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Vorläufige Evaluation der Auswirkungen der FIFA Weltmeisterschaft ...

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<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong><br />

<strong>Weltmeisterschaft</strong> auf Südafrika<br />

Eddie Cottle<br />

Septemer 2010<br />

www.sah.ch


<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> auf Südafrika<br />

Eddie Cottle, Septemer 2010<br />

Massgebend ist das englische Original: A Preliminary <strong>Evaluation</strong> of the Impact of the<br />

2010 <strong>FIFA</strong> World Cup in South Africa, Eddie Cottle, 2010<br />

Die vorliegende Studie wurde im Auftrag des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes SAH erstellt.<br />

Eddie Cottle ist Koordinator <strong>der</strong> internationalen „Kampagne für menschenwürdige Arbeit<br />

vor und nach 2010“ (Campaign for Decent Work Towards and Beyond 2010) <strong>der</strong> internationalen<br />

Bau- und Holzarbeitergewerkschaft. Er ist Angestellter des „Labour Research Service“<br />

in Cape Town, Südafrika.<br />

Inhalt<br />

Einleitung 3<br />

Verteilung <strong>der</strong> Verantwortung über die Kosten 3<br />

Berechnung <strong>der</strong> Kosten für die WM 4<br />

Materielle Kosten und Nutzen 4<br />

Auflistung immaterieller Nutzen 6<br />

Sozioökonomische Kosten <strong>der</strong> WM 8<br />

WM verschärft die Ungleichheiten 8<br />

Arbeiten in <strong>der</strong> informellen Wirtschaft 9<br />

Schlussfolgerungen 10<br />

Referenzen 12<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

2


Einleitung<br />

Am 14. Mai 2004 stellte Südafrika dem <strong>FIFA</strong> Exekutivkomittee seine Schlusspräsentation<br />

für die Kandidatur als Gastgeber <strong>der</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 im World Trade Center in<br />

Zürich vor. Am nächsten Tag um 12.21 Uhr gab <strong>FIFA</strong> Präsident Sepp Blatter den Zuschlag<br />

für Südafrika bekannt.1<br />

Die <strong>FIFA</strong> Fussball <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 fand somit in Südafrika statt. Es war das erste<br />

Mal, dass dieser Wettbewerb nach Afrika vergeben wurde. Die <strong>Weltmeisterschaft</strong> (WM) ging<br />

so schnell wie sie gekommen war und Millionen von SüdafrikanerInnen kehrten in ihr normales<br />

Leben zurück. Neben den materiellen, d.h. wirtschaftlichen und sportlichen Vermächtnissen<br />

hat die WM auch immaterielle Güter wie die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> nationalen Kohäsion und<br />

eines positiven Bildes von Südafrika mit sich gebracht. Dies sind aber eher vorübergehende<br />

Phänomene, was dem Erbe <strong>der</strong> WM eher mystische, denn handfeste Züge verleiht. 2 Sobald<br />

<strong>der</strong> Final abgepfiffen worden war, verschwanden die kohäsiven Effekte beinahe gänzlich und<br />

fremdenfeindliche Tendenzen erlebten einen Aufschwung. Über eine Million SüdafrikanerInnen<br />

machten sich zudem bereit für landesweite Streiks. Das Versprechen einer nachhaltigen<br />

ökonomischen Wirkung verdampfte noch bevor <strong>der</strong>en Tropfen den Boden erreichen konnten.<br />

Denn die Natur sportlicher Grossanlässe ist eine vorübergehende, obwohl sie weitreichende<br />

wirtschaftlichen Folgen für das Gastgeberland hat. 3<br />

2007 führte das „Human Science Research Council“ (HSRC) eine Studie über die Erwartungen<br />

<strong>der</strong> SüdafrikanerInnen zur WM durch. Wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von<br />

Arbeitsplätzen wurde von 50% <strong>der</strong> Befragten als Hauptnutzen für das Gastgeberland genannt.<br />

Ein Drittel gab zudem an, zu glauben, durch neue Jobs persönlich von <strong>der</strong> WM profitieren<br />

zu können und die Hälfte <strong>der</strong> Teilnehmer glaubte auch an eine nachhaltige wirtschaftliche<br />

Wirkung. 4 Die Wahrnehmung <strong>der</strong> SüdafrikanerInnen wurde beeinflusst durch die medialen<br />

Inszenierungen <strong>der</strong> offiziellen <strong>FIFA</strong>-Sponsoren und <strong>der</strong> Regierung, welche die immensen<br />

Ausgaben für einen Luxus-Event im Kontext steigen<strong>der</strong> Armut und Ungleichheit rechtfertigen<br />

mussten.<br />

In diesem Buchauszug liegt <strong>der</strong> Fokus auf den wirtschaftlichen Folgen <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong><br />

in Südafrika. Dazu gehören insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Blick auf die Ausgaben und die Einnahmen,<br />

das Wachstum in Beschäftigung und im Tourismus sowie die <strong>Auswirkungen</strong> auf die<br />

Gemeinden, die Baubranche und die Strassenhändler.<br />

Verteilung <strong>der</strong> Verantwortung über die Kosten<br />

In Bezug auf die Durchführung einer WM fallen zwei Kategorien von Kosten ins Gewicht:<br />

Zum einen sind dies Aufwendungen für Logistik und Turniermanagement, zum an<strong>der</strong>en Investitionen<br />

in Stadien und an<strong>der</strong>e dazugehörige Infrastruktur.<br />

Die Kosten für das Eventmanagement <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong>, das nationale Organisationskomitee und die<br />

Entschädigung <strong>der</strong> Verbände werden durch den Verkauf von Bildübertragungsrechten und<br />

durch Sponsoringeinnahmen von globalen und lokalen <strong>FIFA</strong>-Partnern gedeckt. Bei letzteren<br />

wird unterschieden zwischen (permanenten) <strong>FIFA</strong>- und (temporären) Veranstaltungspartnern.<br />

