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Georg Friedrich Händel

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GEORG FRIEDRICH HÄNDEL<br />

(1685-1759)<br />

Ein eigenartiges Schicksal war <strong>Händel</strong>s Opern auf der Bühne beschieden. Hochgeehrt zu ihrer Zeit,<br />

fielen sie später einem immer dichter werdenden Vergessen anheim (während seine Oratorien, in<br />

beinahe entgegengesetzter Tendenz, sich immer mehr in das Bewusstsein der folgenden<br />

Jahrhunderte zu schieben wussten). Zu Beginn unserer Epoche stand keine einzige von ihnen im<br />

Repertoire der Theater; fünfzig Jahre später aber waren ihrer annähernd 25 aufgetaucht.<br />

Überflüssig zu sagen, dass kein einziger Komponist eine solche Fülle im zeitgenössischen<br />

internationalen Spielplan besitzt. Also eine richtige <strong>Händel</strong>-Renaissance? Es sah zu Anfang so aus,<br />

als wäre diese Bewegung mehr von den Wissenschaftlern und den Liebhabern alter Musik ins<br />

Leben gerufen worden, als einem Publikumsbedürfnis entsprungen. Die nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg erstaunlich angewachsene Aufführungszahl von <strong>Händel</strong>opern zeugt aber doch von<br />

tieferer Wirkung. Es wird hernach darüber noch einiges zu sagen sein.<br />

Es gibt mehr als 40 musikalische Bühnenwerke von <strong>Händel</strong>. Die frühesten entstanden auf seinem<br />

ersten Posten (er war am 23. Februar 1685 in Halle/Sachsen in einer nahezu unmusikalischen<br />

Familie geboren), an der Hamburger Oper, die nicht nur eine der ältesten und bedeutendsten<br />

Musikbühnen Deutschlands ist, sondern auch eine der »deutschesten«. Sie war es, neben<br />

anderen, heute zum Teil vergessenen, die die Idee einer Nationaloper gegenüber der ganz Europa<br />

beherrschenden italienischen Opernkunst verfocht. In den Dienst dieses Theaters, das von den<br />

damals prominenten Musikern Kusser und Keiser geleitet wurde, trat der siebzehnjährige <strong>Händel</strong><br />

und erwies sich nicht nur als Geiger, sondern auch als Cembalist (dessen Aufgabe dem des<br />

späteren Kapellmeisters entsprach) und bald auch als Komponist erstaunlich fähig. Seine erste<br />

Oper, »Almira«, auf einen italienischen Stoff deutsch komponiert, wurde zu einem<br />

durchschlagenden Erfolg, der von dem der zweiten, dem verloren gegangenen »Nero«, Aufsehen<br />

erregend wiederholt wurde.<br />

Bald trieb es <strong>Händel</strong> in das Mutterland der Oper. In Italien komponierte er von 1706 bis 1710<br />

Bühnenwerke, die in Neapel, Florenz und Venedig das Rampenlicht erblickten und ihren Schöpfer<br />

nicht nur im Fahrwasser, sondern schlagartig auf der Höhe der besten damaligen italienischen<br />

Komponisten zeigen.<br />

Dann wollte er heimkehren. Aber Deutschlands Musikstätten boten dem kraftstrotzenden, in<br />

Weltmassen denkenden <strong>Händel</strong> ein zu geringes Betätigungsfeld. Und so erkor er London zu seinem<br />

Wohnsitz, wo es zwar im Augenblick keine berühmten einheimischen Komponisten gab (Purcell war<br />

kurz vorher jung gestorben), aber das Musikleben von äusserster Lebendigkeit war. <strong>Händel</strong> lebte sich<br />

so ein, dass England zu seinem zweiten Vaterlande wurde. Die Frage einer »Zugehörigkeit« dieses<br />

wahrhaft kosmopolitischen Musikers ist schwer oder unmöglich zu entscheiden. Von 1711 an - und<br />

fast ein halbes Jahrhundert lang - muss man ihn zu England rechnen. Er anglisierte seinen Namen,<br />

den er bald nur noch »<strong>Georg</strong>e Frederic Handel« schreibt, aber noch dreissig Jahre nach seiner<br />

Ankunft in London komponierte er seine Opern in italienischer Sprache. Englisch im Alltag, italienisch<br />

im Theaterleben, deutsch in vielen Briefen an alte Freunde jenseits des Kanals sowie auf häufigen<br />

Reisen zum Kontinent: das war <strong>Händel</strong>s Leben. (Vielleicht ist auch das der tiefere Grund, der uns<br />

bewegen könnte, ihn »Haendel« und nicht »<strong>Händel</strong>« zu schreiben: um ihn ein wenig aus jeder<br />

Nationalidee herauszuheben.)<br />

Italienische Oper war es, die er im Rahmen seiner drei Londoner Theaterunternehmungen pflegte.<br />

Italiener waren die meisten seiner Sänger, an ihrer Spitze erlebte er Triumphe und Niederlagen,<br />

Kampf, Zusammenbruch und Neuaufstieg. Die Geschichte seines Londoner Wirkens ist dramatisch,<br />

wie eigentlich alles, was dieser hünenhafte Mann in seinem Leben tat. Er war unter den grossen<br />

Musikern sicherlich eine der kämpferischsten Naturen. Zweimalige schwere Debakel seiner<br />

Opernunternehmen konnten seine Willenskraft nicht lähmen, ja selbst körperliche Depressionen<br />

wurden von ihm in bewundernswerter Weise überwunden.<br />

Seine Opern sind echtes Barocktheater. Sein pompöser Stil bevorzugte Götter und Helden auf der<br />

Bühne; er liebte prächtige Szenarien mit mythologischen Landschaften oder fernen Ländern.<br />

