Kinematik und Dynamik der Erde - Bibliothek - GFZ
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2000/2001 Zweijahresbericht GeoForschungsZentrum Potsdam
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
GeoForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>)<br />
Stiftung des öffentlichen Rechts<br />
Telegrafenberg<br />
14473 Potsdam<br />
Redaktion:<br />
Dr. Jörn Lauterjung<br />
Franz Ossing<br />
Layout:<br />
Otto Grabe (<strong>GFZ</strong>) & Druckerei Arnold<br />
Druck:<br />
Druckerei Arnold<br />
Am Wall 15<br />
14979 Großbeeren<br />
© <strong>GFZ</strong> Potsdam 2002<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam ist Mitglied<br />
<strong>der</strong> Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft<br />
Deutscher Forschungszentren e.V.
146<br />
Blick aus dem Weltraum auf Zentralasien, Kirgistan <strong>und</strong> Nachbarstaaten, eine <strong>der</strong> geodynamisch aktivsten Regionen<br />
<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> (Landsat-TM/MSS-Falschfarbenbild aus den multispektralen Bildkanälen 4(Rot)-3(Grün)-2(Blau). Die<br />
Vegetation erscheint in rötlichen Farbtönen.<br />
View from Space onto Central Asia, Kyrgyzstan and surro<strong>und</strong>ing countries, one of the geodynamically most active<br />
regions in the world (Landsat-TM/MSS false color composite of multispectral bands 4(Red)-3(Green)-2(Blue).<br />
Vegetation appears in reddish colors.
Aufgabenbereich 1<br />
<strong>Kinematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
Der Planet <strong>Erde</strong> ist in ständiger Bewegung. Dazu tragen<br />
neben <strong>der</strong> variierenden Eigenrotation <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> um eine<br />
sich ständig verlagernde Rotationsachse im Wesentlichen<br />
die dynamischen Prozesse bei, die im Erdkern,<br />
Erdmantel <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Erdkruste ablaufen. Hinzu kommen<br />
von außen auf den Erdkörper wirkende Drehmomente<br />
sowie Strahlungs- <strong>und</strong> Partikelflüsse.<br />
Meßgrößen, die mit Struktur <strong>und</strong> <strong>Dynamik</strong> o<strong>der</strong> exogenen<br />
Einflussfaktoren zusammenhängen <strong>und</strong> die an <strong>der</strong><br />
Erdoberfläche bzw. im erdnahen Außenraum bestimmt<br />
werden können, sind: das Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld <strong>der</strong><br />
<strong>Erde</strong>, die Modulation <strong>der</strong> Eigenrotation <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>,<br />
Variationen seismischer Wellenlaufzeiten, horizontale<br />
<strong>und</strong> vertikale Krustenverschiebungen, Verän<strong>der</strong>ungen<br />
im Massehaushalt des globalen Wassers in seiner flüssigen,<br />
gasförmigen <strong>und</strong> gefrorenen Form.<br />
Zur genauen Abbildung von geogenen Prozessen <strong>und</strong><br />
Verän<strong>der</strong>ungen sind globale, kontinuierliche <strong>und</strong> genaue<br />
Datenreihen über lange Zeiträume von herausragen<strong>der</strong><br />
Bedeutung. Eine globale Abdeckung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> mit<br />
Beobachtungen in schneller zeitlicher Abfolge ist dabei<br />
nur mit erdnahen Satelliten zu erreichen. Über<br />
Bodenstationsnetze <strong>der</strong> Satellitengedäsie <strong>und</strong> Geophysik<br />
mit guter Verteilung über den gesamten Erdball erfolgt<br />
die Einbindung <strong>der</strong> Satellitenmessungen in den globalen<br />
Bezugsrahmen <strong>und</strong> damit die kalibrierte Beobachtung<br />
<strong>der</strong> dynamischen Prozesse im Erdinnern, in<br />
<strong>der</strong> Hydrosphäre, <strong>der</strong> Kryosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong> Atmosphäre.<br />
Zur adäquaten Umsetzung großer Datenmengen in<br />
Modelle werden entsprechende Technologien <strong>und</strong><br />
Softwaresysteme für die Datenverwaltung <strong>und</strong><br />
Datenprozessierung benötigt.<br />
Die Arbeiten des Aufgabenbereiches 1 orientierten sich<br />
im Berichtszeitraum an den folgenden wesentlichen<br />
Elementen: (1) die Entwicklung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Betrieb von<br />
Instrumenten <strong>und</strong> Trägersystemen zur Erfassung globaler<br />
konsistenter <strong>und</strong> homogener Messreihen, (2)<br />
Modellbildungsarbeiten mit selbstgewonnenen bzw. im<br />
internationalen Austausch erhaltenen Datensätzen sowie<br />
(3) Arbeiten zur Prozesserfassung <strong>und</strong> Interpretation.<br />
Schwerpunktarbeiten waren:<br />
• die Entwicklung, <strong>der</strong> Betrieb <strong>und</strong> die Überwachung<br />
von Satellitenmissionen <strong>und</strong> <strong>der</strong> sie unterstützenden<br />
Netzwerke, Empfangsstationen, Überwachungs- <strong>und</strong><br />
Verarbeitungssysteme. Dazu gehörten neben den<br />
letzten Abnahmetests, dem Start <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
anschließenden mehrmonatigen Übernahme-,<br />
Kalibrations- <strong>und</strong> Validationsphase für den Satelliten<br />
CHAMP, die Entwicklungsarbeiten zum Wissenschaftsdatensystem<br />
<strong>und</strong> den Laserreflektoren für die<br />
amerikanisch/deutsche Schwerefeldmission GRACE.<br />
Für die ESA-Fernerk<strong>und</strong>ungsmission ERS-2 wurden<br />
unter Einbeziehung des globalen Netzes von internationalen<br />
Laserstationen <strong>und</strong> des von <strong>der</strong> <strong>GFZ</strong>-<br />
Masterstationsmannschaft in Oberpfaffenhofen<br />
geleiteten Netzes von globalen PRARE-Stationen<br />
Bahnbestimmungsaufgaben übernommen.<br />
• die Arbeiten zur <strong>Kinematik</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>. Hierzu<br />
gehörten neben <strong>der</strong> Bestimmung von Polkoordinaten<br />
<strong>und</strong> Erdrotationsschwankungen die hochgenaue<br />
Bestimmung von Oberflächenform <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />
Verän<strong>der</strong>ung für kontinentale Kruste, Ozeane <strong>und</strong><br />
die großen polaren Eisgebiete. Die punkt- <strong>und</strong><br />
flächenhaften Erfassung von episodischen <strong>und</strong> kontinuierlichen<br />
Verschiebungen in Risikozonen <strong>der</strong><br />
<strong>Erde</strong>, des Fließens <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ns von großen<br />
Eisflächen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zirkulation <strong>der</strong> Wassermassen in<br />
den Ozeanen erfolgten mit mo<strong>der</strong>nen satellitengeodätischen<br />
Messverfahren, wie dem GPS, PRARE,<br />
SLR, <strong>der</strong> Satellitenaltimetrie sowie Verfahren <strong>der</strong><br />
Fernerk<strong>und</strong>ung im optischen <strong>und</strong> Radarbereich.<br />
• die Entwicklungen von Verfahren <strong>der</strong> boden- <strong>und</strong><br />
satellitengestützten GPS-Technologie <strong>und</strong> Anwendung<br />
in einem deutschlandweiten Netz für das<br />
CHAMP-Radiookkultationsexperiment, um die<br />
Tauglichkeit <strong>und</strong> Einsatzfähigkeit <strong>der</strong> GPS-Technologie<br />
für die Sondierung <strong>der</strong> Atmosphäre, die<br />
Kurzfrist-Wettervorhersage <strong>und</strong> die Klimaforschung<br />
zu prüfen.<br />
• Arbeiten zur Bestimmung <strong>und</strong> Interpretation des<br />
globalen Erdschwerefeldes, zur verbesserten<br />
Quantifizierung von globalen Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>und</strong> zur Untersuchung von zeitlichen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen des Schwerefeldes im Zusammenhang<br />
mit Massenumverteilungen im Erdkörper, im<br />
Bereich <strong>der</strong> Hydrosphäre, <strong>der</strong> Kryosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Atmosphäre. Für die Datenerfassung <strong>und</strong><br />
Auswertung werden dabei je nach Auflösung <strong>und</strong><br />
räumlicher Ausdehnung unterschiedliche Techniken<br />
<strong>und</strong> Verfahren eingesetzt. Dazu gehören die stationäre<br />
Präzisionsgravimetrie, die Fluggravimetrie,<br />
die Satellitengravimetrie, die Radaraltimetrie von<br />
Satelliten aus <strong>und</strong> verschiedene Einsatzverfahren für<br />
die GPS-Technologie.<br />
• Fernerk<strong>und</strong>liche Arbeiten zur Identifikation <strong>und</strong><br />
Quantifizierung von Objekten <strong>und</strong> Oberflächenmaterialien.<br />
Der raumbezogene <strong>und</strong> spektrale<br />
Informationsgehalt wird aus Daten unterschiedlicher<br />
Satelliten- <strong>und</strong> Flugzeugsensoren <strong>und</strong> über unterschiedliche<br />
Auswertekonzepte abgeleitet.<br />
147
148<br />
Die angesprochenen Arbeiten sind eingeb<strong>und</strong>en in die<br />
<strong>GFZ</strong>-Verb<strong>und</strong>projekte "Erdmodelle" <strong>und</strong> "Erdbebendeformationsprozesse"<br />
<strong>und</strong> sind tragende Elemente in<br />
den HGF-Strategiefonds-Projekten "GASP - GPS<br />
Atmosphere So<strong>und</strong>ing" <strong>und</strong> "SEAL - Sea Level<br />
Changes". Die Projekte CHAMP <strong>und</strong> GRACE tragen<br />
wesentlich zum Geotechnologieprogramm-Thema 2<br />
"Beobachtung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> aus dem Weltraum" bei.<br />
Abb. 1.1: PRARE-Radom auf <strong>der</strong> Ballonhalle <strong>der</strong><br />
deutschen "Neumeyer"-Antarktisstation (Foto: R.<br />
Metzig, AWI)<br />
PRARE radom on the balloon hall of the German<br />
Antarctic station "Neumeyer"<br />
Globale Netze <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
Zur Durchführung <strong>und</strong> Unterstützung <strong>der</strong> eigenen<br />
Forschungsarbeiten, aber auch zur Unterstützung einer<br />
Vielzahl von Arbeiten in nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />
Programmen betreibt das <strong>GFZ</strong> ein sich ständig vergrößerndes<br />
Netz von global verteilten GPS-<br />
Permanentstationen. Seit 2000 ist deutschlandweit ein<br />
permanentes Netz von GPS-Empfängern auf Stationen<br />
des Deutschen Wetterdienstes installiert worden. Daten<br />
von diesen insgesamt mehr als 50 permanenten <strong>GFZ</strong>-<br />
GPS-Stationen werden mit einer Verzögerungszeit von<br />
weniger als einer St<strong>und</strong>e in Potsdam empfangen.<br />
Im Herbst 2000 konnte die auf S-Band-Empfang<br />
umgerüstete <strong>GFZ</strong>/DLR 4m-Empfangsantenne endgültig<br />
für den CHAMP-Datenempfang in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />
Spitzbergen, aufgebaut <strong>und</strong> in Betrieb genommen werden<br />
(s. Abb. 1.2). Mit dieser Antenne in hoher geographischer<br />
Breite (79°) können CHAMP-Daten direkt<br />
nach jedem Umlauf empfangen <strong>und</strong> in sehr schnell verfügbare<br />
Bahn- <strong>und</strong> Atmosphärenprodukte umgesetzt<br />
werden.<br />
Im Spätsommer 2001 konnte die neue <strong>GFZ</strong>-<br />
Laserradaranlage mit Zwillingsteleskop auf dem<br />
Telegrafenberg abgenommen werden. Seit kurzem werden<br />
erste Testmessungen zu den Satelliten LAGEOS,<br />
TOPEX <strong>und</strong> CHAMP durchgeführt, die zeigen, dass mit<br />
dem neuen System Subzentimetergenauigkeiten für die<br />
Entfernungsmessung erreicht werden können. Nach<br />
Beendigung <strong>der</strong> Anschlussmessungen an das alte<br />
Messsystem wird die neue Station zur offiziellen <strong>GFZ</strong>-<br />
Laserstation im International Laser Ranging Service<br />
(ILRS) avancieren.<br />
Abb. 1.2: CHAMP-S-Band-Empfangsantenne in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />
Spitzbergen während des Aufbaus im Oktober<br />
2000 (Foto: D. S<strong>und</strong>ermann, DLR)<br />
CHAMP S-band receiving antenna in Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />
Svalbard, during installation in October 2000<br />
Abb. 1.3: Neue Lasermessanlage des <strong>GFZ</strong> auf dem<br />
Telegrafenberg in Potsdam (Foto: B. Stöcker, <strong>GFZ</strong>)<br />
New <strong>GFZ</strong> laser tracking station on the Telegrafenberg in<br />
Potsdam<br />
Neben den genannten permanenten Beobachtungssystemen<br />
betreibt <strong>der</strong> Aufgabenbereich 1 momentan etwa<br />
50 weitere mobil einsetzbare Mikrowellen-Systeme (10<br />
PRARE-, 3 GLONASS-, 38 GPS-Stationen). Von diesen<br />
Stationen sind die 10 PRARE-Stationen praktisch ebenfalls<br />
permanent im Einsatz. Die restlichen Stationen<br />
wurden im Kampagnenbetrieb in Zentralasien, in<br />
Südamerika <strong>und</strong> in Mittelamerika eingesetzt.
Das PRARE-System (Precise Range and Range Rate<br />
Equipment) dient als satellitenzentrales Zweiweg-<br />
/Zweifrequenz-Entfernungs- <strong>und</strong> Dopplermesssystem<br />
primär <strong>der</strong> hochgenauen Bestimmung <strong>der</strong> Bahn des<br />
Trägersatelliten, <strong>der</strong> Koordinaten <strong>der</strong> Beobachtungsstationen<br />
<strong>und</strong> weiterer, über die Satellitenbahn ableitbarer<br />
geodätisch-geodynamischer Parameter. Es wurde erstmals<br />
im Zeitraum Januar 1994 bis November 1995 vom<br />
<strong>GFZ</strong> auf dem russischen Wettersatelliten Meteor-3/7<br />
erprobt <strong>und</strong> ist seit Mai 1995 auf dem europäischen<br />
Fernerk<strong>und</strong>ungssatelliten ERS-2 als primäres Bahnvermessungssystem<br />
im Einsatz.<br />
Abb. 1.4: Funktionsschema des PRARE-Systems<br />
Functional scheme of the PRARE system<br />
Nachdem das System wegen <strong>der</strong> überlangen Lebenszeit<br />
von ERS-2 die projektierte Lebensdauer inzwischen<br />
weit überschritten hat, wurde im Mai 2000 ein<br />
Umschalten auf das identische PRARE-Reservemodul<br />
des Satelliten notwendig. Danach konnte wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />
gewohnten Genauigkeit <strong>und</strong> Zuverlässigkeit gemessen<br />
werden. Die einsekündlichen Entfernungsmessungen<br />
zeigen ein Rauschen von 2,5 (Äquator) bis 6,0 cm<br />
(Pole), das Rauschen <strong>der</strong> über 30 Sek<strong>und</strong>en integrierten<br />
Dopplermessungen beträgt lediglich etwa 0,1 mm/s.<br />
Die Sammlung <strong>und</strong> Verarbeitung aller PRARE-Primär<strong>und</strong><br />
Sek<strong>und</strong>ärmessdaten (Level 0/Level 1-Daten)<br />
betreibt das <strong>GFZ</strong> im Auftrag des DLR. Zur Zeit werden<br />
pro Woche etwa 300 Passagen vorverarbeitet (s. Abb.<br />
1.5). Darüber hinaus koordiniert das <strong>GFZ</strong> die<br />
Funktionalität des weltweiten PRARE-Bodenstationsnetzes<br />
mit 10 operationellen Bodenstationen.<br />
Die Vorverarbeitung <strong>der</strong> Messdaten erfolgt in <strong>der</strong> -<br />
ebenfalls vom <strong>GFZ</strong> betriebenen - PRARE-Masterstation<br />
in Oberpfaffenhofen auf täglicher <strong>und</strong><br />
wöchentlicher Basis. Die aufbereiteten Messdaten<br />
werden interessierten Nutzern zur Verfügung gestellt.<br />
Hauptnutzer ist das <strong>GFZ</strong> selbst, das im Auftrag <strong>der</strong><br />
ESA diese Daten zur operationellen vorläufigen <strong>und</strong><br />
präzisen Bahnbestimmung des ERS-2 Satelliten<br />
nutzt.<br />
Neben den hochgenauen Abstands- <strong>und</strong> Dopplermessungen<br />
liefert das PRARE-System auch Informationen<br />
über den Gesamtelektroneninhalt pro m 2 (TEC) entlang<br />
<strong>der</strong> Signalausbreitungsstrecke. Diese werden sowohl<br />
aus den Einweg-Laufzeitdifferenzen zwischen dem S<strong>und</strong><br />
dem X-Bandsignal, als auch aus den Zweiweg-<br />
Messungen des Raumsegments über die DRVID-<br />
Methode (Differenced Range versus Integrated<br />
Doppler) abgeleitet.<br />
Bedingt durch die lange Lebensdauer des Systems<br />
muss inzwischen vermehrt Arbeit in die Koordinierung<br />
des Betriebes des Bodenstationsnetzes<br />
gesteckt werden. Mit großem Einsatz ist es gelungen,<br />
die Zahl <strong>der</strong> global verteilten ständig beobachtenden<br />
mobilen Stationen bei ca. 10 zu halten. In Verbindung<br />
mit den Messungen des wetterabhängigen Laserstationsnetzes<br />
erlaubt dies eine gute Datenabdeckung <strong>der</strong><br />
ERS-2-Satellitenbahn zum Zwecke <strong>der</strong> Bahnbestimmung.<br />
149
150<br />
Abb. 1.5: ERS-2 PRARE- <strong>und</strong> Laser-Passagen pro Woche seit Anfang 1999<br />
ERS-2 PRARE- and SLR-passes per week since beginning of 1999<br />
Für die schnelle <strong>und</strong> zuverlässige Bahnbestimmung<br />
von CHAMP, aber insbeson<strong>der</strong>e auch für die<br />
Auswertung von Okkultationsereignissen dieser<br />
Mission wird vom <strong>GFZ</strong> <strong>und</strong> dem Jet Propulsion<br />
Laboratory (JPL) gemeinsam ein Netz von 28 hochratigen<br />
GPS-Empfangsstationen mit sicherer Kommunikationsanbindung<br />
betrieben. Das Netz ist zwischenzeitlich<br />
in die Infrastruktur des Internationalen GPS-<br />
Dienstes (IGS) eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Daten dieses Netzes<br />
werden intensiv für die Erstellung von IGS-<br />
Standardprodukten <strong>und</strong> die Bahnbestimmungsuntersuchungen<br />
in <strong>der</strong> Low Earth Orbiter (LEO)<br />
Arbeitsgruppe des IGS genutzt.<br />
Der Aufgabenbereich 1 ist maßgeblich an wichtigen<br />
Komponenten <strong>der</strong> IGS-Infrastruktur beteiligt: Leitung<br />
des Governing Boards, Leitung <strong>der</strong> Atmosphere<br />
Working Group <strong>und</strong> des Tide Gauge Benchmark Project<br />
for Sea Level Monitoring, Bereitstellung <strong>und</strong> Betreuung<br />
von etwa 20 Permanentstationen im IGS-Netz, Betrieb<br />
eines Operational Data Centers <strong>und</strong> schließlich Betrieb<br />
eines IGS-Analysezentrums. Die am <strong>GFZ</strong>-Analysezentrum<br />
erzeugten Produkte sind hochgenaue Bahnen<br />
aller GPS-Satelliten, Korrekturen zu allen Satellitenuhren,<br />
Polkoordinaten <strong>und</strong> Rotationsschwankungen.<br />
Die höchste Genauigkeit haben hierbei die sogenannten<br />
FINAL-Produkte, die auf wöchentlicher Basis<br />
mit einigen Tagen Verzögerung berechnet werden.<br />
Genauigkeiten von 2 bis 3 cm für die GPS-Bahnephemeriden,<br />
0,1 ns für die Uhrengenauigkeit <strong>und</strong> 0,1<br />
mas für die Polkoordinaten sind heute <strong>der</strong> vom <strong>GFZ</strong>-<br />
Analysezentrum erreichte Genauigkeitsstand bei <strong>der</strong><br />
Auswertung von GPS-Beobachtungen.<br />
Für operative Anwendungen werden täglich sogenannte<br />
RAPID-Produkte generiert, die bereits 10 St<strong>und</strong>en nach<br />
Tagesende Bahnen <strong>und</strong> Uhren <strong>der</strong> GPS-Satelliten<br />
(Genauigkeit 5 bis 8 cm bzw. 0,2 ns; Abb. 1.7) <strong>und</strong><br />
Erdrotationsparameter liefern.<br />
Mit <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> globalen Kommunikation ist<br />
eine Vielzahl von Stationsbetreibern, so auch das <strong>GFZ</strong>,<br />
dazu übergegangen, nicht nur einmal am Tage die GPS-<br />
Daten an die globalen Datenzentren zu senden, son<strong>der</strong>n<br />
stündlich. Damit wird eine Nahezu-Echtzeit-Nutzung<br />
von GPS in <strong>der</strong> Geodäsie <strong>und</strong> Geophysik möglich. Um<br />
diese Entwicklung zu unterstützen, werden vom IGS<br />
ULTRA-RAPID-Produkte zweimal täglich den Nutzern<br />
zu Verfügung gestellt. Diese beinhalten neben den<br />
üblichen Produkten, <strong>der</strong>en Genauigkeiten denen von<br />
RAPID sehr nahekommmen (vgl. Abb. 1.7), vor allem<br />
auch Vorhersagen <strong>der</strong> GPS-Bahnen, die mit etwa 15 bis<br />
20 cm Genauigkeit um wenigstens eine Größenordnung<br />
besser als die Broadcast-Ephemeriden des GPS-Systems<br />
sind. Diese neuen Produkte sind für Anwendungen wie<br />
beispielsweise die Atmosphären-Sondierung von großem<br />
Interesse <strong>und</strong> werden daher am <strong>GFZ</strong> für die<br />
Arbeiten im GASP-Projekt sogar dreistündlich aufdatiert,<br />
um eine Prädiktionsgenauigkeit von nahe 10 cm<br />
zu erreichen (Abb. 1.8).
