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Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de

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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />

dann mit, schlug die Tür zu <strong>und</strong> drehte in fieberhafter Eile <strong>de</strong>n<br />

Schlüssel um, solang er nur umging. Dann riss er seine<br />

Streichhölzer hervor <strong>und</strong> zün<strong>de</strong>te sein Licht wie<strong>de</strong>r an. Sebastian<br />

wusste gar nicht recht, was vorgefallen war, <strong>de</strong>nn hinter <strong>de</strong>m<br />

breiten Johann stehend, hatte er <strong>de</strong>n Luftzug nicht so <strong>de</strong>utlich<br />

empf<strong>und</strong>en. Wie er aber jenen nun bei Licht besah, tat er einen<br />

Schreckensruf, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Johann war krei<strong>de</strong>weiß <strong>und</strong> zitterte wie<br />

Espenlaub. "Was ist's <strong>de</strong>nn? Was war <strong>de</strong>nn draußen?", fragte <strong>de</strong>r<br />

Sebastian teilnehmend.<br />

"Sperrangelweit offen die Tür", keuchte Johann, "<strong>und</strong> auf <strong>de</strong>r Treppe<br />

eine weiße Gestalt, siehst du, Sebastian, nur so die Treppe hinauf-husch<br />

<strong>und</strong> verschw<strong>und</strong>en."<br />

Dem Sebastian gruselte es <strong>de</strong>n ganzen Rücken hinauf. Jetzt setzten<br />

sich die bei<strong>de</strong>n ganz nah zusammen <strong>und</strong> regten sich nicht mehr, bis<br />

dass <strong>de</strong>r neue Morgen da war <strong>und</strong> es auf <strong>de</strong>r Straße anfing, lebendig<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Dann traten sie zusammen hinaus, machten die weit offen<br />

stehen<strong>de</strong> Haustür zu <strong>und</strong> stiegen dann hinauf, um Fräulein<br />

Rottenmeier Bericht zu erstatten über das Erlebte. Die Dame war<br />

auch schon zu sprechen, <strong>de</strong>nn die Erwartung <strong>de</strong>r zu vernehmen<strong>de</strong>n<br />

Dinge hatte sie nicht mehr schlafen lassen. Sobald sie nun<br />

vernommen hatte, was vorgefallen war, setzte sie sich hin <strong>und</strong><br />

schrieb einen Brief an Herrn Sesemann, wie er noch keinen erhalten<br />

hatte; er möge sich nur sogleich, ohne Verzug, aufmachen <strong>und</strong> nach<br />

Hause zurückkehren, <strong>de</strong>nn da geschähen unerhörte Dinge. Dann wur<strong>de</strong><br />

ihm das Vorgefallene mitgeteilt sowie auch die Nachricht, dass<br />

fortgesetzt die Tür je<strong>de</strong>n Morgen offen stehe; dass also keiner im<br />

Hause seines Lebens mehr sicher sei bei <strong>de</strong>rgestalt allnächtlich<br />

offen stehen<strong>de</strong>r Hauspforte <strong>und</strong> dass man überhaupt nicht absehen<br />

könne, was für dunkle Folgen dieser unheimliche Vorgang noch nach<br />

sich ziehen könne. Herr Sesemann antwortete umgehend, es sei ihm<br />

unmöglich, so plötzlich alles liegen zu lassen <strong>und</strong> nach Hause zu<br />

kommen. Die Gespenstergeschichte sei ihm sehr befrem<strong>de</strong>nd, er hoffe<br />

auch, sie sei vorübergehend; sollte es in<strong>de</strong>ssen keine Ruhe geben,<br />

so möge Fräulein Rottenmeier an Frau Sesemann schreiben <strong>und</strong> sie<br />

fragen, ob sie nicht nach Frankfurt zu Hilfe kommen wollte; gewiss<br />

wür<strong>de</strong> seine Mutter in kürzester Zeit mit <strong>de</strong>n Gespenstern fertig,<br />

<strong>und</strong> diese trauten sich nachher sicher so bald nicht wie<strong>de</strong>r, sein<br />

Haus zu beunruhigen. Fräulein Rottenmeier war nicht zufrie<strong>de</strong>n mit<br />

<strong>de</strong>m Ton dieses Briefes; die Sache war ihr zu wenig ernst aufgefasst.<br />

Sie schrieb unverzüglich an Frau Sesemann, aber von dieser Seite<br />

her tönte es nicht eben befriedigen<strong>de</strong>r, <strong>und</strong> die Antwort enthielt<br />

einige ganz anzügliche Bemerkungen. Frau Sesemann schrieb, sie<br />

ge<strong>de</strong>nke nicht, extra von Holstein nach Frankfurt hinunterzureisen,<br />

weil die Rottenmeier Gespenster sehe. Übrigens sei niemals ein<br />

Gespenst gesehen wor<strong>de</strong>n im Hause Sesemann, <strong>und</strong> wenn jetzt eines<br />

darin herumfahre, so könne es nur ein lebendiges sein, mit <strong>de</strong>m die<br />

Rottenmeier sich sollte verständigen können; wo nicht, so solle sie<br />

die Nachtwächter zu Hilfe rufen.<br />

Aber Fräulein Rottenmeier war entschlossen, ihre Tage nicht mehr in<br />

Schrecken zuzubringen, <strong>und</strong> sie wusste sich zu helfen. Bis dahin<br />

hatte sie <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn nichts von <strong>de</strong>r Geistererscheinung<br />

gesagt, <strong>de</strong>nn sie befürchtete, die Kin<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong>n vor Furcht Tag <strong>und</strong><br />

Nacht keinen Augenblick mehr allein bleiben wollen, <strong>und</strong> das konnte<br />

sehr unbequeme Folgen für sie haben. Jetzt ging sie stracks ins<br />

Studierzimmer hinüber, wo die bei<strong>de</strong>n zusammensaßen, <strong>und</strong> erzählte<br />

mit gedämpfter Stimme von <strong>de</strong>n nächtlichen Erscheinungen eines<br />

Unbekannten. Sofort schrie Klara auf, sie bleibe keinen Augenblick<br />

mehr allein, <strong>de</strong>r Papa müsse nach Hause kommen <strong>und</strong> Fräulein<br />

Rottenmeier müsse zum Schlafen in ihr Zimmer hinüberziehen, <strong>und</strong><br />

Heidi dürfe auch nicht mehr allein sein, sonst könne das Gespenst<br />

einmal zu ihm kommen <strong>und</strong> ihm etwas tun; sie wollten alle in (einem)<br />

Zimmer schlafen <strong>und</strong> die ganze Nacht das Licht brennen lassen, <strong>und</strong><br />

Tinette müsste nebenan schlafen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sebastian <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Johann<br />

müssten auch herunterkommen <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>m Korridor schlafen, dass sie<br />

gleich schreien <strong>und</strong> das Gespenst erschrecken könnten, wenn es etwa<br />

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