Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
verstand, dass es sich am Tisch ruhig verhalten musste. Sebastian<br />
machte heute je<strong>de</strong>s Mal die merkwürdigsten Gebär<strong>de</strong>n, wenn er in<br />
<strong>Heidis</strong> Nähe kam; er <strong>de</strong>utete bald auf seinen, bald auf <strong>Heidis</strong> Kopf,<br />
dann nickte er wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> kniff die Augen zu, so als wollte er<br />
sagen: "Nur getrost! Ich hab's schon gemerkt <strong>und</strong> besorgt."<br />
Als Heidi später in sein Zimmer kam <strong>und</strong> in sein Bett steigen wollte,<br />
lag sein zerdrücktes Strohhütchen unter <strong>de</strong>r Decke versteckt. Mit<br />
Entzücken zog es <strong>de</strong>n alten Hut hervor, zerdrückte ihn vor lauter<br />
Freu<strong>de</strong> noch ein wenig mehr <strong>und</strong> versteckte ihn dann, in ein<br />
Taschentüchlein eingewickelt, in die allerhinterste Ecke seines<br />
Schrankes. Das Hütchen hatte <strong>de</strong>r Sebastian unter die Decke<br />
gesteckt; er war zu gleicher Zeit mit Tinette im Esszimmer gewesen,<br />
als diese gerufen wur<strong>de</strong>, <strong>und</strong> hatte <strong>Heidis</strong> Jammerruf vernommen.<br />
Dann war er Tinette nachgegangen, <strong>und</strong> als sie aus <strong>Heidis</strong> Zimmer<br />
heraustrat mit ihrer Brotlast <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Hütchen oben darauf, hatte er<br />
schnell dieses weggenommen <strong>und</strong> ihr zugerufen: "Das will ich schon<br />
forttun." Darauf hatte er es in aller Freu<strong>de</strong> für Heidi gerettet,<br />
was er ihm beim Aben<strong>de</strong>ssen zur Erheiterung an<strong>de</strong>uten wollte.<br />
Der Hausherr hört allerlei in seinem Hause, das er noch nicht<br />
gehört hat<br />
Einige Tage nach diesen Ereignissen war im Hause Sesemann große<br />
Lebendigkeit <strong>und</strong> ein eifriges Treppauf- <strong>und</strong> Treppabrennen, <strong>de</strong>nn<br />
eben war <strong>de</strong>r Hausherr von seiner Reise zurückgekehrt, <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m<br />
bepackten Wagen wur<strong>de</strong> von Sebastian <strong>und</strong> Tinette eine Last nach <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren hinaufgetragen, <strong>de</strong>nn Herr Sesemann brachte immer eine Menge<br />
schöner Sachen mit nach Hause.<br />
Er selbst war vor allem in das Zimmer seiner Tochter eingetreten,<br />
um sie zu begrüßen. Heidi saß bei ihr, <strong>de</strong>nn es war die Zeit <strong>de</strong>s<br />
späten Nachmittags, da die bei<strong>de</strong>n immer zusammen waren. Klara<br />
begrüßte ihren Vater mit großer Zärtlichkeit, <strong>de</strong>nn sie liebte ihn<br />
sehr, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gute Papa grüßte sein Klärchen nicht weniger<br />
liebevoll. Dann streckte er seine Hand <strong>de</strong>m Heidi entgegen, das<br />
sich leise in eine Ecke zurückgezogen hatte, <strong>und</strong> sagte fre<strong>und</strong>lich:<br />
"Und das ist unsre kleine Schweizerin; komm her, gib mir mal eine<br />
Hand! So ist's recht! Nun sag mir mal, seid ihr auch gute Fre<strong>und</strong>e<br />
zusammen, Klara <strong>und</strong> du? Nicht zanken <strong>und</strong> böse wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dann<br />
weinen <strong>und</strong> dann versöhnen, <strong>und</strong> dann wie<strong>de</strong>r von vorn anfangen, nun?"<br />
"Nein, Klara ist immer gut mit mir", entgegnete Heidi.<br />
"Und Heidi hat auch noch gar nie versucht zu zanken, Papa", warf<br />
Klara schnell ein.<br />
"So ist's gut, das hör ich gern", sagte <strong>de</strong>r Papa, in<strong>de</strong>m er aufstand.<br />
"Nun musst du aber erlauben, Klärchen, dass ich etwas genieße;<br />
heute habe ich noch nichts bekommen. Nachher komm ich wie<strong>de</strong>r zu<br />
dir <strong>und</strong> du sollst sehen, was ich mitgebracht habe!"<br />
Herr Sesemann trat ins Esszimmer ein, wo Fräulein Rottenmeier <strong>de</strong>n<br />
Tisch überschaute, <strong>de</strong>r für sein Mittagsmahl gerüstet war. Nach<strong>de</strong>m<br />
Herr Sesemann sich nie<strong>de</strong>rgelassen <strong>und</strong> die Dame ihm gegenüber Platz<br />
genommen hatte <strong>und</strong> aussah wie ein lebendiges Missgeschick, wandte<br />
sich <strong>de</strong>r Hausherr zu ihr: "Aber Fräulein Rottenmeier, was muss ich<br />
<strong>de</strong>nken? Sie haben zu meinem Empfang ein wahrhaft erschrecken<strong>de</strong>s<br />
Gesicht aufgesetzt. Wo fehlt es <strong>de</strong>nn? Klärchen ist ganz munter."<br />
"Herr Sesemann", begann die Dame mit gewichtigem Ernst, "Klara ist<br />
mit betroffen, wir sind fürchterlich getäuscht wor<strong>de</strong>n."<br />
"Wieso?", fragte Herr Sesemann <strong>und</strong> trank in aller Ruhe einen<br />
Schluck Wein.<br />
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