Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Unzeitgemäße Denkfreiheiten 33<br />
Werturteile vermitteln, zu hinterfragen und somit auch einer „Gläubigkeit“ an aus Daten<br />
generierten Urteilen den philosophischen Zweifel entgegenzusetzen.<br />
Zum Beispiel Meister Eckehart<br />
Nun erscheint es vielleicht gewagt, wenn nicht gewaltsam, nach meiner generellen Absage an<br />
„Gläubigkeiten“ mit dem Verweis auf Meister Eckehart einen mystischen Autor einzuführen.<br />
Ein Mystiker, Scholastiker, zeitweise Vorzeige-Dominikaner und gerühmter Kirchenmann<br />
einerseits, und der philosophische Zweifel an Erkenntnisdaten und Erkenntnisprozessen<br />
andererseits, kann das überhaupt gut gehen? Verfolgt Meister Eckehart nicht, hinter all seinen<br />
spekulativen und deutungsreichen Aussagen über den Grund der Seele, eine unfragbare und<br />
harte Dogmatik, die jeder gedanklichen Opposition widerspricht, schon rein strukturell<br />
widersprechen muss? Ist Mystik als Erkenntnisweg nicht in letzter Konsequenz wunderartig,<br />
irrational, nur wenigen zugänglich und dadurch gerade nicht ein gemeinsamer<br />
Erkenntnisvorgang, der durch seine Allgemeinheit auch Ethik begründen kann? Versuche ich<br />
also, wie so viele andere, lediglich einen bekannten Denker für meine eigenen Ansichten zu<br />
vereinnahmen?<br />
Letzteres hoffe ich nicht und wünsche es durch meine nachfolgenden Ausführungen, die<br />
textnah und epochentypisch assoziativ gehalten sind, klarzustellen (inwiefern mir das gelingt,<br />
darf natürlich der Leser urteilen). Die anderen Einwände kann ich an dieser Stelle noch nicht<br />
widerlegen, doch ich möchte betonen, dass gerade Eckehart – der nicht umsonst als ein<br />
prominenter Angehöriger desjenigen Ordens, der sich in der Ketzerverfolgung am meisten<br />
hervortat, in die prekäre Situation kam, am Ende selbst von der Inquisition belangt zu<br />
werden – sich für einen ausgesprochen undogmatischen, unkonventionellen Erkenntnisweg<br />
stark macht. Mystik ist für ihn keine elitäre Weltflucht, Erkenntnis kein Gnadenakt: als ein<br />
sehr pragmatischer und vernunftbetonter Denker sieht er den Eigengebrauch der Vernunft und<br />
ihr Auswirken im moralischen Handeln als das dem Menschen ureigenes und erreichbares<br />
Zuhause an.<br />
Nun kann man fragen, weshalb diese modern klingende Ansicht mit der Rezeption eines<br />
mittelalterlichen Autors verbunden sein sollte, wenn wir doch recht ähnliche Theorien<br />
spätestens seit der Zeit der Aufklärung (und somit unserem Sprachgebrauch und unserer<br />
Lebenswelt auch etwas näher) rezipieren können. Normative Autonomie auf der Grundlage<br />
der Vernunft könnte ebenso gut, oder aufgrund der traditionsreicheren Rezeption und der<br />
bekannteren Entschlüsselung der Hauptaussagen wahrscheinlich sogar besser, im Rahmen<br />
einer Kantdiskussion erörtert werden. Es ist aber keine blinde Nostalgie, noch der Nachhall