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Die Magie der Bilder

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6<br />

In die Höhlen trieb sie hauptsächlich ihre Weltauffassung, bei <strong>der</strong> die kosmologische<br />

Dreiteilung <strong>der</strong> Welt eine wichtige Grundlage bildete: Da war erstens das<br />

"Mittlere Reich", die flache runde Erdscheibe, auf <strong>der</strong> sich alle lebenden Kreaturen<br />

aufhielten.<br />

Darüber erstreckte sich das rätselhafte "Himmelreich", augenscheinlich ein kuppelartigerOzean,überdendieSonneineinemSchifffuhr,<br />

bis sie am Abend in<br />

das große Loch eintauchte. Dort war das Jenseits - "jenseits" des großen Wassers<br />

natürlich - ein "Unterirdisches Reich", Aufenthalt aller toten Seelen, <strong>der</strong> Menschen<br />

wie <strong>der</strong> Tiere, die aufihre Wie<strong>der</strong>geburt warteten (2a).<br />

Bossekop:Apana Gård/Finnmark,N<br />

Das scheint die naive Vorstellung gewesen zu sein, die jene Menschen weiter in<br />

die Tiefen <strong>der</strong> Höhlen trieb, um dort ihre Bil<strong>der</strong> zu hinterlassen. So wie das Besteigen<br />

hoher Berge o<strong>der</strong> Bäume dazu diente, dem Himmelreich näher zu kommen,<br />

glaubten die Wildbeuter ihrem Schamanen, wenn er mit ihnen in die Tiefe<br />

<strong>der</strong> Karstgebirge hinunter stieg, um bestimmte Zeremonien im "Unterirdischen<br />

Reich" zu vollziehen. <strong>Die</strong>se rituellen Handlungen dienten vor allem <strong>der</strong> Jagd. Das<br />

dabei an die Höhlenwände geritzte o<strong>der</strong> gemalte Bild des erwünschten Wildes<br />

wurde (wie wir von rezenten Völkern wissen) nicht etwa als eine Abbildung gewertet,<br />

nein, es war "das Wild selbst".<br />

Hier offenbart sich eine abstruse Idee <strong>der</strong> vorgeschichtlichen Menschheit: Zur<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Tiere mußten ihre Seelen zuvor magisch eingefangen<br />

werden. Das Bild war also eine Seelenfalle. <strong>Die</strong>se alte Vorstellung erklärt<br />

sich aus dem Bildzaubergedanken, <strong>der</strong> nie ganz vergessen wurde und <strong>der</strong> etwa den<br />

Islam noch heute beherrscht:<br />

Mit dem Abbild eines Gegenstandes wird Gewalt über ihn gewonnen. Deshalb<br />

verbietet <strong>der</strong> Islam seinen Anhängern lebende Wesen abzubilden. Aus gleichem<br />

Grunde wurden aber auch im Unterschied zu den vollendeten Tierdarstellungen,<br />

in <strong>der</strong> Altsteinzeit oftMenschenohneKopfund Extremitäten wie<strong>der</strong>gegeben (3).<br />

Als am Ende <strong>der</strong> Eiszeit die mächtigen Gletschermassen abzutauen begannen, als<br />

die kontinentale Tundra in mehreren Schüben ihre Gestalt än<strong>der</strong>te und ein neuer<br />

Pflanzenwuchs die Tiere zur Wan<strong>der</strong>ung zwang, war das Ende <strong>der</strong> Höhlenkulturen<br />

gekommen. In <strong>der</strong> Zeit, da im vor<strong>der</strong>en Orient erste Stadtstaaten entstanden,<br />

lag Skandinavien noch unter den Resten des mächtigen Eispanzers, <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Küstenregion zum Inland wegschmolz.<br />

Aus Zentralasien bis zu den Pyrenäen zogen instinktmäßig die Rentiere dorthin,<br />

wo <strong>der</strong> letzte Rest <strong>der</strong> Eiszeit zu finden war, um vor <strong>der</strong> lästigen Rentier-Dasselfliege<br />

Schutz zu suchen: Auf die Schneefel<strong>der</strong> Skandinaviens. Dem Ren folgten<br />

die Rentierjäger. Eine <strong>der</strong> größten Völkerwan<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Menschheit kam in<br />

Gang.<br />

Jahrtausende lang durchstreiften die Jäger und Sammler weite Strecken, in denen<br />

kein Karstgebirge Höhlen hinterlassen konnte. <strong>Die</strong> Schamanen konnten keinen<br />

Zugang zur Unterwelt bieten. Der Höhlenfluß, <strong>der</strong> einst im Kalk den Höhlenraum<br />

ausgewaschen hatte, spielte im Mythos eine gewichtige Rolle. In <strong>der</strong> sehr<br />

viel späteren griechischen Mythologie war das <strong>der</strong> Höhlenfluß Styx, an dem <strong>der</strong><br />

Fährmann die Toten überzusetzen hatte.<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

7


8<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

Da die ersten Landnehmer Skandinaviens sich in Küstenkulturen ansiedelten, war<br />

es verständlich, die Unterwelt nunmehr unter den Ozean, den Fjord, den Fluß<br />

und später einfach "unter Wasser" zu legen. Das rechtfertigt die vielen Wassergeister<br />

(4a), die im Norden anzutreffen sind.<br />

Der realistische Stil <strong>der</strong> Parietalkunst <strong>der</strong> Höhlen war Picasso noch so vollendet<br />

erschienen, daß er ausführte: "Nach <strong>der</strong> Höhlenmalerei ist in <strong>der</strong> Kunst nichts<br />

Wesentliches mehr geschehen". Danach schien es aber zu einem Bruch gekommen<br />

zu sein.<br />

In <strong>der</strong> Mittleren Steinzeit scheint das Bildgut einstiger Höhlentradition allein auf<br />

vergänglichem Material, wie auf Tierhäuten, noch vergänglicher in den Sand gekratzt<br />

o<strong>der</strong> schließlich auf Baumrinde überliefert worden zu sein. An<strong>der</strong>s läßt sich<br />

<strong>der</strong> bemerkenswerte Anschluß an die Höhlentradition <strong>der</strong> ,<strong>der</strong><br />

Monumentalkunst<br />

mit Sandstein in die frei zutage liegenden Felsen Bil<strong>der</strong> von Leiknes<br />

geschlifenen<br />

(5) in Nordland und Bardal in Nord-Trondelag kaum erklären.<br />

Mit dem weichen Eisenoxyd begannen die Zeichner ganz naive Strichbil<strong>der</strong> rot<br />

auf die Steine kleiner Höhlungen und unter Bergüberhänge zu malen. Am besten<br />

erhalten sind jedoch die durch Schlagen o<strong>der</strong> Meißeln, Ritzen o<strong>der</strong> Schaben erzeugten<br />

Felsgravuren.<br />

Wurden die Höhlenbil<strong>der</strong> nach zehntausenden von Motiven gezählt, so können<br />

die Motive <strong>der</strong> Felsgravuren allein in Skandinavien auf weit über eine Million beziffert<br />

werden. So aber kommt es zu <strong>der</strong> scheinbaren Diskrepanz, daß am Anfang<br />

die aus <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Naturbetrachtung entstandene, oftpolychrome(mehrfarbige)<br />

realistische Kunst <strong>der</strong> Höhlen entstand, während sehr viel später,<br />

hauptsächlich in den letzten Phasen <strong>der</strong> Steinzeit, in <strong>der</strong> Bronze- und Eisenzeit<br />

sich die Darstellung in <strong>der</strong> Strichmännchen-Methode verlor.<br />

Dadurch konnte es im Anfang <strong>der</strong> FelsbildforschungimGlaubenandieprogressiven<br />

Entwicklungen zu dem Trugschluß kommen, daß die Strichzeichnung älter<br />

sei als die vollendete Höhlenmalerei. Das war ein Irrtum.<br />

Das Wasser<br />

als<br />

Kulturelement<br />

Viele Migrationen (Wan<strong>der</strong>ungen) sind bereits während <strong>der</strong> Eiszeit nicht ohne das<br />

Vorhandensein von Booten zu erklären. Das Boot <strong>der</strong> Tundrenzeit muß mit Gewißheit<br />

ein Hautboot gewesen sein, das Spanten aus Rentiergeweih zusammengebunden<br />

bekam, um die ein Skelett aus Haselnußstäben konstruiert wurde (6).<br />

Ein ältestes Bootsfundstück <strong>der</strong> Erde in Form eines halben Spants aus Rengeweih<br />

fanden Schleusenbauer 1882 im Hafen von Husum/Schleswig-Holstein. Nicht aus<br />

Bodenfunden,son<strong>der</strong>nalleinausFelsbil<strong>der</strong>nläßtsichdievorzeitlicheWan<strong>der</strong>ung<br />

von Stämmen und Völkern aus Zentralasien über die großen Ströme bis ins Nördliche<br />

Polarmeer, hinein in das Weiße Meer sowie um das Nordkap herum, entlang<br />

<strong>der</strong> norwegischen Küste nach Südwesten verfolgen. Sie fanden einen vom Eis befreiten<br />

Küstenstreifen vor, an dem sie jagen und fischen konnten.<br />

Ältestes nachgewiesenes Boot <strong>der</strong> Erde; Bootskelett.<br />

9


10<br />

Soweit bis heute zu übersehen ist, setzten sich erste Landnehmer zwischen 7000<br />

und4000v.Chr.amKomsahügel von Alta in <strong>der</strong> Finnmark Norwegens fest. Felsbil<strong>der</strong><br />

folgten an dieser Küstenkalotte erst ab 5000 v. Chr. Beson<strong>der</strong>s jene aus dem<br />

Gebiet um Alta zeigen eine Vielfalt, die eine lange Tradition voraussetzen muß.<br />

Das wird schon durch eine Komposition verdeutlicht, die in Amtmannsnes direkt<br />

neben dem Komsahügel zu finden ist: Da ist als vierfache Schlangenlinie die Wasserbarriere<br />

zum Jenseits, zum Westen, hinter <strong>der</strong> in Strichzeichnungen vereinfacht<br />

Menschen und Tiere beisammen auf die Wie<strong>der</strong>geburt warten (7a).<br />

Ein Mensch und ein Vierbeiner überschreiten im Bild das Grenzwasser (das die<br />

Griechen später Styx nannten). Ein großer Trost ist für die Menschen <strong>der</strong> Vorzeit<br />

von <strong>der</strong> Erwartung einerWie<strong>der</strong>geburt ausgegangen. <strong>Die</strong> Unterwelt war damals weit<br />

davon entfernt, eine fürchterliche christliche Hölle zu sein. Sie war ein großes<br />

Reservoir auf Re-Inkarnation warten<strong>der</strong> Seelen, nicht allein <strong>der</strong> Tiere, nein, auch<br />

<strong>der</strong> Menschen, wie wir im Bild sehen. <strong>Die</strong> Häufigkeitvon Tier-Totems erklärt sich<br />

daraus, daß <strong>der</strong> Mensch einer gemeinsamen Unterwelt erwuchs, diejetzt unter dem<br />

großen Wasser gedacht war, in <strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Herr o<strong>der</strong> die Mutter <strong>der</strong> Tiere residierte.<br />

Hier liegt die Basis eurasiatischer Mythen die bis Amerika weitergereicht<br />

wurden.<br />

Alta:Amtmannsnes/Finnmark,N<br />

<strong>Die</strong> <strong>Magie</strong> <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

Es ist anzunehmen, daß <strong>der</strong> naive Mensch <strong>der</strong> Vorzeit keinen klaren Unterschied<br />

zwischen dem Bild eines Gegenstandes und dem Gegenstand selbst machte<br />

(8). Er gab jede mit den Sinnen erfaßte Form unreflektiert so gut er es konnte<br />

wie<strong>der</strong>, bis hin zum naturalistischen Stil. <strong>Die</strong>ses Bild nennt deshalb <strong>der</strong> Forscher<br />

physioplastisch.<br />

Es sind Erinnerungsbil<strong>der</strong>, optische Eindrücke. <strong>Die</strong> Erfahrung jener Menschen,<br />

die als erste das eisfreie Skandinavien erreichten, war generationsweise im Verlauf<br />

zumeist sehr langer Reisen <strong>der</strong>artig angewachsen, daß schließlich <strong>der</strong> simple Jagdzauber<br />

im Bild nicht mehr ausreichte. Das nicht mehr naturalistische Felsbild reflektiert<br />

ein nunmehr erwachtes eigenes Geistesleben.<br />

Bossekop: Ole Pe<strong>der</strong>sen/Finnmark,N<br />

11


12<br />

Es stellte nicht mehr dar, was <strong>der</strong> Zeichner sah, son<strong>der</strong>n allein das, was er über<br />

das Motiv wußte. <strong>Die</strong>se Wie<strong>der</strong>gabeform nennt man deshalb ideoplastisch (9).<br />

Das Bild ist die Idee von einem Gegenstand, eines Vorganges, eines Wunsches<br />

o<strong>der</strong> einer Bitte an eine übergeordnete Macht. So kann in einer Zeremonie das<br />

Bild selbst sakralen Charakter annehmen. Ja, die Herstellung des Bildes war bereits<br />

ein Kult.<br />

Trondheimsfjord,Halbinsel Frosta: Evenhus/Nord-Trøndelag,N<br />

Eine <strong>der</strong> merkwürdigsten Darstellungsarten ist <strong>der</strong> weltweit verbreitete sogenannte<br />

. Selbstverständlich weiß <strong>der</strong> Jäger, wie ein Tier innen aussieht. Auf<br />

Röntgenstil<br />

dem lebensgroßen Abbild eines Elches auf dem Hof Åskollen bei Drammen in<br />

Südnorwegen, gibt die Zeichnung das Innere des Tierkörpers wie<strong>der</strong>: Herz, Lunge,<br />

Leber und Nieren sind schematisch wie<strong>der</strong>gegeben, aber auch Labmagen, Blättermagen,<br />

Pansen, die Därme in Spiralen und schließlich <strong>der</strong> After. <strong>Die</strong>se querschnittartigen<br />

Tierbil<strong>der</strong> sind das Ergebnis einer frühjägerzeitlichenAuffassung von<br />

Leben, Tod und Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Kreatur (10a).<br />

Drammen:Åskollen/Buskerud,N<br />

Alta:Amtmannsnes/Finnmark,N<br />

13


14<br />

<strong>Die</strong> meisten <strong>der</strong> im Röntgenstil gezeichneten Tierbil<strong>der</strong> sind verständlicherweise<br />

einfacher. Das Einmeißeln in den harten Stein erfor<strong>der</strong>te viel Ausdauer. So kam<br />

es denn oftzumerkwürdigen, biologisch nicht zu rechtfertigenden Wie<strong>der</strong>gaben.<br />

(7a). Von den Organen blieben Herz und Nieren bestehen. Letztere wurden bei<br />

vielen alten Völkern als <strong>der</strong> "Sitz des Lebens" betrachtet. Verbreiteter noch ist im<br />

ganzen eurasiatischen Raum und Nordamerika die sogenannte "Lebenslinie", eine<br />

unnatürliche Kombination von Luftröhre und Herz.<br />

<strong>Die</strong> Luftröhre ist das Zentrum <strong>der</strong> Luftseele; denn wenn ein Lebewesen den<br />

Atem aushaucht, ist es tot. Das Herz als Zentrum <strong>der</strong> Blutseele besagt: Wenn eine<br />

Kreatur verblutet, ist sie ebenfalls tot. Also zeichnet man beides in das Bild des<br />

Wildes ein, um durch <strong>Magie</strong> sein Leben - genauer gesagt seine Wie<strong>der</strong>geburt - zu<br />

bewirken. Wie wir erfuhren, spielte diese Wie<strong>der</strong>geburt bei <strong>der</strong> vorgeschichtlichen<br />

Menschheit eine große, tröstliche Rolle.<br />

Am Kloftefoss des Drammenselv in Südnorwegen sind zwei bespringende Elche<br />

mit Lebenslinie dargestellt. Keine Wie<strong>der</strong>geburt ohne vorherige Kopulation. Daß<br />

dieses Bild genau vor einem stets mit Wasser gefüllten Strudelloch des Flusses<br />

liegt, ist nicht zufällig.<br />

RechtseinRaubfisch, vermtlich einen an<strong>der</strong>en Fisch verspeisend.<br />

Trondheimsfjord,Halbinsel Frosta: Evenhus/Nord-Tøndelag,N Geithus, Drammenselv: Kløftefoss/Buskerud,N<br />

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16<br />

Das Strudelloch wird als Zugang zur Unterwelt gedacht worden sein, aus <strong>der</strong> die<br />