Deformationen <strong>der</strong> Erdoberfläche<br />
Regionale GPS-Deformationsnetze sind in Südamerika<br />
(SAGA-Netz), Zentralasien (CATS-Netz) <strong>und</strong> Südostasien<br />
(GEODYSSEA-Netz) aufgebaut <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holt<br />
eingemessen worden. Im Berichtszeitraum konzentrierten<br />
sich die Arbeiten auf den südamerikanischen Raum.<br />
Ziel <strong>der</strong> SAGA-Aktivitäten (SAGA: South American<br />
Geodynamic Activities) ist ein besseres Verständnis <strong>der</strong><br />
Deformationsprozesse, die die Anden - als Typvertreter<br />
für subduktionsbezogene Orogene - gestaltet haben.<br />
Nachdem die ersten GPS-Messungen im SAGA-Netz<br />
gezeigt haben, dass die gegenwärtige Deformation <strong>der</strong><br />
zentralen <strong>und</strong> südlichen Anden vom Erdbebenzyklus<br />
dominiert wird, sind jetzt Untersuchungen zum<br />
Verständnis <strong>der</strong> Erdbebenprozesse Thema des Projektes.<br />
Neben co-seismischen <strong>und</strong> post-seismischen Deformationen<br />
haben die GPS-Messungen im Rahmen des<br />
Abb. 1.6: Globales Netz<br />
von IGS-Stationen, für die<br />
kombinierte troposphärische<br />
Produkte bereitgestellt<br />
werden<br />
Global network of IGS stations<br />
for which combined<br />
tropospheric products are<br />
available<br />
Abb. 1.7: Genauigkeit <strong>der</strong><br />
ULTRA-RAPID-Bahnprodukte,<br />
die als Basis für die<br />
Bahnprädiktionen herangezogen<br />
werden<br />
Precision of ULTRA-<br />
RAPID orbit products used<br />
for predicting the GPS<br />
orbits<br />
Abb. 1.8: Genauigkeit <strong>der</strong><br />
ULTRA-RAPID-Bahnprädiktionen<br />
bei dreistündlicher<br />
Wie<strong>der</strong>holrate<br />
Precision of the ULTRA-<br />
RAPID predictions when<br />
updating is every three<br />
hours<br />
SAGA-Projektes eine starke inter-seismische Kompression<br />
im zentralen Teil des GPS-Netzes aufgedeckt.<br />
Dies ist auf eine hohe Kopplung entlang des seismischen<br />
Interface zwischen <strong>der</strong> abtauchenden ozeanischen<br />
Nazcaplatte <strong>und</strong> <strong>der</strong> kontinentalen Südamerika-Platte<br />
zurückzuführen. Die Ausdehnung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> seismischen<br />
Kopplung spielen eine wesentliche Rolle bei<br />
<strong>der</strong> Entstehung von schweren Interplatten-Erdbeben.<br />
Geodätische Beobachtungen sind sehr wahrscheinlich<br />
das einzige Hilfsmittel, mit dem <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />
Kopplung entlang <strong>der</strong> seismogenen Zone abgeleitet<br />
werden kann. Da die Akkumulation von elastischer<br />
Verformung, die in zukünftigen Erdbeben freigelassen<br />
werden kann, we<strong>der</strong> räumlich noch zeitlich<br />
gleichförmig ist, müssen geodätische Netze wie<strong>der</strong>holt<br />
vermessen werden. Dies wurde im SAGA-Netz<br />
in den Jahren 1999 <strong>und</strong> 2000 erfolgreich durchgeführt.<br />
151
152<br />
Abb. 1.9: Die Vektoren zeigen die Punktverschiebungen<br />
im Bereich des SAGA-Netzes, die nach Abzug <strong>der</strong> modellierten<br />
interseismischen Akkumulation von den<br />
gemessenen Vektoren übrigbleiben. Der abgeleitete seismogene<br />
Bereich entlang <strong>der</strong> Subduktionszone ist in grau<br />
dargestellt: dunkelgrau zeigt 100% Kopplung, hellgrau<br />
ist <strong>der</strong> Übergangsbereich, in dem die Kopplung linear<br />
von 100% auf 0% abnimmt. Die Konturlinien zeigen die<br />
Wadati-Benioff-Zone an.<br />
Red vectors depict residual displacements after subtraction<br />
of modeled interseismic accumulation of elastic<br />
strain from the GPS-observed vectors. The deduced seismogenic<br />
zone along the subduction interface is shown in<br />
dark gray (area with ~100% coupling) with a transition<br />
zone in light gray, where the coupling decrease from 100<br />
% to zero. Dashed contour lines show the Wadati Benioff<br />
zone.<br />
Die GPS-Kampagne SAGA 2000 war die zweite<br />
Wie<strong>der</strong>holungsmessung des SAGA-Netzes (ausschließlich<br />
SAGA-Nord). Die Nullmessung fand im<br />
Frühjahr 1994 statt, eine erste Wie<strong>der</strong>holungsmessung<br />
im Herbst 1996. Einige Punkte<br />
wurden erst einmal beobachtet. Die<br />
Wie<strong>der</strong>holungsmessung im Jahre<br />
2000 erfasste demnach einen<br />
Zeitraum von 6 1 /2 Jahren. Einerseits<br />
konnte die nach <strong>der</strong> ersten<br />
Wie<strong>der</strong>holungsmessung abgeleitete<br />
Deformation in einigen Punkten<br />
bestätigt werden, an<strong>der</strong>erseits<br />
ergaben sich signifikante Än<strong>der</strong>ungen.<br />
Erwartungsgemäß wurden<br />
Variationen <strong>der</strong> Punktgeschwindigkeiten<br />
im nördlichen <strong>und</strong> im<br />
südlichen Netzteil festgestellt, in<br />
denen post-seismische Relaxationsprozesse<br />
als Folge des 1995<br />
Mw=8,0 Antofagasta- <strong>und</strong> des 1960<br />
Mw=9,5 Chile-Bebens vorherrschen<br />
(vgl. Abb. 1.9).<br />
Darüber hinaus wurden im zentralen<br />
Netzteil auch kleinere coseismische<br />
Einflüsse registriert.<br />
Weitere zeitliche Än<strong>der</strong>ungen konnten<br />
im Deformationsfeld außerhalb<br />
des SAGA-Nord- Gebietes entdeckt<br />
werden. Insgesamt wurde<br />
aber die hohe inter-seismische<br />
Kompression bestätigt. Die SAGA-<br />
99-Kampagne erfolgte im nördlichen<br />
Netzteil im November 1999,<br />
d.h. 4 Jahre <strong>und</strong> 3 Monate nach<br />
dem Mw=8,0-Antofagasta Beben.<br />
Die Ergebnisse sind in Abb. 1.10<br />
dargestellt <strong>und</strong> zeigen deutlich,<br />
dass <strong>der</strong> post-seismische Einfluss<br />
hier nach 4 Jahren aber nur noch<br />
sehr gering ist. Im Gegensatz dazu<br />
ist ein post-seismischer Effekt im Bereich des 1960<br />
Chile-Bebens noch nach 40 Jahren deutlich ausgeprägt.<br />
Daher wurde das SAGA-Netz im Jahre 2000<br />
verdichtet, um die andauernde postseismische Deformation<br />
mit einer besseren räumlichen Auflösung zu<br />
erfassen.<br />
Die numerischen Modellierungen <strong>der</strong> gemessenen<br />
Oberflächendeformationen konzentrierten sich<br />
zunächst auf Untersuchungen im Zusammenhang mit<br />
dem Erdbebenzyklus. Die eingesetzten elastischen<br />
Dislokationsmodelle zeigen, dass die heutige<br />
Deformation im zentralen Bereich des Netzes durch<br />
eine 100%ige Kopplung des seismogenen Interface<br />
zu erklären ist. Die geschätzte Tiefe <strong>der</strong> Kopplung ist<br />
entlang des Streichens <strong>der</strong> Anden nicht gleichförmig:<br />
nördlich von 30° S beträgt sie ca. 33 km, während sie<br />
südlich von 35° S etwa 50 km erreicht (vgl. Abb.<br />
1.9). Mit Hilfe weiterer neu eingerichteter Punkte<br />
entlang <strong>der</strong> chilenischen Küste soll die Nord-Süd-<br />
Variation <strong>der</strong> Kopplung genauer erfasst <strong>und</strong> auch<br />
eine mögliche zeitliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kopplung<br />
aufgedeckt werden.
Abb. 1.10: Die roten Vektoren zeigen die gemessenen Punktverschiebungen zwischen 1993 <strong>und</strong> 1995. Sie beinhalten<br />
im Wesentlichen co-seismische Deformationen, enthalten aber ebenfalls inter-seismische <strong>und</strong> post-seismische<br />
Deformationen sowie eventuelle pre-seismische <strong>und</strong> säkulare Signale. Die blauen Vektoren stellen die<br />
Verschiebungen zwischen 1997 <strong>und</strong> 1999 dar. Hier dominiert <strong>der</strong> inter-seismische Einfluss; das post-seismische<br />
Signal ist nur noch gering.<br />
Red vectors are the observed displacements of GPS-sites between 1993 and 1995. They mainly show coseismic strain<br />
release due to the 1995 Mw=8,0 Antofagasta earthquake but include interseismic and postseismic deformation as<br />
well. Blue vectors depict the displacements between 1997 and 1999. Here, the interseismic signal dominates the<br />
deformation field whereas the postseismic signal is rather weak.<br />
Die gemessenen post-seismischen Deformationen<br />
bieten eine ausgezeichnete Datenbasis, mit <strong>der</strong>en Hilfe<br />
Parameter numerischer Modelle <strong>der</strong> Subduktionsorogenese<br />
festgelegt werden können. Ein wesentlicher<br />
Steuerfaktor ist die Viskosität des oberen Mantels <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> unteren Kruste. Bei bekannter Viskosität als<br />
Funktion <strong>der</strong> Tiefe <strong>und</strong> des Ortes könnten entscheidende<br />
Fragen beantwortet werden wie z. B.: Was kontrolliert<br />
die Lokalisierung <strong>und</strong> Übertragung <strong>der</strong><br />
Deformation in <strong>der</strong> Oberplatte? Wie funktioniert die<br />
Spannungsübertragung vom Trench zum Kraton? Wird<br />
Spannung <strong>und</strong> Deformation durch den lithosphärischen<br />
Mantel übertragen? Ist die untere Kruste<br />
ein Spannungsleiter?<br />
Post-seismische Bewegungen konzentrieren sich im<br />
tiefesten Krustenbereich, an dem elastischer Strain<br />
akkumuliert wird. Die resultierenden Oberflächen-<br />
deformationen können durch zwei Modelle erklärt<br />
werden: 1. Eine verzögerte Verschiebung entlang <strong>der</strong><br />
co-seismischen Störungsfläche <strong>und</strong> 2. viskoelastische<br />
Ausgleichsvorgänge im duktilen Bereich unterhalb <strong>der</strong><br />
Zone, in dem <strong>der</strong> Bruch stattfand. Die gemessenen<br />
postseismischen Deformationen des Antofagasta- <strong>und</strong><br />
Chile-Bebens konnten bereits durch den ersten<br />
Mechanismus vollständig erklärt werden. Allerdings<br />
ergaben sich dabei sehr hohe Verschiebungswerte in<br />
<strong>der</strong> unteren Verlängerung <strong>der</strong> seismogenen Zone <strong>und</strong><br />
entgegengesetzte Verschiebungen an <strong>der</strong>en oberen<br />
Ende. Das Modell <strong>der</strong> verzögerten Verschiebung muss<br />
demnach mit einem viskoelastischen Finite-Element-<br />
Modell ergänzt werden. Die vorliegenden geodätische<br />
Daten bieten erstmalig die Möglichkeit, zwischen den<br />
o.g. Mechanismen zu unterscheiden <strong>und</strong> die Viskosität<br />
des oberen Mantels <strong>und</strong> <strong>der</strong> unteren Kruste unabhängig<br />
von bisherigen Modellen abzuschätzen.<br />
153
154<br />
Die Strategiefondsprojekte GASP <strong>und</strong> SEAL<br />
Der Aufgabenbereich 1 leitet zwei HGF-Strategiefondsprogramme<br />
fe<strong>der</strong>führend: GASP (Laufzeit 1999-2002)<br />
<strong>und</strong> SEAL (Laufzeit 2000-2003).<br />
GASP - GPS Atmosphere So<strong>und</strong>ing Project<br />
In jüngster Zeit hat das satellitengestützte Navigationssystem<br />
GPS sein hohes Nutzungspotential für die<br />
Fernerk<strong>und</strong>ung <strong>der</strong> Atmosphäre eindrucksvoll demonstriert.<br />
Die sowohl in existierenden weltweiten GPS-<br />
Bodenstationsnetzen als auch an Bord niedrigfliegen<strong>der</strong><br />
Satelliten empfangenen GPS-Radiosignale enthalten in<br />
Folge ihrer Wechselwirkung mit dem Ausbreitungsmedium<br />
Informationen über f<strong>und</strong>amentale atmosphärische<br />
Parameter wie Druck, Temperatur, Wasserdampfgehalt<br />
in Troposphäre <strong>und</strong> Stratosphäre <strong>und</strong> die<br />
Elektronendichte in <strong>der</strong> Ionosphäre.<br />
Abb. 1.11: GASP-Logo.<br />
Das GASP-Strategiefondsprojekt, das<br />
vom <strong>GFZ</strong> zusammen mit AWI, DLR<br />
<strong>und</strong> GKSS initiiert wurde, bündelt die<br />
Expertise von GPS-Spezialisten, Klimaexperten<br />
<strong>und</strong> Meteorologen. Es<br />
wird mit dem Deutschen Wetterdienst<br />
<strong>und</strong> dem Max-Planck-Institut für<br />
Meteorologie <strong>und</strong> einer großen Zahl<br />
weiterer universitärer Partner realisiert.<br />
Mit diesem Projekt soll in Deutschland<br />
eine Infrastruktur für die meteorologische<br />
Anwendung von GPS aufgebaut<br />
werden. So soll vor allem eine quasioperationelle<br />
Schätzung von troposphärischen<br />
<strong>und</strong> stratosphärischen<br />
Parametern realisiert <strong>und</strong> Verfahren zur<br />
Assimilation von GPS-Produkten in<br />
existierende regionale <strong>und</strong> globale<br />
Modelle für Klimauntersuchungen <strong>und</strong><br />
zur numerischen Wettervorhersage<br />
entwickelt werden. Der systematischen<br />
Validierung von GPS-Produkten wird<br />
breiter Raum gegeben. Das in zwei<br />
Teilprojekte unterglie<strong>der</strong>te Gesamtprojekt<br />
entwickelt sich sehr erfolgreich<br />
<strong>und</strong> es ist abzusehen, dass die anvisierten<br />
Projektziele voll erreicht werden<br />
können.<br />
Im Teilprojekt 1 von GASP ist <strong>der</strong> Aufbau <strong>und</strong> Betrieb<br />
eines Systems zur operationellen, kontinuierlichen<br />
Bestimmung des atmosphärischen Wasserdampfes in<br />
einem dicht <strong>und</strong> gut verteilten Netz von GPS-<br />
Bodenstationen in Deutschland das Hauptziel. Dessen<br />
Produkte sollen an den Wetterdienst weitergeleitet werden<br />
<strong>und</strong> sowohl in <strong>der</strong> numerischen Wettervorhersage<br />
wie auch in <strong>der</strong> Klimaforschung ihren Einsatz finden.<br />
Momentan befindet sich das Teilprojekt 1 in einer<br />
Pilotkampagnenphase mit dem Deutschen Wetterdienst<br />
(DWD). Aus einem deutschlandweiten GPS-Netz von<br />
etwa 100 Stationen (Abb. 1.12) – davon etwa 75<br />
Stationen des SAPOS-Netzes <strong>der</strong> deutschen Landesvermessungen<br />
<strong>und</strong> 22 GPS-Stationen des <strong>GFZ</strong> auf DWD-<br />
Wetterstationen - stehen wenige Minuten nach<br />
Beobachtung alle Daten am <strong>GFZ</strong> Potsdam für die weiteren<br />
Berechnungen von Satellitenbahnen <strong>und</strong> sog. integriertem<br />
Wasserdampf über je<strong>der</strong> Station zur Verfügung.<br />
Maximal nach 45 Minuten müssen die Wasserdampfprodukte<br />
an den DWD geliefert werden. Seit Mai 2001<br />
wird in einer Pilotuntersuchung <strong>der</strong> vom <strong>GFZ</strong> bestimmte<br />
integrierte Wasserdampf vom DWD mit einiger<br />
Zeitverzögerung in <strong>der</strong>en Kurzfrist-Vorhersagemodelle<br />
assimiliert. Die bisherigen Ergebnisse sind zufriedenstellend.<br />
Für Anfang 2002 ist vorgesehen, in eine präoperationelle<br />
Phase für die GPS-integrierte Kurzfristwettervorhersage<br />
einzutreten.<br />
Abb. 1.12: GASP Near Real Time Netz (• mögliche, aber<br />
bisher nicht benutzte SAPOS-Stationen)<br />
GASP Near Real Time network (• existing but not yet<br />
used stations of the SAPOS network)
Abb. 1.13: Mit GPS abgeleitete Wasserdampfverteilung über<br />
Deutschland<br />
GPS <strong>der</strong>ived water vapor distribution over Germany<br />
Im Teilprojekt 2 von GASP werden GPS-basierte Limb-<br />
Sondierungen <strong>der</strong> Erdatmosphäre vom CHAMP-<br />
Satelliten aus genutzt (zum Verfahren <strong>der</strong> Limb-<br />
Sondierungen siehe auch CHAMP-Bericht, S. 1 dieses<br />
Bandes).<br />
GPS-Signale haben Wellenlängen im<br />
Bereich von 20 cm <strong>und</strong> werden deshalb<br />
kaum von Wassertröpfchen o<strong>der</strong><br />
Eiskristallen beeinflusst. GPS-basierte<br />
Radiookkultationsmessungen stellen also<br />
ein wetterunabhängiges Messverfahren für<br />
Druck, Temperatur o<strong>der</strong> Feuchte dar. Dank<br />
<strong>der</strong> Limb-Geometrie bieten sie im<br />
Vergleich zu den üblichen Nadir-<br />
Messungen operationeller Wettersatelliten<br />
eine wesentlich höhere vertikale<br />
Auflösung. Ist wie bei <strong>der</strong> CHAMP-<br />
Mission die Infrastruktur am Boden gut<br />
ausgebaut, können mit einem einzigen<br />
Satelliten zwischen 200 <strong>und</strong> 250<br />
Okkultationen pro Tag aufgenommen werden<br />
<strong>und</strong> zwar auch über bislang datenarmen<br />
Regionen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong>. Damit stellen<br />
Radiookkultationen eine wichtige Ergänzung<br />
zu den vorhandenen meteorologischen<br />
Beobachtungssystemen, wie dem<br />
globalen Radiosondennetz, dar.<br />
In den ersten sieben Monaten seit Beginn<br />
<strong>der</strong> ersten Limb-Sondierungsmessungen<br />
auf CHAMP im Februar 2001 sind über<br />
20.000 Okkultationsereignisse beobachtet<br />
<strong>und</strong> ausgewertet worden. Bereits die ersten<br />
Profile zeigten eine gute Übereinstimmung<br />
mit meteorologischen Analysen. Im<br />
Rahmen des GASP-Vorhabens arbeiten<br />
das Max-Planck-Institut für Meteorologie<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutsche Wetterdienst intensiv an Verfahren<br />
zum Einsatz von Radiookkultationsdaten bei <strong>der</strong><br />
Datenassimilation numerischer Wettervorhersagemodelle.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verbesserungen <strong>der</strong> Datendichte<br />
über den Ozeanen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Stratosphäre werden hier<br />
Abb. 1.14: Aktuelle CHAMP-Okkultationsereignisse im Zeitraum 5.-9. März 2001 (keine kontinuierliche Messreihe)<br />
Current CHAMP radio occultation events in the period March 5-9, 2001<br />
155
156<br />
vor allem Verbesserungen bei <strong>der</strong> Mittelfristvorhersage<br />
erwartet. Für einzelne Ereignisse mögen sich aber auch<br />
bei <strong>der</strong> Kurzfristvorhersage positive Effekte nachweisen<br />
lassen, etwa wenn während <strong>der</strong> Entwicklung<br />
extremer Wetterereignisse Okkultationen zum richtigen<br />
Zeitpunkt an <strong>der</strong> richtigen Stelle stattfinden. So werden<br />
nicht nur amerikanische Satellitenkonstellationen wie<br />
COSMIC, son<strong>der</strong>n auch die zukünftigen europäischen<br />
polarumlaufenden Wettersatelliten METOP, GPS-<br />
Empfänger zur Durchführung von Radiookkultationsmessungen<br />
tragen.<br />
Darüber hinaus gibt es eine Reihe wissenschaftlicher<br />
Fragestellungen, zu denen die CHAMP-Daten wertvolle<br />
Beiträge liefern dürften. Hierzu zählen zum einen die<br />
beson<strong>der</strong>s gut aufgelösten Temperaturmessungen in <strong>der</strong><br />
Tropopause. Diese Messungen werden bei <strong>der</strong><br />
Untersuchung <strong>der</strong> bislang nur unvollständig verstandenen<br />
dynamischen Prozesse, die zur starken<br />
Austrocknung <strong>der</strong> Luft in <strong>der</strong> oberen tropischen<br />
Troposphäre führen, sehr hilfreich sein.<br />
Aber auch die troposphärischen Wasserdampfmessungen<br />
von CHAMP werden – trotz <strong>der</strong> größeren<br />
Ungenauigkeiten bei <strong>der</strong> Ableitung des Wasserdampfgehaltes<br />
aus Radiookkultationsmessungen – interessante<br />
Beiträge zur Klimaforschung liefern können. Die<br />
Verteilung <strong>der</strong> relativen Feuchte im 500-hPa-Niveau<br />
(etwa 5 km Höhe), wie sie CHAMP zwischen Mitte Mai<br />
<strong>und</strong> Mitte Juni 2001 gesehen hat, zeigt deutlich die<br />
feuchten Bereiche <strong>der</strong> Innertropischen Konvergenzzone<br />
(Inner Tropical Convergence Zone, ITCZ), in denen die<br />
hochreichende tropische Konvektion stattfindet. Zum<br />
an<strong>der</strong>en sind die beson<strong>der</strong>s trockenen Regionen in den<br />
Absinkregionen <strong>der</strong> ITCZ ebenfalls deutlich erkennbar.<br />
Diese Regionen, die für den langwelligen<br />
Strahlungshaushalt <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> damit für das globale<br />
Klima entscheidend sind, liegen größtenteils über<br />
Ozeanen <strong>und</strong> wurden deshalb bisher nur sehr unvollständig<br />
beobachtet. CHAMP <strong>und</strong> die nachfolgenden<br />
Radiookkultationsmissionen werden erstmals die kontinuierliche<br />
Beobachtung dieser "Wüsten über den<br />
Ozeanen" ermöglichen.<br />
Abb. 1.15: Relative Feuchte auf dem 500-hPa-Niveau (etwa 5 km Höhe) zwischen dem 14. Mai <strong>und</strong> dem 10. Juni<br />
2001, basierend auf CHAMP-Messungen. Beachtenswert sind die starken Unterschiede zwischen <strong>der</strong> feuchten, durch<br />
tropische Konvektion charakterisierten innertropischen Konvergenzzone <strong>und</strong> den extrem trockenen Absinkregionen<br />
über den subtropischen Ozeanen. Auch <strong>der</strong> asiatische Monsun wird von den CHAMP-Messungen erfasst.<br />
Relative humidity at the 500 hPa level (ca. 5 km altitude) between May 14 and June 10, 2001, based on CHAMP<br />
measurements. Note the pronounced difference between the moist regions of the inner-tropical convergence zone,<br />
characterized by deep tropical convection, and the dry subsidence areas above the subtropical oceans. The Asian<br />
monsoon is also well represented in the CHAMP measurements.