5<br />

Die zweite Kategorie an relevanten Kosten umfassen u.a. die Transport- und Kommunikationsinfrastruktur,<br />

Sicherheit, sanitäre Installationen und die Durchsetzung <strong>der</strong> Interessen und<br />

Rechte <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong>-Partner. 6 Träger dieser Aufwendungen sind <strong>der</strong> Südafrikanische Staat und<br />

die Austragungsstädte.<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

3


Berechnung <strong>der</strong> Kosten für die WM<br />

Um die Rechte zur Austragung von Sport-Grossanlässen wie <strong>der</strong> Fussball WM gibt es einen<br />

grossen Konkurrenzkampf zwischen den Bewerberlän<strong>der</strong>n. Tatsächlich stehen hinter den<br />

Bewerbungen aber multinationale Unternehmen. Für Südafrika waren dies Angol American,<br />

Avis, BMW, SABMiller und Adidas. 7 Die finanziellen Berechnungen <strong>der</strong> Kandidatur wurde<br />

von Grant Thornton South Africa, einer <strong>der</strong> weltweit grössten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen<br />

erstellt.<br />

2003 erwartete Grant Thornton für das Gastgeberland „signifikante direkte und indirekte<br />

volkswirtschaftliche Nutzen mit minimalen materiellen und immateriellen Kosten.“ 8 (Hervorhebung:<br />

E.C.).<br />

Als Kosten wurden Stadion- und Infrastrukturbau aufgelistet. Die Einnahmen sollten durch<br />

die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Besteuerung <strong>der</strong> dadurch erzielten Einkommen und<br />

<strong>der</strong>en Beiträge zum Bruttoinlandprodukt (BIP) generiert werden. Die gesteigerte Wahrnehmung<br />

von Südafrika in <strong>der</strong> Welt, ein wachsen<strong>der</strong> Tourismussektor, vermehrte Direktinvestitionen<br />

sowie <strong>der</strong> Stolz <strong>der</strong> SüdafrikanerInnen auf ihr Land wurden als immaterieller Nutzen<br />

taxiert. 9<br />

Materielle Kosten und Nutzen<br />

Das <strong>der</strong>zeitige Total <strong>der</strong> Ausgaben an <strong>der</strong> WM wird auf 55,3 Mia. Rand R (7,5 Mia. $) geschätzt.<br />

16% davon (8,8 Mia R) wurden von Auslän<strong>der</strong>n, d.h. Touristen, Teilnehmerteams,<br />

<strong>FIFA</strong>-Organisationskomitee, Medien, Sponsoren und Sen<strong>der</strong>n ausgegeben. Den Hauptteil<br />

<strong>der</strong> Aufwendungen benötigten die nationalen und lokalen Behörden für Infrastruktur und Betrieb.<br />

Diese Kosten stiegen im Vergleich zur ursprünglichen Budgetierung von 2,3 Mia R<br />

(2003) über 17,4 Mia. R (2007) zu 30,3 Mia R (2010) und zusätzlich später noch ausgegeben<br />

9 Mia R auf gesamthaft 39,3 Mia R (5,3 Mia. $). Davon wurden 22,9 Mia. R für Stadienbau<br />

und dazugehörige Infrastruktur aufgewendet.<br />

Der Gesamtrechnung für die WM beläuft sich auf 93 Mia. R (12,7 Mia. $), wovon 63% ausgegeben<br />

wurden, bevor <strong>der</strong> eigentliche Anlass stattfand. 38% <strong>der</strong> Aufwendungen wurden im<br />

Veranstaltungsjahr getätigt. Der Netto-Zuwachs am Südafrikanischen BIP 2010 wird 0,54%<br />

betragen. 10 Demgegenüber schätzte HSRC, dass dieser 0,2% bis 0,3% betragen würde; ein<br />

deutlicher Unterschied zur ursprünglichen Schätzung von 3,0%. 11<br />

Zwei Überlegungen fallen bei <strong>der</strong> Betrachtung dieser Zahlen von Grant Thornton unweigerlich<br />

an:<br />

Die eine betrifft die riesige Differenz zwischen dem ursprünglichen Budget und den bis heute<br />

getätigten Ausgaben, was auf eine sehr ungenaue Berechnung schliessen lässt. Wie erwähnt<br />

liessen die Budgetierungen die Südafrikanischen Regierung glauben, dass sich die<br />

„minimalen“ Ausgaben auf 2,3 Mia. R belaufen würden. Die heutigen Schätzungen belaufen<br />

sich auf 39,3 Mia. R: Das 17fache <strong>der</strong> ursprünglichen Veranschlagung. 12<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

4


Abbildung 1<br />

Quelle: Labour Research Service 2010<br />

Zweitens bleibt unklar, wie <strong>der</strong> Betrag von 93 Mia. R als Beitrag zum Südafrikanischen BIP<br />

entsteht. Grant Thornton rechnet hier mit 55,3 Mia. R als Gesamtaufwendung und 38 Mia. R,<br />

die sich durch Multiplikatoreneffekte ergeben. Dadurch, dass alle Ausgaben den Brutto-<br />

Aufwendungen zugeordnet werden, ist die Berechnung <strong>der</strong> staatlichen Netto-Einnahmen<br />

praktisch unmöglich. Eine aufgeschlüsselte Berechnung würde eine Trennung zwischen<br />

Steuereinnahmen vor und während <strong>der</strong> WM erfor<strong>der</strong>n.<br />

Grant Thornton schätzte 2003, dass die Regierung Südafrikas bei Ausgaben von 2,3 Mia. R<br />

7,2 Mia R an Steuereinahmen generieren würde, was eine immense Kapitalrendite ergeben<br />

hätte. Gesamthaft betrachtet war die <strong>FIFA</strong> WM für den Südafrikanischen Staat bei 39,3 Mia.<br />

R Ausgaben und 19,3 Mia. R Steuereinnahmen (was einer sehr optimistischen Einschätzung<br />

entspricht) ein gewaltiges Verlustgeschäft. Adrian Lackay, ein Sprecher <strong>der</strong> Südafrikanischen<br />

