4.

Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 63<br />

Ein Beispiel dafür ist der Gottesglaube. Als letztes Prinzip nennt Laplace die uns immer wieder<br />

auf Irrwege führenden Leidenschaften.<br />

Laplace hat also zahlreiche Gründe, von seinem strengen Determinismus abzurücken. Zumindest<br />

im Bereich des Gesellschaftlichen und Sozialen ist der Mensch unfähig, die objektiven<br />

Gegebenheiten mit der gewünschten Genauigkeit zu erfassen. Ferner scheint sich eine Mathematisierung<br />

der Welt schon aus Gründen ihrer Komplexität und Kontingenz zu verbieten.<br />

Ausgehend von der Vision eines allwissenden Dämons läutert das Essai die Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />

Schritt für Schritt zu einem Instrument, die schließlich freimütig eingestandene<br />

„Unwissenheit und Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes“ 20 wenigstens in mancher<br />

Hinsicht zu kompensieren.<br />

Wahrscheinlichkeitstheorie in diesem etwas bescheideneren Sinne ist „im Grunde nur der<br />

Berechnung unterworfene gesunde Menschenverstand“ 21 ; sie ist lediglich ein heuristisches<br />

Prüfverfahren, das uns in unserer Urteilsbildung leiten kann. Da die faktische Erschließung<br />

der Realität aus objektiven wie subjektiven Gründen scheitert, ist das im Näherungswissen<br />

der Wahrscheinlichkeitstheorie inkorporierte Nichtwissen oft die einzige Möglichkeit, überhaupt<br />

verwertbare Erkenntnisse hervorzubringen.<br />

3. Zufallsmechanik und Synchronizität<br />

Obgleich sich die gegenwärtige Physik mehr und mehr von kausal-deterministischen Erklärungsweisen<br />

á la Laplace abwendet und viel lieber von ‚komplexen Strukturen‘ oder ‚Vernetzungen‘<br />

spricht, existiert ein neuerer Ansatz, der nachgerade auf eine Wiederbelebung des<br />

Determinismus hinausläuft, und zwar durch die Eliminierung des Prinzips Zufall. Schien die<br />

Welt in Newtons Universum noch deterministischen Gesetzen zu gehorchen, war also im<br />

Prinzip die Gegenwart durch die Vergangenheit bestimmt, so behaupten die Quantentheoretiker<br />

das genaue Gegenteil: In der Natur ereignen sich Quantensprünge, radioaktive Zerfälle,<br />

die erstens nicht vorhersagbar sind und zweitens nicht vom menschlichen Willen abhängen.<br />

Der quantentheoretischen Deutung des Zufalls wiederum haben in jüngerer Zeit eine Reihe<br />

von Wissenschaftlern widersprochen. 22 Wenn für Ereignisse, deren Zustandekommen wir als<br />

zufällig erachten, in Wirklichkeit sehr wohl Ursachen angegeben können, dann bezieht sich<br />

das ‚Zufällige‘ am Zufall auf einen Mangel an rationaler Erklärung und nicht auf fehlende<br />

20<br />

Ebd., S. 171.<br />

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Ebd., S. 170.<br />

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Ich beziehe mich im folgenden auf die Wissenschaftsreportage Die Mechanik des Zufalls. Regie: Christian<br />

Bauer. ZDF/arte, 1998, 60 Min.

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