SEAL - Sea Level Change<br />
Es ist allgemein anerkannt, dass Klimaschwankungen<br />
zu Variationen des Meeresspiegels führen. Diese sind<br />
ein natürliches Phänomen <strong>und</strong> traten im Laufe <strong>der</strong><br />
Erdgeschichte immer wie<strong>der</strong> auf. Jedoch ist bisher nicht<br />
vollständig geklärt, bis zu welchem Grad Klima- <strong>und</strong><br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen im System <strong>Erde</strong> gekoppelt<br />
sind.<br />
Mit <strong>der</strong> zunehmenden Vulnerabilität <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
rücken die anthropogenen Einflüsse, die zu Än<strong>der</strong>ungen<br />
des mittleren Meeresspiegels führen können, in den<br />
Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die Abtrennung<br />
von den natürlichen Ursachen ist nicht trivial <strong>und</strong><br />
erfor<strong>der</strong>t ein genaues Verständnis <strong>der</strong> komplex<br />
ablaufenden Prozesse im gekoppelten System Ozean-<br />
Eis-Land-Atmosphäre.<br />
In dem vom <strong>GFZ</strong> Potsdam geleiteten <strong>und</strong> im November<br />
2000 gestarteten Projekt SEAL wird eine integrierte<br />
Strategie zur Quantifizierung des Meeresspiegels auf<br />
unterschiedlichen Raum- <strong>und</strong> Zeitskalen verfolgt. Sie<br />
basiert auf neuen Beobachtungstechniken <strong>und</strong> hochauflösenden<br />
Modellen <strong>der</strong> das gekoppelte System<br />
Atmosphäre-Ozean-Eis-<strong>Erde</strong> kontrollierenden Prozesse.<br />
Das Projekt nutzt die spezifischen Expertisen <strong>der</strong><br />
kooperierenden Helmholtz-Zentren AWI, <strong>GFZ</strong> <strong>und</strong><br />
GKSS <strong>und</strong> beinhaltet folgende Aufgaben.<br />
Teilprojekt A: Beobachtung <strong>und</strong> Kalibrierung (<strong>GFZ</strong>).<br />
Die genaue Bestimmung des Meeresspiegels basiert auf<br />
einer Kombination von Satelliten- <strong>und</strong> Bodentechniken.<br />
Der Schwerpunkt liegt auf <strong>der</strong> Multi-Missions-<br />
Altimetrie unter Einfluss verbesserter Schwerefeldmodellierung<br />
mit CHAMP <strong>und</strong> GRACE, wobei das Ziel<br />
die Erstellung homogener, bis 1985 zurückreichen<strong>der</strong><br />
Zeitreihen ist. Gr<strong>und</strong>legende Erfor<strong>der</strong>nisse sind die<br />
Entwicklung einheitlicher, auf neuen GPS-Bojen<br />
basierende Kalibrationsverfahren <strong>und</strong> die Verwendung<br />
eines hochgenauen, auf aktuellen Satellitenmissionen<br />
basierenden Schwerefeldmodells <strong>und</strong> Bezugssystems.<br />
Zur weiteren Kontrolle werden mit GPS ausgerüstete<br />
Gezeitenpegel einbezogen.<br />
Teilprojekt B: Eismassenübertragung (AWI).<br />
Für langfristige Vorhersagen des Meeresspiegels sind<br />
zuverlässige Abschätzungen <strong>der</strong> Massenbilanz des<br />
Grönländischen <strong>und</strong> Antarktischen Eisschildes erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Dazu sind Feldkampagnen für ausgewählte<br />
Entwässerungsbecken geplant, die die Bestimmung <strong>der</strong><br />
lokalen Massenbilanz <strong>und</strong> weiterer Parameter gestatten.<br />
Kombiniert mit verbesserten atmosphärischen Randbedingungen<br />
dienen diese Parameter als Input für<br />
hochauflösende dynamische Eisschild-Modelle. Auf<br />
kürzeren Zeitskalen dominiert die Massenbilanz von<br />
Gebirgsgletschern. Ihr Beitrag während <strong>der</strong> Periode<br />
1860 bis 2100 wird in einer ergänzenden Untersuchung<br />
ermittelt.<br />
Teilprojekt C: Ozean-Modellierung (AWI, GKSS).<br />
Die neuen Beobachtungstechniken zur Überwachung<br />
des Meeresspiegels werden durch dynamische<br />
Ozeanmodelle ergänzt. Zur Verbesserung <strong>der</strong><br />
numerischen Effizienz wird eine Hierarchie von globalen,<br />
Einzelbecken- <strong>und</strong> regionalen Modellen verwendet.<br />
Die Untersuchung benutzt von Altimetrie- <strong>und</strong><br />
Schwerefeld-Satellitenmissionen bereitgestellte Daten<br />
<strong>und</strong> berücksichtigt den durch Massenbilanzstudien<br />
ermittelten Süßwasserzufluss aus Grönland. Neu<br />
entwickelte Datenanpassungstechniken <strong>und</strong> Beobachtungsmodelle<br />
verbinden die dynamischen Modelle mit<br />
den Gezeitenpegelaufzeichnungen.<br />
Teilprojekt D: Glaziale Isostasie (<strong>GFZ</strong>).<br />
Da die GPS-Überwachung von Gezeitenpegeln sowohl<br />
selten als auch neu ist, wird eine Berechnung ihrer<br />
Vertikalbewegungen als Folge glazialisostatischer<br />
Anpassung erfor<strong>der</strong>lich. Zu diesem Zweck wird ein<br />
verbessertes dynamisches Modell <strong>der</strong> pleistozänen<br />
Eisschilde entwickelt <strong>und</strong> mit einem neuen Erdmodell<br />
mit lateral heterogener Viskosität gekoppelt. Unter<br />
Verwendung von Paläostrandlinien-Daten <strong>und</strong> neuer<br />
satelliten- <strong>und</strong> bodengestützter geodätischer Messdaten<br />
liefert das gekoppelte Modell eine verbesserte<br />
Abschätzung <strong>der</strong> Viskositätsverteilung, die in die<br />
Berechnungen <strong>der</strong> Vertikalbewegung von Gezeitenpegeln<br />
eingeht.<br />
Über die bisherigen Arbeiten zum Teilprojekt D wird<br />
später in diesem Kapitel unter dem Thema<br />
"Auswirkungen von Eis <strong>und</strong> Wasserlasten auf Erdfigur,<br />
Deformations- <strong>und</strong> Schwerefeld" (S. 174) berichtet.<br />
Das Teilprojekt A nutzt die zwei bedeutendsten<br />
Beobachtungsverfahren zur Quantifizierung von<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen. Es sind dies Gezeitenpegel<br />
<strong>und</strong> Satellitenaltimetrie. Pegel haben zwei Einschränkungen:<br />
sie sind überwiegend an Küsten <strong>und</strong> in Häfen<br />
installiert <strong>und</strong> sie messen nur relative Än<strong>der</strong>ungen zwischen<br />
Meeresoberfläche <strong>und</strong> Land. Bei <strong>der</strong><br />
Satellitenaltimetrie gibt es verschieden Verfahren: die<br />
Laseraltimetrie, die allwettertaugliche Radaraltimetrie<br />
<strong>und</strong>, wahrscheinlich in einigen Jahren, die GNSS-<br />
Altimetrie (GNSS = Global Navigation Satellite<br />
System). Bei all diesen Verfahren wird die Laufzeit<br />
eines von <strong>der</strong> Meeresoberfläche zurückgestreuten<br />
Signals zur Abstandmessung genutzt.<br />
Die Satellitenradaraltimetrie (RA) ist das <strong>der</strong>zeit am<br />
häufigsten genutzte Fernerk<strong>und</strong>ungsinstrument, um den<br />
instantanen o<strong>der</strong> mittleren Meeresspiegel auf verschiedenen<br />
räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Skalen absolut zu<br />
erfassen (Abb. 1.17). Bei <strong>der</strong> RA wird aus <strong>der</strong> Laufzeit<br />
eines in Nadirrichtung ausgesendeten Radarimpulses<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Satellitenhöhe die Höhe des Meeresspiegels<br />
bestimmt. Die Anfänge <strong>der</strong> RA reichen zurück bis 1973.<br />
Nutzbar für genaue Meeresspiegeluntersuchungen sind<br />
jedoch erst Daten von den Altimetersatelliten GEOSAT,<br />
157
158<br />
ERS-1, TOPEX/Poseidon, ERS-2 <strong>und</strong> GFO-1. Die drei<br />
letztgenannten Missionen sind <strong>der</strong>zeit noch aktiv. Zum<br />
Beginn des Jahres 2002 werden zwei neue Satelliten mit<br />
RA gestartet, <strong>der</strong> europäische ENVISAT <strong>und</strong> <strong>der</strong> französisch-amerikanische<br />
Jason-1-Satellit.<br />
Abb. 1.16: SEAL-Logo <strong>und</strong> Broschüre<br />
SEAL logo and brochure<br />
Abb. 1.17: Die Abbildungen stellen<br />
Abweichungen <strong>der</strong> momentanen von<br />
einer mittleren Meeresoberfläche dar.<br />
Durch die Temperaturerhöhung des<br />
Ozeans aufgr<strong>und</strong> eines El Niño-<br />
Ereignisses dehnt sich das Wasser aus,<br />
<strong>und</strong> die hier in rot <strong>und</strong> gelb dargestellten<br />
Bereiche liegen erhöht gegenüber<br />
<strong>der</strong> mittleren Meeresoberfläche in<br />
diesem Gebiet. Die Bil<strong>der</strong> wurden aus<br />
Altimetrie–Daten (Satellit ERS-2)<br />
generiert. Die Abbildung zeigt eine<br />
Sequenz von Meereshöhen, die am<br />
<strong>GFZ</strong> standardmäßig generiert werden,<br />
im Zeitraum Februar 1996 bis Februar<br />
2001. In <strong>der</strong> mittleren Spalte (08/97,<br />
01/98, 05/98, 10/98) zeigt sich <strong>der</strong> Auf<strong>und</strong><br />
Abbau des El Niño-Ereignisses.<br />
The images show deviations of the current<br />
from the mean sea level. Here, an<br />
El Niño event is increasing the ocean’s<br />
temperature, the water extends (the red<br />
and yellow colours indicate a sea level<br />
above mean sea level). The images<br />
were routinely generated at <strong>GFZ</strong> from<br />
altimetry data (ERS-2 satellite). The<br />
picture shows a sequence of sea level<br />
heights generated from February 1996<br />
to February 2001. In the middle column<br />
(08/97, 01/98, 05/98, 10/98) the<br />
El Niño formation and retrogression is<br />
visible.
Abb. 1.18: Aktuelle Satellitenmissionen zur Erdbeobachtung; oben Altimetermissionen für die Bestimmung von<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
Current satellite missions for Earth observation; top: altimetry missions for sea level change determination<br />
Die lange Serie von verschiedenen RA-Missionen führte<br />
schnell zu dem Schluss, dass sich damit auch<br />
entsprechend lange Zeitserien für die Än<strong>der</strong>ungen des<br />
Meeresspiegels konstruieren lassen. Aber schon die<br />
unterschiedlichen Genauigkeiten <strong>der</strong> einzelnen<br />
Altimetriemissionen zeigen die Schwierigkeiten auf.<br />
Weiterhin problematisch sind die zeitlichen Lücken<br />
zwischen einzelnen Missionen, die Verwendung unterschiedlicher<br />
Korrekturmodelle für die Messung <strong>und</strong><br />
instrumententechnisch bedingte Offsets zwischen den<br />
RA-Missionen. In den letzten Jahren wurden zudem<br />
durch die Alterung <strong>der</strong> Satellitenelektronik bedingtes<br />
Driften <strong>und</strong> Sprünge durch elektronische Schaltvorgänge<br />
im Satelliten erkannt.<br />
Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Arbeiten im SEAL-Teilprojekt A stehen<br />
deshalb Verfahren, die eine langfristige<br />
Überwachung <strong>der</strong> Stabilität <strong>der</strong> RA-Messungen<br />
erlauben. Zur Vereinheitlichung <strong>der</strong> Prozessierung<br />
wurde in SEAL ein Multi-Missions-Altimeter-Daten-<br />
System (ADS) entwickelt. Die damit verb<strong>und</strong>en<br />
Datenbank ist mit sämtlich verfügbaren Daten <strong>der</strong><br />
Missionen GEOSAT, ERS-1, ERS-2 <strong>und</strong> TOPEX gefüllt<br />
worden <strong>und</strong> stellt nun die Gr<strong>und</strong>lage für weitere<br />
Analysen <strong>und</strong> hier insbeson<strong>der</strong>e die Bestimmung des<br />
Meeresspiegels dar. Eine Vielzahl von Modellen für<br />
Gezeiten, Troposphäre <strong>und</strong> Ionosphäre wurde implementiert<br />
<strong>und</strong> untereinan<strong>der</strong> verglichen. Solche Analysen<br />
sind notwendig, um die geeigneten Korrekturmodelle<br />
für eine bevorstehende homogene Re-Prozessierung zu<br />
bestimmen. ADS erlaubt es Nutzern von Altimetrie-<br />
Daten, eigene Kompositionen von Daten <strong>und</strong><br />
Korrekturen zu wählen, die danach automatisiert vom<br />
Prozessierungssystem generiert werden. Die Auswahlprozesse<br />
für Daten <strong>und</strong> Programme sind Web-basiert<br />
<strong>und</strong> erlauben somit jedem Nutzer, ohne weitere<br />
Kenntnisse ADS zu verwenden.<br />
Wesentliche Voraussetzung für eine genaue Bestimmung<br />
<strong>der</strong> Meeresspiegelschwankungen sind die<br />
Präzisionsbahnbestimmung <strong>der</strong> in die Analyse eingehenden<br />
Altimetersatelliten <strong>und</strong> eine einheitliche<br />
Nutzung von dynamischen, geometrischen <strong>und</strong><br />
Instrumentenkorrektur-Modellen. Für SEAL gewinnen<br />
hier die ersten genauen CHAMP-Schwerefeldmodelle,<br />
<strong>der</strong> Wechsel auf das genaue terrestrische Referenzsystem<br />
ITRF2000 <strong>und</strong> verbesserte Intrumentenkorrekturen<br />
eine ganz entscheidende Bedeutung.<br />
In den letzten Jahren gewinnt die interdisziplinäre<br />
Nutzung von Pegelmessungen zunehmend an<br />
Bedeutung. Mit <strong>der</strong> zunehmenden Verbreitung von GPS<br />
zur Positionierung werden immer mehr Pegel in ein<br />
übergeordnetes Koordinatensystem eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> an<br />
einer wachsenden Zahl von Pegeln werden zunehmend<br />
kontinuierliche GPS-Messungen zur Überwachung<br />
durchgeführt. Damit ist es möglich, die relativen<br />
Pegelmessungen in absolute Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
umzurechnen. Erst damit gelingt die Trennung von<br />
Landbewegungen <strong>und</strong> Än<strong>der</strong>ungen im Wasseräquivalent.<br />
Genutzt werden diese Ergebnisse zweifach. Zum<br />
einen können RA-Satelliten kontinuierlich überwacht<br />
werden, an<strong>der</strong>erseits sind absolute Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
hinsichtlich Klimavariationen interpretierbar.<br />
Problematisch ist die Ableitung <strong>der</strong> absoluten<br />
Höhenän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pegel, d.h. die Erfassung etwaiger<br />
Landbewegungen. Um verlässliche Korrekturen für die<br />
Pegelmessungen ableiten zu können, sind kontinuierliche<br />
Überwachungen notwendig. Diese sind nur mit<br />
GPS zu realisieren <strong>und</strong> werden nur an wenigen ausgewählten<br />
Punkten durchgeführt. In größerem Umfang<br />
ist GPS erst seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre verfügbar, wobei<br />
erst in den letzten Jahren eine signifikante Anzahl von<br />
159
160<br />
Pegeln mit GPS ausgerüstet wurde. Obwohl die <strong>der</strong><br />
GPS-Auswertung zugr<strong>und</strong>e liegenden Modelle ständig<br />
verbessert wurden, sind die abgeleiteten Höhenän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong>zeit noch zu ungenau, um verlässlich für<br />
Meeresspiegeluntersuchungen genutzt zu werden.<br />
Führend bei <strong>der</strong> Auswertung <strong>und</strong> Analyse von GPS-<br />
Messungen ist <strong>der</strong> International GPS Service (IGS). Im<br />
IGS zusammengeschlossene Analysezentren werten<br />
täglich eine große Anzahl von weltweiten kontinuierlichen<br />
GPS-Messungen aus <strong>und</strong> stellen wöchentliche<br />
Kombinationslösungen <strong>der</strong> Koordinaten zur Verfügung.<br />
Diese werden z. B. bei <strong>der</strong> Ableitung von geodätischen<br />
Referenzsystemen, wie dem International Terrestrial<br />
Reference Frame (ITRF) genutzt. Ein Vergleich <strong>der</strong><br />
Höhenän<strong>der</strong>ungen von GPS-Punkten aus den<br />
Wochenlösungen <strong>der</strong> einzelnen Analysezentren zeigt<br />
aber deutliche Unterschiede (Abb. 1.19). Zum einen<br />
sind die Bewegungen von einem "Jahresgang"<br />
überlagert, zum an<strong>der</strong>en enthalten die Lösungen aber<br />
auch Abweichungen unbekannter Ursache. Die<br />
Analysezentren liefern daher teils konträre Ergebnisse<br />
für die Höhenkomponenten. Um die notwendigen wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen zur verbesserten<br />
Ableitung <strong>der</strong> Höhenkomponente auf eine breite Basis<br />
zu stellen, wurde vom IGS unter Leitung des <strong>GFZ</strong> eine<br />
Pilotstudie initiiert (TIGA – Tide Gauge Benchmark<br />
Monitoring Pilot Project). In diesem Rahmen werden<br />
mit GPS ausgerüstete Pegel neu prozessiert <strong>und</strong> unter<br />
verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet. Das <strong>GFZ</strong><br />
ist im Rahmen von SEAL hieran beteiligt. Im Ergebnis<br />
dieser Pilotstudie (2001-2004) wird erwartet, dass dann<br />
die Genauigkeit <strong>der</strong> Höhenkomponenten den<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen zur Untersuchung des Meeresspiegels<br />
genügt.<br />
Ein Nachteil von Pegelmessungen zur Ableitung globaler<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen ist ihre Küstennähe.<br />
Zudem ist die Mehrzahl aller Pegelmessungen auf<br />
Europa o<strong>der</strong> Nordamerika konzentriert <strong>und</strong> gibt daher<br />
nur einen begrenzten Ausschnitt möglicher Variationen<br />
des Meeresspiegels wie<strong>der</strong>. Ziel für die Überwachung<br />
<strong>der</strong> RA ist es, die Kalibrationsmessungen direkt im<br />
Fußpunkt des Satelliten durchzuführen. Weltweit gibt es<br />
nur eine mit GPS <strong>und</strong> Pegeln ausgerüstete Station<br />
(Harvest Oil Platform), die direkt von einem<br />
Altimetersatelliten (TOPEX/Poseidon) überflogen wird.<br />
An allen an<strong>der</strong>en Pegeln müssen die instantanen<br />
Meeresspiegelhöhen für die Fußpunkte des RA<br />
interpoliert werden, was zu einer deutlichen<br />
Verschlechterung <strong>der</strong> gewünschten Kalibrierung führt.<br />
Abb. 1.19: Modelliertes Bewegungsverhalten von GPS-Stationen verschiedener IGS-Wochenlösungen.<br />
Comparison of weekly GPS solutions for two IGS stations.