Steuerbehörde (South African Revenue Service SARS) gestand dies auch offen ein:<br />

„Wir gingen bei unsere Überlegungen nie davon aus, dass die WM die Staatseinkünfte<br />

steigern würde. Natürlich wäre es vermessen, die WM als selbsttragend zu betrachten.<br />

Die Privilegien und Konzessionen, welche wir <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> zugestehen mussten, waren<br />

schlicht zu hoch und zu erdrückend, als dass für uns monetärer Nutzen hätte entstehen<br />

können.“ 13<br />

Dieser Aussage zufolge war die <strong>Weltmeisterschaft</strong> für Südafrika kein kommerzieller Erfolg.<br />

Von <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> kann dies nicht behauptet werden: Gemäss Jérôme Valcke, dem Generalsekretär<br />

<strong>der</strong> <strong>FIFA</strong>, generierte sein Arbeitgeber in Südafrika 50% mehr Einkünfte als er dies bei<br />

<strong>der</strong> letzten Austragung 2006 in Deutschland tat, nämlich 25 Mia. R (3,4 Mia $) und dies<br />

steuerfrei! 14 Es war die finanziell erfolgreichste WM <strong>der</strong> Geschichte. 15<br />

Mit Blick auf den an<strong>der</strong>en materiellen Nutzen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, stimmen<br />

die Zahlen <strong>der</strong> WM hoffnungsfroh. Die Anzahl an einjährigen Jobs wird für die Zeit vor und<br />

nach <strong>der</strong> WM auf gesamthaft 695'000 geschätzt. Davon sollen 280'000 auch 2010 noch exi-<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

5


stieren. 16 Diese Ziffer stellt eine ausserordentlich erfreuliche Verbesserung gegenüber den<br />

2003 hochgerechneten 160'000 neuen Arbeitslätzen dar.<br />

Diese von Grant Thornton grob geschätzten Zahlen wurden mit einer Formel berechnet, die<br />

auf Grund <strong>der</strong> Anzahl investierter Millionen R (x) eine Anzahl an generierten Jobs (y) erwartet.<br />

Diese Formel ist aber nicht sehr präzis, weil sie verschiedene Variabeln beinhaltet. So<br />

muss bestimmt werden a) wie lange eine Stelle befristet sein muss, dass sie als „Arbeitstelle“<br />

gilt, d.h. ob ein Job nur drei Monate o<strong>der</strong> ein ganzes Jahr dauern muss und b) ob eine Arbeitsstelle<br />

in direktem o<strong>der</strong> indirektem Zusammenhang mit <strong>der</strong> WM steht. Indirekte Stellen<br />

entstehen durch den Konsum, <strong>der</strong> sich aus den Löhnen <strong>der</strong> direkten Jobs ergibt. 17<br />

Am 27. Juli 2010, kurz nach dem Ende <strong>der</strong> WM, veröffentlichte das Statistische Amt (Statistics<br />

South Africa) die Beschäftigungszahlen für das zweite Quartal 2010 (April bis Juni). In<br />

diesem Bericht wurde festgehalten, dass es „einen Verlust von 4,7% <strong>der</strong> Arbeitsstellen<br />

(627'000) zu verzeichnen gibt“ und dass „<strong>der</strong> Verlust von Arbeitstellen im formalen Sektor<br />

(d.h. denjenigen Stellen, die statistisch und steuermässig erfasst sind) vor allem die Bauwirtschaft<br />

betrifft“, wo 7,1% o<strong>der</strong> 54'000 Menschen ihren Job verloren. Im Vorjahresvergleich<br />

sind es gar 111'000 Arbeitsstellen, welche in dieser Branche gestrichen wurden. Dies ist<br />

hauptsächlich damit zu erklären, dass alle Stellen, welche für den Bau <strong>der</strong> Infrastruktur für<br />

die WM geschaffen wurden, durch das Ende <strong>der</strong> Bauarbeiten verloren gingen.<br />

Durch diesen deutlichen Verlust an Arbeitsstellen wird klar, dass die geschätzten Beschäftigungszahlen<br />

von Grant Thornton ebenfalls massiv übertrieben waren und viele kurzfristigen<br />

o<strong>der</strong> in indirektem Verhältnis mit <strong>der</strong> WM stehenden Jobs in die Statistik miteinflossen. Zudem<br />

ist die von Grant Thornton verwendete Formel stark vereinfachend. Das Phänomen des<br />

„jobless growth“ wurde gar nicht berücksichtigt. Unter diesem Begriff versteht man die Erholung<br />

<strong>der</strong> Konjunktur ohne Beschäftigungszunahme. Als Beispiel dafür kann <strong>der</strong> Tourismussektor<br />

in Südafrika herbeigezogen werden: 2009 sank die Anzahl Beschäftigter in diesem<br />

Sektor gegenüber 2008 von 421’800 um 32'700 auf 398'100, obwohl sich die Ausgaben von<br />

ausländischen Touristen in <strong>der</strong>selben Periode um 7,1% auf 89,3 Mia. R erhöhten. Dieses<br />

Phänomen des Beschäftigungsfreien Wachstums ist ein Indikator für steigende Armut und<br />

Ungleichheit in Südafrika. Die WM hat dieses Problem konserviert, wenn nicht sogar weiter<br />

verstärkt.<br />

Auflistung immaterieller Nutzen<br />

Immaterieller Nutzen beinhaltent die Verstärkung <strong>der</strong> Aussenwahrnehmung Südafrikas, einen<br />

wachsenden Tourismussektor, vermehrte ausländische Direktinvestitionen sowie <strong>der</strong><br />

Stolz <strong>der</strong> Bevölkerung darauf, die WM ausgerichtet zu haben.<br />

Grant Thorntons prognostizierte Anzahl an WM-Besuchern beläuft sich im Jahr 2010 auf<br />

