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Behavioral Finance: Die empirische Überprüfbarkeit behavioraler ...

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<strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>: <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> <strong>behavioraler</strong> Modelle<br />

DISSERTATION<br />

der Universität St.Gallen,<br />

Hochschule für Wirtschafts-,<br />

Rechts und Sozialwissenschaften (HSG)<br />

zur Erlangung der Würde eines<br />

Doktors der Wirtschaftswissenschaften<br />

vorgelegt von<br />

Zhaohui Guo<br />

aus<br />

China<br />

Genehmigt auf Antrag der Herren<br />

Prof. Dr. Beat Bernet<br />

und<br />

Prof. Dr. Thorsten Hens<br />

Dissertation Nr. 2625


<strong>Die</strong> Universität St.Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />

(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden<br />

Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen<br />

Stellung zu nehmen.<br />

St.Gallen, den 29. Januar 2002<br />

Der Rektor<br />

Prof. Dr. Peter Gomez


Vorwort<br />

An erster Stelle meiner Dissertation möchte ich mich bei allen bedanken, welche durch<br />

ihre Unterstützung wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben.<br />

Für die Anregungen und die fachliche Betreuung, aber noch viel mehr für das entgegengebrachte<br />

Vertrauen, möchte ich mich bei meinem Doktorvater Professor Dr. Beat Bernet<br />

herzlichst bedanken. In zahlreichen Diskussionen mit ihm habe ich mein Verständnis für<br />

die behandelte Thematik wesentlich vertiefen können. Seine stetige Unterstützung hat<br />

mir immer wieder die Kraft gegeben, um diese Arbeit vorwärts zu bringen. Ebenfalls<br />

herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Thorsten Hens für seine<br />

Hilfsbereitschaft und Unterstützung als akademischer Lehrer. Seine Anregungen haben<br />

mir einen neuen Horizont eröffnet und dieser Arbeit einen enormen Impuls gegeben.<br />

Weiter möchte ich mich auch bei der Zürcher Kantonal Bank für die Unterstützung bedanken.<br />

Zu grossem Dank bin ich insbesondere Herrn Dr. Marco Stalder und Herrn Dr.<br />

Philipp Halbherr für ihre Unterstützung und Hilfsbereitschaft verpflichtet.<br />

Viele Freunde haben zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Speziell geht ein grosser<br />

Dank für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die zahlreichen sprachlichen Verbesserungsvorschläge<br />

an Pascal Schiffman und Daniel Halbheer. Ferner möchte ich Susanne<br />

Neill und Marta Garcia für die sprachlichen Korrekturen danken.<br />

Ein besonderer Dank geht an meine Frau Lingyan Zeng; für die Geduld und das Verständnis,<br />

das sie mir während der Ausarbeitung dieser Dissertation - in den Hochs und<br />

insbesondere den Tiefs - entgegengebracht hat.<br />

Zürich, im Januar 2002<br />

Zhaohui Guo


Inhaltsübersicht<br />

EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 6<br />

TEIL1: BEHAVIOR-PARADIGMA........................................................................................................... 11<br />

KAPITEL 1 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE .......................................................... 11<br />

1.1 ANOMALIEN AM AKTIENMARKT: EINE HERAUSFORDERUNG....................................................................... 11<br />

1.2 ERFAHRUNGSOBJEKT: WEICHE FAKTOREN AM AKTIENMARKT ................................................................... 20<br />

1.3 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE............................................................................................ 25<br />

KAPITEL 2 ZUR NOTWENDIGKEIT DES PARADIGMAWECHSELS: FEHLERKORREKTUR<br />

DURCH MARKTDISZIPLIN............................................................................................................................ 37<br />

2.1 EMPIRISCHE EVIDENZ.................................................................................................................................. 37<br />

2.2 FEHLERKORREKTUR DURCH MARKTDISZIPLIN ............................................................................................ 43<br />

TEIL 2 BEHAVIORALE MODELLE........................................................................................................ 62<br />

KAPITEL 3 GRUNDLAGEN: BEHAVIORALE ERKENNTNISSE ........................................................... 62<br />

3.1 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE .................................................................................................................... 62<br />

3.2 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE VON KEYNES............................................................................................... 84<br />

KAPITEL 4 BEHAVIORALE MODELLE...................................................................................................... 93<br />

4.1 INVESTOR-SENTIMENT-MODELL ................................................................................................................. 93<br />

4.2 OVERCONFIDENCE-MODELL...................................................................................................................... 104<br />

TEIL 3 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT DER BEHAVIORALEN MODELLE .............. 115<br />

KAPITEL 5 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT.................................................................................... 115<br />

5.1 METHODOLOGISCHE VORÜBERLEGUNG .................................................................................................... 115<br />

5.2 MÖGLICHKEITEN DER FALSIFIZIERUNG ..................................................................................................... 126<br />

5.3 EMPIRIE: ÜBER- UND UNTERREAKTION ..................................................................................................... 132<br />

6 TESTBARKEIT DER BEHAVIOR-MODELLE........................................................................................ 145<br />

6.1 TESTBARKEIT DER OVERCONFIDENCE ....................................................................................................... 146<br />

6.2 TESTBARKEIT DES SENTIMENTS................................................................................................................. 181<br />

SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................................................................ 205<br />

LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 207


Inhaltsverzeichnis<br />

Verzeichnis<br />

EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 6<br />

TEIL1: BEHAVIOR-PARADIGMA........................................................................................................... 11<br />

KAPITEL 1 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE .......................................................... 11<br />

1.1 ANOMALIEN AM AKTIENMARKT: EINE HERAUSFORDERUNG....................................................................... 11<br />

1.1.1 Bubble ................................................................................................................................................. 11<br />

1.1.2 Saisonale Effekte................................................................................................................................. 14<br />