Majestätisch und prunkvoll war auch seine Musik, blendend ihr äusseres Gewand. Dahinter schlug<br />

ein gefühlvolles Herz, ja war stille Innigkeit zu finden.<br />

Doch was den oberen Schichten gefiel, erweckte volkstümliche Parodien. Besonders eine davon,<br />

die »Bettleroper« von Pepusch und Gay (Modell der »Dreigroschenoper« Brechts und Weills sowie<br />

modernisiert von Britten), war offenkundig gegen <strong>Händel</strong>s Opern gerichtet. In Massen strömte das<br />

Volk herbei, um anstelle langweiliger, von hohen Gefühlen (und noch dazu italienisch) singender<br />

»Helden« urplötzlich Gestalten auf Gestalten auf der Bühne agieren zu sehen, die der


Polizeichronik zu entsteigen schienen und die genau die Sprache sprachen, die ihr Publikum<br />

verstand. Da wurden Dinge verhandelt, die sich bei Tag und bei Nacht im gegenwärtigen London<br />

(und nicht in des König Xerxes oder Kleopatras Ägypten) abspielten. Und als zuletzt gar »des<br />

Königs reitender Bote« erschien, um dem Erzverbrecher ein Vermögen sowie die Erhebung in den<br />

erblichen Adelstand anzubieten, da brüllte das Haus vor Lachen, auf Kosten der oberen Klassen,<br />

aber auch auf Kosten <strong>Händel</strong>s, dessen Theater - es lag in unmittelbarer Nähe - Bankrott machte.<br />

Doch das konnte einen eisenharten Mann wie diesen nicht erschrecken. Mit neuen Kräften stürzte<br />

er sich in den Kampf, schuf Oper auf Oper - mehrmals drei oder vier im gleichen Jahr! -, studierte<br />

sie ein, dirigierte sie und erlebte neuerlich alle Phasen, die im Theaterleben zwischen Sieg und<br />

Niederlage liegen. Doch im Jahre 1741 setzte er selbst und freiwillig einen Schlusspunkt unter sein<br />

Opernschaffen. Von nun an widmete er sich ganz dem Oratorium, was zugleich seine Lösung aus<br />

der italienischen Kunstwelt und sein endgültiges Aufgehen im Englischen bedeutete. Mit dem<br />

»Messias« gelang ihm bekanntlich eines der ewigen Gipfelwerke der Gattung. Stilistisch bedeutete<br />

der Wechsel von Oper zu Oratorium in jenem Augenblick viel weniger als zu Ende des gleichen<br />

oder gar im 19. Jahrhundert. Im Grunde genommen handelte es sich um sehr eng verwandte<br />

Genres, die einen Austausch ohne weiteres zuliessen; und in Barockzeiten war zwar (genau wie<br />

heute) die Bühnentechnik hoch entwickelt und gestaltete wahre Wunderdinge von höchster<br />

Eindringlichkeit, aber die Oper war doch ein weitgehend »statisches« Kunstwerk, in dem die<br />

Szenen weit eher bildhaft als dramatisch dargestellt wurden. Lange und schwierige Arien liessen<br />

nur ein Minimum an Bewegung zu. Das »Geschehen« wirkte oftmals wie äusserliche Zutat:<br />

Göttererscheinungen erfolgten mit fast unglaublicher Wirksamkeit aus Wolkenhöhe,<br />

Vulkanausbrüche, tobende Gewitter, Feuersbrünste wurden dank komplizierter Maschinen zu<br />

überwältigenden Schauspielen, aber die wahre Dramatik lag in Wort und Musik und konnte daher<br />

im unbewegten Oratorium geradeso zum Ausdruck kommen wie bei bühnenmässiger Darstellung.<br />

Gerade heute ist die Lage wiederum ähnlich: die Oper des 20. Jahrhunderts ähnelt zum Teil jener<br />

<strong>Händel</strong>s, vor allem darin, dass auch sie (»Oedipus Rex«, »Johanna auf dem Scheiterhaufen«,<br />

»Atlantida« usw.) innerliche Dramatik der äusseren vorzieht und nahezu »statisch«, also<br />

oratorienhaft, wiedergegeben werden kann. Sicherlich erklärt diese augenfällige Parallelität<br />

zwischen Ideen des 18. und unseres Jahrhunderts einen Teil der <strong>Händel</strong>-Renaissance, wie<br />

überhaupt die ständige »Wiederkehr« von Kunstwerken in einem bestimmten (und vielleicht<br />

gesetzmässig zu bestimmenden) Rhythmus. Mehr als zweihundert Jahre nach seinem Tode (er<br />

starb in London am 14. April 1759) ergreift, erschüttert uns vieles am Werke <strong>Händel</strong>s, wie nur ein<br />

ewiges Kunstwerk es kann.<br />

»Agrippina« wurde <strong>Händel</strong>s entscheidender Erfolg während seiner italienischen Lehr- und Wanderjahre.<br />

Die Uraufführung fand in Venedig, an einem der letzten Tage des Jahres 1709, statt. Der<br />

24jährige Komponist zeigte eine bewundernswerte Stilbeherrschung, melodische Ausdruckskraft<br />

und interessante Harmonik. Das Textbuch stammt von Kardinal Grimani (Kirchenfürsten in dieser<br />

Art von Beschäftigungen waren damals nichts Aussergewöhnliches) und schildert, nach Art der<br />

neapolitanischen Intrigenopern, den Kampf Agrippinas und Poppeas, von denen erstere ihren Sohn<br />

Nero, letztere ihren Geliebten Ottone auf den römischen Kaiserthron bringen will.<br />

»Rinaldo« leitet <strong>Händel</strong>s englische Tätigkeit ein. Wie gewöhnlich arbeitete der Komponist mit<br />

unglaublicher Geschwindigkeit: in vierzehn Tagen entstand die Partitur, der die Armida-Episode aus<br />