Wie<strong>der</strong>geburt zu erfolgen hat. <strong>Die</strong>se großartige Szenerie liegt genau an <strong>der</strong> Furt<br />

des Drammenselv, durch die die Wan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Elche in jedem Jahr zu gehen<br />

hatte. Oberhalb <strong>der</strong> Furt hatten die Jäger 6 gestaffelte Fallgruben angelegt, die<br />

heute noch nachweisbar sind (11).<br />

<strong>Die</strong> Wie<strong>der</strong>geburt muß aus <strong>der</strong> Unterwelt erfolgen, und die liegt in Skandinavien,<br />

wie gesagt, unter Wasser.<br />

Immer wie<strong>der</strong> wurde dokumentiert, daß nicht allein das Tier, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />

Mensch in dem Jenseits, das jenseits <strong>der</strong> schwer überbrückbaren Wasserbarriere<br />

gedacht war, mit seiner als Gerippe gemeinten Darstellung eine Wartestellung einnahm.InaltenZeitendachtendieMenschenanschaulich,<br />

sie dachten in Bil<strong>der</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> Netzstruktur dieses lebensgroß gravierten Rundkopfdelphins könnte im Sinne<br />

des "Zerstückelungsritus" gemeint sein: Eine Kreatur kann nicht eher wie<strong>der</strong>geboren<br />

werden, ehe sie nicht zerstückelt worden ist.<br />

Doch es könnte auch das "Wun<strong>der</strong>netz" - rete mirabile - dargestellt sein: Das ist<br />

das unter dem Blubber gut sichtbare System von Kapillaren, das die Oberfläche,<br />

die dem Gasaustausch zur Verfügung steht, stark vergrößert und nach selbst längerem<br />

Tauchvorgang sauerstoffarmes Blut sehr rasch wie<strong>der</strong> mit Sauerstoffversorgt.<br />

Wale können bis zu eine Stunde lang tauchen und brauchen diese Sauerstoffreserve<br />

u.a. zur notwendigen Versorgung des Gehirns. Das ist hier das<br />

Problem: Was stimmt hier?<br />

Drammen: Skogerveien/Buskerud,N<br />

M agische<br />

K ultstäbe<br />

Tierkopfstäbe aus Geweihmaterial. Onegasee: Insel Oleni Ostrow/Karelien, RUS<br />

Dem Schamanen, dem Geisterbeschwörer, stand seit <strong>der</strong> Eiszeit ein Hilfsgeist zur<br />

Verfügung, dessen Bedeutung wir bei den letzten heute tätigen Schamanen des<br />

asiatischen Nordens klar beschrieben bekommen. Auf <strong>der</strong> Insel Oleni Ostrowim<br />

Onegasee in Karelien fanden sich in Schamanengräbern Tierkopfstäbe (12), die<br />

dem gestorbenen Adepten mit ins Grab gelegt worden waren. Auch die nordskandinavischen<br />

Felsbil<strong>der</strong> geben gute Auskunft über den Zweck dieser Zauberstäbe.<br />

IndenHändenvonSchamanenwerdenTierkopfstäbe stets überdimensioniert<br />

wie<strong>der</strong>gegeben. <strong>Die</strong> real 28 bis 35 cm langen Stäbe mit dem Elchkopf,aus Geweihmaterial<br />

geschnitzt, wachsen in <strong>der</strong> Felsgravur zu einer Größe an, die oftsogar<br />

die des Menschen übertrifft.<br />

<strong>Die</strong>sen Vergrößerungsfaktor kennen wir als Rang-Größen-Ordnung: Krafto<strong>der</strong><br />

Macht soll damit abstrakt ausgedrückt werden. Wir wissen, daß die Schamanen<br />

verschiedener Stämme sich reguläre Kämpfe und Kraftproben lieferten. Das<br />

kommt in <strong>der</strong> Umwelt von Jagdwild und Jägern überzeugend zum Ausdruck.<br />

Von rezenten Naturvölkern wissen wir, daß Schamanen glaubten, am Tierkopfstab<br />

hängend in eine <strong>der</strong> außerirdischen Welten fliegen zu können. Mit unserem heutigen<br />

Wissen erkennen wir die psychischen Faktoren eines solchen "Aus-sich-Heraustretens"<br />

in mystischer Versenkung o<strong>der</strong> religiöser Verzückung. Das Ergebnis<br />

kann die sogenannte Levitation, also das empfundene Sich-Erheben und freie<br />

Schweben des menschlichen Körpers in Ekstase sein.<br />

Ähnliche Vorstellungen wurden den Hexen zugeschrieben, daß sie glaubten fliegen<br />

zu können. Wenn Schamanen einst als visionär begabte Menschen durch Fasten<br />

o<strong>der</strong> asketische Übungen sich Zugang zu mystischen Erlebnissen bahnten,<br />

werden diejenigen, denen die Fähigkeiten dazu fehlten, die Ekstase auf natürlichem<br />

Wege zu erreichen, sich schon frühzeitig halluzinogener Drogen bedient haben.<br />

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18<br />

Während die indianischen Medizinmänner eine große Anzahl halluzinogener Pilze<br />

und Kakteen zur Verfügung hatten, war im eurasiatischen Norden allein <strong>der</strong><br />

Fliegenpilz eine bewußtseinserweiternde Droge. Noch heute ist bekannt, daß sich<br />

die Rentiere mit einer wahren Leidenschaft durch diesen Pilz in einen animalisch<br />

ungewöhnlichen Zustand versetzen können. Das muß den Schamanen seinerzeit<br />

aufgefallen sein, bevor sie sich des Fliegenpilzes (Amanita muscaria) selbst bedienten.<br />

<strong>Die</strong> steinzeitliche Felsgravur eines Rentiers weist gegenüber allen an<strong>der</strong>en<br />

Renbil<strong>der</strong>n eine Son<strong>der</strong>heit auf:DasRenhatlange,deutlicheOhren.Undoben<br />

auf den Ohren sind drei Fliegenpilze graviert, sozusagen in Abstand über dem<br />

Kopf. <strong>Die</strong> ersten arktischen Expeditionen Rußlands berichteten in <strong>der</strong> Mitte des<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>ts von <strong>der</strong> Vorliebe <strong>der</strong> Rentiere wie auch <strong>der</strong> Sibirier für den Fliegenpilz.<br />

Das Muskarin ist für die halluzinogene Wirkung auf das Nervensystem<br />

verantwortlich. Man meint nach seiner Einnahme "aus dem Körper herauszutreten",<br />

glaubt fliegen zu können und weite Strecken zurückzulegen.<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

Bossekop: Bergbukt/Finnmark,N<br />

Bossekop: Ole Pe<strong>der</strong>sen/Finnmark,N<br />

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20<br />

Anadyrgebirge, Nat.-Kreis <strong>der</strong> Tschuktschen: Pegtymelfluß/Sibirien, RUS<br />

Von den Tschuktschen ist bekannt, daß sich auch die Frauen <strong>der</strong> Pilze bedienen.<br />

Merkwürdige Felsgravuren zeigen nackte und eine bekleidete Frau mit dem Pilz<br />

auf dem Kopf.BeidensibirischenKoriaken müssen die Frauen den Pilz vorkauen,<br />

um ihn dann, zu kleinen Würsten gedreht, den Männern anzubieten. (13) <strong>Die</strong><br />

schluckendanndieDroge hinunterundversetzensichdamitinEkstase.Bald<br />

muß entdeckt worden sein, daß <strong>der</strong> Wirkstoffmit demUrin total ausgeschieden<br />

wird. So kam es denn zu dem unappetitlichen Vorgang, daß die Männer während<br />

des Rausches den Urin sammelten, um ihn zu trinken, wenn die Rauschwirkung<br />

nachließ.<br />

<strong>Die</strong> wirklicheVerwendung des Tierkopfstabes als Hilfsgeist wird auf einer ausgebrochenen<br />

Schrattenplatte, die heute im Museum Tromsø ist, unzweideutig festgehalten:<br />

Während die Stammesangehörigen einen rituellen Tanz ausführen, begeben<br />

sich die Schamanen, fliegend, an ihren Tierkopfstäben hängend, zu dem in<br />

<strong>der</strong> Unterwelt residierenden Herrn <strong>der</strong> Tiere, einem riesigen Elch, um Ersatz für<br />

das bereits geschossene Jagdwild zu bitten (14).<br />

Mit HilfedesTierkopfstabes kann allein <strong>der</strong> Wissende, <strong>der</strong> Adept, in die außerirdische<br />

Welt fliegen. Das geschieht in einer Zeremonie, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Schamane in<br />

Ekstase den beschwerlichen Flug mit allen Hin<strong>der</strong>nissen durchlebt. In <strong>der</strong> Figur<br />

rechts oben <strong>der</strong> Schrattenplatte, ist dieser Vorgang zeichnerisch überzeugend dargestellt:<br />

Dem Schamanenkörper entflieht über seinem Kopf ein zweiter Kopf mit<br />

Arm und Hand, die den Tierkopfstab hält. Während <strong>der</strong> Körper also zurückbleibt,<br />

führt die entweichende Seele den Flug in die außerirdische Welt durch... Von den<br />

Schamanen Zentral- und Mittelasiens berichteten Forscher und Verbannte von<br />

Zeremonien, die meist in <strong>der</strong> Jurte durchgeführt wurden. Im Höhepunkt lag <strong>der</strong><br />

Geisterbeschwörer in Ekstase regungslos am Boden. Seine Seele galt währenddessen<br />

in eine <strong>der</strong> beiden außerirdischen Welten entrückt. Und eben das sollen viele<br />

Felsbild-Szenen mit dem Tierkopfstab schil<strong>der</strong>n. Man darf die Bereitschaftdes<br />

Menschen, zu glauben, nicht unterschätzen.<br />

Am Nämforsen, im Ångermanland Nordschwedens ist die Konsequenz aus dem<br />

zuvor gesagten im Felsbild zu sehen: Der vogelfüßige, am Tierkopfstab fliegende<br />

Schamane, holt am Bande einen Jungelch aus <strong>der</strong> Unterwelt, damit sein Jägerstamm<br />

neues Wild bekommt (10b).<br />

Zu den Zauberstäben gehört jedoch auch - für Skandinavien völlig unerwartet -<br />

<strong>der</strong> Bumerang. Am Nämforsen finden sich im Bereich <strong>der</strong> großen Katarakte des<br />

Ångermanälv viele Beispiele <strong>der</strong> schamanistischen Verwendung dieses übernatürlichen,<br />

magischen Zauberholzes, das in die Hand des Werfers zurückkommt.<br />

Bossekop: Bergbukt/Finnmark,N<br />

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22<br />

<strong>Die</strong> ursprüngliche Interpretation, es würde sich um Sicheln o<strong>der</strong> Sensen handeln,<br />

geht an <strong>der</strong> Tatsache vorbei, daß die dortigen Felsbil<strong>der</strong> zwischen 4000 und 3000<br />

v. Chr. entstanden sind, also zu einer Zeit, da an eine Bauerntätigkeit in dieser<br />

Weltgegend nicht zu denken war.<br />

Ich machte mit den verschiedenen Formen von "Haken" den Versuch, sie aus Naturholzkrümmern<br />

nachzubilden. Bis auf ein einziges Modell (Bild 1), das sich als<br />

geradeausfliegendes Jagdwurfholz auswies, kamen schließlich alle Formen wun<strong>der</strong>voll<br />

zurück (10c). Ein Zwillingspaar miteinan<strong>der</strong> verbundener Bumerangs wies<br />

auf die australische Vorstellung hin, daß <strong>der</strong> Besitzer eines solchen Paares vor<br />

Verwundung und Tod solange bewahrt bliebe, wie beide in seinem Besitz sind.<br />

In Australien, dieser letzten Domäne <strong>der</strong> Bumerangs auf Erden, geht auch aus<br />

Mythen und Zeremonien deutlich hervor, daß die beiden Bumerangs im Sinne<br />

des Mondkultes den zunehmenden und den abnehmenden Mond verkörperten.<br />

Sie wurden aus einem einzigen krummwüchsigen Ast durch Mitteltrennung gespalten.<br />

Es ist erstaunlich, daß unter den bemerkenswert verschieden gestalteten Bumerangformen<br />

am Nämforsen <strong>der</strong> heute bei sportlichen Wurfwettkämpfen als ganz<br />

mo<strong>der</strong>n geltende Dreiflügler einigemale in den Felsen graviert wurde. <strong>Die</strong>ser Typ<br />

kostete bei meiner Bemühung ihn aus Naturholz nachzuformen im Walde die<br />

längste Zeit ihn zu finden.<br />

Näsåker,Nämforsen: Lillforshällan/Ångermanland,S<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel Notön/Ångermanland,S<br />

Näsåker,Nämforsen: Uferlage Lillforshällan 1,2. 3500-2500 Insel Brådön 5,6,7.Insel Notön<br />

3, 4.AndenFlügelenden haben kultische Schalengruben 1,3,6. Der einzige Rechtshän<strong>der</strong> 5.<br />

Alle an<strong>der</strong>en sindLinkshän<strong>der</strong>.<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach dem Sinn des Bumerangs gerieten wir an einige Boote, die<br />

auf den schwierig zugänglichen Inseln und Klippen inmitten des Flußbettes graviert<br />

waren. Da das kleine Einmann-Hautboot daneben abgebildet war, konnte<br />

überzeugend gesagt werden, daß so große Boote, mit 69 Mannstrichen an Bord,<br />

mit den technischen Mitteln <strong>der</strong> Jägerzeit keinesfalls gebaut werden konnten.<br />

Sie waren also Phantasieobjekte: Totenboote o<strong>der</strong> Ahnenboote, die den Weg <strong>der</strong><br />

Sonnenachvollzogen und am Horizont durch das große Loch die Toten ins Jenseits<br />

zu bringen hatten. Über diesen Booten, szenisch mit ihnen verbunden, waren<br />

wie<strong>der</strong>um die Bumerangs. Das wird kein Zufall sein. Deshalb schuf ich den Begriff<br />

"Kultholz<strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>kehr" , und gab damit dem Bumerang einen ethnologisch<br />

verantwortbaren Sinn.<br />

23


24<br />

<strong>Die</strong> Felsbil<strong>der</strong> zeigen den Schamanen mit Tiermaske, denn er ist ja <strong>der</strong> Mittler zur<br />

Tierwelt. In <strong>der</strong> linken Hand trägt er den Bumerang. Und jetzt fällt es auf,daßdie<br />

meisten <strong>der</strong> am Nämforsen dargestellten Bumerangs für Linkshän<strong>der</strong> gestaltet sind,<br />

wenn anzunehmen ist, daß sie auf <strong>der</strong> flachen Unterseite liegen und die konvexe<br />

Seite nach oben zeigt. <strong>Die</strong> linke Hand war einst Symbol <strong>der</strong> stofflichen Mütterlichkeit,<br />

<strong>der</strong> Ausdruck des weiblich gebärenden, nährenden, mehrenden Stoffes in allen<br />

Äußerungen seiner Tätigkeit. Das bezieht sich auch auf die seltsame Rückkehr des<br />

schamanistischen "Kultholz <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr", mit dem möglicherweise in einem<br />

Analogiezauber die Wie<strong>der</strong>geburt geför<strong>der</strong>t werden sollte.<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel<br />

Brådön/Ångermanland,S<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel Notön/Ångermanland,S<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel Notön/Ångermanland,S<br />

Der Nämforsen mit den Inseln <strong>der</strong> Felsbil<strong>der</strong> zwischen den Katarakten. Links<br />

unten, tief im eiszeitlichen Tunneltal, umtost <strong>der</strong> Ångermanälv die Insel Notön,<br />

Standort des großen Bootes. Darüber, am jenseitigen Ufer, wurde eine steinzeitliche<br />

Siedlung ausgegraben.<strong>Die</strong>Inselin<strong>der</strong>MitteistBrådön.Dortlandeteneinst<br />

auch bronzezeitliche Südskandinavier und hinterließen inmitten steinzeitlicher<br />

Felsbil<strong>der</strong> die Darstellungen ihrer Boote. Auf beiden Inseln wurden mindestens in<br />

<strong>der</strong> Steinzeit die Toten offen zutage "beigesetzt". Davon zeugen die Totenboote<br />

mit den Bumerangs darüber.<br />

Es wäre möglich, daß in diesem Zusammenhang die Mann-Striche an Bord als<br />

Verkürzungsglyphe Zählmarkierungen waren, die später bis in die Eisenzeit als<br />

Bootsmannschaftbeibehaltenwurden. Kontinentüberschreitend waren die Toteno<strong>der</strong><br />

Ahnenboote im Ritus unterschiedlichster Völker und bei ihren Zeremonien<br />

fast weltweit bekannt. Das kann ein Indiz für ihr Alter sein. Auch die "Toteninseln",<br />

auf denen beigesetzt wurde, waren im eurasischen und nordamerikanischen<br />

Raum ein fester Begriff.<br />

25


26<br />

Der Tote durfte nicht von großen Raubtieren verschleppt werden, <strong>der</strong> Platz, an dem<br />

er nie<strong>der</strong>gelegt wurde, hatte sakralen Charakter. Das umgebene Wasser war augenscheinlich<br />

