Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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38 Claudia Altmeyer<br />
philosophischen Hintergrund. 8 Jene zum großen Teil ausgezeichnete und fundierte<br />
Forschungsarbeit ist auf dieser Ebene kaum zu übertreffen. Allerdings sind die Fragen, die wir<br />
als Philosophen heute stellen, und die realen Konflikte, mit denen wir konfrontiert sind,<br />
mittlerweile andere, und die Antworten, die wir uns durch die Rezeption klassischer Autoren<br />
erhoffen, ebenfalls.<br />
Eckehart aktualisieren schließt auch immer eine Frage an: was von ihm aktualisieren?<br />
Aktualisieren wir die Erkenntnisdiskussion und folgern wir, wie er, von einer mystischen<br />
Erstursache, die allumfassend und allwissend ist, auch ungeachtet ihrer theologischen Lesart,<br />
auf eine Instanz objektiven Wissens in uns und von dieser auf unsere moralische<br />
Handlungsfähigkeit im Sinne des Bürgers, kollektiv gedacht im Sinne eines Rechtsstaates,<br />
bekommen wir sofort Probleme. Wir können keiner Ethikkommission "Nimm dein Selbes<br />
wahr" oder einen anderen mystischen Sinnspruch zuraunen, zumindest nicht, wenn wir<br />
ernstgenommen werden möchten (was ja doch für viele Philosophen wichtiger ist, als<br />
verstanden zu werden).<br />
Der Prozess der mystischen Selbstvergewisserung ist nun einmal eine so spezielle Art des<br />
Erkennens, dass er, wenngleich sehr traditionsreich, natürlich weder vorausgesetzt noch auch<br />
ohne Weiteres für eine breitere Masse nachvollziehbar gemacht werden kann. Die<br />
Grundüberlegung, die aus dem Sein als Vernunftwesen ein Erkennen und aus diesem ein<br />
Sollen zeitigt, ist aber dennoch bemerkenswert. Zunächst, weil wir ihre unscheinbarsten<br />
Ausläufer in einem demokratischen Rechtsstaat, seinem Begriff von Person, Würde und<br />
Rechtsfähigkeit und seiner Rechtssprechung finden, zum anderen, weil andere Kulturen wie<br />
etwa die islamische systematisch ganz ähnlich folgern, doch alle drei Punkte anders<br />
interpretieren und drittens aus strukturellen Gründen: um ein Meinungsmonopol, das jene<br />
Dreiheit rigoros trennt, zu konterkarieren. Im dreizehnten Jahrhundert Eckeharts würde ich<br />
mich, feurig aber hoffentlich nicht brennend, ebenfalls aus strukturellen Gründen für eine<br />
Position in Humes Stil ausgesprochen haben.<br />
8 Hier ist insbesondere die Arbeit des Eckehartkenners Alois M. Haas hervorzuheben (exemplarisch für seine<br />
Werke hier nur eine kurze Erwähnung: Nim dîn selbes war, Studien zur Lehre der Selbsterkenntnis bei<br />
Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, Freiburg/ Schweiz 1971, zu theologischphilosophischen<br />
Grenzfällen, Gottleiden – Gottlieben, Frankfurt 1989). Sein Schwerpunkt liegt, ähnlich wie<br />
der von Werner Beierwaltes, Hans Urs von Balthasar oder Josef Quint, vornehmlich auf der Positionierung<br />
der eckehartschen Erkenntnistheorie innerhalb der komplexen philosophischen und theologischen Tradition<br />
seiner Epoche. – Wenn diese hervorragenden historisch-systematischen Analysen für heute fruchtbar gemacht<br />
werden sollen, müsste man, denke ich, ihre Ergebnisse konsequent mit Gegenwartsfragen in Bezug setzen.