Torquato Tassos »Befreitem Jerusalem« zugrunde liegt (die später, unter vielen anderen, auch<br />

Gluck zu einer Oper inspirierte). Die Uraufführung fand am 24. Februar 1711 in London statt. Das<br />

(italienische) Textbuch stammt von Giacomo Rossi, nach einem Entwurf von Aaron Hill, Direktor<br />

des Queen's Theatre am Haymarket, der einer der interessantesten Männer des damaligen London<br />

und ein begeisterter Förderer <strong>Händel</strong>s war. Wie weit die damalige Bühnentechnik gediehen war,<br />

möge eine zeitgenössische Beschreibung der »Rinaldo«-Premiere zeigen: »Ein erschrecklicher<br />

Anblick eines entsetzlich hohen Berges, der von der Front der Bühne zur höchsten Höhe des<br />

alleräussersten rückwärtigen Teiles des Theaters ansteigt. Man erblickt Felszacken, Höhlen und<br />

Wasserfälle auf dem Berghang, und auf der Spitze erscheinen die leuchtenden Mauern des<br />

Zauberschlosses (Armidas), bewacht von einer grossen Zahl von Geistern in unterschiedlicher<br />

Gestalt. Inmitten der Mauer sieht man ein Tor mit verschiedenen Bögen, die von Pfeilern aus<br />

Kristall, Azur, Smaragden und kostbarem Gestein aller Art getragen werden. Am Fusse des Berges<br />

entdeckt man die Höhle des Magiers ...«<br />

»Radamisto« stellt ebenfalls einen Meilenstein auf dem Londoner Weg <strong>Händel</strong>s dar. Er kehrte,<br />

nach einer Reise auf den Kontinent, im November 1719 nach London zurück, wo ihm die Leitung<br />

der neuen »Royal Academy of Music« übertragen worden war. Er eröffnete sie mit einem Werk des<br />

italienischen Komponisten Porta, liess aber gleich darauf - am 27. April 1720 - seinen eigenen<br />

»Radamisto« spielen, der stärkstens einschlug, was sich in der (damals hohen) Ziffer von zehn


Aufführungen sowie Wiederaufführungen in späteren Spielzeiten dokumentierte. Die Grundidee des<br />

von Nicolo Haym verfassten Textbuches ist die Verherrlichung treuer Gattenliebe. Die Motive der<br />

Handlung der heroischen Oper, wie dies am leuchtendsten wohl in Beethovens »Fidelio« zutage<br />

tritt. Die Motive der Handlung sind den Machtkämpfen der römischen Weltherrschaft in ihrer<br />

grössten Ausdehnung entnommen, und das Zeitkolorit spiegelt die Epoche der Partherkriege (58-<br />

63 n. Chr.) wider. Die Handlung ist, der Barockoper gemäss, voll von Figuren, von Ereignissen, die<br />

allerdings zumeist zwischen den Szenen geschehen und von denen auf der Bühne nur berichtet<br />

wird. <strong>Händel</strong>s Musik verleiht jeder Gestalt ein scharf umrissenes Profil und erhebt die damaligen<br />

sehr wortreichen, aber oft phrasenhaften Texte zu künstlerischer Höhe.<br />

»Ottone«, in deutschen Aufführungen zumeist »Otto und Theophano« genannt, entstammt - wie<br />

viele Opern <strong>Händel</strong>s der Londoner Zeit - der Feder Nicolo Hayms, der von 1679 bis 1729 lebte. Es<br />

handelt sich um ein sehr gutes Libretto, dem eine frühere Fassung des italienischen Dichters<br />

Pallavicini (unter dem Titel »Theophano«) zugrunde liegt. Es war damals durchaus üblich, dass<br />

mehrere Komponisten sich an den gleichen Stoff wagten, ja sogar das gleiche Textbuch benutzten,<br />

manchmal, wie hier, eine Neufassung desselben, das andere Wesenszüge der Personen und<br />

unterschiedliche Szenen in den Vordergrund stellte. <strong>Händel</strong> hatte seinen »Ottone« wohl schon zu<br />

Beginn des Jahres 1722 komponiert, bewahrte ihn aber auf, um ihn mit der damals berühmtesten<br />

Sopranistin Francesca Cuzzoni herauszubringen. Die Primadonna langte Ende dieses Jahres in<br />

London an, zeigte sich aber <strong>Händel</strong>s Musik gegenüber ablehnend; Komponist und Sängerin, beide<br />

von erregbarem Temperament, hatten schwere Zusammenstösse, die als oft zitierte Anekdoten in<br />

die Literatur eingegangen sind. So soll er, ein Hüne an Kräften, die Primadonna einmal so lange<br />

aus dem Fenster des Probenzimmers gehalten haben, bis sie sich seinen Anweisungen zu fügen<br />

versprach. Die Premiere fand am 12. Januar 1723 statt und gestaltete sich zu einem wahren<br />

Triumph <strong>Händel</strong>s und der Cuzzoni. Ein damaliger englischer Musikschriftsteller vermerkte: »Die<br />

<strong>Händel</strong>schen Melodien werden zur musikalischen Sprache der Nation!« Die Ouvertüre des<br />

»Ottone« fand starke Verbreitung, und ebenso nahezu alle Arien des Werkes. Den Hintergrund der<br />

Handlung bietet der italienisch-germanische Hegemoniestreit des 10. und 11. Jahrhunderts. Er wird<br />

hier verklärt, wie es sowohl der absolutistischen Zeit, als auch der damaligen Operngewohnheit<br />

entsprach (während es in Wahrheit bedeutend weniger idealistisch zuging). Kaiser Otto II. ist mit<br />

der ihm persönlich unbekannten Tochter des Kaisers von Byzanz verlobt, die sich aber von ihm<br />

betrogen glaubt. Erst nach einer Entführung durch Seeräuber kommt es zur Vereinigung mit dem<br />

