Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Determinismus und Angewandtes Nichtwissen 59<br />
diskutiert wird. 5 Im zweiten Teil dieses Werks vollendete er die mechanische heliozentrische<br />
Theorie des Planetensystems, indem er mittels Störungsrechnung Ergebnisse voraussagte, die<br />
durch keine noch so verfeinerte Beobachtung möglich wären. Umgekehrt konnte Laplace auf<br />
diese Weise Beobachtungsdaten ihrer scheinbaren Zufälligkeit entheben.<br />
Durch seine Fortentwicklung der klassischen Mechanik, die ihm immerhin die Mitgliedschaft<br />
in der renommierten Académie des Sciences bescherte, entfällt für Laplace das noch in Newtons<br />
Theorie aufgrund der unendlich gravitierender Massen (und folglich zusammen stürzender<br />
Planeten) in zeitlichen Abständen erforderliche Eingreifen Gottes. Die göttliche Intervention<br />
markiert eine der Gültigkeitsgrenzen der Newtonschen Physik. Newton steht exakt an der<br />
Stelle, an der die zunehmend mathematisierten Erfahrungswissenschaften sich aus dem Erkenntnisbereich<br />
der älteren Metaphysik der Naturwissenschaften herauszudifferenzieren beginnen.<br />
In der Tat war Newtons Theorie manchen seiner Zeitgenossen nicht ‚wissenschaftlich‘<br />
genug. Schon 1715 hatte Leibniz Newtons wohl auch aus theologischen Rücksichten<br />
gespeiste Vorbehalte gegen eine durchgehend mechanische Verfassung der Welt in einem<br />
Brief an Samuel Clarke mit den Worten gerügt:<br />
„Monsieur Newton und seine Anhänger haben von Gottes Werk eine recht merkwürdige<br />
Meinung. Ihrer Meinung ist Gott gezwungen, seine Uhr von Zeit zu Zeit aufzuziehen, andernfalls<br />
würde sie stehenbleiben. Er besaß nicht genügend Einsicht, um ihr eine immerwährende<br />
Bewegung zu verleihen. Gottes Maschine ist ihrer Einsicht nach sogar so unvollkommen,<br />
dass er gezwungen ist, sie von Zeit zu Zeit durch einen außergewöhnlichen<br />
Eingriff zu reinigen und sogar zu reparieren, so wir ein Uhrmacher sein Werk repariert,<br />
der ja ein um so ungeschickterer Handwerker ist, je öfter er gezwungen ist, sein Werk in<br />
Ordnung zu bringen und zu reparieren.“ 6<br />
Nun war Leibniz beileibe kein Atheist, sondern glaubte an eine „prästabilierte Harmonie“,<br />
wonach Gott unseren irdischen Aufenthaltsort nicht nur vortrefflich eingerichtet, sondern zugleich<br />
als beste aller möglichen Welten erschaffen habe. Um wie viel mehr musste da ein<br />
kühler Rechner wie Laplace von der internen, ausschließlich mit Mitteln der Erfahrungswissenschaften<br />
ableitbaren Selbstorganisation des Universums überzeugt sein. Und wirklich: Als<br />
Laplace 1799 Napoleon die beiden ersten Bücher der Exposition du système du monde (1796)<br />
überreichte, soll ihn dieser gefragt haben, warum er in seiner Méchanique céleste den Namen<br />
Gottes nicht einmal der Erwähnung für wert gefunden habe. „Je n’avais pas besoin de cette<br />
hypothèse“ – „Ich hatte diese Hypothese nicht nötig“, war Laplaces nassforsche Antwort.<br />
5 Vgl. Pierre Laplace. Mechanik des Himmels. Berlin 1800-1802. (Nur zwei von fünf Bänden erschienen.)<br />
6 Volkmar Schüller (Hrsg.). Der Leibniz-Clarke-Briefwechsel. Berlin 1991, S. 21f.