Teil jener unterirdischen Welt, in <strong>der</strong> die Seele des Toten fortlebend<br />

gedacht wurde. So ist <strong>der</strong> spätere griechische "Fährmann" an dem Unterweltfluß<br />

Styx gewiß dem Schamanen gleichzusetzen. Auch <strong>der</strong> StyxistmiteinemWasserfall<br />

gedacht. In Karelien, an den Katarakten des WygbeiSalawrugaist ebenfalls ein heiliger<br />

Felsbildbezirk <strong>der</strong> einst zum Beisetzen <strong>der</strong> Toten benutzt worden sein kann.<br />

Das Beisetzen <strong>der</strong> Gestorbenen auf flachem Boden, aber auch auf Bäumen o<strong>der</strong><br />

Stangengestellen rechtfertigt den Mangel an Skelettfunden in <strong>der</strong> steinzeitlichen<br />

Jägerperiode. So können wir nicht einmal bestimmen, welcher Menschentyp Skandinavien<br />

nach beendeter Eiszeit als Landnehmer, zumeist in Küstenkulturen besiedelt<br />

hat.<br />

Von <strong>der</strong> Polnischen Akademie von KrakaubekamichdenForschungsauftrag, die<br />

FlugeigenschafteineszumJagdwurfgerät gestalteten Mammutstoßzahnes zu ermiteln,<br />

<strong>der</strong> in einer Karpatenhöhle gefunden wurde. <strong>Die</strong> Universität Oxford datierte<br />

ihn auf ca. 18 300 v. Ch.. So können wir nunmehr sagen, daß die Bumerangs von<br />

Nämforsen zwischen 4000 und 3000 v. Ch. nicht etwa <strong>der</strong> Anfang einer Entwicklung<br />

war, son<strong>der</strong>n gewissermaßen bereits ein Ende.<br />

<strong>Die</strong> Stromschnellen des Nämforsen in prähistorischer Zeit. Graphik: Verfasser<br />

Wildbeuter <strong>der</strong> Vorzeit<br />

Stand bei den eiszeitlichen Höhlenbil<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> GesellschaftvonJägernund<br />

Sammlern allein das Tier im Vor<strong>der</strong>grund, so spielt ikonographisch vom Ende <strong>der</strong><br />

Mittleren Steinzeit <strong>der</strong> Mensch seine beherrschende Rolle. Es ist als gesichert anzunehmen,<br />

daß dabei nur das dargestellt wurde, was kultischen o<strong>der</strong> sakralen<br />

Charakter besaß. Es werden denn auch nie Behausungen wie<strong>der</strong>gegeben, da sie<br />

profanen Zwecken dienten. <strong>Die</strong> rituellen Handlungen und Zeremonien scheinen<br />

nur im Freien durchgeführt worden zu sein. Jagd, Wie<strong>der</strong>geburt des Wildes und<br />

alles was damit zusammenhing, wurde den Felsen anvertraut, vermutlich um die<br />

Beute zu för<strong>der</strong>n.<br />

Auf diese Weise gerieten auch die Boote unter Felsbildmotive. Sie wurden nicht<br />

nur zum Fischfang benutzt, <strong>der</strong> etwa mit <strong>der</strong> Knebelangel durchgeführt wurde,<br />

son<strong>der</strong>n ganz beson<strong>der</strong>s für die Rentierjagd. Das Ren war durch die Zeit <strong>der</strong> Eiablage<br />

<strong>der</strong> Rentier-Dasselfliege zur jahreszeitlichen Wan<strong>der</strong>ung auf die Schneefel<strong>der</strong><br />

gezwungen. Immer wie<strong>der</strong> kreuzten diese Wildwege irgendwelche großen Gewässer,<br />

die durchschwommen werden mußten. Dort legten sich die Jäger mit ihren<br />

kleinen Hautbooten auf die Lauer und machten unter den langsam schwimmenden<br />

Rentieren reiche Beute.<br />

<strong>Die</strong> gedachte Wasseroberfläche wurde redaktionell eingezeichnet.<br />

Repparfjord: Kvalsund/Finnmark,N<br />

27


28<br />

Durch eine zunehmende Vielfalt <strong>der</strong> Arten im Pflanzenwuchs entstanden - zum<br />

Glück für die Jäger - Biotope, die dem Elch und gleichzeitig dem Bär zuträglich<br />

waren. Der Mangel an Deckungsmöglichkeiten zwang den pirschenden Jäger mit<br />

übergeworfener Elchhaut als Tier getarnt, die sogenannte Maskierungsjagd auszuüben.<br />

Selbst <strong>der</strong> Hund spielte jetzt seine große Rolle als erstes Haustier und Helfer des<br />

Menschen. Wir sehen eine Hundemeute einen Elch stellen, <strong>der</strong> sich jedoch gegen<br />

die Hunde zur Wehr setzen konnte. Der lange dunkle Winter im hohen Norden<br />

zwang die Jäger, Fangmethoden gegen Rentiere und Elche anzuwenden, die bereits<br />

ganze Herden als Beute einbringen konnte:<br />

Das mit Gattern erstellte Fangzeug, dessen geschickt reusenartig gestellten Zugang<br />

die Tiere auf <strong>der</strong> Flucht nicht mehr wie<strong>der</strong>fanden(7b).Somagesgekommen<br />

sein, daß bei <strong>der</strong> Kooperation vieler Familien soviel Beute anfiel, daß das Fangnetz<br />

nun geschlossen werden mußte, um sich über Zeit nur im Bedarfsfall ein Tier<br />

zu holen.<br />

Da diese Fangart bevorzugt von den finnisch-ugrischen Völkern verwendet wurde,<br />

ist anzunehmen, daß auf diesem Wege die Samen (Lappen) dazu kamen, den Polarhirsch<br />

zu domestizieren.<br />

1Meter<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

Näsåker,Nämforsen: Lillforshällan/Ångermanland,S<br />

Bossekop:Bergheim/Finnmark,N<br />

Trotz eines Felsausbruchs ist die Totale eines solchen Fangzeuges in <strong>der</strong> Felsbildlage<br />

Bergbukt gut erhalten. Offensichtlich standen bei <strong>der</strong> Gatterjagd Rentiere im<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Mit mehr o<strong>der</strong> weniger Geschick wurden lange Zeiten hindurch<br />

immer wie<strong>der</strong> Rener mit dem typischen nach vorn geknickten Gestänge auf den<br />

Felsen gebannt. Und ein "Bannen" wird es tatsächlich gewesen sein, will man den<br />

Berichten über Jagdzauber bei rezenten Naturvölkern Glauben schenken. <strong>Die</strong> Elche<br />

<strong>der</strong> Abbildung des Gatters sind ausnahmslos ohne Schaufeln wie<strong>der</strong>gegeben.<br />

Das bedeutet, daß verständlicherweise diese Jagdart während des Winters vorteilhaftwar.<br />

29


30<br />

Bossekop: Ole Pe<strong>der</strong>sen/Finnmark,N<br />

Lachse undHautboot. Näsåker,Nämforsen: Klippe vor dem Südufer/<br />

Ångermanland,S<br />

Bossekop: Bergbukt/Finnmark,N<br />

Mit mehr o<strong>der</strong> weniger Geschick sind die Felsen nach und nach mit Motiven verschiedenster<br />

Art gefüllt worden. Hier sollten wir einmal ansprechen, daß bei <strong>der</strong><br />

Betrachtung von Felsbil<strong>der</strong>n gern <strong>der</strong> Begriff"Kunst" in den Vor<strong>der</strong>grund gerückt<br />

wird.<br />

<strong>Die</strong> Aussage von Juri Sawwatejew scheint eine rechte Beurteilung abzugeben:<br />

"<strong>Die</strong> Kunst hatte sich damals noch nicht als eine spezifische Form des gesellschaftlichen<br />

Bewußtseins und <strong>der</strong> menschlichen Bestätigung verselbständigt, sie<br />

warmitdenan<strong>der</strong>enErscheinungendesgeistigenLebens<strong>der</strong>Gesellschaft, insbeson<strong>der</strong>e<br />

mit ihren religiösen Äußerungen, eng verflochten (16)." In diesem Sinne<br />

werden die verschiedenen Wildarten, Ren, Bären und Elche, die Jäger mit Jagdwurfholz<br />

dem universalen Speer und dem Jagdbogen und nicht zuletzt <strong>der</strong> Mann<br />

mit dem Tierkopfstab aus rein kultisch-rituellen Gründen auf die Felsen gekommen<br />

sein.<br />

Sogar Jagdmethoden wurden recht genau demonstriert. Da ist <strong>der</strong> als Kreis gezeichnete<br />

Zugang zur Bärenhöhle. <strong>Die</strong> Bärenfährten, die weit über den Felsen zu<br />

verfolgen sind, gehen in die Höhle hinein. Zwei Männer mit Speer versuchen den<br />

im Winterschlaf liegenden Bären zu wecken. Sowie er sich rührt, werden sie<br />

zurückspringen und den Fangschuß den beiden bereitstehenden Bogenschützen<br />

überlassen. Eine Jagdszene voller Spannung, die zugleich - schwer faßbar für uns<br />

mo<strong>der</strong>ne Menschen - den ganzen Jagdzauber zum Inhalt hat.<br />

Bärenjagd vor Höhlenzugang: Bossekop: Ole Pe<strong>der</strong>sen/Finnmark,N<br />

31


32<br />

Sonst war jedoch die Verfolgung des Wildes im Winter mit Schwierigkeiten verbunden.<br />

<strong>Die</strong> ständige ununterbrochene Dämmerung war genauso hin<strong>der</strong>lich wie<br />

<strong>der</strong> Schnee. Da kam - vermutlich aus Sibirien - die Erfindung von Schneeschuh<br />

und Ski, die beide den Jäger in die Lage versetzten, dem ebenfalls behin<strong>der</strong>ten<br />

Wild im tiefen Schnee zu folgen.<br />

Der von Knut Helskog 1979 aufgedeckte Grätschritt bergan steigende Skiläufer<br />

und Wurfholzträger vor einem Elch mit verlängerten Beinen, hat detailgenau (bis<br />

auf das Wurfholz) ein Doppel im Baikalseegebiet, bei dem auch die Elche mit<br />

den langen Beinen nicht fehlen. Daß die Felsbil<strong>der</strong> Sibiriens sowie jene von Karelien<br />

und Skandinavien Ähnlichkeiten aufweisen, hat A. P. Okladnikowmehrfach<br />

betont (17): "Bil<strong>der</strong> und Vorstellungsinhalte, wie sie zum Beispiel in den Weiten<br />

Sibiriens am Fluß Tom o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Angara entstanden, stimmen häufig bis in die<br />

kleinsten Einzelheiten mit Bil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> ganzen Motivgruppen <strong>der</strong> Felsbil<strong>der</strong><br />

Kareliens und Skandinaviens überein".<br />

Bossekop: Bergbukt/<br />

Finnmark,N<br />

Bossekop: Apana Gård/Finnmark,N<br />

^<br />

Angara: Ryknaja/Sibirien, RUS.<br />

Nach Ksica.<br />

Nur die wenigsten Mythen<br />

wurden überliefert<br />

<strong>Die</strong> ältesten Mythen sind verständlicherweise Tiermythen. Noch kennen wir<br />

durch ihre weite Verbreitung die Schwanfrau-Erzählung: "Fünf Schwanenmädchen<br />

entledigten sich ihrer Vogelklei<strong>der</strong>, um als Menschenmädchen zu baden. Ein beobachten<strong>der</strong><br />

Burjate nahm heimlich eines <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong> an sich. Erst als die Mädchen<br />

sich nach dem Bade wie<strong>der</strong> bekleideten, suchte eines von ihnen vergeblich<br />

nach seinem Kleid. <strong>Die</strong> an<strong>der</strong>en flogen schließlich fort. Da nahm sich <strong>der</strong> Burjate<br />

dieses Mädchens an und brachte es mit nach Hause. Sie wurde seine Frau und gebar<br />

ihm fünf Söhne und fünf Töchter. Als die Frau ihr Schwanenkleid in einer<br />

Truheentdeckte,zogsieesanundflogdavon (18)."<br />

Auf eine solche Mensch-Tier-Verbindung weist ein Felsbild von Alta hin, das die<br />

Kopulation eines Menschenmannes mit einer Gänse- o<strong>der</strong> Schwanenfrau zeigt.<br />

Ganz in <strong>der</strong> Nähe ist <strong>der</strong> Hockkoitus eines Menschenpaares, <strong>der</strong> angesichts eines<br />

Fisches praktiziert wird, in den Stein graviert. Eine ganz ähnliche Szene fanden<br />

wir in Co-oose in Britisch-Kolumbia.<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

33


34<br />

Es ist bekannt, daß <strong>der</strong>artige Aktivitäten die Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Fische för<strong>der</strong>n sollten.<br />

<strong>Die</strong> Vorstellung "keine Wie<strong>der</strong>geburt ohne vorherige Kopulation" gilt jedoch<br />

auch dem Wild. Am Nämforsen findet eine menschliche Vereinigung angesichts<br />

eines Elches statt. Direkt daneben ist eine menschliche Geburtszene dargestellt,<br />

halbseitig von einem magischen Kreissektor geschützt. Doch auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

nähert sich dem Neugeborenen ein sichtlich böser Dämon, <strong>der</strong> anscheinend<br />

von einem sich nähernden Ahnenboot abgewehrt wird.<br />

Nicht weit davon ist auch ein anthropomorphes Mischwesen zu finden, möglicherweise<br />

mit einem Wurfholz in <strong>der</strong> Hand. Daneben sieht man einen Seehund.<br />

Vielleicht sollte dieses unter Felsbil<strong>der</strong>n einzigartige Mischwesen als Meermaid<br />

bezeichnet werden. Eine an den fenno-skandischen Küsten bekannte Meerfrauist<br />

Akkruvva, mit dem Oberkörper eines Menschenweibes und dem Unterkörper eines<br />

Fisches (4b).<br />

An dem mythologiegeladenen Nämforsen entdeckt man wie<strong>der</strong>holt einen Elch,<br />

<strong>der</strong> auf seiner Rückseite einen zweiten Kopf hat. Wie viele an<strong>der</strong>e Motive des<br />

Nämforsen kann er seine Herkunft aus dem ikonographischen Schatz Kareliens,<br />

genauer vom Weißen Meer wie vom Onegasee nicht verleugnen. Was müssen diese<br />

Wildbeuter für eindringliche Mythen, Sagen und Erzählungen gehabt haben.<br />

Näsåker,Nämforsen:<br />

Insel Notön/Ångermanland,S<br />

Bossekop: Hjemmeluft/Finnmark,N<br />

Alle drei: Näsåker,Nämforsen: Insel Laxön/Ångermanland,S<br />

Mit dem Einbruch des sogenannten aufgeklärten Zeitalters ist, bis auf geringe<br />

Reste, alles das verloren gegangen. Was hat die Zerstörung eines Hautbootes mit<br />

dem Speer, gegen den Willen <strong>der</strong> dabeistehenden aufgebrachten Menschen, zu<br />

sagen? <strong>Die</strong> Dramatik des Geschehens ist trotz stilistischer Einfachheit <strong>der</strong> eingravierten<br />

Gestalten zu spüren.<br />

35


36<br />

Bossekop: Bergheim/Finnmark,N<br />

Recht ausdrucksvoll und sicher nicht in einem einzigen Gravurgang, ist ein an<strong>der</strong>es<br />

Bild entstanden: In einem Strichboot stehen schwertgegürtete Männer. In<br />

viel groberer Gravurart ist vor diesem Boot ein tierschnäuziges anthromorphes<br />

Wesen - vielleicht nachträglich - eingraviert und dahinter ein ebenso grob eingeschlagenes<br />

Boot mit nur zwei Mann Besatzung.<br />

Doch die anthropomorphe Stevenfigur raubt die letzten zwei Männer vom vorausfahrenden<br />

Schiff. AndieserKomposition sind zwei Zeichner tätig gewesen: Während<br />

<strong>der</strong> eine einen feinen Strich schuf,pickte<strong>der</strong>an<strong>der</strong>ekräftige aber unsichere<br />

Linien.<br />

<strong>Die</strong> ungewöhnlich hohe Zahl kreativer Potenzen unter diesen zahlenmäßig unbedeutenden<br />

