Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
"Das will ich schon besorgen, Fräulein Klara", entgegnete Sebastian<br />
bereitwillig; "ich mache ein schönes Bettchen in einem Korb <strong>und</strong><br />
stelle <strong>de</strong>n an einen Ort, wo mir die furchtsame Dame nicht dahinter<br />
kommt, verlassen Sie sich auf mich." Sebastian ging gleich an die<br />
Arbeit <strong>und</strong> kicherte beständig vor sich hin, <strong>de</strong>nn er dachte: "Das<br />
wird noch was absetzen!", <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sebastian sah es nicht ungern,<br />
wenn Fräulein Rottenmeier ein wenig in Aufregung geriet.<br />
Nach längerer Zeit erst, als <strong>de</strong>r Augenblick <strong>de</strong>s Schlafengehens<br />
nahte, machte Fräulein Rottenmeier ein ganz klein wenig die Tür auf<br />
<strong>und</strong> rief durch das Spältchen heraus: "Sind die abscheulichen Tiere<br />
fortgeschafft?"<br />
"Jawohl! Jawohl!", gab Sebastian zurück, <strong>de</strong>r sich im Zimmer zu<br />
schaffen gemacht hatte in Erwartung dieser Frage. Schnell <strong>und</strong><br />
leise fasste er die bei<strong>de</strong>n Kätzchen auf Klaras Schoß <strong>und</strong> verschwand<br />
damit.<br />
Die beson<strong>de</strong>re Strafre<strong>de</strong>, die Fräulein Rottenmeier Heidi noch zu<br />
halten gedachte, verschob sie auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>nn heute<br />
fühlte sie sich zu erschöpft nach all <strong>de</strong>n vorhergegangenen<br />
Gemütsbewegungen von Ärger, Zorn <strong>und</strong> Schrecken, die ihr Heidi ganz<br />
unwissentlich nacheinan<strong>de</strong>r verursacht hatte. Sie zog sich<br />
schweigend zurück, <strong>und</strong> Klara <strong>und</strong> Heidi folgten vergnügt nach, <strong>de</strong>nn<br />
sie wussten ihre Kätzchen in einem guten Bett.<br />
Im Hause Sesemann geht's unruhig zu<br />
Als Sebastian am folgen<strong>de</strong>n Morgen <strong>de</strong>m Herrn Kandidaten die Haustür<br />
geöffnet <strong>und</strong> ihn zum Studierzimmer geführt hatte, zog schon wie<strong>de</strong>r<br />
jemand die Hausglocke an, aber mit solcher Gewalt, dass Sebastian<br />
die Treppe völlig hinunterschoss, <strong>de</strong>nn er dachte: "So schellt nur<br />
<strong>de</strong>r Herr Sesemann selbst, er muss unerwartet nach Hause gekommen<br />
sein." Er riss die Tür auf--ein zerlumpter Junge mit einer<br />
Drehorgel auf <strong>de</strong>m Rücken stand vor ihm.<br />
"Was soll das heißen?", fuhr ihn Sebastian an. "Ich will dich<br />
lehren, Glocken herunterzureißen! Was hast du hier zu tun?"<br />
"Ich muss zur Klara", war die Antwort.<br />
"Du ungewaschener Straßenkäfer du; kannst du nicht sagen '<br />
Fräulein Klara', wie unsereins tut? Was hast du bei Fräulein<br />
Klara zu tun?", fragte Sebastian barsch.<br />
"Sie ist mir vierzig Pfennige schuldig", erklärte <strong>de</strong>r Junge.<br />
"Du bist, <strong>de</strong>nk ich, nicht recht im Kopf! Wie weißt du überhaupt,<br />
dass ein Fräulein Klara hier ist?"<br />
"Gestern habe ich ihr <strong>de</strong>n Weg gezeigt, macht zwanzig, <strong>und</strong> dann<br />
wie<strong>de</strong>r zurück <strong>de</strong>n Weg gezeigt, macht vierzig."<br />
"Da siehst du, was für Zeug du zusammenflunkerst; Fräulein Klara<br />
geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mach, dass du dahin kommst,<br />
wo du hingehörst, bevor ich dir dazu verhelfe!"<br />
Aber <strong>de</strong>r Junge ließ sich nicht einschüchtern; er blieb unbeweglich<br />
stehen <strong>und</strong> sagte trocken: "Ich habe sie doch gesehen auf <strong>de</strong>r Straße,<br />
ich kann sie beschreiben: Sie hat kurzes, krauses Haar, das ist<br />
schwarz, <strong>und</strong> die Augen sind schwarz <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Rock ist braun, <strong>und</strong> sie<br />
kann nicht re<strong>de</strong>n wie wir."<br />
"Oho", dachte jetzt Sebastian <strong>und</strong> kicherte in sich hinein, "das ist<br />
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