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Dokument 1.pdf - Universität Siegen

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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 61<br />

im Voraus berechnen. Die eben noch verwirrende und unüberschaubare Realität wäre mit<br />

einem Mal völlig durchsichtig, eine ungewisse Zukunft läuterte sich zu einem festen Bestand<br />

von Absehbarkeiten. Die Gewissheit, sichere Prognosen über den geschichtlichen Verlauf<br />

durch „Anwendung des Kalküls auf die Wahrscheinlichkeiten des Lebens“ 11 aufstellen zu<br />

können, wird sich später auch bei dem Aufklärer Condorcet finden. Im Gegensatz zu seinem<br />

Nachfolger schränkt Laplace seinen Erkenntnisoptimismus jedoch an einem Punkt ein:<br />

„Alle diese Bemühungen nach Wahrheit streben dahin, ihn (den menschlichen Geist, d.<br />

V.) unablässig jener Intelligenz näher zu bringen (...), der er aber immer unendlich ferne<br />

bleiben wird. (...) Die Wahrscheinlichkeitsrechnung steht in Beziehung zum Teil zu dieser<br />

Unwissenheit, zum Teil zu unseren Kenntnissen.“ 12<br />

Warum sieht sich Laplace schließlich doch genötigt, der Unwissenheit einen derart hohen<br />

Stellenwert einzuräumen und sein eigenes Vorhaben dadurch hinterrücks zu diskreditieren?<br />

Wie oben bereits angedeutet, erstreckt sich der Begriff der Ursache innerhalb der Wahrscheinlichkeitstheorie<br />

keineswegs nur auf physikalische Phänomene: Auch für menschliche<br />

Handlungen sollen Wahrscheinlichkeitsabschätzungen abgegeben werden können. Neben<br />

offenkundig wahrscheinlichkeitsvaliden Anwendungsbeispielen wie dem Lotteriespiel, den<br />

Wahlen, der Bevölkerungsstatistik und den für das Kalkül der Versicherungsgesellschaften so<br />

wichtigen Sterblichkeitstabellen steht daher bei Laplace die Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechung<br />

auf die „moralischen Wissenschaften“. So untersucht er beispielsweise die<br />

Wahrscheinlichkeit der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen oder richterlicher Urteile.<br />

Hierbei ist es freilich sehr oft der Fall, dass man entweder nicht sämtliche Bedingungen kennt,<br />

die eine Sache entstehen lassen, oder dass Konstellationen so kompliziert sind, dass sie sich<br />

nur bedingt analytisch erfassen lassen.<br />

In einigen Fällen der Wahrscheinlichkeitsrechnung können die Beobachtungsdaten eine zu<br />

geringe Aussagekraft besitzen, um (im Falle experimentell reproduzierbarer Ereignisse) ohne<br />

weitere Wiederholungsversuche über solide Ausgangswahrscheinlichkeiten zu verfügen. 13<br />

Deshalb muss zusätzlich auch der Fehlerquotient bestimmt werden, um den Genauigkeitsgrad<br />

der errechneten Mittelwerte zu bestimmen. 14 Betrachtet man die Dinge einmal im erdgeschichtlichen<br />

Maßstab, so wird man erkennen müssen, dass die Temperatur, das Klima, die<br />

Zusammensetzung der Atmosphäre und vieles mehr stetigen, nicht mehr der Berechnung zugänglichen<br />

Veränderungen unterworfen ist 15 , die Annahme stabiler ‚Ausgangszustände‘ also<br />

ihrerseits bloße Hilfskonstruktionen sind. Ferner besteht natürlich immer noch die einfache<br />

11<br />

Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat Condorcet. Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des<br />

menschlichen Geistes. Frankfurt am Main, 1976, S. 201.<br />

12<br />

Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, ebd., S. 2f.<br />

13<br />

Vgl. ebd., S. 45, 48.<br />

14<br />

Vgl. ebd., S. 56.<br />

15<br />

Vgl. ebd., S. 133f.

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