(in Wirklichkeit treuen) Bräutigam. <strong>Händel</strong>s Musik rechtfertigt die Neuaufnahme des Werkes in<br />

unserer Zeit. Mit nur unwesentlichen Retuschen der Handlung und einer sinngemäss-dramatischen<br />

Wiedergabe kann der Erfolg nicht ausbleiben, sofern Sänger hoher Klasse zur Stelle sind.<br />

»Julius Cäsar« (im italienischen Original »Giulio Cesare«, deutsch auch manchmal unter dem Titel<br />

»Cäsar in Ägypten« aufgeführt) ist <strong>Händel</strong>s verbreitetstes Opernwerk. Als Verfasser des<br />

italienischen Textbuches zeichnet wieder Nicolo Haym. Cäsars Gestalt, und besonders seine<br />

ägyptischen Abenteuer - der Zusammenprall zweier Rassen, die Liebe zu Kleopatra, der<br />

faszinierendsten Frau der damaligen Welt -, sind oftmals Gegenstand opernmässiger Behandlung<br />

geworden, doch keine der Cäsar-Opern hielt sich im Repertoire, aber auch die Oper <strong>Händel</strong>s nur<br />

vorübergehend, trotz vieler Versuche im Lauf zweier Jahrhunderte. Jetzt kehrt sie, voll neuen<br />

Lebens, auf die Opernbühne zurück. Gerade am Falle dieses Werkes wäre es vielleicht angezeigt,<br />

über die Notwendigkeit, aber auch die Grenzen der Neubearbeitungen zu sprechen, denen <strong>Händel</strong>s<br />

(und seiner Zeitgenossen) Bühnenwerke unterworfen werden, um sie unserer Epoche nahe zu<br />

bringen. Sie beziehen sich in erster Linie auf dramaturgische Raffungen und Neutextierungen, aus<br />

denen symbolische Anspielungen - an denen das Barocktheater überreich war - entfernt werden.<br />

Das Drama jener Zeit schweifte gerne von der Handlung ab, um aktuelle Huldigungen anzubringen<br />

oder allgemeine mythologische oder philosophische Betrachtungen anzustellen. Die Bearbeiter des<br />

20. Jahrhunderts hingegen suchen den historischen Ablauf sicherzustellen und den Text ganz auf<br />

dramatische Wirkung zu stellen. Sie müssen allerdings das wichtigste Stilmerkmal unangetastet<br />

lassen: den Kontrast zwischen den vorwärtstreibenden, rezitativischen und den betrachtenden,<br />

lyrischen, das heisst ariosen Teilen. Für den heutigen Opernfreund ergibt sich so eine im tiefsten<br />

Grunde als »undramatisch« empfundene Spaltung, die aber durch musikalische Schönheiten in den<br />

ariosen, statischen Teilen aufgewogen wird. Erst das 19. Jahrhundert trachtete danach, diese<br />

Zweiteilung zu beseitigen; im deutschen Musikdrama proklamierte Wagner diese Forderung, in der<br />

italienischen Oper gelangte Verdi in seinem langen, folgerichtigen Entwicklungsgange zum gleichen<br />

Ergebnis. Unsere Zeit, die ein musikalisches Gut von mehreren Jahrhunderten lebendig zu erhalten<br />

trachtet, weiss auch der »alten« Oper Geschmack abzugewinnen, trotz ihrer Spaltung in<br />

dramatische und ariose Teile, der regiemässig beizukommen sehr schwierig ist, doch immerhin<br />

eine lohnende Aufgabe darstellt.


<strong>Händel</strong> komponierte »Julius Cäsar« zu Ende des Jahres 1723; die Premiere fand am 20. Februar<br />

1724 im Haymarket-Theater in London statt, wo der Komponist nicht nur Direktor, sondern auch<br />

Unternehmer (Impresario) und natürlich Dirigent war. Die Hauptrollen waren mit der Cuzzoni und<br />

Senesino, zwei ersten Sängern der Zeit, besetzt. Die Handlung setzt in dem Augenblick ein, in dem<br />

Cäsar ägyptischen Boden betritt und von Ptolemäus ein grauenhaftes Geschenk übersandt erhält:<br />

das abgeschlagene Haupt seines Widersachers Pompejus. Cäsar wäre kein Römer gewesen, hätte<br />

er einem Ägypter gestattet, eine solche Tat an irgend einem Vertreter jenes Weltreiches, sei es<br />

auch sein Todfeind, zu verüben. Huldvoll nimmt er die schöne Witwe des Ermordeten und den<br />

Sohn auf. Es ist der junge Sextus, der Rache für den Tod seines Vaters schwört. Die nächsten<br />

Szenen versetzen uns an den ägyptischen Hof, wo Ptolemäus und seine Schwester Kleopatra um<br />

die Macht kämpfen. Cäsars Eintreffen steht bevor: Ptolemäus erfährt aus dem Munde seines<br />

Abgesandten, mit welcher Empörung Cäsar seine Tat aufgenommen hat. Da stürzt Sextus herein,<br />

um den Ägypter zu töten, aber auf dessen Wink wird er von Bewaffneten gefangen genommen.<br />

Kleopatra, die beschlossen hat, den römischen Feldherrn zum Bundesgenossen für ihre<br />

Thronansprüche zu gewinnen, reist ihm entgegen und sucht - als »Lydia« verkleidet - das Herz<br />

Cäsars zu entflammen. Bei seinem Einzug in der ägyptischen Hauptstadt empfängt sie ihn, nun in<br />

ihrer wahren Gestalt, mit einem Liebesfest in ihrem Palast. Hier hat <strong>Händel</strong> eines der schönsten<br />

