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zsis 04/2009, S. 10-16 - Steuerkanzlei Rolf Benz Winterthur

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<strong>10</strong><br />

2<br />

Steuerfolgen des Leibrentenrückkaufs – Pragmatische Gesetzesauslegung<br />

und kreative Rechtsfortbildung des Bundesgerichts im Schnittbereich<br />

zwischen Vorsorge und Vermögensanlage<br />

Zwei zur Publikation vorgesehene Urteile des Bundesgerichts vom <strong>16</strong>. Februar <strong>2009</strong><br />

Verfahren 2C_255/2008 (Kantons- und direkte Bundessteuer Kanton Graubünden) sowie Verfahren<br />

2C_181/2008 (direkte Bundessteuer) und 2C_180/2008 (Kantons- und Gemeindesteuern<br />

Kanton Schaffhausen)<br />

Von Prof. Dr. <strong>Rolf</strong> <strong>Benz</strong>, Rechtsanwalt, Professor für Steuerrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften (ZHAW), <strong>Winterthur</strong><br />

1 Sachverhalt ................................................................................................................................. <strong>10</strong><br />

1.1 Kanton Graubünden .......................................................................................................... <strong>10</strong><br />

1.2 Kanton Schaffhausen ......................................................................................................... 11<br />

1.3 Veranlagung durch die Kantone Graubünden und Schaffhausen ....................................... 11<br />

2 Strittige Fragen ........................................................................................................................... 11<br />

3 Kommentierung der bundesgerichtlichen Erwägungen ............................................................... 12<br />

3.1 Abgrenzung der Leibrente gegenüber der Zeitrente ........................................................... 12<br />

3.2 Bestimmungen über Kapitalversicherungen (Art. 24 lit. b DBG und Art. 20 Abs. 1 lit. a)<br />

nicht anwendbar ................................................................................................................ 12<br />

3.3 Waadtländer Modell (Art. 22 Abs. 1 DBG) nicht anwendbar ............................................. 12<br />

3.4 Bestimmungen über Risikoversicherungen (Art. 23 lit. b DBG) nicht anwendbar .............. 13<br />

3.5 Besteuerung zu 40% als gesetzlicher Auffangtatbestand (Art. 22 Abs. 3 DBG) ................ 13<br />

3.5.1 Besteuerungsgrundsatz ............................................................................................ 13<br />

3.5.2 Separate Jahressteuer ............................................................................................... 13<br />

3.6 Besteuerung der Ertragskomponente als Auffangtatbestand qua Richterrecht<br />

(Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. <strong>16</strong> Abs. 1 DBG) ........................................................................ 14<br />

3.6.1 Fünf-Jahres-Regel des Bundesgerichts ..................................................................... 14<br />

3.6.2 Allgemeine Härtefallklausel? .................................................................................... 14<br />

3.6.3 Rückkauf vor Rentenbeginn ...................................................................................... 14<br />

3.7 Subsumtion durch das Bundesgericht ................................................................................ 15<br />

3.8 Zusammenfassung ............................................................................................................ 15<br />

3.8.1 Kapitalleistungen mit Vorsorgecharakter .................................................................. 15<br />

3.8.2 Kapitalleistungen ohne Vorsorgecharakter ............................................................... 15<br />

4 Erste Würdigung ......................................................................................................................... 15<br />

1 Sachverhalt<br />

1.1 Kanton Graubünden<br />

Ein im Kanton Graubünden steuerpflichtiger Mann (Jahrgang 1942) erhielt im Jahre 20<strong>04</strong> folgende Leistungen<br />

zweier in Liquidation befindlicher holländischer Gesellschaften:<br />

a) Aus einer laufenden Leibrente (Vertrag ursprünglich abgeschlossen am 30. Juni 1997 und modifiziert per<br />

1. März 20<strong>04</strong>) 5000 Euro pro Monat.<br />

b) Aus einem im Jahre 2000 abgeschlossenen Leibrentenvertrag eine einmalige Abgeltungszahlung von 228 306<br />

Euro. Im Vertrag war vorgesehen, dass der Rentengläubiger vom 1. März 2007 bis 1. März 2017 eine jährliche<br />

