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Heidis Lehr und Wanderjahre - Blog.de

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<strong>Heidis</strong> <strong>Lehr</strong> <strong>und</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>rjahre</strong> 1<br />

Anrufungen, die ihr aus allen Fenstern <strong>und</strong> Türen entgegentönten,<br />

nur immer zurück: "Ihr seht's ja, ich kann jetzt nicht still stehen,<br />

das Kind pressiert <strong>und</strong> wir haben noch weit."<br />

"Nimmst's mit?"--"Läuft's <strong>de</strong>m Alm-Öhi fort?"--"Es ist nur ein<br />

W<strong>und</strong>er, dass es noch am Leben ist!"--"Und dazu noch so rotbackig!"<br />

So tönte es von allen Seiten, <strong>und</strong> die Dete war froh, dass sie ohne<br />

Verzug durchkam <strong>und</strong> keinen Bescheid geben musste <strong>und</strong> auch Heidi<br />

kein Wort sagte, son<strong>de</strong>rn nur immer vorwärts strebte in großem Eifer.<br />

--<br />

Von <strong>de</strong>m Tage an machte <strong>de</strong>r Alm-Öhi, wenn er herunterkam <strong>und</strong> durchs<br />

Dörfli ging, ein böseres Gesicht als je zuvor. Er grüßte keinen<br />

Menschen <strong>und</strong> sah mit seinem Käsereff auf <strong>de</strong>m Rücken, mit <strong>de</strong>m<br />

ungeheuren Stock in <strong>de</strong>r Hand <strong>und</strong> <strong>de</strong>n zusammengezogenen dicken<br />

Brauen so drohend aus, dass die Frauen zu <strong>de</strong>n kleinen Kin<strong>de</strong>rn<br />

sagten: "Gib Acht! Geh <strong>de</strong>m Alm-Öhi aus <strong>de</strong>m Weg, er könnte dir noch<br />

etwas tun!"<br />

Der Alte verkehrte mit keinem Menschen im Dörfli, er ging nur durch<br />

<strong>und</strong> weit ins Tal hinab, wo er seinen Käse verhan<strong>de</strong>lte <strong>und</strong> seine<br />

Vorräte an Brot <strong>und</strong> Fleisch einnahm. Wenn er so vorbeigegangen war<br />

im Dörfli, dann stan<strong>de</strong>n hinter ihm die Leute alle in Trüppchen<br />

zusammen, <strong>und</strong> je<strong>de</strong>r wusste etwas Beson<strong>de</strong>res, was er am Alm-Öhi<br />

gesehen hatte, wie er immer wil<strong>de</strong>r aussehe <strong>und</strong> dass er jetzt keinem<br />

Menschen mehr auch nur einen Gruß abnehme, <strong>und</strong> alle kamen darin<br />

überein, dass es ein großes Glück sei, dass das Kind habe<br />

entweichen können, <strong>und</strong> man habe auch wohl gesehen, wie es<br />

fortgedrängt habe, so, als fürchte es, <strong>de</strong>r Alte sei schon hinter<br />

ihm drein, um es zurückzuholen. Nur die blin<strong>de</strong> Großmutter hielt<br />

unverrückt zum Alm-Öhi, <strong>und</strong> wer zu ihr heraufkam, um bei ihr<br />

spinnen zu lassen o<strong>de</strong>r das Gesponnene zu holen, <strong>de</strong>m erzählte sie es<br />

immer wie<strong>de</strong>r, wie gut <strong>und</strong> sorgfältig <strong>de</strong>r Alm-Öhi mit <strong>de</strong>m Kind<br />

gewesen sei <strong>und</strong> was er an ihr <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tochter getan habe, wie<br />

manchen Nachmittag er an ihrem Häuschen herumgeflickt, das ohne<br />

seine Hilfe gewiss schon zusammengefallen wäre. So kamen <strong>de</strong>nn auch<br />

diese Berichte ins Dörfli herunter; aber die meisten, die sie<br />

vernahmen, sagten dann, die Großmutter sei vielleicht zu alt zum<br />

Begreifen, sie wer<strong>de</strong> es wohl nicht recht verstan<strong>de</strong>n haben, sie<br />

wer<strong>de</strong> wohl auch nicht mehr gut hören, weil sie nichts mehr sehe.<br />

Der Alm-Öhi zeigte sich jetzt nicht mehr bei <strong>de</strong>n Geißenpeters; es<br />

war gut, dass er die Hütte so fest zusammengenagelt hatte, <strong>de</strong>nn sie<br />

blieb für lange Zeit ganz unberührt. Jetzt begann die blin<strong>de</strong><br />

Großmutter ihre Tage wie<strong>de</strong>r mit Seufzen, <strong>und</strong> nicht einer verstrich,<br />

an <strong>de</strong>m sie nicht klagend sagte: "Ach, mit <strong>de</strong>m Kind ist alles Gute<br />

<strong>und</strong> alle Freu<strong>de</strong> von uns genommen, <strong>und</strong> die Tage sind so leer! Wenn<br />

ich nur noch einmal das Heidi hören könnte, eh ich sterben muss!"<br />

Ein neues Kapitel <strong>und</strong> lauter neue Dinge<br />

Im Hause <strong>de</strong>s Herrn Sesemann in Frankfurt lag das kranke Töchterlein,<br />

Klara, in <strong>de</strong>m bequemen Rollstuhl, in welchem es <strong>de</strong>n ganzen Tag<br />

sich aufhielt <strong>und</strong> von einem Zimmer ins an<strong>de</strong>re gestoßen wur<strong>de</strong>.<br />

Jetzt saß es im so genannten Studierzimmer, das neben <strong>de</strong>r großen<br />

Essstube lag <strong>und</strong> wo vielerlei Gerätschaften herumstan<strong>de</strong>n <strong>und</strong>--lagen,<br />

die das Zimmer wohnlich machten <strong>und</strong> zeigten, dass man hier<br />

gewöhnlich sich aufhielt. An <strong>de</strong>m großen, schönen Bücherschrank mit<br />

<strong>de</strong>n Glastüren konnte man sehen, woher das Zimmer seinen Namen hatte<br />

<strong>und</strong> dass es wohl <strong>de</strong>r Raum war, wo <strong>de</strong>m lahmen Töchterchen <strong>de</strong>r<br />

tägliche Unterricht erteilt wur<strong>de</strong>.<br />

Klara hatte ein blasses, schmales Gesichtchen, aus <strong>de</strong>m zwei mil<strong>de</strong>,<br />

blaue Augen herausschauten, die in diesem Augenblick auf die große<br />

Wanduhr gerichtet waren, die heute beson<strong>de</strong>rs langsam zu gehen<br />

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