Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
"<strong>und</strong> dass Er mir das pünktlich besorgt! Den Gasthof in Basel, <strong>de</strong>n<br />
ich Ihm hier auf meine Karte geschrieben, kenne ich. Er weist<br />
meine Karte vor, dann wird Ihm ein gutes Zimmer angewiesen wer<strong>de</strong>n<br />
für das Kind; für sich selbst wird Er schon sorgen. Dann geht Er<br />
erst in <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s Zimmer hinein <strong>und</strong> verrammelt alle Fenster so<br />
vollständig, dass nur große Gewalt sie aufzubringen vermöchte. Ist<br />
das Kind zu Bett, so geht Er <strong>und</strong> schließt von außen die Tür ab,<br />
<strong>de</strong>nn das Kind wan<strong>de</strong>rt herum in <strong>de</strong>r Nacht <strong>und</strong> könnte Gefahr laufen<br />
in <strong>de</strong>m frem<strong>de</strong>n Haus, wenn es etwa hinausginge <strong>und</strong> die Haustür<br />
aufmachen wollte; versteht Er das?"<br />
"Ah! Ah! Ah! Das war's? So war's?", stieß Sebastian jetzt in<br />
größter Verw<strong>und</strong>erung aus, <strong>de</strong>nn es war ihm eben ein großes Licht<br />
aufgegangen über die Geistererscheinung.<br />
"Ja, so war's! Das war's! Und Er ist ein Hasenfuß, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Johann<br />
kann Er sagen, er sei <strong>de</strong>sgleichen <strong>und</strong> alle miteinan<strong>de</strong>r eine<br />
lächerliche Mannschaft." Damit ging Herr Sesemann nach seiner Stube,<br />
setzte sich hin <strong>und</strong> schrieb einen Brief an <strong>de</strong>n Alm-Öhi.<br />
Sebastian war verdutzt mitten im Zimmer stehen geblieben <strong>und</strong><br />
wie<strong>de</strong>rholte jetzt zu öfteren Malen in seinem Innern: "Hätt ich mich<br />
doch von <strong>de</strong>m Feigling von einem Johann nicht in die Wachtstube<br />
hineinreißen lassen, son<strong>de</strong>rn wäre <strong>de</strong>m weißen Figürchen nachgegangen,<br />
was ich doch jetzt unzweifelhaft tun wür<strong>de</strong>!", <strong>de</strong>nn jetzt<br />
beleuchtete die helle Sonne je<strong>de</strong>n Winkel <strong>de</strong>r hellgrauen Stube mit<br />
voller Klarheit.<br />
Unter<strong>de</strong>ssen stand Heidi völlig ahnungslos in seinem<br />
Sonntagsröckchen <strong>und</strong> wartete ab, was geschehen sollte, <strong>de</strong>nn die<br />
Tinette hatte es nur aus <strong>de</strong>m Schlafe aufgerüttelt, die Klei<strong>de</strong>r aus<br />
<strong>de</strong>m Schrank genommen <strong>und</strong> das Anziehen geför<strong>de</strong>rt, ohne ein Wort zu<br />
sagen. Sie sprach niemals mit <strong>de</strong>m ungebil<strong>de</strong>ten Heidi, <strong>de</strong>nn das war<br />
ihr zu gering.<br />
Herr Sesemann trat mit seinem Brief ins Esszimmer ein, wo das<br />
Frühstück bereitstand, <strong>und</strong> rief: "Wo ist das Kind?"<br />
Heidi wur<strong>de</strong> gerufen. Als es zu Herrn Sesemann herantrat, um ihm<br />
'guten Morgen' zu sagen, schaute er ihm fragend ins<br />
Gesicht: "Nun, was sagst du <strong>de</strong>nn dazu, Kleine?"<br />
Heidi blickte verw<strong>und</strong>ert zu ihm auf.<br />
"Du weißt am En<strong>de</strong> noch gar nichts", lachte Herr Sesemann. "Nun,<br />
heut gehst du heim, jetzt gleich."<br />
"Heim?", wie<strong>de</strong>rholte Heidi tonlos <strong>und</strong> wur<strong>de</strong> schneeweiß, <strong>und</strong> eine<br />
kleine Weile konnte es gar keinen Atem mehr holen, so stark wur<strong>de</strong><br />
sein Herz von <strong>de</strong>m Eindruck gepackt.<br />
"Nun, willst du etwa nichts wissen davon?", fragte Herr Sesemann<br />
lächelnd.<br />
"O ja, ich will schon", kam jetzt heraus, <strong>und</strong> nun war Heidi<br />
dunkelrot gewor<strong>de</strong>n.<br />
"Gut, gut", sagte Herr Sesemann ermunternd, in<strong>de</strong>m er sich setzte<br />
<strong>und</strong> Heidi winkte, dasselbe zu tun. "Und nun tüchtig frühstücken<br />
<strong>und</strong> hernach in <strong>de</strong>n Wagen <strong>und</strong> fort."<br />
Aber Heidi konnte keinen Bissen herunterbringen, wie es sich auch<br />
zwingen wollte aus Gehorsam; es war in einem Zustand von Aufregung,<br />
dass es gar nicht wusste, ob es wache o<strong>de</strong>r träume <strong>und</strong> ob es<br />
vielleicht wie<strong>de</strong>r auf einmal erwachen <strong>und</strong> im Nachthemdchen an <strong>de</strong>r<br />
Haustür stehen wer<strong>de</strong>.<br />
"Sebastian soll reichlich Proviant mitnehmen", rief Herr Sesemann<br />
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