1.1.3 Anomalien aus allen Richtungen......................................................................................................... 16<br />

1.2 ERFAHRUNGSOBJEKT: WEICHE FAKTOREN AM AKTIENMARKT ................................................................... 20<br />

1.3 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE............................................................................................ 25<br />

1.3.1 Anomalien als Herausforderung......................................................................................................... 25<br />

1.3.2 Altes Paradigma.................................................................................................................................. 26<br />

1.3.3 Paradigmawechsel: <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>............................................................................................ 32<br />

KAPITEL 2 ZUR NOTWENDIGKEIT DES PARADIGMAWECHSELS: FEHLERKORREKTUR<br />

DURCH MARKTDISZIPLIN............................................................................................................................ 37<br />

2.1 EMPIRISCHE EVIDENZ.................................................................................................................................. 37<br />

2.1.1 Der Fall von LTCM ............................................................................................................................ 37<br />

2.1.2 Hedge Fund......................................................................................................................................... 41<br />

2.2 FEHLERKORREKTUR DURCH MARKTDISZIPLIN ............................................................................................ 43<br />

2.2.1 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit ....................................................................... 44<br />

2.2.1.1 Fehleranfälligkeit ..........................................................................................................................................44<br />

2.2.1.2 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit ..................................................................................47<br />

2.2.2 Risiken bei Fehlerkorrektur ................................................................................................................ 51<br />

2.2.2.1 Noise-Trader-Risk.........................................................................................................................................51<br />

2.2.2.2 Fehltrend: Herdentrieb & Fad .......................................................................................................................52<br />

2.2.3 Restriktionen bei Fehlerkorrektur....................................................................................................... 55<br />

2.3.3.1 Trennung von Wissen und Kapital................................................................................................................55<br />

2.3.3.2 Kapitalbedarf.................................................................................................................................................55<br />

2.3.3.3 Restriktionen.................................................................................................................................................57<br />

2.3.3.4 Restriktion: Fallbeispiel ................................................................................................................................58<br />

2.2.4 <strong>Die</strong> Frage der Fehlerfreiheit............................................................................................................... 60<br />

TEIL 2 BEHAVIORALE MODELLE........................................................................................................ 62<br />

KAPITEL 3 GRUNDLAGEN: BEHAVIORALE ERKENNTNISSE ........................................................... 62<br />

3.1 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE .................................................................................................................... 62<br />

3.1.1 Overconfidence ................................................................................................................................... 62<br />

3.1.2 Representativeness.............................................................................................................................. 66<br />

3.1.3 Behavior-Biases im Überblick ............................................................................................................ 69<br />

2


Verzeichnis<br />

3.1.4 <strong>Die</strong> Persistenz ..................................................................................................................................... 77<br />

3.1.4.1 Zufriedenstellung statt Optimierung .............................................................................................................77<br />

3.1.4.2 <strong>Die</strong> Persistenz von Overconfidence ..............................................................................................................80<br />

3.1.4.3 Andere Rationalität .......................................................................................................................................83<br />

3.2 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE VON KEYNES............................................................................................... 84<br />

3.2.1 Keynes’ Schönheitswettbewerb ........................................................................................................... 85<br />

3.2.2 Konventionelle Erwartung .................................................................................................................. 88<br />

KAPITEL 4 BEHAVIORALE MODELLE...................................................................................................... 93<br />

4.1 INVESTOR-SENTIMENT-MODELL ................................................................................................................. 93<br />

4.1.1 Informale Beschreibung...................................................................................................................... 93<br />

4.1.1.1 Das Sentiment des Investors .........................................................................................................................93<br />

4.1.1.2 Über- und Unterreaktion ...............................................................................................................................96<br />

4.1.2 Regime-Switching Modell ................................................................................................................... 98<br />

4.1.3 Implikationen .................................................................................................................................... 102<br />

4.2 OVERCONFIDENCE-MODELL...................................................................................................................... 104<br />

4.2.1 Informale Beschreibung.................................................................................................................... 104<br />

4.2.2 Grundmodell ..................................................................................................................................... 106<br />

4.2.2.1 Grundmodell mit konstanter Confidence ....................................................................................................106<br />

4.2.2.2 Implikation des Grundmodells: Über- sowie Unterreaktion........................................................................109<br />

4.2.3 Erweitertes Modell............................................................................................................................ 111<br />

4.2.3.1 Erweitertes Modell mit ergebnisabhängiger Confidence.............................................................................111<br />

4.2.3.2 Implikation des erweiterten Modells: Über- sowie Unterreaktion..............................................................113<br />

TEIL 3 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT DER BEHAVIORALEN MODELLE .............. 115<br />

KAPITEL 5 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT.................................................................................... 115<br />

5.1 METHODOLOGISCHE VORÜBERLEGUNG .................................................................................................... 115<br />

5.1.1 Empirische Überprüfung................................................................................................................... 115<br />

5.1.2 Problem der Transzendenz................................................................................................................ 118<br />

5.1.3 Entscheidung in der Überprüfung..................................................................................................... 121<br />

5.1.4 <strong>Die</strong> Unsicherheit in der Forschung.................................................................................................. 123<br />

5.1.5 Bemerkung: Orientierung bei der Überprüfung ...............................................................................125<br />

5.2 MÖGLICHKEITEN DER FALSIFIZIERUNG ..................................................................................................... 126<br />

5.2.1 Falsifizierbarkeitskriterium .............................................................................................................. 126<br />

5.2.2 <strong>Überprüfbarkeit</strong> der behavioralen Modelle ...................................................................................... 128<br />

5.2.2.1 Sentiment-Modell BSV...............................................................................................................................128<br />

5.2.2.2 Overconfidence-Modell DHS .....................................................................................................................130<br />

5.3 EMPIRIE: ÜBER- UND UNTERREAKTION ..................................................................................................... 132<br />