Rente von 30 548 Euro erhält.<br />

c) 356 056 Euro als Abgeltung für eine lebenslängliche Rente von jährlich 22 689 Euro.<br />

<strong>04</strong>/09


11<br />

1.2 Kanton Schaffhausen<br />

Ein im Kanton Schaffhausen steuerpflichtiger Mann (Jahrgang 1943) schloss im Jahre 2000 bei der Credit Suisse<br />

Life eine um 5 Jahre aufgeschobene Leibrente in US-Dollar ab. Die Einmaleinlage belief sich auf 253 659 Dollar<br />

(umgerechnet CHF 439 <strong>04</strong>8). Versicherungsbeginn war 20. Dezember 2000, die erste monatliche Rente (1426 Dollar)<br />

sollte am 20. Dezember 2005 fällig werden. 4 Tage vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist und damit vor Fälligkeit<br />

der ersten Rente kaufte der Versicherungsnehmer die Leibrente zurück, weil deren Performance nicht seinen Erwartungen<br />

entsprach. Am 18. Januar 2006 zahlte die Versicherung den Betrag von 305 630 Dollar (umgerechnet<br />

CHF 400 375.30) aus.<br />

1.3 Veranlagung durch die Kantone Graubünden und Schaffhausen<br />

Die Steuerverwaltungen erfassten sämtliche Zahlungen zu 40% im Einkommen (Leibrentenbesteuerung gemäss<br />

Art. 22 Abs. 3 DBG). Die beiden Kapitalzahlungen von 228 306 Euro und 356 056 Euro (Kanton Graubünden)<br />

bzw. die Kapitalzahlung von 305 630 Dollar (Kanton Schaffhausen) besteuerten die Steuerverwaltungen dabei<br />

zum Satz, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistungen entsprechende jährliche Leistungen ausgerichtet<br />

würden (Rentensatz gemäss Art. 37 DBG). Damit folgten sie einer Empfehlung der Schweizerischen Steuerkonferenz<br />

vom 7. März 2006. 1<br />

Die Beschwerdeführer verlangten im Rechtsmittelverfahren vor den kantonalen Instanzen jeweils erfolglos eine<br />

mildere Besteuerung.<br />

2 Strittige Fragen<br />

Strittig waren sowohl der steuerbare Betrag als auch die Besteuerung zum Rentensatz.<br />

Am 23. Juni 2005 hatte das Bundesgericht bereits in einem Urteil zu einem interkantonalrechtlichen Sachverhalt<br />

entschieden, dass die Rückgewähr einer Leibrente genauso nach Art. 22 Abs. 3 DBG zu 40% besteuert wird wie<br />

die laufenden Renten. 2 60% der Rückgewährssumme sind steuerlich hingegen Erbschaft und demzufolge dem<br />

Kanton des letzten Wohnsitzes des Erblassers zuzuweisen. 3<br />

Die Überlegungen zur Rückgewähr sind an sich auf den Rückkauf übertragbar. Im zitierten Vorgänger-Verfahren<br />

nicht zu befinden hatte das Bundesgericht, wie die 40% zusammen zu erfassen sind (zusammen mit dem übrigen<br />

Einkommen oder getrennt vom übrigen Einkommen mit einer separaten Jahressteuer). Diese Frage war unter<br />

anderen Gegenstand des Verfahrens im Kanton Graubünden. Im Schaffhauser Verfahren macht sich das Bundesgericht<br />

zusätzlich Gedanken zur Frage, ob die Besteuerung zu 40% in allen Fällen der gesetzlichen Ordnung<br />

entspricht. Es sind diese Fragen, die im Zentrum der bundesgerichtlichen Erwägungen stehen und die nachfolgend<br />

kommentiert werden.<br />

In den bundesgerichtlichen Verfahren ging es sowohl um die direkte Bundessteuer als auch um die kantonalen<br />

Steuern des Kantons Graubünden bzw. die Kantons- und Gemeindesteuern in Schaffhausen. Weil die kantonalen<br />

Steuern harmonisiert und somit hinsichtlich der strittigen Fragen den identischen Besteuerungsmodalitäten unterworfen<br />

sind, fallen die Erwägungen des Bundesgerichts zu den kantonalen Steuern verhältnismässig kurz aus. 4<br />