373'000; 2008 erwartete man noch 483'000. Diese Schätzungen liegen weit unter den Touristenzahlen<br />

von 2008 und 2009, wo sich jeweils 688'688 resp. 706'278 Besucher im Land<br />

aufhielten. 18 Diese Darlegung entspricht den Erfahrungen <strong>der</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong>en von 2002<br />

in Japan und Südkorea und 2006 in Deutschland, wo die WM-Besucher die normalen Touristen,<br />

welche die Grossveranstaltungen mieden, nur ungenügend ersetzen konnten. 19<br />

Von allen Fussballtouristen sollten laut Vorhersage 105'000 ohne gültige Matchtickets anreisen,<br />

wovon wie<strong>der</strong>um 85'000 aus Afrika stammen sollten. Die total 228'500 Ticketbesitzer<br />

aus Übersee zeichneten für den Kauf von nur 38% aller Tickets verantwortlich, während afrikanische<br />

Besucher nur 2% (11'300) aller Tickets kauften. Ursprünglich erwartete man durch<br />

letztere 77% mehr Ticketkäufe (48'145). Trotz grossen Interesses auf dem Afrikanischen<br />

Kontinent zeugen diese Zahlen von Fehlern bei <strong>der</strong> Distribution und zu hohen Eintrittsprei-<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

6


sen. 20 Die hohen Kosten für Eintritt, Transport und Unterkunft führten dazu, dass die WM nur<br />

dem Namen nach eine afrikanische war.<br />

„Die augenfällige Erleichterung in den Südafrikanischen Medien über den „Erfolg“ <strong>der</strong><br />

WM – im Gegensatz zur Wahrnehmung <strong>der</strong> WM im Rugby (1996) und Cricket (2004) in<br />

Südafrika – rührt daher, dass Fussball <strong>der</strong> Sport <strong>der</strong> schwarzen Bevölkerungsteile ist<br />

und die WM alle afro-pessimistischen Stimmen laut werden liess, die Schwarzen könnten<br />

das Land nicht genügend gut führen.“ 21<br />

„Wir haben versprochen, die beste WM aller Zeiten zu organisieren. Aber nicht nur durch<br />

die Bereitstellung <strong>der</strong> Infrastruktur, son<strong>der</strong>n auch dadurch, alle Besucher zu Botschaftern<br />

für den Südafrikanischen Tourismus zu machen.“ 22<br />

Es gibt keine Zweifel darüber, dass Südafrika eine „erfolgreiche“ WM veranstaltet hat, die nur<br />

von wenigen Logistikpannen und an Touristen verübten Verbrechen getrübt wurde. Spektakuläre<br />

Stadien und Kulissen, einzigartige Fankostüme und die alles übertönenden Vuvuzelas<br />

hinterliessen international ein sehr positives Bild Südafrikas, das durch die Medien über 32<br />

Mia. Zuschauer erreichte. 23 Es wird erwartet, dass das positive Branding das weitere Interesse<br />

an Südafrika als Tourismusland als auch für ausländische Direktinvestitionen stimulieren<br />

wird. Wenn man den durch die WM induzierten Tourismus jedoch näher betrachtet, fällt auf,<br />

dass die in <strong>der</strong> Hotellerie erwarteten Belegungsquoten nicht erreicht werden konnten. Alan<br />

Winde, Minister für Finanzen und Tourismus in <strong>der</strong> Provinzregierung von Western Cape, wird<br />

in einem Zeitungsartikel über den Tourismus während <strong>der</strong> WM wie folgt zitiert:<br />

„Trotz West Capes Reputation als Tourismusdestination war die kurzfristige wirtschaftliche<br />

Wirkung <strong>der</strong> WM gering. Die Touristenzahlen sind einiges tiefer ausgefallen als erwartet.<br />

So war die Auslastung <strong>der</strong> Hotellerie in den Zentren von West Cape bei nur gerade<br />

55%.“ 24<br />

Wenn dieses Beispiel eines Haupttourismusortes stellvertretend für ganz Südafrika steht, so<br />

bleiben die Erwartungen zu den Nutzen von immateriellen Gütern nur Spekulation, wenngleich<br />

die <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> globalen Finanzkrise und die Konkurrenz durch an<strong>der</strong>e Ferienorte<br />

mitberücksichtigt werden müssen.<br />

Eines <strong>der</strong> wichtigsten Versprechen für die <strong>Weltmeisterschaft</strong> war das sportliche Erbe, welches<br />

schliesslich auch dazu verwendet wurde, horrende Ausgaben für den Bau von Stadien<br />

zu rechtfertigen. Am 17. August 2010 fand vor <strong>der</strong> Kommission für Sport und Erholung im<br />

nationalen Parlament eine Anhörung über die zukünftige Verwendung und Nachhaltigkeit <strong>der</strong><br />

WM-Stadien statt, weil dieses Thema wie<strong>der</strong>holt zu Debatten geführt hatte. 25 Leslie Sedibe,<br />

Geschäftsführer des Südafrikanischen Fussballverbands SAFA gab zu bedenken, dass<br />

insbeson<strong>der</strong>e die hohen Kosten des Unterhalts die Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Stadien in Frage stelle.<br />

26 Auch sei <strong>der</strong> Verband selber bei <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> Bauten nicht konsultiert worden. 27 Ähnliches<br />

war vom Präsidenten <strong>der</strong> nationalen Fussballliga (Premier Soccer League), Kjetil Siem,<br />

zu vernehmen: Die Stadien seien für die nationalen Clubs zu gross, weshalb eine profitable<br />

Nutzen sehr schwierig zu erreichen wäre. 28 Auch die Hoffnungen in die zuschauerreiche<br />

Sportart Cricket sind vergebens, weil die Fussballfel<strong>der</strong> dafür zu klein seien. Gleichzeitig<br />

lehnte es bspw. die Rugbymannschaft South Western Province Rugby ab, ins zu grosse<br />