5.3.1 <strong>Die</strong> Unterreaktion ............................................................................................................................. 132<br />

5.3.2 <strong>Die</strong> Überreaktion .............................................................................................................................. 137<br />

5.3.3 Bemerkung: Kontroverse .................................................................................................................. 140<br />

6 TESTBARKEIT DER BEHAVIOR-MODELLE........................................................................................ 145<br />

3


Verzeichnis<br />

6.1 TESTBARKEIT DER OVERCONFIDENCE ....................................................................................................... 146<br />

6.1.1 Overconfidence-Test ......................................................................................................................... 147<br />

6.1.1.1 Konfidenzdifferenz zwischen Online-Investor und Phone-Investor als Proxy............................................147<br />

6.1.1.2 Daten & Methoden......................................................................................................................................151<br />

6.1.1.3 Empirische Befunde....................................................................................................................................160<br />

6.1.1.4 Bemerkung..................................................................................................................................................167<br />

6.1.2 Informationsdiffusions-Test .............................................................................................................. 168<br />

6.1.2.1 Residual-Analyst-Coverage als Proxy für die Informationsdiffusion..........................................................168<br />

6.1.2.2 Empirische Befunde....................................................................................................................................171<br />

6.1.2.3 Bemerkung..................................................................................................................................................177<br />

6.1.3 Möglichkeit der direkten Überprüfung ............................................................................................. 179<br />

6.2 TESTBARKEIT DES SENTIMENTS................................................................................................................. 181<br />

6.2.1 Sentiment-Test: Contrarian Behavior............................................................................................... 182<br />

6.2.1.1 Contrarian Behavior bei Kaufentscheidung ................................................................................................182<br />

6.2.1.2 Contrarian Behavior bei Verkaufsentscheidung..........................................................................................189<br />

6.2.1.3 Bemerkung..................................................................................................................................................195<br />

6.2.2 Möglichkeit der direkten Überprüfung ............................................................................................. 197<br />

6.2.2.1 Ausgangspunkt............................................................................................................................................197<br />

6.2.2.2 Proxy für Sentiment ....................................................................................................................................197<br />

6.2.2.3 Regressionsanalyse .....................................................................................................................................204<br />

SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................................................................ 205<br />

LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 207<br />

4


Abbildungsverzeichnis<br />

Verzeichnis<br />

Abbildung 1: TMT-Bubble....................................................................................................................12<br />

Abbildung 2: Abweichung des Marktpreises von seinem Fundamentalwert ........................................13<br />

Abbildung 3: Anomalie - Rendite/Risk Relationship ............................................................................17<br />

Abbildung 4: Anomalie - Long Term Reversal .....................................................................................18<br />

Abbildung 5: Anomalie - Differenz zwischen Preis und Wert ..............................................................18<br />

Abbildung 6: Anomalie - Short Term Momentum ................................................................................19<br />

Abbildung 7: Nemax-Bubble.................................................................................................................27<br />

Abbildung 8: Prospect Theory Valuefunction .......................................................................................75<br />

Abbildung 9: Prospect Theory Weighting Function..............................................................................76<br />

Abbildung 10: <strong>Die</strong> Difussion der öffentlichen Informationen im Overconfidencemodell..................112<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1: Performance von Hedge Funds.............................................................................................42<br />

Tabelle 2: Überlebensquote von Hedge Funds (1994-1998) .................................................................42<br />

Tabelle 3: Differenz zwischen Konfidenz und Genauigkeit..................................................................62<br />

Tabelle 4: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion..................................................................136<br />

Tabelle 5: <strong>Die</strong> Performance der Reversal- bzw. Momentumstrategie.................................................138<br />

Tabelle 6: Transaktionskosten vor und nach Go-Online .....................................................................153<br />

Tabelle 7: <strong>Die</strong> Verschlechterung der Nettoperformance der Online-Investoren .................................162<br />

Tabelle 8: <strong>Die</strong> Verschlechterung der Nettoperformance und Go-Online ............................................163<br />

Tabelle 9: Performancevergleich zwischen Online- und Phone-Investoren........................................164<br />

Tabelle 10: Residual-Analyse-Coverage und Momentum...................................................................171<br />

Tabelle 11: Size, Residual-Analyse-Coverage und Momemtum.........................................................174<br />

Tabelle 12: <strong>Die</strong> Differenz der Buy-Ratio ............................................................................................184<br />

Tabelle 13: <strong>Die</strong> Differenz der Buy-Ratio mit einer Meanadjustierung ...............................................187<br />

Tabelle 14: Der Unterschied bei der Realisierung der Gewinner- und Verliereraktien.......................192<br />

5


Einleitung<br />

I) Problemstellung und Motivation<br />

Einleitung<br />

Das traditionelle Konzept beruht auf dem Paradigma des rationalen Behaviors und der Finanzmarkt<br />

gilt stets als Ort der reinen Rationalität, wo die Effizienz allein herrscht. 1 <strong>Die</strong> Rationalitätsthese<br />

2 postuliert, dass die weichen Faktoren – das von der Rationalität abweichende<br />

Verhalten – im Hinblick auf die Erklärung der Veränderungen der Assetpreise keine Erklärungsmacht<br />

haben. Kursbewegungen werden ausschliesslich auf das Eintreffen neuer Informationen<br />

zurückgeführt und dahingehend interpretiert, als dass Wertpapierpreise zu jedem<br />

Zeitpunkt die richtigen Signale für die Portfolioentscheidung der Anleger sowie die Produktions-<br />

und Realinvestitionsentscheidungen der Unternehmungen geben. Dem rationalen Konzept<br />

nach sollte sich der durchschnittliche Investor wie die besten Ökonomen verhalten, und<br />

beim Ausrutscher wird sein Fehlverhalten sofort durch den Mechanismus der Marktdisziplin<br />

korrigiert. Demzufolge ist der Markt fehlerfrei und die Behaviorforschung für die traditionelle<br />