Abb. 1.20: GPS-Hochseeboje des <strong>GFZ</strong> zur langfristigen<br />
Kalibrierung von Altimetern<br />
GPS offshore buoy of <strong>GFZ</strong> for long-term calibration of<br />
altimeters<br />
Am <strong>GFZ</strong> wird <strong>der</strong>zeit im Rahmen von SEAL eine<br />
hochseetaugliche Boje gebaut, die mit GPS <strong>und</strong> verschiedenen<br />
Umweltsensoren ausgerüstet ist (Abb. 1.20).<br />
Diese wird im Frühjahr 2002 in <strong>der</strong> Nordsee an einem<br />
Punkt etwa 40 km westlich <strong>der</strong> Insel Sylt verankert, an<br />
dem sich die Bodenspuren <strong>der</strong> drei aktuellen RA-<br />
Missionen <strong>und</strong> auch ihrer Nachfolger kreuzen. Solche<br />
günstig gelegenen Kreuzungspunkte sind selten,<br />
vielfach ist <strong>der</strong> Abstand zum Land viel zu groß, um eine<br />
kostengünstige Datenübertragung zu realisieren. Aus<br />
den GPS-Messungen zum Überflugszeitpunkt des RA-<br />
Satelliten kann die Höhe <strong>der</strong> instantanen Meeresoberfläche<br />
sehr genau bestimmt werden. Da die Bahnbestimmung<br />
des Satelliten ebenfalls im Koordinatensystem<br />
von GPS erfolgt, können beide Messungen verglichen<br />
werden. Aus jedem weiteren Überflug, <strong>der</strong> je<br />
nach Satellit zwischen 10 <strong>und</strong> 35 Tagen erfolgt, ergibt<br />
sich eine Serie von Vergleichsmessungen. Aus diesen<br />
können absolut Höhenfehler abgeleitet sowie Driften<br />
detektiert werden.<br />
Die LEO-Missionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE<br />
Der Schwerpunkt <strong>der</strong> Arbeiten des Aufgabenbereiches 1<br />
lag im Berichtszeitraum ohne Frage bei <strong>der</strong><br />
Vorbereitung <strong>der</strong> "Low Earth Orbiter" (LEO) –<br />
Missionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE <strong>und</strong> nach erfolgreichem<br />
CHAMP-Start bei <strong>der</strong> Inbetriebnahme, <strong>der</strong><br />
Kalibration <strong>und</strong> Validation aller Satellitensysteme, <strong>der</strong><br />
Wissenschaftsinstrumente <strong>und</strong> aller Komponenten des<br />
Bodensegments.<br />
Abb. 1.21: CHAMP- <strong>und</strong> GRACE-Aufkleber<br />
CHAMP and GRACE sticker<br />
CHAMP-Mission<br />
Über die wissenschaftlichen Ziele, die Geräteausstattung<br />
<strong>und</strong> erste Ergebnisse <strong>der</strong> CHAMP-Mission<br />
wird im Eingangsteil dieses Zweijahresberichtes ausführlich<br />
berichtet. Zu ergänzen sind einige<br />
Ausführungen zur Einbeziehung <strong>der</strong> internationalen<br />
Wissenschaftlergruppen in die CHAMP-Datennutzung.<br />
Im April 2001 konnte die 9-monatige<br />
CHAMP-Kalibrations-/Validationsphase für alle<br />
Geräte, mit Ausnahme des GPS-Okkultationssen<strong>der</strong>s,<br />
abgeschlossen werden. Die aus CHAMP-Daten erhaltenen<br />
ersten Ergebnisse für Schwerefeld <strong>und</strong> Magnetfeld<br />
161
162<br />
<strong>und</strong> für die atmosphärischen <strong>und</strong> ionosphärischen<br />
Okkultationen haben die aus Simulationen abgeleiteten<br />
hohen Erwartungen in die Mission bestätigt. Ende Mai<br />
wurde daraufhin ein CHAMP-"Announcement of<br />
Opportunity" weltweit verteilt <strong>und</strong> bis Mitte Juli 2001<br />
um Einsendung von Vorschlägen für die drei<br />
Themengebiete "Bahnbestimmung <strong>und</strong> Schwerefeld",<br />
"Magnetfeld <strong>und</strong> elektrisches Feld" sowie "Atmosphärische<br />
<strong>und</strong> ionosphärische Okkultationen" gebeten.<br />
Der Rückfluss an zum überwiegenden Teil sehr guten<br />
Vorschlägen war beeindruckend: 113 Vorschläge von<br />
Wissenschaftlergruppen aus 24 verschiedenen Län<strong>der</strong>n<br />
wurden eingereicht. Die meisten Vorschläge kamen von<br />
US-Wissenschaftlergruppen (29), am zweitstärksten<br />
vertreten war Deutschland mit 28 Vorschlägen. Ein<br />
größerer Teil <strong>der</strong> deutschen Vorschläge ist eingeb<strong>und</strong>en<br />
in ein DFG-Bündelvorhaben. Nach Begutachtung durch<br />
die CHAMP Science Advisory Group wurde entschieden,<br />
alle eingereichten Vorschläge mit den erwüschten<br />
Daten <strong>und</strong> Datenprodukten zu bedienen. Für<br />
alle im CHAMP Information System <strong>und</strong> Data Center<br />
(CHAMP-ISDC) registrierten Nutzer stehen damit alle<br />
erwünschten wissenschaftlichen CHAMP-Daten seit 15.<br />
Mai 2001 zur Verfügung. Abbildung 1.22 gibt die<br />
Aufteilung <strong>der</strong> Vorschläge auf die verschiedenen<br />
Wissenschaftsfel<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Zeit 22.-25. Januar<br />
2002, zum Beginn des Jahres <strong>der</strong> Geowissenschaften,<br />
wird das erste CHAMP Science User Meeting am <strong>GFZ</strong><br />
stattfinden. Präsentationen <strong>und</strong> Publikationen <strong>der</strong> nächsten<br />
Zukunft werden die große Bedeutung von CHAMP<br />
für die Geo- <strong>und</strong> Atmosphärenforschung deutlich<br />
machen.<br />
Abb. 1.22: Eingegangene<br />
Vorschläge zum CHAMP<br />
Announcement of Opportunity<br />
Received CHAMP Announcement<br />
of Opportunity proposals<br />
Abb. 1.23: Bodensegment<br />
<strong>der</strong> GRACE-Mission<br />
Gro<strong>und</strong> segment of the<br />
GRACE Mission
GRACE Mission<br />
GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment) ist<br />
eine amerikanisch-deutsche Satellitenmission zur<br />
hochgenauen Bestimmung <strong>der</strong> Zeitvariabilität des<br />
Schwerefeldes <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> zur Sondierung <strong>der</strong><br />
Atmosphäre <strong>und</strong> Ionosphäre mittels zweier in 500 km<br />
Höhe <strong>und</strong> im Abstand von etwa 220 km fliegen<strong>der</strong><br />
Satelliten. Die GRACE-Mission wurde im Rahmen<br />
eines Announcement of Opportunity zum NASA Earth<br />
System Science Pathfin<strong>der</strong> (ESSP) Programm gemeinsam<br />
von <strong>der</strong> University of Texas at Austin, Center for<br />
Space Research (UTCSR), dem Jet Propulsion<br />
Laboratory (JPL) in Pasadena <strong>und</strong> dem GeoForschungsZentrum<br />
Potsdam im Sommer 1996 vorgeschlagen<br />
<strong>und</strong> im März 1997 aus einer Anzahl von<br />
Projektvorschlägen ausgewählt. Die hochgenaue<br />
Bestimmung des zeitvariablen Anteils des Erdschwerefeldes<br />
beruht auf <strong>der</strong> präzisen Messung <strong>der</strong><br />
Abstandsän<strong>der</strong>ung (≤ 5 µm) bei<strong>der</strong> Satelliten, <strong>der</strong><br />
Berechnung <strong>der</strong> Position <strong>und</strong> <strong>der</strong> Geschwindigkeit <strong>der</strong><br />
Satelliten mittels eines 23-Kanal-Zweifrequenz-GPS-<br />
Bordempfängers <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> nicht-gravitativen<br />
Störbeschleunigungen mittels eines dreiachsigen<br />
Hochpräzisions-Akzelerometers. Die Sondierung <strong>der</strong><br />
Atmosphäre <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ionosphäre erfolgt durch zusätzliche<br />
GPS-Beobachtungen mit vor- <strong>und</strong> rückwärts<br />
gerichteten Antennen.<br />
Abb. 1.24: Die beiden von Astrium GmbH gebauten<br />
GRACE-Satelliten (Foto: Astrium GmbH)<br />
The two GRACE satellites manufactured by Astrium<br />
GmbH<br />
Die GRACE-Mission durchlief im Berichtszeitraum die<br />
Phase C/D. Dies beinhaltete die Entwicklung, den Bau<br />
<strong>und</strong> den Test <strong>der</strong> verschiedenen Instrumente (GPS-<br />
Empfänger, Super-STAR-Akzelerometer, K-Band-<br />
Entfernungsmesssystem, Sternsensoren) <strong>und</strong> <strong>der</strong> beiden<br />
Satelliten durch das Jet Propulsion Laboratory in<br />
Pasadena bzw. durch die Astrium GmbH in<br />
Friedrichshafen. Die Integration <strong>der</strong> Messinstrumente in<br />
die Satelliten erfolgte zwischen Oktober 2000 <strong>und</strong> März<br />
2001 bei Astrium. Die Umwelttests <strong>der</strong> beiden GRACE-<br />
Satelliten wurden in den darauffolgenden Monaten, wie<br />
im Falle von CHAMP, bei <strong>der</strong> IABG in Ottobrunn<br />
durchgeführt. Nach dem abschließenden Preship<br />
Review, das Anfang Dezember in San Diego stattfindet,<br />
werden die Satelliten Ende Januar 2002 zum Startplatz<br />
in Plesetsk in Russland transportiert. Nach <strong>der</strong><br />
Integration <strong>der</strong> Satelliten in die ROCKOT-Rakete, die<br />
durch das DLR zur Mission beigestellt wird, ist <strong>der</strong> Start<br />
in eine kreisförmige, polnahe Bahn (Inklination 89°) mit<br />
einer Anfangshöhe von 500 km im März 2002 vorgesehen.<br />
In <strong>der</strong> Phase C/D wurden weiterhin verschiedene<br />
Systeme aufgebaut, die den späteren Betrieb <strong>der</strong><br />
Satelliten (Mission Operation System, MOS), die<br />
Gewinnung von Laser-Entfernungsmessungen (Laser<br />
Tracking System, LTS) zu beiden Satelliten <strong>und</strong> die<br />
Auswertung <strong>der</strong> Instrumentendaten (Science Data<br />
System, SDS) durchführen. An den letzten beiden<br />
Systemen ist das <strong>GFZ</strong> wesentlich beteiligt. Die<br />
Koordination dieser Arbeiten erfolgt von einem<br />
DLR/<strong>GFZ</strong> Projektbüro in Oberpfaffenhofen. Die<br />
Arbeiten zum SDS beinhalten die Berechnung <strong>der</strong> kalibrierten<br />
<strong>und</strong> validierten Level-1-Instrumentendaten aus<br />
Level-0 Rohdaten, die regelmäßig am Raw Data Center<br />
in Neustrelitz bereitgestellt werden,<br />
durch das JPL <strong>und</strong> durch das <strong>GFZ</strong> in<br />
Backup-Funktion. Dazu wurde die von<br />
JPL entwickelte Software am <strong>GFZ</strong><br />
implementiert. Aus diesen Level-1-<br />
Daten berechnet das <strong>GFZ</strong> gemeinsam<br />
mit <strong>der</strong> Universität von Texas in Austin<br />
präzise Satellitenbahnen <strong>und</strong> monatliche<br />
mittlere Schwerefel<strong>der</strong> (Level-2-<br />
Produkte). Um den Einfluss <strong>der</strong> zeitvariablen<br />
Massenverlagerungen durch<br />
Atmosphäre <strong>und</strong> Ozeane auf die<br />
Schwerefel<strong>der</strong>gebnisse zu berücksichtigen,<br />
berechnet das <strong>GFZ</strong> im<br />
6-stündigen Rhythmus entsprechende<br />
Korrekturkoeffizienten, die auf<br />
ECMWF- (European Center for Medium-range<br />
Weather Forecast) Atmosphärendaten<br />
beruhen. Alle Produkte<br />
werden neben dem amerikanischen<br />
PODAAC bei JPL im GRACE-ISDC<br />
des <strong>GFZ</strong> den europäischen Nutzern zur<br />
Verfügung gestellt. Der Stand <strong>der</strong><br />
Arbeiten wurde im November 2001<br />
beim SDS Readiness Review in Austin<br />
vorgestellt.<br />
163
164<br />
Für das Laser-Tracking-Ssytsem (LTS) hat das <strong>GFZ</strong> zu<br />
CHAMP baugleiche Laser-Retro-Reflektoren zu den<br />
Instrumenten beigestellt. Die am <strong>GFZ</strong> existierende<br />
Bahnvorhersagesoftware wurde während <strong>der</strong> laufenden<br />
CHAMP-Mission weiter optimiert <strong>und</strong> steht damit auch<br />
für GRACE zur Verfügung. Mit <strong>der</strong> Erstellung eines<br />
Konzepts für die internationalen Laser-Stationen zur<br />
optimalen Gewinnung von Laser-Entfernungsmessungen<br />
von beiden GRACE-Satelliten wurde begonnen.<br />
Die Arbeiten des Mission Operation Center (MOS)<br />
basieren wesentlich auf den Erfahrungen, die mit <strong>der</strong><br />
CHAMP-Mission gewonnen werden konnten. Am Ende<br />
des Berichtszeitraumes standen im Wesentlichen die<br />
drei integrierten Systemtests an, die im Rahmen <strong>der</strong><br />
Umwelttests bei <strong>der</strong> IABG erfolgreich durchgeführt<br />
wurden <strong>und</strong> zur Abstimmung <strong>der</strong> Kommandos <strong>und</strong> dem<br />
Training <strong>der</strong> Betriebsmannschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Validierung<br />
<strong>der</strong> AOCS-(Altitude and Orbit Control System)<br />
Funktionen dienen. Weiterhin wurden die Kompatibilitätstests<br />
zwischen den Satelliten <strong>und</strong> den<br />
Bodenkontrollstationen in Weilheim <strong>und</strong> Neustrelitz<br />
sowie dem NASA Polar Gro<strong>und</strong> Network durchgeführt.<br />
Der Stand des MOS wurde im November in einem<br />
Operational Readiness Review in Oberpfaffenhofen<br />
präsentiert.<br />
Erstes globales Erdschwerefeldmodell aus<br />
CHAMP-Daten<br />
Seit dem Start im Juli 2000 empfängt CHAMP an Bord<br />
Signale von den hochfliegenden GPS-Satelliten zur<br />
hochgenauen Entfernungsmessung <strong>und</strong> misst in-situ mit<br />
dem Akzelerometer Störbeschleunigungen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Atmosphärenreibung <strong>und</strong> des Strahlungsdrucks. Diese<br />
Abb. 1.25: Geoid aus 1 Monat GPS- <strong>und</strong> Akzelerometerdaten<br />
<strong>der</strong> Satellitenmission CHAMP (Auflösung l/2 =<br />
500 km)<br />
Geoid from 1 month's worth of CHAMP GPS tracking<br />
and accelerometer data (resolution l/2 = 500 km)<br />
Daten werden für die zentimetergenaue Bahnbestimmung<br />
des Satelliten genutzt, um aus den dann sichtbar<br />
werdenden gravitativen Bahnstörungen die Parameter<br />
aufzulösen, die die unregelmäßige Struktur des<br />
Erdschwerefelds beschreiben. Nach Überwindung<br />
anfänglicher technischer Probleme <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />
in <strong>der</strong> Dateninterpretation <strong>und</strong> Kalibration ist ein erstes<br />
globales Erdschwerefeldmodell auf <strong>der</strong> Basis von 30<br />
Tagen CHAMP-Daten berechnet worden (Abb. 1.25).<br />
Das Ergebnis ist beeindruckend: zum ersten Mal ist es<br />
möglich, mit Bahninformationen über einen kurzen<br />
Zeitraum <strong>und</strong> von nur einem einzelnen Satelliten ein<br />
Schwerefeldmodell abzuleiten, das zudem noch die<br />
Grobstruktur des Schwerefelds um den Faktor 2 bis 4<br />
genauer wie<strong>der</strong>gibt als die bisherigen auf einer Vielzahl<br />
von Satelliten <strong>und</strong> mehrjährigen Beobachtungszeiträumen<br />
beruhenden Modelle. Die niedrige, fast polare<br />
Bahn von CHAMP <strong>und</strong> die kontinuierliche Abdeckung<br />
<strong>der</strong> Bahn mit Beobachtungen des GPS-Empfängers <strong>und</strong><br />
des Akzelerometers spielen dabei die entscheidende<br />
Rolle.<br />
Airborne Navigation and Gravimetry Ensemble &<br />
Laboratory (ANGEL)<br />
Im Frühjahr 2000 konzentrierte sich die Arbeit <strong>der</strong><br />
Aerogravimetrie-Arbeitsgruppe auf die Einbettung<br />
eines neu beschafften LaCoste&Romberg-Fluggravimeters<br />
in ein vollständiges aerogravimetrisches<br />
Messsystem. Es wurden die technischen Voraussetzungen<br />
geschaffen, um das Gravimeter <strong>und</strong> seine Peripherie<br />
zu Test- <strong>und</strong> Abnahmezwecken in ein Flugzeug<br />
einzurüsten. Die Ersteinrüstung des Systems wurde in<br />
eine Cessna Grand Caravan des DLR in Oberpfaffenhofen<br />
vorgenommen. Dieser Flugzeugtyp bietet hervorragende<br />
technische Einrüstmöglichkeiten, verb<strong>und</strong>en<br />
mit hoher Wirtschaftlichkeit. Deswegen ist die Cessna<br />
Caravan zur Zeit das für Aerogravimetrie <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
flugzeuggetragene Explorationssysteme am häufigsten<br />
<strong>und</strong> erfolgreichsten eingesetzte Flugzeug weltweit.<br />
Abb. 1.26: Cessna Grand Caravan des DLR in<br />
Oberpfaffenhofen (Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
Cessna Grand Caravan of the DLR in Oberpfaffenhofen
Abb. 1.27: Installation des Aerogravimetrie-Systems im<br />
Flugzeug (Foto: Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
Installation of the aerogravimetry system in the aircraft<br />
Neben dem klassischen Fluggravimeter wurde ein<br />
Strap-Down-System <strong>der</strong> Bayerischen Akademie <strong>der</strong><br />
Wissenschaften installiert. Die Navigationstechnik des<br />
Aerogravimetriesystems bestand aus einem Trimble<br />
4000 GPS-Empfänger <strong>und</strong> einem Ashtech Z-Surveyor,<br />
verb<strong>und</strong>en mit einem IGI Inertial-Navigationssystem.<br />
Zu Testzwecken wurde zusätzlich ein Laserhöhenmesser<br />
eingebaut.<br />
Abb. 1.28: Schema <strong>der</strong> Installation<br />
Schematic sketch of the installation<br />
Als Teststrecken für das Aerogravimetrie-System wurden<br />
je zwei Profile über den bayerischen Voralpen<br />
(kurzwellige, topografisch geprägte Schwereanomalien)<br />
<strong>und</strong> dem Rheingraben (langwellige, durch den Graben<br />
geprägte Schwereanomalie) gewählt. Abbildung 1.29<br />
zeigt die Testprofile über dem Rhein, Abbildung 1.30<br />
das Messresultat des südlichen Profils.<br />
Abb. 1.29: Karte <strong>der</strong><br />
Freiluftanomalien über dem<br />
Rheingraben <strong>und</strong> Lage <strong>der</strong><br />
Flugprofile<br />
Map of free air anomalies<br />
over the Rhine graben and<br />
the location of the flight profiles<br />
Abb. 1.30: Ergebnisse des<br />
südlichen Flugprofils über<br />
dem Rheingraben<br />
Results of the southern flight<br />
profile over the Rhine<br />
graben<br />
165
166<br />
Aus den Erfahrungen <strong>der</strong> Ersteinrüstungen wurden<br />
einige Systemverbesserungen, wie <strong>der</strong> Bau eines zentralen<br />
Zeittriggers aus einer hochgenauen GPS-Uhr, in<br />
direkter Folge vorgenommen. Aktuell wird ein neuer,<br />
homogener Satz von GPS-Empfängern beschafft, <strong>der</strong><br />
die Bahnbestimmung des Flugzeugs mit wesentlich<br />
höherer zeitlicher <strong>und</strong> räumlicher Auflösung<br />
gewährleisten soll, als es bislang <strong>der</strong> Fall war. Zugleich<br />
dienten die Flüge dem Ausbau <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anpassung <strong>der</strong><br />
Auswerteprogramme, die auch jetzt noch weiter vorangetrieben<br />
wird. Für Kalibrierungsarbeiten <strong>und</strong><br />
Genauigkeitsuntersuchungen wird <strong>der</strong>zeit für den<br />
LaCoste&Romberg-Sensor ein Teststand aufgebaut. Mit<br />
dessen Hilfe sollten die bislang erzielten Resultate noch<br />
weiter verbessert werden können. Die Ersteinrüstung<br />
des Systems in Oberpfaffenhofen war neben den genannten<br />
Aspekten auch gr<strong>und</strong>legend für die Vorbereitung<br />
<strong>und</strong> Durchführung <strong>der</strong> MEXAGE-(México<br />
AeroGeophysical Experiment) Flugkampagne im<br />
Hochland von Mexiko <strong>und</strong> über dem Chicxulub-<br />
Krater.<br />
Für die weitere Zukunft werden Schwerpunkte auf<br />
instrumentelle Verbesserungen am Gravimetriesystem,<br />
