Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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58 Frank Müller<br />
beruht der Determinismus seinerseits auf einer grundlegenden Ambivalenz. Gemeint ist der<br />
Widerspruch zwischen prinzipiell erschließbarem Wissen und der Schwierigkeit, dieses tatsächlich<br />
zu erlangen. Auch wenn die Welt so eingerichtet ist, dass sämtliche Verbindungen<br />
zwischen Menschen und Dingen genauestens analysiert und erklärt werden können, bedeutet<br />
dies noch lange nicht, dass die Wirklichkeitsdeutung im Einzelfall praktisch auch gelingt. Im<br />
Gegenteil, gerade innerhalb der erkenntnisoptimistisch in Aussicht gestellten Allwissenheit<br />
kommt es mitunter zu empfindlichen Rückkoppelungseffekten: Geschehensabläufe, so<br />
zweckbestimmt und zielgerichtet sie auch sein mögen, vollziehen sich bisweilen im Rücken<br />
der Menschen; sie bleiben nicht selten fremdgesteuert, undurchsichtig und unserem Verständnis<br />
entzogen. 4<br />
Selbst im Modell des klassischen (Laplaceschen) Kausaldeterminismus hängt die Determiniertheit<br />
der einzelnen Ereignisse bzw. Weltzustände keineswegs nur von der Gültigkeit der<br />
Kausalgesetze ab, sondern auch davon, dass einer der kausal miteinander verbundenen Zustände<br />
unabänderlich festliegt und mit mathematischer Präzision beschrieben werden kann,<br />
also etwa der hypothetische Anfangszustand oder der gegenwärtige Zustand, von dem aus<br />
kausale Schlüsse in beide Richtungen möglich sind. Zwar schränken die Kausalgesetze den<br />
Spielraum kausal möglicher Welten ein, für die Fixierung der realen Welt aber sind sie allein<br />
nicht hinreichend.<br />
Angesichts dessen eröffnen sich dem scheinbar depotenzierten Nichtwissen neue, ja, für die<br />
Beherrschung des de facto unbeherrschbaren Wissens mitunter konstitutive Möglichkeiten.<br />
Angewandtes Nichtwissen, auf seinen Stellenwert innerhalb deterministischer Konzeptionen<br />
hin befragt, könnte die Kluft zwischen einer wenigstens theoretisch vollends erschlossenen<br />
Welt und der mithin nur selten gegebenen Chance überbrücken, diese in der Totalität ihrer<br />
Beziehungen auch zu verstehen.<br />
2. Klassischer Determinismus: Laplace<br />
Der französische Mathematiker und Philosoph Pierre Simon Marquis de Laplace (1749-1827)<br />
wurde mit einem Schlag berühmt, als er im Jahr 1773 durch mathematische Anwendungen<br />
der Newtonschen Bewegungsgesetze nachwies, dass die Bewegungen der Planeten unseres<br />
Sonnensystems konstant sind. In seinem fünfbändigen Traité de méchanique céleste (1799-<br />
1825) formulierte er einen wichtigen Beweis für die Stabilität des Planetensystems, deren<br />
Bedeutung auch für die Verhältnisse auf der Erde wie z. B. die Periodizität von Ebbe und Flut<br />
4 Darauf reagiert beispielsweise die Geschichtsphilosophie, indem sie für die Steuerung des Weltlaufs geheime<br />
Agenten wie eine „List der Vernunft“ (Hegel), „Naturabsicht“ (Kant) oder „invisible hand“ (Adam Smith)<br />
verantwortlich macht.