Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
Fräulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; "das Kind kann nicht<br />
essen, begreiflicherweise.--Geh hinüber zu Klara, bis <strong>de</strong>r Wagen<br />
vorfährt", setzte er fre<strong>und</strong>lich, zu Heidi gewandt, hinzu.<br />
Das war <strong>Heidis</strong> Wunsch: Es sprang hinüber. Mitten in Klaras Zimmer<br />
war ein ungeheurer Koffer zu sehen, noch stand <strong>de</strong>ssen Deckel weit<br />
offen.<br />
"Komm, Heidi, komm", rief ihm Klara entgegen. "Sieh, was ich dir<br />
habe einpacken lassen, komm, freut's dich?"<br />
Und sie nannte ihm eine ganze Menge von Dingen, Klei<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />
Schürzen, Tücher <strong>und</strong> Nähgerät, "<strong>und</strong> sieh hier, Heidi", <strong>und</strong> Klara<br />
hob triumphierend einen Korb in die Höhe. Heidi guckte hinein <strong>und</strong><br />
sprang hoch auf vor Freu<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn drinnen lagen wohl zwölf schöne,<br />
weiße, r<strong>und</strong>e Brötchen, alle für die Großmutter. Die Kin<strong>de</strong>r<br />
vergaßen in ihrem Jubel ganz, dass nun <strong>de</strong>r Augenblick komme, da sie<br />
sich trennen mussten, <strong>und</strong> als mit einem Mal <strong>de</strong>r Ruf erschallte:<br />
"Der Wagen ist bereit!"--da war keine Zeit mehr zum Traurigwer<strong>de</strong>n.<br />
Heidi lief in sein Zimmer, da musste noch ein schönes Buch von <strong>de</strong>r<br />
Großmama liegen, niemand konnte es eingepackt haben, <strong>de</strong>nn es lag<br />
unter <strong>de</strong>m Kopfkissen, weil Heidi Tag <strong>und</strong> Nacht sich nicht davon<br />
trennen konnte. Das wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Korb auf die Brötchen gelegt.<br />
Dann machte es seinen Schrank auf; noch suchte es nach einem Gute,<br />
das man vielleicht auch nicht eingepackt hatte. Richtig--auch das<br />
alte rote Tuch lag noch da, Fräulein Rottenmeier hatte es zu gering<br />
erachtet, um mit eingepackt zu wer<strong>de</strong>n. Heidi wickelte es um einen<br />
an<strong>de</strong>ren Gegenstand <strong>und</strong> legte es zuoberst auf <strong>de</strong>n Korb, so dass das<br />
rote Paket sehr sichtbar zur Erscheinung kam. Dann setzte es sein<br />
schönes Hütchen auf <strong>und</strong> verließ sein Zimmer.<br />
Die bei<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r mussten sich schnell Lebewohl sagen, <strong>de</strong>nn Herr<br />
Sesemann stand schon da, um Heidi nach <strong>de</strong>m Wagen zu bringen.<br />
Fräulein Rottenmeier stand oben an <strong>de</strong>r Treppe, um hier Heidi zu<br />
verabschie<strong>de</strong>n. Als sie das seltsame rote Bün<strong>de</strong>lchen erblickte,<br />
nahm sie es schnell aus <strong>de</strong>m Korb heraus <strong>und</strong> warf es auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n.<br />
"Nein, A<strong>de</strong>lheid", sagte sie ta<strong>de</strong>lnd, "so kannst du nicht reisen von<br />
diesem Hause aus; solches Zeug brauchst du überhaupt nicht<br />
mitzuschleppen. Nun lebe wohl."<br />
Auf dieses Verbot hin durfte Heidi sein Bün<strong>de</strong>lchen nicht wie<strong>de</strong>r<br />
aufnehmen, aber es schaute mit einem flehentlichen Blick zu <strong>de</strong>m<br />
Hausherrn auf, so, als wollte man ihm seinen größten Schatz nehmen.<br />
"Nein, nein", sagte Herr Sesemann in sehr bestimmtem Tone, "das<br />
Kind soll mit heimtragen, was ihm Freu<strong>de</strong> macht, <strong>und</strong> sollte es auch<br />
junge Katzen o<strong>de</strong>r Schildkröten mit fortschleppen, so wollen wir uns<br />
darüber nicht aufregen, Fräulein Rottenmeier."<br />
Heidi hob eilig sein Bün<strong>de</strong>lchen wie<strong>de</strong>r vom Bo<strong>de</strong>n auf, <strong>und</strong> Dank <strong>und</strong><br />
Freu<strong>de</strong> leuchteten ihm aus <strong>de</strong>n Augen. Unten am Wagen reichte Herr<br />
Sesemann <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> die Hand <strong>und</strong> sagte ihm mit fre<strong>und</strong>lichen Worten,<br />
sie wür<strong>de</strong>n seiner ge<strong>de</strong>nken, er <strong>und</strong> seine Tochter Klara; er wünschte<br />
ihm alles Gute auf <strong>de</strong>n Weg, <strong>und</strong> Heidi dankte recht schön für alle<br />
Guttaten, die ihm zuteil gewor<strong>de</strong>n waren, <strong>und</strong> zum Schluss sagte es:<br />
"Und <strong>de</strong>n Herrn Doktor lasse ich tausendmal grüßen <strong>und</strong> ihm auch<br />
vielmals danken." Denn es hatte sich wohl gemerkt, wie er gestern<br />
Abend gesagt hatte: "Und morgen wird alles gut." Nun war es so<br />
gekommen, <strong>und</strong> Heidi dachte, er habe dazu geholfen.<br />
Jetzt wur<strong>de</strong> das Kind in <strong>de</strong>n Wagen gehoben <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Korb <strong>und</strong> die<br />
Provianttasche <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sebastian kamen nach. Herr Sesemann rief<br />
noch einmal fre<strong>und</strong>lich: "Glückliche Reise!", <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wagen rollte<br />
davon.<br />
Bald nachher saß Heidi in <strong>de</strong>r Eisenbahn <strong>und</strong> hielt unbeweglich<br />
seinen Korb auf <strong>de</strong>m Schoße fest, <strong>de</strong>nn es wollte ihn nicht einen<br />
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