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Kinematik und Dynamik der Erde - Bibliothek - GFZ

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2000/2001 Zweijahresbericht GeoForschungsZentrum Potsdam


IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

GeoForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>)<br />

Stiftung des öffentlichen Rechts<br />

Telegrafenberg<br />

14473 Potsdam<br />

Redaktion:<br />

Dr. Jörn Lauterjung<br />

Franz Ossing<br />

Layout:<br />

Otto Grabe (<strong>GFZ</strong>) & Druckerei Arnold<br />

Druck:<br />

Druckerei Arnold<br />

Am Wall 15<br />

14979 Großbeeren<br />

© <strong>GFZ</strong> Potsdam 2002<br />

Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist Mitglied<br />

<strong>der</strong> Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft<br />

Deutscher Forschungszentren e.V.


146<br />

Blick aus dem Weltraum auf Zentralasien, Kirgistan <strong>und</strong> Nachbarstaaten, eine <strong>der</strong> geodynamisch aktivsten Regionen<br />

<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> (Landsat-TM/MSS-Falschfarbenbild aus den multispektralen Bildkanälen 4(Rot)-3(Grün)-2(Blau). Die<br />

Vegetation erscheint in rötlichen Farbtönen.<br />

View from Space onto Central Asia, Kyrgyzstan and surro<strong>und</strong>ing countries, one of the geodynamically most active<br />

regions in the world (Landsat-TM/MSS false color composite of multispectral bands 4(Red)-3(Green)-2(Blue).<br />

Vegetation appears in reddish colors.


Aufgabenbereich 1<br />

<strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

Der Planet <strong>Erde</strong> ist in ständiger Bewegung. Dazu tragen<br />

neben <strong>der</strong> variierenden Eigenrotation <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> um eine<br />

sich ständig verlagernde Rotationsachse im Wesentlichen<br />

die dynamischen Prozesse bei, die im Erdkern,<br />

Erdmantel <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Erdkruste ablaufen. Hinzu kommen<br />

von außen auf den Erdkörper wirkende Drehmomente<br />

sowie Strahlungs- <strong>und</strong> Partikelflüsse.<br />

Meßgrößen, die mit Struktur <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> o<strong>der</strong> exogenen<br />

Einflussfaktoren zusammenhängen <strong>und</strong> die an <strong>der</strong><br />

Erdoberfläche bzw. im erdnahen Außenraum bestimmt<br />

werden können, sind: das Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld <strong>der</strong><br />

<strong>Erde</strong>, die Modulation <strong>der</strong> Eigenrotation <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>,<br />

Variationen seismischer Wellenlaufzeiten, horizontale<br />

<strong>und</strong> vertikale Krustenverschiebungen, Verän<strong>der</strong>ungen<br />

im Massehaushalt des globalen Wassers in seiner flüssigen,<br />

gasförmigen <strong>und</strong> gefrorenen Form.<br />

Zur genauen Abbildung von geogenen Prozessen <strong>und</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ungen sind globale, kontinuierliche <strong>und</strong> genaue<br />

Datenreihen über lange Zeiträume von herausragen<strong>der</strong><br />

Bedeutung. Eine globale Abdeckung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> mit<br />

Beobachtungen in schneller zeitlicher Abfolge ist dabei<br />

nur mit erdnahen Satelliten zu erreichen. Über<br />

Bodenstationsnetze <strong>der</strong> Satellitengedäsie <strong>und</strong> Geophysik<br />

mit guter Verteilung über den gesamten Erdball erfolgt<br />

die Einbindung <strong>der</strong> Satellitenmessungen in den globalen<br />

Bezugsrahmen <strong>und</strong> damit die kalibrierte Beobachtung<br />

<strong>der</strong> dynamischen Prozesse im Erdinnern, in<br />

<strong>der</strong> Hydrosphäre, <strong>der</strong> Kryosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong> Atmosphäre.<br />

Zur adäquaten Umsetzung großer Datenmengen in<br />

Modelle werden entsprechende Technologien <strong>und</strong><br />

Softwaresysteme für die Datenverwaltung <strong>und</strong><br />

Datenprozessierung benötigt.<br />

Die Arbeiten des Aufgabenbereiches 1 orientierten sich<br />

im Berichtszeitraum an den folgenden wesentlichen<br />

Elementen: (1) die Entwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Betrieb von<br />

Instrumenten <strong>und</strong> Trägersystemen zur Erfassung globaler<br />

konsistenter <strong>und</strong> homogener Messreihen, (2)<br />

Modellbildungsarbeiten mit selbstgewonnenen bzw. im<br />

internationalen Austausch erhaltenen Datensätzen sowie<br />

(3) Arbeiten zur Prozesserfassung <strong>und</strong> Interpretation.<br />

Schwerpunktarbeiten waren:<br />

• die Entwicklung, <strong>der</strong> Betrieb <strong>und</strong> die Überwachung<br />

von Satellitenmissionen <strong>und</strong> <strong>der</strong> sie unterstützenden<br />

Netzwerke, Empfangsstationen, Überwachungs- <strong>und</strong><br />

Verarbeitungssysteme. Dazu gehörten neben den<br />

letzten Abnahmetests, dem Start <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

anschließenden mehrmonatigen Übernahme-,<br />

Kalibrations- <strong>und</strong> Validationsphase für den Satelliten<br />

CHAMP, die Entwicklungsarbeiten zum Wissenschaftsdatensystem<br />

<strong>und</strong> den Laserreflektoren für die<br />

amerikanisch/deutsche Schwerefeldmission GRACE.<br />

Für die ESA-Fernerk<strong>und</strong>ungsmission ERS-2 wurden<br />

unter Einbeziehung des globalen Netzes von internationalen<br />

Laserstationen <strong>und</strong> des von <strong>der</strong> <strong>GFZ</strong>-<br />

Masterstationsmannschaft in Oberpfaffenhofen<br />

geleiteten Netzes von globalen PRARE-Stationen<br />

Bahnbestimmungsaufgaben übernommen.<br />

• die Arbeiten zur <strong>Kinematik</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>. Hierzu<br />

gehörten neben <strong>der</strong> Bestimmung von Polkoordinaten<br />

<strong>und</strong> Erdrotationsschwankungen die hochgenaue<br />

Bestimmung von Oberflächenform <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Verän<strong>der</strong>ung für kontinentale Kruste, Ozeane <strong>und</strong><br />

die großen polaren Eisgebiete. Die punkt- <strong>und</strong><br />

flächenhaften Erfassung von episodischen <strong>und</strong> kontinuierlichen<br />

Verschiebungen in Risikozonen <strong>der</strong><br />

<strong>Erde</strong>, des Fließens <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ns von großen<br />

Eisflächen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zirkulation <strong>der</strong> Wassermassen in<br />

den Ozeanen erfolgten mit mo<strong>der</strong>nen satellitengeodätischen<br />

Messverfahren, wie dem GPS, PRARE,<br />

SLR, <strong>der</strong> Satellitenaltimetrie sowie Verfahren <strong>der</strong><br />

Fernerk<strong>und</strong>ung im optischen <strong>und</strong> Radarbereich.<br />

• die Entwicklungen von Verfahren <strong>der</strong> boden- <strong>und</strong><br />

satellitengestützten GPS-Technologie <strong>und</strong> Anwendung<br />

in einem deutschlandweiten Netz für das<br />

CHAMP-Radiookkultationsexperiment, um die<br />

Tauglichkeit <strong>und</strong> Einsatzfähigkeit <strong>der</strong> GPS-Technologie<br />

für die Sondierung <strong>der</strong> Atmosphäre, die<br />

Kurzfrist-Wettervorhersage <strong>und</strong> die Klimaforschung<br />

zu prüfen.<br />

• Arbeiten zur Bestimmung <strong>und</strong> Interpretation des<br />

globalen Erdschwerefeldes, zur verbesserten<br />

Quantifizierung von globalen Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>und</strong> zur Untersuchung von zeitlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen des Schwerefeldes im Zusammenhang<br />

mit Massenumverteilungen im Erdkörper, im<br />

Bereich <strong>der</strong> Hydrosphäre, <strong>der</strong> Kryosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Atmosphäre. Für die Datenerfassung <strong>und</strong><br />

Auswertung werden dabei je nach Auflösung <strong>und</strong><br />

räumlicher Ausdehnung unterschiedliche Techniken<br />

<strong>und</strong> Verfahren eingesetzt. Dazu gehören die stationäre<br />

Präzisionsgravimetrie, die Fluggravimetrie,<br />

die Satellitengravimetrie, die Radaraltimetrie von<br />

Satelliten aus <strong>und</strong> verschiedene Einsatzverfahren für<br />

die GPS-Technologie.<br />

• Fernerk<strong>und</strong>liche Arbeiten zur Identifikation <strong>und</strong><br />

Quantifizierung von Objekten <strong>und</strong> Oberflächenmaterialien.<br />

Der raumbezogene <strong>und</strong> spektrale<br />

Informationsgehalt wird aus Daten unterschiedlicher<br />

Satelliten- <strong>und</strong> Flugzeugsensoren <strong>und</strong> über unterschiedliche<br />

Auswertekonzepte abgeleitet.<br />

147


148<br />

Die angesprochenen Arbeiten sind eingeb<strong>und</strong>en in die<br />

<strong>GFZ</strong>-Verb<strong>und</strong>projekte "Erdmodelle" <strong>und</strong> "Erdbebendeformationsprozesse"<br />

<strong>und</strong> sind tragende Elemente in<br />

den HGF-Strategiefonds-Projekten "GASP - GPS<br />

Atmosphere So<strong>und</strong>ing" <strong>und</strong> "SEAL - Sea Level<br />

Changes". Die Projekte CHAMP <strong>und</strong> GRACE tragen<br />

wesentlich zum Geotechnologieprogramm-Thema 2<br />

"Beobachtung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> aus dem Weltraum" bei.<br />

Abb. 1.1: PRARE-Radom auf <strong>der</strong> Ballonhalle <strong>der</strong><br />

deutschen "Neumeyer"-Antarktisstation (Foto: R.<br />

Metzig, AWI)<br />

PRARE radom on the balloon hall of the German<br />

Antarctic station "Neumeyer"<br />

Globale Netze <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

Zur Durchführung <strong>und</strong> Unterstützung <strong>der</strong> eigenen<br />

Forschungsarbeiten, aber auch zur Unterstützung einer<br />

Vielzahl von Arbeiten in nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />

Programmen betreibt das <strong>GFZ</strong> ein sich ständig vergrößerndes<br />

Netz von global verteilten GPS-<br />

Permanentstationen. Seit 2000 ist deutschlandweit ein<br />

permanentes Netz von GPS-Empfängern auf Stationen<br />

des Deutschen Wetterdienstes installiert worden. Daten<br />

von diesen insgesamt mehr als 50 permanenten <strong>GFZ</strong>-<br />

GPS-Stationen werden mit einer Verzögerungszeit von<br />

weniger als einer St<strong>und</strong>e in Potsdam empfangen.<br />

Im Herbst 2000 konnte die auf S-Band-Empfang<br />

umgerüstete <strong>GFZ</strong>/DLR 4m-Empfangsantenne endgültig<br />

für den CHAMP-Datenempfang in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />

Spitzbergen, aufgebaut <strong>und</strong> in Betrieb genommen werden<br />

(s. Abb. 1.2). Mit dieser Antenne in hoher geographischer<br />

Breite (79°) können CHAMP-Daten direkt<br />

nach jedem Umlauf empfangen <strong>und</strong> in sehr schnell verfügbare<br />

Bahn- <strong>und</strong> Atmosphärenprodukte umgesetzt<br />

werden.<br />

Im Spätsommer 2001 konnte die neue <strong>GFZ</strong>-<br />

Laserradaranlage mit Zwillingsteleskop auf dem<br />

Telegrafenberg abgenommen werden. Seit kurzem werden<br />

erste Testmessungen zu den Satelliten LAGEOS,<br />

TOPEX <strong>und</strong> CHAMP durchgeführt, die zeigen, dass mit<br />

dem neuen System Subzentimetergenauigkeiten für die<br />

Entfernungsmessung erreicht werden können. Nach<br />

Beendigung <strong>der</strong> Anschlussmessungen an das alte<br />

Messsystem wird die neue Station zur offiziellen <strong>GFZ</strong>-<br />

Laserstation im International Laser Ranging Service<br />

(ILRS) avancieren.<br />

Abb. 1.2: CHAMP-S-Band-Empfangsantenne in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />

Spitzbergen während des Aufbaus im Oktober<br />

2000 (Foto: D. S<strong>und</strong>ermann, DLR)<br />

CHAMP S-band receiving antenna in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />

Svalbard, during installation in October 2000<br />

Abb. 1.3: Neue Lasermessanlage des <strong>GFZ</strong> auf dem<br />

Telegrafenberg in Potsdam (Foto: B. Stöcker, <strong>GFZ</strong>)<br />

New <strong>GFZ</strong> laser tracking station on the Telegrafenberg in<br />

Potsdam<br />

Neben den genannten permanenten Beobachtungssystemen<br />

betreibt <strong>der</strong> Aufgabenbereich 1 momentan etwa<br />

50 weitere mobil einsetzbare Mikrowellen-Systeme (10<br />

PRARE-, 3 GLONASS-, 38 GPS-Stationen). Von diesen<br />

Stationen sind die 10 PRARE-Stationen praktisch ebenfalls<br />

permanent im Einsatz. Die restlichen Stationen<br />

wurden im Kampagnenbetrieb in Zentralasien, in<br />

Südamerika <strong>und</strong> in Mittelamerika eingesetzt.


Das PRARE-System (Precise Range and Range Rate<br />

Equipment) dient als satellitenzentrales Zweiweg-<br />

/Zweifrequenz-Entfernungs- <strong>und</strong> Dopplermesssystem<br />

primär <strong>der</strong> hochgenauen Bestimmung <strong>der</strong> Bahn des<br />

Trägersatelliten, <strong>der</strong> Koordinaten <strong>der</strong> Beobachtungsstationen<br />

<strong>und</strong> weiterer, über die Satellitenbahn ableitbarer<br />

geodätisch-geodynamischer Parameter. Es wurde erstmals<br />

im Zeitraum Januar 1994 bis November 1995 vom<br />

<strong>GFZ</strong> auf dem russischen Wettersatelliten Meteor-3/7<br />

erprobt <strong>und</strong> ist seit Mai 1995 auf dem europäischen<br />

Fernerk<strong>und</strong>ungssatelliten ERS-2 als primäres Bahnvermessungssystem<br />

im Einsatz.<br />

Abb. 1.4: Funktionsschema des PRARE-Systems<br />

Functional scheme of the PRARE system<br />

Nachdem das System wegen <strong>der</strong> überlangen Lebenszeit<br />

von ERS-2 die projektierte Lebensdauer inzwischen<br />

weit überschritten hat, wurde im Mai 2000 ein<br />

Umschalten auf das identische PRARE-Reservemodul<br />

des Satelliten notwendig. Danach konnte wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

gewohnten Genauigkeit <strong>und</strong> Zuverlässigkeit gemessen<br />

werden. Die einsekündlichen Entfernungsmessungen<br />

zeigen ein Rauschen von 2,5 (Äquator) bis 6,0 cm<br />

(Pole), das Rauschen <strong>der</strong> über 30 Sek<strong>und</strong>en integrierten<br />

Dopplermessungen beträgt lediglich etwa 0,1 mm/s.<br />

Die Sammlung <strong>und</strong> Verarbeitung aller PRARE-Primär<strong>und</strong><br />

Sek<strong>und</strong>ärmessdaten (Level 0/Level 1-Daten)<br />

betreibt das <strong>GFZ</strong> im Auftrag des DLR. Zur Zeit werden<br />

pro Woche etwa 300 Passagen vorverarbeitet (s. Abb.<br />

1.5). Darüber hinaus koordiniert das <strong>GFZ</strong> die<br />

Funktionalität des weltweiten PRARE-Bodenstationsnetzes<br />

mit 10 operationellen Bodenstationen.<br />

Die Vorverarbeitung <strong>der</strong> Messdaten erfolgt in <strong>der</strong> -<br />

ebenfalls vom <strong>GFZ</strong> betriebenen - PRARE-Masterstation<br />

in Oberpfaffenhofen auf täglicher <strong>und</strong><br />

wöchentlicher Basis. Die aufbereiteten Messdaten<br />

werden interessierten Nutzern zur Verfügung gestellt.<br />

Hauptnutzer ist das <strong>GFZ</strong> selbst, das im Auftrag <strong>der</strong><br />

ESA diese Daten zur operationellen vorläufigen <strong>und</strong><br />

präzisen Bahnbestimmung des ERS-2 Satelliten<br />

nutzt.<br />

Neben den hochgenauen Abstands- <strong>und</strong> Dopplermessungen<br />

liefert das PRARE-System auch Informationen<br />

über den Gesamtelektroneninhalt pro m 2 (TEC) entlang<br />

<strong>der</strong> Signalausbreitungsstrecke. Diese werden sowohl<br />

aus den Einweg-Laufzeitdifferenzen zwischen dem S<strong>und</strong><br />

dem X-Bandsignal, als auch aus den Zweiweg-<br />

Messungen des Raumsegments über die DRVID-<br />

Methode (Differenced Range versus Integrated<br />

Doppler) abgeleitet.<br />

Bedingt durch die lange Lebensdauer des Systems<br />

muss inzwischen vermehrt Arbeit in die Koordinierung<br />

des Betriebes des Bodenstationsnetzes<br />

gesteckt werden. Mit großem Einsatz ist es gelungen,<br />

die Zahl <strong>der</strong> global verteilten ständig beobachtenden<br />

mobilen Stationen bei ca. 10 zu halten. In Verbindung<br />

mit den Messungen des wetterabhängigen Laserstationsnetzes<br />

erlaubt dies eine gute Datenabdeckung <strong>der</strong><br />

ERS-2-Satellitenbahn zum Zwecke <strong>der</strong> Bahnbestimmung.<br />

149


150<br />

Abb. 1.5: ERS-2 PRARE- <strong>und</strong> Laser-Passagen pro Woche seit Anfang 1999<br />

ERS-2 PRARE- and SLR-passes per week since beginning of 1999<br />

Für die schnelle <strong>und</strong> zuverlässige Bahnbestimmung<br />

von CHAMP, aber insbeson<strong>der</strong>e auch für die<br />

Auswertung von Okkultationsereignissen dieser<br />

Mission wird vom <strong>GFZ</strong> <strong>und</strong> dem Jet Propulsion<br />

Laboratory (JPL) gemeinsam ein Netz von 28 hochratigen<br />

GPS-Empfangsstationen mit sicherer Kommunikationsanbindung<br />

betrieben. Das Netz ist zwischenzeitlich<br />

in die Infrastruktur des Internationalen GPS-<br />

Dienstes (IGS) eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Daten dieses Netzes<br />

werden intensiv für die Erstellung von IGS-<br />

Standardprodukten <strong>und</strong> die Bahnbestimmungsuntersuchungen<br />

in <strong>der</strong> Low Earth Orbiter (LEO)<br />

Arbeitsgruppe des IGS genutzt.<br />

Der Aufgabenbereich 1 ist maßgeblich an wichtigen<br />

Komponenten <strong>der</strong> IGS-Infrastruktur beteiligt: Leitung<br />

des Governing Boards, Leitung <strong>der</strong> Atmosphere<br />

Working Group <strong>und</strong> des Tide Gauge Benchmark Project<br />

for Sea Level Monitoring, Bereitstellung <strong>und</strong> Betreuung<br />

von etwa 20 Permanentstationen im IGS-Netz, Betrieb<br />

eines Operational Data Centers <strong>und</strong> schließlich Betrieb<br />

eines IGS-Analysezentrums. Die am <strong>GFZ</strong>-Analysezentrum<br />

erzeugten Produkte sind hochgenaue Bahnen<br />

aller GPS-Satelliten, Korrekturen zu allen Satellitenuhren,<br />

Polkoordinaten <strong>und</strong> Rotationsschwankungen.<br />

Die höchste Genauigkeit haben hierbei die sogenannten<br />

FINAL-Produkte, die auf wöchentlicher Basis<br />

mit einigen Tagen Verzögerung berechnet werden.<br />

Genauigkeiten von 2 bis 3 cm für die GPS-Bahnephemeriden,<br />

0,1 ns für die Uhrengenauigkeit <strong>und</strong> 0,1<br />

mas für die Polkoordinaten sind heute <strong>der</strong> vom <strong>GFZ</strong>-<br />

Analysezentrum erreichte Genauigkeitsstand bei <strong>der</strong><br />

Auswertung von GPS-Beobachtungen.<br />

Für operative Anwendungen werden täglich sogenannte<br />

RAPID-Produkte generiert, die bereits 10 St<strong>und</strong>en nach<br />

Tagesende Bahnen <strong>und</strong> Uhren <strong>der</strong> GPS-Satelliten<br />

(Genauigkeit 5 bis 8 cm bzw. 0,2 ns; Abb. 1.7) <strong>und</strong><br />

Erdrotationsparameter liefern.<br />

Mit <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> globalen Kommunikation ist<br />

eine Vielzahl von Stationsbetreibern, so auch das <strong>GFZ</strong>,<br />

dazu übergegangen, nicht nur einmal am Tage die GPS-<br />

Daten an die globalen Datenzentren zu senden, son<strong>der</strong>n<br />

stündlich. Damit wird eine Nahezu-Echtzeit-Nutzung<br />

von GPS in <strong>der</strong> Geodäsie <strong>und</strong> Geophysik möglich. Um<br />

diese Entwicklung zu unterstützen, werden vom IGS<br />

ULTRA-RAPID-Produkte zweimal täglich den Nutzern<br />

zu Verfügung gestellt. Diese beinhalten neben den<br />

üblichen Produkten, <strong>der</strong>en Genauigkeiten denen von<br />

RAPID sehr nahekommmen (vgl. Abb. 1.7), vor allem<br />

auch Vorhersagen <strong>der</strong> GPS-Bahnen, die mit etwa 15 bis<br />

20 cm Genauigkeit um wenigstens eine Größenordnung<br />

besser als die Broadcast-Ephemeriden des GPS-Systems<br />

sind. Diese neuen Produkte sind für Anwendungen wie<br />

beispielsweise die Atmosphären-Sondierung von großem<br />

Interesse <strong>und</strong> werden daher am <strong>GFZ</strong> für die<br />

Arbeiten im GASP-Projekt sogar dreistündlich aufdatiert,<br />

um eine Prädiktionsgenauigkeit von nahe 10 cm<br />

zu erreichen (Abb. 1.8).


