Militainment - MAZ
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Heiner Käppeli<br />
<strong>Militainment</strong><br />
Panzer mit US-Fahne in voller Fahrt. Ein Bild, wie wir es von den Golfkriegen zur Genüge<br />
kennen. Hat dort das Fernsehen Regie geführt? Haben sich Reporter zu Feldherren<br />
aufgeschwungen? Worauf zielt Chappatte mit seiner Karikatur?<br />
„Ralentissez“ – Tempo drosseln!“, so die Anweisung aus der Regie. Will sie den Irrsinn<br />
bremsen, den Angriff stoppen? Eine Interpretation, die der Quoten-Logik des Fernsehens<br />
klar widerspräche. Konflikte, Risiken und Emotionen locken das Publikum. Das sind die<br />
Ingredienzen einer Fernsehsendung, will sie im Kampf um Einschaltquoten mithalten. Im<br />
zweiten Golfkrieg berichteten 600 «eingebettete» Reporter über das, was sie sahen,<br />
respektive sehen durften. Fragmentarisch konnten sie zwar Aufregendes durch die<br />
Sehschlitze der Panzer festhalten. Es war aber ohne Sinn und Zusammenhang. Das wahre<br />
Ausmass des Krieges - Tod und Elend, Gewalt und Zerstörung - konnten die Reporter kaum<br />
vermitteln. Auch die offiziellen Verlautbarungen an den Medienkonferenzen waren inhaltlich<br />
dürftig. Die Öffentlichkeit sah nicht den Krieg, sondern eine Reality Show. Sie erlebte am<br />
Bildschirm eine Inszenierung des Militärs.<br />
Chappatte spinnt diesen Inszenierungsgedanken weiter. Nicht die Militärs nimmt er ins<br />
Visier, sondern die Medien. Konkret: die Reality-Show-Manie der Fernsehsender. Nach „Big<br />
Brother“, den Robinson-Dschungelabenteuern oder „Holt mich hier raus, ich bin ein Star!“<br />
nun der ultimative Reiz. Das Fernsehen arrangiert selbst den Krieg – eine martialische<br />
Variante von „Wer gewinnt“. Nicht Journalisten werden instrumentalisiert wie im Golfkrieg,<br />
sondern die Soldaten als Handlanger im Wettstreit um Einschaltquoten. Nicht die Medien<br />
sind „eingebettet“, nun betten die Medien das Militär ein. Doku-Soaps vom Kriegsalltag.
Action garantiert. Mit Helden und Verlierern, mit Schweiss und Blut. Auch Technikfreaks<br />
wären entzückt. Nach Politainment nun also: <strong>Militainment</strong>.<br />
Braucht es <strong>Militainment</strong> im Fernsehen, weil der Journalismus in der Kriegsberichterstattung<br />
abgedankt hat? Man stelle sich vor: Können eingebettete Journalisten kritisch über jene<br />
berichten, die sie gleichzeitig beschützen? Distanz ist unter diesen Bedingungen kaum<br />
möglich. Eher kommt es zur Symbiose: „Wir sind unterwegs nach Bagdad“. Wir. Der<br />
Berichterstatter identifiziert sich mit den Soldaten. Die journalistische Unabhängigkeit wird<br />
aufgegeben. Damit ist das Kalkül des Pentagon aufgegangen. Haben die Militärs nach dem<br />
Vietnamkrieg zunächst die Journalisten von den Kriegsschauplätzen in Grenada, Panama<br />
und des ersten Golfkriegs ferngehalten, versuchten sie im zweiten Golfkrieg, die Medien zu<br />
vereinnahmen und für die eigene Propaganda einzuspannen.<br />
Aber gab es wirklich nur zensierte Propagandabilder von den Golfkriegen? Bekamen wir<br />
nicht auch Aufnahmen zu Gesicht, die uns aufrüttelten? Nahaufnahmen von zivilen Opfern<br />
beispielsweise, die vom Irak im ersten Golfkrieg veröffentlicht wurden. Oder die Bilder von<br />
Särgen gefallener US-Soldaten im Frachtraum eines Transportflugzeuges. Drei endlose<br />
Reihen von Särgen, jeder eingehüllt mit dem US-Banner. Die Fotografin war keine<br />
Journalistin, sondern arbeitete für ein ziviles Frachtunternehmen in Kuwait. Mit ihrer<br />
Aufnahme im April 2004 widersetzte sie sich dem Verbot des Pentagons, Särge auf US-<br />
Militärstützpunkten zu fotografieren.<br />
Wenig später publizierte der als hartnäckiger Rechercheur bekannte Journalist Seymour<br />
Hersh im New Yorker den Folterskandal im US-Militärgefängnis Abu Ghraib. Hersh hatte<br />
schon 1969 das Massaker von My Lai gegen grosse Widerstände öffentlich gemacht. Jene<br />
Geschichte wurde zum Symbol für die Grausamkeiten des Vietnamkrieges. Die Bilder von<br />
My Lai erschütterten die Weltöffentlichkeit ebenso wie die Aufnahmen von den<br />
Misshandlungen und Demütigungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib.<br />
Die Fotos von beiden Schauplätzen zeigen die Qualen der Opfer. Es sind die Bilder, vor<br />
denen sich das Pentagon und die US-Regierung seit dem Vietnamkrieg fürchten und die sie<br />
mit allen Mitteln unterdrücken wollen. In beiden Fällen waren es Fotos, die zwar erst Monate<br />
später die Ungeheuerlichkeiten an den Tag brachten, dafür aber die Kriegsgräuel umso<br />
nachhaltiger dokumentierten. Dazwischen war Zeit für gründliche Recherche, Gewichtung<br />
und Einordnung der Fakten.<br />
Chappatte geht es in seiner Karikatur nicht um fotografierende Kriegsreporter, es geht ihm<br />
um Live-TV. Vielleicht hinterfragt er auch den masslosen Anspruch des Fernsehens, Krieg<br />
direkt übertragen zu wollen. „Ralentissez!“- Wartet! Haltet ein!“ – so gelesen könnte es auch<br />
als Hilferuf der Fernsehzentrale gedeutet werden, die von der Flut von Informations-<br />
Bruchstücken überfordert ist und die Echtzeitberichterstattung nicht mehr gewährleisten<br />
kann.<br />
Damit das Fernsehen als Inszenierungsmedium wieder nach Drehbuch arbeiten kann und<br />
nicht gezwungen ist, zensierte, unspektakuläre Aufnahmen von Panzer- und<br />
Lastwagenkolonnen zu zeigen, empfiehlt Chappatte Ersatz-Kriegsspiele – <strong>Militainment</strong> eben.<br />
Heiner Käppeli<br />
<strong>MAZ</strong> – Die Schweizer Journalistenschule, Luzern<br />
Text zur Karikatur von Chappatte, publiziert in MediaVision, Jubiläumsbuch zu zehn Jahre<br />
Medialex, 2005