Green Point Stadium in Cape Town umzuziehen. 29<br />

Udesh Pillay, <strong>der</strong> Direktor von HSRC, liess sich mit den Worten zitieren, dass wohl acht anstelle<br />

von zehn Stadien für die WM ausreichend gewesen wären. Dafür habe Südafrika nun<br />

mindestens 6 Mia. R für drei „weisse Elefanten“, also teure, aber lei<strong>der</strong> unnötige Luxusstadien<br />

ausgegeben. Dazu zählt er die Stadien in Polokwane, Nelspruit und Durban, wo es we<strong>der</strong><br />

einen grossen Fussball- o<strong>der</strong> Cricketclub gebe. 30 Zur Umgehung <strong>der</strong> hohen Unterhaltskosten<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

7


schlug er den Abriss <strong>der</strong> Stadien vor. 31 Denn schon kurz nach <strong>der</strong> WM for<strong>der</strong>ten die Betreiber<br />

<strong>der</strong> Stadien in Durban 32 und Cape Town 33 für den Unterhalt finanzielle Unterstützung von<br />

<strong>der</strong> Regierung. Hier wird offensichtlich, dass die <strong>FIFA</strong> den Gastgeber <strong>der</strong> WM mit Nachdruck<br />

dazu brachten, unnötige und teure Stadien wie bspw. in Cape Town zu bauen. 34<br />

Aber die SüdafrikanerInnen sind auch stolz, den Afro-Pessimisten bewiesen zu haben, dass<br />

sie fähig waren, <strong>der</strong> WM gerecht zu werden und dadurch die Nation zu einen. Was durch die<br />

WM deutlich wurde, ist, dass die AfrikanerInnen globale Anerkennung dafür erhielten, genug<br />

„entwickelt“ zu sein um die Auflagen <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> zu erfüllen und trotz des infrastrukturellen Erbes<br />

einen sportlichen Mega-Event zu organisieren. Die Kosten für diesen Imagegewinn sind<br />

jedoch sehr hoch. Die Herausfor<strong>der</strong>ung, die fortschrittliche Infrastruktur des Nordens für einen<br />

riesigen und teuren Event nachzubauen, geschah auf Kosten <strong>der</strong> Vernachlässigung<br />

drängen<strong>der</strong>er sozialer Ziele.<br />

Sozioökonomische Kosten <strong>der</strong> WM<br />

Die Arbeitslosenquote in Südafrika beträgt offiziell 25% (inoffiziell 40%), zudem ging im vergangenen<br />

Jahr eine Million Jobs verloren. 35 Insgesamt werden von total 13'811'663 Haushalten<br />

<strong>der</strong>en 9'510’845 als arm eingestuft, d.h. ihr monatliches Einkommen liegt unter 2'500 R<br />

(342 $). 36 Das bedeutet, dass 69% <strong>der</strong> südafrikanischen Bevölkerung unter <strong>der</strong> Armutsgrenze<br />

lebt. Die Einheit und Euphorie, welche von den SüdafrikanerInnen während <strong>der</strong> WM gezeigt<br />

wurde, ist nur ein vorübergehendes Phänomen, was gleichfalls für das Erbe <strong>der</strong> WM<br />

gilt: Es ist eher ein mystisches, denn ein praktisches Vermächtnis. So konnte auch die WM<br />

keine Streiks verhin<strong>der</strong>n, z.B. jenen des Sicherheitspersonal. Sobald das letzte Spiel abgepfiffen<br />

worden war, verflüchtigten sich die kohäsiven Effekte fast umgehend. Des Weiteren<br />

zeigten sich auch wie<strong>der</strong> fremdenfeindliche Haltungen gegenüber Auslän<strong>der</strong>n, die mit dem<br />

Wettbewerb um die wenigen freien Arbeitsstellen zu erklären sind. 37 Die harte wirtschaftliche<br />

Realität führte schon länger zu einem ausgeprägten Konkurrenzkampf zwischen den Arbeitern,<br />

die zahlreichen Grossprojekte im Bau- und Servicegewerbe scheinen diese Rivalitäten<br />

zudem weiter verschärft zu haben.<br />

WM verschärft die Ungleichheiten<br />

Südafrika hat mit einem Gini-Koeffizienten von 0,679 mittlerweile auch Brasilien überholt und<br />

ist nun die ungleichste Gesellschaft <strong>der</strong> Welt. 38 Wie oben dargelegt, gab die Südafrikanische<br />

Regierung 39,3 Mia. R für Infrastrukturbauten für die WM aus. Zwischen 2006 und 2009 flossen<br />

zudem 372 Mia. R (50 Mia. $) in Arbeitsbeschaffungsprogramme. 39 Die fünf grössten<br />

südafrikanischen Bauunternehmen Aveng (Besitzer von Grinaker-LTA), Murray & Roberts,<br />

Wilson Bayly Holmes-Ovcon Construction (WBHO), Group Five und Basil Read profitierten<br />

stark von diesen Programmen, die eigentlich als Puffer für die Finanzkrise gedacht waren.<br />

Die zusätzlichen Ausgaben für die WM waren dabei für diese Unternehmen noch das Sahnehäubchen.<br />

Die Bauverträge für die WM, abgeschlossen zwischen den Gastgeberstädten und den Unternehmen,<br />

brachten den ArbeiterInnen fast keine Vorteile wie festgeschriebene Lohnerhöhungen,<br />

Boni, Weiterbildungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> Sozialpläne für die Zeit nach <strong>der</strong> WM. Die<br />

Städte konzentrierten sich vielmehr auf das Erreichen <strong>der</strong> in Aussicht gestellten ökonomischen<br />

Nutzen resp. die Eindämmung <strong>der</strong> steigenden Ausgaben, denn auf die Bauarbeiter.<br />

Die einzige Sicherheit für die Arbeiter bildeten die von <strong>der</strong> Regierung erlassenen Mindestvorschriften.<br />

Ansonsten waren die Arbeiter auch wegen dem tiefen Organisationsgrad von<br />

10% auf sich selbst gestellt. Der erste dokumentierte Streik in Zusammenhang mit Bauarbei-<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