Musikstücke eingestreut, die Sopranarie, die in deutscher Nachdichtung mit den Worten »Es blaut<br />

die Nacht ... « beginnt. (1) Cäsar ist wie geblendet und bereit, seine Macht und sein Leben der<br />

herrlichen Ägypterin zu Füssen zu legen. Doch Schwerterklirren, Feldgeschrei unterbricht die<br />

Szene - feindliche Massen dringen ein und zwingen den römischen Feldherrn, zuerst im Kampfe,<br />

dann durch einen kühnen Sprung von der Terrasse ins Meer, sein Leben zu verteidigen und zu<br />

retten. Während er für tot gehalten wird, setzt Ptolemäus seine Schwester gefangen und gerät mit<br />

seinem Minister und Ratgeber Achillas in Streit um Cornelia, die Witwe des Pompejus. In tödlichem<br />

Hass verbündet dieser sich mit dem Römer Sextus, beide vom gleichen Drang beseelt, den<br />

ägyptischen König zu ermorden. Die Rückkehr Cäsars, aus den Fluten gerettet, ändert die Lage.<br />

Dem im Kampfe tödlich verwundeten Achillas nimmt Cäsar den Ring des Befehlshabers vom Finger<br />

und entscheidet die entbrennende Schlacht zu seinen Gunsten. Sextus rächt den Tod seines<br />

Vaters an Ptolemäus. In einem Freudenfest setzt Cäsar Kleopatra zur Königin Ägyptens ein und<br />

besiegelt seinen eigenen Liebesbund mit ihr.<br />

»Tamerlan« (Tamerlano) folgte 1724. Die wie »Julius Cäsar« von N. Haym textierte Oper bringt<br />

abermals einen Stoff mit exotischen Schauplätzen: den Konflikt zwischen dem Tatarenfürsten<br />

Tamerlan (Timur Lenk) und dem türkischen Herrscher Bajazet. Viele tragische Konflikte sind in die<br />

Handlung verwoben, hoch lodern die Leidenschaften, Bajazet verübt Selbstmord, um die von dem<br />

grausamen Tamerlan seiner Tochter zugedachte Schmach nicht zu überleben. Doch die edle<br />

Haltung des Türkenfürsten und seiner Tochter Asteria bringen den als Musterbeispiel der<br />

Unmenschlichkeit in die Geschichte eingegangenen Tataren zur Einsicht und zum Entschluss, in<br />

Zukunft gerecht zu regieren.<br />

»Rodelinde« wurde am 20. Januar 1725 in London erstmalig gegeben. Wieder hatte Haym das<br />

Libretto verfasst. Bertarich (Bertarido), König der Langobarden, wurde von dem Tyrannen Grimwald<br />

(Grimoaldo) vertrieben. Seine Gattin Rodelinde (Rodelinda) hält ihm höchste Treue, obwohl sie ihn<br />

tot glaubt und von Grimwald aufs heftigste bedrängt wird. Bertarich kehrt heimlich zurück, fühlt sich<br />

aber von Rodelinde verraten. Nach einer grossen Erkennungsszene wird der König von dem<br />

Usurpator in den Kerker geworfen. Hier kommt es zu einer musikalisch bedeutungsvollen Arie<br />

Bertarichs, die gemeinsam mit einem Sicilianorhythmus stehenden Stück Grimwalds, »Pastorello<br />

d'un povero armento« Höhepunkt der Partitur ist. Bertarich rettet seinem Feinde das Leben, worauf<br />

dieser endgültig auf Rodelinde verzichtet und dem rechtmässigen König Krone und Reich<br />

zurückgibt. Wieder hat hier <strong>Händel</strong> die Gattentreue besungen und wieder ist ihm eine schöne<br />

Frauengestalt gelungen. Zu den edelsten Höhepunkten der Musik gehört das Vorspiel zum dritten<br />

Akt, in dem ein stimmungsvolles Stück aus <strong>Händel</strong>s Concerto grosso in g-moll verarbeitet ist.<br />

1726 vertonte <strong>Händel</strong> das Textbuch P. Rollis zur Oper »Scipione«. Die Handlung ist sehr einfach,<br />

ihre Durchführung aber, wie stets in der Barockoper, gespickt mit Komplikationen. Der römische<br />

Feldherr Scipio kehrt aus dem Kriege siegreich heim; als Beute bringt er zwei Frauen des besiegten<br />

Stammes zurück. In deren eine, Berenice, hat er sich verliebt, prallt aber mit ihrem Bräutigam<br />

Lucejo zusammen, der verkleidet bis zur Gefangenen vorzudringen wusste. Erst nach heftigem<br />

inneren Kampf verzichtet der Römer zugunsten der älteren Rechte des Fremden.<br />

»Alexander« (Alessandro) wurde am 5. Mai 1726 uraufgeführt, nachdem die Partitur am 11. April<br />

des gleichen Jahres abgeschlossen worden war. (Wie unglaublich kurz sind zu jenen Zeiten nicht<br />

nur die Fristen der Komposition, sondern auch die der Einstudierung! Sinfoniekonzerte fast ohne<br />

Proben sind sogar noch zu Beethovens Zeiten an der Tagesordnung. Opernpremieren mit


vierzehntägiger Vorbereitungszeit alltägliche Erscheinungen!) Auch die Gestalt Alexanders des<br />

Grossen ist, ebenso wie die Cäsars, keineswegs auf das Opernwerk <strong>Händel</strong>s beschränkt<br />

geblieben. Der Librettist P. Rolli hatte den Einfall, zwei grosse Frauenrollen einzuschliessen, was<br />

zum sensationellen gemeinsamen Auftreten der beiden berühmten Primadonnen Cuzzoni und<br />

