Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
dass du wie<strong>de</strong>r heimkommst; jetzt komm zur Milch!"<br />
Heidi kam herunter <strong>und</strong> setzte sich auf seinen hohen Stuhl am alten<br />
Platze, <strong>und</strong> nun erfasste es sein Schüsselchen <strong>und</strong> trank mit einer<br />
Begier<strong>de</strong>, als wäre etwas so Köstliches noch nie in seinen Bereich<br />
gekommen, <strong>und</strong> als es mit einem tiefen Atemzug das Schüsselchen<br />
hinstellte, sagte es: "So gut wie unsere Milch ist doch gar nichts<br />
auf <strong>de</strong>r Welt, Großvater."<br />
Jetzt ertönte draußen ein schriller Pfiff; wie <strong>de</strong>r Blitz schoss<br />
Heidi zur Tür hinaus. Da kam die ganze Schar <strong>de</strong>r Geißen hüpfend,<br />
springend, Sätze machend von <strong>de</strong>r Höhe herunter, mittendrin <strong>de</strong>r<br />
Peter. Als er Heidi ansichtig wur<strong>de</strong>, blieb er auf <strong>de</strong>r Stelle<br />
völlig wie angewurzelt stehen <strong>und</strong> starrte es sprachlos an. Heidi<br />
rief: "Guten Abend, Peter!", <strong>und</strong> stürzte mitten in die Geißen<br />
hinein: "Schwänli! Bärli! Kennt ihr mich noch?", <strong>und</strong> die Geißlein<br />
mussten seine Stimme gleich erkannt haben, <strong>de</strong>nn sie rieben ihre<br />
Köpfe an Heidi <strong>und</strong> fingen an lei<strong>de</strong>nschaftlich zu meckern vor Freu<strong>de</strong>,<br />
<strong>und</strong> Heidi rief alle nacheinan<strong>de</strong>r beim Namen, <strong>und</strong> alle rannten wie<br />
wild durcheinan<strong>de</strong>r <strong>und</strong> drängten sich zu ihm heran; <strong>de</strong>r ungeduldige<br />
Distelfink sprang hoch auf <strong>und</strong> über zwei Geißen weg, um gleich in<br />
die Nähe zu kommen, <strong>und</strong> sogar das schüchterne Schneehöppli drängte<br />
mit einem ziemlich eigensinnigen Bohren <strong>de</strong>n großen Türk auf die<br />
Seite, <strong>de</strong>r nun ganz verw<strong>und</strong>ert über die Frechheit dastand <strong>und</strong><br />
seinen Bart in die Luft hob, um zu zeigen, dass er es sei.<br />
Heidi war außer sich vor Freu<strong>de</strong>, alle die alten Gefährten wie<strong>de</strong>r zu<br />
haben; es umarmte das kleine, zärtliche Schneehöppli wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />
wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> streichelte <strong>de</strong>n stürmischen Distelfink <strong>und</strong> wur<strong>de</strong> vor<br />
großer Liebe <strong>und</strong> Zutraulichkeit <strong>de</strong>r Geißen hin <strong>und</strong> her gedrängt <strong>und</strong><br />
geschoben, bis es nun ganz in Peters Nähe kam, <strong>de</strong>r noch immer auf<br />
<strong>de</strong>mselben Platze stand.<br />
"Komm herunter, Peter, <strong>und</strong> sag mir einmal guten Abend!", rief ihm<br />
Heidi jetzt zu.<br />
"Bist <strong>de</strong>nn wie<strong>de</strong>r da?", brachte er nun endlich in seinem Erstaunen<br />
heraus, <strong>und</strong> nun kam er herzu <strong>und</strong> nahm <strong>Heidis</strong> Hand, die dieses ihm<br />
schon lange hingehalten hatte, <strong>und</strong> nun fragte er, so wie er immer<br />
getan hatte bei <strong>de</strong>r Heimkehr am Abend: "Kommst morgen wie<strong>de</strong>r mit?"<br />
"Nein, morgen nicht, aber übermorgen vielleicht, <strong>de</strong>nn morgen muss<br />
ich zur Großmutter."<br />
"Es ist recht, dass du wie<strong>de</strong>r da bist", sagte <strong>de</strong>r Peter <strong>und</strong> verzog<br />
sein Gesicht auf alle Seiten vor ungeheurem Vergnügen, dann<br />
schickte er sich zur Heimfahrt an; aber heute wur<strong>de</strong> es ihm so<br />
schwer wie noch nie mit seinen Geißen, <strong>de</strong>nn als er sie endlich mit<br />
Locken <strong>und</strong> Drohen so weit gebracht hatte, dass sie sich um ihn<br />
sammelten, <strong>und</strong> Heidi, <strong>de</strong>n einen Arm um Schwänlis <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn um<br />
Bärlis Kopf gelegt, davonspazierte, da kehrten mit einem Male alle<br />
wie<strong>de</strong>r um <strong>und</strong> liefen <strong>de</strong>n dreien nach. Heidi musste mit seinen zwei<br />
Geißen in <strong>de</strong>n Stall eintreten <strong>und</strong> die Tür zumachen, sonst wäre <strong>de</strong>r<br />
Peter niemals mit seiner Her<strong>de</strong> fortgekommen. Als das Kind dann in<br />
die Hütte zurückkam, da sah es sein Bett schon wie<strong>de</strong>r aufgerichtet,<br />
prächtig hoch <strong>und</strong> duftend, <strong>de</strong>nn das Heu war noch nicht lange<br />
hereingeholt, <strong>und</strong> darüber hatte <strong>de</strong>r Großvater ganz sorgfältig die<br />
sauberen Leintücher gebreitet. Heidi legte sich mit großer Lust<br />
hinein <strong>und</strong> schlief so herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht<br />
geschlafen hatte. Während <strong>de</strong>r Nacht verließ <strong>de</strong>r Großvater wohl<br />
zehnmal sein Lager <strong>und</strong> stieg die Leiter hinauf <strong>und</strong> lauschte sorgsam,<br />
ob Heidi auch schlafe <strong>und</strong> nicht unruhig wer<strong>de</strong>, <strong>und</strong> suchte am Loch<br />
nach, wo sonst <strong>de</strong>r Mond hereinkam auf <strong>Heidis</strong> Lager, ob auch das Heu<br />
noch fest drinnen sitze, das er hineingestopft hatte, <strong>de</strong>nn von nun<br />
an durfte <strong>de</strong>r Mondschein nicht mehr hereinkommen. Aber Heidi<br />
schlief in einem Zuge fort <strong>und</strong> wan<strong>de</strong>rte keinen Schritt herum, <strong>de</strong>nn<br />
sein großes, brennen<strong>de</strong>s Verlangen war gestillt wor<strong>de</strong>n: Es hatte<br />
alle Berge <strong>und</strong> Felsen wie<strong>de</strong>r im Abendglühen gesehen, es hatte die<br />
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