Auch nachfolgend wird im Wesentlichen die direkte Bundessteuer thematisiert und nur am Rande auf die harmonisierten<br />

kantonalen Steuern hingewiesen. 5<br />

Vorliegend nicht erörtert wird schliesslich die Besteuerung der laufenden Zahlungen aus der ersten Leibrente, bei<br />

der gemäss Bundesgericht Art. 22 Abs. 3 DBG die Besteuerung zu 40% vorschreibt.<br />

1 Zitiert nach der Kurzmitteilung der Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft Nr. 375 vom Dezember 2003, abgedruckt in StR 20<strong>04</strong>,<br />

151.<br />

2 BGE 131 I 409 E. 5 und 6.1.<br />

3 BGE 131 I 409 E. 6.2.<br />

4 Verfahren 2C_255/2008, E. 9.9.1, bzw. Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 6.2.<br />

5 Es geht um die analogen Art. 7 Abs. 1 (Einkommen aus Vorsorge), Art. 7 Abs. 2 (Leibrenten), Art. 7 Abs. 4 lit. d und Abs. 1 ter (rückkaufsfähige<br />

Kapitalversicherungen) sowie um Art. 11 Abs. 2 (Rentensatz) und Art. 11 Abs. 3 (separate Jahressteuer) des Bundesgesetzes über<br />

die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (StHG; SR 642.14).<br />

<strong>04</strong>/09


12<br />

3 Kommentierung der bundesgerichtlichen Erwägungen<br />

3.1 Abgrenzung der Leibrente gegenüber der Zeitrente<br />

Die Zeitrente ist die periodische, ratenweise Rückzahlung eines bestimmten Kapitals. Enthält die Rückzahlung eine<br />

Zinskomponente, ist sie als «Zins aus Guthaben» steuerbar (Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG). 6 Die Leibrente ist dagegen<br />

auf den Tod einer Person gestellt. 7<br />

Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn eine periodische Zahlung sowohl auf den Leib einer Person gestellt<br />

ist als auch eine beschränkte Laufdauer aufweist, weil diesfalls der Beendigungsgrund der Rente (Tod oder Ablauf<br />

der Rentendauer) ungewiss ist. Diese «temporären» oder «abgekürzten» Leibrenten bieten einen versicherungsmässigen<br />

Risikoschutz; ihre Höhe bemisst sich ja nach der Sterbewahrscheinlichkeit. 8<br />

Das Bundesgericht weist darauf hin, dass der aleatorische Charakter der Leibrente gewahrt bleibt, wenn die auf<br />

den Leib einer bestimmten Person gestellte Rente in einer andern Hinsicht durch eine resolutive Bedingung begrenzt<br />

wird, und widerspricht der Auffassung des Bündner Beschwerdeführers, für die Abgrenzung zwischen Leibrente<br />

und Zeitrente komme es darauf an, welcher Beendigungsgrund (Tod oder Ablauf) als der wahrscheinlichere<br />

zu betrachten gewesen sei. Immerhin will das Bundesgericht dann noch von einer Zeitrente sprechen, wenn «das<br />

aleatorische Element der Lebenszeit gegenüber der resolutiven Bedingung deutlich in den Hintergrund tritt». 9<br />

Damit lässt das Bundesgericht Raum, um bei kurzer Laufdauer der Rente, bei der die Besteuerung zu 40% unverhältnismässig<br />

wäre, nur die Zinskomponente steuerlich zu erfassen.<br />

Vorliegend qualifizierte das Bundesgericht die Renten angesichts der Laufdauer und des Alters der Versicherungsnehmer<br />

indes als Leibrente. <strong>10</strong> Damit stellte sich die Frage, wie die vorzeitige Ablösung einer Leibrente zu besteuern<br />

ist. 11<br />

3.2 Bestimmungen über Kapitalversicherungen (Art. 24 lit. b DBG und Art. 20 Abs. 1 lit. a)<br />

nicht anwendbar<br />

Art. 24 lit. b DBG erklärt rückkaufsfähige Kapitalversicherungen für steuerfrei; sofern sie nicht der Vorsorge dienen,<br />

ist der Zinsanteil als Zins aus Guthaben steuerbar (Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG). In der Literatur wird bisweilen<br />

die Ansicht vertreten, dass diese beiden Normen auch auf die Rückgewähr bzw. den Rückkauf einer Leibrente<br />

anwendbar seien. 12<br />

Dem Bundesgericht ist indes beizupflichten, wenn es darauf abstellt, ob eine Renten- oder eine Kapitalversicherung<br />

abgeschlossen worden ist; auf die effektive Auszahlungsart kommt es nicht an. 13 Die Bestimmungen über<br />