Theorie uninteressant. <strong>Die</strong> Finanztheorie ist jedoch eine Erfahrungswissenschaft, deren Ausgangspunkt<br />

stets die Erfahrung sein muss. <strong>Die</strong> Erfahrungen der Marktteilnehmer mit den aussergewöhnlichen<br />

Kursentwicklungen am realen Markt, besonders in der Zeit der Blasenbildungen<br />

und des Crashs, liefern aber keine <strong>empirische</strong> Evidenz für das traditionelle Konzept,<br />

im Gegenteil, die Liste der durch diverse <strong>empirische</strong> Untersuchungen aufgedeckten Anomalien<br />

wird immer länger. <strong>Die</strong> Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie erfordert einen Paradigmawechsel.<br />

<strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit dem Thema „Behavior“ ist motiviert durch die Überlegung, dass<br />

die Modern <strong>Finance</strong>, anders als die Naturwissenschaften wie beispielsweise die Physik, eine<br />

wissenschaftliche Disziplin ist, in welcher der Humanaspekt eine wichtige Rolle spielt. Demzufolge<br />

sollte dieser Aspekt auch in den theoretischen Überlegungen mitberücksichtigt werden.<br />

<strong>Die</strong> Dominanz des Postulats des rationalen Behaviors hat jedoch dazu geführt, dass diesem<br />

wichtigen Aspekt in der Theorie nicht genügend Rechnung getragen wird. <strong>Die</strong> Berück-<br />

1<br />

Fama definiert Markteffizienz als „the general notion that price (at any time) fully reflect available information”<br />

Vgl. Fama (1970) S. 383;<br />

2<br />

Rationalität: Im klassischen <strong>Finance</strong> wird die rationale Erwartung als perfekte Voraussicht verstanden. <strong>Die</strong> vom<br />

klassischen <strong>Finance</strong> verstandene Rationalität geht weiter über den gesunden Menschenverstand hinaus. Gemäss<br />

George Soros ist das klassische Rationalitätskonzept theoretisch falsch und praktisch irrelevant.<br />

<strong>Die</strong> vorliegende Arbeit verwendet den Rationalitätsbegriff nach dem klassischen Rationalitätskonzept. Was nicht<br />

im klassischen Sinn rational ist, wird als „irrational“ oder „begrenzt rational“ bezeichnet, wenn auch es nach<br />

dem gesunden Menschenverstand rational ist.<br />

6


Einleitung<br />

sichtigung sowie die Anerkennung irrationaler Verhaltenskomponenten des Menschen ist in<br />

der Humanwissenschaft, wenn der Blick zurück in die Vergangenheit gerichtet und die Anfangszeit<br />

der Renaissance oder Psychoanalyse in Erinnerung gerufen wird, auch keine Selbstverständlichkeit.<br />

Es war ausserordentlich schwierig, die wissenschaftliche Anerkennung zu<br />

gewinnen, zumal der Glauben an Rationalität dominierend war. Ex post stellt sich jedoch heraus,<br />

dass die Berücksichtigung der irrationalen Seite des Menschen eine Bereicherung für den<br />

Erkenntnisgewinn bedeutet, wie der Beitrag der Renaissance bzw. der Psychoanalyse zeigt.<br />

Es stellt sich die Frage, ob <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> auch eine Bereicherung für die Finanzmarkttheorie<br />

darstellt.<br />

II) Aufgabenanalyse und Zielsetzung<br />

<strong>Die</strong> Anerkennung der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Wie alle<br />

neuen Ansätze leidet <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> noch an den Geburtswehen, und sie stösst oft auf<br />

Ablehnung der Vertreter der traditionellen Theorie. Nicht selten wird <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> (sogar)<br />

als ein typisches Beispiel einer Pseudowissenschaft 3 betrachtet, und von diesem Standpunkt<br />

aus muss die Auseinandersetzung mit dem Thema „Behavior“ vor allem mit der Frage<br />

beginnen, ob <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> überhaupt zur Erfahrungswissenschaft gehört. Aus Überlegungen<br />

der wissenschaftlichen Sicherheit widmet sich die vorliegende Arbeit ausschliesslich<br />

der Fragestellung: Ist <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> eine Pseudowissenschaft?<br />

Der Zweifel an der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> scheint nicht ohne Gründe zu sein:<br />

Erstens ist dem Ökonomen zwar eine seit langem bekannte Tatsache, dass sich<br />

der Mensch nur beschränkt rational verhält. <strong>Die</strong> meisten Ökonomen glauben jedoch<br />

an die Disziplinierungskraft des Marktes, d.h., die Marktdisziplin sollte das Fehlverhalten<br />

– die weichen Faktoren am Markt – ausschalten. Wie gut der Mechanismus<br />

der Marktdisziplin funktioniert, ist Gegenstand umfangreicher <strong>empirische</strong>r Forschungen.<br />

<strong>Die</strong> Aufdeckung der Anomalien durch <strong>empirische</strong> Untersuchungen impliziert<br />

jedoch nicht zwingend das Versagen des Mechanismus der Marktdisziplin, weil<br />

die Überprüfung der These der Marktdisziplin – Effizienzthese – immer im Zu-<br />

3 Pseudowissenschaften sind nicht falsifizierbare Aussagensysteme. Sie verbieten kein <strong>empirische</strong>s Ereignis und<br />

sind aufgrund des leeren Intervalls der Verbote unwiderlegbar.<br />

7


Einleitung<br />

sammenhang mit der Überprüfung eines Gleichgewichtsmodells erfolgt, so dass eine<br />