Polarvölkern <strong>der</strong> Steinzeit, muß in geistigen Schöpfungen, wie es Mythen<br />

sind, in möglicherweise daran ausgerichteten Kulten und in zeichnerischen<br />

Gestaltungen, wie wir sehen, beachtlich gewesen sein.<br />

Insel Sørøysund:gåshopen/Finnmark,N<br />

Der große Wandel<br />

Als die vom Kontinent nach Skandinavien gekommene sogenannte<br />

Neolithische<br />

das Wildbeuterdasein durch eine planende PflanzwirtschaftundVieh-<br />

Revolution<br />

zucht ersetzte, än<strong>der</strong>te sich nicht allein die Lebensweise, son<strong>der</strong>n auch die rituellen<br />

und kultischen Vorstellungen.<br />

Es ist ein häufig wie<strong>der</strong>holter Irrtum, anzunehmen, das sogenannte Bauerntum<br />

hätte gegenüber dem nun überwundenen Wildbeutertum mehr Lebenssicherheit<br />

geboten. Das Gegenteil wird <strong>der</strong> Fall gewesen sein. Der Wildbeuter <strong>der</strong> Vorzeit<br />

hatte bei seiner gewiß auch rituell reduzierten Bevölkerungszahl in einer Umwelt<br />

von Tier und Pflanze soviel Kenntnisse, daß er stets ausreichend Lebensmittel zur<br />

Verfügung hatte.<br />

<strong>Die</strong> Nahrungsquellen waren sicher und zuverlässig. Nach Ausbeutung des einen<br />

Reviers war die Gruppe in ein an<strong>der</strong>es gezogen. <strong>Die</strong>ses Nicht-ausschöpfen des Erreichbaren<br />

bedeutete gewissermaßen, daß <strong>der</strong> Wildbeuter in einem bescheidenen<br />

Überfluß lebte.<br />

Bei Katastrophen war damit <strong>der</strong> Sammler auch ohne Jagdbeute dem Ackerbauer<br />

in Not überlegen (19). Der Landbau, <strong>der</strong> etwa heutiger Gartenwirtschaftentsprach,<br />

konnte im atlantischen Klima gut gedeihen, aber auch unerwartete<br />

Mißerntenbringen.Niezuvorhatte<strong>der</strong>nordischeMenschsoviel Unsicherheit ertragen<br />

müssen. Das betraf ebenfalls den räuberischen Zugriffdurchneidische<br />

Nachbarn. Der Bauer versuchte Verluste durch eine althergebrachte <strong>Magie</strong> in einer<br />

verschrobenen Logik abzuwenden.<br />

Felsbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jägerzeit<br />

Felsbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Pflanzer<br />

37


38<br />

Tanum: Bro/Bohuslän, S.<br />

Dem kam <strong>der</strong> Sonnenkult entgegen, <strong>der</strong> vom Kontinent her in Skandinavien bereitwillig<br />

aufgenommen wurde. Das dokumentieren besser als alle Bodenfunde die<br />

Felsbil<strong>der</strong>.<br />

Als <strong>der</strong> Sammelstock <strong>der</strong> Wildbeuter zum Grabstock <strong>der</strong> Pflanzer wurde, machte<br />

er eine weitere Wandlung durch. Er bekam einen langen Schaftzurbesseren<br />

Handhabung und wurde dadurch zum Furchenstock. Vielleicht aus <strong>der</strong> Hacke entwickelte<br />

sich <strong>der</strong> Hakenpflug und Sohlenpflug , mit denen man lediglich die Furche<br />

zur Aufnahme von Saatgut aufriß.<br />

Es fehlte noch die Pflugschar, mit <strong>der</strong> die Scholle umgeworfen werden konnte.<br />

Unter den Grabhügeln des Nordens finden sich immer noch die Pflugfurchen einstiger<br />

Feldstücke. Sie wurden oft sogar kreuz und quer gezogen. <strong>Die</strong> von einem<br />

Pflug gezogene neue Grenze (Grenzziehung) galt nicht allein in Skandinavien als<br />

gesetzlich gesichert. Der rituelle Charakter des Pfluges ist <strong>der</strong> Häufigkeit zu entnehmen,<br />

mit <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s dieses Gerät als Opfer in Mooren versenkt wurde. Dänemark<br />

und Schweden sind mit Pflug-Funden gesegnet, Pflüge aller möglicher<br />

Typen.<br />

Tanum: Finntorp/Bohuslän, S<br />

Seit <strong>der</strong> späten Jungsteinzeit und in <strong>der</strong> Bronzezeit verschlechterte sich durch Überweidung<br />

und mangelhafte Kenntnisse im Landbau die Ertragslage. <strong>Die</strong> ersten Bauern<br />

erkannten die Ursachen dieser Erscheinungen nicht. Mit den althergebrachten<br />

Methoden des Übersinnlichen versuchten die Betroffenen Abhilfezuschaffen.<br />

<strong>Die</strong> Ahnen waren für die Fruchtbarkeit von Boden und Haustieren verantwortlich.<br />

Sie mußten versöhnt werden, um bessere Ernten und ausreichende Weiden zu<br />

gewährleisten. So wurden den Ahnen aufwendige Megalithbauten errichtet, wertvolle<br />

Beigaben ins Jenseits mitgegeben und in Felsbil<strong>der</strong>n die Zeremonien mit Prozessionen<br />

und Schiffsumzügen über die Fel<strong>der</strong> für die lebend gedachten Toten<br />

geweiht.<br />

Wenn den Ahnen aufwendige Totenbauten errichtet worden waren, wenn die Zeremonien<br />

stets erneut in den Felsbil<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>gegeben wurden, glaubte man alles<br />

zur Verbesserung <strong>der</strong> Fruchtbarkeit getan zu haben (20a). So waren die Megalithbauten<br />

und die Felsbil<strong>der</strong> nicht etwa ein Zeichen von Überfluß und Wohlstand,<br />

son<strong>der</strong>n im Gegenteil Ausdruck <strong>der</strong> immerwährenden Furcht vor größer werden<strong>der</strong><br />

Not, vor Hunger und vor dem Sterben.<br />

Öster-Eneby:<br />

Ekenberg/Östergötland,S<br />

Oben: So trug man Modellboote<br />

im Frühjahrsumgang mit herum.<br />

Unten: Das ist <strong>der</strong> Vorläufer<br />

pferdegezogener Schifswagen<br />

unserer Karnevalsumzüge.<br />

Sohlenpflug,<br />

Rekonstruktion: Verfasser<br />

Einsteckpflug;<br />

39


40<br />

Das Wasser bot den<br />

einfachsten Weg<br />

<strong>Die</strong> größte Anzahl unter den ikonographischen Motiven kam in Skandinavien<br />

den Booten zu. Und nur ein einziger Felsbildbereich, nämlich wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nämforsen,<br />

zeigte alle drei nordischen Bootstypen <strong>der</strong> Vorzeit: 1. das älteste, schon in <strong>der</strong><br />

Eiszeit entstandene in Skelettbauweise konstruiert, 2. den erst nach<br />

Hautboot,<br />

dem stärkeren Wachstum <strong>der</strong> Bäume möglichen und 3. das<br />

Einbaum Birkenrin-<br />

die Kennung <strong>der</strong> bronzezeitlichen Felsbil<strong>der</strong>, ein Fahrzeug in<br />

den - Kufenboot,<br />

Schalenbauweise.<br />

Vom Hautboot erfuhren wir genug. Der Einbaum ist sowohl von Jägern auch als<br />

von Pflanzern benutzt worden. Beson<strong>der</strong>s bemerkenswert ist ein Son<strong>der</strong>typ, <strong>der</strong><br />

einen Elchkopf am Steven aufweist und deshalb in seiner Südwan<strong>der</strong>ung gut zu<br />

verfolgen ist. Er tritt erstmals in karelischer Felsbildlage in Salawruga am Weißen<br />

Meer auf, wo er durch ganze Fluß- und Seesysteme zum Onegasee und Ladogasee<br />

bis hinein in den Finnischen Meerbusen gelangt ist.<br />

Im Bottnischen Meerbusen dürften diese Jäger-Seefahrer beim damaligen höheren<br />

Wasserstand sehr weit in den Ångermanälv hineingeraten sein, bis <strong>der</strong> Kataraktbezirk<br />

des Nämforsen die schwerfälligen Boote aufhielt. Durch die erste große<br />

Abtaulücke des einst mächtigen Inlandeises, dessen Landschaftheutebezeichnen<strong>der</strong>weise<br />

Medelpad (Mittelpfad) genannt wird, kann dieser unverwechselbare<br />

Bootstyp den Weg zum Trondheimsfjord genommen haben, denn im Stjördalen<br />

bei Hegra finden wir es als Felsbild im Wald versteckt wie<strong>der</strong>.<br />

Stjørdalen, Hegra: Bjørngård/Nord-Trøndelag,N<br />

Abb. oben: Hautboot und Einbaum im gleichen Maßstab.<br />

Am Nämforsen sind nur auf <strong>der</strong> stromumtosten Insel Bradön inmitten <strong>der</strong> jägerzeitlichen<br />

Felsbil<strong>der</strong> auch die auffälligen bauernzeitlichen Kufenboote graviert.<br />

<strong>Die</strong> Bauern des skandinavischen Südens hatten den Weg in den Norden gefunden,<br />

vermutlich um dort Handel zu treiben. Da ab <strong>der</strong> Mittleren Steinzeit bei günstigem<br />

Klima starke Bäume wuchsen, war es möglich, daß im Norden Eurasiens<br />

Boote in Schalenbauweise mit Rinde gebaut wurden.<br />

<strong>Die</strong> ersten Bauerngenerationen scheinen in Südskandinavien diese Idee bereitwillig<br />

aufgegriffen und zu einem eigenen Langboottyp umkonstruiert zu haben. Den<br />

Forschern gab zuerst das Boot mit <strong>der</strong> KufeRätselauf. Sie glaubten in ihm<br />

Schlitten zu erkennen, Doppelrumpfboote, Auslegerboote o<strong>der</strong> gar Flöße. Der<br />

Schiffsbauingenieur Gerhard Timmermann fand schließlich die rechte Lösung mit<br />

seinem Schreibpapierversuch. (21)<br />

Er bog ein Stück Schreibpapier im Seitenverhältnis 1 : 7 so zusammen, daß die<br />

gefalteten Schmalseiten mit Briefklammern zusammengehalten werden konnten.<br />

<strong>Die</strong> Mitte des entstandenen Bootes bog sich dabei bootsmäßig auseinan<strong>der</strong>. <strong>Die</strong><br />

Bug- und Hecklinie zog sich oben durch die Spannung genauso nach innen, wie<br />

das bei den Felsbild-Kufenbooten zu sehen ist. Also mußten diese Fahrzeuge aus<br />

rechteckig abgeschälter Baumrinde aufgebaut worden sein, selbst wenn diese zusammengestückt<br />

worden wäre.<br />

Eine unter dem ganzen Boot hindurchgehende Kufe schützte die empfindliche<br />

Baumrinde vor <strong>der</strong> Berührung mit dem felsigen Grund. <strong>Die</strong> hochgezogenen Steven<br />

folgten dabei lediglich einem Schmuckbedürfnis.<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel Brådön/Ångermanland,S<br />

41


42<br />

Tanum: Bro/Bohuslän, S<br />

Tossene:Åby/Bohuslän, S<br />

Der Grund, weshalb die bäuerliche Bevölkerung Skandinaviens nie ganz auf Seefahrt<br />

und Jagd verzichtete, liegt in <strong>der</strong> Tatsache begründet, daß etwa in Norwegen<br />

nur 4% des Bodens für Pflanzungen anbaufähig war.<br />

Das überwiegend felsige o<strong>der</strong> sumpfige Wildgelände war allein für die Jagd geeignet.<br />

Und die Weite des Meeres lockte die unternehmungslustigen Nordmänner in die<br />

Ferne.<br />

Der Bronzehandel erfor<strong>der</strong>te im Transport den "<strong>Die</strong>nstleistungsbetrieb" mit Schiffen,<br />

wie sich die Skandinavier auch heute noch auf <strong>der</strong> ganzen Welt von <strong>der</strong> Tankschiffahrt<br />

bis zum Walfang verdingen. Es ist nachweisbar, daß die Schiffe<strong>der</strong>Bronzezeit<br />

große Strecken zurücklegten.<br />

Aufdem 2. Internationalen Archäologenkongreß in Oslo unterstrich A. W.Brøgger,<br />

<strong>der</strong> damalige Leiter des Norwegischen Museums, daß die frühen Berichte im 6. und<br />

5. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. über die Seefahrten <strong>der</strong> Griechen und Phönizier in den<br />

Atlantik hinein, nicht etwa <strong>der</strong> Anfang, son<strong>der</strong>n tatsächlich das Ende einer Periode<br />

<strong>der</strong> Entdeckungen und des an den atlantischen Küsten vorherrschenden Seehandels<br />

gewesen waren (22).<br />

<strong>Die</strong> Bronzezeit sei das große Jahrtausend <strong>der</strong> Seefahrten gewesen, in dem die Technik<br />

<strong>der</strong> Nautik entwickelt worden sei.<br />

Es ist son<strong>der</strong>bar, daß ausgerechnet ein Außenseitertyp des Bootsbaues jahrhun<strong>der</strong>telang<br />

die Meere befuhr und bis über die Bronzezeit hinaus zur "Kennung" wurde.<br />

Das Boot aus <strong>der</strong> empfindlichen Birkenrinde kam in Wirklichkeit den Bedürfnissen<br />

<strong>der</strong> bronzezeitlichen Seeleute entgegen.<br />

Sarpsborg: Kalnes/Østfold,N<br />

43


44<br />

An den indianischen Birkenrinden-Kanus sehen wir, daß sie so leicht waren, daß sie<br />

um Stromschnellen getragen werden konnten. Dem kam gewiss auch die Kufe<br />

zugute, die den Bootsboden vor Beschädigung schützte. Der Bootsfund auf <strong>der</strong><br />

Hjortspringkoppel <strong>der</strong> dänischen Insel Alsen bot bei <strong>der</strong> Rekonstruktion des Birkenrindenbootes<br />

(vor <strong>der</strong> sich viele Konstrukteure scheuten) eine geeignete Schlüsselkonstruktion.<br />

Hier hatten die Erbauer zwar die Birkenrinde schon durch Planken<br />

ersetzt. Doch noch immer wurden die Planken zusammengenäht und die Steven<br />

wiesen eine eigentümliche stabile Hohlkonstruktion auf.<br />

Und dabei zeigte es sich, daß das Hauptproblem eines Rindenbootes dieser Art an<br />

den beiden Aufhängestellen <strong>der</strong> KufeamVor<strong>der</strong>- und Achtersteven lag. Birkenrinde<br />

läßt sich zwar recht gut biegen, doch würde ein Knicken o<strong>der</strong> Falzen sofort zum<br />

Bruch des Materials und zum Wassereintritt führen. Angeregt durch die hölzernen<br />

Hohlsteven des Hjortspringbootes wählte ich also einen halbschaligen Hohlzylin<strong>der</strong><br />

(siehe Zeichnung), <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kufebefestigt wurde.<br />

In ihn hinein paßte ich mit etwas Abstand einen Kolben, um dessen gerundeten<br />

unteren Ende die Birkenrinde gebogen und in ganzer Länge bis oben mit Birkenpech<br />

angeklebt werden konnte. Wenn dieser Kolbenjeweils in <strong>der</strong> Dollbord-Zusammenführung<br />

aufgehängt wurde, hatten beide Steven eine vorzügliche Haltefunktion<br />

für die zweifach aufgehängte Kufe. Jede weitere Kufenaufhängung, etwa durch die<br />

Birkenrinde des Bootskörpers hindurch, hätte bei <strong>der</strong> Flexibilität von Rindenbooten<br />

unbedingt zu undichten Stellen führen müssen. Unter solchen Umständen war die<br />

Länge <strong>der</strong>artiger Kufenboote gewiß auch beschränkt.<br />

Unverständlicherweise wurden diese großen Rindenboote we<strong>der</strong> mit Riemen (langen<br />

Ru<strong>der</strong>n) angetrieben, noch waren sie mit Segeln versehen. Wenn unter tausenden<br />

von Bootsbil<strong>der</strong>n zwei o<strong>der</strong> drei nachträglich einen Mast graviert bekamen,<br />

rechtfertigt das nicht das Gegenteil. Ihre Fortbewegung erfolgte mit dem Stechpaddel,<br />

dem Pagaie. Das trifft sogar aufdie ersten Plankenboote vom Hjortspringtyp zu<br />