Kapitalversicherungen finden daher keine Anwendung auf den Rückkauf oder die Rückgewähr einer Leibrente.<br />

3.3 Waadtländer Modell (Art. 22 Abs. 1 DBG) nicht anwendbar<br />

Nach Art. 22 Abs. 1 DBG stets voll steuerbar sind Einkünfte aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung<br />

(1. Säule), aus beruflicher Vorsorge (2. Säule) und aus gebundener Vorsorge (3. Säule a).<br />

6 Das Bundesgericht qualifiziert die Zeitrente als eine «Sonderform von Kapitalzahlungen», weshalb die Zeitrente «völlig steuerfrei» sei,<br />

«sofern es sich um rückkaufsfähige, der Vorsorge dienende Kapitalversicherungen handle» (Erw. 7.1.2.). Dies dürfte so nicht ganz zutreffen.<br />

Wird nämlich die Versicherungssumme aus einer rückkaufsfähigen Kapitalversicherung ratenweise ausbezahlt, so ist nur jener Teil<br />

des Zinses steuerfrei, der bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Versicherung angespart wurde. Die ratenweise (und damit im Vergleich zur<br />

sofortigen Auszahlung der ganzen Kapitalleistung verzögerte) Rückzahlung des Kapitals enthält ebenfalls eine Zinskomponente, welche<br />

als Zeitrente steuerbar ist.<br />

7 Art. 5<strong>16</strong> Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Obligationenrecht) vom 30. März<br />

1911 (OR; SR 220).<br />

8 St. Galler Steuerbuch 33 Nr. 8 Ziff. 3 «Temporäre Leibrenten».<br />

9 Verfahren 2C_255/2008, E. 7.1.2. Dies wäre also umso eher der Fall, je jünger die Person ist, auf deren Leib die Versicherung gestellt,<br />

und je kürzer die Laufdauer der Rente ist.<br />

<strong>10</strong> Verfahren 2C_255/2008, E. 7.1.3 und 7.2.1 (mit Begründung), bzw. Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 5.1 (ohne Begründung,<br />

da es sich offensichtlich um eine Leibrente handelt).<br />

11 Vgl. die Lösungsvorschläge bei Danielle Yersin/Gladys Laffely Maillard, L’imposition des revenus provenant de la prévoyance dès 1995,<br />

StR 51/1996, 529, und die Übersicht bei Petra Helfenstein, Besteuerung der privaten Rentenversicherung in der Schweiz. Eine Systematische<br />

Darstellung der kantonalen Unterschiede, StR 20<strong>04</strong>, 86 ff., sowie weitere vom Bundesgericht angeführte Literatur.<br />

12 Urs R. Behnisch, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2005, ZBJV 2007, 435.<br />

13 Verfahren 2C_255/2008, E. 5.1; Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 4.1.<br />

<strong>04</strong>/09


13<br />

Dieses sog. Waadtländer Modell, das auch in Art. 81–83 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-<br />

und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG; SR 831.40) verankert ist, ist von vornherein nicht anwendbar<br />

auf Leistungen aus der 3. Säule b, bei der ja die Prämien nicht abziehbar sind im Gegensatz zu den im<br />

Rahmen der 1.–3. Säule a geleisteten Beiträgen (Art. 33 Abs. 1 lit. d bzw. e DBG).<br />

3.4 Bestimmungen über Risikoversicherungen (Art. 23 lit. b DBG) nicht anwendbar<br />

Art. 23 lit. b DBG erklärt wiederkehrende Zahlungen bei Tod sowie für bleibende körperliche oder gesundheitliche<br />

Nachteile für steuerbar. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass die Norm auf Risikoversicherungen zugeschnitten<br />

ist. Die volle Steuerbarkeit dieser Zahlungen trotz Nichtabziehbarkeit der geleisteten Prämien ist bei<br />