Deformationen <strong>der</strong> Erdoberfläche<br />

Regionale GPS-Deformationsnetze sind in Südamerika<br />

(SAGA-Netz), Zentralasien (CATS-Netz) <strong>und</strong> Südostasien<br />

(GEODYSSEA-Netz) aufgebaut <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holt<br />

eingemessen worden. Im Berichtszeitraum konzentrierten<br />

sich die Arbeiten auf den südamerikanischen Raum.<br />

Ziel <strong>der</strong> SAGA-Aktivitäten (SAGA: South American<br />

Geodynamic Activities) ist ein besseres Verständnis <strong>der</strong><br />

Deformationsprozesse, die die Anden - als Typvertreter<br />

für subduktionsbezogene Orogene - gestaltet haben.<br />

Nachdem die ersten GPS-Messungen im SAGA-Netz<br />

gezeigt haben, dass die gegenwärtige Deformation <strong>der</strong><br />

zentralen <strong>und</strong> südlichen Anden vom Erdbebenzyklus<br />

dominiert wird, sind jetzt Untersuchungen zum<br />

Verständnis <strong>der</strong> Erdbebenprozesse Thema des Projektes.<br />

Neben co-seismischen <strong>und</strong> post-seismischen Deformationen<br />

haben die GPS-Messungen im Rahmen des<br />

Abb. 1.6: Globales Netz<br />

von IGS-Stationen, für die<br />

kombinierte troposphärische<br />

Produkte bereitgestellt<br />

werden<br />

Global network of IGS stations<br />

for which combined<br />

tropospheric products are<br />

available<br />

Abb. 1.7: Genauigkeit <strong>der</strong><br />

ULTRA-RAPID-Bahnprodukte,<br />

die als Basis für die<br />

Bahnprädiktionen herangezogen<br />

werden<br />

Precision of ULTRA-<br />

RAPID orbit products used<br />

for predicting the GPS<br />

orbits<br />

Abb. 1.8: Genauigkeit <strong>der</strong><br />

ULTRA-RAPID-Bahnprädiktionen<br />

bei dreistündlicher<br />

Wie<strong>der</strong>holrate<br />

Precision of the ULTRA-<br />

RAPID predictions when<br />

updating is every three<br />

hours<br />

SAGA-Projektes eine starke inter-seismische Kompression<br />

im zentralen Teil des GPS-Netzes aufgedeckt.<br />

Dies ist auf eine hohe Kopplung entlang des seismischen<br />

Interface zwischen <strong>der</strong> abtauchenden ozeanischen<br />

Nazcaplatte <strong>und</strong> <strong>der</strong> kontinentalen Südamerika-Platte<br />

zurückzuführen. Die Ausdehnung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> seismischen<br />

Kopplung spielen eine wesentliche Rolle bei<br />

<strong>der</strong> Entstehung von schweren Interplatten-Erdbeben.<br />

Geodätische Beobachtungen sind sehr wahrscheinlich<br />

das einzige Hilfsmittel, mit dem <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />

Kopplung entlang <strong>der</strong> seismogenen Zone abgeleitet<br />

werden kann. Da die Akkumulation von elastischer<br />

Verformung, die in zukünftigen Erdbeben freigelassen<br />

werden kann, we<strong>der</strong> räumlich noch zeitlich<br />

gleichförmig ist, müssen geodätische Netze wie<strong>der</strong>holt<br />

vermessen werden. Dies wurde im SAGA-Netz<br />

in den Jahren 1999 <strong>und</strong> 2000 erfolgreich durchgeführt.<br />

151


152<br />

Abb. 1.9: Die Vektoren zeigen die Punktverschiebungen<br />

im Bereich des SAGA-Netzes, die nach Abzug <strong>der</strong> modellierten<br />

interseismischen Akkumulation von den<br />

gemessenen Vektoren übrigbleiben. Der abgeleitete seismogene<br />

Bereich entlang <strong>der</strong> Subduktionszone ist in grau<br />

dargestellt: dunkelgrau zeigt 100% Kopplung, hellgrau<br />

ist <strong>der</strong> Übergangsbereich, in dem die Kopplung linear<br />

von 100% auf 0% abnimmt. Die Konturlinien zeigen die<br />

Wadati-Benioff-Zone an.<br />

Red vectors depict residual displacements after subtraction<br />

of modeled interseismic accumulation of elastic<br />

strain from the GPS-observed vectors. The deduced seismogenic<br />

zone along the subduction interface is shown in<br />

dark gray (area with ~100% coupling) with a transition<br />

zone in light gray, where the coupling decrease from 100<br />

% to zero. Dashed contour lines show the Wadati Benioff<br />

zone.<br />

Die GPS-Kampagne SAGA 2000 war die zweite<br />

Wie<strong>der</strong>holungsmessung des SAGA-Netzes (ausschließlich<br />

SAGA-Nord). Die Nullmessung fand im<br />

Frühjahr 1994 statt, eine erste Wie<strong>der</strong>holungsmessung<br />

im Herbst 1996. Einige Punkte<br />

wurden erst einmal beobachtet. Die<br />

Wie<strong>der</strong>holungsmessung im Jahre<br />

2000 erfasste demnach einen<br />

Zeitraum von 6 1 /2 Jahren. Einerseits<br />

konnte die nach <strong>der</strong> ersten<br />

Wie<strong>der</strong>holungsmessung abgeleitete<br />

Deformation in einigen Punkten<br />

bestätigt werden, an<strong>der</strong>erseits<br />

ergaben sich signifikante Än<strong>der</strong>ungen.<br />

Erwartungsgemäß wurden<br />

Variationen <strong>der</strong> Punktgeschwindigkeiten<br />

im nördlichen <strong>und</strong> im<br />

südlichen Netzteil festgestellt, in<br />

denen post-seismische Relaxationsprozesse<br />

als Folge des 1995<br />

Mw=8,0 Antofagasta- <strong>und</strong> des 1960<br />

Mw=9,5 Chile-Bebens vorherrschen<br />

(vgl. Abb. 1.9).<br />

Darüber hinaus wurden im zentralen<br />

Netzteil auch kleinere coseismische<br />

Einflüsse registriert.<br />

Weitere zeitliche Än<strong>der</strong>ungen konnten<br />

im Deformationsfeld außerhalb<br />

des SAGA-Nord- Gebietes entdeckt<br />

werden. Insgesamt wurde<br />

aber die hohe inter-seismische<br />

Kompression bestätigt. Die SAGA-<br />

99-Kampagne erfolgte im nördlichen<br />

Netzteil im November 1999,<br />

d.h. 4 Jahre <strong>und</strong> 3 Monate nach<br />

dem Mw=8,0-Antofagasta Beben.<br />

Die Ergebnisse sind in Abb. 1.10<br />

dargestellt <strong>und</strong> zeigen deutlich,<br />

dass <strong>der</strong> post-seismische Einfluss<br />

hier nach 4 Jahren aber nur noch<br />

sehr gering ist. Im Gegensatz dazu<br />

ist ein post-seismischer Effekt im Bereich des 1960<br />

Chile-Bebens noch nach 40 Jahren deutlich ausgeprägt.<br />

Daher wurde das SAGA-Netz im Jahre 2000<br />

verdichtet, um die andauernde postseismische Deformation<br />

mit einer besseren räumlichen Auflösung zu<br />

erfassen.<br />

Die numerischen Modellierungen <strong>der</strong> gemessenen<br />

Oberflächendeformationen konzentrierten sich<br />

zunächst auf Untersuchungen im Zusammenhang mit<br />

dem Erdbebenzyklus. Die eingesetzten elastischen<br />

Dislokationsmodelle zeigen, dass die heutige<br />

Deformation im zentralen Bereich des Netzes durch<br />

eine 100%ige Kopplung des seismogenen Interface<br />

zu erklären ist. Die geschätzte Tiefe <strong>der</strong> Kopplung ist<br />

entlang des Streichens <strong>der</strong> Anden nicht gleichförmig:<br />

nördlich von 30° S beträgt sie ca. 33 km, während sie<br />

südlich von 35° S etwa 50 km erreicht (vgl. Abb.<br />

1.9). Mit Hilfe weiterer neu eingerichteter Punkte<br />

entlang <strong>der</strong> chilenischen Küste soll die Nord-Süd-<br />

Variation <strong>der</strong> Kopplung genauer erfasst <strong>und</strong> auch<br />

eine mögliche zeitliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kopplung<br />

aufgedeckt werden.


Abb. 1.10: Die roten Vektoren zeigen die gemessenen Punktverschiebungen zwischen 1993 <strong>und</strong> 1995. Sie beinhalten<br />

im Wesentlichen co-seismische Deformationen, enthalten aber ebenfalls inter-seismische <strong>und</strong> post-seismische<br />

Deformationen sowie eventuelle pre-seismische <strong>und</strong> säkulare Signale. Die blauen Vektoren stellen die<br />

Verschiebungen zwischen 1997 <strong>und</strong> 1999 dar. Hier dominiert <strong>der</strong> inter-seismische Einfluss; das post-seismische<br />

Signal ist nur noch gering.<br />

Red vectors are the observed displacements of GPS-sites between 1993 and 1995. They mainly show coseismic strain<br />

release due to the 1995 Mw=8,0 Antofagasta earthquake but include interseismic and postseismic deformation as<br />

well. Blue vectors depict the displacements between 1997 and 1999. Here, the interseismic signal dominates the<br />

deformation field whereas the postseismic signal is rather weak.<br />

Die gemessenen post-seismischen Deformationen<br />

bieten eine ausgezeichnete Datenbasis, mit <strong>der</strong>en Hilfe<br />

Parameter numerischer Modelle <strong>der</strong> Subduktionsorogenese<br />

festgelegt werden können. Ein wesentlicher<br />

Steuerfaktor ist die Viskosität des oberen Mantels <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> unteren Kruste. Bei bekannter Viskosität als<br />

Funktion <strong>der</strong> Tiefe <strong>und</strong> des Ortes könnten entscheidende<br />

Fragen beantwortet werden wie z. B.: Was kontrolliert<br />

die Lokalisierung <strong>und</strong> Übertragung <strong>der</strong><br />

Deformation in <strong>der</strong> Oberplatte? Wie funktioniert die<br />

Spannungsübertragung vom Trench zum Kraton? Wird<br />

Spannung <strong>und</strong> Deformation durch den lithosphärischen<br />

Mantel übertragen? Ist die untere Kruste<br />

ein Spannungsleiter?<br />

Post-seismische Bewegungen konzentrieren sich im<br />

tiefesten Krustenbereich, an dem elastischer Strain<br />

akkumuliert wird. Die resultierenden Oberflächen-<br />

deformationen können durch zwei Modelle erklärt<br />

werden: 1. Eine verzögerte Verschiebung entlang <strong>der</strong><br />

co-seismischen Störungsfläche <strong>und</strong> 2. viskoelastische<br />

Ausgleichsvorgänge im duktilen Bereich unterhalb <strong>der</strong><br />

Zone, in dem <strong>der</strong> Bruch stattfand. Die gemessenen<br />

postseismischen Deformationen des Antofagasta- <strong>und</strong><br />

Chile-Bebens konnten bereits durch den ersten<br />

Mechanismus vollständig erklärt werden. Allerdings<br />

ergaben sich dabei sehr hohe Verschiebungswerte in<br />

<strong>der</strong> unteren Verlängerung <strong>der</strong> seismogenen Zone <strong>und</strong><br />

entgegengesetzte Verschiebungen an <strong>der</strong>en oberen<br />

Ende. Das Modell <strong>der</strong> verzögerten Verschiebung muss<br />

demnach mit einem viskoelastischen Finite-Element-<br />

Modell ergänzt werden. Die vorliegenden geodätische<br />

Daten bieten erstmalig die Möglichkeit, zwischen den<br />

o.g. Mechanismen zu unterscheiden <strong>und</strong> die Viskosität<br />

des oberen Mantels <strong>und</strong> <strong>der</strong> unteren Kruste unabhängig<br />

von bisherigen Modellen abzuschätzen.<br />

153


154<br />

Die Strategiefondsprojekte GASP <strong>und</strong> SEAL<br />

Der Aufgabenbereich 1 leitet zwei HGF-Strategiefondsprogramme<br />

fe<strong>der</strong>führend: GASP (Laufzeit 1999-2002)<br />

<strong>und</strong> SEAL (Laufzeit 2000-2003).<br />

GASP - GPS Atmosphere So<strong>und</strong>ing Project<br />

In jüngster Zeit hat das satellitengestützte Navigationssystem<br />

GPS sein hohes Nutzungspotential für die<br />

Fernerk<strong>und</strong>ung <strong>der</strong> Atmosphäre eindrucksvoll demonstriert.<br />

Die sowohl in existierenden weltweiten GPS-<br />

Bodenstationsnetzen als auch an Bord niedrigfliegen<strong>der</strong><br />

Satelliten empfangenen GPS-Radiosignale enthalten in<br />

Folge ihrer Wechselwirkung mit dem Ausbreitungsmedium<br />

Informationen über f<strong>und</strong>amentale atmosphärische<br />

Parameter wie Druck, Temperatur, Wasserdampfgehalt<br />

in Troposphäre <strong>und</strong> Stratosphäre <strong>und</strong> die<br />

Elektronendichte in <strong>der</strong> Ionosphäre.<br />

Abb. 1.11: GASP-Logo.<br />

Das GASP-Strategiefondsprojekt, das<br />

vom <strong>GFZ</strong> zusammen mit AWI, DLR<br />

<strong>und</strong> GKSS initiiert wurde, bündelt die<br />

Expertise von GPS-Spezialisten, Klimaexperten<br />

<strong>und</strong> Meteorologen. Es<br />

wird mit dem Deutschen Wetterdienst<br />

<strong>und</strong> dem Max-Planck-Institut für<br />

Meteorologie <strong>und</strong> einer großen Zahl<br />

weiterer universitärer Partner realisiert.<br />

Mit diesem Projekt soll in Deutschland<br />

eine Infrastruktur für die meteorologische<br />

Anwendung von GPS aufgebaut<br />

werden. So soll vor allem eine quasioperationelle<br />

Schätzung von troposphärischen<br />

<strong>und</strong> stratosphärischen<br />

Parametern realisiert <strong>und</strong> Verfahren zur<br />

Assimilation von GPS-Produkten in<br />

existierende regionale <strong>und</strong> globale<br />

Modelle für Klimauntersuchungen <strong>und</strong><br />

zur numerischen Wettervorhersage<br />

entwickelt werden. Der systematischen<br />

Validierung von GPS-Produkten wird<br />

breiter Raum gegeben. Das in zwei<br />

Teilprojekte unterglie<strong>der</strong>te Gesamtprojekt<br />

entwickelt sich sehr erfolgreich<br />

<strong>und</strong> es ist abzusehen, dass die anvisierten<br />

Projektziele voll erreicht werden<br />

können.<br />

Im Teilprojekt 1 von GASP ist <strong>der</strong> Aufbau <strong>und</strong> Betrieb<br />

eines Systems zur operationellen, kontinuierlichen<br />

Bestimmung des atmosphärischen Wasserdampfes in<br />

einem dicht <strong>und</strong> gut verteilten Netz von GPS-<br />

Bodenstationen in Deutschland das Hauptziel. Dessen<br />

Produkte sollen an den Wetterdienst weitergeleitet werden<br />

<strong>und</strong> sowohl in <strong>der</strong> numerischen Wettervorhersage<br />

wie auch in <strong>der</strong> Klimaforschung ihren Einsatz finden.<br />

Momentan befindet sich das Teilprojekt 1 in einer<br />

Pilotkampagnenphase mit dem Deutschen Wetterdienst<br />

(DWD). Aus einem deutschlandweiten GPS-Netz von<br />

etwa 100 Stationen (Abb. 1.12) – davon etwa 75<br />

Stationen des SAPOS-Netzes <strong>der</strong> deutschen Landesvermessungen<br />

<strong>und</strong> 22 GPS-Stationen des <strong>GFZ</strong> auf DWD-<br />

Wetterstationen - stehen wenige Minuten nach<br />

Beobachtung alle Daten am <strong>GFZ</strong> Potsdam für die weiteren<br />

Berechnungen von Satellitenbahnen <strong>und</strong> sog. integriertem<br />

Wasserdampf über je<strong>der</strong> Station zur Verfügung.<br />

Maximal nach 45 Minuten müssen die Wasserdampfprodukte<br />

an den DWD geliefert werden. Seit Mai 2001<br />

wird in einer Pilotuntersuchung <strong>der</strong> vom <strong>GFZ</strong> bestimmte<br />

integrierte Wasserdampf vom DWD mit einiger<br />

Zeitverzögerung in <strong>der</strong>en Kurzfrist-Vorhersagemodelle<br />

assimiliert. Die bisherigen Ergebnisse sind zufriedenstellend.<br />

Für Anfang 2002 ist vorgesehen, in eine präoperationelle<br />

Phase für die GPS-integrierte Kurzfristwettervorhersage<br />

einzutreten.<br />

Abb. 1.12: GASP Near Real Time Netz (• mögliche, aber<br />

bisher nicht benutzte SAPOS-Stationen)<br />

GASP Near Real Time network (• existing but not yet<br />

used stations of the SAPOS network)


Abb. 1.13: Mit GPS abgeleitete Wasserdampfverteilung über<br />

Deutschland<br />

GPS <strong>der</strong>ived water vapor distribution over Germany<br />

Im Teilprojekt 2 von GASP werden GPS-basierte Limb-<br />

Sondierungen <strong>der</strong> Erdatmosphäre vom CHAMP-<br />

Satelliten aus genutzt (zum Verfahren <strong>der</strong> Limb-<br />

Sondierungen siehe auch CHAMP-Bericht, S. 1 dieses<br />

Bandes).<br />

GPS-Signale haben Wellenlängen im<br />

Bereich von 20 cm <strong>und</strong> werden deshalb<br />

kaum von Wassertröpfchen o<strong>der</strong><br />

Eiskristallen beeinflusst. GPS-basierte<br />

Radiookkultationsmessungen stellen also<br />

ein wetterunabhängiges Messverfahren für<br />

Druck, Temperatur o<strong>der</strong> Feuchte dar. Dank<br />

<strong>der</strong> Limb-Geometrie bieten sie im<br />

Vergleich zu den üblichen Nadir-<br />

Messungen operationeller Wettersatelliten<br />

eine wesentlich höhere vertikale<br />

Auflösung. Ist wie bei <strong>der</strong> CHAMP-<br />

Mission die Infrastruktur am Boden gut<br />

ausgebaut, können mit einem einzigen<br />

Satelliten zwischen 200 <strong>und</strong> 250<br />

Okkultationen pro Tag aufgenommen werden<br />

<strong>und</strong> zwar auch über bislang datenarmen<br />

Regionen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>. Damit stellen<br />

Radiookkultationen eine wichtige Ergänzung<br />

zu den vorhandenen meteorologischen<br />

Beobachtungssystemen, wie dem<br />

globalen Radiosondennetz, dar.<br />

In den ersten sieben Monaten seit Beginn<br />

<strong>der</strong> ersten Limb-Sondierungsmessungen<br />

auf CHAMP im Februar 2001 sind über<br />

20.000 Okkultationsereignisse beobachtet<br />

<strong>und</strong> ausgewertet worden. Bereits die ersten<br />

Profile zeigten eine gute Übereinstimmung<br />

mit meteorologischen Analysen. Im<br />

Rahmen des GASP-Vorhabens arbeiten<br />

das Max-Planck-Institut für Meteorologie<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutsche Wetterdienst intensiv an Verfahren<br />

zum Einsatz von Radiookkultationsdaten bei <strong>der</strong><br />

Datenassimilation numerischer Wettervorhersagemodelle.<br />

Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbesserungen <strong>der</strong> Datendichte<br />

über den Ozeanen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Stratosphäre werden hier<br />

Abb. 1.14: Aktuelle CHAMP-Okkultationsereignisse im Zeitraum 5.-9. März 2001 (keine kontinuierliche Messreihe)<br />