Ablehnung der verbundenen Hypothesen nie eindeutig dem Versagen der Marktdisziplin<br />

zuzuschreiben ist. Es fehlt somit ein <strong>empirische</strong>r „Beweis“ 4 , ob die Marktdisziplin<br />

hinreichend für das sofortige Ausschalten des Fehlverhaltens bzw. für die<br />

Herstellung der Effizienz am Aktienmarkts ist. Aufgrund der Duhem/Quine Frage 5<br />

bzw. der Unbeobachtbarkeit der Kernvariablen liegt der entsprechende <strong>empirische</strong><br />

„Beweis“ im Bereich des Unmöglichen. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die <strong>empirische</strong><br />

Finanzmarktforschung mit dieser Thematik, die Frage bleibt indessen stets<br />

unbeantwortet. <strong>Die</strong> empirisch aufgedeckten Anomalien liefern den Vertretern der<br />

traditionellen Theorie noch keine Evidenz, dass das Paradigma des rationalen Behaviors<br />

nicht zutrifft, obwohl sie andererseits auch keine <strong>empirische</strong>n Befunde für das<br />

rationale Behavior vorbringen können.<br />

<strong>Die</strong> Denkweise „Entweder-Oder“ schadet einer objektiven wissenschaftlichen<br />

Diskussion über die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>. <strong>Die</strong> Vertreter der traditionellen Theorie gehen<br />

oft unbewusst von der Position aus, dass der Markt entweder rational oder irrational<br />

ist. Der Aktienmarkt kann aber beispielsweise im Segment Bluechips mehr<br />

Rationalität und gleichzeitig im Segment Small-Stocks wenig Rationalität aufweisen.<br />

Somit ist eine „sowohl als auch“ Sichtweise angebracht.<br />

<strong>Die</strong> herrschende Lehre – die Vertreter der traditionellen Theorie – benutzt bei den<br />

Kritiken über <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> doppelte Kriterien. <strong>Die</strong> Frage der Transzendenz<br />

bzw. der <strong>empirische</strong>n <strong>Überprüfbarkeit</strong> gilt auch für die traditionelle Theorie. Ob die<br />

traditionelle Theorie zur Erfahrungswissenschaft gehört, hat sie nicht beantwortet.<br />

Bei der Kritik sollte man zuerst fragen, ob dieselbe Kritik auch für eigene Position<br />

gilt.<br />

Im Hinblick auf die Anerkennung von <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> ist die Frage, ob <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong><br />

zur Erfahrungswissenschaft gehört, eine sehr wichtige Frage. <strong>Die</strong> vorliegende Arbeit hat<br />

das Ziel, einen eigenen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage zu leisten.<br />

4<br />

Streng genommen lässt sich eine Aussage bzw. Theorie nicht beweisen. <strong>Die</strong> kritische Auseinandersetzung kann<br />

nie hinreichende Gründe für die Behauptung erbringen, dass eine Theorie wahr sei. Mit anderen Worten lässt<br />

sich eine Hypothese nicht verifizieren, sondern nur falsifizieren.<br />

5<br />

Duhem/Quine Frage: Es ist unklar, ob eine falsche Prognose die benutzte Theorie, eine Randbedingung oder<br />

einen Bestandteil des Hintergrundwissens widerlegt.<br />

8


Einleitung<br />

III) Aufbau<br />

Zur Beantwortung der Forschungsfragestellung bzw. zur Erreichung der Zielsetzung setzt sich<br />

die vorliegende Arbeit konzentriert mit der Frage auseinander, ob <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> zur<br />

Erfahrungswissenschaft gehört, indem drei Teilfragen behandelt werde:<br />

Das Behavior-Paradigma (Teil 1);<br />

<strong>Die</strong> behavioralen Modelle (Teil 2);<br />

<strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> (Teil 3).<br />

Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Frage, warum die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> eine echte<br />

Alternative zur traditionellen rationalen Finanztheorie darstellt und weshalb der Zweifel an<br />

der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> verfehlt ist. <strong>Die</strong> Diskussion beginnt mit der <strong>empirische</strong>n Evidenz des<br />

Versagens des Paradigmas des rationalen Behaviors, indem die Anomalien bzw. die Existenz<br />

der weichen Faktoren aufgezeigt werden. Danach wird auf die Frage eingegangen, warum der<br />

Paradigmawechsel – von der perfekten Rationalität zur begrenzten Rationalität – notwendig<br />

ist (Kapitel 1). Ein wichtiger Grund, dass die traditionelle rationale Theorie die behavioralen<br />

Faktoren ignoriert, liegt in dem Glauben an die Fehlerfreiheit des Marktes, deren Garant die<br />

Marktdisziplin ist. Kapitel 2 widmet sich deshalb der Frage, warum die Marktdisziplin nicht<br />

hinreichend für einen rationalen Markt ist und weshalb das normative rationale Paradigma<br />

deskriptiv nicht zutrifft. <strong>Die</strong> Arbeit im ersten Teil zeigt, dass die Mitberücksichtigung des<br />

Behaviors in Finanztheorie eine Bereicherung für den Erkenntnisgewinn darstellt.<br />

Im zweiten Teil der Arbeit wird der Ausgangspunkt der <strong>empirische</strong>n Überprüfung bearbeitet.<br />

Im Kapitel 3 werden die behavioralen Erkenntnisse behandelt, welche die Grundlagen der zu<br />

überprüfenden Modelle bilden. Es stellt sich heraus, dass die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> über eine<br />

solide wissenschaftliche Basis verfügt. Im Kapitel 4 werden dann zwei wichtige behaviorale<br />

Modelle – das Overconfidence-Modell und das Sentiment-Modell – dargestellt, um dann auf<br />

die <strong>empirische</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> der Modelle einzugehen.<br />