8


ten für die WM fand am 27. August 2007 im Green Point Stadion in Cape Town statt. 40 Er<br />

entfachte eine Reihe lokaler Sitzstreiks und endete in einer landesweiten Übereinkunft mit<br />

den Arbeitern. 20 von insgesamt 26 Streiks waren ohne die Hilfe von Gewerkschaften zustande<br />

gekommen, was von einer autonomen, spontanen und neuen Militanz unter den Arbeiternehmern<br />

zeugt. Die Nationale Gewerkschaft für MinenarbeiterInnen (National Union of<br />

Mine Workers NUM) und die Gewerkschaft für das Bau- und Baunebengewerbe (Building<br />

Construction and Allied Workers Union BCAWU) - die führenden Arbeiterorganisationen in<br />

<strong>der</strong> Baubranche - konnten diese Militanz nutzen, um weitreichende Verbesserungen wie Projektboni<br />

im Umfang von 6'000 R, Lohnerhöhungen, wirkungsvolle Gesundheits- und Sicherheitsregulierungen<br />

sowie ein Verbot unterschiedlicher Arbeitsbedingungen für die Arbeiter zu<br />

erzielen. 41<br />

Die <strong>FIFA</strong> selber gab nur ein mündliches Bekenntnis zu fairen Arbeitsbedingungen ab und<br />

war nicht gewilt, sich tatsächlich dafür einzusetzen, wie sie bei einem Treffen mit Südafrikanischen<br />

und Schweizerischen Gewerkschaften im März 2008 in Zürich zu verstehen gab. Es<br />

handle sich um Angelegenheiten zwischen den Sozialpartnern, wo die <strong>FIFA</strong> sich nicht einmischen<br />

könne. Offensichtlich ist es aber die <strong>FIFA</strong>, welche die Kriterien für die rasche Infrastrukturentwicklung<br />

diktiert und die dafür auch noch Milliarden an Gewinnen u.a. durch ihre<br />

kommerziellen Partner erzielt. Dass diese wie<strong>der</strong>um ihr Gewinne auf dem Rücken <strong>der</strong> Arbeiter<br />

erzielt, zeigt das Beispiel des Maskottchen Zakumi – einem offiziellen <strong>FIFA</strong>-Produkt – das<br />

von chinesischen Arbeitern mit einem Tageslohn von 23 R (3,1 $) hergestellt wurde. 42 Wie<br />

ihre chinesischen Kollegen verdienen Südafrikanische BauarbeiterInnen so wenig, dass die<br />

meisten von ihnen gezwungen sind, in illegalen Siedlungen zu leben und einem täglichen<br />

Kampf um genügend Nahrungsmittel ausgesetzt sind.<br />

Am 8. Juli 2009 brachte ein landesweiter Streik von 70'000 Bauarbeitern die Stadionprojekte<br />

zum Stillstand. Es war <strong>der</strong> erste nationale Streik, <strong>der</strong> die WM 2010 betraf und deshalb ein<br />

historischer Moment. Die Folge davon war eine Erhöhung <strong>der</strong> Bezüge um 12%, weshalb die<br />

Streiks nach acht Tagen abgebrochen werden konnten. Der Mindestlohn belief sich nun auf<br />

2'933 R (401 $) gegenüber 2'618 R vor Streikbeginn. Die 26 Streiks waren aber grundsätzlich<br />

defensiver Natur und konnten den Profitdruck <strong>der</strong> Baufirmen nicht bremsen. 43<br />

Gemäss dem Labour Research Service 2010 erzielten die fünf grossen Bauunternehmungen<br />

2007 gemeinsam einen Gewinn von 10,2 Mia. R (1,4 Mia $). 2004 hatte er noch mo<strong>der</strong>ate<br />

790 Mio. R betragen. Auch wenn er im Jahr 2009 wie<strong>der</strong> auf 8 Mia. R zurückging, entsprechen<br />

die Gewinne einem durchschnittlichen Jahreszuwachs von 100% über fünf Jahre. 44 Die<br />

Löhne <strong>der</strong> fünf Firmenchefs (inkl. Boni) stiegen zwischen 2004 von 2,9 Mio. R bis 2009 um<br />

200% auf 8,9 Mio. R (1,2 Mio. $). Dies bedeutet, dass <strong>der</strong> Lohnunterschied zwischen dem<br />

schlechtest bezahlten Arbeiter und dem CEO 2009 bei einem Faktor von 285 liegt (2004:<br />

166). An<strong>der</strong>s formuliert, braucht <strong>der</strong> Arbeiter 285 Jahre um das Jahreseinkommen eines<br />

CEO zu erreichen. 45 Die WM hat für die Bauunternehmungen nicht nur zu einer höheren Profitabilität<br />

geführt, son<strong>der</strong>n auch ihr internes Lohngefälle massiv ansteigen lassen.<br />

Wegen des grossen Rückgangs an Arbeitsplätzen in <strong>der</strong> gesamten Volkswirtschaft und dem<br />

gleichzeitigen Ende <strong>der</strong> Bauarbeiten für die WM-Infrastruktur, mussten sich viele Arbeiter<br />

dem informellen Sektor zuwenden, um ihre Existenz sichern zu können.<br />

Arbeiten in <strong>der</strong> informellen Wirtschaft<br />

Die Schätzungen über das Volumen <strong>der</strong> Schwarzarbeit in Südafrika gehen von einem Viertel<br />

<strong>der</strong> gesamten arbeitenden Bevölkerung aus. 46 Ein Grossteil <strong>der</strong> SchwarzarbeiterInnen verdient<br />

ihr Geld als (Strassen-)Händler, wovon wie<strong>der</strong>um die Mehrheit Frauen sind, die oft als<br />

eigentliche Ernährer ihrer Familien auftreten. Die Strassenhändlervereinigung von Cape<br />

Town (Cape Street Tra<strong>der</strong>s coalition) gibt folgendes zu bedenken:<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