Bordoni führte, aber auch zu der nicht vorgesehenen Schimpf- und Prügelszene zwischen den<br />

beiden Starsängerinnen, für die <strong>Händel</strong> ein Werk mit zwei Frauengestalten bestellt und vertont<br />

hatte; sie stellten Rossana (Roxana) und Lisaura dar, die den grossen Eroberer lieben und<br />

schliesslich sogar bereit sind, sich ohne Eifersucht in seinen »Besitz« zu teilen, was zu einem<br />

prachtvollen Terzett mit Chor als Abschluss einer schönen Oper führt.<br />

»Admetos« (»Admeto«) nimmt den Alkeste-Mythos als Grundlage, den Euripides wahrscheinlich<br />

erstmalig dramatisiert hat. (Gluck greift in seiner »Alceste« auf ihn zurück.) Die eigentliche Quelle für<br />

<strong>Händel</strong>s Oper bildet das Drama »L'Antigona delusa d'Alceste«, das der italienische Dichter Aurelio<br />

Aureli im Jahre 1664 veröffentlichte; wer der Autor des Librettos war, ist ungewiss, es kann Haym<br />

oder Rolli, aber auch ein heute nicht mehr festzustellender Textdichter gewesen sein. Er übernahm<br />

von Aureli die für das Barocktheater typische Mischung von antiker Sage und »moderner«<br />

Intrigengeschichte. Es geht um den Thessalierkönig Admet, dem das Orakel den Tod verkündet,<br />

sofern sich nicht ein ihm nahestehender Mensch für ihn opfert; seine Gattin Alceste ist dazu bereit<br />

und steigt in die Unterwelt hinab. Sie wird von Herkules befreit, aber erst nach zahlreichen<br />

Verwicklungen finden sich die Gatten neuerdings in Liebe.<br />

»Siroe« entstand in einer schweren Zeit <strong>Händel</strong>s, da er versuchte, den drohenden Zusammenbruch<br />

seines Opernunternehmens durch vermehrtes Schaffen aufzuhalten. In einer einzigen Saison<br />

(1727/ 28) brachte er nicht weniger als drei eigene Opern zur Uraufführung: »Riccardo I« (die in<br />

England beheimatete und populäre Gestalt Richard Löwenherz'), »Siroe« und »Tolomeo«. Für<br />

»Siroe« (im Deutschen als Cyrus bekannt) verwendete er das vier Jahre früher erfolgreich von<br />

Leonardo Vinci vertonte Textbuch des jungen Pietro Metastasio, dem eine blendende Laufbahn als<br />

Dichter sowie vor allem als Librettist Hunderter von seinerzeit hochberühmten Opern bevorstand.<br />

Der römische Literat (1698-1782), der seinen ursprünglichen Familiennamen Trapassi in<br />

Metastasio hellenisierte, wurde zum Urbild des Barockschriftstellers. Er wurde 1730 Hofdichter in<br />

Wien - als Nachfolger des ebenfalls bedeutenden Apostolo Zeno - und spielte ein halbes<br />

Jahrhundert lang eine zentrale Rolle im Geistesleben der Epoche. Es gibt kaum einen<br />

Barockkomponisten, der sich für Bühne und Oratorium keines Textbuches Metastasios bedient<br />

hätte. Goldoni ergeht sich in Lobeshymnen über ihn, rühmt ihm »grösstmögliche Vollkommenheit,<br />

reinen, eleganten Stil, flüssige, wohlklingende Verse, bewunderswerte Klarheit der Gefühle« usw.<br />

nach, was nicht verhinderte, dass ihn bereits die nächste Generation als »unecht«, als »hohl,<br />

bombastisch, gekünstelt« empfand. Der »Siroe«-Text behandelt die Geschichte des historischen<br />

Prinzen Cyrus von Persien in seinem Kampf um die ihm zustehende Thronfolge und um die Liebe<br />

Emiras und bringt, nach Barockart, eine Fülle von Intrigen und Verwicklungen bis zum guten Ende.<br />

Zwischen dieser Oper und der folgenden, die wir besprechen wollen - da sie in unserer Zeit erneut<br />

auf der Bühne aufgetaucht ist -, liegt der Zusammenbruch und Neubeginn von <strong>Händel</strong>s Londoner<br />

Operunternehmen. »Poros« (»Poro«) verwendet wieder die Gestalt Alexander des Grossen, nach<br />

einem Textbuch des täglich berühmter werdenden Pietro Metastasio, das unter anderen von Vinci<br />

und Hasse komponiert worden war. Die <strong>Händel</strong>sche Oper errang, ihres exotischen Milieus und ihrer<br />

glänzenden Musik wegen, am 2. Februar 1731 einen starken Erfolg. Metastasio gibt als Grundzüge<br />

der Handlung folgende an: »Das Hauptthema des Dramas ist der Edelmut, den, wie bekannt,<br />

Alexander der Grosse gegen Poros übte, den König eines Teils von Indien, dem er als wiederholt<br />

Besiegtem und Gefangenem das Reich und die Freiheit schenkte. Als Episoden sind eingefügt die<br />

Umtriebe der Cleofide, Königin eines anderen Teils von Indien, die, obschon in Poros verliebt,<br />

dennoch das Genie Alexanders für sich zu gewinnen wusste, um sich den Thron zu sichern ... « Es<br />

sei noch erwähnt, dass auch dieses Werk (wie das früher besprochene Drama »Alexander«) unter<br />

dem Namen »Alexander in Indien« aufgetaucht ist.<br />

»Ezio« (1732) bringt, ebenfalls nach einem Libretto Metastasios, die Kämpfe des siegreichen Ezio,<br />

Feldherr des Tyrannen Valentinian von Rom, gegen seinen düsteren Gegenspieler Massimo.<br />

Wieder gibt es eine Fülle von Verleumdungen, Verwirrungen, Gefahren für Unschuldige, bis zum<br />