Current CHAMP radio occultation events in the period March 5-9, 2001<br />

155


156<br />

vor allem Verbesserungen bei <strong>der</strong> Mittelfristvorhersage<br />

erwartet. Für einzelne Ereignisse mögen sich aber auch<br />

bei <strong>der</strong> Kurzfristvorhersage positive Effekte nachweisen<br />

lassen, etwa wenn während <strong>der</strong> Entwicklung<br />

extremer Wetterereignisse Okkultationen zum richtigen<br />

Zeitpunkt an <strong>der</strong> richtigen Stelle stattfinden. So werden<br />

nicht nur amerikanische Satellitenkonstellationen wie<br />

COSMIC, son<strong>der</strong>n auch die zukünftigen europäischen<br />

polarumlaufenden Wettersatelliten METOP, GPS-<br />

Empfänger zur Durchführung von Radiookkultationsmessungen<br />

tragen.<br />

Darüber hinaus gibt es eine Reihe wissenschaftlicher<br />

Fragestellungen, zu denen die CHAMP-Daten wertvolle<br />

Beiträge liefern dürften. Hierzu zählen zum einen die<br />

beson<strong>der</strong>s gut aufgelösten Temperaturmessungen in <strong>der</strong><br />

Tropopause. Diese Messungen werden bei <strong>der</strong><br />

Untersuchung <strong>der</strong> bislang nur unvollständig verstandenen<br />

dynamischen Prozesse, die zur starken<br />

Austrocknung <strong>der</strong> Luft in <strong>der</strong> oberen tropischen<br />

Troposphäre führen, sehr hilfreich sein.<br />

Aber auch die troposphärischen Wasserdampfmessungen<br />

von CHAMP werden – trotz <strong>der</strong> größeren<br />

Ungenauigkeiten bei <strong>der</strong> Ableitung des Wasserdampfgehaltes<br />

aus Radiookkultationsmessungen – interessante<br />

Beiträge zur Klimaforschung liefern können. Die<br />

Verteilung <strong>der</strong> relativen Feuchte im 500-hPa-Niveau<br />

(etwa 5 km Höhe), wie sie CHAMP zwischen Mitte Mai<br />

<strong>und</strong> Mitte Juni 2001 gesehen hat, zeigt deutlich die<br />

feuchten Bereiche <strong>der</strong> Innertropischen Konvergenzzone<br />

(Inner Tropical Convergence Zone, ITCZ), in denen die<br />

hochreichende tropische Konvektion stattfindet. Zum<br />

an<strong>der</strong>en sind die beson<strong>der</strong>s trockenen Regionen in den<br />

Absinkregionen <strong>der</strong> ITCZ ebenfalls deutlich erkennbar.<br />

Diese Regionen, die für den langwelligen<br />

Strahlungshaushalt <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> damit für das globale<br />

Klima entscheidend sind, liegen größtenteils über<br />

Ozeanen <strong>und</strong> wurden deshalb bisher nur sehr unvollständig<br />

beobachtet. CHAMP <strong>und</strong> die nachfolgenden<br />

Radiookkultationsmissionen werden erstmals die kontinuierliche<br />

Beobachtung dieser "Wüsten über den<br />

Ozeanen" ermöglichen.<br />

Abb. 1.15: Relative Feuchte auf dem 500-hPa-Niveau (etwa 5 km Höhe) zwischen dem 14. Mai <strong>und</strong> dem 10. Juni<br />

2001, basierend auf CHAMP-Messungen. Beachtenswert sind die starken Unterschiede zwischen <strong>der</strong> feuchten, durch<br />

tropische Konvektion charakterisierten innertropischen Konvergenzzone <strong>und</strong> den extrem trockenen Absinkregionen<br />

über den subtropischen Ozeanen. Auch <strong>der</strong> asiatische Monsun wird von den CHAMP-Messungen erfasst.<br />

Relative humidity at the 500 hPa level (ca. 5 km altitude) between May 14 and June 10, 2001, based on CHAMP<br />

measurements. Note the pronounced difference between the moist regions of the inner-tropical convergence zone,<br />

characterized by deep tropical convection, and the dry subsidence areas above the subtropical oceans. The Asian<br />

monsoon is also well represented in the CHAMP measurements.


SEAL - Sea Level Change<br />

Es ist allgemein anerkannt, dass Klimaschwankungen<br />

zu Variationen des Meeresspiegels führen. Diese sind<br />

ein natürliches Phänomen <strong>und</strong> traten im Laufe <strong>der</strong><br />

Erdgeschichte immer wie<strong>der</strong> auf. Jedoch ist bisher nicht<br />

vollständig geklärt, bis zu welchem Grad Klima- <strong>und</strong><br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen im System <strong>Erde</strong> gekoppelt<br />

sind.<br />

Mit <strong>der</strong> zunehmenden Vulnerabilität <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

rücken die anthropogenen Einflüsse, die zu Än<strong>der</strong>ungen<br />

des mittleren Meeresspiegels führen können, in den<br />

Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die Abtrennung<br />

von den natürlichen Ursachen ist nicht trivial <strong>und</strong><br />

erfor<strong>der</strong>t ein genaues Verständnis <strong>der</strong> komplex<br />

ablaufenden Prozesse im gekoppelten System Ozean-<br />

Eis-Land-Atmosphäre.<br />

In dem vom <strong>GFZ</strong> Potsdam geleiteten <strong>und</strong> im November<br />

2000 gestarteten Projekt SEAL wird eine integrierte<br />

Strategie zur Quantifizierung des Meeresspiegels auf<br />

unterschiedlichen Raum- <strong>und</strong> Zeitskalen verfolgt. Sie<br />

basiert auf neuen Beobachtungstechniken <strong>und</strong> hochauflösenden<br />

Modellen <strong>der</strong> das gekoppelte System<br />

Atmosphäre-Ozean-Eis-<strong>Erde</strong> kontrollierenden Prozesse.<br />

Das Projekt nutzt die spezifischen Expertisen <strong>der</strong><br />

kooperierenden Helmholtz-Zentren AWI, <strong>GFZ</strong> <strong>und</strong><br />

GKSS <strong>und</strong> beinhaltet folgende Aufgaben.<br />

Teilprojekt A: Beobachtung <strong>und</strong> Kalibrierung (<strong>GFZ</strong>).<br />

Die genaue Bestimmung des Meeresspiegels basiert auf<br />

einer Kombination von Satelliten- <strong>und</strong> Bodentechniken.<br />

Der Schwerpunkt liegt auf <strong>der</strong> Multi-Missions-<br />

Altimetrie unter Einfluss verbesserter Schwerefeldmodellierung<br />

mit CHAMP <strong>und</strong> GRACE, wobei das Ziel<br />

die Erstellung homogener, bis 1985 zurückreichen<strong>der</strong><br />

Zeitreihen ist. Gr<strong>und</strong>legende Erfor<strong>der</strong>nisse sind die<br />

Entwicklung einheitlicher, auf neuen GPS-Bojen<br />

basierende Kalibrationsverfahren <strong>und</strong> die Verwendung<br />

eines hochgenauen, auf aktuellen Satellitenmissionen<br />

basierenden Schwerefeldmodells <strong>und</strong> Bezugssystems.<br />

Zur weiteren Kontrolle werden mit GPS ausgerüstete<br />

Gezeitenpegel einbezogen.<br />

Teilprojekt B: Eismassenübertragung (AWI).<br />

Für langfristige Vorhersagen des Meeresspiegels sind<br />

zuverlässige Abschätzungen <strong>der</strong> Massenbilanz des<br />

Grönländischen <strong>und</strong> Antarktischen Eisschildes erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Dazu sind Feldkampagnen für ausgewählte<br />

Entwässerungsbecken geplant, die die Bestimmung <strong>der</strong><br />

lokalen Massenbilanz <strong>und</strong> weiterer Parameter gestatten.<br />

Kombiniert mit verbesserten atmosphärischen Randbedingungen<br />

dienen diese Parameter als Input für<br />

hochauflösende dynamische Eisschild-Modelle. Auf<br />

kürzeren Zeitskalen dominiert die Massenbilanz von<br />

Gebirgsgletschern. Ihr Beitrag während <strong>der</strong> Periode<br />

1860 bis 2100 wird in einer ergänzenden Untersuchung<br />

ermittelt.<br />

Teilprojekt C: Ozean-Modellierung (AWI, GKSS).<br />

Die neuen Beobachtungstechniken zur Überwachung<br />

des Meeresspiegels werden durch dynamische<br />

Ozeanmodelle ergänzt. Zur Verbesserung <strong>der</strong><br />

numerischen Effizienz wird eine Hierarchie von globalen,<br />

Einzelbecken- <strong>und</strong> regionalen Modellen verwendet.<br />

Die Untersuchung benutzt von Altimetrie- <strong>und</strong><br />

Schwerefeld-Satellitenmissionen bereitgestellte Daten<br />

<strong>und</strong> berücksichtigt den durch Massenbilanzstudien<br />

ermittelten Süßwasserzufluss aus Grönland. Neu<br />

entwickelte Datenanpassungstechniken <strong>und</strong> Beobachtungsmodelle<br />

verbinden die dynamischen Modelle mit<br />

den Gezeitenpegelaufzeichnungen.<br />

Teilprojekt D: Glaziale Isostasie (<strong>GFZ</strong>).<br />

Da die GPS-Überwachung von Gezeitenpegeln sowohl<br />

selten als auch neu ist, wird eine Berechnung ihrer<br />

Vertikalbewegungen als Folge glazialisostatischer<br />

Anpassung erfor<strong>der</strong>lich. Zu diesem Zweck wird ein<br />

verbessertes dynamisches Modell <strong>der</strong> pleistozänen<br />

Eisschilde entwickelt <strong>und</strong> mit einem neuen Erdmodell<br />

mit lateral heterogener Viskosität gekoppelt. Unter<br />

Verwendung von Paläostrandlinien-Daten <strong>und</strong> neuer<br />

satelliten- <strong>und</strong> bodengestützter geodätischer Messdaten<br />

liefert das gekoppelte Modell eine verbesserte<br />

Abschätzung <strong>der</strong> Viskositätsverteilung, die in die<br />

Berechnungen <strong>der</strong> Vertikalbewegung von Gezeitenpegeln<br />

eingeht.<br />

Über die bisherigen Arbeiten zum Teilprojekt D wird<br />

später in diesem Kapitel unter dem Thema<br />

"Auswirkungen von Eis <strong>und</strong> Wasserlasten auf Erdfigur,<br />

Deformations- <strong>und</strong> Schwerefeld" (S. 174) berichtet.<br />

Das Teilprojekt A nutzt die zwei bedeutendsten<br />

Beobachtungsverfahren zur Quantifizierung von<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen. Es sind dies Gezeitenpegel<br />

<strong>und</strong> Satellitenaltimetrie. Pegel haben zwei Einschränkungen:<br />

sie sind überwiegend an Küsten <strong>und</strong> in Häfen<br />

installiert <strong>und</strong> sie messen nur relative Än<strong>der</strong>ungen zwischen<br />

Meeresoberfläche <strong>und</strong> Land. Bei <strong>der</strong><br />

Satellitenaltimetrie gibt es verschieden Verfahren: die<br />

Laseraltimetrie, die allwettertaugliche Radaraltimetrie<br />

<strong>und</strong>, wahrscheinlich in einigen Jahren, die GNSS-<br />

Altimetrie (GNSS = Global Navigation Satellite<br />

System). Bei all diesen Verfahren wird die Laufzeit<br />

eines von <strong>der</strong> Meeresoberfläche zurückgestreuten<br />

Signals zur Abstandmessung genutzt.<br />

Die Satellitenradaraltimetrie (RA) ist das <strong>der</strong>zeit am<br />

häufigsten genutzte Fernerk<strong>und</strong>ungsinstrument, um den<br />

instantanen o<strong>der</strong> mittleren Meeresspiegel auf verschiedenen<br />

räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Skalen absolut zu<br />

erfassen (Abb. 1.17). Bei <strong>der</strong> RA wird aus <strong>der</strong> Laufzeit<br />

eines in Nadirrichtung ausgesendeten Radarimpulses<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Satellitenhöhe die Höhe des Meeresspiegels<br />

bestimmt. Die Anfänge <strong>der</strong> RA reichen zurück bis 1973.<br />

Nutzbar für genaue Meeresspiegeluntersuchungen sind<br />

jedoch erst Daten von den Altimetersatelliten GEOSAT,<br />

157


158<br />

ERS-1, TOPEX/Poseidon, ERS-2 <strong>und</strong> GFO-1. Die drei<br />

letztgenannten Missionen sind <strong>der</strong>zeit noch aktiv. Zum<br />

Beginn des Jahres 2002 werden zwei neue Satelliten mit<br />

RA gestartet, <strong>der</strong> europäische ENVISAT <strong>und</strong> <strong>der</strong> französisch-amerikanische<br />

Jason-1-Satellit.<br />

Abb. 1.16: SEAL-Logo <strong>und</strong> Broschüre<br />

SEAL logo and brochure<br />

Abb. 1.17: Die Abbildungen stellen<br />

Abweichungen <strong>der</strong> momentanen von<br />

einer mittleren Meeresoberfläche dar.<br />

Durch die Temperaturerhöhung des<br />

Ozeans aufgr<strong>und</strong> eines El Niño-<br />

Ereignisses dehnt sich das Wasser aus,<br />

<strong>und</strong> die hier in rot <strong>und</strong> gelb dargestellten<br />

Bereiche liegen erhöht gegenüber<br />

<strong>der</strong> mittleren Meeresoberfläche in<br />

diesem Gebiet. Die Bil<strong>der</strong> wurden aus<br />

Altimetrie–Daten (Satellit ERS-2)<br />

generiert. Die Abbildung zeigt eine<br />

Sequenz von Meereshöhen, die am<br />

<strong>GFZ</strong> standardmäßig generiert werden,<br />

im Zeitraum Februar 1996 bis Februar<br />

2001. In <strong>der</strong> mittleren Spalte (08/97,<br />

01/98, 05/98, 10/98) zeigt sich <strong>der</strong> Auf<strong>und</strong><br />

Abbau des El Niño-Ereignisses.<br />

The images show deviations of the current<br />

from the mean sea level. Here, an<br />

El Niño event is increasing the ocean’s<br />

temperature, the water extends (the red<br />

and yellow colours indicate a sea level<br />

above mean sea level). The images<br />

were routinely generated at <strong>GFZ</strong> from<br />

altimetry data (ERS-2 satellite). The<br />

picture shows a sequence of sea level<br />

heights generated from February 1996<br />

to February 2001. In the middle column<br />

(08/97, 01/98, 05/98, 10/98) the<br />

El Niño formation and retrogression is<br />

visible.


Abb. 1.18: Aktuelle Satellitenmissionen zur Erdbeobachtung; oben Altimetermissionen für die Bestimmung von<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

Current satellite missions for Earth observation; top: altimetry missions for sea level change determination<br />

Die lange Serie von verschiedenen RA-Missionen führte<br />

schnell zu dem Schluss, dass sich damit auch<br />

entsprechend lange Zeitserien für die Än<strong>der</strong>ungen des<br />

Meeresspiegels konstruieren lassen. Aber schon die<br />

unterschiedlichen Genauigkeiten <strong>der</strong> einzelnen<br />

Altimetriemissionen zeigen die Schwierigkeiten auf.<br />

Weiterhin problematisch sind die zeitlichen Lücken<br />

zwischen einzelnen Missionen, die Verwendung unterschiedlicher<br />

Korrekturmodelle für die Messung <strong>und</strong><br />

instrumententechnisch bedingte Offsets zwischen den<br />

RA-Missionen. In den letzten Jahren wurden zudem<br />

durch die Alterung <strong>der</strong> Satellitenelektronik bedingtes<br />

Driften <strong>und</strong> Sprünge durch elektronische Schaltvorgänge<br />

im Satelliten erkannt.<br />

Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Arbeiten im SEAL-Teilprojekt A stehen<br />

deshalb Verfahren, die eine langfristige<br />

Überwachung <strong>der</strong> Stabilität <strong>der</strong> RA-Messungen<br />

erlauben. Zur Vereinheitlichung <strong>der</strong> Prozessierung<br />

wurde in SEAL ein Multi-Missions-Altimeter-Daten-<br />

System (ADS) entwickelt. Die damit verb<strong>und</strong>en<br />

Datenbank ist mit sämtlich verfügbaren Daten <strong>der</strong><br />

Missionen GEOSAT, ERS-1, ERS-2 <strong>und</strong> TOPEX gefüllt<br />

worden <strong>und</strong> stellt nun die Gr<strong>und</strong>lage für weitere<br />

Analysen <strong>und</strong> hier insbeson<strong>der</strong>e die Bestimmung des<br />

Meeresspiegels dar. Eine Vielzahl von Modellen für<br />

Gezeiten, Troposphäre <strong>und</strong> Ionosphäre wurde implementiert<br />

<strong>und</strong> untereinan<strong>der</strong> verglichen. Solche Analysen<br />

sind notwendig, um die geeigneten Korrekturmodelle<br />

für eine bevorstehende homogene Re-Prozessierung zu<br />

bestimmen. ADS erlaubt es Nutzern von Altimetrie-<br />

Daten, eigene Kompositionen von Daten <strong>und</strong><br />

Korrekturen zu wählen, die danach automatisiert vom<br />

Prozessierungssystem generiert werden. Die Auswahlprozesse<br />

für Daten <strong>und</strong> Programme sind Web-basiert<br />

<strong>und</strong> erlauben somit jedem Nutzer, ohne weitere<br />

Kenntnisse ADS zu verwenden.<br />

Wesentliche Voraussetzung für eine genaue Bestimmung<br />

<strong>der</strong> Meeresspiegelschwankungen sind die<br />

Präzisionsbahnbestimmung <strong>der</strong> in die Analyse eingehenden<br />

Altimetersatelliten <strong>und</strong> eine einheitliche<br />

Nutzung von dynamischen, geometrischen <strong>und</strong><br />

Instrumentenkorrektur-Modellen. Für SEAL gewinnen<br />

hier die ersten genauen CHAMP-Schwerefeldmodelle,<br />

<strong>der</strong> Wechsel auf das genaue terrestrische Referenzsystem<br />

ITRF2000 <strong>und</strong> verbesserte Intrumentenkorrekturen<br />

eine ganz entscheidende Bedeutung.<br />

In den letzten Jahren gewinnt die interdisziplinäre<br />

Nutzung von Pegelmessungen zunehmend an<br />

Bedeutung. Mit <strong>der</strong> zunehmenden Verbreitung von GPS<br />

zur Positionierung werden immer mehr Pegel in ein<br />

übergeordnetes Koordinatensystem eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> an<br />

einer wachsenden Zahl von Pegeln werden zunehmend<br />

kontinuierliche GPS-Messungen zur Überwachung<br />

durchgeführt. Damit ist es möglich, die relativen<br />

Pegelmessungen in absolute Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

umzurechnen. Erst damit gelingt die Trennung von<br />

Landbewegungen <strong>und</strong> Än<strong>der</strong>ungen im Wasseräquivalent.<br />

Genutzt werden diese Ergebnisse zweifach. Zum<br />

einen können RA-Satelliten kontinuierlich überwacht<br />

werden, an<strong>der</strong>erseits sind absolute Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

hinsichtlich Klimavariationen interpretierbar.<br />

Problematisch ist die Ableitung <strong>der</strong> absoluten<br />

Höhenän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pegel, d.h. die Erfassung etwaiger<br />

Landbewegungen. Um verlässliche Korrekturen für die<br />

Pegelmessungen ableiten zu können, sind kontinuierliche<br />

Überwachungen notwendig. Diese sind nur mit<br />

GPS zu realisieren <strong>und</strong> werden nur an wenigen ausgewählten<br />

Punkten durchgeführt. In größerem Umfang<br />

ist GPS erst seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre verfügbar, wobei<br />

erst in den letzten Jahren eine signifikante Anzahl von<br />

159


160<br />

Pegeln mit GPS ausgerüstet wurde. Obwohl die <strong>der</strong><br />

GPS-Auswertung zugr<strong>und</strong>e liegenden Modelle ständig<br />

verbessert wurden, sind die abgeleiteten Höhenän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong>zeit noch zu ungenau, um verlässlich für<br />

Meeresspiegeluntersuchungen genutzt zu werden.<br />

Führend bei <strong>der</strong> Auswertung <strong>und</strong> Analyse von GPS-<br />

Messungen ist <strong>der</strong> International GPS Service (IGS). Im<br />

IGS zusammengeschlossene Analysezentren werten<br />

täglich eine große Anzahl von weltweiten kontinuierlichen<br />

GPS-Messungen aus <strong>und</strong> stellen wöchentliche<br />

Kombinationslösungen <strong>der</strong> Koordinaten zur Verfügung.<br />

Diese werden z. B. bei <strong>der</strong> Ableitung von geodätischen<br />

Referenzsystemen, wie dem International Terrestrial<br />

Reference Frame (ITRF) genutzt. Ein Vergleich <strong>der</strong><br />

Höhenän<strong>der</strong>ungen von GPS-Punkten aus den<br />

Wochenlösungen <strong>der</strong> einzelnen Analysezentren zeigt<br />

aber deutliche Unterschiede (Abb. 1.19). Zum einen<br />

sind die Bewegungen von einem "Jahresgang"<br />

überlagert, zum an<strong>der</strong>en enthalten die Lösungen aber<br />

auch Abweichungen unbekannter Ursache. Die<br />

Analysezentren liefern daher teils konträre Ergebnisse<br />

für die Höhenkomponenten. Um die notwendigen wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen zur verbesserten<br />

Ableitung <strong>der</strong> Höhenkomponente auf eine breite Basis<br />

zu stellen, wurde vom IGS unter Leitung des <strong>GFZ</strong> eine<br />

Pilotstudie initiiert (TIGA – Tide Gauge Benchmark<br />

Monitoring Pilot Project). In diesem Rahmen werden<br />

mit GPS ausgerüstete Pegel neu prozessiert <strong>und</strong> unter<br />

verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet. Das <strong>GFZ</strong><br />

ist im Rahmen von SEAL hieran beteiligt. Im Ergebnis<br />

dieser Pilotstudie (2001-2004) wird erwartet, dass dann<br />

die Genauigkeit <strong>der</strong> Höhenkomponenten den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen zur Untersuchung des Meeresspiegels<br />

genügt.<br />

Ein Nachteil von Pegelmessungen zur Ableitung globaler<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen ist ihre Küstennähe.<br />

Zudem ist die Mehrzahl aller Pegelmessungen auf<br />

Europa o<strong>der</strong> Nordamerika konzentriert <strong>und</strong> gibt daher<br />

nur einen begrenzten Ausschnitt möglicher Variationen<br />

des Meeresspiegels wie<strong>der</strong>. Ziel für die Überwachung<br />

<strong>der</strong> RA ist es, die Kalibrationsmessungen direkt im<br />

Fußpunkt des Satelliten durchzuführen. Weltweit gibt es<br />

nur eine mit GPS <strong>und</strong> Pegeln ausgerüstete Station<br />

(Harvest Oil Platform), die direkt von einem<br />

Altimetersatelliten (TOPEX/Poseidon) überflogen wird.<br />

An allen an<strong>der</strong>en Pegeln müssen die instantanen<br />

Meeresspiegelhöhen für die Fußpunkte des RA<br />

interpoliert werden, was zu einer deutlichen<br />

Verschlechterung <strong>der</strong> gewünschten Kalibrierung führt.<br />

Abb. 1.19: Modelliertes Bewegungsverhalten von GPS-Stationen verschiedener IGS-Wochenlösungen.<br />

Comparison of weekly GPS solutions for two IGS stations.


