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Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de

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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />

schien, <strong>de</strong>nn Klara, die sonst kaum ungeduldig wur<strong>de</strong>, sagte jetzt<br />

mit ziemlicher Ungeduld in <strong>de</strong>r Stimme: "Ist es <strong>de</strong>nn immer noch<br />

nicht Zeit, Fräulein Rottenmeier?"<br />

Die Letztere saß sehr aufrecht an einem kleinen Arbeitstisch <strong>und</strong><br />

stickte. Sie hatte eine geheimnisvolle Hülle um sich, einen großen<br />

Kragen o<strong>de</strong>r Halbmantel, welcher <strong>de</strong>r Persönlichkeit einen<br />

feierlichen Anstrich verlieh, <strong>de</strong>r noch erhöht wur<strong>de</strong> durch eine Art<br />

von hoch gebauter Kuppel, die sie auf <strong>de</strong>m Kopf trug. Fräulein<br />

Rottenmeier war schon seit mehreren Jahren, seit<strong>de</strong>m die Dame <strong>de</strong>s<br />

Hauses gestorben war, im Hause Sesemann, führte die Wirtschaft <strong>und</strong><br />

hatte die Oberaufsicht über das ganze Dienstpersonal.<br />

Herr Sesemann war meistens auf Reisen, überließ daher <strong>de</strong>m Fräulein<br />

Rottenmeier das ganze Haus, nur mit <strong>de</strong>r Bedingung, dass sein<br />

Töchterlein in allem eine Stimme haben solle <strong>und</strong> nichts gegen<br />

<strong>de</strong>ssen Wunsch geschehen dürfe.<br />

Während oben Klara zum zweiten Mal mit Zeichen <strong>de</strong>r Ungeduld<br />

Fräulein Rottenmeier befragte, ob die Zeit noch nicht da sei, da<br />

die Erwarteten erscheinen konnten, stand unten vor <strong>de</strong>r Haustür die<br />

Dete mit Heidi an <strong>de</strong>r Hand <strong>und</strong> fragte <strong>de</strong>n Kutscher Johann, <strong>de</strong>r eben<br />

vom Wagen gestiegen war, ob sie wohl Fräulein Rottenmeier so spät<br />

noch stören dürfe.<br />

"Das ist nicht meine Sache", brummte <strong>de</strong>r Kutscher; "klingeln Sie<br />

<strong>de</strong>n Sebastian herunter, drinnen im Korridor."<br />

Dete tat, wie ihr geheißen war, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Bediente <strong>de</strong>s Hauses kam die<br />

Treppe herunter mit großen, r<strong>und</strong>en Knöpfen auf seinem Aufwärterrock<br />

<strong>und</strong> fast ebenso großen r<strong>und</strong>en Augen im Kopfe.<br />

"Ich wollte fragen, ob ich um diese Zeit Fräulein Rottenmeier noch<br />

stören dürfe", brachte die Dete wie<strong>de</strong>r an.<br />

"Das ist nicht meine Sache", gab <strong>de</strong>r Bediente zurück; "klingeln Sie<br />

die Jungfer Tinette herunter an <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Klingel", <strong>und</strong> ohne<br />

weitere Auskunft verschwand <strong>de</strong>r Sebastian.<br />

Dete klingelte wie<strong>de</strong>r. Jetzt erschien auf <strong>de</strong>r Treppe die Jungfer<br />

Tinette mit einem blen<strong>de</strong>nd weißen Deckelchen auf <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s<br />

Kopfes <strong>und</strong> einer spöttischen Miene auf <strong>de</strong>m Gesicht.<br />

"Was ist?", fragte sie auf <strong>de</strong>r Treppe, ohne herunterzukommen. Dete<br />

wie<strong>de</strong>rholte ihr Gesuch. Jungfer Tinette verschwand, kam aber bald<br />

wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong> rief von <strong>de</strong>r Treppe herunter: "Sie sind erwartet!"<br />

Jetzt stieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf <strong>und</strong> trat, <strong>de</strong>r Jungfer<br />

Tinette folgend, in das Studierzimmer ein. Hier blieb Dete höflich<br />

an <strong>de</strong>r Tür stehen, Heidi immer fest an <strong>de</strong>r Hand haltend, <strong>de</strong>nn sie<br />

war gar nicht sicher, was <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> etwa begegnen konnte auf diesem<br />

so frem<strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n.<br />

Fräulein Rottenmeier erhob sich langsam von ihrem Sitz <strong>und</strong> kam<br />

näher, um die angekommene Gespielin <strong>de</strong>r Tochter <strong>de</strong>s Hauses zu<br />

betrachten. Der Anblick schien sie nicht zu befriedigen. Heidi<br />

hatte sein einfaches Baumwollröckchen an <strong>und</strong> sein altes,<br />

zerdrücktes Strohhütchen auf <strong>de</strong>m Kopf. Das Kind guckte sehr<br />

harmlos darunter hervor <strong>und</strong> betrachtete mit unverhehlter<br />

Verw<strong>und</strong>erung <strong>de</strong>n Turmbau auf <strong>de</strong>m Kopf <strong>de</strong>r Dame.<br />

"Wie heißest du?", fragte Fräulein Rottenmeier, nach<strong>de</strong>m auch sie<br />

einige Minuten lang forschend das Kind angesehen hatte, das kein<br />

Auge von ihr verwandte.<br />

"Heidi", antwortete es <strong>de</strong>utlich <strong>und</strong> mit klangvoller Stimme.<br />

"Wie? Wie? Das soll doch wohl kein christlicher Name sein? So<br />

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