Risikoversicherungen akzeptabel, weil die Prämien relativ gering sind im Vergleich zu allfälligen Versicherungsleistungen.<br />

Die Rückgewähr oder der Rückkauf einer Leibrente enthält jedoch grundsätzlich eine Kapitalrückzahlungskomponente.<br />

Deswegen hat der Gesetzgeber bestimmt, die Leibrente nicht vollständig der Einkommenssteuer<br />

zu unterwerfen. 14<br />

Diese Auslegung des Bundesgerichts nach dem Sinn und Zweck überzeugt. Angemerkt werden kann, dass – anders<br />

als bei der Rückgewähr einer Leibrente im Todesfall – im Rückkaufsfall ja gerade kein Todes- oder Invaliditätsfall<br />

vorliegt, und Art. 23 lit. b DBG schon nach seinem Wortlaut nicht auf den Rückkauf einer Leibrente<br />

anwendbar sein kann.<br />

3.5 Besteuerung zu 40% als gesetzlicher Auffangtatbestand (Art. 22 Abs. 3 DBG)<br />

3.5.1 Besteuerungsgrundsatz<br />

Nachdem das Bundesgericht die andern infrage kommenden Normen geprüft und deren Anwendbarkeit verworfen<br />

hat, wendet es sich Art. 22 Abs. 3 DBG zu und konstatiert einleitend: Art. 22 Abs. 3 DBG «nennt Kapitalleistungen<br />

aus Leibrenten nicht ausdrücklich, schliesst sie aber auch nicht aus». 15<br />

Nach eingehendem Abwägen spricht sich das Bundesgericht schliesslich dafür aus, dass diese Norm grundsätzlich<br />

auch auf Kapitalleistungen aus Leibrentenverträgen anwendbar ist.<br />

3.5.2 Separate Jahressteuer<br />

Die Steuerverwaltungen der Kantone Graubünden und Schaffhausen hatten die Rückkaufssumme jeweils zu 40%<br />

besteuert zum Satz, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leitungen entsprechende jährliche Leistungen<br />

ausgerichtet würden (Rentensatz gemäss Art. 37 DBG).<br />

Wie das Bundesgericht überzeugend ausführt, bezieht sich Art. 38 DBG aber auf alle Kapitalleistungen nach<br />

«Art. 22» und nicht bloss nach «Art. 22 Abs. 1»: Art. 38 DBG erstreckt sich somit auf allfällige Kapitalleistungen<br />

(Rückkauf und Rückgewähr) von Leibrenten. Für Art. 37 DBG bleibt kein Raum.<br />

Während Art. 24 lit. b DBG und Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG nur gilt für Kapitalversicherungen (Versicherungsverträge,<br />

die eine Kapitalleistung vorsehen), <strong>16</strong> erstreckt sich Art. 38 DBG auf alle Kapitalleistungen (also auch auf<br />

einmalige Auszahlungen aus Rentenversicherungen). 17<br />

Wie das Bundesgericht festhält, ist der Wortlaut «Kapitalleistungen aus Vorsorge» derart klar, dass eine einschränkende<br />

Auslegung durch die Steuerbehörden oder eine einschränkende Regelung des kantonalen Gesetzgebers<br />

nicht mit Art. 38 DBG vereinbar wäre. Das Bundesgericht stört sich auch nicht daran, dass Art. 11 Abs. 3 StHG<br />

unpräzise von «Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen» spricht. 18<br />

Während die Schweizerische Steuerkonferenz am 7. März 2006 den Kantonen empfohlen hatte, bei Rückkauf<br />

40% zum Rentensatz zu besteuern und bei Rückgewähr <strong>10</strong>0% mit einer separaten Jahressteuer zu erfassen, 19<br />

wendet das Bundesgericht auf beide Vorgänge beide Normen kumulativ an: «Den beiden Massnahmen liegt somit<br />

je eine eigenständige Zwecksetzung zugrunde. Die erste Massnahme trägt der spezifischen Situation bei Leibrenten<br />

und Verpfründung Rechnung. Die zweite Massnahme zielt auf alle Kapitalabfindungen aus Vorsorge ab.<br />