Abb. 1.20: GPS-Hochseeboje des <strong>GFZ</strong> zur langfristigen<br />

Kalibrierung von Altimetern<br />

GPS offshore buoy of <strong>GFZ</strong> for long-term calibration of<br />

altimeters<br />

Am <strong>GFZ</strong> wird <strong>der</strong>zeit im Rahmen von SEAL eine<br />

hochseetaugliche Boje gebaut, die mit GPS <strong>und</strong> verschiedenen<br />

Umweltsensoren ausgerüstet ist (Abb. 1.20).<br />

Diese wird im Frühjahr 2002 in <strong>der</strong> Nordsee an einem<br />

Punkt etwa 40 km westlich <strong>der</strong> Insel Sylt verankert, an<br />

dem sich die Bodenspuren <strong>der</strong> drei aktuellen RA-<br />

Missionen <strong>und</strong> auch ihrer Nachfolger kreuzen. Solche<br />

günstig gelegenen Kreuzungspunkte sind selten,<br />

vielfach ist <strong>der</strong> Abstand zum Land viel zu groß, um eine<br />

kostengünstige Datenübertragung zu realisieren. Aus<br />

den GPS-Messungen zum Überflugszeitpunkt des RA-<br />

Satelliten kann die Höhe <strong>der</strong> instantanen Meeresoberfläche<br />

sehr genau bestimmt werden. Da die Bahnbestimmung<br />

des Satelliten ebenfalls im Koordinatensystem<br />

von GPS erfolgt, können beide Messungen verglichen<br />

werden. Aus jedem weiteren Überflug, <strong>der</strong> je<br />

nach Satellit zwischen 10 <strong>und</strong> 35 Tagen erfolgt, ergibt<br />

sich eine Serie von Vergleichsmessungen. Aus diesen<br />

können absolut Höhenfehler abgeleitet sowie Driften<br />

detektiert werden.<br />

Die LEO-Missionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE<br />

Der Schwerpunkt <strong>der</strong> Arbeiten des Aufgabenbereiches 1<br />

lag im Berichtszeitraum ohne Frage bei <strong>der</strong><br />

Vorbereitung <strong>der</strong> "Low Earth Orbiter" (LEO) –<br />

Missionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE <strong>und</strong> nach erfolgreichem<br />

CHAMP-Start bei <strong>der</strong> Inbetriebnahme, <strong>der</strong><br />

Kalibration <strong>und</strong> Validation aller Satellitensysteme, <strong>der</strong><br />

Wissenschaftsinstrumente <strong>und</strong> aller Komponenten des<br />

Bodensegments.<br />

Abb. 1.21: CHAMP- <strong>und</strong> GRACE-Aufkleber<br />

CHAMP and GRACE sticker<br />

CHAMP-Mission<br />

Über die wissenschaftlichen Ziele, die Geräteausstattung<br />

<strong>und</strong> erste Ergebnisse <strong>der</strong> CHAMP-Mission<br />

wird im Eingangsteil dieses Zweijahresberichtes ausführlich<br />

berichtet. Zu ergänzen sind einige<br />

Ausführungen zur Einbeziehung <strong>der</strong> internationalen<br />

Wissenschaftlergruppen in die CHAMP-Datennutzung.<br />

Im April 2001 konnte die 9-monatige<br />

CHAMP-Kalibrations-/Validationsphase für alle<br />

Geräte, mit Ausnahme des GPS-Okkultationssen<strong>der</strong>s,<br />

abgeschlossen werden. Die aus CHAMP-Daten erhaltenen<br />

ersten Ergebnisse für Schwerefeld <strong>und</strong> Magnetfeld<br />

161


162<br />

<strong>und</strong> für die atmosphärischen <strong>und</strong> ionosphärischen<br />

Okkultationen haben die aus Simulationen abgeleiteten<br />

hohen Erwartungen in die Mission bestätigt. Ende Mai<br />

wurde daraufhin ein CHAMP-"Announcement of<br />

Opportunity" weltweit verteilt <strong>und</strong> bis Mitte Juli 2001<br />

um Einsendung von Vorschlägen für die drei<br />

Themengebiete "Bahnbestimmung <strong>und</strong> Schwerefeld",<br />

"Magnetfeld <strong>und</strong> elektrisches Feld" sowie "Atmosphärische<br />

<strong>und</strong> ionosphärische Okkultationen" gebeten.<br />

Der Rückfluss an zum überwiegenden Teil sehr guten<br />

Vorschlägen war beeindruckend: 113 Vorschläge von<br />

Wissenschaftlergruppen aus 24 verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />

wurden eingereicht. Die meisten Vorschläge kamen von<br />

US-Wissenschaftlergruppen (29), am zweitstärksten<br />

vertreten war Deutschland mit 28 Vorschlägen. Ein<br />

größerer Teil <strong>der</strong> deutschen Vorschläge ist eingeb<strong>und</strong>en<br />

in ein DFG-Bündelvorhaben. Nach Begutachtung durch<br />

die CHAMP Science Advisory Group wurde entschieden,<br />

alle eingereichten Vorschläge mit den erwüschten<br />

Daten <strong>und</strong> Datenprodukten zu bedienen. Für<br />

alle im CHAMP Information System <strong>und</strong> Data Center<br />

(CHAMP-ISDC) registrierten Nutzer stehen damit alle<br />

erwünschten wissenschaftlichen CHAMP-Daten seit 15.<br />

Mai 2001 zur Verfügung. Abbildung 1.22 gibt die<br />

Aufteilung <strong>der</strong> Vorschläge auf die verschiedenen<br />

Wissenschaftsfel<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Zeit 22.-25. Januar<br />

2002, zum Beginn des Jahres <strong>der</strong> Geowissenschaften,<br />

wird das erste CHAMP Science User Meeting am <strong>GFZ</strong><br />

stattfinden. Präsentationen <strong>und</strong> Publikationen <strong>der</strong> nächsten<br />

Zukunft werden die große Bedeutung von CHAMP<br />

für die Geo- <strong>und</strong> Atmosphärenforschung deutlich<br />

machen.<br />

Abb. 1.22: Eingegangene<br />

Vorschläge zum CHAMP<br />

Announcement of Opportunity<br />

Received CHAMP Announcement<br />

of Opportunity proposals<br />

Abb. 1.23: Bodensegment<br />

<strong>der</strong> GRACE-Mission<br />

Gro<strong>und</strong> segment of the<br />

GRACE Mission


GRACE Mission<br />

GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment) ist<br />

eine amerikanisch-deutsche Satellitenmission zur<br />

hochgenauen Bestimmung <strong>der</strong> Zeitvariabilität des<br />

Schwerefeldes <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> zur Sondierung <strong>der</strong><br />

Atmosphäre <strong>und</strong> Ionosphäre mittels zweier in 500 km<br />

Höhe <strong>und</strong> im Abstand von etwa 220 km fliegen<strong>der</strong><br />

Satelliten. Die GRACE-Mission wurde im Rahmen<br />

eines Announcement of Opportunity zum NASA Earth<br />

System Science Pathfin<strong>der</strong> (ESSP) Programm gemeinsam<br />

von <strong>der</strong> University of Texas at Austin, Center for<br />

Space Research (UTCSR), dem Jet Propulsion<br />

Laboratory (JPL) in Pasadena <strong>und</strong> dem GeoForschungsZentrum<br />

Potsdam im Sommer 1996 vorgeschlagen<br />

<strong>und</strong> im März 1997 aus einer Anzahl von<br />

Projektvorschlägen ausgewählt. Die hochgenaue<br />

Bestimmung des zeitvariablen Anteils des Erdschwerefeldes<br />

beruht auf <strong>der</strong> präzisen Messung <strong>der</strong><br />

Abstandsän<strong>der</strong>ung (≤ 5 µm) bei<strong>der</strong> Satelliten, <strong>der</strong><br />

Berechnung <strong>der</strong> Position <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geschwindigkeit <strong>der</strong><br />

Satelliten mittels eines 23-Kanal-Zweifrequenz-GPS-<br />

Bordempfängers <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> nicht-gravitativen<br />

Störbeschleunigungen mittels eines dreiachsigen<br />

Hochpräzisions-Akzelerometers. Die Sondierung <strong>der</strong><br />

Atmosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ionosphäre erfolgt durch zusätzliche<br />

GPS-Beobachtungen mit vor- <strong>und</strong> rückwärts<br />

gerichteten Antennen.<br />

Abb. 1.24: Die beiden von Astrium GmbH gebauten<br />

GRACE-Satelliten (Foto: Astrium GmbH)<br />

The two GRACE satellites manufactured by Astrium<br />

GmbH<br />

Die GRACE-Mission durchlief im Berichtszeitraum die<br />

Phase C/D. Dies beinhaltete die Entwicklung, den Bau<br />

<strong>und</strong> den Test <strong>der</strong> verschiedenen Instrumente (GPS-<br />

Empfänger, Super-STAR-Akzelerometer, K-Band-<br />

Entfernungsmesssystem, Sternsensoren) <strong>und</strong> <strong>der</strong> beiden<br />

Satelliten durch das Jet Propulsion Laboratory in<br />

Pasadena bzw. durch die Astrium GmbH in<br />

Friedrichshafen. Die Integration <strong>der</strong> Messinstrumente in<br />

die Satelliten erfolgte zwischen Oktober 2000 <strong>und</strong> März<br />

2001 bei Astrium. Die Umwelttests <strong>der</strong> beiden GRACE-<br />

Satelliten wurden in den darauffolgenden Monaten, wie<br />

im Falle von CHAMP, bei <strong>der</strong> IABG in Ottobrunn<br />

durchgeführt. Nach dem abschließenden Preship<br />

Review, das Anfang Dezember in San Diego stattfindet,<br />

werden die Satelliten Ende Januar 2002 zum Startplatz<br />

in Plesetsk in Russland transportiert. Nach <strong>der</strong><br />

Integration <strong>der</strong> Satelliten in die ROCKOT-Rakete, die<br />

durch das DLR zur Mission beigestellt wird, ist <strong>der</strong> Start<br />

in eine kreisförmige, polnahe Bahn (Inklination 89°) mit<br />

einer Anfangshöhe von 500 km im März 2002 vorgesehen.<br />

In <strong>der</strong> Phase C/D wurden weiterhin verschiedene<br />

Systeme aufgebaut, die den späteren Betrieb <strong>der</strong><br />

Satelliten (Mission Operation System, MOS), die<br />

Gewinnung von Laser-Entfernungsmessungen (Laser<br />

Tracking System, LTS) zu beiden Satelliten <strong>und</strong> die<br />

Auswertung <strong>der</strong> Instrumentendaten (Science Data<br />

System, SDS) durchführen. An den letzten beiden<br />

Systemen ist das <strong>GFZ</strong> wesentlich beteiligt. Die<br />

Koordination dieser Arbeiten erfolgt von einem<br />

DLR/<strong>GFZ</strong> Projektbüro in Oberpfaffenhofen. Die<br />

Arbeiten zum SDS beinhalten die Berechnung <strong>der</strong> kalibrierten<br />

<strong>und</strong> validierten Level-1-Instrumentendaten aus<br />

Level-0 Rohdaten, die regelmäßig am Raw Data Center<br />

in Neustrelitz bereitgestellt werden,<br />

durch das JPL <strong>und</strong> durch das <strong>GFZ</strong> in<br />

Backup-Funktion. Dazu wurde die von<br />

JPL entwickelte Software am <strong>GFZ</strong><br />

implementiert. Aus diesen Level-1-<br />

Daten berechnet das <strong>GFZ</strong> gemeinsam<br />

mit <strong>der</strong> Universität von Texas in Austin<br />

präzise Satellitenbahnen <strong>und</strong> monatliche<br />

mittlere Schwerefel<strong>der</strong> (Level-2-<br />

Produkte). Um den Einfluss <strong>der</strong> zeitvariablen<br />

Massenverlagerungen durch<br />

Atmosphäre <strong>und</strong> Ozeane auf die<br />

Schwerefel<strong>der</strong>gebnisse zu berücksichtigen,<br />

berechnet das <strong>GFZ</strong> im<br />

6-stündigen Rhythmus entsprechende<br />

Korrekturkoeffizienten, die auf<br />

ECMWF- (European Center for Medium-range<br />

Weather Forecast) Atmosphärendaten<br />

beruhen. Alle Produkte<br />

werden neben dem amerikanischen<br />

PODAAC bei JPL im GRACE-ISDC<br />

des <strong>GFZ</strong> den europäischen Nutzern zur<br />

Verfügung gestellt. Der Stand <strong>der</strong><br />

Arbeiten wurde im November 2001<br />

beim SDS Readiness Review in Austin<br />

vorgestellt.<br />

163


164<br />

Für das Laser-Tracking-Ssytsem (LTS) hat das <strong>GFZ</strong> zu<br />

CHAMP baugleiche Laser-Retro-Reflektoren zu den<br />

Instrumenten beigestellt. Die am <strong>GFZ</strong> existierende<br />

Bahnvorhersagesoftware wurde während <strong>der</strong> laufenden<br />

CHAMP-Mission weiter optimiert <strong>und</strong> steht damit auch<br />

für GRACE zur Verfügung. Mit <strong>der</strong> Erstellung eines<br />

Konzepts für die internationalen Laser-Stationen zur<br />

optimalen Gewinnung von Laser-Entfernungsmessungen<br />

von beiden GRACE-Satelliten wurde begonnen.<br />

Die Arbeiten des Mission Operation Center (MOS)<br />

basieren wesentlich auf den Erfahrungen, die mit <strong>der</strong><br />

CHAMP-Mission gewonnen werden konnten. Am Ende<br />

des Berichtszeitraumes standen im Wesentlichen die<br />

drei integrierten Systemtests an, die im Rahmen <strong>der</strong><br />

Umwelttests bei <strong>der</strong> IABG erfolgreich durchgeführt<br />

wurden <strong>und</strong> zur Abstimmung <strong>der</strong> Kommandos <strong>und</strong> dem<br />

Training <strong>der</strong> Betriebsmannschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Validierung<br />

<strong>der</strong> AOCS-(Altitude and Orbit Control System)<br />

Funktionen dienen. Weiterhin wurden die Kompatibilitätstests<br />

zwischen den Satelliten <strong>und</strong> den<br />

Bodenkontrollstationen in Weilheim <strong>und</strong> Neustrelitz<br />

sowie dem NASA Polar Gro<strong>und</strong> Network durchgeführt.<br />

Der Stand des MOS wurde im November in einem<br />

Operational Readiness Review in Oberpfaffenhofen<br />

präsentiert.<br />

Erstes globales Erdschwerefeldmodell aus<br />

CHAMP-Daten<br />

Seit dem Start im Juli 2000 empfängt CHAMP an Bord<br />

Signale von den hochfliegenden GPS-Satelliten zur<br />

hochgenauen Entfernungsmessung <strong>und</strong> misst in-situ mit<br />

dem Akzelerometer Störbeschleunigungen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Atmosphärenreibung <strong>und</strong> des Strahlungsdrucks. Diese<br />

Abb. 1.25: Geoid aus 1 Monat GPS- <strong>und</strong> Akzelerometerdaten<br />

<strong>der</strong> Satellitenmission CHAMP (Auflösung l/2 =<br />

500 km)<br />

Geoid from 1 month's worth of CHAMP GPS tracking<br />

and accelerometer data (resolution l/2 = 500 km)<br />

Daten werden für die zentimetergenaue Bahnbestimmung<br />

des Satelliten genutzt, um aus den dann sichtbar<br />

werdenden gravitativen Bahnstörungen die Parameter<br />

aufzulösen, die die unregelmäßige Struktur des<br />

Erdschwerefelds beschreiben. Nach Überwindung<br />

anfänglicher technischer Probleme <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

in <strong>der</strong> Dateninterpretation <strong>und</strong> Kalibration ist ein erstes<br />

globales Erdschwerefeldmodell auf <strong>der</strong> Basis von 30<br />

Tagen CHAMP-Daten berechnet worden (Abb. 1.25).<br />

Das Ergebnis ist beeindruckend: zum ersten Mal ist es<br />

möglich, mit Bahninformationen über einen kurzen<br />

Zeitraum <strong>und</strong> von nur einem einzelnen Satelliten ein<br />

Schwerefeldmodell abzuleiten, das zudem noch die<br />

Grobstruktur des Schwerefelds um den Faktor 2 bis 4<br />

genauer wie<strong>der</strong>gibt als die bisherigen auf einer Vielzahl<br />

von Satelliten <strong>und</strong> mehrjährigen Beobachtungszeiträumen<br />

beruhenden Modelle. Die niedrige, fast polare<br />

Bahn von CHAMP <strong>und</strong> die kontinuierliche Abdeckung<br />

<strong>der</strong> Bahn mit Beobachtungen des GPS-Empfängers <strong>und</strong><br />

des Akzelerometers spielen dabei die entscheidende<br />

Rolle.<br />

Airborne Navigation and Gravimetry Ensemble &<br />

Laboratory (ANGEL)<br />

Im Frühjahr 2000 konzentrierte sich die Arbeit <strong>der</strong><br />

Aerogravimetrie-Arbeitsgruppe auf die Einbettung<br />

eines neu beschafften LaCoste&Romberg-Fluggravimeters<br />

in ein vollständiges aerogravimetrisches<br />

Messsystem. Es wurden die technischen Voraussetzungen<br />

geschaffen, um das Gravimeter <strong>und</strong> seine Peripherie<br />

zu Test- <strong>und</strong> Abnahmezwecken in ein Flugzeug<br />

einzurüsten. Die Ersteinrüstung des Systems wurde in<br />

eine Cessna Grand Caravan des DLR in Oberpfaffenhofen<br />

vorgenommen. Dieser Flugzeugtyp bietet hervorragende<br />

technische Einrüstmöglichkeiten, verb<strong>und</strong>en<br />

mit hoher Wirtschaftlichkeit. Deswegen ist die Cessna<br />

Caravan zur Zeit das für Aerogravimetrie <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />

flugzeuggetragene Explorationssysteme am häufigsten<br />

<strong>und</strong> erfolgreichsten eingesetzte Flugzeug weltweit.<br />

Abb. 1.26: Cessna Grand Caravan des DLR in<br />

Oberpfaffenhofen (Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

Cessna Grand Caravan of the DLR in Oberpfaffenhofen


Abb. 1.27: Installation des Aerogravimetrie-Systems im<br />

Flugzeug (Foto: Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

Installation of the aerogravimetry system in the aircraft<br />

Neben dem klassischen Fluggravimeter wurde ein<br />

Strap-Down-System <strong>der</strong> Bayerischen Akademie <strong>der</strong><br />

Wissenschaften installiert. Die Navigationstechnik des<br />

Aerogravimetriesystems bestand aus einem Trimble<br />

4000 GPS-Empfänger <strong>und</strong> einem Ashtech Z-Surveyor,<br />

verb<strong>und</strong>en mit einem IGI Inertial-Navigationssystem.<br />

Zu Testzwecken wurde zusätzlich ein Laserhöhenmesser<br />

eingebaut.<br />

Abb. 1.28: Schema <strong>der</strong> Installation<br />

Schematic sketch of the installation<br />

Als Teststrecken für das Aerogravimetrie-System wurden<br />

je zwei Profile über den bayerischen Voralpen<br />

(kurzwellige, topografisch geprägte Schwereanomalien)<br />

<strong>und</strong> dem Rheingraben (langwellige, durch den Graben<br />

geprägte Schwereanomalie) gewählt. Abbildung 1.29<br />

zeigt die Testprofile über dem Rhein, Abbildung 1.30<br />

das Messresultat des südlichen Profils.<br />

Abb. 1.29: Karte <strong>der</strong><br />

Freiluftanomalien über dem<br />

Rheingraben <strong>und</strong> Lage <strong>der</strong><br />

Flugprofile<br />

Map of free air anomalies<br />

over the Rhine graben and<br />

the location of the flight profiles<br />

Abb. 1.30: Ergebnisse des<br />

südlichen Flugprofils über<br />

dem Rheingraben<br />

Results of the southern flight<br />

profile over the Rhine<br />

graben<br />

165


166<br />

Aus den Erfahrungen <strong>der</strong> Ersteinrüstungen wurden<br />

einige Systemverbesserungen, wie <strong>der</strong> Bau eines zentralen<br />

Zeittriggers aus einer hochgenauen GPS-Uhr, in<br />

direkter Folge vorgenommen. Aktuell wird ein neuer,<br />

homogener Satz von GPS-Empfängern beschafft, <strong>der</strong><br />

die Bahnbestimmung des Flugzeugs mit wesentlich<br />

höherer zeitlicher <strong>und</strong> räumlicher Auflösung<br />

gewährleisten soll, als es bislang <strong>der</strong> Fall war. Zugleich<br />

dienten die Flüge dem Ausbau <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anpassung <strong>der</strong><br />

