Automobilgesellschaft Schoemperlen & Gast - S&G Automobil ...

Als die Dinge ins Rollen kamen ...
„... der Bruder des Schwagers seiner Frau ...”
Über Mythenbildung und Geschichtsschreibung
War Karl der Große groß oder Pippin der
Kurze kurz? Oder anders – mit Bert
Brecht – gefragt: „Wer baute das siebentorige
Theben?“
Die Unsicherheiten in den kleinen
Dingen und den großen Taten sind nicht
geringer, wenn sie uns zeitlich näher liegen.
Schreibt man den Erfinder des Automobils
Carl oder Karl Benz? – Er kam als
Karl auf die Welt, zog es aber im Laufe
eines langen Lebens vor, sich Carl zu
schreiben. Was wiegt mehr – eine Taufmatrikel
oder eine eigene, erwachsene
Entscheidung? Das sind letztlich Ermessenssachen,
die einem kein Historiker
abnimmt.
War das von Benz produzierte Fahrzeug
Nummer 73 wirklich in Besitz von
Carl Steinmetz, Ernst Schoemperlen, Paul
Kohler und anderen? Oder haben sie alle
vielleicht am Velo Nummer XX teilgehabt?
Jahrzehnte nach seinen Pioniersjahren
– in denen er wahrlich anderes zu
tun hatte, als sich um seine zukünftigen
Geschichtsschreiberinnen zu kümmern –
hat Ernst Schoemperlen, als das Interesse
an den Anfängen der Firma erwachte, die
30, 40 oder 50 Jahre alt wurde, aus der
Erinnerung das eine oder andere Erlebnis
dieser ersten Jahre festgehalten. Und
gelegentlich stimmen diese Erinnerungs-
stücke in kleinen Einzelheiten nicht ganz
überein. Deswegen sind sie aber nicht
weniger wahr. Denn letztlich ist es egal,
ob man Carl oder Karl Benz schreibt:
Erfinder des Automobils bleibt er auf
jeden Fall.
Etwas anders verhält es sich mit
Mythen und Sagen. Die haben zwar
bekanntlich einen wahren Kern, aber was
der Kern ist, wo die Wahrheit eigentlich
ist, vermag keiner zu sagen. Da bilden
sich Schichten wie Jahresringe an den
Bäumen: Je weiter ein „Etwas“ zurückliegt,
um so mehr Schichten an Vermutetem,
Wahrscheinlichem und Unwahrscheinlichem
kann es aufweisen.
Ein Beispiel: Wer im letzten Jahrhundert
am Wunderwerk Auto teilhatte, war
per se ein Pionier. Es gab keine Ersatzteillager,
und Automechaniker war noch
kein Beruf, sondern die Berufung Einzelner.
Jeder war irgendwie Fachmann, aber
nicht jeder war deshalb gleich Erfinder.
Auch Ernst Schoemperlen beteiligte sich
mal hier an einer Fachsimpelei, hatte dort
Verbesserungsvorschläge. Zur Patentreife
ist davon allerdings keiner gelangt.
Das haben ihm seine Chronisten Jahre
später – in bester Absicht – als „Jahresring“
hinzugedichtet.
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