9


„Es wurde lei<strong>der</strong> zu einer vorhersehbaren Realität, dass in Län<strong>der</strong>n, die Grossanlässe<br />

wie eine WM vorbereiten, die Autoritäten und die Grossunternehmen diese Möglichkeit<br />

nutzen, um die Strassen von Schwarzhändlern zu reinigen.“ 47<br />

2007 trat eine Koalition für die Rechte von Schwarzarbeitern (Street Net International) mit<br />

den Gastgeberstädten Cape Town, Durban, Johannesburg und Nelson Mandela Metro in<br />

Kontakt. Ziel war es, von den lokalen Regierungen ein Bekenntnis zum Schutz <strong>der</strong> Armen für<br />

die Zeit während den Vorbereitungen zur WM zu erhalten. Im Speziellen ging es dabei um<br />

ihre Häuser und Existenzgrundlagen. Doch auch nach den Treffen zwischen <strong>der</strong> Koalition<br />

und den Stadtregierungen än<strong>der</strong>ten diese ihre einseitig festgelegte Praxis nicht. Als Vorwand<br />

für diese Säuberungsmassnahmen wurde auf die nicht bindenden „<strong>FIFA</strong>-Gesetze“ verwiesen,<br />

gemäss <strong>der</strong>er nationale Regelungen während <strong>der</strong> WM ausser Kraft gesetzt werden<br />

können. Offensichtlich versuchte man, Stadtsäuberungen als für eine erfolgreiche WM absolut<br />

notwendig darzustellen.<br />

In Durban versuchte die Lokalverwaltung einen fast 100jährigen Markt aufzulösen, <strong>der</strong> die<br />

Lebensgrundlage von knapp 10'000 Personen darstellte. Die Gemeinde wollte dort während<br />

<strong>der</strong> WM ein Einkaufszentrum erstellen. Glücklicherweise sprach sich ein Gericht für den Erhalt<br />

des Marktes aus. Die lokale Regierung von Rustenberg im Nordwesten unternahm Anstrengungen,<br />

alle informellen Händler von den Hauptstrassen zu entfernen. Dies konnte jedoch<br />

ebenfalls durch einen Richterspruch unterbunden werden. In Cape Town vertrieb die<br />

Regierung alle 300 Strassenhändler von <strong>der</strong> „Grande Parade“ in an<strong>der</strong>e Gegenden, um Platz<br />

für ein <strong>FIFA</strong>-Public Viewing zu schaffen. Dazu wurden zur schon bestehenden Händlerkontrolle<br />

20 zusätzliche Polizisten beigezogen, um renitente Händler von ihrer Tätigkeit abzuhalten<br />

und um nicht-lizenzierte Fanartikel zu konfiszieren. Nach monatelangen Protesten, erzielten<br />

die Händler in Johannesburg eine Einigung für den Handel an bestimmten Orten um das<br />

Soccer City Stadion. Beim Nelson Mandela Stadion in Port Elisabeth protestierten Strassenhändler<br />

mehrmals für das Recht sowohl um das Stadion als auch in <strong>FIFA</strong>-Fanpark Handel<br />

betreiben zu können. So erhielten sie zwar eine grundsätzliche Zusage <strong>der</strong> Stadt, durch zu<br />

hohe Bewilligungsgebühren wurden sie jedoch trotzdem marginalisiert und konnten ihrer<br />

Arbeit nicht nachgehen.<br />

Durch (versuchte) Vertreibungen und Umsiedlungen an „passen<strong>der</strong>e“ Orte, verloren die<br />

Strassenhändler wohl einen gewichtigen Teil ihrer Einkommen während <strong>der</strong> WM, was dazu<br />

beitrug, dass sich die sozialen Ungleichheiten verschärften.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die <strong>FIFA</strong> WM 2010 in Südafrika lieferte einen Anstoss zu grossen Debatten über ihr Erbe<br />

und ihre sozioökonomischen Wirkungszusammenhänge für Südafrika. Der Grossteil dieser<br />

Debatten dreht sich um sportliche, infrastrukturelle und touristische Themen wie auch um<br />

den Einfluss auf die BIP-Entwicklung. Bis anhin wurde aber nur wenig zur Wirkung <strong>der</strong> WM<br />

auf die Arbeiterschaft geforscht, sowohl was den formellen und den informellen Bereich, als<br />

auch die Entwicklung <strong>der</strong> sozialen Ungleichheiten in <strong>der</strong> Bevölkerung von Südafrika betrifft.<br />

Südafrika ist ein Land mit massivem Nachholbedarf bei <strong>der</strong> Bereitstellung von öffentlichen<br />

Gütern. So erkannte das Umweltministerium (Water and Environmental Affairs Ministry) kürzlich,<br />

dass ca. 23 Mia. R (3,1 Mia. $) benötigt werden würden, um eine landesweite und stabile<br />

Wasseraufbereitung garantieren zu können. Auch Präsident Jacob Zuma klagte über einen<br />

Mangel an 2,1 Mio. Häusern für 12 Mio. Menschen, die in 2'700 illegalen Siedlungen<br />

wohnen. Wenn man die Ausgaben von knapp 40 Mia. R anstelle für die WM für das Wohnungsproblem<br />

verwendet hätte, hätte man bei einem Preis von 84'000 R pro Haus 476'180<br />

Wohnmöglichkeiten für 2,4 Mio. SüdafrikanerInnen bauen können.<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

10


Der erwartete materielle Nutzen <strong>der</strong> WM für Südafrika scheint zur Legitimation <strong>der</strong> riesigen<br />

Abzocke durch die <strong>FIFA</strong>, ihre kommerziellen Partner und die lokalen Monopolisten massiv zu<br />

hoch berechnet worden zu sein. Heute ist es offensichtlich, dass sich die Schätzungen von<br />

2003, in denen Südafrika nur „minimale“ Kosten und „signifikante“ materielle Nutzen versprochen<br />

worden waren, ins Gegenteil gedreht haben.<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