Auswerteprogramme, die auch jetzt noch weiter vorangetrieben<br />

wird. Für Kalibrierungsarbeiten <strong>und</strong><br />

Genauigkeitsuntersuchungen wird <strong>der</strong>zeit für den<br />

LaCoste&Romberg-Sensor ein Teststand aufgebaut. Mit<br />

dessen Hilfe sollten die bislang erzielten Resultate noch<br />

weiter verbessert werden können. Die Ersteinrüstung<br />

des Systems in Oberpfaffenhofen war neben den genannten<br />

Aspekten auch gr<strong>und</strong>legend für die Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> Durchführung <strong>der</strong> MEXAGE-(México<br />

AeroGeophysical Experiment) Flugkampagne im<br />

Hochland von Mexiko <strong>und</strong> über dem Chicxulub-<br />

Krater.<br />

Für die weitere Zukunft werden Schwerpunkte auf<br />

instrumentelle Verbesserungen am Gravimetriesystem,<br />

auf die Auswertung <strong>der</strong> Daten <strong>und</strong> die Integration <strong>der</strong><br />

neuen GPS-Empfänger sowie <strong>der</strong>en Datenprozessierung<br />

gelegt. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die<br />

Implementation eines Programmpaketes zur Modellierung<br />

eines regionalen Geoids aus Aerogravimetrie<strong>und</strong><br />

bodennahen Schweredaten. Dieses Programmpaket<br />

wurde bereits erfolgreich getestet <strong>und</strong> soll weiter ausgebaut<br />

werden.<br />

México AeroGeophysical Experiment (MEXAGE)<br />

Etwa vor 65 Millionen Jahren ereigneten sich verschiedene<br />

Naturkatastrophen, die zusammen das größte<br />

bekannte Massensterben in <strong>der</strong> Erdgeschichte auslösten.<br />

Unterhalb Indiens stieg ein Manteldiapir auf, <strong>der</strong><br />

schließlich Indien von <strong>der</strong> Seychellenbank löste.<br />

Riesige Lavaströme pressten sich in <strong>der</strong> Dekka-Region<br />

Indiens an die Oberfläche. Noch während diese<br />

gewaltigen Vulkanausbrüche anhielten, ereignete sich in<br />

<strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> heutigen Yucatán-Halbinsel in Mexiko<br />

eine weitere Katastrophe: ein Meteorit von etwa 10 km<br />

Durchmesser schlug dort auf <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> ein <strong>und</strong> riss<br />

einen Krater von 180 km Durchmesser <strong>und</strong> weit über<br />

3 km Tiefe. Diese Ereignisse markieren zugleich einen<br />

<strong>der</strong> wichtigsten Zeitenwechsel <strong>der</strong> geologischen<br />

Erdgeschichte, den Übergang von <strong>der</strong> Kreide in das<br />

Tertiär.<br />

Zu dieser Zeit waren die großen Kontinente <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

schon auseinan<strong>der</strong>gebrochen <strong>und</strong> drifteten in ihre<br />

heutige Lage (Abb. 1.31). Aus Sedimentkernen wurde<br />

abgeleitet, dass zwischen Kreide <strong>und</strong> Tertiär große<br />

Gebiete <strong>der</strong> heutigen Landmassen unter <strong>der</strong><br />

Meeresoberfläche lagen, so auch <strong>der</strong> größte Teil<br />

Mexikos <strong>und</strong> die gesamte Yucatán-Halbinsel. Der<br />

Meteorit schlug also in ein Gebiet ein, das damals noch<br />

etwa 200 bis 300 m unter dem Meeresspiegel lag. Heute<br />

liegt etwa die Hälfte des damals überfluteten Yucatán-<br />

Schelfs wenige Meter oberhalb <strong>der</strong> Meeresoberfläche<br />

<strong>und</strong> bildet im Süden die Yucatán-Halbinsel, im Norden<br />

den südlichsten Teil des Golfes von Mexiko (Abb. 1.32).<br />

Der Krater selbst liegt mit seinem Zentrum unterhalb<br />

des kleinen Fischerhafens Chicxulub (Abb. 1.33) <strong>und</strong><br />

wurde so nach ihm benannt. Damit liegt heute seine<br />

nördliche Hälfte im Flachwasserbereich des Golfes von<br />

Mexiko <strong>und</strong> seine südliche in Yucatán. Topografisch ist<br />

die Kraterstruktur nicht sichtbar, weil <strong>der</strong> Krater selbst<br />

im Laufe <strong>der</strong> Zeit mit Sedimenten aufgefüllt wurde. Nur<br />

durch geophysikalische Methoden wie Seismik,<br />

Magnetik o<strong>der</strong> Gravimetrie lässt sich <strong>der</strong><br />

Einschlagkrater in seiner Gesamtstruktur finden <strong>und</strong><br />

abbilden. Das Problem, das bei diesen Kartierungen bislang<br />

immer wie<strong>der</strong> auftauchte, ist <strong>der</strong> Flachwasserbereich<br />

vor <strong>der</strong> Küste von Yucatán mit nur sehr geringen<br />

Wassertiefen, Sandbänken <strong>und</strong> Riffen. Hier können<br />

Forschungsschiffe nur schwer operieren. Deshalb ist<br />

ausgerechnet ein zentraler Teil des Kraters für oberflächennahe<br />

Messungen kaum zugänglich. Als<br />

Konsequenz wurde ausgehend vom <strong>GFZ</strong> in Kooperation<br />

mit <strong>der</strong> Universidad Nacional Autónoma de México<br />

(UNAM) <strong>und</strong> dem Consejo de Recursos Minerales de<br />

México eine geophysikalische Befliegung dieses kritischen<br />

Kraterbereiches durchgeführt. Vom Flugzeug aus<br />

wurde das lokale Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Anomalien, hervorgerufen durch den Krater, vermessen.<br />

Das <strong>GFZ</strong> Potsdam stellte die Gravimetrie- <strong>und</strong><br />

Navigationstechnik für das Experiment zur Verfügung,<br />

das Consejo de Recursos Minerales ein Flugzeug, das<br />

bislang nur für reine Aeromagnetik-Flüge benutzt<br />

wurde. Die UNAM koordinierte <strong>und</strong> finanzierte den<br />

Flugzeugeinsatz in enger Abstimmung mit dem<br />

Consejo. Das Messflugzeug ist eine Britten-Norman<br />

Islan<strong>der</strong>, ein kleines, zweimotoriges Flugzeug, ausgestattet<br />

mit einer Heckverlängerung für die Aeromagnetik-Sensorik<br />

(Abb. 1.34). In Zusammenarbeit mit den<br />

Technikern des Consejo wurde ein LaCoste&Romberg<br />

Fluggravimeter (Abb. 1.35), ein Strap-Down-Gravimeter<br />

<strong>der</strong> Bayerischen Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften,<br />

ein Inertial-Navigationssystem (INS), <strong>und</strong> mehrere<br />

GPS-Empfänger eingebaut (Abb. 1.36). Am Boden wurden<br />

drei GPS-Referenzstationen <strong>und</strong> eine Magnetik-<br />

Referenzstation betrieben.<br />

Nach erfolgreicher Flugzeuginstallation <strong>und</strong> ersten Tests<br />

wurden auf Wunsch des Consejo einige Testflüge über<br />

dem mexikanischen Hochland zwischen den Städten<br />

Zacatecas <strong>und</strong> Aguascalientes absolviert, bevor die<br />

eigentliche Aufgabe, die Kartierung des Chicxulub-<br />

Impaktkraters, von Merida in Yucatán aus begonnen<br />

wurde (Abb. 1.32).<br />

Der Chicxulub-Krater ist einer <strong>der</strong> größten Impaktstrukturen,<br />

die weltweit bekannt sind. Wie alle großen<br />

Impaktstrukturen dieser Art weist die Struktur des<br />

Kraters mehrere konzentrische Ringe auf, die sich durch<br />

die Seismik <strong>und</strong> Gravimetrie kartieren lassen. Dieses<br />

System von Ringen <strong>und</strong> Teilringen kommt in erster


Linie dadurch zustande, dass die steilen Kraterwände<br />

schon kurz nach dem Einschlag instabil werden <strong>und</strong><br />

aufeinan<strong>der</strong>folgende Hangrutschungen entstehen, die<br />

im Querschnitt Staffelbrüchen gleichen. Im Zentrum des<br />

Kraters ist die kontinentale Kruste nach dem Einschlag<br />

so ausgedünnt gewesen, dass <strong>der</strong> Erdmantel sich durch<br />

den fehlenden Gegendruck aufwölbte. Dieser Effekt<br />

zusammen mit dem durch den Aufprall aufgeschmolzenen<br />

Gestein lässt in <strong>der</strong> Kratermitte ein lokales<br />

Schwerehoch entstehen, kleinere Schwerehochs sind mit<br />

den Strukturen <strong>der</strong> übereinan<strong>der</strong>geschobenen Hangrutschungen<br />

verb<strong>und</strong>en – <strong>der</strong> Krater selbst ist durch die<br />

fehlende Masse <strong>der</strong> Erdkruste <strong>und</strong> die Sedimentfüllung<br />

mit geringer Dichte insgesamt ein Schweretief (Abb.<br />

1.37). Der Meteorit schlug in eine verkarstete Kalkplatte<br />

ein, dass heißt, <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong><br />

Erdkruste bestand aus Karbonaten. Damit trägt die<br />

Erdkruste in diesem Gebiet kaum eine eigene<br />

Magnetisierung. Umso deutlicher zeigen sich die<br />

geschmolzenen Teile <strong>der</strong> tieferen Erdkruste <strong>und</strong> des<br />

Meteoriten im Kraterzentrum in den neuen aeromagnetischen<br />

Daten (Abb. 1.38). Exakt im inneren<br />

Ringbereich des Chicxulub-Kraters finden sich deutliche,<br />

lokale Magnetfeldanomalien, während rings um<br />

den Krater das Magnetfeld eine eher glatte, homogene<br />

Ausprägung hat.<br />

Alle bisherigen geophysikalischen Modelle hatten den<br />

großen Nachteil, dass im zentralen Bereich Daten<br />

fehlten. Um trotzdem zu Ergebnissen zu kommen, wurden<br />

die Strukturen interpoliert. Erst nach <strong>der</strong> MEX-<br />

AGE-Befliegung kann überprüft werden, ob diese<br />

Interpolationen <strong>und</strong> die daraus abgeleiteten Modelle <strong>der</strong><br />

Kraterstruktur gerechtfertigt waren. Die Auswertung <strong>der</strong><br />

Aerogravimetriedaten <strong>und</strong> die Überprüfung <strong>der</strong> Modelle<br />

soll bis zum Ende des nächsten Jahres abgeschlossen<br />

werden. Dann sind auch die ersten Ergebnisse <strong>der</strong><br />

ICDP-Bohrung im Bereich des Chicxulub-Kraters zu<br />

erwarten. Ohne die tragende Hilfestellung des Teams <strong>der</strong><br />

Universidad Nacional <strong>und</strong> des Consejo de Recursos<br />

Minerales (Abb. 1.39) wäre das MEXAGE-Projekt nicht<br />

möglich gewesen.<br />

Abb. 1.31: Die Lage <strong>der</strong> Kontinente vor 65 Millionen<br />

Jahren <strong>und</strong> heute: die Dekka-Provinz <strong>und</strong> die Lokation<br />

des Chicxulub-Impaktes<br />

The position of the continents 65 million years ago and<br />

today: the Decca province and the location of the<br />

Chicxulub impact.<br />

Abb. 1.32: Die Untersuchungsgebiete<br />

<strong>der</strong><br />

MEXAGE-Flugkampagne<br />

in Mexiko, die Kreise<br />

deuten den inneren <strong>und</strong><br />

äußeren Kraterring des<br />

Chicxulub-Impakts an.<br />

The survey areas of the<br />

MEXAGE flight campaign<br />

in México, the circles<br />

indicate the inner<br />

and outer crater rings of<br />

the Chicxulub impact.<br />

167


168<br />

Abb. 1.33: Ansichten von<br />

Chicxulub<br />

(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

Views of Chicxulub<br />

Abb. 1.34: Das Flugzeug<br />

des Consejo de Recursos<br />

Minerales, am Heck des<br />

Flugzeugs ist die Verlängerung<br />

für den Aeromagnetiksensor<br />

angebracht.<br />

(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

The aircraft of the Consejo<br />

de Recursos Minerales, at<br />

the rear of the aircraft a<br />

sting for the aeromagnetometry<br />

sensor is mounted.<br />

Abb. 1.35: Das LaCoste<br />

&Romberg-Gravimeter, eingebaut<br />

im Flugzeug, im<br />

Hintergr<strong>und</strong> ist das Cockpit<br />

zu erkennen.<br />

(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

The LaCoste&Romberg gravitymeter<br />

mounted within<br />

the aircraft, in the back the<br />

cockpit.


Abb. 1.36: Schematische Skizze des Geräteeinbaus im<br />

Flugzeug<br />

Schematic sketch of the instrument installation within<br />

the aircraft<br />

Abb. 1.37: Schematische Skizze <strong>der</strong> Kraterstruktur<br />

direkt nach dem Einschlag <strong>und</strong> seine Verän<strong>der</strong>ung bis<br />

heute samt seiner gravimetrischen Signatur<br />

Schematic sketch of the crater structure immediatly after<br />

the impact and its changes until today with its present<br />

gravimetric signature<br />

Abb. 1.38: Aeromagnetikdaten<br />

des Chicxulub-Kraters<br />

Aeromagnetometry data of the<br />

Chicxulub impact structure<br />

Abb. 1.39: MEXAGE-Team (Flugzeug-Crew <strong>und</strong> Wissenschaftler) in Zacatecas <strong>und</strong> Merida(Fotos: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />

MEXAGE-Team (aircraft crew and scientists) in Zacatecas and Merida.<br />

169


170<br />

Gravimetrische Messungen am "South African<br />

Geodynamic Observatory Sutherland of <strong>GFZ</strong>"<br />

(SAGOS)<br />

1999 konnte das South African<br />

Geodynamic Observatory Sutherland<br />

(SAGOS) des <strong>GFZ</strong> seiner<br />

Bestimmung übergeben werden.<br />

Eines <strong>der</strong> Hauptinstrumente auf <strong>der</strong><br />

Station ist das bis zur Überführung<br />

in Potsdam betriebene Supraleitgravitmeter.<br />

Das Dual Sphere Supraleitgravimeter<br />

(SLG) ist das erste <strong>und</strong><br />

einzige Instrument auf dem<br />

afrikanischen Kontinent zur<br />

hochauflösenden (10 -11 m*s-2) <strong>und</strong><br />

driftarmen (einige 10 -8 m*s-2)<br />

Messung von Schwerevariationen<br />

im Periodenbereich von Minuten<br />

bis zu mehreren Jahren. Im März<br />

2000 begann die Registrierung des<br />

SLG mit 2 Schweresensoren, die<br />

vertikal in einem Abstand von<br />

19,63 cm angeordnet sind. Das<br />

SLG ist Teil eines 18 Stationen<br />

umfassenden weltweiten Netzes<br />

von Supraleitgravimetern, die im<br />

Rahmen des "Global Geodynamic Project (GGP)"<br />

zusammenarbeiten. Die wissenschaftlichen Zielstellungen<br />

sind die Erforschung von:<br />

• Erdgezeiten <strong>und</strong> Erdkernresonanz im Gezeitenband<br />

• Polbewegung<br />

• Eigenschwingungen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

• Erdkern-Moden<br />

• Schwerevariationen infolge Massenumlagerungen in<br />

<strong>der</strong> Atmosphäre <strong>und</strong> Hydrosphäre<br />

• Schwereän<strong>der</strong>ungen infolge tektonischer Bewegungen<br />

• Kalibrierung von hochgenauen Satelliten-<br />

Schweremessungen mittels Supraleitgravimeter-<br />

Messungen.<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche Untersuchung<br />

oben genannter Forschungsziele ist ein geringes<br />

Rauschen (Noise) an <strong>der</strong> Station. Zur Ermittlung <strong>der</strong><br />

Noise-Magnitude wurde von unbehandelten Schweredaten<br />

eines Monats (Februar 2001) des unteren<br />

Schweresensors G1l des SLG das Power-Spektrum<br />

berechnet. Das Power-Spektrum (PSD) in µgal 2 /mHz<br />

ist in Abb. 1.40 in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Frequenz<br />

dargestellt (blau). Die zugeordnete Noise-Magnitude<br />

NM =10* log(PSD) in dB (PSD in m*s -2 ) ist auf <strong>der</strong><br />

rechten y-Achse aufgetragen. Die Noise-Magnitude<br />

liegt unterhalb von 1 mHz dicht an bzw. unter dem<br />

"New Low Noise Model” (NLNM)) nach An<strong>der</strong>son<br />

1993 (magenta). Dieser Vergleich zeigt, dass die<br />

Station gute Voraussetzungen für gravimetrische<br />

Messungen bietet. In diesem Spektralbereich liegen<br />

auch die langperiodischen Eigenschwingungen <strong>der</strong><br />

<strong>Erde</strong>, die somit bestens detektiert werden können.<br />

Abb. 1.40: Blau: Power-Spektrum (PSD) <strong>und</strong> Noise-Magnitude (NM) des<br />

unteren SLG Sensors (G1l) Magenta: New Low Noise Model (NLNM)<br />

Blue: Power Spectral Density (PSD) and Noise Magnitude (NM) of lower SG<br />

sensor (G1l)<br />

Gezeitenparameter<br />

Es wurden erstmals die Gezeitenparameter für die<br />

Region Sutherland in Südafrika mit hochauflösenden<br />

gravimetrischen Daten bestimmt. Die Ergebnisse aus<br />

<strong>der</strong> Analyse einer 18- monatigen SLG-Datenreihe <strong>und</strong><br />

den zeitgleichen Luftdruckdaten, die zur Korrektur des<br />

Luftdruckeffektes dienen, sind im Abb. 1.41 zu sehen.<br />

Zum Vergleich wurden die Amplitudenfaktoren δ.<br />

(Verhältnis von beobachteter zu theoretischer<br />

Amplitude) nach dem Wahr-Dehant-Modell (gelb) <strong>und</strong><br />

die mit dem Programm ETERNA 3.3 ermittelten<br />

Amplitudenfaktoren δ. (blau) <strong>und</strong> Phasen κ. (grün).<br />

dargestellt. Die Abweichungen vom Modell sind deutlich<br />

zu erkennen. Für die Partialtiden mit den größeren<br />

Amplituden Q1, O1, P1, <strong>und</strong> K1 (ganztägige Perioden)<br />

sowie N2, M2, S2 <strong>und</strong> K2 (halbtägige Perioden) konnte<br />

die Korrektur <strong>der</strong> Ozean-Auflast nach dem Schwi<strong>der</strong>ski-<br />

Modell angebracht werden (rot). Es zeigt sich, dass die<br />

Korrektur <strong>der</strong> Ozean-Auflast nur bei den halbtägigen<br />

Partialtiden N2, M2, S2 <strong>und</strong> K2 eine Annäherung <strong>der</strong><br />

Parameter δ <strong>und</strong> κ. an die Modellwerte bringt. Bei den<br />

ganztägigen Partialtiden Q1, O1, P1 and K1 tritt hingegen<br />

eine zunehmende Abweichung zu den Modellwerten<br />

auf. Weitere Untersuchungen <strong>der</strong> Abweichungen <strong>der</strong><br />

Gezeitenparameter bis zu einer Verbesserung des<br />

Auflastmodells des Ozeans sind erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Eigenschwingungen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

Das Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von Peru (16,14S, 73,312 W,<br />

Tiefe 33 km, Magnitude 8,4) am 23. Juni 2001 um


20:33:14.14 UTC wurde vom Moden-Kanal des SLG<br />

aufgezeichnet. Zur Detektion <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> wurde ein Datensatz von 96 St<strong>und</strong>en nach dem<br />

Beben analysiert. Nach <strong>der</strong> Luftdruckkorrektur <strong>und</strong><br />

einer Tiefpassfilterung (Eckfrequenz 6 mHz) konnte das<br />

Spektrum bei Überlagerung <strong>der</strong> Daten mit einem<br />

Hanning-Window berechnet werden. Bild 1.42 zeigt die<br />

Eigenschwingungen bis zur Frequenz von OS10.<br />

Oberhalb des Spektrums sind die Modellwerte <strong>der</strong><br />

Frequenzen <strong>der</strong> sphäroidalen Moden aufgelistet. Ihre<br />

Frequenzen entsprechen den zugeordneten Gridlinien.<br />

Das geringe Rauschen an <strong>der</strong> Station <strong>und</strong> die hohe<br />