(23). Da aufje<strong>der</strong> Seite deshalb immer nur ein Mann auf <strong>der</strong> Ducht (Sitzbank) sitzen<br />

konnte, also aufje<strong>der</strong>DuchtnurzweiMänner,warendieBooteschmalund<br />

lang. Durch diesen Umstand waren die Langboote ungewöhnlich schnell, denn<br />

"Länge läuft" ,sagt<strong>der</strong>Seemann.<br />

Rindenboot Sibirien: Tungusen<br />

Rekonstruktion Rinden-Kufenboot.<br />

Rekonstruktion: Verfasser<br />

45


46<br />

Zur Vereinfachung <strong>der</strong> schwierigen Gravurarbeit mit Feuerstein o<strong>der</strong> Bronzemeißeln<br />

wurden die Männer <strong>der</strong> Schiffsmannschaft meist nur als Striche in den<br />

Stein graviert. Oftjedoch stehen die Männer in Hocke auf dem Dollbord, das Paddel<br />

in "Parade" vor sich hochhaltend. Das zeichnerische Problem <strong>der</strong> Perspektive<br />

und <strong>der</strong> Überschneidung war noch nicht gelöst. <strong>Die</strong> hinter <strong>der</strong> Bordwand auf <strong>der</strong><br />

Ducht sitzende MannschaftgerietalsoaufdenDollbord.Manzeichnetewasman<br />

wußte, nicht aber was gesehen wurde. Wenn zumeist Kultszenen, Fruchtbarkeitszeremonien<br />

o<strong>der</strong> rituelles Brauchtum im Zusammenhang mit Booten auf den Felsen<br />

graviert wurde, so können wir doch davonausgehen,daßdieZeichnungendie<br />

benutzten Boote jener Zeit wie<strong>der</strong>gaben. An<strong>der</strong>e Bootsdarstellungen zeigen deutlich<br />

Gestelle, die gewiß bei bestimmten Zeremonien auf den Fel<strong>der</strong>n aufgebaut<br />

worden sein könnten. Fröhliche Menschen an Bord, mit Blashörnern in den<br />

Händen, erinnern daran, welcher Herkunft unsere Karnevalsschiffe auf den<br />

Straßen unserer Städte sind. Gewisse Brauchtümer haben ein langes Leben.<br />

Tanzende MannschaftmitBirkenrinden-Hörnern. Tanum: Lycke/Bohuslän, S<br />

Boot mit Winkelmeßbrett (?). Begby: Borge / Østfold,N<br />

In einer <strong>der</strong> seltenen Felsbildlagen, in <strong>der</strong> ein Felsen steil ansteigt, ist deutlich zu<br />

erkennen, daß ein Gegenstand aufrechtstehend o<strong>der</strong> gestürzt gemeint ist. Drei<br />

Schiffe sind in Hamnetorp übereinan<strong>der</strong> abgebildet: Zuunterst das Sonnenboot mit<br />

<strong>der</strong> Sonne und Mannschaft. Darüber ein Boot mit Mannschaft, an dessen Bug eine<br />

phallische Gestalt steht, offenbar Sperma ausstoßend, in fast segnen<strong>der</strong> Gebärde<br />

wie<strong>der</strong>gegeben. Zuoberst aber ist ein mit nur zwei provisorischen Linien gezeichnetes<br />

"zerstörtes" Boot dargestellt, unter dessen gestürztem Deck sechs Menschen mit<br />

dem Kopfnach unten Ertrunkene deutlich machen.<br />

Neben den Toten jedoch erkennt man eine Großkatze, ebenfalls gestürzt: tot. Es<br />

könnte sich um einen Leopard handeln, <strong>der</strong> in Afrika außer in Wüsten überall anzutreffen<br />

ist. O<strong>der</strong> es müßte ein Gepard aus den offenen Landschaften Afrikas südlich<br />

<strong>der</strong> Sahara sein. Wie dem auch sei: <strong>Die</strong>se bemitleidenswerte Mannschaft<strong>der</strong>Bronzezeit<br />

kehrte von Fernfahrt nicht zurück. Hier wurde ihnen von glücklicheren<br />

Gefährten an<strong>der</strong>er Boote ein graviertes Erinnerungsmal geweiht.<br />

Kville: Hamnetorp, Bohuslän, S<br />

47


48<br />

Boot in Paddelparade: Tanum: Bro/Bohuslän, S<br />

In <strong>der</strong> Waldlage Bräcke bei Brastad tauchen als Unikum sanduhrähnliche Formen<br />

auf.Vermutlich ist das eine weit verbreitete Hyperboloid-Form einer noch heute<br />

gebräuchlichen kleinen Pauke, die einfach unter den Arm genommen wird. Aus<br />

Bodenfunden <strong>der</strong> neolithischen mitteldeutschen Bernburger Kultur sind sie als<br />

Tonpauken bekannt. Bei fröhlichen Festen, auch auf Schiffen, könnten sie im Bohuslän<br />

einst für rythmischen Lärm gesorgt haben. <strong>Die</strong> schlagenden Hände und<br />

die Ergänzungen <strong>der</strong> Oben-ohne-Figuren sind dieser Bildplatte erst später hinzugekommen.<br />

<strong>Die</strong> Zusammenführung kultureller Einflüsse des Nordens mit denen <strong>der</strong> Donaulän<strong>der</strong><br />

führte in Mitteldeutschland zu beson<strong>der</strong>en Keramikformen. <strong>Die</strong> offensichtliche<br />

Umsetzung schon vorhandener hölzerner einschaliger Hyperboloid-Pauken<br />

in Ton sind in <strong>der</strong> Walternienburger und <strong>der</strong> Bernburger Gruppe mehrfach<br />

nachzuweisen (24). Man kann sie als zeremonielles Gerät <strong>der</strong> Schamanen ansprechen.<br />

Auch wird die Existenz dieser Pauken im Bohuslän durch einen einzelnen<br />

Grabfund nahe Göteborg erhärtet.<br />

Grabfund bei Göteburg, S Brastad: Bräcke/Bohuslän, S<br />

49


50<br />

Auf manchen Langbooten sieht <strong>der</strong> aufmerksame Betrachter dieselben<br />

Lauben-<br />

mit tonnenförmigem Dach, wie sie auch auf altägyptischen Totenbooten zu<br />

bauten<br />

sehen sind. Uns unverständlich, sind manchmal<br />

Schife mit darauf abge-<br />

Bäumen<br />

bildet. Auf den Spitzen <strong>der</strong> Zweige sitzen Vögel, die die Geister <strong>der</strong> Verstorbenen<br />

symbolisieren. In den Schöpfungsmythen vieler Völker hat <strong>der</strong> Baum eine beherrschende<br />

Rolle. <strong>Die</strong> germanische Weltesche Yggdrasil (sehr spät erst geschichtlich<br />

dokumentiert) verkörpert in <strong>der</strong> nordischen Mythologie den Kosmos.<br />

Sie bildet die Brücke zwischen den Lebenden und dem Himmel sowie <strong>der</strong> Unterwelt.<br />

Seit <strong>der</strong> Jägerzeit zeigen immer noch Boote, daß sie Toten- o<strong>der</strong> Ahnenboote<br />

sind, auf dem Weg, den die Sonne in das Jenseits nimmt. In <strong>der</strong> Eisenzeit wurde<br />

es üblich, riesige mit mehr o<strong>der</strong> weniger großen Steinen als<br />

Schifssetzungen<br />

Erinnerungsmal für hochstehende Tote zu errichten. Noch später setzte man in<br />

<strong>der</strong> Wikingerzeit die Toten in ihren Schiffen bei.<br />

Stjørdal: Hegra/Nord-Trøndelag,N<br />

Munkedal: Lökeberg/Bohuslän, S<br />

Aufbronzenen Rasiermessern, die sicher kultischen Zwecken dienten, sind die gleichen<br />

Kufenboote wie<strong>der</strong>gegeben, jedoch in einer an<strong>der</strong>en Gravurart als <strong>der</strong> Steinmeißeltechnik.<br />

<strong>Die</strong>se Rasiermesser wurden vermutlich zur Kultischen "Reinigung"<br />

benutzt.<br />

<strong>Die</strong>se bronzezeitliche Formensprache ist oftverspieltunddeshalbschwerzu<br />

entschlüsseln. Das wirkt sich in <strong>der</strong> Bearbeitung des Materials Bronze weitgehen<strong>der</strong><br />

aus als bei <strong>der</strong> Gravur des spröden Steines. Das Felsbild bietet selten Gelegenheit zu<br />

echter Schmuckgestaltung. Im unteren Bild spüren wir, wie dem Hersteller <strong>der</strong><br />

Schmuckfüllungen an dem Schiffvon links nach rechts förmlich "die Puste"<br />

ausgeht.<br />

Jungbronzezeitliches Rasiermesser von Bremen, D<br />

Verloren<br />

Horrköping: Himmelstalund/Östergötland,S<br />

Prunkmesser von Goldendorf,Krs. Harburg,D<br />

51


52<br />

Seit <strong>der</strong> Eiszeit sind Garne und Netze belegt. Noch in <strong>der</strong> Steinzeit begann das<br />

Angeln mit dem kunstvoll geformten Haken. Überraschend ist, daß schon am<br />

Nämforsen mit <strong>der</strong> Rute geangelt wurde. Das von uns 1993 entdeckte Felsbild<br />

(rechts) zeigt eine komische Metamorphose: Aus einem steif wie<strong>der</strong>gegebenen<br />

Vierfüßer wurde das Anglerboot. Der Tierkopf wandelte sich zum Stevenkopf.<br />

<strong>Die</strong> Vor<strong>der</strong>beine waren nicht mehr wegzutäuschen. Der große gefangene Fisch<br />

war möglicherweise zuvor als Boot beabsichtigt.<br />

Merkwürdig ist die Ähnlichkeit <strong>der</strong> späteren bronzezeitlichen Angelszene in einer<br />

ganz an<strong>der</strong>en Gegend Skandinaviens an <strong>der</strong> Westküste. Auch dort hat jeweils <strong>der</strong><br />

rückwärtige Angler zwei Angelruten gesetzt. Auf dem gleichen Ortsfels sind flach<br />

einige Oben-ohne Figuren auszumachen, die selbstverständlich nicht zur Angelszene<br />

gehören. Sie sind älter.<br />

Kville: SödraOdsmål/Bohuslän, S<br />

Näsåker,Nämforsen: Insel<br />

Notön/Ångermanland,S<br />

Von links nach rechts: Angelhaken aus Knochen und Geweih <strong>der</strong><br />

Museen von Tromsø,Stockholm,Vermland,Kopenhagen, <strong>Die</strong> ältesten<br />

Funde beginnen links.<br />

Hatten wir in <strong>der</strong> Jägerperiode das Angeln mit dem Knebel beobachtet, so haben<br />

wir jetzt das Angeln mit dem aus Geweih gefertigten Haken vor Augen. Zwei<br />

kleinste Rindenboote, ebenfalls mit Kufen versehen, tragen jeweils zwei Angler.<br />

An den ausgeworfenen Schnüren sind die Haken mit dem Kö<strong>der</strong> zu erkennen und<br />

auch die Beute, <strong>der</strong> Fisch. In vielen skandinavischen Museen sind die Angelhaken<br />

dieser frühen Perioden zu betrachten.<br />

In Östergötland sehen wir mit einem unklar wie<strong>der</strong>gegebenen Boot ein Wurfnetz<br />

und im Bohuslän ist ein Schleppnetz abgebildet, das vermutlich im Frühjahr unter<br />

Lurenklängen ausgeworfen wurde. Dem Anfischen im Frühling gilt gewiß auch eine<br />

hierogamische Szene, wobei ein kopulierendes Paar am Bug eines Rindenbootes<br />

dargestellt wurde, zu dem <strong>der</strong> Mann das erste Netz auswirft. Noch immer<br />

scheint seit <strong>der</strong> Jägerzeit die menschliche Vereinigung ihre starke Bedeutung auf<br />

den Nachwuchs <strong>der</strong> Tiere, einst als "Wie<strong>der</strong>geburt" ausgewiesen, beibehalten<br />

worden zu sein.<br />

Näsinge: Sandåker/Bohuslän, S<br />

53


54<br />

In Südost-England fand sich in 185 cm Tiefe im Schlick des Hol<strong>der</strong>ness-Marschlandes<br />

des Humber-Flusses ein bronzezeitliches hölzernes Modellboot. Das Boot<br />

war wichtigstes Requisit vorzeitlicher nordischer Kulturen. Das rechtfertigt, weshalb<br />

Boote das quantitativ meist verwendete Motiv skandinavischer Felsen sind.<br />

Rickeby: Brandskog/Uppland,S<br />

Welcher Wassergeist, Dämon o<strong>der</strong> Meeresgott <strong>der</strong> Schiffahrt för<strong>der</strong>lich ist und offensichtlich<br />

das Boot auf seiner Schulter trägt, erkennen wir in dem größten aller<br />

Felsbildboote, dem Brandskogschiff, 413 cm lang. An<strong>der</strong>erseits trugen Männer kleine<br />

Modellboote vermutlich in Flurbegehungen mit herum.<br />

Tanum: Sotetorp/Bohuslän, S Fund vom Marschland des Flusses Humber.Hol<strong>der</strong>ness GB<br />

55


56<br />

Zauberfeuer in Stjørdal<br />

An jenem Tage, als wir seitlich des kleinen Baches <strong>der</strong> Lage Leirfall die vorzüglichsten<br />

Felsbil<strong>der</strong> des Størdals auf große Papierbogen abrieben, schossen Per<br />

Skjelstad und Arne Opheim im dichten Buschwerk in unserer Nähe einen mächtigen<br />

Bären. Und während wir auf den gletscherschliffglatten schräg hängenden<br />

Felsflächen herumrutschten, wurden wir angesichts einer grandiosen Ansammlung<br />

verschiedenartigster bronzezeitlicher Felsbil<strong>der</strong> das miserable Gefühl nicht<br />

los, <strong>der</strong> Bär müßte nicht unbedingt ein Einzelgänger gewesen sein.<br />

Lange Zeit beschäftigten wir uns mit einigen ornamentalen Zeichnungen nie zuvor<br />

gesehener Art, die auf den ersten Blick den Eindruck von Schmuck machten.<br />

Ein Motiv sah aus wie eine auf den Kopf stehende Krone. Es konnte aber mit Sicherheit<br />

keine Krone sein.<br />

Da war es erst in Mainz im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Olaf Höckmann,<br />

<strong>der</strong> mir den rechten Anstoß gab, dieses Objekt zu klären: Schon längst war<br />

mir die sogenannte Balkåkratrommel bekannt, ein Bronzefundstück, das 1847 aus<br />

einem Torfmoor bei Balkåkra in <strong>der</strong> Nähe von Ystad im schwedischen Schonen<br />

geborgen wurde.<br />

Hohlkörper <strong>der</strong> sogenannten Balkåkratrommel alsSonnenspiegel.<br />

<strong>Die</strong> sogenannte Balkåkratrommel,ein<br />

Sonnenreflektor.<br />

<strong>Die</strong> gestalteteSpiegelfläche<br />

<strong>Die</strong>ses schöne Stück aus <strong>der</strong> älteren Bronzezeit 1500 - 1300 v. Ch., besteht aus einer<br />

runden, schüsselförmig getriebenen Platte von 42 cm Durchmesser, die auf<strong>der</strong> konkaven<br />

Seite, also dort, wo sie eingetieftwurde, poliert ist, während die konvexe<br />

Unterseite unbearbeitet blieb. <strong>Die</strong> Platte wird von einem zylindrischen Stän<strong>der</strong>körper<br />

getragen, <strong>der</strong> aufzehn Sonnenrä<strong>der</strong>n ruht, die sogar mit Achslöchern versehen<br />

sind. Man hat den Eindruck, als müsse dieses eigentümliche Gefährt in seiner runden<br />

Form sich immer rollend im Kreise drehen. Und das entspricht vermutlich<br />

auch <strong>der</strong> Absicht des Gestalters.<br />

57


58<br />

Vermutlich ein Sonnenreflektor.Sjørdal: Leirfall/Nord-Trøndelag,N<br />

Der ganze zylindrische Körper ist mit kreisrunden, regelmäßig verteilten Durchbrüchen<br />

versehen, die an ihrem Einschnittrand mit einer gestrichelten Ornamentierung<br />

geschmückt sind. Es ist denkbar, daß damit ebenfalls Himmelskörper gemeint<br />

sind.<br />

Ein völlig identischer Bronzegegenstand wurde in Haschendorf in Ungarn gefunden.<br />

Es ist anzunehmen, daß die sogenannte aus Südeuropaüber<br />

Balkåkratrommel<br />

die üblichen Handelswege <strong>der</strong> damaligen Zeit importiert wurde. Man weiß, daß<br />

beson<strong>der</strong>s in Ungarn ein dem Nordischen Kreis ebenbürtiger<br />

donauländischer Kul-<br />

zu dieser Zeit bestand.<br />

turkreis<br />

Sinnlos wurde dieses Bronzeobjekt als Trommel, dann aber auch als Miniaturaltar<br />

zu Aufnahme von Blutopfern bezeichnet. Der schwedische Wissenschaftler Henry<br />