auf die Auswertung <strong>der</strong> Daten <strong>und</strong> die Integration <strong>der</strong><br />
neuen GPS-Empfänger sowie <strong>der</strong>en Datenprozessierung<br />
gelegt. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die<br />
Implementation eines Programmpaketes zur Modellierung<br />
eines regionalen Geoids aus Aerogravimetrie<strong>und</strong><br />
bodennahen Schweredaten. Dieses Programmpaket<br />
wurde bereits erfolgreich getestet <strong>und</strong> soll weiter ausgebaut<br />
werden.<br />
México AeroGeophysical Experiment (MEXAGE)<br />
Etwa vor 65 Millionen Jahren ereigneten sich verschiedene<br />
Naturkatastrophen, die zusammen das größte<br />
bekannte Massensterben in <strong>der</strong> Erdgeschichte auslösten.<br />
Unterhalb Indiens stieg ein Manteldiapir auf, <strong>der</strong><br />
schließlich Indien von <strong>der</strong> Seychellenbank löste.<br />
Riesige Lavaströme pressten sich in <strong>der</strong> Dekka-Region<br />
Indiens an die Oberfläche. Noch während diese<br />
gewaltigen Vulkanausbrüche anhielten, ereignete sich in<br />
<strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> heutigen Yucatán-Halbinsel in Mexiko<br />
eine weitere Katastrophe: ein Meteorit von etwa 10 km<br />
Durchmesser schlug dort auf <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> ein <strong>und</strong> riss<br />
einen Krater von 180 km Durchmesser <strong>und</strong> weit über<br />
3 km Tiefe. Diese Ereignisse markieren zugleich einen<br />
<strong>der</strong> wichtigsten Zeitenwechsel <strong>der</strong> geologischen<br />
Erdgeschichte, den Übergang von <strong>der</strong> Kreide in das<br />
Tertiär.<br />
Zu dieser Zeit waren die großen Kontinente <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
schon auseinan<strong>der</strong>gebrochen <strong>und</strong> drifteten in ihre<br />
heutige Lage (Abb. 1.31). Aus Sedimentkernen wurde<br />
abgeleitet, dass zwischen Kreide <strong>und</strong> Tertiär große<br />
Gebiete <strong>der</strong> heutigen Landmassen unter <strong>der</strong><br />
Meeresoberfläche lagen, so auch <strong>der</strong> größte Teil<br />
Mexikos <strong>und</strong> die gesamte Yucatán-Halbinsel. Der<br />
Meteorit schlug also in ein Gebiet ein, das damals noch<br />
etwa 200 bis 300 m unter dem Meeresspiegel lag. Heute<br />
liegt etwa die Hälfte des damals überfluteten Yucatán-<br />
Schelfs wenige Meter oberhalb <strong>der</strong> Meeresoberfläche<br />
<strong>und</strong> bildet im Süden die Yucatán-Halbinsel, im Norden<br />
den südlichsten Teil des Golfes von Mexiko (Abb. 1.32).<br />
Der Krater selbst liegt mit seinem Zentrum unterhalb<br />
des kleinen Fischerhafens Chicxulub (Abb. 1.33) <strong>und</strong><br />
wurde so nach ihm benannt. Damit liegt heute seine<br />
nördliche Hälfte im Flachwasserbereich des Golfes von<br />
Mexiko <strong>und</strong> seine südliche in Yucatán. Topografisch ist<br />
die Kraterstruktur nicht sichtbar, weil <strong>der</strong> Krater selbst<br />
im Laufe <strong>der</strong> Zeit mit Sedimenten aufgefüllt wurde. Nur<br />
durch geophysikalische Methoden wie Seismik,<br />
Magnetik o<strong>der</strong> Gravimetrie lässt sich <strong>der</strong><br />
Einschlagkrater in seiner Gesamtstruktur finden <strong>und</strong><br />
abbilden. Das Problem, das bei diesen Kartierungen bislang<br />
immer wie<strong>der</strong> auftauchte, ist <strong>der</strong> Flachwasserbereich<br />
vor <strong>der</strong> Küste von Yucatán mit nur sehr geringen<br />
Wassertiefen, Sandbänken <strong>und</strong> Riffen. Hier können<br />
Forschungsschiffe nur schwer operieren. Deshalb ist<br />
ausgerechnet ein zentraler Teil des Kraters für oberflächennahe<br />
Messungen kaum zugänglich. Als<br />
Konsequenz wurde ausgehend vom <strong>GFZ</strong> in Kooperation<br />
mit <strong>der</strong> Universidad Nacional Autónoma de México<br />
(UNAM) <strong>und</strong> dem Consejo de Recursos Minerales de<br />
México eine geophysikalische Befliegung dieses kritischen<br />
Kraterbereiches durchgeführt. Vom Flugzeug aus<br />
wurde das lokale Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />
Anomalien, hervorgerufen durch den Krater, vermessen.<br />
Das <strong>GFZ</strong> Potsdam stellte die Gravimetrie- <strong>und</strong><br />
Navigationstechnik für das Experiment zur Verfügung,<br />
das Consejo de Recursos Minerales ein Flugzeug, das<br />
bislang nur für reine Aeromagnetik-Flüge benutzt<br />
wurde. Die UNAM koordinierte <strong>und</strong> finanzierte den<br />
Flugzeugeinsatz in enger Abstimmung mit dem<br />
Consejo. Das Messflugzeug ist eine Britten-Norman<br />
Islan<strong>der</strong>, ein kleines, zweimotoriges Flugzeug, ausgestattet<br />
mit einer Heckverlängerung für die Aeromagnetik-Sensorik<br />
(Abb. 1.34). In Zusammenarbeit mit den<br />
Technikern des Consejo wurde ein LaCoste&Romberg<br />
Fluggravimeter (Abb. 1.35), ein Strap-Down-Gravimeter<br />
<strong>der</strong> Bayerischen Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften,<br />
ein Inertial-Navigationssystem (INS), <strong>und</strong> mehrere<br />
GPS-Empfänger eingebaut (Abb. 1.36). Am Boden wurden<br />
drei GPS-Referenzstationen <strong>und</strong> eine Magnetik-<br />
Referenzstation betrieben.<br />
Nach erfolgreicher Flugzeuginstallation <strong>und</strong> ersten Tests<br />
wurden auf Wunsch des Consejo einige Testflüge über<br />
dem mexikanischen Hochland zwischen den Städten<br />
Zacatecas <strong>und</strong> Aguascalientes absolviert, bevor die<br />
eigentliche Aufgabe, die Kartierung des Chicxulub-<br />
Impaktkraters, von Merida in Yucatán aus begonnen<br />
wurde (Abb. 1.32).<br />
Der Chicxulub-Krater ist einer <strong>der</strong> größten Impaktstrukturen,<br />
die weltweit bekannt sind. Wie alle großen<br />
Impaktstrukturen dieser Art weist die Struktur des<br />
Kraters mehrere konzentrische Ringe auf, die sich durch<br />
die Seismik <strong>und</strong> Gravimetrie kartieren lassen. Dieses<br />
System von Ringen <strong>und</strong> Teilringen kommt in erster
Linie dadurch zustande, dass die steilen Kraterwände<br />
schon kurz nach dem Einschlag instabil werden <strong>und</strong><br />
aufeinan<strong>der</strong>folgende Hangrutschungen entstehen, die<br />
im Querschnitt Staffelbrüchen gleichen. Im Zentrum des<br />
Kraters ist die kontinentale Kruste nach dem Einschlag<br />
so ausgedünnt gewesen, dass <strong>der</strong> Erdmantel sich durch<br />
den fehlenden Gegendruck aufwölbte. Dieser Effekt<br />
zusammen mit dem durch den Aufprall aufgeschmolzenen<br />
Gestein lässt in <strong>der</strong> Kratermitte ein lokales<br />
Schwerehoch entstehen, kleinere Schwerehochs sind mit<br />
den Strukturen <strong>der</strong> übereinan<strong>der</strong>geschobenen Hangrutschungen<br />
verb<strong>und</strong>en – <strong>der</strong> Krater selbst ist durch die<br />
fehlende Masse <strong>der</strong> Erdkruste <strong>und</strong> die Sedimentfüllung<br />
mit geringer Dichte insgesamt ein Schweretief (Abb.<br />
1.37). Der Meteorit schlug in eine verkarstete Kalkplatte<br />
ein, dass heißt, <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong><br />
Erdkruste bestand aus Karbonaten. Damit trägt die<br />
Erdkruste in diesem Gebiet kaum eine eigene<br />
Magnetisierung. Umso deutlicher zeigen sich die<br />
geschmolzenen Teile <strong>der</strong> tieferen Erdkruste <strong>und</strong> des<br />
Meteoriten im Kraterzentrum in den neuen aeromagnetischen<br />
Daten (Abb. 1.38). Exakt im inneren<br />
Ringbereich des Chicxulub-Kraters finden sich deutliche,<br />
lokale Magnetfeldanomalien, während rings um<br />
den Krater das Magnetfeld eine eher glatte, homogene<br />
Ausprägung hat.<br />
Alle bisherigen geophysikalischen Modelle hatten den<br />
großen Nachteil, dass im zentralen Bereich Daten<br />
fehlten. Um trotzdem zu Ergebnissen zu kommen, wurden<br />
die Strukturen interpoliert. Erst nach <strong>der</strong> MEX-<br />
AGE-Befliegung kann überprüft werden, ob diese<br />
Interpolationen <strong>und</strong> die daraus abgeleiteten Modelle <strong>der</strong><br />
Kraterstruktur gerechtfertigt waren. Die Auswertung <strong>der</strong><br />
Aerogravimetriedaten <strong>und</strong> die Überprüfung <strong>der</strong> Modelle<br />
soll bis zum Ende des nächsten Jahres abgeschlossen<br />
werden. Dann sind auch die ersten Ergebnisse <strong>der</strong><br />
ICDP-Bohrung im Bereich des Chicxulub-Kraters zu<br />
erwarten. Ohne die tragende Hilfestellung des Teams <strong>der</strong><br />
Universidad Nacional <strong>und</strong> des Consejo de Recursos<br />
Minerales (Abb. 1.39) wäre das MEXAGE-Projekt nicht<br />
möglich gewesen.<br />
Abb. 1.31: Die Lage <strong>der</strong> Kontinente vor 65 Millionen<br />
Jahren <strong>und</strong> heute: die Dekka-Provinz <strong>und</strong> die Lokation<br />
des Chicxulub-Impaktes<br />
The position of the continents 65 million years ago and<br />
today: the Decca province and the location of the<br />
Chicxulub impact.<br />
Abb. 1.32: Die Untersuchungsgebiete<br />
<strong>der</strong><br />
MEXAGE-Flugkampagne<br />
in Mexiko, die Kreise<br />
deuten den inneren <strong>und</strong><br />
äußeren Kraterring des<br />
Chicxulub-Impakts an.<br />
The survey areas of the<br />
MEXAGE flight campaign<br />
in México, the circles<br />
indicate the inner<br />
and outer crater rings of<br />
the Chicxulub impact.<br />
167
168<br />
Abb. 1.33: Ansichten von<br />
Chicxulub<br />
(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
Views of Chicxulub<br />
Abb. 1.34: Das Flugzeug<br />
des Consejo de Recursos<br />
Minerales, am Heck des<br />
Flugzeugs ist die Verlängerung<br />
für den Aeromagnetiksensor<br />
angebracht.<br />
(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
The aircraft of the Consejo<br />
de Recursos Minerales, at<br />
the rear of the aircraft a<br />
sting for the aeromagnetometry<br />
sensor is mounted.<br />
Abb. 1.35: Das LaCoste<br />
&Romberg-Gravimeter, eingebaut<br />
im Flugzeug, im<br />
Hintergr<strong>und</strong> ist das Cockpit<br />
zu erkennen.<br />
(Foto: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
The LaCoste&Romberg gravitymeter<br />
mounted within<br />
the aircraft, in the back the<br />
cockpit.
Abb. 1.36: Schematische Skizze des Geräteeinbaus im<br />
Flugzeug<br />
Schematic sketch of the instrument installation within<br />
the aircraft<br />
Abb. 1.37: Schematische Skizze <strong>der</strong> Kraterstruktur<br />
direkt nach dem Einschlag <strong>und</strong> seine Verän<strong>der</strong>ung bis<br />
heute samt seiner gravimetrischen Signatur<br />
Schematic sketch of the crater structure immediatly after<br />
the impact and its changes until today with its present<br />
gravimetric signature<br />
Abb. 1.38: Aeromagnetikdaten<br />
des Chicxulub-Kraters<br />
Aeromagnetometry data of the<br />
Chicxulub impact structure<br />
Abb. 1.39: MEXAGE-Team (Flugzeug-Crew <strong>und</strong> Wissenschaftler) in Zacatecas <strong>und</strong> Merida(Fotos: U. Meyer, <strong>GFZ</strong>)<br />
MEXAGE-Team (aircraft crew and scientists) in Zacatecas and Merida.<br />
169
170<br />
Gravimetrische Messungen am "South African<br />
Geodynamic Observatory Sutherland of <strong>GFZ</strong>"<br />
(SAGOS)<br />
1999 konnte das South African<br />
Geodynamic Observatory Sutherland<br />
(SAGOS) des <strong>GFZ</strong> seiner<br />
Bestimmung übergeben werden.<br />
Eines <strong>der</strong> Hauptinstrumente auf <strong>der</strong><br />
Station ist das bis zur Überführung<br />
in Potsdam betriebene Supraleitgravitmeter.<br />
Das Dual Sphere Supraleitgravimeter<br />
(SLG) ist das erste <strong>und</strong><br />
einzige Instrument auf dem<br />
afrikanischen Kontinent zur<br />
hochauflösenden (10 -11 m*s-2) <strong>und</strong><br />
driftarmen (einige 10 -8 m*s-2)<br />
Messung von Schwerevariationen<br />
im Periodenbereich von Minuten<br />
bis zu mehreren Jahren. Im März<br />
2000 begann die Registrierung des<br />
SLG mit 2 Schweresensoren, die<br />
vertikal in einem Abstand von<br />
19,63 cm angeordnet sind. Das<br />
SLG ist Teil eines 18 Stationen<br />
umfassenden weltweiten Netzes<br />
von Supraleitgravimetern, die im<br />
Rahmen des "Global Geodynamic Project (GGP)"<br />
zusammenarbeiten. Die wissenschaftlichen Zielstellungen<br />
sind die Erforschung von:<br />
• Erdgezeiten <strong>und</strong> Erdkernresonanz im Gezeitenband<br />
• Polbewegung<br />
• Eigenschwingungen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
• Erdkern-Moden<br />
• Schwerevariationen infolge Massenumlagerungen in<br />
<strong>der</strong> Atmosphäre <strong>und</strong> Hydrosphäre<br />
• Schwereän<strong>der</strong>ungen infolge tektonischer Bewegungen<br />
• Kalibrierung von hochgenauen Satelliten-<br />
Schweremessungen mittels Supraleitgravimeter-<br />
Messungen.<br />
Voraussetzung für eine erfolgreiche Untersuchung<br />
oben genannter Forschungsziele ist ein geringes<br />
Rauschen (Noise) an <strong>der</strong> Station. Zur Ermittlung <strong>der</strong><br />
Noise-Magnitude wurde von unbehandelten Schweredaten<br />
eines Monats (Februar 2001) des unteren<br />
Schweresensors G1l des SLG das Power-Spektrum<br />
berechnet. Das Power-Spektrum (PSD) in µgal 2 /mHz<br />
ist in Abb. 1.40 in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Frequenz<br />
dargestellt (blau). Die zugeordnete Noise-Magnitude<br />
NM =10* log(PSD) in dB (PSD in m*s -2 ) ist auf <strong>der</strong><br />
rechten y-Achse aufgetragen. Die Noise-Magnitude<br />
liegt unterhalb von 1 mHz dicht an bzw. unter dem<br />
"New Low Noise Model” (NLNM)) nach An<strong>der</strong>son<br />
1993 (magenta). Dieser Vergleich zeigt, dass die<br />
Station gute Voraussetzungen für gravimetrische<br />
Messungen bietet. In diesem Spektralbereich liegen<br />
auch die langperiodischen Eigenschwingungen <strong>der</strong><br />
<strong>Erde</strong>, die somit bestens detektiert werden können.<br />
Abb. 1.40: Blau: Power-Spektrum (PSD) <strong>und</strong> Noise-Magnitude (NM) des<br />
unteren SLG Sensors (G1l) Magenta: New Low Noise Model (NLNM)<br />
Blue: Power Spectral Density (PSD) and Noise Magnitude (NM) of lower SG<br />
sensor (G1l)<br />
Gezeitenparameter<br />
Es wurden erstmals die Gezeitenparameter für die<br />
Region Sutherland in Südafrika mit hochauflösenden<br />
gravimetrischen Daten bestimmt. Die Ergebnisse aus<br />
<strong>der</strong> Analyse einer 18- monatigen SLG-Datenreihe <strong>und</strong><br />
den zeitgleichen Luftdruckdaten, die zur Korrektur des<br />
Luftdruckeffektes dienen, sind im Abb. 1.41 zu sehen.<br />
Zum Vergleich wurden die Amplitudenfaktoren δ.<br />
(Verhältnis von beobachteter zu theoretischer<br />
Amplitude) nach dem Wahr-Dehant-Modell (gelb) <strong>und</strong><br />
die mit dem Programm ETERNA 3.3 ermittelten<br />
Amplitudenfaktoren δ. (blau) <strong>und</strong> Phasen κ. (grün).<br />
dargestellt. Die Abweichungen vom Modell sind deutlich<br />
zu erkennen. Für die Partialtiden mit den größeren<br />
Amplituden Q1, O1, P1, <strong>und</strong> K1 (ganztägige Perioden)<br />
sowie N2, M2, S2 <strong>und</strong> K2 (halbtägige Perioden) konnte<br />
die Korrektur <strong>der</strong> Ozean-Auflast nach dem Schwi<strong>der</strong>ski-<br />
Modell angebracht werden (rot). Es zeigt sich, dass die<br />
Korrektur <strong>der</strong> Ozean-Auflast nur bei den halbtägigen<br />
Partialtiden N2, M2, S2 <strong>und</strong> K2 eine Annäherung <strong>der</strong><br />
Parameter δ <strong>und</strong> κ. an die Modellwerte bringt. Bei den<br />
ganztägigen Partialtiden Q1, O1, P1 and K1 tritt hingegen<br />
eine zunehmende Abweichung zu den Modellwerten<br />
auf. Weitere Untersuchungen <strong>der</strong> Abweichungen <strong>der</strong><br />
Gezeitenparameter bis zu einer Verbesserung des<br />
Auflastmodells des Ozeans sind erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Eigenschwingungen <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
Das Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von Peru (16,14S, 73,312 W,<br />
Tiefe 33 km, Magnitude 8,4) am 23. Juni 2001 um
20:33:14.14 UTC wurde vom Moden-Kanal des SLG<br />
aufgezeichnet. Zur Detektion <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> wurde ein Datensatz von 96 St<strong>und</strong>en nach dem<br />
Beben analysiert. Nach <strong>der</strong> Luftdruckkorrektur <strong>und</strong><br />
einer Tiefpassfilterung (Eckfrequenz 6 mHz) konnte das<br />
Spektrum bei Überlagerung <strong>der</strong> Daten mit einem<br />
Hanning-Window berechnet werden. Bild 1.42 zeigt die<br />
Eigenschwingungen bis zur Frequenz von OS10.<br />
Oberhalb des Spektrums sind die Modellwerte <strong>der</strong><br />
Frequenzen <strong>der</strong> sphäroidalen Moden aufgelistet. Ihre<br />
Frequenzen entsprechen den zugeordneten Gridlinien.<br />
Das geringe Rauschen an <strong>der</strong> Station <strong>und</strong> die hohe<br />
Auflösung des SLG lassen erstmals die langperiodischen<br />
Moden OS2, 2S1 <strong>und</strong> 0S3 so deutlich hervortreten.<br />
Zur Demonstration <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong> des zeitlichen<br />
Verlaufs <strong>der</strong> Moden wurden die Daten nach dem<br />
Erdbeben einer Zeit-Frequenzanalyse mit Hilfe <strong>der</strong><br />
Abb. 1.41: Gezeitenparameter<br />
für die Station<br />
Sutherland. WD-Modell<br />
Parameter (gelb), berechnete<br />
Parameter (blau) <strong>und</strong><br />
(grün), Ozean Auflast korrigierte<br />
Parameter (blau)<br />
<strong>und</strong> (rot)<br />
Tidal Parameters for<br />
Sutherland site. WD Model<br />
parameter d (yellow), calculated<br />
parameters (blue)<br />
and (green), Ocean loading<br />
corrected parameters<br />
(blue) and (red)<br />
Abb. 1.42: Eigenschwingungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> nach dem<br />
Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von<br />
Peru (16,14 °S, 73,312 °W,<br />
Tiefe 33 km, Magnitude<br />
8,4) am 23. Juni 2001 um<br />
20:33:14.14 UTC<br />
Free Oscillation of the<br />
Earth after the Earthquake<br />
near the coast of Peru<br />
(16.14 °S, 73.312 °W, depth<br />
33 km, magnitude 8.4)<br />
on June 23, 2001 at<br />
20:33:14.14 UTC<br />
Wavelet-Transformation (Morlet-Wavelet) unterzogen.<br />
Das Wavelet-Spektrum in Abb. 1.43 zeigt die<br />
Herausbildung, das zeitliche Verhalten <strong>und</strong> das<br />
Abklingen <strong>der</strong> einzelnen Moden. Im Bild links sind die<br />
sphäroidalen Moden <strong>und</strong> rechts die zugeordneten<br />
