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Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de

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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />

Urbegriff hat das Wesen! Keine Ahnung davon, was eine<br />

Unterrichtsst<strong>und</strong>e ist, dass man dabei zuzuhören <strong>und</strong> still zu sitzen<br />

hat. Aber wo ist das Unheil bringen<strong>de</strong> Ding hin? Wenn es<br />

fortgelaufen wäre! Was wür<strong>de</strong> mir Herr Sesemann--"<br />

Fräulein Rottenmeier lief hinaus <strong>und</strong> die Treppe hinunter. Hier,<br />

unter <strong>de</strong>r geöffneten Haustür, stand Heidi <strong>und</strong> guckte ganz verblüfft<br />

die Straße auf <strong>und</strong> ab.<br />

"Was ist <strong>de</strong>nn? Was fällt dir <strong>de</strong>nn ein? Wie kannst du so<br />

davonlaufen!", fuhr Fräulein Rottenmeier das Kind an.<br />

"Ich habe die Tannen rauschen gehört, aber ich weiß nicht, wo sie<br />

stehen, <strong>und</strong> höre sie nicht mehr", antwortete Heidi <strong>und</strong> schaute<br />

enttäuscht nach <strong>de</strong>r Seite hin, wo das Rollen <strong>de</strong>r Wagen verhallt war,<br />

das in <strong>Heidis</strong> Ohren <strong>de</strong>m Tosen <strong>de</strong>s Föhns in <strong>de</strong>n Tannen ähnlich<br />

geklungen hatte, so dass es in höchster Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Ton nachgerannt<br />

war.<br />

"Tannen! Sind wir im Wald? Was sind das für Einfälle! Komm<br />

herauf <strong>und</strong> sieh, was du angerichtet hast!" Damit stieg Fräulein<br />

Rottenmeier wie<strong>de</strong>r die Treppe hinan; Heidi folgte ihr <strong>und</strong> stand nun<br />

sehr verw<strong>und</strong>ert vor <strong>de</strong>r großen Verheerung, <strong>de</strong>nn es hatte nicht<br />

gemerkt, was es alles mitriss vor Freu<strong>de</strong> <strong>und</strong> Eile, die Tannen zu<br />

hören.<br />

"Das hast du einmal getan, ein zweites Mal tust du's nicht wie<strong>de</strong>r",<br />

sagte Fräulein Rottenmeier, auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n zeigend; "zum Lernen<br />

sitzt man still auf seinem Sessel <strong>und</strong> gibt Acht. Kannst du das<br />

nicht selbst fertig bringen, so muss ich dich an <strong>de</strong>inen Stuhl<br />

festbin<strong>de</strong>n. Kannst du das verstehen?"<br />

"Ja", entgegnete Heidi, "aber ich will schon festsitzen." Denn<br />

jetzt hatte es begriffen, dass es eine Regel ist, in einer<br />

Unterrichtsst<strong>und</strong>e still zu sitzen.<br />

Jetzt mussten Sebastian <strong>und</strong> Tinette hereinkommen, um die Ordnung<br />

wie<strong>de</strong>rherzustellen. Der Herr Kandidat entfernte sich, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

weitere Unterricht musste nun aufgegeben wer<strong>de</strong>n. Zum Gähnen war<br />

heute gar keine Zeit gewesen.<br />

Am Nachmittag musste Klara immer eine Zeit lang ruhen <strong>und</strong> Heidi<br />

hatte alsdann seine Beschäftigung selbst zu wählen; so hatte<br />

Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt. Als nun nach Tisch<br />

Klara sich in ihrem Sessel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein<br />

Rottenmeier nach ihrem Zimmer, <strong>und</strong> Heidi sah, dass nun die Zeit da<br />

war, da es seine Beschäftigung selbst wählen konnte. Das war <strong>de</strong>m<br />

Heidi sehr erwünscht, <strong>de</strong>nn es hatte schon immer im Sinn, etwas zu<br />

unternehmen; es musste aber Hilfe dazu haben <strong>und</strong> stellte sich darum<br />

vor das Esszimmer mitten auf <strong>de</strong>n Korridor, damit die Persönlichkeit,<br />

die es zu beraten gedachte, ihm nicht entgehen könne. Richtig,<br />

nach kurzer Zeit kam Sebastian die Treppe herauf mit <strong>de</strong>m großen<br />

Teebrett auf <strong>de</strong>n Armen, <strong>de</strong>nn er brachte das Silberzeug aus <strong>de</strong>r<br />

Küche herauf, um es im Schrank <strong>de</strong>s Esszimmers zu verwahren. Als er<br />

auf <strong>de</strong>r letzten Stufe <strong>de</strong>r Treppe angekommen war, trat Heidi vor ihn<br />

hin <strong>und</strong> sagte mit großer Deutlichkeit: "Sie o<strong>de</strong>r Er!"<br />

Sebastian riss die Augen so weit auf, als es nur möglich war, <strong>und</strong><br />

sagte ziemlich barsch: "Was soll das heißen, Mamsell?"<br />

"Ich möchte nur gern etwas fragen, aber es ist gewiss nichts Böses<br />

wie heute Morgen", fügte Heidi beschwichtigend hinzu, <strong>de</strong>nn es<br />

merkte, dass Sebastian ein wenig erbittert war, <strong>und</strong> dachte, es<br />

komme noch von <strong>de</strong>r Tinte am Bo<strong>de</strong>n her.<br />

"So, <strong>und</strong> warum muss es <strong>de</strong>nn heißen Sie o<strong>de</strong>r Er, das möcht ich<br />

zuerst wissen", gab Sebastian im gleichen barschen Ton zurück.<br />

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