Freijscheint<strong>der</strong>Klärung dieser Frage am nächsten gekommen zu sein. Er erklärte<br />

die Balkåkratrommel als einen (25). In Stockholm wurden daraufhin<br />

Brennspiegel<br />

mit einem Modell Versuche angestellt. Und siehe da, die zum Hohlkörper gestaltete<br />

runde Fläche reflektierte das Sonnenlicht so vorzüglich, daß brennbare Stoffe in<br />

einer Entfernung von 32 cm in den Brennpunkt gehalten, in nur 10 Sekunden zu<br />

glimmen begannen.<br />

Stellt man sich nun einen Schamanen o<strong>der</strong> gar den Priester des Sonnenkults vor,<br />

<strong>der</strong> in dieser von Geistern und überirdischen Wesen belebten damaligen Welt über<br />

dem geheimnisvollen kleinen "Altar" ein Stück Zun<strong>der</strong> o<strong>der</strong> <strong>Die</strong>stelsamen sozusagen<br />

in <strong>der</strong> freien Luft übernatürlich zum Glimmen brachte, um damit das "heilige<br />

Feuer" zu entzünden.... welch‘ mächtiger Mann muß er gewesen sein! Wir wissen<br />

vom Neujahrsfest , das später in <strong>der</strong> geschichtlich germanischen Zeit alle acht Jahre<br />

in Uppsala gefeiert wurde, um die Sonne-Mond-Zeitrechnung mit ihren Tücken und<br />

Lücken wie<strong>der</strong> ins Reine zu bringen. Wäre es so abwegig, anzunehmen, die Sonne<br />

selbst hätte das Neufeuer über einem heiligen Spiegel entzündet?<br />

Schwer deutbare Strukturen.<br />

Stjørdal: Leirfall/Nord-Trøndelag,N<br />

59


60<br />

Zurück zu unserer kopfstehenden Krone die keine ist: Hier am Leirfall war ein<br />

ähnlicher Hohlspiegel als Felsbild dargestellt, einmal in Seitenansicht, dann wie<strong>der</strong><br />

in Aufsicht. Wenn geahnt wird, was <strong>der</strong> Sinn des Felsbildes sein könnte, bekommen<br />

die naiven Steinritzungen Leben. Hat dieser Zauberspiegel offensichtlich<br />

eine Oberfläche aus fünf konzentrischen Kreisen, von denen vier Lichtstrahlen<br />

auszugehen scheinen, so weckt ein ähnliches, schwer erklärendes Felsbild, unmittelbar<br />

daneben unsere Aufmerksamkeit: Oben ist ein kammartiger Gegenstand<br />

mit Handgriff abgebildet und darunter sieben bzw. acht nicht geschlossene konzentrische<br />

Linien, die so wirken wie die zeitüblichen mit einem Kammzug in ungebrannten<br />

Ton gezogenen Kreisformen, die die Sonne selbst bedeuteten. Keramik<br />

dieser Art ist in Skandinavien bekannt.<br />

Der Sonnengott selbst, so möchte <strong>der</strong> naive Betrachter meinen, hat bei <strong>der</strong> Felsbildlage<br />

Leirfall im Stjørdal Norwegens seine Zeichen hinterlassen. Wie<strong>der</strong>holt<br />

sahen wir an<strong>der</strong>swo seine Fußstapfen auf den Felsen. Hier sind es die Sandalen<br />

mit dem unter dem Fuß hindurchgeführten Bin<strong>der</strong>iemen. Zwei nebeneinan<strong>der</strong> gestellte<br />

Sandalen ergeben eine bekannte Form: Das ist das nicht ganz zentrierte<br />

sogenannte "Sonnenrad". <strong>Die</strong>selben bemerkenswerten Kombinationen fanden wir,<br />

Jahre zuvor, schon bei Enköping im Uppland.<br />

Anschauliche Bil<strong>der</strong> geben heute noch Kunde vom Leben in einer Zeit, die infolge<br />

fehlen<strong>der</strong> schriftlicher Zeugnisse als geschichtslos bezeichnet wird. Wir können<br />

nur ahnen, welche unglaublichen geistigen Leistungen damals möglich waren.<br />

Nur ein Bruchteil von alledem wird vermutlich dem Felsen anvertraut worden<br />

sein.<br />

Rad und Wagen<br />

Stjørdal:Leirfall/Nord-Trøndelag,N Tanum: Vitlycke/Bohuslän, S<br />

War das erste Boot eine Erfindung <strong>der</strong> Jäger und Sammler gewesen, so wurde <strong>der</strong><br />

Wagen von Hirten vielleicht auch Pflanzern aus <strong>der</strong> Lastenschleifeentwickelt<br />

(20b). Noch immer ist es archäologisch nicht ausgestanden, ob <strong>der</strong> Wagen einmalig<br />

bei den Sumerern o<strong>der</strong> parallel dazu erstaunlicherweise auch im europäischen<br />

Norden entwickelt wurde (26).<br />

Wie immer diese neue technische Erfindung sich einer erstaunten Menschheit<br />

präsentierte, sie fand sogleich den Eingang in Ritus und Kult. Das Rumpeln des<br />

Rades auf dem felsigen Untergrund wird die Veranlassung gewesen sein, einem<br />

uns namentlich unbekannten Fruchtbarkeitsgott zum Herrn des Donners werden<br />

zu lassen, <strong>der</strong> den fruchtbarkeitsför<strong>der</strong>nden Regen brachte. Sehr viel später wurde<br />

<strong>der</strong> nordgermanische Gott Thor <strong>der</strong> "Besitzer des Wagens".<br />

61


62<br />

Åska <strong>der</strong> Donner bedeutet in "gudens åkning" das Fahren des Gottes. Es ist möglich,<br />

daß Kultwagen den Donner nachahmen sollten, um damit den fruchtbarkeitbringenden<br />

Regen herbeizurufen. Erste Wagen wurden mit Scheibenrä<strong>der</strong>n<br />

ausgerüstet, die oft auf den Felsbil<strong>der</strong>n einfach durch Schalengruben dargestellt<br />

wurden.<br />

Den zweirädrigen Wagen ist ihre Herkunftvon<strong>der</strong>Schleife anzusehen, da sie ein<br />

Chassis in gegabelter Form beibehielten. Wenn zwei <strong>der</strong>artige zweirädrige Karren<br />

aneinan<strong>der</strong> gehängt wurden, entstand bereits ein vierrädriger Wagen. Es wäre<br />

wohl naheliegend gewesen, daraus ein lenkbares Fahrzeug zu entwickeln.<br />

Tanum: Litsleby-Utmark/Bohuslän, S<br />

Jungsteinzeitliches Scheibenrad,C-14-Datierung = um 2800 v. Chr.<br />

Ältestes Rad Nordeuropas/DK.Nach Hans Rostholm<br />

Jedoch schienen nicht nur in Skandinavien, son<strong>der</strong>n auch aufdem Kontinent sämtliche<br />

vierrädrigen Wagen starr und ohne Lenkung gewesen zu sein. <strong>Die</strong> Straßenstücke<br />

waren einst entwe<strong>der</strong> kurz o<strong>der</strong> schlecht. Das trug nicht dazu bei, daß dem<br />

Wagen als Transportmittel frühzeitig eine große Rolle zukam. Er war vorerst wohl<br />

nur ein Statussymbol <strong>der</strong> Vermögenden und Höhergestellten.<br />

Askum: Rished/Bohuslän, S<br />

Kivik: Königsgrab/Schonen, S<br />

Auf den Stelen des Steinkistengrabes von Kivik in Schonen wurde unter an<strong>der</strong>em<br />

auch <strong>der</strong> tote König auf seinem Streitwagen gezeigt, <strong>der</strong> - ins Jenseits dem Sonnenweg<br />

folgend - selbstverständlich mit "Sonnenrä<strong>der</strong>n" ausgestattet war. Trotz <strong>der</strong><br />

schon etwas fortschrittlicheren Gestaltungsart gehen die Zügel nicht perspektivisch<br />

über den Kopfhinweg,son<strong>der</strong>nringsumihnherum.<br />

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64<br />

Zeitgemäßes Speichenrad<br />

Gryt: Frenarp/Schonen. S Foto: Verfasser<br />

Bei Frennarp in Schonen sind 12 zweirädrige Streit- und Rennwagen in den langgestreckten<br />

Felsen graviert. Sie alle tragen vierspeichige Rä<strong>der</strong>, das zeitweilige<br />

Symbol <strong>der</strong> Sonne. Da vor dem Felsen des Waldhügels eine weite, offenbar früher<br />

einmal planierte Fläche liegt, wird nicht auszuschließen sein, daß einst ein langgestreckter<br />

"Kursus" zu kultischen Rennen im Sinne <strong>der</strong> Sonnenlaufbahn benutzt<br />

wurde. Jedenfalls sind alle Rennwagen des Felsens von Frennarp zu einem Gruppenbild<br />

aufgereiht worden.<br />

Hatten alle Schöpfer <strong>der</strong> Felsbil<strong>der</strong> Wagen und Pferde in Planprojektion durch<br />

Abwicklung dargestellt, da war man sich nicht darin einig, ob die Zugtiere mit<br />

den Beinen zur Deichsel hin o<strong>der</strong> nach außen darzustellen waren. So kam es dazu,<br />

daß Pferde zuerst mit den Beinen nach außen, dann aber korrigierend nochmal<br />

mit den Beinen auf dem Rücken, ausgestattet wurden. Mit diesen achtbeinigen<br />

Pferden war jedoch nicht etwa Odins Roß gemeint.<br />

Gryt: Frenarp/Schonen, S<br />

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66<br />

Brastad: Backa-Disåsen/Bohuslän, S<br />

Wie gesagt, ist neben dem Hirsch auch das Pferd ein Sonnentier. Der<br />

Sonnenwa-<br />

auf dem dänischen Seeland gefunden, ist die größte und auch<br />

gen von Trondholm<br />

schönste Skulptur, die aus <strong>der</strong> nordischen Bronzezeit erhalten blieb. Der Wagen<br />

gehört <strong>der</strong> älteren Bronzezeit an. Er ist insgesamt 60 cm lang, das Pferd allein 30<br />

cm. <strong>Die</strong> mit reich ornamentierten Goldblech bedeckte Bronzescheibe ruht auf<br />

dem zweirädrigen Wagen. Das Pferd wurde über einen Tonkern gegossen. Lei<strong>der</strong><br />

sind die Rä<strong>der</strong> teilweise nur noch in Bruchstücken erhalten geblieben. Selbst die<br />

kleineren nordischen Skulpturen wurden von den Menschen des Nordens <strong>der</strong>artig<br />

verehrt, daß sie niemals in Gräbern, son<strong>der</strong>n immer als einzelne Opferfunde geborgen<br />

wurden.<br />

Das Pferd ist in <strong>der</strong> feudalistischen nordischen Bronzezeit Zugtier <strong>der</strong> Vermögenden<br />

gewesen. Erstes Zugtier vor dem Wagen war das ruhigere Rind. Es ging im<br />

Joch, ehe die spezifischere Einschirrung erfunden wurde. So waren die ersten<br />

Pferdewagen Statussymbol <strong>der</strong> Begüterten. Wie wir sahen, wurden sie bevorzugt<br />

auch zum Wagenrennen eingesetzt, die möglicherweise kultische Bedeutung<br />

im Sinne des Sonnenumlaufs hatten. Erstaunlicherweise wurde das nordische<br />

Pferd durchweg erst in <strong>der</strong> Eisenzeit geritten.<br />

Eine bekannte Felsgravur von Backa-Disåsen scheint neben dem Sonnenhirsch<br />

und vielleicht den nackten Füßen des Sonnengottes auch einen kultischen Sonnenwagen<br />

darzustellen, ein Stück, von dem uns lei<strong>der</strong> nur dieses Felsbild Kunde<br />

gibt.<br />

Fundstück Sonnenwagen. Seeland: Trundholm, DK14.-13.Jh. v. Chr.<br />

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68<br />

Brastad: Backa-Disåsen/Bohuslän, S<br />

Das Analogie-Denken <strong>der</strong> Vorzeit ging so weit, daß die Stangen und Sprossen des<br />

Hirschgeweihs mit den Strahlen <strong>der</strong> Sonne verglichen wurden. Der Hirsch als<br />

Sonnentier war also in <strong>der</strong> Lage, die Sonne über den Himmel zu ziehen. Bei dem<br />

Felsbild von Balken, das an den eurasiatischen Tierstil erinnert, ist die Sonnenscheibe<br />

sogar Bestandteil des Geweihs.<br />

<strong>Die</strong>ses einmalige mythische Tier ist we<strong>der</strong> Hirsch noch Pferd. Es trägt einen ungewöhnlichen<br />

dreigeteilten Schwanz. <strong>Die</strong> Drei hängt ethnologisch oftmitdemTotenbrauchtum<br />

zusammen. Sollte hier, wie in <strong>der</strong> ägyptischen Kunst, das Sterben<br />

und die ewige Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Sonne <strong>der</strong> Sinn des Motivs sein? Bei Kalleby-<br />

Longemyr tragen drei phallische Männer ein großes vierspeichiges Radkreuz, als<br />

würde es im Umzug präsentiert. Direkt darunter sind zwei nackte Füße in den<br />

Stein graviert. Sind es die Fußstapfen des unsichtbaren Sonnengottes, dem auch<br />

das sogenannte "Sonnenrad" zugeordnet war?<br />

Tanum: Balken/Bohuslän, S<br />

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70<br />

Tanum: Kalleby-Longemyr/Bohuslän, S<br />

Öster-Eneby: Ekenberg/Östergötland,S<br />

Das gleiche Kreuz fristet in den katholischen Kirchen als Weihekreuz sein heidnisches<br />

Leben. Es ist kontinentüberschreitend weltweit zu finden, Heiligkeits-glyphe,<br />

die als Kreuznimbus hinter dem Kopf Christi das ganze Mittelalter hindurch<br />

Bestand hatte. Als Diagramm einer göttlichen Zeit- und Raumteilung zeigt das Weltenrad<br />

immer nur die vier Kardinalrichtungen Norden und Süden, Osten und<br />

Westen. Es muß so alt sein, daß auch die Indianer dieses Wissen mit in den neuen<br />

Kontinent brachten.<br />

Lei<strong>der</strong> wird das wun<strong>der</strong>bare in den Felsen gravierte Standkreuz mit dem Sonnenrad<br />

in keltisch-irischer Tradition wenig gewürdigt. Als ich vor 30 Jahren das Felsbild<br />

erstmals auf Papier abrieb, entdeckte ich, daß die Kreuzform mit drei konzentrischen<br />

Kreisen nicht den ganzen Bildinhalt erfaßte. Der innere Kreis besteht aus den<br />

beiden Armen eines phallischen Mannes, dessen Kopfund Hals, Körper und linkes<br />

Bein den senkrechten Holm, dann ein Speer, <strong>der</strong> von den Armen gehalten wird, den<br />

horizontalen Kreuzholm ergibt.<br />

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72<br />

Der innere Kreis ist vor dem Phallus nicht ganz geschlossen. In <strong>der</strong> Mitte des Kreuzstän<strong>der</strong>s<br />

geht eine Linie nach unten, die in einem Tierfuß endet - will man die bisher<br />

anerkannte Interpretation (27) früher Kultstäbe gelten lassen.<br />

Brastad: Backa-Disåsen/Bohuslän, S<br />

Der Oben-ohne-Stil<br />

Es ist merkwürdig, daß die meisten Felsbildforscher die oftauffällig unterschiedlichen<br />

prähistorischen Gravuren eines gletschergeschliffenen Ortsfels als einheitliche<br />

Komposition und die dicht beieinan<strong>der</strong> stehenden Motive als Szene betrachten.<br />

Mir liegen etliche Beschreibungen vor, die in dem ikonographischen Beieinan<strong>der</strong>stehen<br />

vieler Sujets gewisse Lösungen eines vorgeschichtlichen Problems zu finden<br />

glauben. Dabei spielen angebliche astronomische Erkenntnisse, die man zu<br />

entschlüsseln angibt, eine beliebte Rolle. In Bezug aufoffen zutage liegende skandinavische<br />

Felsgravuren kann nicht genug vor "Schreibtischtätern" gewarnt werden,<br />

die jene Objekte, über die sie schreiben, nie vor Ort gesehen haben. Sonst wäre es<br />

ihnen gewiß aufgefallen, daß diese Motivgruppen ihrer angenommenen Komposition<br />

aus unterschiedlichen Gestaltungsperioden stammen, ja oft sogar stilistisch<br />

viele Jahrhun<strong>der</strong>te auseinan<strong>der</strong> einzuordnen sind. Das trifftauch auf Palimpseste<br />

zu, also einan<strong>der</strong> deckende Zeichnungen. Eigentümlich ist auch, daß selbst Forscher,<br />

die sich schon Jahrelang mit Felsbil<strong>der</strong>n beschäftigen, übersehen, daß sogar<br />