Perioden dargestellt. Der untere Bildabschnitt zeigt die<br />
Daten nach dem Beben <strong>und</strong> das für die Berechnung des<br />
Spektrums benutzte Wavelet. Das Abklingen <strong>der</strong> einzelnen<br />
Moden erfolgt verschieden schnell. Die deutlich<br />
sichtbaren Amplitudenschwankungen während des<br />
Abklingens entstehen durch Überlagerung <strong>der</strong> einzelnen<br />
Moden sowie ihrer Aufspaltungen. Es ist ebenfalls<br />
festzustellen, dass die Perioden einiger Schwingungen<br />
mit zunehmen<strong>der</strong> Zeit etwas größer werden, z. B. OS2,<br />
OS4, 1S2. Die Wavelet-Transformation kann somit<br />
genutzt werden, um die zeitliche Periodenän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong><br />
die zeitlich abhängige Dämpfung <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />
zu untersuchen.<br />
171
172<br />
Abb. 1.43: Wavelet-Spektrum <strong>der</strong> Eigenschwingungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Erde</strong> nach dem Erdbeben an <strong>der</strong> Küste von Peru<br />
Wavelet-Spectrum of the Free Oscillation of the Earth<br />
after the Earthquake near the coast of Peru<br />
Auswirkung globaler physikalischer Prozesse<br />
auf Rotation, Schwere- <strong>und</strong> Magnetfeld<br />
Im Rahmen des Forschungsvorhabens "Globale<br />
physikalische Prozesse" wurden die Einflüsse oberflächennaher<br />
Prozesse <strong>und</strong> von Bewegungen im Erdkern<br />
auf die Erdrotation <strong>und</strong> das Schwerefeld untersucht. Für<br />
die Berechnung <strong>der</strong> Bewegungen im Erdkern aus geomagnetischen<br />
Variationen an <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze<br />
wurden inverse Methoden zur Feldfortsetzung entwikkelt.<br />
Oberflächennahe Prozesse<br />
Ziel unserer früheren Untersuchungen war es, die<br />
saisonalen Ungleichgewichte im axialen Drehimpulsbudget<br />
zwischen fester <strong>Erde</strong> <strong>und</strong> Atmosphäre besser zu<br />
quantifizieren. Die Resultate zeigten sich als signifikante<br />
Restabweichungen in verschiedenen LOD-<br />
AAM-Systemen (LOD: Lenght of Day; AAM: atmospheric<br />
angular momentum). Im komplexen Erdsystem<br />
sollten sie durch nicht berücksichtigte Erregungsquellen<br />
verursacht sein, wofür insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Drehimpulsaustausch<br />
mit den Ozeanen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hydrosphäre zu<br />
beachten ist. Deshalb wurden die Berechnungen hin-<br />
sichtlich weiterer atmosphärischer, ozeanischer <strong>und</strong><br />
hydrologischer Beiträge zu Tageslängenän<strong>der</strong>ungen<br />
erweitert. Zunächst wurden bisher noch fehlende axiale<br />
atmosphärische Drehimpulsdaten für die Atmosphärenschicht<br />
zwischen den Niveaus 10 <strong>und</strong> 0,3 hPa in <strong>der</strong><br />
oberen Stratosphäre herangezogen. Axiale ozeanische<br />
Drehimpulsdaten wurden mit Hilfe zweier ozeanischer<br />
Zirkulationsmodelle generiert. Da keine Zeitreihe zur<br />
Berechnung <strong>der</strong> saisonalen hydrologischen Beiträge verfügbar<br />
war, wurden neuere Abschätzungen <strong>der</strong><br />
Oberflächenspeicherung benutzt. Mit diesen Untersuchungen<br />
des globalen axialen Drehimpulsbudgets im<br />
saisonalen Bereich konnte gezeigt werden, dass es<br />
innerhalb <strong>der</strong> Unsicherheiten ausgeglichen ist.<br />
Seit Mitte <strong>der</strong> siebziger Jahre sind die Erdorientierungsparameter<br />
(EOP) mit sehr genauen geodätischen<br />
Raumverfahren überwacht worden. In unserer<br />
Untersuchung wurden die vom Jet Propulsion<br />
Laboratory berechneten EOP-Zeitreihen zur Untersuchung<br />
<strong>der</strong> zeitlichen Variabilität <strong>der</strong> Komponenten <strong>der</strong><br />
Polbewegung mit Chandler- <strong>und</strong> Jahresperiode benutzt.<br />
Nach Separierung <strong>der</strong> beiden Perioden wurden ihre<br />
Parameter <strong>und</strong> Ungenauigkeiten für Epochen mit<br />
Vierteljahresabstand berechnet. Für die Chandler- <strong>und</strong><br />
Jahresperiode wurden zeitliche Variationen <strong>der</strong><br />
Periodenlänge festgestellt. In Weiterführung dieser<br />
Analysen wurde die Aufmerksamkeit auf Polbewegungskomponenten<br />
gerichtet, die wesentlich kleinere<br />
Amplituden als die Chandler- <strong>und</strong> Jahreswellen haben.<br />
Aus den EOP-Zeitreihen konnten folgende Anteile<br />
separiert werden: Halb-Chandler- <strong>und</strong> halbjährliche<br />
Perioden <strong>und</strong> Anteile mit 4-, 3-, 2- <strong>und</strong> 1,5-monatigen<br />
Perioden sowie mit quasi-zweijährigen <strong>und</strong> 300-tägigen<br />
Perioden.<br />
Neben diesen Untersuchungen wurden ozeanische <strong>und</strong><br />
hydrologische Beiträge zur jahreszeitlichen Erregung<br />
<strong>der</strong> Polbewegung <strong>und</strong> entsprechen<strong>der</strong> Schwerefeldvariationen<br />
betrachtet. Der Einfluss auf die Polbewegung<br />
wird durch entsprechende Erregerfunktionen beschrieben,<br />
die bei Simulationen <strong>der</strong> ozeanischen <strong>und</strong> hydrologischen<br />
Prozesse berechnet werden. Von den frei verfügbaren<br />
Ozeanmodellen wurden die OMCT-, POCM<strong>und</strong><br />
MIT-Modelle (OMCT: Ocean Model for<br />
Circulation and Tides, POCM: Parallel Ocean Climate<br />
Model, MIT: Massachusetts Institute of Technology)<br />
verwandt. Für die Bodenfeuchte wurden die<br />
NCEP/NCAR-Reanalysen (NCEP: National Center for<br />
Environmental Prediction, NCAR: National Center for<br />
Atmospheric Research) <strong>und</strong> ergänzende Datenreihen<br />
herangezogen, die sich insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> Schneebedeckung unterscheiden. Bisher<br />
konnte <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> Bodenfeuchte zu den<br />
Polbewegungs- <strong>und</strong> Schwerevariationen noch nicht ausreichend<br />
geklärt werden. Dagegen ergab sich aus <strong>der</strong><br />
Untersuchung zur Ozeandynamik ein signifikanter<br />
Beitrag zur jährlichen Polbewegung, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong> atmosphärischen<br />
Erregung <strong>der</strong> wichtigste in diesem<br />
Periodenbereich ist <strong>und</strong> den vorläufig geschätzten<br />
Beitrag <strong>der</strong> Bodenfeuchte wesentlich übersteigt.
Außerdem wurden die durch die Ozeandynamik verursachten<br />
Schwerefeldän<strong>der</strong>ungen für jährliche <strong>und</strong> halbjährliche<br />
Perioden, sowie für kürzere Perioden untersucht.<br />
Gr<strong>und</strong>lage dafür waren Modellsimulationen mit<br />
dem Ozeanmodell von Thomas <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>mann. Der<br />
Vergleich mit den erwarteten Genauigkeiten <strong>der</strong><br />
Satellitenmissionen CHAMP <strong>und</strong> GRACE zeigte, dass<br />
ozeanbedingte Variationen des Schwerefeldes in den<br />
genannten Periodenbereichen mit CHAMP bis Grad <strong>und</strong><br />
Ordnung 8 <strong>und</strong> mit GRACE bis Grad <strong>und</strong> Ordnung 34<br />
nachgewiesen werden können.<br />
Schließlich wurden die Altimeterdaten aus den ERS1<strong>und</strong><br />
Topex-Poseidon-Missionen benutzt, um ozeanbedingte<br />
Polbewegungen aus Messungen <strong>der</strong> Meeresspiegelschwankungen<br />
abzuleiten. Es zeigte sich, dass<br />
die Ozeandynamik einen sehr hohen stochastischen<br />
Anteil an den Meeresspiegelschwankungen generiert.<br />
Demzufolge müssen genügend lange<br />
Datensätze vorliegen, um den deterministischen<br />
Anteil in den Zeitreihen<br />
<strong>der</strong> Meeresspiegelhöhe zu isolieren.<br />
Die ERS1-Datensätze sind hierfür<br />
nicht lang genug. Dagegen reicht die<br />
Länge des Topex-Poseidon-Datensatzes<br />
aus, um die Jahresperiode <strong>der</strong><br />
Erregerfunktion <strong>der</strong> Polbewegung zu<br />
bestimmen. Daneben wurde eine ca. 4jährige<br />
Oszillation ermittelt, die von<br />
einem Massentransport im Pazifik<br />
stammt, <strong>der</strong> vermutlich durch den El-<br />
Nino-Effekt verursacht wird.<br />
Relativbewegungen des Innenkerns,<br />
Polbewegungs- <strong>und</strong> Schwerevariationen<br />
Eine Bewegung <strong>der</strong> Figurenachse des<br />
Innenkernes um die Polachse <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
führt wegen <strong>der</strong> Abplattung des<br />
Innenkerns <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dichtedifferenz<br />
zwischen Innen- <strong>und</strong> Außenkern zu<br />
Massenumlagerungen, welche zeitliche<br />
Variationen <strong>der</strong> Polbewegung<br />
verursachen. Unter <strong>der</strong> Annahme, dass<br />
die hinsichtlich des atmosphärischen<br />
Einflusses reduzierten dekadischen<br />
Polbewegungen vollständig durch eine<br />
solche Bewegung des Innenkerns erzeugt werden, kann<br />
man mit Hilfe <strong>der</strong> Rotationsgleichungen die dazu<br />
notwendigen Variationen <strong>der</strong> Figurenachse berechnen.<br />
Benutzt man Standarddichtemodelle, so ergeben die<br />
Berechnungen, dass die Auslenkung <strong>der</strong> Figurenachse<br />
von <strong>der</strong> Polachse <strong>der</strong> <strong>Erde</strong> in einem Winkelbereich von<br />
0,4° bis 1,4° schwankt, diese Schwankungen neben<br />
irregulären Anteilen die bekannten Perioden von ca. 30<br />
<strong>und</strong> 70 Jahren haben <strong>und</strong> die Figurenachse mit etwa 0,7°<br />
pro Jahr ostwärts driftet. Die Drift stimmt in Richtung<br />
<strong>und</strong> Betrag etwa mit den Vorhersagen mo<strong>der</strong>ner<br />
Dynamomodelle für den Außenkern überein. Dagegen<br />
kann die Auslenkung bisher nicht mit Drehmomentmodellen<br />
erklärt werden.<br />
Die durch die angenommene Relativbewegung des<br />
Innenkerns verursachten Massenverlagerungen wirken<br />
sich auch auf die Variationen des Schwerefeldes aus. Die<br />
entsprechenden Amplituden wurden aus <strong>der</strong><br />
Relativbewegung berechnet. Ein Vergleich <strong>der</strong><br />
Berechnungen mit <strong>der</strong> Genauigkeit gegenwärtiger<br />
Gravitationsfeldmodelle, z. B. GRIM4, <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />
erwarteten Genauigkeit <strong>der</strong> Satellitenmissionen<br />
CHAMP <strong>und</strong> GRACE zeigte, dass die Hypothese <strong>der</strong><br />
Innenkernbewegung während <strong>der</strong> nächsten 10 Jahre<br />
getestet werden kann. Voraussetzung ist, dass die<br />
Beiträge an<strong>der</strong>er Prozesse separiert werden können, was<br />
insbeson<strong>der</strong>e die genaue Erfassung des Gravitationseffektes<br />
oberflächennaher Prozesse auch im dekadischen<br />
Zeitbereich erfor<strong>der</strong>t.<br />
Abb 1.44.: Radialkomponente des Erdmagnetfeldes an <strong>der</strong> Kern-Mantel-<br />
Grenze für die Epoche 1930, berechnet durch nicht-harmonische<br />
Fortsetzung des poloidalen Feldes von Grad <strong>und</strong> Ordnung 8 für eine elektrische<br />
Leitfähigkeit σ = 3000 Ω -1 m -1 in den unteren 200 km des Erdmantels<br />
Radial component of the geomagnetic field at the core-mantle bo<strong>und</strong>ary<br />
for the epoch 1930 calculated by non-harmonic continuation of the<br />
poloidal geomagnetic field of degree and or<strong>der</strong> 8 assuming an electrical<br />
conductivity of σ = 3000 Ω -1 m -1 in the lowermost 200 km of the Earth's<br />
mantle<br />
Inverse Bestimmung des Magnetfeldes an <strong>der</strong><br />
Kern-Mantel-Grenze<br />
Für die Untersuchungen zur Kern-Mantel-Kopplung<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Relativbewegungen ist die<br />
Kenntnis <strong>der</strong> geomagnetischen Variationen in <strong>der</strong><br />
gesamten Kern-Mantel-Übergangszone nötig.<br />
Vor ca. 5 Jahren wurde ein numerisches Verfahren zur<br />
inversen Lösung <strong>der</strong> Induktionsgleichung zur<br />
Ausbreitung geomagnetischer Variationen im Mantel<br />
entwickelt. Dieses nicht-harmonische Verfahren wurde<br />
inzwischen soweit verbessert, dass es sowohl auf Daten<br />
173
174<br />
Abb. 1.45: Geoidhöhenvariation in mm für Zweitagesintervalle im April 1994, verursacht durch ozeanische<br />
Massenumverteilung gemäß dem theoretischen Modell OMCT (Institut für Meeresk<strong>und</strong>e, Universität Hamburg)<br />
Geoid height variation in mm for two-day intervals in April 1994 caused by oceanic mass redistribution according<br />
to the theoretical model OMCT (Institute of Oceanography, University of Hamburg)<br />
mit kurzperiodischen Schwankungen als auch auf<br />
Rotationen des Außenkerns im Bereich <strong>der</strong> Kern-<br />
Mantel-Übergangszone anwendbar ist. Im Rahmen <strong>der</strong><br />
Untersuchungen wurde das für Inversionsverfahren typische<br />
Stabilitätsproblem durch Anwendung eines<br />
geeigneten mathematischen Algorithmus gelöst.<br />
Mit Hilfe des Verfahrens wurde zunächst für verschiedene<br />
Modelle <strong>der</strong> Leitfähigkeit des Mantels das<br />
Magnetfeld an <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze berechnet <strong>und</strong><br />
mit dem durch harmonische Verfahren bestimmten Feld<br />
verglichen. Danach wurde <strong>der</strong> Algorithmus modifiziert<br />
<strong>und</strong> eingesetzt, um das Feld in eine hochleitfähige<br />
Schicht unterhalb <strong>der</strong> Kern-Mantel-Grenze fortzusetzen,<br />
die mit vorgegebener Winkelgeschwindigkeit differentiell<br />
rotiert. Die Ergebnisse zeigen, dass das nicht-harmonische<br />
Verfahren bei dekadischen Variationen nur für<br />
kurze Perioden zu erheblichen Abweichungen vom harmonischen<br />
Verfahren führen kann, bei subdekadischen<br />
Variationen universeller als die konventionelle<br />
Strömungsmethode anwendbar ist <strong>und</strong> erst in Schichten<br />
mit sehr hoher Leitfähigkeit wie <strong>der</strong> des Außenkerns an<br />
seine Grenze gelangt.<br />
Die gekoppelte Inversion von geomagnetischen <strong>und</strong><br />
Rotationsvariationen zeigte, dass das Drehimpulsgleichgewicht<br />
zwischen Kern <strong>und</strong> Mantel bei Modellen starr<br />
rotieren<strong>der</strong> Schichten im oberen Kern nur erreicht werden<br />
kann, wenn die Schichtdicke zeitvariabel angesetzt<br />
wird. Die Resultate sind dementsprechende Zeitreihen<br />
<strong>der</strong> Schichtdicke. Alternativ sollte in zukünftigen<br />
Untersuchungen die Dichte <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Kopplung<br />
beteiligten Schicht variabel gelassen <strong>und</strong> ihr<br />
Zeitverhalten durch Inversion bestimmt werden.<br />
Auswirkungen von Eis- <strong>und</strong> Wasserlasten auf<br />
Erdfigur, Deformations- <strong>und</strong> Schwerefeld<br />
Die kausale Beschreibung langperiodischer Deformationen<br />
des Erdkörpers basiert auf <strong>der</strong> Feldtheorie <strong>der</strong>
Gravito-Viskoelastodynamik. Ein wichtiger<br />
Prozess in diesem Periodenbereich<br />
sind insbeson<strong>der</strong>e die durch das<br />
Abschmelzen <strong>der</strong> pleistozänen <strong>und</strong><br />
heutigen Eislasten hervorgerufenen<br />
glazial-isostatischen Ausgleichsvorgänge.<br />
Die in diesem Zusammenhang<br />
vorrangigen Ziele des Forschungsvorhabens<br />
waren die Weiterentwicklung<br />
<strong>der</strong> theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen, die<br />
Erweiterung <strong>der</strong> Datenbasis sowie die<br />
Steigerung <strong>der</strong> Effizienz <strong>der</strong> Software-<br />
Pakete <strong>und</strong> die Modellierung glazialisostatischer<br />
Ausgleichsprozesse. Bei<br />
<strong>der</strong> Modellierung ging es um die<br />
Bestimmung <strong>der</strong> Viskosität des Erdinnern<br />
<strong>und</strong> es wurde <strong>der</strong> Versuch unternommen,<br />
den Einfluss von Vertikalbewegungen<br />
<strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen<br />
auf die säkularen Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
abzuschätzen.<br />
Gravito-Viskoelastodynamik<br />
Die theoretische Behandlung langperiodischer<br />
Deformationen des Erdkörpers<br />
erfolgt mit Hilfe <strong>der</strong> Feldtheorie<br />
<strong>der</strong> Gravito-Viskoelastodynamik, wobei<br />
gewöhnlich Maxwell-Viskoelastizität<br />
angenommen wird. Im einzelnen<br />
wurden Fragen zur Kompressibilität<br />
<strong>und</strong> lateralen Heterogenität bearbeitet.<br />
Zur Untersuchung des Einflusses <strong>der</strong><br />
Kompressibilität auf das Relaxationsverhalten<br />
viskoelastischer Erdmodelle<br />
müssen zwei Teilprobleme gelöst<br />
werden: (1) Berücksichtigung <strong>der</strong><br />
Auswirkungen <strong>der</strong> Selbstkompression<br />
auf die Dichtezunahme mit <strong>der</strong> Tiefe<br />
im ungestörten Zustand <strong>und</strong> (2)<br />
Berücksichtigung dieses Dichteprofils<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kompressibilität bei <strong>der</strong><br />
Berechnung des gestörten Zustandes.<br />
Zur Lösung <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Problematik war zunächst ein vereinfachtes<br />
sphärisches Erdmodell mit<br />
einem chemisch homogenen, kompressiblen<br />
Erdmantel entwickelt worden.<br />
Die Analyse <strong>der</strong> Lösung zeigte,<br />
dass sich das Erdmodell bei auflastinduzierten<br />
Deformationen stabil verhält.<br />
Im nächsten Schritt wurde das<br />
Modell realistischer gestaltet <strong>und</strong> die<br />
Lösung für Deformationen eines Erdmodells bestehend<br />
aus chemisch homogenen, kompressiblen Kugelschalen<br />
berechnet.<br />
Die Entwicklung lateral heterogener sphärischer<br />
Erdmodelle ist erschwert durch die Tatsache, dass<br />
Variationen <strong>der</strong> Viskosität in lateraler Richtung nicht<br />
Abb. 1.46: Durch Abschmelzen von Gletschern hervorgerufene<br />
Vertikalbewegung <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ung sowie damit verb<strong>und</strong>ene relative<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung an Gezeitenpegeln. Letztere ist zu trennen von <strong>der</strong><br />
durch Klimaän<strong>der</strong>ungen hervorgerufenen absoluten Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung.<br />
Vertical movement and geoid change due to the melting of glaciers as well<br />
as associated relative sea-level change at tide-gauges. The latter must be<br />
distinguished from absolute sea-level changes caused by climate change.<br />
Abb. 1.47: Permanente GPS-Stationen in Kanada <strong>und</strong> den nordöstlichen<br />