Auflösung des SLG lassen erstmals die langperiodischen<br />

Moden OS2, 2S1 <strong>und</strong> 0S3 so deutlich hervortreten.<br />

Zur Demonstration <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> des zeitlichen<br />

Verlaufs <strong>der</strong> Moden wurden die Daten nach dem<br />

Erdbeben einer Zeit-Frequenzanalyse mit Hilfe <strong>der</strong><br />

Abb. 1.41: Gezeitenparameter<br />

für die Station<br />

Sutherland. WD-Modell<br />

Parameter (gelb), berechnete<br />

Parameter (blau) <strong>und</strong><br />

(grün), Ozean Auflast korrigierte<br />

Parameter (blau)<br />

<strong>und</strong> (rot)<br />

Tidal Parameters for<br />

Sutherland site. WD Model<br />

parameter d (yellow), calculated<br />

parameters (blue)<br />

and (green), Ocean loading<br />

corrected parameters<br />

(blue) and (red)<br />

Abb. 1.42: Eigenschwingungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> nach dem<br />

Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von<br />

Peru (16,14 °S, 73,312 °W,<br />

Tiefe 33 km, Magnitude<br />

8,4) am 23. Juni 2001 um<br />

20:33:14.14 UTC<br />

Free Oscillation of the<br />

Earth after the Earthquake<br />

near the coast of Peru<br />

(16.14 °S, 73.312 °W, depth<br />

33 km, magnitude 8.4)<br />

on June 23, 2001 at<br />

20:33:14.14 UTC<br />

Wavelet-Transformation (Morlet-Wavelet) unterzogen.<br />

Das Wavelet-Spektrum in Abb. 1.43 zeigt die<br />

Herausbildung, das zeitliche Verhalten <strong>und</strong> das<br />

Abklingen <strong>der</strong> einzelnen Moden. Im Bild links sind die<br />

sphäroidalen Moden <strong>und</strong> rechts die zugeordneten<br />

Perioden dargestellt. Der untere Bildabschnitt zeigt die<br />

Daten nach dem Beben <strong>und</strong> das für die Berechnung des<br />

Spektrums benutzte Wavelet. Das Abklingen <strong>der</strong> einzelnen<br />

Moden erfolgt verschieden schnell. Die deutlich<br />

sichtbaren Amplitudenschwankungen während des<br />

Abklingens entstehen durch Überlagerung <strong>der</strong> einzelnen<br />

Moden sowie ihrer Aufspaltungen. Es ist ebenfalls<br />

festzustellen, dass die Perioden einiger Schwingungen<br />

mit zunehmen<strong>der</strong> Zeit etwas größer werden, z. B. OS2,<br />

OS4, 1S2. Die Wavelet-Transformation kann somit<br />

genutzt werden, um die zeitliche Periodenän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong><br />

die zeitlich abhängige Dämpfung <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />

zu untersuchen.<br />

171


172<br />

Abb. 1.43: Wavelet-Spektrum <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> nach dem Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von Peru<br />

Wavelet-Spectrum of the Free Oscillation of the Earth<br />

after the Earthquake near the coast of Peru<br />

Auswirkung globaler physikalischer Prozesse<br />

auf Rotation, Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld<br />

Im Rahmen des Forschungsvorhabens "Globale<br />

physikalische Prozesse" wurden die Einflüsse oberflächennaher<br />

Prozesse <strong>und</strong> von Bewegungen im Erdkern<br />

auf die Erdrotation <strong>und</strong> das Schwerefeld untersucht. Für<br />

die Berechnung <strong>der</strong> Bewegungen im Erdkern aus geomagnetischen<br />

Variationen an <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze<br />

wurden inverse Methoden zur Feldfortsetzung entwikkelt.<br />

Oberflächennahe Prozesse<br />

Ziel unserer früheren Untersuchungen war es, die<br />

saisonalen Ungleichgewichte im axialen Drehimpulsbudget<br />

zwischen fester <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> Atmosphäre besser zu<br />

quantifizieren. Die Resultate zeigten sich als signifikante<br />

Restabweichungen in verschiedenen LOD-<br />

AAM-Systemen (LOD: Lenght of Day; AAM: atmospheric<br />

angular momentum). Im komplexen Erdsystem<br />

sollten sie durch nicht berücksichtigte Erregungsquellen<br />

verursacht sein, wofür insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Drehimpulsaustausch<br />

mit den Ozeanen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hydrosphäre zu<br />

beachten ist. Deshalb wurden die Berechnungen hin-<br />

sichtlich weiterer atmosphärischer, ozeanischer <strong>und</strong><br />

hydrologischer Beiträge zu Tageslängenän<strong>der</strong>ungen<br />

erweitert. Zunächst wurden bisher noch fehlende axiale<br />

atmosphärische Drehimpulsdaten für die Atmosphärenschicht<br />

zwischen den Niveaus 10 <strong>und</strong> 0,3 hPa in <strong>der</strong><br />

oberen Stratosphäre herangezogen. Axiale ozeanische<br />

Drehimpulsdaten wurden mit Hilfe zweier ozeanischer<br />

Zirkulationsmodelle generiert. Da keine Zeitreihe zur<br />

Berechnung <strong>der</strong> saisonalen hydrologischen Beiträge verfügbar<br />

war, wurden neuere Abschätzungen <strong>der</strong><br />

Oberflächenspeicherung benutzt. Mit diesen Untersuchungen<br />

des globalen axialen Drehimpulsbudgets im<br />

saisonalen Bereich konnte gezeigt werden, dass es<br />

innerhalb <strong>der</strong> Unsicherheiten ausgeglichen ist.<br />

Seit Mitte <strong>der</strong> siebziger Jahre sind die Erdorientierungsparameter<br />

(EOP) mit sehr genauen geodätischen<br />

Raumverfahren überwacht worden. In unserer<br />

Untersuchung wurden die vom Jet Propulsion<br />

Laboratory berechneten EOP-Zeitreihen zur Untersuchung<br />

<strong>der</strong> zeitlichen Variabilität <strong>der</strong> Komponenten <strong>der</strong><br />

Polbewegung mit Chandler- <strong>und</strong> Jahresperiode benutzt.<br />

Nach Separierung <strong>der</strong> beiden Perioden wurden ihre<br />

Parameter <strong>und</strong> Ungenauigkeiten für Epochen mit<br />

Vierteljahresabstand berechnet. Für die Chandler- <strong>und</strong><br />

Jahresperiode wurden zeitliche Variationen <strong>der</strong><br />

Periodenlänge festgestellt. In Weiterführung dieser<br />

Analysen wurde die Aufmerksamkeit auf Polbewegungskomponenten<br />

gerichtet, die wesentlich kleinere<br />

Amplituden als die Chandler- <strong>und</strong> Jahreswellen haben.<br />

Aus den EOP-Zeitreihen konnten folgende Anteile<br />

separiert werden: Halb-Chandler- <strong>und</strong> halbjährliche<br />

Perioden <strong>und</strong> Anteile mit 4-, 3-, 2- <strong>und</strong> 1,5-monatigen<br />

Perioden sowie mit quasi-zweijährigen <strong>und</strong> 300-tägigen<br />

Perioden.<br />

Neben diesen Untersuchungen wurden ozeanische <strong>und</strong><br />

hydrologische Beiträge zur jahreszeitlichen Erregung<br />

<strong>der</strong> Polbewegung <strong>und</strong> entsprechen<strong>der</strong> Schwerefeldvariationen<br />

betrachtet. Der Einfluss auf die Polbewegung<br />

wird durch entsprechende Erregerfunktionen beschrieben,<br />

die bei Simulationen <strong>der</strong> ozeanischen <strong>und</strong> hydrologischen<br />

Prozesse berechnet werden. Von den frei verfügbaren<br />

Ozeanmodellen wurden die OMCT-, POCM<strong>und</strong><br />

MIT-Modelle (OMCT: Ocean Model for<br />

Circulation and Tides, POCM: Parallel Ocean Climate<br />

Model, MIT: Massachusetts Institute of Technology)<br />

verwandt. Für die Bodenfeuchte wurden die<br />

NCEP/NCAR-Reanalysen (NCEP: National Center for<br />

Environmental Prediction, NCAR: National Center for<br />

Atmospheric Research) <strong>und</strong> ergänzende Datenreihen<br />

herangezogen, die sich insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Schneebedeckung unterscheiden. Bisher<br />

konnte <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> Bodenfeuchte zu den<br />

Polbewegungs- <strong>und</strong> Schwerevariationen noch nicht ausreichend<br />

geklärt werden. Dagegen ergab sich aus <strong>der</strong><br />

Untersuchung zur Ozeandynamik ein signifikanter<br />

Beitrag zur jährlichen Polbewegung, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong> atmosphärischen<br />

Erregung <strong>der</strong> wichtigste in diesem<br />

Periodenbereich ist <strong>und</strong> den vorläufig geschätzten<br />

Beitrag <strong>der</strong> Bodenfeuchte wesentlich übersteigt.


Außerdem wurden die durch die Ozeandynamik verursachten<br />

Schwerefeldän<strong>der</strong>ungen für jährliche <strong>und</strong> halbjährliche<br />

Perioden, sowie für kürzere Perioden untersucht.<br />

Gr<strong>und</strong>lage dafür waren Modellsimulationen mit<br />

dem Ozeanmodell von Thomas <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>mann. Der<br />

Vergleich mit den erwarteten Genauigkeiten <strong>der</strong><br />

Satellitenmissionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE zeigte, dass<br />

ozeanbedingte Variationen des Schwerefeldes in den<br />

genannten Periodenbereichen mit CHAMP bis Grad <strong>und</strong><br />

Ordnung 8 <strong>und</strong> mit GRACE bis Grad <strong>und</strong> Ordnung 34<br />

nachgewiesen werden können.<br />

Schließlich wurden die Altimeterdaten aus den ERS1<strong>und</strong><br />

Topex-Poseidon-Missionen benutzt, um ozeanbedingte<br />

Polbewegungen aus Messungen <strong>der</strong> Meeresspiegelschwankungen<br />

abzuleiten. Es zeigte sich, dass<br />

die Ozeandynamik einen sehr hohen stochastischen<br />

Anteil an den Meeresspiegelschwankungen generiert.<br />

Demzufolge müssen genügend lange<br />

Datensätze vorliegen, um den deterministischen<br />

Anteil in den Zeitreihen<br />

<strong>der</strong> Meeresspiegelhöhe zu isolieren.<br />

Die ERS1-Datensätze sind hierfür<br />

nicht lang genug. Dagegen reicht die<br />

Länge des Topex-Poseidon-Datensatzes<br />

aus, um die Jahresperiode <strong>der</strong><br />

Erregerfunktion <strong>der</strong> Polbewegung zu<br />

bestimmen. Daneben wurde eine ca. 4jährige<br />

Oszillation ermittelt, die von<br />

einem Massentransport im Pazifik<br />

stammt, <strong>der</strong> vermutlich durch den El-<br />

Nino-Effekt verursacht wird.<br />

Relativbewegungen des Innenkerns,<br />

Polbewegungs- <strong>und</strong> Schwerevariationen<br />

Eine Bewegung <strong>der</strong> Figurenachse des<br />

Innenkernes um die Polachse <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

führt wegen <strong>der</strong> Abplattung des<br />

Innenkerns <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dichtedifferenz<br />

zwischen Innen- <strong>und</strong> Außenkern zu<br />

Massenumlagerungen, welche zeitliche<br />

Variationen <strong>der</strong> Polbewegung<br />

verursachen. Unter <strong>der</strong> Annahme, dass<br />

die hinsichtlich des atmosphärischen<br />

Einflusses reduzierten dekadischen<br />

Polbewegungen vollständig durch eine<br />

solche Bewegung des Innenkerns erzeugt werden, kann<br />

man mit Hilfe <strong>der</strong> Rotationsgleichungen die dazu<br />

notwendigen Variationen <strong>der</strong> Figurenachse berechnen.<br />

Benutzt man Standarddichtemodelle, so ergeben die<br />

Berechnungen, dass die Auslenkung <strong>der</strong> Figurenachse<br />

von <strong>der</strong> Polachse <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> in einem Winkelbereich von<br />

0,4° bis 1,4° schwankt, diese Schwankungen neben<br />

irregulären Anteilen die bekannten Perioden von ca. 30<br />

<strong>und</strong> 70 Jahren haben <strong>und</strong> die Figurenachse mit etwa 0,7°<br />

pro Jahr ostwärts driftet. Die Drift stimmt in Richtung<br />

<strong>und</strong> Betrag etwa mit den Vorhersagen mo<strong>der</strong>ner<br />

Dynamomodelle für den Außenkern überein. Dagegen<br />

kann die Auslenkung bisher nicht mit Drehmomentmodellen<br />

erklärt werden.<br />

Die durch die angenommene Relativbewegung des<br />

Innenkerns verursachten Massenverlagerungen wirken<br />

sich auch auf die Variationen des Schwerefeldes aus. Die<br />

entsprechenden Amplituden wurden aus <strong>der</strong><br />

Relativbewegung berechnet. Ein Vergleich <strong>der</strong><br />

Berechnungen mit <strong>der</strong> Genauigkeit gegenwärtiger<br />

Gravitationsfeldmodelle, z. B. GRIM4, <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />

erwarteten Genauigkeit <strong>der</strong> Satellitenmissionen<br />

CHAMP <strong>und</strong> GRACE zeigte, dass die Hypothese <strong>der</strong><br />

Innenkernbewegung während <strong>der</strong> nächsten 10 Jahre<br />

getestet werden kann. Voraussetzung ist, dass die<br />

Beiträge an<strong>der</strong>er Prozesse separiert werden können, was<br />

insbeson<strong>der</strong>e die genaue Erfassung des Gravitationseffektes<br />

oberflächennaher Prozesse auch im dekadischen<br />

Zeitbereich erfor<strong>der</strong>t.<br />

Abb 1.44.: Radialkomponente des Erdmagnetfeldes an <strong>der</strong> Kern-Mantel-<br />

Grenze für die Epoche 1930, berechnet durch nicht-harmonische<br />

Fortsetzung des poloidalen Feldes von Grad <strong>und</strong> Ordnung 8 für eine elektrische<br />

Leitfähigkeit σ = 3000 Ω -1 m -1 in den unteren 200 km des Erdmantels<br />

Radial component of the geomagnetic field at the core-mantle bo<strong>und</strong>ary<br />

for the epoch 1930 calculated by non-harmonic continuation of the<br />

poloidal geomagnetic field of degree and or<strong>der</strong> 8 assuming an electrical<br />

conductivity of σ = 3000 Ω -1 m -1 in the lowermost 200 km of the Earth's<br />

mantle<br />

Inverse Bestimmung des Magnetfeldes an <strong>der</strong><br />

Kern-Mantel-Grenze<br />

Für die Untersuchungen zur Kern-Mantel-Kopplung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Relativbewegungen ist die<br />

Kenntnis <strong>der</strong> geomagnetischen Variationen in <strong>der</strong><br />

gesamten Kern-Mantel-Übergangszone nötig.<br />

Vor ca. 5 Jahren wurde ein numerisches Verfahren zur<br />

inversen Lösung <strong>der</strong> Induktionsgleichung zur<br />

Ausbreitung geomagnetischer Variationen im Mantel<br />

entwickelt. Dieses nicht-harmonische Verfahren wurde<br />

inzwischen soweit verbessert, dass es sowohl auf Daten<br />

173


174<br />

Abb. 1.45: Geoidhöhenvariation in mm für Zweitagesintervalle im April 1994, verursacht durch ozeanische<br />

Massenumverteilung gemäß dem theoretischen Modell OMCT (Institut für Meeresk<strong>und</strong>e, Universität Hamburg)<br />

Geoid height variation in mm for two-day intervals in April 1994 caused by oceanic mass redistribution according<br />

to the theoretical model OMCT (Institute of Oceanography, University of Hamburg)<br />

mit kurzperiodischen Schwankungen als auch auf<br />

Rotationen des Außenkerns im Bereich <strong>der</strong> Kern-<br />

Mantel-Übergangszone anwendbar ist. Im Rahmen <strong>der</strong><br />

Untersuchungen wurde das für Inversionsverfahren typische<br />

Stabilitätsproblem durch Anwendung eines<br />

geeigneten mathematischen Algorithmus gelöst.<br />

Mit Hilfe des Verfahrens wurde zunächst für verschiedene<br />

Modelle <strong>der</strong> Leitfähigkeit des Mantels das<br />

Magnetfeld an <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze berechnet <strong>und</strong><br />

mit dem durch harmonische Verfahren bestimmten Feld<br />

verglichen. Danach wurde <strong>der</strong> Algorithmus modifiziert<br />

<strong>und</strong> eingesetzt, um das Feld in eine hochleitfähige<br />

Schicht unterhalb <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze fortzusetzen,<br />

die mit vorgegebener Winkelgeschwindigkeit differentiell<br />

rotiert. Die Ergebnisse zeigen, dass das nicht-harmonische<br />

Verfahren bei dekadischen Variationen nur für<br />

kurze Perioden zu erheblichen Abweichungen vom harmonischen<br />

Verfahren führen kann, bei subdekadischen<br />

Variationen universeller als die konventionelle<br />

Strömungsmethode anwendbar ist <strong>und</strong> erst in Schichten<br />

mit sehr hoher Leitfähigkeit wie <strong>der</strong> des Außenkerns an<br />

seine Grenze gelangt.<br />

Die gekoppelte Inversion von geomagnetischen <strong>und</strong><br />

Rotationsvariationen zeigte, dass das Drehimpulsgleichgewicht<br />

zwischen Kern <strong>und</strong> Mantel bei Modellen starr<br />

rotieren<strong>der</strong> Schichten im oberen Kern nur erreicht werden<br />

kann, wenn die Schichtdicke zeitvariabel angesetzt<br />

wird. Die Resultate sind dementsprechende Zeitreihen<br />

<strong>der</strong> Schichtdicke. Alternativ sollte in zukünftigen<br />

Untersuchungen die Dichte <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Kopplung<br />

beteiligten Schicht variabel gelassen <strong>und</strong> ihr<br />

Zeitverhalten durch Inversion bestimmt werden.<br />

Auswirkungen von Eis- <strong>und</strong> Wasserlasten auf<br />

Erdfigur, Deformations- <strong>und</strong> Schwerefeld<br />

Die kausale Beschreibung langperiodischer Deformationen<br />

des Erdkörpers basiert auf <strong>der</strong> Feldtheorie <strong>der</strong>


Gravito-Viskoelastodynamik. Ein wichtiger<br />

Prozess in diesem Periodenbereich<br />

sind insbeson<strong>der</strong>e die durch das<br />

Abschmelzen <strong>der</strong> pleistozänen <strong>und</strong><br />

heutigen Eislasten hervorgerufenen<br />

glazial-isostatischen Ausgleichsvorgänge.<br />

Die in diesem Zusammenhang<br />

vorrangigen Ziele des Forschungsvorhabens<br />

waren die Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen, die<br />

Erweiterung <strong>der</strong> Datenbasis sowie die<br />

Steigerung <strong>der</strong> Effizienz <strong>der</strong> Software-<br />

Pakete <strong>und</strong> die Modellierung glazialisostatischer<br />

Ausgleichsprozesse. Bei<br />

<strong>der</strong> Modellierung ging es um die<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Viskosität des Erdinnern<br />

<strong>und</strong> es wurde <strong>der</strong> Versuch unternommen,<br />

den Einfluss von Vertikalbewegungen<br />

<strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen<br />

auf die säkularen Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

abzuschätzen.<br />

Gravito-Viskoelastodynamik<br />

Die theoretische Behandlung langperiodischer<br />

Deformationen des Erdkörpers<br />

erfolgt mit Hilfe <strong>der</strong> Feldtheorie<br />

<strong>der</strong> Gravito-Viskoelastodynamik, wobei<br />

gewöhnlich Maxwell-Viskoelastizität<br />

angenommen wird. Im einzelnen<br />

wurden Fragen zur Kompressibilität<br />

<strong>und</strong> lateralen Heterogenität bearbeitet.<br />

Zur Untersuchung des Einflusses <strong>der</strong><br />

Kompressibilität auf das Relaxationsverhalten<br />

viskoelastischer Erdmodelle<br />

müssen zwei Teilprobleme gelöst<br />

werden: (1) Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

Auswirkungen <strong>der</strong> Selbstkompression<br />

auf die Dichtezunahme mit <strong>der</strong> Tiefe<br />

im ungestörten Zustand <strong>und</strong> (2)<br />

Berücksichtigung dieses Dichteprofils<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kompressibilität bei <strong>der</strong><br />

Berechnung des gestörten Zustandes.<br />

Zur Lösung <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Problematik war zunächst ein vereinfachtes<br />

sphärisches Erdmodell mit<br />

einem chemisch homogenen, kompressiblen<br />

Erdmantel entwickelt worden.<br />

Die Analyse <strong>der</strong> Lösung zeigte,<br />

dass sich das Erdmodell bei auflastinduzierten<br />

Deformationen stabil verhält.<br />

Im nächsten Schritt wurde das<br />

Modell realistischer gestaltet <strong>und</strong> die<br />

Lösung für Deformationen eines Erdmodells bestehend<br />

aus chemisch homogenen, kompressiblen Kugelschalen<br />

berechnet.<br />

Die Entwicklung lateral heterogener sphärischer<br />

Erdmodelle ist erschwert durch die Tatsache, dass<br />

Variationen <strong>der</strong> Viskosität in lateraler Richtung nicht<br />

Abb. 1.46: Durch Abschmelzen von Gletschern hervorgerufene<br />

Vertikalbewegung <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ung sowie damit verb<strong>und</strong>ene relative<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung an Gezeitenpegeln. Letztere ist zu trennen von <strong>der</strong><br />

durch Klimaän<strong>der</strong>ungen hervorgerufenen absoluten Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung.<br />