Einzelmotive nicht immer aus "einer" Hand stammen. Vielfach gibt es Figuren, die<br />

erst in späteren Stilepochen vervollständigt, ergänzt o<strong>der</strong> in ihrem Sinngehalt total<br />

verän<strong>der</strong>t worden sind.<br />

Als Beispiel möchte ich eine Gestalt zeigen, dieje<strong>der</strong> von uns, soweit er sich einmal<br />

mit den Felsgravuren im westschwedischen Bohuslän nördlich Göteborg befaßte,<br />

ganz sicher kennt - jedoch nicht unter dem Aspekt, den ich seit Jahrzehnten verfolge:<br />

Es ist ein menschlicher Körperteil, <strong>der</strong> ursprünglich nur aus dem Unterleib<br />

bestand; Beine und Unterbauch bis zum Rippenansatz. Daß ursprünglich <strong>der</strong> Oberkörper,Kopfund<br />

Arme fehlten, fällt durch den Umstand nicht auf,daßdieseTeile<br />

aus an<strong>der</strong>er Hand in späterer Zeit- und Stilepoche ergänzt wurden. Und eben dieser<br />

Umstand macht diese Merkwürdigkeit unter den Felsbil<strong>der</strong>n deutlich.<br />

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74<br />

Tanum: Vitlycke/Bohuslän, S<br />

Es gibt in Bohuslän, im Gebiet um Tanum eine große Anzahl <strong>der</strong>artiger Beispiele,<br />

weiterhin bei Kville, aber auch in ferneren Gegenden Skandinaviens wie Östergötland<br />

und im Nord-Trondelag. Mir sind weit über 300 Figuren bekannt, die - von<br />

wenigen Ausnahmen abgesehen - flächig angelegt sind, obgleich an<strong>der</strong>e bronzezeitliche<br />

Spezies meist einem linearen Stil zugehören (28).<br />

Beson<strong>der</strong>s die Beine, mit sich bis zum Knie verjüngendem Oberschenkel und überbetont<br />

konvexen Waden, sowie viel zu kleinen, oftmitabgespreitztenHackenversehenen<br />

Füßen kennzeichnen diese "absichtlich unvollendeten" Figuren.<br />

Es macht den Eindruck, daß die Darstellung mit den Beinen begonnen wurde - o<strong>der</strong><br />

daß die Beine das Motiv schlechthin sind, denn oftmals findet man sie einzeln o<strong>der</strong><br />

im Paar alleinstehend.<br />

Der kastenförmig unbeholfen viereckig aufgesetzte Bauchtrennt sich manchmal von<br />

den Beinen durch einen viel zu tiefgezeichneten, negativ im Stein stehengelassenen<br />

Gürtel, in dessen Mitte hin und wie<strong>der</strong>, fast im "Schritt", eine kleine Schalengrube<br />

wie eine Gürtelschließe steht.<br />

<strong>Die</strong>se kleine runde Vertiefung kann aber auch, wenn Felsbil<strong>der</strong> von Frauengestalten<br />

o<strong>der</strong> Kühe zum Vergleich herangezogen werden, die Weiblichkeit symbolisieren.<br />

Doch die bronzezeitlichen Bauern müssen beim späteren Ergänzen dieser Torsi<br />

stets das Gefühl gehabt haben, einen Männerkörper zu ergänzen.<br />

<strong>Die</strong> Vervollständigung <strong>der</strong> Unterkörper zeigt durchweg Speerträger, Bogenschützen,<br />

Lurenbläser o<strong>der</strong> Männer bei <strong>der</strong> Kopulation. Der in <strong>der</strong> ursprünglichen en-face-<br />

Darstellung fehlende Penis wurde ihm meist einfachandieHüfte graviert, um die<br />

Erektion wie<strong>der</strong>geben zu können. Bei den oft gezeigten Koitusszenen von<br />

Tanum/Varlös ist deutlich zu sehen, daß <strong>der</strong> ergänzende Graveur bemüht war, die<br />

Vorbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> gewölbten Beine bei dem neu eingeschlagenen Frauenkörper nachzuahmen.<br />

Tanum: Kalleby-Longemyr/Bohuslän, S<br />

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76<br />

Meine Arbeitsmanier beim Abreiben auf Papier mit Chlorophyll und Carbon weist<br />

deutlich aus, daß <strong>der</strong> Hals, Penis und Arme in an<strong>der</strong>er Gravurart dem Männerkörper<br />

angesetzt wurden. In den meisten Fällen wurde dabei <strong>der</strong> Kopf einfach auf den<br />

vorgefundenen Bauch gesetzt.<br />

Dadurch kommt oft eine recht gedrungene Gestalt zustande. <strong>Die</strong> Differenzierung<br />

<strong>der</strong> beiden Einhiebarten ist fast immer auffallend. <strong>Die</strong> üblichen Nachzeichnungen<br />

<strong>der</strong> Felsbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Fotos zeigen <strong>der</strong>artige Feinheiten natürlich nicht.<br />

Gerade deswegen halte ich die Feinheiten <strong>der</strong> ermittelten Details für wichtig und<br />

aussagekräftig. Man sollte sie nie übersehen, sonst geht <strong>der</strong> Dokumentwert eines<br />

Felsbildes verloren.<br />

Jahrelang suchte ich nach dem Sinn und <strong>der</strong> Quelle <strong>der</strong>artiger Darstellungen. Bei<br />

unserer umfassenden Suche nach europäischen Felsbil<strong>der</strong>n fand sich am Roccia<br />

delle Griselle am Gardasee ebenfalls ein alleinstehen<strong>der</strong> Unterleib mit betontem<br />

Phallos. <strong>Die</strong> Zeichnung warjedoch in einem an<strong>der</strong>en Stil als in Bohuslän. Lediglich<br />

im schamanistischen Mythos findet sich ein offenbar recht archaischer Hinweis aus<br />

dem unterirdischen Reich bei einigen sibirischen Tatarenstämmen.<br />

Georg Nioradze (29) gibt wie<strong>der</strong>: "<strong>Die</strong> Geister <strong>der</strong> Gestorbenen", die ins unterirdische<br />

Reich gehen, sehen Szenen und Vorgänge, die alle eine moralische Folgerung<br />

haben. Unter an<strong>der</strong>em:<br />

Tanum: Kalleby-Hagarna/Bohuslän, S Torri delBenaco: Roccia delle Griselle/Gardasee, I<br />

77


78<br />

Hogdal: Torp/Bohuslän, S Tanum: Un<strong>der</strong>slös/Bohuslän, S<br />

"In einem Fluß ist das Wasser an einer Stelle durch einen halben Menschenleib<br />

abgestaut, während an an<strong>der</strong>er Stelle eine Abstauung nicht einmal durch eine<br />

Menge ganzer Menschenleiber erreicht werden kann. Der halbe Menschenleib<br />

gehörte einem weisen Menschen, <strong>der</strong> es verstanden hatte, Flüsse zu stauen und <strong>der</strong><br />

alles auszuführen vermochte, was er sich vorgenommen hatte. Den Vorübergehenden<br />

soll <strong>der</strong> halbe Leib vor Augen führen, daß ein weiser Mensch, selbst seiner<br />

Gliedmaßen beraubt, durch seinen Geist und Verstand weiterwirken kann. Vielen<br />

an<strong>der</strong>en Menschenleiber, die es nicht vermögen, das Wasser im Flusse zu stauen,<br />

sollen veranschaulichen, daß allein mit physischer Kraft nichts zu erreichen ist".<br />

Weit davon entfernt, anzunehem, daß hier ein Zusammenhang mit dem Oben-ohne-<br />

Stil des Bohuslän gegeben sein könnte, möchte ich nur zu erkennen geben, wie weit<br />

die archaische Symbolik in uns ungewohnten Kategorien zu gehen instande war.<br />

Sollten die dargestellten Unterleiber einem ähnlichen Sinn gedient haben? Wir<br />

haben es schwer, das zu entschlüsseln.<br />

Sucht man etwa bei den Grabsitten nach <strong>der</strong>artigen halben Skeletten, dann muß<br />

viel Geduld aufgebracht werden. Lediglich bei Alexan<strong>der</strong> Häusler (30) stieß ich auf<br />

den Bericht über die Beisetzung eines männlichen Unterleibs im Grab Nr. 19 des<br />

Gräberfeldes Vasil‘evka I im Sinel‘nikovsker Rayon des Gebietes Dnepropetrovsk.<br />

79


80<br />

Brastad: Backa-Disåsen/Bohuslän, S<br />

Weiterhin vermerkt Häusler, daß im gleichen Bezirk nahe bei Mar‘ivskoe bei fünfzehn<br />

in Strecklage aufgefundenen Skeletten dreizehn ohne Unterleib beigesetzt worden<br />

waren. Außerdem fehlten Arme, Schulter- und Schlüsselbeine. <strong>Die</strong> Schädel<br />

waren sämtlich zertrümmert. Am vollständigsten waren die zwei restlichen Skelette;<br />

es waren weibliche. In <strong>der</strong> Felsbildlage Disåsen bei Brastad im südlichen Bohuslän<br />

sindähnlichdiesenGrabfunden flächig gravierte Oberkörper den wie<strong>der</strong>gegebenen<br />

Booten aufgesetzt und durch einen deutlichen Abstand als Torsi ausgewiesen worden.<br />

Wie zu sehen ist, wurden alle Recherchen bisher nicht soweit fündig, daß <strong>der</strong> Sinn<br />

<strong>der</strong> kultischen Zeichnungen zu erahnen wäre. Allein eines scheint festzustehen:<br />

<strong>Die</strong>se Unterleibsdarstellungen sind keinesfalls unvollendete Zeichnungen o<strong>der</strong> gar<br />

eine spielerische lokale Maniriertheit. Sie fallen dem unvoreingenommenen<br />

Betrachter nur deshalb nicht auf,weilsiefast immer nachher mit einem Oberkörper<br />

ergänzt wurden.<br />

Der durch seine vergleichende Felsbildforschung weithin bekannte Lothar Wanke<br />

aus Graz schrieb mir bereits 1991 zum Oben-ohne-Stil, daß er mich auf die homologe,<br />

von Zeit und Raum unabhängige "Ursprache" <strong>der</strong> Menschheit aufmerksam<br />

machen wollte. Wanke erklärt: "WenndieBeziehungenzwischenMikrokosmos<br />

und Makrokosmos für die Bronzezeit noch stimmen, dann bedeutet nach<br />

schamanistischem Urbild <strong>der</strong> Oberkörper des Menschen den himmlischen Aspekt<br />

und <strong>der</strong> Unterteil den unterirdischen." Das würde also dem verbreiteten Symbol<br />

des Weltbaumes ähnlich sein, dessen Krone dem Himmelreich und dessen Wurzelstock<br />

dem unterirdischen Reich entspricht.<br />

Kville: Kallsängen/Bohuslän, S<br />

81


82<br />

Lothar Wanke macht sodann aber auch aufdie vielen anthropomorphen Figuren in<br />

aller Welt aufmerksam, die mit Radkreisen o<strong>der</strong> konzentrischen Kreisen den Kopf<br />

ersetzen, oftmalsauchdenLeib,seltenerdieBeine.DerGedankenhintergrundsei<br />

dann am Kopf das Himmelreich, am Leib das Reich <strong>der</strong> Mitte und an den Beinen<br />

das Unterreich.<br />

<strong>Die</strong>se Gedankenbil<strong>der</strong> würden also die nicht sichtbare kosmische Welt mit realen<br />

Mitteln zeigen und könnten kaum an<strong>der</strong>s verstanden werden.<br />

Neue Kulturgüter, neue Sitten und neue Vorstellungen entstehen selten aus dem<br />

Nichts. Sie sind also selten etwas vollständig Neues. Sie haben in <strong>der</strong> Regel eine<br />

Entwicklung durchgemacht, sie knüpfen auf vorhandenes an. Das wird auch auf<br />

den Oben-ohne-Stil zutreffen. In alten Zeiten dachten die Menschen anschaulich:<br />

Sie dachten in Bil<strong>der</strong>n.<br />

Tanum: Kalleby-Longemyr/Bohuslän, S<br />

Tanum: Fossum/Bohusläan, S<br />

83


84<br />

Riesen undfliegende<br />

Menschen<br />

Tanum: Vitlycke/Bohuslän, S<br />

Das was aus Mythos und Kult <strong>der</strong> Vorgeschichte Skandinaviens übrig geblieben ist,<br />

spiegelt sich wi<strong>der</strong> in einem reichen Sagenschatz, in Märchen und Erzählungen.<br />

Zumeist sind die wilden, nicht sehr einheitlich geschil<strong>der</strong>ten Trolle von riesiger<br />

Gestalt im Vor<strong>der</strong>grund. In Skandinavien wirken die Berge höher als an<strong>der</strong>swo, weil<br />

sie vom Meeresniveau bis zur Spitze zu übersehen sind. <strong>Die</strong> Weite einer Vidda<br />

erschlägt den Betrachter förmlich und die Wolkenlandschaft ist wahrlich gewaltig.<br />

GenausounmäßigundkolossalbeeindrucktjedesUnwetterhierdieMenschen.<br />

Gewiß lag es nahe, Unwetter, Sturm und Frostgeschehen in <strong>der</strong> Gestalt von Riesen<br />

zu personifizieren (31). <strong>Die</strong> Jotun waren bösartige Riesen, Fresser, wenn nicht gar<br />

Menschenfresser. Der Dichter Asmund O. Vinje prägte 1862 den romantisierenden<br />

Namen "Jotunheimen" für Skandinaviens höchsten Gebirgsstock, <strong>der</strong> 1820 erstmals<br />

überquert wurde.<br />

Wenn <strong>der</strong> Begriff "Troll" eine Kollektivbezeichnung für übernatürliche Wesen <strong>der</strong><br />

bewohnten Welt ist, so sind unter Wasser die Meertrolle mit 3, 6 o<strong>der</strong> sogar 12 Köpfen<br />

nicht weniger gefährlich (23b). Der Herr o<strong>der</strong> die Mutter <strong>der</strong> Tiere wurden<br />

ebenfalls unter Wasser vorgestellt. <strong>Die</strong> Felsbil<strong>der</strong> weisen sie gleichfalls riesenhaft<br />

aus. Der Unterwelt entstammt das nicht min<strong>der</strong> bedrohliche Huldrefolk o<strong>der</strong> in<br />

Schweden die Vättar. Sie sind Schreckensgestalten, Dunkelwesen im Sinne des Animatismus<br />

einer total belebten Welt.<br />

Rechte Seite oben: Stjørdal: Leirfall/Nord-Trøndelag,N<br />

Rechte Seite unten: Öster-Eneby: Ekenberg/Östergötland,S<br />

<strong>Die</strong> Felsbil<strong>der</strong> zeigen immer wie<strong>der</strong> in Prozessionen mitgeführte Riesen, die als<br />

Gefangene gefesselt sind. In Vitlycke erkennt man die Konstruktion des künstlich<br />

hergestellten und von Menschen getragenen Riesen, wie sie auch heute noch unsere<br />

Umzüge bereichern. In <strong>der</strong> Felsbildlage Leirfall im Stjørdal des Nord-Trøndelag<br />

wird die Einmaligkeit geboten, daß mit etwas Abstand auchFrauenaneinemsolchen<br />

Umzug teilnehmen. <strong>Die</strong> kultische Welt <strong>der</strong> Felsbil<strong>der</strong> war tatsächlich eine<br />

Männerwelt.<br />

Im Sinne des Rang-Größe-Prinzips sind selbstverständlich auch die Hilfsgeister,<br />

Dämonen und Götter dem Menschen an Größe überlegen. Felsbil<strong>der</strong> zeigen hun<strong>der</strong>te<br />

solcher Beispiele an Land und auch auf den Schiffen.<br />

<strong>Die</strong> erst 2000 Jahre später nie<strong>der</strong>geschriebene Edda berichtet von Göttern, die stets<br />

mit Riesen in Konflikt waren. Das Riesengeschlecht wurde also an Körpergröße<br />

gigantischer beschrieben als die Götter. Wo bleibt da das Rang-Größe-Prinzip? Es<br />

fällt wirklich schwer, zu bestimmen, ob es sich bei einergroßen Figur unter den Felsbil<strong>der</strong>n<br />

um einen Riesen, um einen Gott o<strong>der</strong> einen hochrangigen Menschen handeln<br />

sollte.<br />

85


86<br />

Tanum: Vitlycke/Bohuslän, S<br />

Rechte Seite oben:<br />

Tanum: Litsleby/Bohuslän, S.<br />

Foto: Wolfgang Klein<br />

Rechte Seite unten:<br />

Tanum: Kyrkoryt Lövåsen/Bohuslän, S<br />

87


88<br />

In <strong>der</strong> Feldmark von Lilla Gerum im Bohuslän bei Tanum ist zwischen 1000 und<br />