Triumph der Wahrheit, die in der Barockoper stets siegt. Über die oft recht schablonenmässigen<br />

Texte hinaus ist <strong>Händel</strong>s Musik von echtem Feuer durchpulst und enthält Bruchstücke, die<br />

Beethovens Ausspruch, <strong>Händel</strong> sei der grösste Komponist aller Zeiten, verständlich machen.<br />

»Acis und Galathea« müsste hier eingeschoben werden, da die dritte (und endgültige) Fassung aus<br />

dem Jahre 1732 stammt. <strong>Händel</strong> hatte die Sage, die zuerst bei dem in Sizilien geborenen<br />

griechischen Dichter Theokrit erscheint und dann von Ovid in seinen berühmten »Metamorphosen«


aufgegriffen wurde, gleich zu Beginn seiner italienischen Lehrjahre kennengelernt. So entstand sein<br />

Spiel »Aci, Galatea e Polifemo«, das 1709 in Neapel aufgeführt wurde. Als er dann nach England<br />

kam, bearbeitete er das Werk und führte es in englischer Sprache auf. (Möglicherweise im Jahre<br />

1720 auf Schloss Cannons bei London.) Abermals einige Jahre später scheint er gefühlt zu haben,<br />

dass die »grosse«, die Ausstattungs-, die Helden- und Götteroper, zu der er bereits so viele Werke<br />

beigesteuert hatte, an einem kritischen Punkt angelangt war und dem Publikum stets weniger<br />

sagte. Da ging er an eine dritte Bearbeitung von »Acis und Galathea« - wieder italienisch dieses<br />

Mal - in der die lieblich-tragische Hirtengeschichte eine dichterisch und musikalisch gleich schöne<br />

Fassung erfährt. Acis' und Galatheas Liebesstunde wird durch das Einbrechen des wilden Riesen<br />

Polyphem gestört. In einem Zweikampf tötet dieser Acis, worüber alle Hirten und Nymphen, ja die<br />

Natur selbst in Klage ausbrechen. Da verwandeln die Götter den toten Acis in einen Quell, der von<br />

nun an seine lebensspendende, liebevolle Mission im ganzen Tal ausübt.<br />

»Orlando« gehört zur letzten Opernperiode <strong>Händel</strong>s. Nicht dass sein Leben oder Schaffen sich<br />

dem Ende näherte, er hatte nur das Oratorium mit seinen ihn besonders fesselnden musikalischen<br />

Möglichkeiten entdeckt und intensiv zu kultivieren begonnen. Bereits waren »Esther« und<br />

»Deborah« erschienen, das »Alexanderfest« liess nicht mehr lange auf sich warten. Langsam, aber<br />

immer bestimmter wendete er sich von der Oper ab, vielleicht mehr aus Enttäuschung über den<br />

Wandel des Publikums und seines Geschmacks als über die Kunstgattung der Barockoper selbst.<br />

In »Orlando«, dessen Textbuch von dem Italiener Grazio Draccioli stammt, wird der von Ariost<br />

überlieferte Stoff des Zauberers Zoroaster behandelt, ein von zahlreichen Opernkomponisten<br />

bevorzugtes Thema (Vivaldi, Karl Heinrich Graun, Piccini, Steffani, Domenico Scarlatti usw.). Die<br />

verworrene Handlung bietet musikalisch reiche Möglichkeiten, da <strong>Händel</strong> seine aussergewöhnliche<br />

Fähigkeit zur Schilderung arkadischer Idylle, von inneren Kämpfen zwischen Liebe und Pflicht,<br />

Liebe und Tatendurst, ja sogar von geistiger Umnachtung (einem beliebten, aber schwierigen<br />

Opernthema) beweisen kann. Er malt letztere hier durch den damals noch äusserst seltenen 5/8-<br />

Takt, der gewissermassen zum Ausdruck des Ungleichmässigen, Labilen wird. Die Uraufführung<br />

fand in London am 27. Januar 1733 statt, weitere fünfzehn Aufführungen folgten, dann fand auch<br />

<strong>Händel</strong>s drittes Opernunternehmen ein Ende.<br />

Das Jahr 1735 brachte <strong>Händel</strong> zwei bedeutende Opernwerke, »Ariodante« und »Alcina«. Beide<br />

Themen stammen aus Ariosts »Orlando furioso«. In »Ariodante« stehen wir einer recht<br />

komplizierten Handlung gegenüber, in der vermeintliche Untreue einer Braut, Verkleidungen,<br />

Zweikämpfe, die als eine Art Gottesurteil angesehen werden, Intrigen eine ziemlich verworrene<br />

Rolle spielen, vor allem aber eine Hinneigung <strong>Händel</strong>s zu stärkerer Chor- und Ballettverwendung<br />

zu spüren ist.<br />

»Alcina« gehört zu den in unserer Zeit am öftesten »wiedererweckten« Opern <strong>Händel</strong>s. Ihre<br />

prachtvolle Musik rechtfertigt das erneute Interesse stärker als die sehr »barocke« Handlung, zu<br />

deren wahrem Verständnis es unserer Zeit wohl vor allem an echtem Gefühl für die Antike mangelt.<br />

Alcina ist eine mächtige Zauberin, der es gelungen ist, das Liebespaar Ruggerio und Bradamante<br />

zu entzweien. Nach langwierigen Kämpfen kommt es, wie in der damaligen Oper unumgänglich,<br />

zum glücklichen Ende. Eine Reihe grossartiger Arien und Ensembles, von Tänzen - die in mehreren<br />

vorkommenden »Neubearbeitungen« variieren können - krönen diese Zauberoper, der adäquate<br />

