Wissenschaftsphilosophie der ... - Cognitive Science
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<strong>Wissenschaftsphilosophie</strong> <strong>der</strong> Kognitionswissenschaft. Vorlesung 4. Reduktive Erklärung<br />
Bevor wir uns nun einigen einfachen Beispielen aus <strong>der</strong> wissenschaftlichen Praxis zuwenden,<br />
will ich noch darauf hinweisen, daß die For<strong>der</strong>ung nach reduktiven Erklärungen in zwei Richtungen<br />
erhoben werden kann; diesen entsprechen die beiden folgenden Aufgaben:<br />
(A1) Gegeben sei, daß System S die höherstufige Eigenschaft E hat. Gib’ eine reduktive<br />
Erklärung für E an! (D.h., zeige unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Mikrostruktur MS(S) =<br />
, <strong>der</strong> einfachen Gesetze für die Ci und den zwischen den Ci geltenden<br />
Interaktionsgesetzen, daß ein System mit <strong>der</strong> angegebenen Mikrostruktur E haben<br />
muß! Verwende dazu entwe<strong>der</strong> adäquate begriffliche Präparierungen o<strong>der</strong> Kompositionsgesetze.)<br />
(A2) Gegeben sei ein System S mit <strong>der</strong> Mikrostruktur MS(S) = . In Frage<br />
steht, ob S die höherstufige Eigenschaft E hat. Falls ja, so ist dies durch eine reduktive<br />
Erklärung zu zeigen.<br />
Es dürfte inzwischen klar geworden sein, daß das Feigl-Programm nicht auf die Angabe reduktiver<br />
Erklärungen abzielte, son<strong>der</strong>n sich mit nicht weiter zu erklärenden Korrelationsbeziehungen<br />
zwischen physiologischen und psychischen Eigenschaften begnügte, was ja durchaus<br />
im Geiste <strong>der</strong> Reduktionstheorie war, die zu jener Zeit Ernest Nagel formulierte.<br />
Beispiele aus <strong>der</strong> reduktiven Praxis<br />
Betrachten wir nun einige Beispiele aus <strong>der</strong> Hirnforschung für Erklärungen des Vorliegens<br />
bzw. Nicht-Vorliegens bestimmter phänomenaler Eigenschaften , die in einem weiteren Sinne<br />
des Wortes auch als reduktiv bezeichnet werden könnten.<br />
(1) Stellen Sie sich die folgende experimentelle Situation vor: Sie sitzen vor einem Schirm,<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Mitte einen kleinen schwarzen Punkt aufweist, und halten Ihre Augen auf diesen<br />
Punkt fixiert. Werden Ihnen seitlich davon für etwa eine zwanzigstel Sekunde Objekte (eine<br />
Tasse o<strong>der</strong> ein Löffel) gezeigt, so genügt bereits dieser kurze Augenblick, um einen visuellen<br />
Eindruck <strong>der</strong> gezeigten Objekte zu erhalten und diese adäquat zu benennen. Die Fixierung auf<br />
den Punkt und die Kürze <strong>der</strong> Darbietung stellt dabei sicher, daß sie Ihre Augen nicht zu dem<br />
gezeigten Objekt wenden.<br />
Nun gibt es jedoch Personen, die zwar unauffällig reagieren, wenn ein solches Objekt<br />
auf <strong>der</strong> rechten Seite des Schirmes erscheint, aber seltsam reagieren, wenn auf <strong>der</strong> linken<br />
Schirmseite ein Gegenstand gezeigt wird. Auf die Frage, was sie sehen, antworten sie:<br />
„Nichts!“ – Aufgefor<strong>der</strong>t, unter dem Tisch mit <strong>der</strong> linken Hand nach einem Objekt zu greifen,<br />
das demjenigen entspreche, das gerade gezeigt wurde, finden viele dennoch das entsprechende<br />
Objekt, ohne es freilich benennen zu können (vgl. Rita Carter 1999, 43 ff.).<br />
Dieses merkwürdige Verhalten wurde erstmals von Roger Sperry bei seinen sogenannten<br />
Split-brain-Patienten entdeckt, also bei Personen, bei denen das Corpus callosum aus medizinischen<br />
Gründen durchtrennt wurde. Ausgehend von <strong>der</strong> Annahme, daß bei gesunden Personen<br />
die beiden Hemisphären in einem regen Austausch stehen, und visuelle Informationen,<br />
die zunächst in die rechte Hemisphäre gelangen, auch den Sprachzentren zur Verfügung stehen,<br />
die sich bei Rechtshän<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Regel in <strong>der</strong> linken Hemisphäre befinden, zog Sperry<br />
den Schluß, daß durch die Trennung <strong>der</strong> Hemisphären aus dem linken Schirmbereich keine<br />
Information mehr zum Sprachzentrum gelangen konnte. Die Benennung des dargebotenen<br />
Objektes war folglich nicht mehr möglich. Gleichzeitig zeigt das Auffinden des Objektes mit<br />
<strong>der</strong> linken Hand, die durch die rechte Hemisphäre gesteuert wird, daß visuelle Information<br />
weitergeleitet wurde, die sogar ausreichte, das gesehene Objekt zu klassifizieren, wenn auch<br />
nicht sprachlich. (Die Frage, ob das „gesehene“ Objekt zwar bewußt wahrgenommen, aber<br />
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