Der dritte Teil der Arbeit geht der Frage nach, ob die behavioralen Modelle empirisch überprüfbar<br />

sind. Im Kapitel 5 wird mit den Kriterien aus der Logik der Forschung auf die Frage<br />

der <strong>Überprüfbarkeit</strong> eingegangen, weil die Transzendenz der behavioralen Begriffe zu der<br />

9


Einleitung<br />

möglichen Gefahr hinführt, dass sich pseudowissenschaftliche bzw. metaphysische Aussagen<br />

einschleichen können. Nachdem das „Scheiternkönnen“ an Erfahrung gesichert ist, wird dann<br />

im Kapitel 6 die Testbarkeit behandelt. Um wissenschaftliche Sicherheit gewinnen und praktischen<br />

Nutzen aus den behavioralen Ansätzen ziehen zu können, müssen diese testbar sein,<br />

und zwar Out-of-Sample. Somit werden die Möglichkeiten der Out-of-Sample Tests und der<br />

direkten Tests der behavioralen Modelle diskutiert. Aus der Arbeit im dritten Teil geht hervor,<br />

dass Möglichkeiten bestehen, die behavioralen Aussagen empirisch zu überprüfen, d.h., die<br />

Aussage, dass die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> Pseudowissenschaft ist, muss verworfen werden.<br />

10


Behavior-Paradigma<br />

Teil1: Das Behavior-Paradigma<br />

Kapitel 1 Paradigmawechsel: <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong><br />

1.1 Anomalien am Aktienmarkt<br />

1.1.1 Bubble<br />

<strong>Die</strong> Geschichte des Aktienmarkts ist auch eine Geschichte der Bildung von Spekulationsblasen<br />

und ihres Platzens. <strong>Die</strong>sbezüglich sind zahlreiche <strong>empirische</strong> Fakten vorhanden. 6 Das<br />

grösste Ereignis in dem heutigen Aktienmarkt ist die TMT-Bubble:<br />

- Nasdaq Bubble: Im Jahr 1999 hob der Nasdaq-Index zu einem regelrechten Höhenflug<br />

ab, indem dieser um 86% stieg. <strong>Die</strong> im Nasdaq-Index erfassten Unternehmen wiesen<br />

zum Jahreswechsel im Durchschnitt ungewöhnlich hohe K-G-V von über 200:1<br />

auf, während die K-G-V beim S&P 500 zu diesem Zeitpunkt etwa 30:1 betrugen. Der<br />

Höhenflug setzte sich nach dem Jahreswechsel fort, und in den ersten zwei Monaten<br />

stieg der Nasdaq um weitere 13% an. <strong>Die</strong> Wende tritt dann nach dem Rekordhoch von<br />

5132 am 10. März 2000 ein, in rund einem Monat fiel der Index um 34% auf 3321.<br />

Der Freifall setzte sich in Form eines Crashs in Raten fort, und bis Ende März 2001<br />

fiel der Index auf 1820, einem Drittel seines Rekordhochs. 7<br />

- Irrationaler Überschwang: Am 10. Dez. 1999 wurde im Nasdaq-Handel einem erst<br />

fünfjährigen Erlöswinzling mit einem gegenwärtigen Jahresumsatz von 17.7 Mio. $<br />

und einem Verlust von 14.5 Mio. $ bereits ein Marktwert von über 9 Mrd. $ zugeordnet.<br />

<strong>Die</strong> Rede ist von der kalifornischen Computerunternehmung VA Linux Systems,<br />

welcher am 9. Dez. 1999 ein spektakuläres Börsendébut gelang. Der Kurs des Nasdaq-<br />

Neulings wurde von den Anlegern am ersten Handelstag von 30$ um haarsträubende<br />

698% auf 239$ katapultiert. Hinter dem Höhenflug der Titel von VA Linux standen<br />

die wirbelhaften Erwartungen, welche in die frei zugängliche Betriebssoftware Linux<br />

gesteckt wurden. 8 <strong>Die</strong> Blase platzte jedoch, und die Spekulation endete mit einem<br />

„Massaker“: Der Aktienpreis fiel von 239$ auf 3$! 9<br />

6<br />

Vgl. Shiller (2000) S. 3-16.<br />

7<br />

Datenquelle: Reuters.<br />

8<br />

Vgl. NZZ. 11.12.99, S.33.<br />

9<br />

Ende März 2001 werden die Linux-Aktien zum 3$ gehandelt.<br />

11


Abbildung 1: TMT-Bubble<br />

6000<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

21.11.1997<br />

21.01.1998<br />

21.03.1998<br />

21.05.1998<br />

21.07.1998<br />

21.09.1998<br />

21.11.1998<br />

Behavior-Paradigma<br />

TMT-Bubble (Nasdaq)<br />

21.01.1999<br />

21.03.1999<br />

21.05.1999<br />

Nasdaq-Index (Source: Reuters)<br />

21.07.1999<br />

21.09.1999<br />

Folgt man dem traditionellen Konzept, dürften keine systematischen Abweichungen zwischen<br />

dem Marktpreis und Fundamentalwert 10 existieren, da es postuliert, dass die Preise den jeweiligen<br />

Informationsstand vollkommen widerspiegeln, und dank der Marktdisziplin der Preis<br />

fehlerfrei sein soll. Der vom traditionellen Konzept vorgestellte Aktienmarkt kennt keine behaviorale<br />

Verzerrungen und soll bubblefrei sein. <strong>Die</strong>sem Standpunkt fehlt jedoch die <strong>empirische</strong><br />

Evidenz. Bereits im Jahre 1981 hat Shiller durch seine <strong>empirische</strong> Untersuchung gezeigt,<br />

dass Kursbewegungen zu volatil seien, um ausschliesslich auf das Auftreten neuer Informationen<br />