Vertical movement and geoid change due to the melting of glaciers as well<br />

as associated relative sea-level change at tide-gauges. The latter must be<br />

distinguished from absolute sea-level changes caused by climate change.<br />

Abb. 1.47: Permanente GPS-Stationen in Kanada <strong>und</strong> den nordöstlichen<br />

USA. Die rot gekennzeichneten Stationen wurden im Jahre 2001 vom <strong>GFZ</strong><br />

Potsdam in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Geodetic Survey Division in Ottawa<br />

installiert.<br />

Permanent GPS stations in Canada and the northeastern USA. The stations<br />

marked in red were installed in the year 2001 by the <strong>GFZ</strong> Potsdam in<br />

cooperation with the Geodetic Survey Division at Ottawa.<br />

klein gegenüber <strong>der</strong> mittleren Viskosität sind. Daher<br />

können hier keine störungstheoretischen analytischen<br />

Methoden Anwendung finden, <strong>und</strong> zur Modellierung<br />

beliebiger 3D-Verteilungen <strong>der</strong> Viskosität müssen<br />

komplexe numerische Verfahren entwickelt werden.<br />

Zur Kalibrierung dieser Verfahren <strong>und</strong> zum physikalischen<br />

Verständnis <strong>der</strong> Auswirkungen lateraler<br />

175


176<br />

Variationen sind allerdings analytische Lösungen für<br />

vereinfachte 2D-<strong>und</strong> 3D-Erdmodelle unerlässlich.<br />

Hierzu war zunächst die Lösung für eine Punktlast auf<br />

einem 2D-Erdmodell, bestehend aus zwei axialsymmetrischen<br />

Kugelschalen, berechnet worden. Diese<br />

Lösung wurde im weiteren Verlauf für zwei Kugelschalen<br />

mit voller 3D-Symmetrie verallgemeinert.<br />

Parallel dazu wurde ein numerisches Verfahren<br />

entwickelt, das bei <strong>der</strong> Interpretation die Verwendung<br />

von Erdmodellen mit beliebiger 3D-Verteilung <strong>der</strong><br />

Viskosität gestattet.<br />

Beobachtungsdaten, Eismodelle <strong>und</strong> Software-<br />

Entwicklung<br />

Zur Lösung <strong>der</strong> gestellten Aufgaben - verbesserte<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Viskosität des Erdinnern <strong>und</strong> Einfluss<br />

von Vertikalbewegungen auf säkulare Meereresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />

- ist es erfor<strong>der</strong>lich, neben <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong><br />

Komplexität <strong>der</strong> verwendeten Erdmodelle auch die zur<br />

Verfügung stehende Datenbasis zu erweitern <strong>und</strong> realis-<br />

tische Modelle <strong>der</strong> pleistozänen <strong>und</strong> gegenwärtigen<br />

Eisbedeckung zu entwickeln. Daneben ist für die<br />

Modellierung auch eine Erhöhung <strong>der</strong> numerischen<br />

Effizienz <strong>der</strong> zugehörigen Software von Bedeutung. Im<br />

einzelnen wurden folgende flankierende Maßnahmen<br />

ergriffen:<br />

Neben den von <strong>der</strong> geplanten Satellitenmission GRACE<br />

erwarteten Daten zur zeitlichen Variabilität des<br />

Schwerefeldes ist es für die gestellten Aufgaben<br />

notwendig, die verfügbaren konventionelle Beobachtungsdaten<br />

in die Modellierungen zu integrieren. Hierzu<br />

eignen sich vor allem Daten zur postglazialen relativen<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung (Palaeo-Strandliniendaten). Bei<br />

<strong>der</strong> Zusammenstellung dieser Daten konnte weitgehend<br />

auf Datenarchive an<strong>der</strong>er Institutionen zurückgegriffen<br />

werden, zum Teil mussten ergänzend eigene Recherchen<br />

<strong>der</strong> Fachliteratur vorgenommen werden. Gegenwärtig<br />

umfasst das Gesamtarchiv Daten von Nordamerika (ca.<br />

8865 Proben), Großbritannien (ca. 1048 Proben),<br />

Fennoskandien (ca. 553 Proben), <strong>der</strong> Barentssee (ca.<br />

Abb. 1.48: Mächtigkeit in m des globalen Eismodells ICE-3G für die nördliche Hemisphäre während des letzten<br />

glazialen Maximums <strong>und</strong> seit dem Ende <strong>der</strong> Abschmelzphase (links) sowie Mächtigkeit in m des regionalen<br />

Eismodells SVAL-R für Svalbard zum gegenwärtigen Zeitpunkt <strong>und</strong> angenommene Abschmelzgeschichten (rechts)<br />

Thickness in m of the global ice model ICE-3G for the northern hemisphere at the last glacial maximum and since<br />

the end of the deglaciation phase (left) as well as thickness in m of the regional ice model SVAL-R for Svalbard at<br />

the present time and assumed deglaciation histories (right)


264 Proben) <strong>und</strong> dem äquatorialen Bereich (ca. 349<br />

Proben). Des weiteren kann auch verstärkt auf GPS-<br />

Messungen <strong>der</strong> mit glazial-isostatischen Ausgleichsvorgängen<br />

verb<strong>und</strong>enen Vertikal- <strong>und</strong> Horizontalverschiebungen<br />

zurückgegriffen werden. Während diesbezüglich<br />

die Situation im fennoskandischen<br />

Hebungsgebiet befriedigend ist, ist die Abdeckung im<br />

kanadischen Hebungsgebiet noch unzureichend. Daher<br />

wurde im Rahmen des SEAL-Projekts <strong>und</strong> in<br />

Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Geodetic Survey Division,<br />

Ottawa, in Nordkanada ein Netzwerk von sechs permanenten<br />

GPS-Stationen an den Orten Baker Lake, Pickle<br />

Lake, Great Whale River, Val d'Or, Dartmouth <strong>und</strong> Sept<br />

Isle aufgebaut, das mittlerweile operativ ist.<br />

Für die Modellierung <strong>der</strong> globalen Umverteilung <strong>der</strong><br />

Eis- <strong>und</strong> Wassermassen während des Pleistozäns kann<br />

auf mehrere frei zugängliche geomorphologische (z.B.<br />

ICE-3G, SCAN-2, BARENTS-2) <strong>und</strong> thermomechanische<br />

(z.B. ICE-NH1) Eismodelle zurückgegriffen werden.<br />

Für Regionen mit hoher Dichte konventioneller<br />

Beobachtungsdaten, wie Fennoskandien, sind diese<br />

Modelle allerdings nicht ausreichend. Daher wurde für<br />

diese Region das hochauflösende Eismodell WEICH-<br />

SEL-3 entwickelt, das bei <strong>der</strong> Modellierung <strong>der</strong><br />

Beobachtungsdaten gegenüber früheren Interpretationen<br />

deutlich verbesserte Anpassungen erlaubt.<br />

Bei <strong>der</strong> Software-Entwicklung stand die Neuentwicklung<br />

von Computer-Codes sowie die Optimierung<br />

vorhandener Codes im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Gegenwärtig stehen<br />

für die Modellierung Codes für 1D-, 2D-o<strong>der</strong> 3D-<br />

Erdmodelle zur Verfügung, wobei für Vergleichszwecke<br />

auch unterschiedliche numerische Verfahren verwandt<br />

werden. Weitere Arbeiten beschäftigten sich mit <strong>der</strong><br />

numerischen Implementierung <strong>der</strong> zur Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Eis-Wasser-Umverteilung erfor<strong>der</strong>lichen<br />

"Sea Level Equation" für 2D- <strong>und</strong> 3D-Erdmodelle, was<br />

gegenüber herkömmlichen Verfahren für 1D-<br />

Erdmodelle erhebliche Modifikationen erfor<strong>der</strong>t.<br />

Abb. 1.49: Berechnete Vertikalbewegung, Geoidän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> resultierende relative Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung in Ny-<br />

Åles<strong>und</strong>, Svalbard, hervorgerufen durch glaziale Isostasie. Die Vorhersagen beziehen sich auf die Erdmodelle A1, A2<br />

<strong>und</strong> NA sowie auf das rezente Eismodell SVAL-R mit angenommenen Abschmelzgeschichten. Für die geophysikalisch<br />

plausiblen Erdmodelle A1 <strong>und</strong> A2 wird eine relative Meeresspiegelabsenkung vorhergesagt, welche die beobachtete<br />

relative Meeresspiegelabsenkung von ca. 2,6 mm pro Jahr übersteigt. Dies kann auf einen klimatisch bedingten<br />

absoluten Meeresspiegelanstieg hinweisen.<br />

Calculated vertical movement, geoid change and resulting relative sea-level change at Ny-Åles<strong>und</strong>, Svalbard, due to<br />

glacial isostasy. The predictions are based on earth models A1, A2 and NA as well as the recent ice model SVAL-R<br />

with assumed deglaciation histories. For the geophysically plausible earth models A1 and A2 a relative sea-level fall<br />

is predicted, which exceeds the observed relative sea-level fall of about 2.6 mm per year. This may indicate a climatically<br />

induced absolute sea-level rise.<br />

177


178<br />

Modellierung<br />

Bei <strong>der</strong> Modellierung standen die Bestimmung <strong>der</strong><br />

Viskosität des Erdinnern sowie <strong>der</strong> Einfluss von<br />

Vertikalbewegungen <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen auf säkulare<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />

Da die Vorhersage des Einflusses von glazial-isostatischen<br />

Vertikalbewegungen <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen auf<br />

die an Gezeitenpegeln beobachteten säkularen<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen realistische viskoelastische<br />

Erdmodelle voraussetzt, wurde zunächst <strong>der</strong> Versuch<br />

unternommen, die Kenntnis <strong>der</strong> Viskositätsverteilung im<br />

Erdinnern zu verbessern. Als Beispiel wurde<br />

Fennoskandien gewählt, wo als Folge einer früheren<br />

Modellierung mit ausgewählten Beobachtungsdaten <strong>und</strong><br />

vereinfachten Eismodellen bereits Erfahrungen vorliegen.<br />

Im weiteren Verlauf wurde diese Interpretation<br />

unter Einbeziehung <strong>der</strong> Gesamtheit <strong>der</strong> Palaeostrandlinien-<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Beobachtungsdaten <strong>und</strong> unter<br />

Verwendung des realistischen Eismodells WEICHSEL-<br />

3 für den nordeuropäischen Teil <strong>der</strong> pleistozänen<br />

Vereisung verbessert. Die Modellierung basiert auf <strong>der</strong><br />

neuentwickelten Software für radialsymmetrische kompressible<br />

Erdmodelle mit realistischem Dichteprofil.<br />

Bisherige Ergebnisse <strong>der</strong> Interpretation weisen auf<br />

Viskositäten von ca. 0,8 x 1021 Pa s im oberen<br />

Erdmantel <strong>und</strong> ca. 8 x 1021 Pa s im unteren Erdmantel<br />

hin. Für die Lithosphärenmächtigkeit ergibt sich eine<br />

obere Schranke von 115 km.<br />

Ein wichtiges Ziel im Rahmen des SEAL-Projekts ist<br />

die Berücksichtigung <strong>der</strong> mit glazial-isostatischen<br />

Ausgleichsvorgängen verb<strong>und</strong>enen Vertikalbewegungen<br />

<strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> Analyse von säkularen<br />

Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen. Hierzu wurde in einer<br />

Pilotstudie <strong>der</strong> Gezeitenpegel von Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />

Svalbard, ausgewählt <strong>und</strong> die Vertikalbewegungen mit<br />

Hilfe eines radialsymmetrischen Erdmodells untersucht.<br />

Die plausiblen Wertebereiche für die Lithosphärenmächtigkeit<br />

<strong>und</strong> Mantelviskosität basieren auf früheren<br />

Interpretationen <strong>der</strong> postglazialen Landhebung in <strong>der</strong><br />

Region Svalbard-Barentssee. Zur Simulation des<br />

Abschmelzens <strong>der</strong> kontinentalen Eismassen mussten für<br />

dieses Gebiet neben dem pleistozänen Eisschild auch<br />

Svalbards gegenwärtige Eiskappen <strong>und</strong> Gletscher<br />

berücksichtigt werden. Dazu wurde das globale<br />

Eismodell ICE-3G um das regionale Eismodell SVAL-R<br />

erweitert <strong>und</strong> die zugehörige Vertikalbewegung <strong>und</strong><br />

Geoidän<strong>der</strong>ung berechnet. Ergebnis <strong>der</strong> bisherigen<br />

Modellierungen ist, dass die durch glaziale Isostasie<br />

hervorgerufene Meeresspiegelabsenkung für plausible<br />

glazial-isostatische Modelle größer ist als die<br />

beobachtete säkulare Absenkung von ca. 2,6 mm pro<br />

Jahr, was auf einen klimatisch bedingten absoluten<br />

Meeresspiegelanstieg hinweisen kann.<br />

Fernerk<strong>und</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />

Arbeitsgegenstand im Projektbereich Fernerk<strong>und</strong>ung ist<br />

die Untersuchung von Möglichkeiten neuer fernerk<strong>und</strong>licher<br />

Methoden zur Identifikation <strong>und</strong><br />

Quantifizierung von Objekten <strong>und</strong> Oberflächenmaterialien<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Stellung in räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen<br />

Prozessabläufen. Dabei wird <strong>der</strong> raumbezogene <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Abb. 1.50: Spektrale Reflexionssignaturen städtischer Oberflächenmaterialien in hyperspektralen HyMap-Daten<br />

eines Testgebietes in Dresden<br />

Spectral reflectance signatures of urban surface materials obtained from hyperspectral HyMap data for a study area<br />

in the city of Dresden


spektrale Informationsgehalt von Daten unterschiedlicher<br />

Satelliten- <strong>und</strong> Flugzeugsensoren analysiert <strong>und</strong><br />

Konzepte sowie Algorithmen zur Auswertung für verschiedene<br />

geowissensschaftliche Fragestellungen<br />

entwickelt.<br />

Schwerpunktthemen bilden die Umwelt, Geologie <strong>und</strong><br />

verstärkt die Naturgefahren. Die methodischen<br />

Entwicklungen ergeben sich aus den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

drei Anwendungsbereiche <strong>und</strong> konzentrieren sich dabei<br />

auf die hyperspektrale Datenanalyse, Objekterkennung<br />

<strong>und</strong> SAR-Interferometrie.<br />

Umwelt<br />

Arbeiten des Projektbereiches zum Thema Stadtökologie<br />

befassen sich mit <strong>der</strong> Entwicklung von fernerk<strong>und</strong>lichen<br />

Algorithmen, die die automatisierte<br />

Identifizierung städtischer Oberflächen wesentlich<br />

verbessern <strong>und</strong> für die stadtplanerische Praxis einsatzfähig<br />

machen. Dazu werden gegenwärtig spektral<br />

hochauflösende Daten von flugzeuggetragenen hyperspektralen<br />

Fernerk<strong>und</strong>ungssensoren (z. B. DAIS 7915<br />

<strong>und</strong> HYMAP) genutzt. Diese Untersuchungen erfolgen<br />

im Hinblick auf eine zukünftige Verfügbarkeit von<br />

hyperspektralen Daten satellitengestützter Sensoren<br />

(OrbView 4), auf <strong>der</strong>en Basis ein Monitoring von urbanen<br />

Räumen möglich ist. Die wissenschaftlichen<br />

Arbeiten im Berichtszeitraum glie<strong>der</strong>n sich in zwei<br />

Punkte - den Aufbau einer spektralen <strong>Bibliothek</strong> für<br />

städtische Oberflächen im europäischen Bereich <strong>und</strong> die<br />

Integration von Mustererkennungsalgorithmen in die<br />

spektrale Auswertesoftware. Testgebiete bilden die<br />

Städte Dresden <strong>und</strong> Potsdam.<br />

Die spektrale <strong>Bibliothek</strong> ist eine Sammlung von spektralen<br />

Reflexionsmessungen verschiedenster städtischer<br />

Oberflächenmaterialien. Dazu zählen unterschiedliche<br />

Strassen- <strong>und</strong> Gehwegbeläge, Dachmaterialien sowie<br />

offene Freiflächen <strong>und</strong> Vegetationsflächen in ihrer für<br />

urbane Räume typischen Ausprägung. Jede dieser<br />

Oberflächen verfügt über ein bestimmtes Vermögen,<br />

Photonen zu absorbieren, zu brechen <strong>und</strong> zu reflektieren.<br />

Diese drei Prozesse sind wellenlängenabhängig.<br />

Die Reflexion wird mit einem Feldspektrometer<br />

spektral gemessen. Der Sensor zeichnet<br />

Reflexionswerte im Wellenlängenbereich von 350 bis<br />

2500 nm mit einer spektralen Auflösung von 1 nm auf.<br />

Die chemisch/stoffliche Zusammensetzung ist verantwortlich<br />

für die Höhe <strong>der</strong> Reflexion in jedem Kanal<br />

<strong>und</strong> äußert sich in einem materialtypischen<br />

Reflexionsspektrum. Somit gibt die spektrale<br />

<strong>Bibliothek</strong> Auskunft über spektrale Charakteristika<br />

von städtischen Oberflächen. Sie ist eine wichtige<br />

Datenbasis für die materialorientierte Auswertung<br />

hyperspektraler Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten mit dem Ziel<br />

einer flächendeckenden Identifizierung <strong>der</strong> städtischen<br />

Oberflächen. In Abb. 1.50 sind die spektralen<br />

Reflexionssignaturen in einem HyMap-Datensatz<br />

für einige Oberflächenmaterialien des Testgebietes<br />

Dresden dargestellt. Die Materialidentifizierung<br />

erfolgte im Vergleich mit den Signaturen <strong>der</strong><br />

Spektralbibliothek.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des kleinflächigen Wechsels von Oberflächentypen<br />

in Städten ergibt sich ein großer Anteil an<br />

Mischpixeln im Bild, was zur Entwicklung eines neuen<br />

Entmischungsprogrammes in den letzten Jahren führte.<br />

Ähnliche spektrale Eigenschaften einiger Dach- <strong>und</strong><br />

Bodentypen sowie die Unterdrückung <strong>der</strong> spektralen<br />

Eigenschaften im Bildpixel nicht-dominieren<strong>der</strong> Mischklassen<br />

erfor<strong>der</strong>te die Integration von räumlichen Zusatzinformationen<br />

im Auswerteprozess. Beispielsweise<br />

bestehen asphaltierte Straßen <strong>und</strong> Dachdeckungsbahnen<br />

aus Bitumen. Die Trennung von Straßen <strong>und</strong> Gebäuden<br />

ist jedoch aufgr<strong>und</strong> ihrer unterschiedlichen stadtökologischen<br />

Wirkungsweise von großer Bedeutung. So werden<br />

nun mit Hilfe von Mustererkennungsalgorithmen<br />

die Gebäudeflächen a priori automatisch im Bild detektiert,<br />

maskiert <strong>und</strong> ebenso wie die übrigen Objektflächen<br />

spektral identifiziert. Anschließend werden die<br />

unbekannten Mischpixel aufgr<strong>und</strong> ihrer räumlichen<br />

Nachbarschaftsbeziehungen zu bereits identifizierten<br />

Pixeln iterativ mit Hilfe eines Flächenwachstumsverfahrens<br />

analysiert. Als Ergebnis stehen somit neben dem<br />

dominierenden Oberflächentyp, dem prozentualen<br />

Anteil im Bildpixel, auch die Ergebnisse für die<br />

Mischklassen zur Verfügung.<br />

Geologie<br />

Im Rahmen eines GIF-Projektes (GIF: German-Israeli-<br />

Fo<strong>und</strong>ation) wurden hyperspektrale Daten des abbildenden<br />

Spektrometers DAIS 7915 mit dem Ziel<br />

analysiert, die Lithologie des magmatischen Komplexes<br />

Mt. Timna, Südisrael, zu kartieren. Bevor die Bilddatenauswertung<br />

erfolgte, mussten mehrere Vorverarbeitungsschritte<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Datenqualität<br />

durchgeführt werden. Der erste Schritt diente <strong>der</strong><br />

Elimination eines sensorbedingten Streifenmusters <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Minimierung des zufälligen Rauschanteils. Zur<br />

Entfernung des systematischen Rauschanteils musste<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Komplexität des Rauschmusters (zeilenabhängiges<br />

Sinusmuster) ein neuartiges Korrekturverfahren<br />

entwickelt werden. Die Minimierung des zufälligen<br />

Rauschens erfolgte durch Filterung <strong>der</strong> betroffenen<br />

Bildkomponenten nach einer MNF-Transformation. In<br />

einem zweiten Schritt wurde eine atmosphärische<br />

Korrektur <strong>der</strong> Bilddaten durchgeführt. Durch diese<br />

spektrale Normierung wird eine Identifizierung <strong>der</strong><br />

Mineralogie am Boden ermöglicht. Die Korrektur<br />

erfolgte nach Wellenlängenbereichen getrennt. Für die<br />

Umrechnung <strong>der</strong> Strahldichte in Reflexionswerte wurde<br />

die Empirical Line Methode verwendet, die Referenzmessungen<br />

im Felde voraussetzt. Für die Berechnung<br />

<strong>der</strong> Strahldichte am Boden aus <strong>der</strong> emittierenden<br />

