Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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54 Ludger Steckelbach<br />
Wer kann sich diese zwölf Dinge auf Anhieb merken, vielleicht sogar in der richtigen<br />
Reihenfolge? Folgende Aufstehgeschichte hilft dabei verblüffend:<br />
1. Der Hund liegt im Bett. 2. Der Wecker ist ein kleines Modell einer Tankstelle, und um<br />
ihn auszumachen, muß ich erst unter das Vordach packen. 3. Die Latschen haben ein<br />
wildes Blümchenmuster. 4. Als ich das Licht anmachen will, stoße ich den vor dem<br />
Schalter stehenden Ordner um. 5. Die Badtür klemmt, weil ein dicker Brief darunter liegt.<br />
6. Im Toilettenschacht schwimmt mein Handy. 7. Über den Spiegel flackern wie über<br />
einen Prompter meine E-mails. 8. Das Wasser kommt aus der Klappe eines<br />
Geldautomaten geplätschert. 9. Am Handtuchhalter hängt mein Jackett. 10. Ich muß erst<br />
den Tisch vom Aufsatz freiräumen. 11. Im Schrank ist keine Tasse, weil der Koffer den<br />
ganzen Platz braucht. 12. Im Kühlschrank steht statt Milch eine Tonerflasche für den<br />
Drucker, schwarze Milch der Frühe.<br />
Durch die Verknüpfung der zu merkenden Begriffe mit einem bekannten Muster werden aus<br />
wirklichen Erfahrungen und unbekannten Begriffen ungewöhnliche Bilder. Dieser Vorgang<br />
hilft dem Gedächtnis offenbar.<br />
5. Fazit, mit einem überraschenden neuen Aspekt<br />
Warum ist es nun so wie in der Überschrift? „Jedermann klagt über sein Gedächtnis, niemand<br />
über seinen Verstand“, sagte François de La Rochefoucauld. Der Verstand ist die am<br />
gerechtesten verteilte Sache der Welt, denn fast jeder meint, genug davon zu besitzen. Die<br />
Tücken des Gedächtnisses werden uns dagegen jeden Tag in der Anwendung bewusst. Beim<br />
Zugriff auf das Gedächtnis landen wir denn auch direkt beim Begriff des Wissens:<br />
Wissen sind aktuell verfügbare Kenntnisse. Anderes weiß ich aber wegen des Gedächtnisses<br />
mehr oder weniger nicht. Damit wird die Abgrenzung von Wissen zu Nichtwissen verwischt.<br />
Es gibt sozusagen nur schrittweise Unterschiede. Eine wichtige Abgrenzung läuft über den<br />
Begriff „aktuell“. Was nennen wir aktuell und was bereits Gedächtnis? Eine schwierige<br />
Abgrenzung zwischen Wissen und Nichtwissen! Wenn wir nicht wissen, ob wir etwas<br />
Brauchbares im Gedächtnis finden werden, müssen wir abwägen, wie lange es sich lohnt, im<br />
Gedächtnis nach Wissen zu suchen, um es gegebenenfalls zu nutzen. Insofern kann man<br />
plötzlich eine erstaunliche neue Definition wagen: Angewandtes Nichtwissen ist der Umgang<br />
mit dem Gedächtnis!