14 BGE 131 I 409 E. 5.5.5, 420 f.<br />

15 Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 4.2; ähnlich Verfahren 2C_255/2008, E. 5.1.<br />

<strong>16</strong> Siehe vorne Ziff. 3.2.1.<br />

17 Vgl. Yersin/Laffely Maillard (Fn. 11), 529; Linda Peter-Szerenyi, Der Begriff der Vorsorge im Steuerrecht, Dissertation Zürich 2001, 339 f.<br />

18 Verfahren 2C_255/2008, E. 6.5.<br />

19 Zitiert nach der Kurzmitteilung Basel-Landschaft (Fn. 1), 151.<br />

<strong>04</strong>/09


14<br />

Es ist kein Grund ersichtlich, Kapitalabfindungen aus Leibrente und Verpfründung hinsichtlich der Jahressteuer<br />

anders zu behandeln als Kapitalabfindungen aus anderen Formen der Vorsorge». 20 Diese Lösung ist auch im Ergebnis<br />

sachgerecht: 21 Beim Rückkauf erweist sich die Besteuerung mit 40% als relativ hoch, wenn man bedenkt,<br />

dass bei Fortsetzung der Leibrente der angesparte Zins höher ausgefallen wäre. Dafür ergibt sich mit der separaten<br />

Jahressteuer eine steuerliche Entlastung.<br />

3.6 Besteuerung der Ertragskomponente als Auffangtatbestand qua Richterrecht<br />

(Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. <strong>16</strong> Abs. 1 DBG)<br />

3.6.1 Fünf-Jahres-Regel des Bundesgerichts<br />

Die Besteuerung zu 40% kann zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn die Leibrente bald nach Abschluss des<br />

Vertrages zurückgekauft wird und die Zinskomponente daher weit unter 40% der Rückkaufssumme liegt.<br />

Scheinbar lapidar hält das Bundesgericht fest: «Art. 22 Abs. 3 DBG findet nur auf Versicherungsverhältnisse Anwendung,<br />

die der Vorsorge dienen. Das muss auch für die Kapitalzahlung aus der Ablösung einer Leibrente gelten». 22<br />

Habe das Versicherungsverhältnis aber weniger als 5 Jahre gedauert, 23 fehle ihm der Vorsorgecharakter.<br />

Das Bundesgericht stellt sich danach die Frage, wie Kapitalleistungen, die nicht der Vorsorge dienen, besteuert<br />

werden. In einer bemerkenswerten Rechtsfortbildung erblickt es die Rechtsgrundlage in Art. 20 Abs. 1 DBG, der<br />

in lit. a–f den Ertrag aus beweglichem Vermögen nur beispielhaft («insbesondere») aufführe, und verweist ergänzend<br />

auf die Generalklausel von Art. <strong>16</strong> Abs. 1 DBG. Aus diesen Normen lasse sich ableiten, dass nur die tatsächliche<br />

Ertragskomponente der Besteuerung unterliegt. Eine Alternative hätte darin bestanden, Art. 20 Abs. 1 lit. b<br />

DBG (Besteuerung von einmalverzinslichen Obligationen) analog heranzuziehen. Das Bundesgericht scheint aber<br />

eine Anlehnung an die Bestimmungen über die Besteuerung von Vermögensanlagen vermeiden zu wollen. Es liegt<br />

eine richterrechtliche Rechtschöpfung vor.<br />

Abschliessend rechtfertigt das Bundesgericht sein Ergebnis mit dem ergänzenden Argument, dass bei einer pauschalisierten<br />

Besteuerung mit 40 Prozent der Rückkaufssumme nach einer Laufzeit von nicht einmal vollen fünf<br />

Jahren offensichtlich mehr als nur die Ertragskomponente besteuert würde.<br />

Eine vergleichbare Lösung kennt der Kanton St. Gallen für temporäre Leibrenten mit einer Laufdauer bis maximal<br />

<strong>10</strong> Jahren, wobei er diese Regelung nicht nur auf den Rückkauf und die Rückgewähr, sondern auch auf die laufenden<br />

Renten anwendet. 24<br />

3.6.2 Allgemeine Härtefallklausel?<br />

Spinnt man diesen Gedanken weiter, könnte man im Sinne einer Härtefallklausel postulieren, dass Art. 22 Abs. 3<br />

