Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Laplacescher Dämon, Zufallsmechanik, Billard-Literatur<br />
Spielräume Angewandten Nichtwissens<br />
in deterministischen Weltbildern<br />
von<br />
FRANK MÜLLER<br />
1. Problemaufriss<br />
„Angewandtes Nichtwissen“, schreibt Michael Gail, sei „das Handeln und Entscheiden auf<br />
der Grundlage nicht objektivierbarer, aber dennoch nicht beliebiger Begriffe und Vorstellungen.<br />
(...) Im Unterschied zum nicht angewandten Wissen verzichten wir bewusst und rational<br />
auf prinzipiell erlangbares Wissen, und zwar aus einer rationalen Abwägung zwischen dem<br />
Nutzen zusätzlichen Wissens und den mit seiner Gewinnung verbundenen Kosten.“ 1<br />
Ausgehend von dieser Definition wäre der größte anzunehmende Gegenspieler Angewandten<br />
Nichtwissens ein deterministisches Weltbild, wie es in seiner säkularisierten Form ausgehend<br />
von der Mechanik Newtons etabliert wurde. Wenn der Lauf der Planeten und mit ihnen auch<br />
das Leben auf der Erde von unabänderlichen Naturgesetzen bestimmt ist, kann jedes Geschehen<br />
auf erklärende Ursachen zurückgeführt werden. Ein in diesem Sinne determiniertes Universum<br />
verfügt idealerweise über keine blinden Flecke oder Unbestimmtheitsstellen. So unternimmt<br />
es etwa der mechanische Materialismus á la Holbach, den Menschen vollständig zu<br />
naturalisieren, indem er selbst die Formation der fortgeschrittenen Gesellschaft als Folge einfacher,<br />
auf Naturbestimmungen basierter Kausalverkettungen begreift. Die Wirkungszusammenhänge<br />
von Ursachen und Wirkungen werden dabei ab einem bestimmten Grad der Zivilisierung<br />
nicht etwa von moralischen oder juridischen Verbindlichkeiten abgelöst, sie erhöhen<br />
lediglich ihre Komplexität:<br />
1 Michael Gail. Angewandtes Nichtwissen. Eine Annäherung. In: ungewußt, Heft 8, Winter 1999/2000, S. 5.<br />
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