über zukünftige Dividenden zurückgeführt werden zu können. Shiller macht darauf<br />

aufmerksam, dass Dividenenreihen glatte Verläufe haben, während die Reihen der Aktienkurse<br />

eine starke Volatilität aufweisen. Er stellt die Hypothese auf, dass Aktienpreise zu volatil<br />

seien, um ihre Veränderung ausschliesslich durch das Auftreten neuer, den fundamentalen<br />

Wert betreffenden Informationen erklären zu können. 11 <strong>Die</strong> Untersuchung von Shiller, welche<br />

eine grosse bzw. systematische Abweichung des Marktpreises vom zugrundeliegenden Fundamentalwert<br />

empirisch aufgezeigt hat, sollte jedoch mit Vorsicht beurteilt werden, weil sich<br />

Shiller äusserst umstrittener Hilfshypothesen, wie die Annahmen der Konstanz der erwarteten<br />

10<br />

Fundamentalwert: the interest-rate-discounted cash flows of expected dividends.<br />

11<br />

Vgl. Shiller (1981) S.421, „stock prices move too much to be justified by subsequent changes in dividends.”;<br />

Als Messgrösse für die Überprüfung seiner Hypothese bediente sich Shiller der Varianz beobachteter Kursverläufe<br />

sowie der Varianz des sog. ex post rationalen Preises, welcher anhand der Dividendenreihen kalkuliert wird<br />

und dem Preis entspricht, der sich ergeben würde, wenn die zukünftigen Dividenden von Anfang an bekannt<br />

wären.<br />

12<br />

21.11.1999<br />

21.01.2000<br />

21.03.2000<br />

21.05.2000<br />

21.07.2000<br />

21.09.2000<br />

21.11.2000<br />

21.01.2001<br />

21.03.2001


Behavior-Paradigma<br />

Rendite und der Stationarität des stochastischen Prozesses, der die Dividendenreihen generiert,<br />

bedient hat. 12 Der wissenschaftliche Beitrag von Shiller liegt primär darin, dass er die<br />

Möglichkeit einer systematischen Abweichung aufgezeigt hat. <strong>Die</strong>se systematische und permanente<br />

Abweichung wird durch weitere Untersuchungen bestätigt, und das traditionelle<br />

Konzept kann die Existenz von Bubble nicht abstreiten. Gemäss der neuen Untersuchung von<br />

„Morgan Stanley Resarch“ (12.2000) beträgt die durchschnittliche Abweichung des Marktpreises<br />

von seinem Fairpreis 25%, und die maximale Abweichung beträgt gar 75%. 13 <strong>Die</strong><br />

Gemeinsamkeit mit Shiller’s Studie liegt darin, dass sich der Marktpreis selten in der Nähe<br />

seines Fundamentalwertes (Fairpreises) bewegt und dass die Bubble anstatt der Ausnahme<br />

einen Regelfall bildet. Im rationalen Konzept darf diese Abweichung (Bubble) jedoch nicht<br />

existieren.<br />

Abbildung 2: Abweichung des Marktpreises von seinem Fundamentalwert<br />

Note: Real modified Dow Jones Industrial Average (solid line p ) and ex post rational price (dotted line p*),<br />

1928-1979, both detrended by dividing by a long-run exponential growth factor. The variable p* is the present<br />

value of actual subsequent real detrended dividend, subject to an assumption about the present value in<br />

1979 of dividends thereafter. Source: Shiller (1981).<br />

12 Bezeichnend ist, dass die Fragwürdigkeit der von Shiller herangezogenen Hilfshypothesen von den Effizienzanhängern<br />

zurecht hervorgehoben wurden, ohne dabei darauf zu achten, dass dieselben Hilfshypothesen bei den<br />

effizienzunterstützenden Untersuchungen verwendet wurden, so dass ihre Verwerfung die gesamte Effizienzforschung<br />

zum Teil kompromittiert. Vgl. Cymbalista (1998) S.56;<br />

13 Vgl. http://mstoday/mstoday/news/20010105/d7.shtml;<br />

13


1.1.2 Saisonale Effekte<br />

Behavior-Paradigma<br />

Saisonale Effekte stellen aus Sicht des traditionellen Konzeptes eine Anomalie dar, weil die<br />

fundamentalen Informationen, welche allein die Preisveränderungen bestimmen sollten, keine<br />

saisonalen Muster kennen. <strong>Die</strong> Hauptanomalie im Rahmen des sogenannten Kalendereffektes<br />

besteht im Januareffekt. <strong>Die</strong>ser Effekt wird auf die Beobachtung zurückgeführt, dass die monatliche<br />

Rendite des Januars überdurchschnittlich hoch ist. Nach der <strong>empirische</strong>n Studie von<br />

Rozeff und Kinney beträgt zwischen 1904 und 1974 die durchschnittliche Januarrendite von<br />

Aktien der NYSE 3.5%, während die durchschnittliche Rendite der anderen Monate lediglich<br />

0.5% beträgt. D.h., ein Drittel der jährlichen Rendite stammt allein aus dem Monat Januar. 14<br />

Nicht nur die Rendite der Titel von Indexfirmen ist mit dem Monat Januar korreliert, die Rendite<br />

von Titel kleiner Firmen weist eine noch stärkere Korrelation auf: <strong>Die</strong> Hälfte der Rendite<br />

wird im Januar erwirtschaftet, wobei die Hälfte der Januarrendite wiederum aus den ersten<br />

fünf Handelstagen stammt. 15 Der Januareffekt ist kein Einzelphänomen in den USA, sondern<br />

international evident: Gultekin hat in seiner <strong>empirische</strong>n Studie gezeigt, dass die Januarrendite<br />

in 15 von 16 wichtigen Industrieländern evident hoch ist und dass die Januarrendite in Belgien,<br />

Italien und Holland sogar höher als die durchschnittliche Rendite des ganzen Jahres ist. 16<br />