11


Referenzen<br />

1 Republic of South Africa, ‘Key Facts: Government preparations for 2010 <strong>FIFA</strong> World Cup, South<br />

Africa’, undatiert.<br />

2 Richard Tomlinson, Orli Bass and Udess Pillay, ‘Development and Dreams: The Urban Legacy of the<br />

2010 Football World Cup’, Cape Town, Human Sciences Research Council, 2009, S.4.<br />

3 Collette Herzenberg, ‚Player and Referee: Conflicting Interests and the World Cup’, Cape Town,<br />

Institute for Security Studies, April 2010, S. 1.<br />

4 Tomlinson et al., 2004.<br />

5 Glynn Davies, ‘Managing the alchemy of the World Cup’, in: Pillay, Tomlinson & Bass (Hrsg.)<br />

Development and Dreams: The urban Legacy of the 2010 Football World Cup. Cape Town, HSRC<br />

press, S. 33.<br />

6 Ebd.<br />

7 South Africa 2010, ‘Bid Book’, Chapter 6: Commercialisation, 2004.<br />

8 Grant Thornton Kessel Feinstein, ‘SA 2010 Soccer World Cup Bid – Economic Impact Executive<br />

Summary’, 2003.<br />

9 Ebd.<br />

10 Gillian Saun<strong>der</strong>s, ‘Updated economic impact of the 2010 <strong>FIFA</strong> World Cup’, Grant Thornton, 2010.<br />

11 Amato Carlos, ‘Weighing the World Cup's worth’, Times Live, 22. August 2010.<br />

http://www.timeslive.co.za/business/article615086.ece/Weighing-the-World-Cups-worth (Stand:<br />

31. August 2010).<br />

12 Berechnungen des Autors.<br />

13 Julian Rademeyer, Prince Chandre und Anna-Maria Lombard, ‘<strong>FIFA</strong>’s great SA rip-off’, City Press,<br />

6. Juni 2010.<br />

14 Sapa, ‘<strong>FIFA</strong>: 2010 cup very profitable’, 3. Juni 2010. http://www.fin24.com/Business/<strong>FIFA</strong>-2010-cupvery-profitable-20100603<br />

(Stand: 30. August 2010)<br />

15 Terence Creamer, ‘Organising committee earnings could reach $100m - Jordaan’, 21. Juni 2010.<br />

http://www.engineeringnews.co.za (Stand: 30. August 2010)<br />

16<br />

Grant Thornton, ‘2010 <strong>FIFA</strong> World Cup visitors will stay longer and spend more’, 2009.<br />

17<br />

Larry Norton, OrionLive.com, 23. April 2009.<br />

18<br />

South African Tourism, ‘2009 Tourism Annual Report’, S. 46.<br />

19<br />

Scarlett Cornelissen, ‘Sport, mega-events and urban tourism: Exploring the patterns, constraints<br />

and prospects of the 2010 World Cup’, in: Udesh Pillay und Bass Orli (Hrsg.), ‘Development and<br />

dreams: the urban legacy of the 2010 football world cup’, Cape Town, HSRC Press, 2009, S. 131.<br />

20<br />

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21<br />

Leonard Gentle, ‘The 2010 World Cup and the National Question’.The South African Civil Society<br />

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22<br />

Sindiswa Nhlumayo, Deputy Director General Department of Tourism, 2009.<br />

23<br />

BuaNews, ‘SA's World Cup exposure 'priceless'’, 7. Juni 2010.<br />

http://www.southafrica.info/2010/coverage.htm (Stand: 30. August 2010).<br />

24<br />

Babalo Ndenze, ’Back to (the hard) life, back to the reality after the Cup’, The Cape Times, 13. August<br />

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25<br />

Sapa, ‘Renewed fears for future of World Cup stadiums’, Times Live, 18. August 2010.<br />

http://www.timeslive.co.za/sport/soccer/article609966.ece/Renewed-fears-for-future-of-World-Cupstadiums<br />

(Stand: 31. August 2010).<br />

26<br />

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http://www.timeslive.co.za/sport/soccer/article623571.ece/World-Cup-stadiums-concern-Safa<br />

(Stand: 31. August 2010).<br />

27<br />

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(Stand: 31. August 2010).<br />

29<br />

Sapa-AP, ‘Renewed fears for future of World Cup stadiums’, Times Live, 18. August 2010.<br />

30<br />

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http://www.timeslive.co.za/business/article615086.ece/Weighing-the-World-Cups-worth (Stand:<br />

31. August 2010).<br />

31<br />

Ebd.<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

12


32<br />

Thekwini Municipality, ‘2010 and beyond sustainability: The case of Durban’, Presentation to the<br />

Parliamentary Committee on Sport & Recreation, 17. August 2010.<br />

33<br />

Cape Town Municipality, ‘Cape Town Stadium: Sustainability’, Presentation to the Parliamentary<br />

Committee on Sport & Recreation, 17. August 2010.<br />

34<br />

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35<br />

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Statistics South Africa, ‘Selected Development Indicators: Statistical Release P0318.2’, 2010.<br />

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Eddie Cottle, ’2010 World Cup and the Construction Sector, Building & Wood Workers International’,<br />

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41<br />

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http://www.timeslive.co.za/sport/article283081.ece (Stand: 31. August 2010).<br />

43<br />

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(uveröffentlicht).<br />

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Forthcoming in: ‘Eddie Cottle, South Africa’s World Cup: A Legacy for Whom?, Labour Research<br />

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45<br />

Ebd.<br />

46<br />

Sofern nichts an<strong>der</strong>es vermerkt ist, wurde <strong>der</strong> folgende Abschnitt komplett übernommen von: Pat<br />

Horn, ‘Informal Tra<strong>der</strong>s and the Struggle to Trade’, Forthcoming in: Eddie Cottle, ‘South Africa’s<br />

World Cup: A Legacy for Whom?’, Labour Research Service, 2010.<br />

47<br />

Cape Street Tra<strong>der</strong>s Coalition News, Oktober 2009, S. 1.<br />

<strong>Vorläufige</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>der</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>der</strong> <strong>FIFA</strong> <strong>Weltmeisterschaft</strong> 2010 in Südafrika<br />

13

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