USA. Die rot gekennzeichneten Stationen wurden im Jahre 2001 vom <strong>GFZ</strong><br />
Potsdam in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Geodetic Survey Division in Ottawa<br />
installiert.<br />
Permanent GPS stations in Canada and the northeastern USA. The stations<br />
marked in red were installed in the year 2001 by the <strong>GFZ</strong> Potsdam in<br />
cooperation with the Geodetic Survey Division at Ottawa.<br />
klein gegenüber <strong>der</strong> mittleren Viskosität sind. Daher<br />
können hier keine störungstheoretischen analytischen<br />
Methoden Anwendung finden, <strong>und</strong> zur Modellierung<br />
beliebiger 3D-Verteilungen <strong>der</strong> Viskosität müssen<br />
komplexe numerische Verfahren entwickelt werden.<br />
Zur Kalibrierung dieser Verfahren <strong>und</strong> zum physikalischen<br />
Verständnis <strong>der</strong> Auswirkungen lateraler<br />
175
176<br />
Variationen sind allerdings analytische Lösungen für<br />
vereinfachte 2D-<strong>und</strong> 3D-Erdmodelle unerlässlich.<br />
Hierzu war zunächst die Lösung für eine Punktlast auf<br />
einem 2D-Erdmodell, bestehend aus zwei axialsymmetrischen<br />
Kugelschalen, berechnet worden. Diese<br />
Lösung wurde im weiteren Verlauf für zwei Kugelschalen<br />
mit voller 3D-Symmetrie verallgemeinert.<br />
Parallel dazu wurde ein numerisches Verfahren<br />
entwickelt, das bei <strong>der</strong> Interpretation die Verwendung<br />
von Erdmodellen mit beliebiger 3D-Verteilung <strong>der</strong><br />
Viskosität gestattet.<br />
Beobachtungsdaten, Eismodelle <strong>und</strong> Software-<br />
Entwicklung<br />
Zur Lösung <strong>der</strong> gestellten Aufgaben - verbesserte<br />
Bestimmung <strong>der</strong> Viskosität des Erdinnern <strong>und</strong> Einfluss<br />
von Vertikalbewegungen auf säkulare Meereresspiegelän<strong>der</strong>ungen<br />
- ist es erfor<strong>der</strong>lich, neben <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong><br />
Komplexität <strong>der</strong> verwendeten Erdmodelle auch die zur<br />
Verfügung stehende Datenbasis zu erweitern <strong>und</strong> realis-<br />
tische Modelle <strong>der</strong> pleistozänen <strong>und</strong> gegenwärtigen<br />
Eisbedeckung zu entwickeln. Daneben ist für die<br />
Modellierung auch eine Erhöhung <strong>der</strong> numerischen<br />
Effizienz <strong>der</strong> zugehörigen Software von Bedeutung. Im<br />
einzelnen wurden folgende flankierende Maßnahmen<br />
ergriffen:<br />
Neben den von <strong>der</strong> geplanten Satellitenmission GRACE<br />
erwarteten Daten zur zeitlichen Variabilität des<br />
Schwerefeldes ist es für die gestellten Aufgaben<br />
notwendig, die verfügbaren konventionelle Beobachtungsdaten<br />
in die Modellierungen zu integrieren. Hierzu<br />
eignen sich vor allem Daten zur postglazialen relativen<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung (Palaeo-Strandliniendaten). Bei<br />
<strong>der</strong> Zusammenstellung dieser Daten konnte weitgehend<br />
auf Datenarchive an<strong>der</strong>er Institutionen zurückgegriffen<br />
werden, zum Teil mussten ergänzend eigene Recherchen<br />
<strong>der</strong> Fachliteratur vorgenommen werden. Gegenwärtig<br />
umfasst das Gesamtarchiv Daten von Nordamerika (ca.<br />
8865 Proben), Großbritannien (ca. 1048 Proben),<br />
Fennoskandien (ca. 553 Proben), <strong>der</strong> Barentssee (ca.<br />
Abb. 1.48: Mächtigkeit in m des globalen Eismodells ICE-3G für die nördliche Hemisphäre während des letzten<br />
glazialen Maximums <strong>und</strong> seit dem Ende <strong>der</strong> Abschmelzphase (links) sowie Mächtigkeit in m des regionalen<br />
Eismodells SVAL-R für Svalbard zum gegenwärtigen Zeitpunkt <strong>und</strong> angenommene Abschmelzgeschichten (rechts)<br />
Thickness in m of the global ice model ICE-3G for the northern hemisphere at the last glacial maximum and since<br />
the end of the deglaciation phase (left) as well as thickness in m of the regional ice model SVAL-R for Svalbard at<br />
the present time and assumed deglaciation histories (right)
264 Proben) <strong>und</strong> dem äquatorialen Bereich (ca. 349<br />
Proben). Des weiteren kann auch verstärkt auf GPS-<br />
Messungen <strong>der</strong> mit glazial-isostatischen Ausgleichsvorgängen<br />
verb<strong>und</strong>enen Vertikal- <strong>und</strong> Horizontalverschiebungen<br />
zurückgegriffen werden. Während diesbezüglich<br />
die Situation im fennoskandischen<br />
Hebungsgebiet befriedigend ist, ist die Abdeckung im<br />
kanadischen Hebungsgebiet noch unzureichend. Daher<br />
wurde im Rahmen des SEAL-Projekts <strong>und</strong> in<br />
Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Geodetic Survey Division,<br />
Ottawa, in Nordkanada ein Netzwerk von sechs permanenten<br />
GPS-Stationen an den Orten Baker Lake, Pickle<br />
Lake, Great Whale River, Val d'Or, Dartmouth <strong>und</strong> Sept<br />
Isle aufgebaut, das mittlerweile operativ ist.<br />
Für die Modellierung <strong>der</strong> globalen Umverteilung <strong>der</strong><br />
Eis- <strong>und</strong> Wassermassen während des Pleistozäns kann<br />
auf mehrere frei zugängliche geomorphologische (z.B.<br />
ICE-3G, SCAN-2, BARENTS-2) <strong>und</strong> thermomechanische<br />
(z.B. ICE-NH1) Eismodelle zurückgegriffen werden.<br />
Für Regionen mit hoher Dichte konventioneller<br />
Beobachtungsdaten, wie Fennoskandien, sind diese<br />
Modelle allerdings nicht ausreichend. Daher wurde für<br />
diese Region das hochauflösende Eismodell WEICH-<br />
SEL-3 entwickelt, das bei <strong>der</strong> Modellierung <strong>der</strong><br />
Beobachtungsdaten gegenüber früheren Interpretationen<br />
deutlich verbesserte Anpassungen erlaubt.<br />
Bei <strong>der</strong> Software-Entwicklung stand die Neuentwicklung<br />
von Computer-Codes sowie die Optimierung<br />
vorhandener Codes im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Gegenwärtig stehen<br />
für die Modellierung Codes für 1D-, 2D-o<strong>der</strong> 3D-<br />
Erdmodelle zur Verfügung, wobei für Vergleichszwecke<br />
auch unterschiedliche numerische Verfahren verwandt<br />
werden. Weitere Arbeiten beschäftigten sich mit <strong>der</strong><br />
numerischen Implementierung <strong>der</strong> zur Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> Eis-Wasser-Umverteilung erfor<strong>der</strong>lichen<br />
"Sea Level Equation" für 2D- <strong>und</strong> 3D-Erdmodelle, was<br />
gegenüber herkömmlichen Verfahren für 1D-<br />
Erdmodelle erhebliche Modifikationen erfor<strong>der</strong>t.<br />
Abb. 1.49: Berechnete Vertikalbewegung, Geoidän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> resultierende relative Meeresspiegelän<strong>der</strong>ung in Ny-<br />
Åles<strong>und</strong>, Svalbard, hervorgerufen durch glaziale Isostasie. Die Vorhersagen beziehen sich auf die Erdmodelle A1, A2<br />
<strong>und</strong> NA sowie auf das rezente Eismodell SVAL-R mit angenommenen Abschmelzgeschichten. Für die geophysikalisch<br />
plausiblen Erdmodelle A1 <strong>und</strong> A2 wird eine relative Meeresspiegelabsenkung vorhergesagt, welche die beobachtete<br />
relative Meeresspiegelabsenkung von ca. 2,6 mm pro Jahr übersteigt. Dies kann auf einen klimatisch bedingten<br />
absoluten Meeresspiegelanstieg hinweisen.<br />
Calculated vertical movement, geoid change and resulting relative sea-level change at Ny-Åles<strong>und</strong>, Svalbard, due to<br />
glacial isostasy. The predictions are based on earth models A1, A2 and NA as well as the recent ice model SVAL-R<br />
with assumed deglaciation histories. For the geophysically plausible earth models A1 and A2 a relative sea-level fall<br />
is predicted, which exceeds the observed relative sea-level fall of about 2.6 mm per year. This may indicate a climatically<br />
induced absolute sea-level rise.<br />
177
178<br />
Modellierung<br />
Bei <strong>der</strong> Modellierung standen die Bestimmung <strong>der</strong><br />
Viskosität des Erdinnern sowie <strong>der</strong> Einfluss von<br />
Vertikalbewegungen <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen auf säkulare<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />
Da die Vorhersage des Einflusses von glazial-isostatischen<br />
Vertikalbewegungen <strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen auf<br />
die an Gezeitenpegeln beobachteten säkularen<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen realistische viskoelastische<br />
Erdmodelle voraussetzt, wurde zunächst <strong>der</strong> Versuch<br />
unternommen, die Kenntnis <strong>der</strong> Viskositätsverteilung im<br />
Erdinnern zu verbessern. Als Beispiel wurde<br />
Fennoskandien gewählt, wo als Folge einer früheren<br />
Modellierung mit ausgewählten Beobachtungsdaten <strong>und</strong><br />
vereinfachten Eismodellen bereits Erfahrungen vorliegen.<br />
Im weiteren Verlauf wurde diese Interpretation<br />
unter Einbeziehung <strong>der</strong> Gesamtheit <strong>der</strong> Palaeostrandlinien-<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Beobachtungsdaten <strong>und</strong> unter<br />
Verwendung des realistischen Eismodells WEICHSEL-<br />
3 für den nordeuropäischen Teil <strong>der</strong> pleistozänen<br />
Vereisung verbessert. Die Modellierung basiert auf <strong>der</strong><br />
neuentwickelten Software für radialsymmetrische kompressible<br />
Erdmodelle mit realistischem Dichteprofil.<br />
Bisherige Ergebnisse <strong>der</strong> Interpretation weisen auf<br />
Viskositäten von ca. 0,8 x 1021 Pa s im oberen<br />
Erdmantel <strong>und</strong> ca. 8 x 1021 Pa s im unteren Erdmantel<br />
hin. Für die Lithosphärenmächtigkeit ergibt sich eine<br />
obere Schranke von 115 km.<br />
Ein wichtiges Ziel im Rahmen des SEAL-Projekts ist<br />
die Berücksichtigung <strong>der</strong> mit glazial-isostatischen<br />
Ausgleichsvorgängen verb<strong>und</strong>enen Vertikalbewegungen<br />
<strong>und</strong> Geoidän<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> Analyse von säkularen<br />
Meeresspiegelän<strong>der</strong>ungen. Hierzu wurde in einer<br />
Pilotstudie <strong>der</strong> Gezeitenpegel von Ny-Åles<strong>und</strong>,<br />
Svalbard, ausgewählt <strong>und</strong> die Vertikalbewegungen mit<br />
Hilfe eines radialsymmetrischen Erdmodells untersucht.<br />
Die plausiblen Wertebereiche für die Lithosphärenmächtigkeit<br />
<strong>und</strong> Mantelviskosität basieren auf früheren<br />
Interpretationen <strong>der</strong> postglazialen Landhebung in <strong>der</strong><br />
Region Svalbard-Barentssee. Zur Simulation des<br />
Abschmelzens <strong>der</strong> kontinentalen Eismassen mussten für<br />
dieses Gebiet neben dem pleistozänen Eisschild auch<br />
Svalbards gegenwärtige Eiskappen <strong>und</strong> Gletscher<br />
berücksichtigt werden. Dazu wurde das globale<br />
Eismodell ICE-3G um das regionale Eismodell SVAL-R<br />
erweitert <strong>und</strong> die zugehörige Vertikalbewegung <strong>und</strong><br />
Geoidän<strong>der</strong>ung berechnet. Ergebnis <strong>der</strong> bisherigen<br />
Modellierungen ist, dass die durch glaziale Isostasie<br />
hervorgerufene Meeresspiegelabsenkung für plausible<br />
glazial-isostatische Modelle größer ist als die<br />
beobachtete säkulare Absenkung von ca. 2,6 mm pro<br />
Jahr, was auf einen klimatisch bedingten absoluten<br />
Meeresspiegelanstieg hinweisen kann.<br />
Fernerk<strong>und</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Erde</strong><br />
Arbeitsgegenstand im Projektbereich Fernerk<strong>und</strong>ung ist<br />
die Untersuchung von Möglichkeiten neuer fernerk<strong>und</strong>licher<br />
Methoden zur Identifikation <strong>und</strong><br />
Quantifizierung von Objekten <strong>und</strong> Oberflächenmaterialien<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Stellung in räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen<br />
Prozessabläufen. Dabei wird <strong>der</strong> raumbezogene <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Abb. 1.50: Spektrale Reflexionssignaturen städtischer Oberflächenmaterialien in hyperspektralen HyMap-Daten<br />
eines Testgebietes in Dresden<br />
Spectral reflectance signatures of urban surface materials obtained from hyperspectral HyMap data for a study area<br />
in the city of Dresden
spektrale Informationsgehalt von Daten unterschiedlicher<br />
Satelliten- <strong>und</strong> Flugzeugsensoren analysiert <strong>und</strong><br />
Konzepte sowie Algorithmen zur Auswertung für verschiedene<br />
geowissensschaftliche Fragestellungen<br />
entwickelt.<br />
Schwerpunktthemen bilden die Umwelt, Geologie <strong>und</strong><br />
verstärkt die Naturgefahren. Die methodischen<br />
Entwicklungen ergeben sich aus den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
drei Anwendungsbereiche <strong>und</strong> konzentrieren sich dabei<br />
auf die hyperspektrale Datenanalyse, Objekterkennung<br />
<strong>und</strong> SAR-Interferometrie.<br />
Umwelt<br />
Arbeiten des Projektbereiches zum Thema Stadtökologie<br />
befassen sich mit <strong>der</strong> Entwicklung von fernerk<strong>und</strong>lichen<br />
Algorithmen, die die automatisierte<br />
Identifizierung städtischer Oberflächen wesentlich<br />
verbessern <strong>und</strong> für die stadtplanerische Praxis einsatzfähig<br />
machen. Dazu werden gegenwärtig spektral<br />
hochauflösende Daten von flugzeuggetragenen hyperspektralen<br />
Fernerk<strong>und</strong>ungssensoren (z. B. DAIS 7915<br />
<strong>und</strong> HYMAP) genutzt. Diese Untersuchungen erfolgen<br />
im Hinblick auf eine zukünftige Verfügbarkeit von<br />
hyperspektralen Daten satellitengestützter Sensoren<br />
(OrbView 4), auf <strong>der</strong>en Basis ein Monitoring von urbanen<br />
Räumen möglich ist. Die wissenschaftlichen<br />
Arbeiten im Berichtszeitraum glie<strong>der</strong>n sich in zwei<br />
Punkte - den Aufbau einer spektralen <strong>Bibliothek</strong> für<br />
städtische Oberflächen im europäischen Bereich <strong>und</strong> die<br />
Integration von Mustererkennungsalgorithmen in die<br />
spektrale Auswertesoftware. Testgebiete bilden die<br />
Städte Dresden <strong>und</strong> Potsdam.<br />
Die spektrale <strong>Bibliothek</strong> ist eine Sammlung von spektralen<br />
Reflexionsmessungen verschiedenster städtischer<br />
Oberflächenmaterialien. Dazu zählen unterschiedliche<br />
Strassen- <strong>und</strong> Gehwegbeläge, Dachmaterialien sowie<br />
offene Freiflächen <strong>und</strong> Vegetationsflächen in ihrer für<br />
urbane Räume typischen Ausprägung. Jede dieser<br />
Oberflächen verfügt über ein bestimmtes Vermögen,<br />
Photonen zu absorbieren, zu brechen <strong>und</strong> zu reflektieren.<br />
Diese drei Prozesse sind wellenlängenabhängig.<br />
Die Reflexion wird mit einem Feldspektrometer<br />
spektral gemessen. Der Sensor zeichnet<br />
Reflexionswerte im Wellenlängenbereich von 350 bis<br />
2500 nm mit einer spektralen Auflösung von 1 nm auf.<br />
Die chemisch/stoffliche Zusammensetzung ist verantwortlich<br />
für die Höhe <strong>der</strong> Reflexion in jedem Kanal<br />
<strong>und</strong> äußert sich in einem materialtypischen<br />
Reflexionsspektrum. Somit gibt die spektrale<br />
<strong>Bibliothek</strong> Auskunft über spektrale Charakteristika<br />
von städtischen Oberflächen. Sie ist eine wichtige<br />
Datenbasis für die materialorientierte Auswertung<br />
hyperspektraler Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten mit dem Ziel<br />
einer flächendeckenden Identifizierung <strong>der</strong> städtischen<br />
Oberflächen. In Abb. 1.50 sind die spektralen<br />
Reflexionssignaturen in einem HyMap-Datensatz<br />
für einige Oberflächenmaterialien des Testgebietes<br />
Dresden dargestellt. Die Materialidentifizierung<br />
erfolgte im Vergleich mit den Signaturen <strong>der</strong><br />
Spektralbibliothek.<br />
Aufgr<strong>und</strong> des kleinflächigen Wechsels von Oberflächentypen<br />
in Städten ergibt sich ein großer Anteil an<br />
Mischpixeln im Bild, was zur Entwicklung eines neuen<br />
Entmischungsprogrammes in den letzten Jahren führte.<br />
Ähnliche spektrale Eigenschaften einiger Dach- <strong>und</strong><br />
Bodentypen sowie die Unterdrückung <strong>der</strong> spektralen<br />
Eigenschaften im Bildpixel nicht-dominieren<strong>der</strong> Mischklassen<br />
erfor<strong>der</strong>te die Integration von räumlichen Zusatzinformationen<br />
im Auswerteprozess. Beispielsweise<br />
bestehen asphaltierte Straßen <strong>und</strong> Dachdeckungsbahnen<br />
aus Bitumen. Die Trennung von Straßen <strong>und</strong> Gebäuden<br />
ist jedoch aufgr<strong>und</strong> ihrer unterschiedlichen stadtökologischen<br />
Wirkungsweise von großer Bedeutung. So werden<br />
nun mit Hilfe von Mustererkennungsalgorithmen<br />
die Gebäudeflächen a priori automatisch im Bild detektiert,<br />
maskiert <strong>und</strong> ebenso wie die übrigen Objektflächen<br />
spektral identifiziert. Anschließend werden die<br />
unbekannten Mischpixel aufgr<strong>und</strong> ihrer räumlichen<br />
Nachbarschaftsbeziehungen zu bereits identifizierten<br />
Pixeln iterativ mit Hilfe eines Flächenwachstumsverfahrens<br />
analysiert. Als Ergebnis stehen somit neben dem<br />
dominierenden Oberflächentyp, dem prozentualen<br />
Anteil im Bildpixel, auch die Ergebnisse für die<br />
Mischklassen zur Verfügung.<br />
Geologie<br />
Im Rahmen eines GIF-Projektes (GIF: German-Israeli-<br />
Fo<strong>und</strong>ation) wurden hyperspektrale Daten des abbildenden<br />
Spektrometers DAIS 7915 mit dem Ziel<br />
analysiert, die Lithologie des magmatischen Komplexes<br />
Mt. Timna, Südisrael, zu kartieren. Bevor die Bilddatenauswertung<br />
erfolgte, mussten mehrere Vorverarbeitungsschritte<br />
zur Verbesserung <strong>der</strong> Datenqualität<br />
durchgeführt werden. Der erste Schritt diente <strong>der</strong><br />
Elimination eines sensorbedingten Streifenmusters <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Minimierung des zufälligen Rauschanteils. Zur<br />
Entfernung des systematischen Rauschanteils musste<br />
aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Komplexität des Rauschmusters (zeilenabhängiges<br />
Sinusmuster) ein neuartiges Korrekturverfahren<br />
entwickelt werden. Die Minimierung des zufälligen<br />
Rauschens erfolgte durch Filterung <strong>der</strong> betroffenen<br />
Bildkomponenten nach einer MNF-Transformation. In<br />
einem zweiten Schritt wurde eine atmosphärische<br />
Korrektur <strong>der</strong> Bilddaten durchgeführt. Durch diese<br />