DBG nicht greift, wenn er zu einem offensichtlich unhaltbaren Ergebnis führt. 25 Damit referenziert das Bundesgericht<br />

indirekt die Würdigung der Steuerfolgen durch den Beschwerdeführer als «geradezu absurd». 26 In der<br />

Tat sind unhaltbare Besteuerungsfolgen letztlich willkürlich im Sinne von Art. 9 BV. 27 Eine verfassungskonforme<br />

Auslegung von Art. 22 Abs. 3 DBG verlangt daher dessen einschränkende Anwendung.<br />

3.6.3 Rückkauf vor Rentenbeginn<br />

Art. 22 Abs. 3 DBG zielt meines Erachtens auf den Rückkauf einer Leibrente während der Rentenphase («Rentenauskauf»).<br />

Ist der Beginn einer Leibrente aufgeschoben und wird die Leibrente noch in der Ansparphase<br />

zurückgekauft («Rückkauf im engen Sinne»), passt Art. 22 Abs. 3 DBG eigentlich von vornherein nicht.<br />

20 Verfahren 2C_255/2008, E. 6.7.<br />

21 Allerdings greift das Bundesgericht angesichts der Meinungsvielfalt in der Literatur wohl etwas gar hoch, wenn es in dieser Lösung die<br />

«herrschende Meinung in der Lehre» erblickt (Verfahren 2C_255/2008, E. 6.3).<br />

22 Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 5.3.<br />

23 Art. 20 Abs. 1 lit. a Satz 2 und 3 DBG.<br />

24 St. Galler Steuerbuch 33 Nr. 8 Ziff. 4, S. 3. Um Steuerumgehung vorzubeugen, wird zudem eine sachliche Begründung verlangt (z.B. Überbrückungsrente).<br />

25 Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 5.3.<br />

26 Siehe Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 2.<br />

27 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR <strong>10</strong>1).<br />

<strong>04</strong>/09


15<br />

Beim Rückkauf während der Ansparphase ist es zudem besonders einfach, die Ertragskomponente zu ermitteln,<br />

weil ja noch keine Rente geflossen ist. 28 Das Argument, der Gesetzgeber habe mit der pauschalisierten Besteuerungsquote<br />

von 40% bewusst eine einfache Besteuerung gewählt, zieht nicht.<br />

Diese Unterscheidung zwischen Rentenauskauf (Besteuerung nach Art. 22 Abs. 3 DBG) und Rückkauf vor Rentenbeginn<br />

(Besteuerung der Differenz zwischen Kapitalleistung und der Summe der bezahlten Prämien) kennt<br />

etwa der Kanton Thurgau hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern. 29 Das Bundesgericht will aber offenbar<br />

nicht derart weit gehen, den Rückkauf bzw. die Rückgewähr einer Leibrente vor Rentenbeginn generell vom<br />

Anwendungsbereich von Art. 22 Abs. 3 DBG auszunehmen.<br />

3.7 Subsumtion durch das Bundesgericht<br />

In den vorliegenden Verfahren hatten die kantonalen Steuerverwaltungen die Rückkaufsleistungen jeweils zu 40%<br />

besteuert, und zwar zum Rentensatz.<br />

In dem den Kanton Graubünden betreffenden Verfahren wandte das Bundesgericht zwar ebenfalls Art. 22 Abs. 3<br />

DBG an, wies den Kanton aber an, anstelle des Rentensatzes nach Art. 37 DBG den steuerbaren Betrag einer<br />

separaten Jahressteuer im Sinne von Art. 38 DBG zu unterwerfen. 30<br />

Im Verfahren betreffend den Kanton Schaffhausen sah das Bundesgericht einen Ausnahmefall erfüllt (weniger als<br />

5 Jahre Versicherungsdauer). 31 Steuerbar ist daher nur die Ertragskomponente.<br />

Aus den Erwägungen nicht restlos klar wird, wieso nicht auch auf der zweiten Leibrente des Bündners lediglich<br />

die Ertragskomponente zu besteuern ist. Aufgrund des im Entscheid wiedergegebenen Sachverhaltes könnte man<br />

nämlich den Eindruck gewinnen, dass auch diese Leibrente weniger als fünf Jahre lief.<br />

