Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de
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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />
Fräulein Rottenmeier stand einen Augenblick noch da, dann lief sie<br />
<strong>de</strong>r Dete nach; es war ihr wohl in <strong>de</strong>n Sinn gekommen, dass sie noch<br />
eine Menge von Dingen mit <strong>de</strong>r Base besprechen wollte, wenn das Kind<br />
wirklich dableiben sollte, <strong>und</strong> da war es doch nun einmal <strong>und</strong>, wie<br />
sie bemerkte, hatte die Base fest im Sinn, es dazulassen.<br />
Heidi stand noch auf <strong>de</strong>mselben Platz an <strong>de</strong>r Tür, wo es von Anfang<br />
an gestan<strong>de</strong>n hatte. Bis dahin hatte Klara von ihrem Sessel aus<br />
schweigend allem zugesehen. Jetzt winkte sie Heidi: "Komm hierher!"<br />
Heidi trat an <strong>de</strong>n Rollstuhl heran.<br />
"Willst du lieber Heidi heißen o<strong>de</strong>r A<strong>de</strong>lheid?", fragte Klara.<br />
"Ich heiße nur Heidi <strong>und</strong> sonst nichts", war <strong>Heidis</strong> Antwort.<br />
"So will ich dich immer so nennen", sagte Klara; "<strong>de</strong>r Name gefällt<br />
mir für dich, ich habe ihn aber nie gehört, ich habe aber auch nie<br />
ein Kind gesehen, das so aussieht wie du. Hast du immer nur so<br />
kurzes, krauses Haar gehabt?"<br />
"Ja, ich <strong>de</strong>nk's", gab Heidi zur Antwort.<br />
"Bist du gern nach Frankfurt gekommen?", fragte Klara weiter.<br />
"Nein, aber morgen geh ich dann wie<strong>de</strong>r heim <strong>und</strong> bringe <strong>de</strong>r<br />
Großmutter weiße Brötchen!", erklärte Heidi.<br />
"Du bist aber ein kurioses Kind!", fuhr jetzt Klara auf. "Man hat<br />
dich ja express nach Frankfurt kommen lassen, dass du bei mir<br />
bleibest <strong>und</strong> die St<strong>und</strong>en mit mir nehmest, <strong>und</strong> siehst du, es wird<br />
nun ganz lustig, weil du gar nicht lesen kannst, nun kommt etwas<br />
ganz Neues in <strong>de</strong>n St<strong>und</strong>en vor. Sonst ist es manchmal so<br />
schrecklich langweilig <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Morgen will gar nicht zu En<strong>de</strong> kommen.<br />
Denn siehst du, alle Morgen um zehn Uhr kommt <strong>de</strong>r Herr Kandidat,<br />
<strong>und</strong> dann fangen die St<strong>und</strong>en an <strong>und</strong> dauern bis um zwei Uhr, das ist<br />
so lange. Der Herr Kandidat nimmt auch manchmal das Buch ganz nahe<br />
ans Gesicht heran, so, als wäre er auf einmal ganz kurzsichtig<br />
gewor<strong>de</strong>n, aber er gähnt nur furchtbar hinter <strong>de</strong>m Buch, <strong>und</strong> Fräulein<br />
Rottenmeier nimmt auch von Zeit zu Zeit ihr großes Taschentuch<br />
hervor <strong>und</strong> hält es vor das ganze Gesicht hin, so, als sei sie ganz<br />
ergriffen von etwas, das wir lesen; aber ich weiß recht gut, dass<br />
sie nur ganz schrecklich gähnt dahinter, <strong>und</strong> dann sollte ich auch<br />
so stark gähnen <strong>und</strong> muss es immer hinunterschlucken, <strong>de</strong>nn wenn ich<br />
nur ein einziges Mal herausgähne, so holt Fräulein Rottenmeier<br />
gleich <strong>de</strong>n Fischtran <strong>und</strong> sagt, ich sei wie<strong>de</strong>r schwach, <strong>und</strong><br />
Fischtran nehmen ist das Allerschrecklichste, da will ich doch<br />
lieber Gähnen schlucken. Aber nun wird's viel kurzweiliger, da<br />
kann ich dann zuhören, wie du lesen lernst."<br />
Heidi schüttelte ganz be<strong>de</strong>nklich mit <strong>de</strong>m Kopf, als es vom<br />
Lesenlernen hörte.<br />
"Doch, doch, Heidi, natürlich musst du lesen lernen, alle Menschen<br />
müssen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Herr Kandidat ist sehr gut, er wird niemals böse,<br />
<strong>und</strong> er erklärt dir dann schon alles. Aber siehst du, wenn er etwas<br />
erklärt, dann verstehst du nichts davon; dann musst du nur warten<br />
<strong>und</strong> gar nichts sagen, sonst erklärt er dir noch viel mehr <strong>und</strong> du<br />
verstehst es noch weniger. Aber dann nachher, wenn du etwas<br />
gelernt hast <strong>und</strong> es weißt, dann verstehst du schon, was er gemeint<br />
hat."<br />
Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wie<strong>de</strong>r ins Zimmer zurück; sie hatte<br />
Dete nicht mehr zurückrufen können <strong>und</strong> war sichtlich aufgeregt<br />
davon, <strong>de</strong>nn sie hatte dieser eigentlich gar nicht einlässlich sagen<br />
können, was alles nicht nach Abre<strong>de</strong> sei bei <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>, <strong>und</strong> da sie<br />
nicht wusste, was nun zu tun sei, um ihren Schritt rückgängig zu<br />
machen, war sie umso aufgeregter, <strong>de</strong>nn sie selbst hatte die ganze<br />
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