spektrale Normierung wird eine Identifizierung <strong>der</strong><br />
Mineralogie am Boden ermöglicht. Die Korrektur<br />
erfolgte nach Wellenlängenbereichen getrennt. Für die<br />
Umrechnung <strong>der</strong> Strahldichte in Reflexionswerte wurde<br />
die Empirical Line Methode verwendet, die Referenzmessungen<br />
im Felde voraussetzt. Für die Berechnung<br />
<strong>der</strong> Strahldichte am Boden aus <strong>der</strong> emittierenden<br />
Strahlung kam das Atmosphärenkorrekturprogramm<br />
Atcor 4 zur Anwendung. Anschließend erfolgte eine<br />
Trennung <strong>der</strong> berechneten Strahldichte in Emissivitäts<strong>und</strong><br />
Temperaturwerte. Dazu wurden verschiedene<br />
Verfahren (z.B. Alpha Residuals Method o<strong>der</strong><br />
Normalized Emissivity Method) getestet.<br />
179
180<br />
Mit diesen korrigierten Daten lassen sich nun zwei verschiedene<br />
Produkte erstellen. Basierend auf den<br />
Temperaturwerten können Temperaturkarten für das<br />
Testgebiet erstellt werden. Die Reflexions- bzw.<br />
Emissionswerte dienen als Gr<strong>und</strong>lage für die flächenhafte<br />
Kartierung <strong>der</strong> Lithologie des Mt. Timnas. Zur<br />
Klassifizierung <strong>der</strong> lithologischen Einheiten wurde ein<br />
künstliches neuronales Netzwerk eingesetzt, welches in<br />
<strong>der</strong> Lage ist, feinste spektrale Variationen zwischen den<br />
Einheiten selbstständig zu erkennen <strong>und</strong> zu berücksichtigen.<br />
Das Klassifizierungsergebnis (Abb. 1.51)<br />
zeigt eine gute räumliche Differenzierung <strong>der</strong> Hauptgesteinseinheiten<br />
<strong>und</strong> stimmt mit <strong>der</strong> Geologie im<br />
wesentlichen überein. Für Schwemmfächer <strong>und</strong> Wadis<br />
ergibt sich sogar eine feinere Unterscheidung einzelner<br />
Einheiten, die in <strong>der</strong> geologischen Karte allgemein als<br />
quartäre Ablagerungen zusammengefasst werden.<br />
Abb. 1.51: Klassifizierung <strong>der</strong> Lithologie des magmatischen Komplexes Mt. Timna, Südisrael<br />
Lithological classification of the magmatic Mt. Timna complex in Southern Israel<br />
Abb. 1.52: Ausschnitt des Klassifizierungsergebnisses einer<br />
Standardmethode (a) <strong>und</strong> eines neuen multitemporalen Ansatzes (b)<br />
Subset of the classification result obtained by (a) standard method and<br />
(b) new multitemporal approach<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass eine genaue flächenhafte<br />
Kartierung mineralogisch/lithologischer Einheiten mittels<br />
hyperspektraler Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten durchführbar<br />
ist <strong>und</strong> zusätzlich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Spektraldaten eine<br />
Identifizierung von Mineralen, wie zum<br />
Beispiel Karbonate o<strong>der</strong> Tonminerale,<br />
anhand von Reflexionsdaten zulässt. Damit<br />
wird dem Geologen ein hilfreiches<br />
Werkzeug gegeben, das es ihm ermöglicht,<br />
seine Kartierungsarbeit zu optimieren <strong>und</strong><br />
sie auch in unzugänglichere Bereiche<br />
auszudehnen <strong>und</strong> dort durchzuführen.<br />
Auch für die Lagerstättenexploration ist<br />
die Auswertung von Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten<br />
von Bedeutung. Durch die Bilddaten-<br />
auswertung können Vorabkartierungen<br />
erfolgen, die beispielsweise Bereiche hydrothermaler<br />
Lagerstätten anhand bestimmter<br />
Mineralvergesellschaftungen (Kaolinit/Illit<br />
<strong>und</strong> Montmorillonit) eingrenzen
<strong>und</strong> somit zu Kosten- <strong>und</strong> Zeitersparnissen bei <strong>der</strong><br />
Geländearbeit führen. Es ist jedoch wichtig zu betonen,<br />
dass die Fernerk<strong>und</strong>ung als ein bedeutendes Hilfsmittel<br />
anzusehen ist, aber bei dem momentanen Stand <strong>der</strong><br />
Sensortechnik die Geländearbeit nicht ersetzt kann.<br />
Naturgefahren<br />
Untersuchungen von Naturgefahren im Hinblick auf<br />
Massenbewegungen, Erdbeben <strong>und</strong> Überschwemmungen<br />
stellen einen weiteren Schwerpunkt dieses<br />
Projektbereiches dar. Ziel ist es, mit Hilfe von<br />
Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten wichtige Informationen zur<br />
Risikoabschätzung <strong>und</strong> Prävention bereitzustellen.<br />
Testgebiete liegen in Europa <strong>und</strong> Asien.<br />
Das Projekt C1 "Satellitengestützte Charakterisierung<br />
<strong>und</strong> Inventarisierung von katastrophenrelevanten<br />
Elementen <strong>der</strong> natürlichen <strong>und</strong> anthropogenen<br />
Landschaftsausstattung" ist ein Teilprojekt (TP) des<br />
Deutschen Forschungsnetzes Naturkatastrophen<br />
(DFNK). Das DFNK ist in fünf unterschiedliche thematische<br />
Cluster unterteilt, wobei das Teilprojekt C1 in<br />
zweien dieser Cluster vertreten ist. Das Ziel des TP C1<br />
im Cluster "Risikoanalyse Hochwasser" ist die Analyse<br />
<strong>und</strong> Entwicklung von Klassifizierungsmethoden zur<br />
Erstellung aktueller Landnutzungskarten anhand von<br />
Satellitendaten. Für die Klassifizierung werden Daten<br />
des Satelliten Landsat 7 ETM von unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten herangezogen, um über die multitemporale<br />
Information exaktere Klassifizierungsergebnisse <strong>der</strong><br />
Oberflächentypen zu gewinnen. Das neuentwickelte<br />
multitemporale Verfahren, das die zeitliche Komponente<br />
mittels a priori Wissens in einen Maximum-Likelihood-<br />
Ansatz einbindet, wird im Projekt mit an<strong>der</strong>en Standard-<br />
Klassifizierungsmethoden verglichen. Abb. 1.52<br />
verdeutlicht die Vorteile des neuen Ansatzes. Neben<br />
einer insgesamt stärkeren Homogenisierung des<br />
Ergebnisses werden mit Hilfe <strong>der</strong> temporalen<br />
Information eindeutige Entscheidungen über zeitab-<br />
Abb. 1.53: Schema zur Extraktion von Häusern aus Daten des<br />
Satellitensensors IKONOS<br />
Scheme for extraction of buildings from IKONOS satellite remote sensing<br />
data<br />
hängige Klassen (Fruchtfolge 1, Fruchtfolge 2) erst<br />
möglich. Feldarbeiten vor Ort dienen dazu, die<br />
Trainingsgebiete für die halbautomatischen Verfahren<br />
zu verifizieren <strong>und</strong> Informationen über Verän<strong>der</strong>ungen<br />
im Testgebiet während des betreffenden Zeitraums zu<br />
sammeln. Die Erkenntnisse des Feldeinsatzes werden in<br />
die Untersuchung einbezogen <strong>und</strong> auf diese Weise die<br />
Klassifizierungsmethoden in <strong>der</strong> weiteren Projektarbeit<br />
noch eingehen<strong>der</strong> analysiert <strong>und</strong> verfeinert.<br />
Innerhalb des Clusters "Risikoanalyse Erdbeben" wird<br />
im TP C1 untersucht, inwieweit eine automatische<br />
Extraktion von Häusern aus Satellitendaten möglich ist.<br />
Dazu werden Daten des wegen seiner räumlichen<br />
Auflösung einzig in Frage kommenden Satelliten<br />
IKONOS eingesetzt. Diese Daten wurden bereits gängigen<br />
Bildverarbeitungs- <strong>und</strong> Objekterkennungsmethoden<br />
unterzogen, wobei sich die Grenzen <strong>der</strong> Standardverfahren<br />
aufgr<strong>und</strong> z.B. <strong>der</strong> Objektvielfalt <strong>und</strong> des oftmals<br />
fehlenden Kontrasts zu angrenzenden Objekten herauskristallisierten.<br />
Daher wurde ein neuer Ansatz<br />
entwickelt, <strong>der</strong> die in den Bilddaten vorhandenen<br />
Objektinformationen (Kontext- <strong>und</strong> Formwissen, z.B.<br />
die Position von Schatten) optimal nutzt, um eine<br />
Erkennung von Häusern in den Bil<strong>der</strong>n trotz <strong>der</strong> genannten<br />
Schwierigkeiten zu erreichen. Die Entwicklung des<br />
Verfahrens dauert <strong>der</strong>zeit noch an, jedoch zeigt Abb.<br />
1.53 die gr<strong>und</strong>legende Vorgehensweise des aktuell<br />
vorgeschlagenen Ansatzes.<br />
Die rezenten Plattenbewegungen machen Zentralasien<br />
zu einem geodynamisch hoch aktiven Gebiet. Die damit<br />
verb<strong>und</strong>ene Auffaltung <strong>der</strong> jungen Gebirge (Tienshan,<br />
Pamir) ist mit starker seismischer Aktivität, Hebungen,<br />
Krustendeformationen <strong>und</strong> Massenbewegungen verb<strong>und</strong>en,<br />
die sich beson<strong>der</strong>s in Kirgistan im Randbereich des<br />
Fergana-Beckens in katastrophalen Hangrutschungen<br />
äußern. Sie bedrohen wichtigen Lebensraum <strong>und</strong><br />
for<strong>der</strong>n jedes Jahr Menschenleben. Aufgr<strong>und</strong> ihres<br />
weiträumigen Auftretens (Abb. 1.54) besteht ein hoher<br />
Bedarf an <strong>der</strong> Entwicklung von effektiven<br />
Methoden für eine Gefährdungseinschätzung<br />
im regionalen Maßstab.<br />
Ziel <strong>der</strong> Forschungsarbeiten ist die<br />
Entwicklung von methodischen Ansätzen<br />
zur Nutzung <strong>der</strong> Satellitenfernerk<strong>und</strong>ung<br />
für eine räumlich differenzierte Bewertung<br />
<strong>der</strong> Hangrutschungsgefährdung. Die bisher<br />
in Kirgistan vorgenommene Gefährdungseinschätzung<br />
konzentrierte sich vor<br />
allem auf ingenieurgeologische (Lithologie,<br />
Hangneigung) <strong>und</strong> meteorologischhydrologische<br />
Einflussfaktoren (Hangexposition,<br />
Nie<strong>der</strong>schlag, Schneebedeckung,<br />
Gr<strong>und</strong>wassersituation).<br />
181
182<br />
Diese vorwiegend auf die Analyse von einzelnen<br />
Hangrutschungen orientierten Untersuchungen erlaubten<br />
jedoch keine f<strong>und</strong>ierte regionale Gefährdungseinschätzung.<br />
Der Einsatz mo<strong>der</strong>ner Fernerk<strong>und</strong>ungsmethoden<br />
ermöglichte erstmals eine detaillierte<br />
<strong>und</strong> zugleich regionale Sicht auf Relief <strong>und</strong><br />
Strukturgeologie als wesentliche, Hangrutschungsprozesse<br />
kontrollierende Faktoren, den bisher wenig<br />
Bedeutung beigemessen wurde.<br />
Diesem Zweck diente <strong>der</strong> Aufbau einer großräumigen<br />
GIS-Datenbank auf <strong>der</strong> Basis von Daten optischer <strong>und</strong><br />
SAR-Satellitensysteme. Sie enthält neben Informationen<br />
zu Hangrutschungen geologische Basisinformationen<br />
<strong>und</strong> räumlich hochauflösende Digitale Geländemodelle<br />
(DGM). Auf ihrer Gr<strong>und</strong>lage werden visuelle <strong>und</strong><br />
numerische Ansätze zur kombinierten Analyse von fernerk<strong>und</strong>lichen<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>weitig erhobenen Daten in<br />
einem GIS entwickelt. Schwerpunkte sind dabei die<br />
raum-zeitliche Inventarisierung von Rutschungsereignissen<br />
sowie die räumlich differenzierte Charakterisierung<br />
von terrestrischen Einflussfaktoren.<br />
So ermöglichte die GIS-basierte Interpretation von<br />
Satellitendaten (Landsat-TM, MOMS-2P) in Kombination<br />
mit aus MOMS-2P-Daten abgeleitetem DGM<br />
(Kooperation mit DLR) die Identifizierung rezent aktiv-<br />
Abb. 1.54: Bruchtektonische Hauptstrukturen des Tienshan <strong>und</strong><br />
Hangrutschungsverteilung (Ausschnitt Landsat-TM/MSS Mosaik, R-G-B:<br />
Kanäle 4-2-1)<br />
Main tectonic structures of the Tienshan and areas of landslide activity (subset<br />
of Landsat-TM/MSS mosaic, R-G-B: bands 4-2-1)<br />
er regionaler <strong>und</strong> lokaler Bruchstrukturen. Ein Beispiel<br />
ist die Scherzone bei Maili-Sai (Abb. 1.55), die ein<br />
Parallelelement <strong>der</strong> bedeutenden Randbruchzone<br />
darstellt, die das ältere konsolidierte Basement von <strong>der</strong><br />
jüngeren Struktur des Fergana-Beckens trennt. In dieser<br />
komplexen Scherzone bilden sich sek<strong>und</strong>är NW-SO-<br />
Weitungselemente, die das Auslösen von Hangrutschungen<br />
räumlich kontrollieren. Analysen an<strong>der</strong>er<br />
Testgebiete ergaben ähnliche Mechanismen, die in<br />
Geländeuntersuchungen überprüft wurden. Aufbauend<br />
auf diesen Ergebnissen sind zukünftige Arbeiten auf die<br />
Entwicklung eines neuen bruchtektonischen Strukturmodells<br />
für den gesamten Ostrand des Fergana-Beckens<br />
ausgerichtet.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Reliefanalyse wurde das DGM auf sein<br />
Potential zur automatischen Extraktion von geomorphologischen<br />
Strukturen analysiert. Diese Untersuchungen<br />
dienen <strong>der</strong> Entwicklung von GIS-basierten<br />
Ansätzen zur faktorbezogenen Gefährdungseinschätzung.<br />
Die extrahierten morphologischen Strukturen<br />
(Abb. 1.56) spiegeln den gegenwärtigen Stand <strong>der</strong><br />
Reliefentwicklung wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> sind Ausdruck des<br />
Zusammenspiels von tektonischer Aktivität <strong>und</strong><br />
Erosion, das zu einem charakteristischen räumlichen<br />
Muster von Tiefen- <strong>und</strong> Kammlinien führt. Die halbkreisförmige<br />
Struktur des abgebildeten Beispiels wird<br />
als das Resultat großer Massenbewegungen<br />
in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
interpretiert. Diese Altstruktur liegt<br />
im Einflussbereich einer NW-SOstreichenden<br />
rechtsseitigen strikeslip-Zone,<br />
die unter dem <strong>der</strong>zeitigen<br />
Spannungsregime aktiv ist. Die<br />
extrahierten Strukturen repräsentieren<br />
Informationen, die visuell in<br />
dieser Form we<strong>der</strong> aus dem DGM<br />
noch aus den multispektralen<br />
Fernerk<strong>und</strong>ungsdaten ableitbar<br />
sind.<br />
Auf Gr<strong>und</strong>lage dieser Ergebnisse<br />
ergeben sich neue Möglichkeiten<br />
für eine regionale Einschätzung<br />
<strong>der</strong> Hangrutschungsgefährdung<br />
auf dem Weg GIS-basierter Faktorenanalyse.<br />
Dabei ist das Ziel<br />
eine flächenhaft differenzierte<br />
Ausweisung von Bereichen mit<br />
starker Hangrutschungsgefährdung.<br />
Daraus ergeben sich neue<br />
Handlungsspielräume für den<br />
Katastrophenschutz <strong>und</strong> die Raumplanung.
Abb. 1.55: Perspektivische Darstellung auf <strong>der</strong> Basis<br />
des MOMS-2P DGM <strong>und</strong> Orthobilddaten: Strukturelle<br />
Kontrolle des Hangrutschungsregimes bei Maili-Sai<br />
Perspective visualization using MOMS-2P DEM and<br />
orthoimage: Structural control of landslide activity in<br />
the Maili-Sai area<br />
Die Technik <strong>der</strong> SAR-Interferometrie bietet<br />
Möglichkeiten, digitale Geländemodelle (DGM)<br />
herzustellen <strong>und</strong> kleine Bodendeformationen zu detektieren.<br />
Vom 7. März 1999 bis zum 2. Juli 1999 hat das<br />
<strong>GFZ</strong> eine INSAR-Kampagne mit einer Mobile SAR<br />
Receiving Station in Kitab (Usbekistan) durchgeführt.<br />
Ziel <strong>der</strong> Kampagne war es, neben <strong>der</strong> Aufnahme <strong>und</strong><br />
Archivierung <strong>der</strong> ERS-1/2 Radardaten eine sogenannte<br />
Near-Real-Time SAR- <strong>und</strong> INSAR-Datenprozessierung<br />
im Feld zu testen. In dem Kampagnenzeitraum von drei<br />
Monaten wurde ein großes Areal von 1000 km mal<br />
2000 km in Zentralasien (70°- 90° O / 32°- 42° N)<br />
akquiriert. Jeden Tag wurden in <strong>der</strong> Bodenstation 20<br />
Interferogramme <strong>und</strong> 10 differentielle Interferogramme<br />
produziert. Die Interferogramme stehen somit zur<br />
Generierung von DHMs zur Verfügung. Basierend auf<br />
den differentiellen Interferogrammen können kleinste<br />
Bodendeformationen near-real-time detektiert werden<br />
<strong>und</strong> somit die Instabilität <strong>der</strong> Bodenoberfläche<br />
überwacht werden.<br />
Eine Beson<strong>der</strong>heit aus technischer Sicht stellt die häufige<br />
Nichtparallelität <strong>der</strong> Orbits mit Abweichungen von<br />
bis zu 10 Metern dar, die nicht mit Standardverfahren<br />
<strong>der</strong> SAR-Interferometrie ausgewertet werden können.<br />
Dies erfor<strong>der</strong>te die Entwicklung neuer Verfahren zur<br />
Coregistrierung <strong>der</strong> Datensätze <strong>und</strong> zur Bestimmung <strong>der</strong><br />
Fringefrequenzen. Der hohe Vegetationsanteil in den<br />
untersuchten Gebieten Zentralasiens erschwert weiterhin<br />
den Prozess des Phase Unwrapping. Durch<br />
Einbeziehung von Klassifizierungsergebnissen <strong>der</strong><br />
Oberfläche <strong>und</strong> eines sogenannten Minimum Cost Flow<br />
Approaches konnten erstmals gute Ergebnisse erzielt<br />
werden.<br />
Abb. 1.56: Automatische Extraktion geomorphologischer Strukturen aus MOMS-2P DGM<br />
Automatic extraction of geomorphological structures from MOMS-2P DEM<br />
Abb. 1.57 zeigt die Ergebnisse des D-INSAR-<br />
Prozessors für Urumqi, <strong>der</strong> Hauptstadt des Uigurischen<br />
Autonomen Gebietes Xinjiang (China). Im Norden von<br />
Urumqi befindet sich ein Becken - Junggar Pendi <strong>und</strong><br />
im Süden steigt das Tienshan-Gebirge an. Die durchschnittliche<br />
Höhe von Urumqi liegt bei etwa 800 Meter.<br />
Abb. 1.57a zeigt das Intensitätsbild. Das Höhenmodell<br />
des Gebiets (Abb. 1.57b) ist mit dem Tandempaar<br />
40234/20564 vom 26. <strong>und</strong> 27. März 1999 berechnet<br />
worden. Abb. 1.57c zeigt eine 3D-Perspektive des<br />
Gebietes zur Verdeutlichung <strong>der</strong> topographischen<br />
Charakteristik des Gebiets. Ein zweiter Schwerpunkt <strong>der</strong><br />
INSAR-Kampagne ist die Überwachung kleiner temporaler<br />
Än<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Bodenoberfläche.<br />
Dazu ist ein weiterer Datensatz (Orbit 21065),<br />
<strong>der</strong> 35 Tage später aufgenommen wurde, ausgewählt<br />
worden. Der D-INSAR-Prozesor hat die Topographie<br />
des Gebiets von dem Interferogramm zwischen Orbit<br />
21065 <strong>und</strong> 20564 subtrahiert <strong>und</strong> liefert somit das differentielle<br />
Interferogramm (Abb. 1.57d). Es zeigt, dass<br />
in den 35 Tagen zwischen den Aufnahmezeitpunkten<br />
keine mit Krustendeformationen in Zusammenhang stehenden<br />
großräumigen Verän<strong>der</strong>ungen stattgef<strong>und</strong>en<br />
haben. In dem D-Interferogramm sind jedoch viele<br />
kleinräumige temporale Än<strong>der</strong>ungen zu sehen.<br />
Mögliche Ursachen sind Vegetationswachstum, Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Bodenfeuchte o<strong>der</strong> Wasserbewegungen. 183
184<br />
Abb. 1.57: (a) Intensität, (b) Höhenmodell von Urumqi, (c) 3D-Perspektive <strong>und</strong> (d) D-Interferogramm<br />
(a) Intensity, (b) elevation model of Urumqi, (c) 3D-perspective and (d) D-interferogram