Inszenierungen auch heute noch zu starker Wirkung verhelfen können.<br />

»Xerxes« (»Serse«) ist eine der letzten, aber auch eine der lebensfähigsten Opern <strong>Händel</strong>s. Sie<br />

wurde am 14. Februar 1738 in London erstmalig gegeben. In ihr findet sich die Melodie, die<br />

wahrscheinlich vor allen anderen im reichen Schaffen dieses Komponisten die verbreitetste<br />

genannt zu werden verdient: das sogenannte »Largo«, das mit den Worten »Ombra mai fù«<br />

anhebt. Was um sie herum geschieht, ist wieder echte Barockoper und als solche kaum dazu<br />

angetan, uns menschlich besonders nahe zu gehen. Es gibt Intrigen in Menge, aufgefangene<br />

Briefe, Verkleidungen, Liebe, Rache und ein »Happy-End«. Weder der geschichtlich bedeutende<br />

Perserkönig Xerxes (485 bis 465 v. Chr.), der mit einem gewaltigen Heer versuchte, Griechenland<br />

zu unterwerfen, noch der von Äschylos geschilderte geschlagene Feldherr sind in der Xerxesgestalt<br />

zu finden, die <strong>Händel</strong> vertont hat (und die von einem unbekannten Librettisten, wahrscheinlich nach<br />

einem bereits mehr als achtzigjährigen Textbuch von Nicolo Minato verfasst wurde), sondern der<br />

verliebte Herrscher, der seine Braut zugunsten der seines Bruders aufgeben möchte. Er will durch<br />

ein Machtwort zur Erfüllung seiner Wünsche kommen. Doch seine Braut, die, als Hauptmann<br />

verkleidet, soeben aus einem Feldzug zurückkehrt, vereitelt seine Pläne. Zuletzt finden sich die<br />

Paare wie vorgesehen. <strong>Händel</strong> schlägt hier einen heiteren Ton an, ist lieblich, berückend in Melodie<br />

und Wohllaut, lächelnd und anmutsvoll wie selten. Das berühmte »Largo« wird von Xerxes gleich<br />

zu Beginn der Oper angestimmt, da er träumend unter einer Platane liegt. (Dass es sich eigentlich


um ein »Larghetto« - also um ein etwas weniger langsames Zeitmass - handelt, wird der verdienten<br />

Popularität des Stückes und des Namens, unter dem es bekannt wurde, keinen Abbruch tun.)<br />

»Deidamia« schliesst die lange Reihe <strong>Händel</strong>scher Opernwerke. Er komponierte das Werk im<br />

Oktober und November 1740 und führte es am 10. Januar 1741 in London erstmalig auf. Es waren<br />

böse Zeiten für den Komponisten, dem Feinde, Neider und Gleichgültige zusetzten. Seine Lust,<br />

Opern zu schaffen, konnte vermindert, ja gebrochen werden, nicht aber seine titanische<br />

Schaffenskraft und seine unversiegbare Inspiration. Mit »Deidamia« verabschiedet er sich, nach<br />

mehr als vierzig Werken, endgültig von der Bühne; das Werk entstand, als sechste<br />

Gemeinschaftsarbeit, mit dem Dichter Paolo Antonio Rolli und schildert eine Episode aus dem<br />

Trojanischen Krieg, beziehungsweise aus dessen Vorbereitung. Das Orakel hat verkündet, dass<br />

der Kampf nur mit Hilfe des Achilles gewonnen werden könne, und so machen drei griechische<br />

Fürsten sich auf, den Helden für den Feldzug zu werben. Bevor er mit dem Heer die Fahrt nach<br />

Troja antritt, wird seine Vermählung mit Deidamia, der Tochter des Königs von Skyros feierlich<br />

vollzogen. Der »listenreiche« Ulisse (Odysseus) - wie Homer ihn bekanntlich nennt - verzichtet auf<br />

die auch von ihm geliebte Prinzessin und gemeinsam ziehen die Helden (nicht ohne eine Reihe<br />

kämpferischer Arien) in den historischen, unzählige Male geschilderten und vertonten Krieg.<br />

<strong>Händel</strong>s Musik fliesst reich und edel; sie wird es nunmehr vor allem im Oratorium und in der<br />

Instrumentalmusik tun und ihrem Schöpfer so den führenden Platz sichern, an dem bis heute nicht<br />

gerüttelt wurde.<br />

Mit den angeführten Werken ist die Zahl jener noch nicht erschöpft, die in den verschiedenen<br />

Wellen der <strong>Händel</strong>-Renaissance unseres Jahrhunderts - zumeist vorübergehend - auf den Bühnen<br />

erscheinen. Hier müsste etwa auch »Belsazar« genannt werden. <strong>Händel</strong> hat ihn ausdrücklich als<br />

Oratorium bezeichnet, aber seine dramatische Handlung hat immer wieder Theaterleute zu<br />

szenischer Darstellung gereizt. Hier erleben wir die aus der Bibel bekannte Geschichte des Königs<br />

der Babylonier, der sich im Machtrausch für unbesiegbar hält und die gefangenen Juden durch<br />

Entweihung ihres Gottes schmäht. Inmitten seines wüsten Festes erscheint die geheimnisvolle<br />

Zauberschrift an der Wand, die seine Gelehrten und Sterndeuter nicht zu lesen vermögen. Nur<br />

Daniel, ein junger jüdischer Sklave, erkennt ihren Sinn und bringt ihn dem König zu Gehör: Mene,<br />

mene tekel, upharsin, das bedeute: Des Reiches Tage sind gezählt, du warst gewogen und zu<br />

leicht befunden, dein Reich wird geteilt unter deine Feinde, Perser und Meder. Und so geschieht es<br />

noch in dieser gleichen Nacht.<br />

Auszug aus „Oper der Welt“ von Prof. Dr. Kurt Pahlen.<br />

ACS-Reisen AG

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