3.8 Zusammenfassung<br />

3.8.1 Kapitalleistungen mit Vorsorgecharakter<br />

Gewissermassen mittels Ausschlussmethode gelangte das Bundesgericht zur Erkenntnis, dass von den infrage<br />

kommenden Gesetzesbestimmungen einzig Art. 22 Abs. 3 DBG nicht von vornherein als Besteuerungsgrundlage<br />

ausgeschlossen werden kann. Danach sind Kapitalleistungen aus dem Rückkauf von Leibrenten grundsätzlich zu<br />

40% steuerbar, und zwar getrennt vom übrigen Einkommen mit einer separaten Jahressteuer. So entschied das<br />

Bundesgericht im den Kanton Graubünden betreffenden Verfahren.<br />

3.8.2 Kapitalleistungen ohne Vorsorgecharakter<br />

Die Auslegung von Art. 22 Abs. 3 DBG ergibt, dass auch diese Norm nicht ausnahmslos auf Kapitalleistungen aus<br />

Rentenversicherungen anwendbar ist: Fehlt es am Vorsorgecharakter, weil die Versicherungsdauer weniger als<br />

fünf Jahre betrug, ist Art. 22 Abs. 3 DBG nicht massgebend. In diesen Fällen ist nach Art. 20 Abs. 1 DBG i.V.m.<br />

Art. <strong>16</strong> Abs. 1 DBG nur die Ertragskomponente steuerbar – gemeinsam mit dem übrigen Einkommen und ohne<br />

Anwendung des Rentensatzes.<br />

4 Erste Würdigung<br />

Konnte das Bundesgericht im den Kanton Graubünden betreffenden Verfahren noch mit pragmatischer Gesetzesauslegung<br />

zum Ergebnis kommen, bedurfte es im Schaffhauser Fall schon einer kreativen Rechtsfortbildung: Das<br />

Bundesgericht legt Art. 22 Abs. 3 DBG dahingehend einschränkend aus, dass die Bestimmung nur für Leistungen<br />

mit Vorsorgecharakter konzipiert sei. Mit dem nun vorliegenden Präjudiz dürfte damit der exakte Anwendungsbereich<br />

kaum definitiv abgesteckt sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Art. 22 Abs. 3 DBG nebst dem Rückkauf<br />

innerhalb von fünf Jahren auch noch in anderer Hinsicht keine Anwendung finden kann. Zu denken ist ganz generell<br />

an den Rückkauf einer Leibrente, bevor sie zu laufen begann (so schon die heutige Praxis im Kanton Thurgau)<br />

oder an Konstellationen, in denen die Besteuerung zu 40% aus andern Gründen zu einer offensichtlichen<br />

Überbesteuerung führen würde.<br />

28 So auch Verfahren 2C_180/2008 und 2C_181/2008, E. 5.4.<br />

29 StP Nr. 6 Link: http://hosting.tg.ch/steuerpraxis/html/5ACD1752-9D24-A72B-FF30A37BBFCC9E2D.html.<br />

30 Vorne Ziff. 3.5.<br />

31 Vorne Ziff. 3.6.1.<br />

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Andererseits kann nur die Praxis zeigen, ob die Gefahr besteht, dass es infolge der privilegierten Besteuerung<br />

der Kapitalleistungen aus Leibrenten mit einer separaten Jahressteuer zu rein steuerlich motivierten Rückkäufen<br />

kommen könnte. Hingewiesen sei auch auf die paradoxe Situation, dass in etlichen Konstellationen ein nicht der<br />

Vorsorge dienender Rückkauf einer Leibrente milder besteuert wird (Ertragskomponente) als ein Rückkauf mit<br />

Vorsorgecharakter (40% mit separater Jahressteuer).<br />

Auch wenn trotz den beiden höchstrichterlichen Urteilen einige Einzelfragen noch einer Antwort harren und gewisse<br />

gesetzgeberische Ungereimtheiten weiterbestehen: Dem Bundesgericht scheint es gelungen zu sein, den gordischen<br />

Knoten zu durchschlagen und die berüchtigte Steuerfalle «Rückkauf Leibrente» massgeblich zu entschärfen.<br />

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