Strahlung kam das Atmosphärenkorrekturprogramm<br />

Atcor 4 zur Anwendung. Anschließend erfolgte eine<br />

Trennung <strong>der</strong> berechneten Strahldichte in Emissivitäts<strong>und</strong><br />

Temperaturwerte. Dazu wurden verschiedene<br />

Verfahren (z.B. Alpha Residuals Method o<strong>der</strong><br />

Normalized Emissivity Method) getestet.<br />

179


180<br />

Mit diesen korrigierten Daten lassen sich nun zwei verschiedene<br />

Produkte erstellen. Basierend auf den<br />

Temperaturwerten können Temperaturkarten für das<br />

Testgebiet erstellt werden. Die Reflexions- bzw.<br />

Emissionswerte dienen als Gr<strong>und</strong>lage für die flächenhafte<br />

Kartierung <strong>der</strong> Lithologie des Mt. Timnas. Zur<br />

Klassifizierung <strong>der</strong> lithologischen Einheiten wurde ein<br />

künstliches neuronales Netzwerk eingesetzt, welches in<br />

<strong>der</strong> Lage ist, feinste spektrale Variationen zwischen den<br />

Einheiten selbstständig zu erkennen <strong>und</strong> zu berücksichtigen.<br />

Das Klassifizierungsergebnis (Abb. 1.51)<br />

zeigt eine gute räumliche Differenzierung <strong>der</strong> Hauptgesteinseinheiten<br />

<strong>und</strong> stimmt mit <strong>der</strong> Geologie im<br />

wesentlichen überein. Für Schwemmfächer <strong>und</strong> Wadis<br />

ergibt sich sogar eine feinere Unterscheidung einzelner<br />

Einheiten, die in <strong>der</strong> geologischen Karte allgemein als<br />

quartäre Ablagerungen zusammengefasst werden.<br />

Abb. 1.51: Klassifizierung <strong>der</strong> Lithologie des magmatischen Komplexes Mt. Timna, Südisrael<br />

Lithological classification of the magmatic Mt. Timna complex in Southern Israel<br />

Abb. 1.52: Ausschnitt des Klassifizierungsergebnisses einer<br />

Standardmethode (a) <strong>und</strong> eines neuen multitemporalen Ansatzes (b)<br />

Subset of the classification result obtained by (a) standard method and<br />

(b) new multitemporal approach<br />

Die Ergebnisse zeigen, dass eine genaue flächenhafte<br />

Kartierung mineralogisch/lithologischer Einheiten mittels<br />

hyperspektraler Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten durchführbar<br />

ist <strong>und</strong> zusätzlich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Spektraldaten eine<br />

Identifizierung von Mineralen, wie zum<br />

Beispiel Karbonate o<strong>der</strong> Tonminerale,<br />

anhand von Reflexionsdaten zulässt. Damit<br />

wird dem Geologen ein hilfreiches<br />

Werkzeug gegeben, das es ihm ermöglicht,<br />

seine Kartierungsarbeit zu optimieren <strong>und</strong><br />

sie auch in unzugänglichere Bereiche<br />

auszudehnen <strong>und</strong> dort durchzuführen.<br />

Auch für die Lagerstättenexploration ist<br />

die Auswertung von Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten<br />

von Bedeutung. Durch die Bilddaten-<br />

auswertung können Vorabkartierungen<br />

erfolgen, die beispielsweise Bereiche hydrothermaler<br />

Lagerstätten anhand bestimmter<br />

Mineralvergesellschaftungen (Kaolinit/Illit<br />

<strong>und</strong> Montmorillonit) eingrenzen


<strong>und</strong> somit zu Kosten- <strong>und</strong> Zeitersparnissen bei <strong>der</strong><br />

Geländearbeit führen. Es ist jedoch wichtig zu betonen,<br />

dass die Fernerk<strong>und</strong>ung als ein bedeutendes Hilfsmittel<br />

anzusehen ist, aber bei dem momentanen Stand <strong>der</strong><br />

Sensortechnik die Geländearbeit nicht ersetzt kann.<br />

Naturgefahren<br />

Untersuchungen von Naturgefahren im Hinblick auf<br />

Massenbewegungen, Erdbeben <strong>und</strong> Überschwemmungen<br />

stellen einen weiteren Schwerpunkt dieses<br />

Projektbereiches dar. Ziel ist es, mit Hilfe von<br />

Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten wichtige Informationen zur<br />

Risikoabschätzung <strong>und</strong> Prävention bereitzustellen.<br />

Testgebiete liegen in Europa <strong>und</strong> Asien.<br />

Das Projekt C1 "Satellitengestützte Charakterisierung<br />

<strong>und</strong> Inventarisierung von katastrophenrelevanten<br />

Elementen <strong>der</strong> natürlichen <strong>und</strong> anthropogenen<br />

Landschaftsausstattung" ist ein Teilprojekt (TP) des<br />

Deutschen Forschungsnetzes Naturkatastrophen<br />

(DFNK). Das DFNK ist in fünf unterschiedliche thematische<br />

Cluster unterteilt, wobei das Teilprojekt C1 in<br />

zweien dieser Cluster vertreten ist. Das Ziel des TP C1<br />

im Cluster "Risikoanalyse Hochwasser" ist die Analyse<br />

<strong>und</strong> Entwicklung von Klassifizierungsmethoden zur<br />

Erstellung aktueller Landnutzungskarten anhand von<br />

Satellitendaten. Für die Klassifizierung werden Daten<br />

des Satelliten Landsat 7 ETM von unterschiedlichen<br />

Zeitpunkten herangezogen, um über die multitemporale<br />

Information exaktere Klassifizierungsergebnisse <strong>der</strong><br />

Oberflächentypen zu gewinnen. Das neuentwickelte<br />

multitemporale Verfahren, das die zeitliche Komponente<br />

mittels a priori Wissens in einen Maximum-Likelihood-<br />

Ansatz einbindet, wird im Projekt mit an<strong>der</strong>en Standard-<br />

Klassifizierungsmethoden verglichen. Abb. 1.52<br />

verdeutlicht die Vorteile des neuen Ansatzes. Neben<br />

einer insgesamt stärkeren Homogenisierung des<br />

Ergebnisses werden mit Hilfe <strong>der</strong> temporalen<br />

Information eindeutige Entscheidungen über zeitab-<br />

Abb. 1.53: Schema zur Extraktion von Häusern aus Daten des<br />

Satellitensensors IKONOS<br />

Scheme for extraction of buildings from IKONOS satellite remote sensing<br />

data<br />

hängige Klassen (Fruchtfolge 1, Fruchtfolge 2) erst<br />

möglich. Feldarbeiten vor Ort dienen dazu, die<br />

Trainingsgebiete für die halbautomatischen Verfahren<br />

zu verifizieren <strong>und</strong> Informationen über Verän<strong>der</strong>ungen<br />

im Testgebiet während des betreffenden Zeitraums zu<br />

sammeln. Die Erkenntnisse des Feldeinsatzes werden in<br />

die Untersuchung einbezogen <strong>und</strong> auf diese Weise die<br />

Klassifizierungsmethoden in <strong>der</strong> weiteren Projektarbeit<br />

noch eingehen<strong>der</strong> analysiert <strong>und</strong> verfeinert.<br />

Innerhalb des Clusters "Risikoanalyse Erdbeben" wird<br />

im TP C1 untersucht, inwieweit eine automatische<br />

Extraktion von Häusern aus Satellitendaten möglich ist.<br />

Dazu werden Daten des wegen seiner räumlichen<br />

Auflösung einzig in Frage kommenden Satelliten<br />

IKONOS eingesetzt. Diese Daten wurden bereits gängigen<br />

Bildverarbeitungs- <strong>und</strong> Objekterkennungsmethoden<br />

unterzogen, wobei sich die Grenzen <strong>der</strong> Standardverfahren<br />

aufgr<strong>und</strong> z.B. <strong>der</strong> Objektvielfalt <strong>und</strong> des oftmals<br />

fehlenden Kontrasts zu angrenzenden Objekten herauskristallisierten.<br />

Daher wurde ein neuer Ansatz<br />

entwickelt, <strong>der</strong> die in den Bilddaten vorhandenen<br />

Objektinformationen (Kontext- <strong>und</strong> Formwissen, z.B.<br />

die Position von Schatten) optimal nutzt, um eine<br />

Erkennung von Häusern in den Bil<strong>der</strong>n trotz <strong>der</strong> genannten<br />

Schwierigkeiten zu erreichen. Die Entwicklung des<br />

Verfahrens dauert <strong>der</strong>zeit noch an, jedoch zeigt Abb.<br />

1.53 die gr<strong>und</strong>legende Vorgehensweise des aktuell<br />

vorgeschlagenen Ansatzes.<br />

Die rezenten Plattenbewegungen machen Zentralasien<br />

zu einem geodynamisch hoch aktiven Gebiet. Die damit<br />

verb<strong>und</strong>ene Auffaltung <strong>der</strong> jungen Gebirge (Tienshan,<br />

Pamir) ist mit starker seismischer Aktivität, Hebungen,<br />

Krustendeformationen <strong>und</strong> Massenbewegungen verb<strong>und</strong>en,<br />

die sich beson<strong>der</strong>s in Kirgistan im Randbereich des<br />

Fergana-Beckens in katastrophalen Hangrutschungen<br />

äußern. Sie bedrohen wichtigen Lebensraum <strong>und</strong><br />

for<strong>der</strong>n jedes Jahr Menschenleben. Aufgr<strong>und</strong> ihres<br />

weiträumigen Auftretens (Abb. 1.54) besteht ein hoher<br />

Bedarf an <strong>der</strong> Entwicklung von effektiven<br />

Methoden für eine Gefährdungseinschätzung<br />

im regionalen Maßstab.<br />

Ziel <strong>der</strong> Forschungsarbeiten ist die<br />

Entwicklung von methodischen Ansätzen<br />

zur Nutzung <strong>der</strong> Satellitenfernerk<strong>und</strong>ung<br />

für eine räumlich differenzierte Bewertung<br />

<strong>der</strong> Hangrutschungsgefährdung. Die bisher<br />

in Kirgistan vorgenommene Gefährdungseinschätzung<br />

konzentrierte sich vor<br />

allem auf ingenieurgeologische (Lithologie,<br />

Hangneigung) <strong>und</strong> meteorologischhydrologische<br />

Einflussfaktoren (Hangexposition,<br />

Nie<strong>der</strong>schlag, Schneebedeckung,<br />

Gr<strong>und</strong>wassersituation).<br />

181


182<br />

Diese vorwiegend auf die Analyse von einzelnen<br />

Hangrutschungen orientierten Untersuchungen erlaubten<br />

jedoch keine f<strong>und</strong>ierte regionale Gefährdungseinschätzung.<br />

Der Einsatz mo<strong>der</strong>ner Fernerk<strong>und</strong>ungsmethoden<br />

ermöglichte erstmals eine detaillierte<br />

<strong>und</strong> zugleich regionale Sicht auf Relief <strong>und</strong><br />

Strukturgeologie als wesentliche, Hangrutschungsprozesse<br />

kontrollierende Faktoren, den bisher wenig<br />

Bedeutung beigemessen wurde.<br />

Diesem Zweck diente <strong>der</strong> Aufbau einer großräumigen<br />

GIS-Datenbank auf <strong>der</strong> Basis von Daten optischer <strong>und</strong><br />

SAR-Satellitensysteme. Sie enthält neben Informationen<br />

zu Hangrutschungen geologische Basisinformationen<br />

<strong>und</strong> räumlich hochauflösende Digitale Geländemodelle<br />

(DGM). Auf ihrer Gr<strong>und</strong>lage werden visuelle <strong>und</strong><br />

numerische Ansätze zur kombinierten Analyse von fernerk<strong>und</strong>lichen<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>weitig erhobenen Daten in<br />

einem GIS entwickelt. Schwerpunkte sind dabei die<br />

raum-zeitliche Inventarisierung von Rutschungsereignissen<br />

sowie die räumlich differenzierte Charakterisierung<br />

von terrestrischen Einflussfaktoren.<br />

So ermöglichte die GIS-basierte Interpretation von<br />

Satellitendaten (Landsat-TM, MOMS-2P) in Kombination<br />

mit aus MOMS-2P-Daten abgeleitetem DGM<br />

(Kooperation mit DLR) die Identifizierung rezent aktiv-<br />

Abb. 1.54: Bruchtektonische Hauptstrukturen des Tienshan <strong>und</strong><br />

Hangrutschungsverteilung (Ausschnitt Landsat-TM/MSS Mosaik, R-G-B:<br />

Kanäle 4-2-1)<br />

Main tectonic structures of the Tienshan and areas of landslide activity (subset<br />

of Landsat-TM/MSS mosaic, R-G-B: bands 4-2-1)<br />

er regionaler <strong>und</strong> lokaler Bruchstrukturen. Ein Beispiel<br />

ist die Scherzone bei Maili-Sai (Abb. 1.55), die ein<br />

Parallelelement <strong>der</strong> bedeutenden Randbruchzone<br />

darstellt, die das ältere konsolidierte Basement von <strong>der</strong><br />

jüngeren Struktur des Fergana-Beckens trennt. In dieser<br />

komplexen Scherzone bilden sich sek<strong>und</strong>är NW-SO-<br />

Weitungselemente, die das Auslösen von Hangrutschungen<br />

räumlich kontrollieren. Analysen an<strong>der</strong>er<br />

Testgebiete ergaben ähnliche Mechanismen, die in<br />

Geländeuntersuchungen überprüft wurden. Aufbauend<br />

auf diesen Ergebnissen sind zukünftige Arbeiten auf die<br />

Entwicklung eines neuen bruchtektonischen Strukturmodells<br />

für den gesamten Ostrand des Fergana-Beckens<br />

ausgerichtet.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Reliefanalyse wurde das DGM auf sein<br />

Potential zur automatischen Extraktion von geomorphologischen<br />

Strukturen analysiert. Diese Untersuchungen<br />

dienen <strong>der</strong> Entwicklung von GIS-basierten<br />

Ansätzen zur faktorbezogenen Gefährdungseinschätzung.<br />

Die extrahierten morphologischen Strukturen<br />

(Abb. 1.56) spiegeln den gegenwärtigen Stand <strong>der</strong><br />

Reliefentwicklung wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> sind Ausdruck des<br />

Zusammenspiels von tektonischer Aktivität <strong>und</strong><br />

Erosion, das zu einem charakteristischen räumlichen<br />

Muster von Tiefen- <strong>und</strong> Kammlinien führt. Die halbkreisförmige<br />

Struktur des abgebildeten Beispiels wird<br />

als das Resultat großer Massenbewegungen<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

interpretiert. Diese Altstruktur liegt<br />

im Einflussbereich einer NW-SOstreichenden<br />

rechtsseitigen strikeslip-Zone,<br />

die unter dem <strong>der</strong>zeitigen<br />

Spannungsregime aktiv ist. Die<br />

extrahierten Strukturen repräsentieren<br />

Informationen, die visuell in<br />

dieser Form we<strong>der</strong> aus dem DGM<br />

noch aus den multispektralen<br />

Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten ableitbar<br />

sind.<br />

Auf Gr<strong>und</strong>lage dieser Ergebnisse<br />

ergeben sich neue Möglichkeiten<br />

für eine regionale Einschätzung<br />

<strong>der</strong> Hangrutschungsgefährdung<br />

auf dem Weg GIS-basierter Faktorenanalyse.<br />

Dabei ist das Ziel<br />

eine flächenhaft differenzierte<br />

Ausweisung von Bereichen mit<br />

starker Hangrutschungsgefährdung.<br />

Daraus ergeben sich neue<br />

Handlungsspielräume für den<br />

Katastrophenschutz <strong>und</strong> die Raumplanung.


Abb. 1.55: Perspektivische Darstellung auf <strong>der</strong> Basis<br />

des MOMS-2P DGM <strong>und</strong> Orthobilddaten: Strukturelle<br />

Kontrolle des Hangrutschungsregimes bei Maili-Sai<br />

Perspective visualization using MOMS-2P DEM and<br />

orthoimage: Structural control of landslide activity in<br />

the Maili-Sai area<br />

Die Technik <strong>der</strong> SAR-Interferometrie bietet<br />

Möglichkeiten, digitale Geländemodelle (DGM)<br />

herzustellen <strong>und</strong> kleine Bodendeformationen zu detektieren.<br />

Vom 7. März 1999 bis zum 2. Juli 1999 hat das<br />

<strong>GFZ</strong> eine INSAR-Kampagne mit einer Mobile SAR<br />

Receiving Station in Kitab (Usbekistan) durchgeführt.<br />

Ziel <strong>der</strong> Kampagne war es, neben <strong>der</strong> Aufnahme <strong>und</strong><br />

Archivierung <strong>der</strong> ERS-1/2 Radardaten eine sogenannte<br />

Near-Real-Time SAR- <strong>und</strong> INSAR-Datenprozessierung<br />

im Feld zu testen. In dem Kampagnenzeitraum von drei<br />

Monaten wurde ein großes Areal von 1000 km mal<br />

2000 km in Zentralasien (70°- 90° O / 32°- 42° N)<br />

akquiriert. Jeden Tag wurden in <strong>der</strong> Bodenstation 20<br />

Interferogramme <strong>und</strong> 10 differentielle Interferogramme<br />

produziert. Die Interferogramme stehen somit zur<br />

Generierung von DHMs zur Verfügung. Basierend auf<br />

den differentiellen Interferogrammen können kleinste<br />

Bodendeformationen near-real-time detektiert werden<br />

<strong>und</strong> somit die Instabilität <strong>der</strong> Bodenoberfläche<br />

überwacht werden.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit aus technischer Sicht stellt die häufige<br />

Nichtparallelität <strong>der</strong> Orbits mit Abweichungen von<br />

bis zu 10 Metern dar, die nicht mit Standardverfahren<br />

<strong>der</strong> SAR-Interferometrie ausgewertet werden können.<br />

Dies erfor<strong>der</strong>te die Entwicklung neuer Verfahren zur<br />

Coregistrierung <strong>der</strong> Datensätze <strong>und</strong> zur Bestimmung <strong>der</strong><br />

Fringefrequenzen. Der hohe Vegetationsanteil in den<br />

untersuchten Gebieten Zentralasiens erschwert weiterhin<br />

den Prozess des Phase Unwrapping. Durch<br />

Einbeziehung von Klassifizierungsergebnissen <strong>der</strong><br />

Oberfläche <strong>und</strong> eines sogenannten Minimum Cost Flow<br />

Approaches konnten erstmals gute Ergebnisse erzielt<br />

werden.<br />

Abb. 1.56: Automatische Extraktion geomorphologischer Strukturen aus MOMS-2P DGM<br />

Automatic extraction of geomorphological structures from MOMS-2P DEM<br />

Abb. 1.57 zeigt die Ergebnisse des D-INSAR-<br />

Prozessors für Urumqi, <strong>der</strong> Hauptstadt des Uigurischen<br />

Autonomen Gebietes Xinjiang (China). Im Norden von<br />

Urumqi befindet sich ein Becken - Junggar Pendi <strong>und</strong><br />

im Süden steigt das Tienshan-Gebirge an. Die durchschnittliche<br />

Höhe von Urumqi liegt bei etwa 800 Meter.<br />

Abb. 1.57a zeigt das Intensitätsbild. Das Höhenmodell<br />

des Gebiets (Abb. 1.57b) ist mit dem Tandempaar<br />

40234/20564 vom 26. <strong>und</strong> 27. März 1999 berechnet<br />

worden. Abb. 1.57c zeigt eine 3D-Perspektive des<br />

Gebietes zur Verdeutlichung <strong>der</strong> topographischen<br />

Charakteristik des Gebiets. Ein zweiter Schwerpunkt <strong>der</strong><br />

INSAR-Kampagne ist die Überwachung kleiner temporaler<br />

Än<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Bodenoberfläche.<br />

Dazu ist ein weiterer Datensatz (Orbit 21065),<br />

<strong>der</strong> 35 Tage später aufgenommen wurde, ausgewählt<br />

worden. Der D-INSAR-Prozesor hat die Topographie<br />

des Gebiets von dem Interferogramm zwischen Orbit<br />

21065 <strong>und</strong> 20564 subtrahiert <strong>und</strong> liefert somit das differentielle<br />

Interferogramm (Abb. 1.57d). Es zeigt, dass<br />

in den 35 Tagen zwischen den Aufnahmezeitpunkten<br />

keine mit Krustendeformationen in Zusammenhang stehenden<br />

großräumigen Verän<strong>der</strong>ungen stattgef<strong>und</strong>en<br />

haben. In dem D-Interferogramm sind jedoch viele<br />

kleinräumige temporale Än<strong>der</strong>ungen zu sehen.<br />

Mögliche Ursachen sind Vegetationswachstum, Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Bodenfeuchte o<strong>der</strong> Wasserbewegungen. 183


184<br />

Abb. 1.57: (a) Intensität, (b) Höhenmodell von Urumqi, (c) 3D-Perspektive <strong>und</strong> (d) D-Interferogramm<br />

(a) Intensity, (b) elevation model of Urumqi, (c) 3D-perspective and (d) D-interferogram

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