Dokument 1.pdf - Universität Siegen
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Das Projekt des Angewandten Nichtwissens 19<br />
3. Angewandtes Nichtwissen<br />
3.1 Anwendungsorientiertes Denken und Nichtwissen<br />
Das Projekt des Angewandtes Nichtwissens zielt auf den Umgang mit dem Nichtwissen nicht,<br />
um vor der Existenz des Nichtwissens zu kapitulieren oder gegen das Nichtwissen zu kämp-<br />
fen. Das anwendungsorientierte Denken sucht nach Wegen aus der Ausweglosigkeit, indem<br />
das Nichtwissen als gegeben akzeptiert wird, seine Ursachen zugestanden, verstanden und<br />
daraus kreative Lösungen erstanden werden. Insoweit ähnelt das Projekt des Angewandten<br />
Nichtwissens nur scheinbar dem, was Sokrates ausdrückte, als er erklärte, er wisse nichts,<br />
glaube aber auch nicht, zu wissen. 31 Er hat nicht gesagt, er wisse, dass er nichts wisse – jeden-<br />
falls ist es nicht so überliefert. 32 Sonst hätte Platon ihn nicht in Carmides endlos und ohne<br />
Ergebnis mit dem Kritias der Frage nachgehen lassen, wie das ist, wenn man weiß, was man<br />
weiß, und wenn man weiß, was man nicht weiß. Es ging Sokrates bei seinem Spruch zum<br />
Nichtwissen um die Frage, wann man wissen könne. Und er behauptete nicht, dass man nicht<br />
zur Erkenntnis, zum Wissen kommen könne. Es ist nur ein viel mühevollerer Weg als die ein-<br />
fache Behauptung, man wisse etwas ganz genau. Insoweit ist es anders als bei Karl Popper,<br />
wenn dieser von der „höchstwahrscheinlich falschen Annahme“ spricht, „dass die wahre<br />
strukturelle Theorie der Welt (falls es sie gibt) von Menschen gefunden werden könne oder in<br />
menschlicher Sprache ausdrückbar sei.“ 33 Das Nichtwissen ist nicht das Problem des Sokra-<br />
tes, strebt er doch ungeachtet seines Nichtwissens durch ständiges Hinterfragen der Erkenntnis<br />
zu. Sokrates wollte letztendlich doch zu einem tragfähigen Gebäude ethischer Normen vor-<br />
dringen. 34 Er wendet sich schlicht gegen die eigenen Vorurteile 35 und ein göttlich vorgegebe-<br />
nes Wissen. 36 Das sokratische Nichtwissen steht insoweit im Gegensatz zum Scheinwissen,<br />
auch wenn Sokrates dabei gravierende Schwierigkeiten der Objektivierung des Wissen auf-<br />
zeigt. 37 Vielleicht würde Sokrates trotzdem verneinen, dass es gesichertes Wissen gebe, 38 aber<br />
eher in dem Sinne, dass Wissen jederzeit Zweifeln zugänglich ist, bleibt und sein sollte.<br />
31 Siehe dazu Jens Timmermann, Wie kann man wissen, dass man nichts weiß?, ungewußt, Heft 2, S. 5ff.<br />
32 Hermann Gauss, Philosophischer Handkommentar zu den Dialogen Platos, 1. Teil, 2. Hälfte: Die Frühdialo-<br />
ge, Bern 1954, S. 50.<br />
33 Karl Popper, Die Zielsetzung der Erfahrungswissenschaft (1957). In: Karl Popper, Lesebuch, Tübingen 2000,<br />
S. 153.<br />
34 Jens Timmermann, Wie kann man wissen, dass man nichts weiß?, ungewußt, Heft 2, S. 12.<br />
35 Ernst R. Sandvoss, Geschichte der Philosophie, Bd. 1, München 1989, S. 304.<br />
36 Jens Timmermann, Wie kann man wissen, dass man nichts weiß?, ungewußt, Heft 2, S. 11.<br />
37 Wolfgang Wieland, Das sokratische Erbe: Laches, in: Platon: Seine Dialoge, hrsg. von Theo Kolusch und<br />
Burkhard Mojsisch, Darmstadt 1996, S. 18ff.