750 v. Ch. auf einer großflächigen Felsplatte inmitten von 74 vielfältigen an<strong>der</strong>en<br />

Motiven ein einzigartiger Kultbaum eingraviert worden. Er wurde von bekannten<br />

Felsbildforschern als "Maistange" bezeichnet. Das trifft seinenwahrenWert jedochgarnicht.EsisteinlangerMastmiteinerPlattform<br />

auf seiner Spitze, die<br />

von einem gehörnten Mann mit erhobenen Armen eingenommen wird.<br />

Was den offensichtlichen Kultbaum zum Unikum macht, sind drei an langen Seilen<br />

in verschiedenen Haltungen herabschleu<strong>der</strong>nde Männer. Sie werden durch die<br />

Zentrifugalkraft <strong>der</strong> sich abwickelnden Seile weit nach außen geschwungen. Am<br />

FußdesBaumessinddieselbenvierMännero<strong>der</strong>abereineErsatzmannschaft<br />

dargestellt. Erst jetzt, nach <strong>der</strong> überstandenen 500-Jahrfeier <strong>der</strong> Überfahrt des<br />

Nachzüglers Kolumbus nach Amerika, wage ich meine Hypothese zu äußern:<br />

<strong>Die</strong>ser einzigartige, unverwechselbare Kultbaum könnte ursprünglich aus Mittelamerika<br />

stammen. In Mexiko, Guatemala und Nicaragua ist er heute unter Bezeichnung<br />

"Baum <strong>der</strong> Voladores" als Volksbelustigung in Gebrauch.<br />

Glücklicherweise beschrieb <strong>der</strong> tolerante Jesuitenpater Clavijero noch rechtzeitig<br />

die alte kultische Tradition <strong>der</strong> damit zusammenhängenden Zeremonie (32), die<br />

verbreitet mit vier Seilen, in Guatemala aber auch in einer älteren Form mit drei<br />

Seilen ausgeführt wurde. <strong>Die</strong> Anzahl <strong>der</strong> Voladores (fliegenden Männer) wie auch<br />

die Summe <strong>der</strong> Seilumwindungen ergaben jeweils eine bestimmte Zahl, die in den<br />

indianischen Zyklen eine große Rolle spielte und sozusagen die Jahre eines Menschenlebens<br />

wi<strong>der</strong>spiegelte.Es ist kaum anzunehmen, daß indianische Boote die<br />

Kenntnis dieser Zeremonie des Kultbaumes nach Skandinavien brachten. Möglicherweise<br />

könnten Nordleute <strong>der</strong> Bronzezeit ohne bestimmte Absicht mit ihren<br />

schnellen Booten an den Kanarischen Inseln vorbei, durch den Nordäquatorialstrom<br />

und die entsprechenden Winde getrieben, zu den Antillen und weiter in den<br />

Golf von Mexiko gelangt sein. Wie an<strong>der</strong>s ließen sich die vielen in Mittelamerika<br />

aufgefundenen Terrakotta-Köpfchen erklären, die bärtigen Gesichter mit <strong>der</strong> typischen<br />

bronzezeitlichen skandinavischen Mütze zeigen?<br />

<strong>Die</strong> Rückfahrt durch den Golfstrom müßte dann zwangsläufig gewesen sein, programmiert<br />

von Passatwinden und stabilen Meeresströmungen (33). Das Felsbild<br />

von Lilla Gerum scheint ein Indiz für die Rückkehr skandinavischer Seeleute aus<br />

Mittelamerika zur Bronzezeit zu sein, ein seltenes Erinnerungsmal für eine kenntnisreiche<br />

und doch verwegene Fernfahrt.<br />

Totonaken-Zeichnung,<br />

Huaxteca/Mexiko<br />

Baum <strong>der</strong> Voladores vor <strong>der</strong> Stufenpyramide<br />

ElTajin, VeraCruz;<br />

(365 Nischen-Pyramide) in Mexiko.<br />

Totonaken Kultur<br />

Baum <strong>der</strong> Voladores heute: Nur eine<br />

lange Stange ca. 14-16m hoch<br />

Felsbild von Tanum:<br />

Lilla Gerum/Bohuslän, S<br />

89


90 91<br />

Fundstücke bärtiger Männer in Mexiko<br />

Ein furchtbares Durcheinan<strong>der</strong> von Motiven! Woistoben,woistunten?DerBetrachter<br />

dieses Buches dreht es hin und her. Draußen in <strong>der</strong> Natur, unter freiem<br />

Himmel, auf dem Felsen stellt sich die Frage kaum. <strong>Die</strong>ser gewachsene Felsen ist<br />

als Medium total flach. In <strong>der</strong> Eiszeit gingen die schweren Gletschermassen aus<br />

Firneis über die Steinflächen, schoben, scheuerten und polierten. Von welcher<br />

Seite <strong>der</strong>jenige auch kam, <strong>der</strong> ein Bild gravieren wollte: Unten war immer genau<br />

vor seinen Knien, von welcher Seite er auch kam.<br />

Dennoch bleibt das Rätsel vieler Bil<strong>der</strong> bestehen. Wir erkennen zwar Boote mit<br />

Mannstrichen darauf, sehen wenige menschliche Figuren, Fußsohlen, Gitternetz<br />

und Schalengruben. Aber es bleiben immer noch Motive, die wir nicht entschlüsseln<br />

können.<br />

Sind hier die Boote zu sehen, welche die Nordmänner zu den "fliegenden" Indianern<br />

Mittelamerikas brachten? Stellen einige <strong>der</strong> geheimnisvollen Zeichen etwa<br />

Hilfsmittel dar zur Ermittlung des rechten Bootskurses auf dem Atlantik? Wie sah<br />

die oft erwähnte aber in <strong>der</strong> Form unbekannte Solskifu(Sonnenscheibe)aus?<br />

Skee: Massleberg/Bohuslän, S


92<br />

Ritus und Kult<br />

Manches alte Brauchtum, das auf dem europäischen Kontinent längst vergessen<br />

wurde, konnte sich in <strong>der</strong> schwer zugänglichen skandinavischen Landschafterhalten.<br />

Es fällt schwer, ein eigenes Kapitel über Ritus und Kult zu schreiben, denn<br />

in <strong>der</strong> Vorzeit sind die Felsbil<strong>der</strong> des Nordens insgesamt kultisch gemeint. Selbst<br />

Dinge und Vorgänge, die ein Unbefangener als profan bezeichnen würde, haben<br />

bei genauer Analyse einen rituellen o<strong>der</strong> kultischen Hintergrund. Goethe schrieb<br />

1814 dem Gelehrten Riemer: "<strong>Die</strong> Inventa des Altertums sind alle Glaubenssachen".<br />

Der kosmogonische Mythus dient als beispielhaftes Vorbild für alles "Tun", sagt<br />

Eliade (34). Denn die symbolische Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Schöpfung in allen Einzelheiten,<br />

also auch <strong>der</strong> Kopulation, bewirkt ein Wie<strong>der</strong>lebendigwerden des ursprünglichen<br />

Ereignisses. <strong>Die</strong> Rückkehr zum Anfang ermöglicht eine Reaktivierung<br />

<strong>der</strong> heiligen Kräfte, die sich damals zum erstenmal kundtaten. So wurde die<br />

Hierogamie als magisch-religiöser Brauch verstanden, <strong>der</strong> real o<strong>der</strong> symbolisch<br />

seit prähistorischen Zeiten über die gesamte Erde verbreitet war.<br />

ist als eine repetierte Kosmogonie zu verstehen: Durch Geschlechts-<br />

Hierogamie<br />

verkehr - so glaubte man - seien einst die Welt und das Leben <strong>der</strong> Götter und<br />

Menschen erschaffen worden. Daraus wurde geschlossen, daß nur durch regelmäßig<br />

kultisch wie<strong>der</strong>holten Einsatz <strong>der</strong> Kopulation die Welt und das Leben existent<br />

erhalten werden könnte (35). Nicht Merkmal lüsterner Begierde, als vielmehr<br />

Funktion im Rahmen kosmologischer Vorstellungen zur Sicherung <strong>der</strong> Erdfruchtbarkeit.<br />

So wurde <strong>der</strong> Geschlechtsverkehr zum Sakrament, mit dem Einsatz zwischen<br />

Stirb und Werde, Leben und Tod.<br />

Tanum: Hoghem/Bohuslän, S<br />

DasBestreben,Energienseelischero<strong>der</strong>dämonischerArtdadurchzubinden,<br />

daß den Toten Wohnungen angewiesen wurden, sie gleichsam mit Körpern auszustatten,<br />

die ihnen fehlten, findet seine ikonographische Bestätigung in den Felsbil<strong>der</strong>n<br />

Skandinaviens. <strong>Die</strong> Lebenden sprachen mit den Toten, baten um ihre Hilfe<br />

und brachten ihnen Opfer. Als dauerhafter Beweis werden die geopferten Gegenstände<br />

in die Felsen graviert: Waffen wie Speere, Kampfäxte und Schwerter und<br />

Toga-ähnliche Männermäntel, die über <strong>der</strong> rechten Schulter befestigt wurden, um<br />

den Schwertarm freizulassen (36). Der sogenannte "Gerumsmantel" war bei Gerum<br />

im Västergötland als Opfergabe im Moor versenkt. Er war deshalb so gut erhalten.<br />

Wie Löcher im Stoff zeigten, war sein Träger mit einem Schwert o<strong>der</strong><br />

Dolch erstochen worden. Nach diesem tragischen Vorfall wurde <strong>der</strong> zusammengefaltete<br />

Mantel geopfert...vielleicht um die Götter zu besänftigen.<br />

Prozessionen werden veranstaltet und vieles dreht sich um die erwünschte Fruchtbarkeit,<br />

für die offenbar die Ahnen zuständig waren. Ein Geisterreich wird angenommen,<br />

das immer noch eng mit <strong>der</strong> körperlich-sinnlichen Welt <strong>der</strong> Zurückgebliebenen<br />

verbunden bleibt. So kommt es seit dem Neolithikum zu einem Vorherrschen<br />

des Ahnenkultes, <strong>der</strong> in den Felsbil<strong>der</strong>n seinen Nie<strong>der</strong>schlag findet.<br />

Das in den Stein geritzte Bild ist Medium einer Ansprache an die Vorfahren o<strong>der</strong><br />

an höhere Wesen, Schrifteinerschriftlosen Zeit: <strong>der</strong> Prähistorie.<br />

Uralte Anschauungen <strong>der</strong> Jäger und Sammler tauchen in <strong>der</strong> Periode erster Bauern<br />

fast unverän<strong>der</strong>t wie<strong>der</strong> auf. Das kosmologische System sieht noch immer eine<br />

Herkunft<strong>der</strong>Menschenvom Partner Tier vor. Das wirkt sich - für uns heutige<br />

unverständlich - dahin aus, daß selbst in <strong>der</strong> Bauernzeit noch eine zoophile Verbindung<br />

zwischen Mensch und Tier nicht ausgeschlossen wurde.<br />

Rickeby: Boglösa/Uppland,S<br />

93<br />

Kville: Kallsängen/Bohuslän, S


94<br />

Brastad: Backa/Bohuslän, S<br />

<strong>Die</strong> Zoophilie ist nicht mit <strong>der</strong> biblischen Sodomie zu erklären, hat doch das<br />

Christentum bis auf die heutigen Tage überhaupt kein rechtes Verhältnis zum Tier<br />

gefunden.<br />

<strong>Die</strong> große Anzahl <strong>der</strong> ithyphallischen Männerdarstellungen <strong>der</strong> skandinavischen<br />

Bronzezeit sind Ausdruck des seelischen, mythischen und religiösen Lebens <strong>der</strong><br />

Vorzeit. Der Phallus galt als Sitz und Quelle des Lebens, ja als InbegriffdesLebens<br />

überhaupt. Durch die Einbeziehung des Zeugungsaktes in die Sphäre des<br />

Heiligen, wird <strong>der</strong> Phallus im errigierten Zustand zum Symbol des Lebens (37),<br />

das gleichzeitig die KraftzurAbwehr des Bösen in sich birgt. <strong>Die</strong> Seele des Ahnen<br />

muß jedoch ebenfalls mit dieser zeugenden Kraft identifiziert werden, die mit<br />

dem Tode des Vorfahren nicht vergeht, son<strong>der</strong>n weiterlebt. Begriffe wieLeben<br />

und Tod werden in den Felsritzungen ganz einfach dokumentiert:<br />

Alles was aufrechtstehend ist, wird lebend gedacht; alles was auf dem Kopf steht,<br />

ist tot - denn das unterirdische Reich (nicht zu verwechseln mit <strong>der</strong> bösen christlichen<br />

Hölle), das Totenreich, ist ein Antireich. Das Himmelreich jedoch gibt dem<br />

Erklärenden Probleme auf. So beschränkt sich <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong> Bronzezeit auf<br />

symbolische Darstellungen, unter denen <strong>der</strong> Voltigierer mit "Überschlag rücklings"<br />

zeitgleich auch im alten Ägypten, laut Mastabatext den Himmelsbogen darstellt.<br />

Wie aus dem Sonnenkult ersichtlich, hat in <strong>der</strong> bäuerlichen Vorzeit "<br />

Werden und<br />

und damit auch die Wie<strong>der</strong>geburt eine große Rolle gespielt. Es war<br />

Vergehen "<br />

trostreich zu wissen, daß die am Abend sterbende Sonne an jedem Morgen wie<strong>der</strong>geboren<br />

würde. So erscheint die Sonne denn in mancherlei Form, beson<strong>der</strong>s<br />

aber als große Sommersonne und kleine Wintersonne.<br />

Noch ein altes Motiv wurde, wie ich feststellte, von <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Jäger und Sammler<br />

in die Bauernzeit übergeführt: Im Zusammenhang mit dem Boot, <strong>der</strong> Bumerang,<br />

einzeln, aber bemerkenswerterweise immer wie<strong>der</strong> in dem mythischen Paar.<br />

So ist anzunehmen, daß er weiterhin ein "Kultholz<strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>kehr" blieb, das mit<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt zu tun hatte. Auch <strong>der</strong> Hammer Mjöllnir des späteren nordgermanischen<br />

Gottes Thor för<strong>der</strong>te die Fruchtbarkeit - beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Frauen. <strong>Die</strong><br />

nordische Göttersage <strong>der</strong> Edda berichtet, daß Mjöllnir, vom Thor abgeworfen,<br />

stets in die Hand Gottes zurückkam.<br />

Sarpsborg: Kalnes/Østfold,N<br />

95<br />

Strömstad: Mörk/Bohuslän, S


96<br />

Versteckt am Waldesrand, halb von Wurzeln hoher Bäume überfangen, fand sich<br />

ein Felsbild, das erst <strong>der</strong> Mathematiker Wilhelm Brunner-Bosshard in Kloten,<br />

Schweiz, mit umfassenden astronomischen Kenntnissen als Mond- und Sonnenjahrkalen<strong>der</strong><br />

auswies.<br />

Er rechnete:<br />

Das Jahr: 12 Vollmonde = 12 x 29,5 Tage = 354 Tage<br />

Es fehlen auf das Sonnenjahr: 365,25 - 354 = 11,25 Tage<br />

Felsbild innerer Kreis = 11 Fel<strong>der</strong><br />

zweiter Kreis = 23 Fel<strong>der</strong><br />

34 Tage<br />

3x11,25 = 33,75<br />

Fehler 0,25 Tage in 3 Jahren<br />

Strömstad: Mörk/Bohuslän, S<br />

<strong>Die</strong> zwei großen Punkte im Felsbild sind 19 Fel<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong> = 19 Jahre ist<br />

<strong>der</strong> Metonsche Kalen<strong>der</strong>zyklus , nach dem wir immer noch das "bewegliche" Osterfest<br />

berechnen.<br />

Neben den offensichtlich durch intensive Beobachtungen erworbenen mathematisch-astronomischen<br />

Kenntnissen bewahrten die durchaus nicht dummen Menschen<br />

<strong>der</strong> Vorzeit jedoch aber auch unfaßbar starken Aberglauben. <strong>Die</strong>se interessante<br />

Spanne durch einen Blick in die Bil<strong>der</strong>welt des Nordens aufzuzeigen, sehe<br />

ich als meine Aufgabe an.<br />

Sprung-Zeremonie mit Bumerang,Hammer und Wurfstein. Strömstad: Torp/Bohuslän, S 0<br />

97

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