<strong>Die</strong> Hypothese des Tax-Loss-Sellings kann die Januarverzerrung nur teilweise erklären, weil<br />

erstens der Januareffekt in Ländern ohne eine solche Gesetzgebung wie in Japan beobachtbar<br />

ist, und zweitens der Januareffekt in Ländern mit dem Beginn des Steuerjahres im April oder<br />

Juli (wie in England und Australien) auch evident ist. 17<br />

Nicht nur die Monate, sondern auch die Wochentage haben Einfluss auf die Assetrendite.<br />

Gemäss der <strong>empirische</strong>n Studie von Cross mit den Daten von 1953 bis 1970 aus den USA<br />

stieg der S&P 500 Index am Freitag mit einer Wahrscheinlichkeit von 62%, während die<br />

Wahrscheinlichkeit eines Kursgewinns am Montag nur gerade 39.5% betrug. In dieser Periode<br />

lag der Mean Return am Freitag bei 0.12% und am Montag bei -0.18%. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit,<br />

dass die grosse Renditedifferenz zwischen Freitag und Montag durch Zufall generiert<br />

14<br />

Vgl. Rozeff und Kinney (1976) S.379-380.<br />

15<br />

Vgl. Donald Keim (1983) S.13.<br />

16<br />

Vgl. Gultekin und Gultekin (1983) S.469-470.<br />

17<br />

Andere <strong>empirische</strong> Studien über den Januareffekt: Roll (1983); Reinganum (1983), Banz (1981); Tinic und<br />

West (1984); Tinic und West (1984) haben beispielsweise gezeigt, dass die Rendite-Risiko-Beziehung nur im<br />

Januar eindeutig ist und die High-β-Stocks in anderen Monaten keine hohe Rendite abwerfen. Mit anderen Worten<br />

ist CAPM ein Januarphänomen.<br />

14


Behavior-Paradigma<br />

wird, ist kleiner als eins zu einer Million. 18 <strong>Die</strong> Studie von French mit den Daten aus S&P 500<br />

zwischen 1953 und 1977 liefert ein ähnliches Resultat: Der Mean Return für den Montag ist<br />

negativ ( -0.168%, t = -6.8); Und der Mean Return für andere Wochentage ist positiv, mit<br />

höchster Rendite am Mittwoch und Freitag. 19 Da die negative Rendite zwischen dem Handelsschluss<br />

vom Freitag und dem Handelsbeginn am Montag entsteht, wird diese Renditeanomalie<br />

auch als Weekend Effect bezeichnet. <strong>Die</strong> negative Rendite am Montag wird weitgehend<br />

durch andere <strong>empirische</strong> Studien bestätigt. 20<br />

<strong>Die</strong> Unregelmässigkeit des Eintretens der Informationen über die fundamentalen Faktoren ist<br />

inkonsistent mit dem saisonalen Muster im Assetpreis. Bereits im Jahr 1931 hat Fields im<br />

Journal of Business den Weekend Effect aufgezeigt, 21 andere Autoren haben auch in der Gegenwart<br />

zahlreiche <strong>empirische</strong> Studien über saisonale Effekte publiziert. <strong>Die</strong> Investoren sollten<br />

über diese Anomalien (Fehlbewertungen) informiert sein, warum aber werden diese Fehler<br />

nicht durch Marktdisziplin eliminiert?<br />

18<br />

Vgl. Cross (1973) 67-69.<br />

19<br />

Vgl. French (1980) S.55-57.<br />

20<br />

Andere <strong>empirische</strong> Studien über den Weekend Effect: Gibbons and Hess (1981); Rogalski (1984); Smirlock<br />

and Starks (1986); Lakonishok and Smidt (1987);<br />

21<br />

Vgl. Thaler (1992) S.143.<br />

15


1.1.3 Weitere Anomalien<br />

Behavior-Paradigma<br />

“Modern <strong>Finance</strong> now faced a myriad of anomalies coming from every direction.” 22 Es gibt<br />

eine Reihe von Anomalien, wenn die rationale Bewertung – welche die behavioralen Elemente<br />

ignoriert – die Ausgangslage der Betrachtung ist. DeBondt und Thaler fasst diese Situation<br />

wie folgt zusammen: „<strong>Finance</strong> consists of theories for which there is no evidence and empirical<br />

facts for which there is no theory.” 23<br />

Beispielsweise schütten Firmen trotzdem Dividenden aus, wenn auch die Aktionäre dadurch<br />

finanziell schlechter gestellt sind. Immer mehr Investoren bevorzugen das Aktivportfolio,<br />

obwohl dessen Performance in den meisten Fällen schlechter als der Index und das Alpha<br />

vieler dieser Aktivportfolios dauerhaft negativ ist. <strong>Die</strong> Anteile von Close-End-Funds werden<br />

zu einem Preis gehandelt, der anders als der Marktpreis der Wertpapiere im Portfolio ist, und<br />

im Allgemeinen ist der Preis deutlich niedriger als dessen Net-Asset-Value. Zwischen 1965-<br />

1985 lag der durchschnittliche Diskont in den USA bei 10.1%. 24 Am 19. Oktober 1987 fielen<br />

die Aktienpreise um mehr als 20% innerhalb eines Tages, und die „financial news” an diesem<br />

Tag sind nicht die unerwarteten Schocks bezogen auf fundamentale Faktoren, sondern allein<br />

der Crash selbst. 25 Das Börsenjahr 1999 und 2000, in welchem die Blasenbildung bzw. deren<br />

Platzen das Hauptgeschehen bildete, lieferte wenig <strong>empirische</strong> Anhaltspunkte dafür, dass die<br />

Marktdisziplin eine sofortige Eliminierung der Fehler garantierte. <strong>Die</strong> Liste der Anomalien<br />

wird immer länger: 26<br />

<strong>Die</strong> <strong>empirische</strong>n Befunde wie der Short-Term Momentum 27 oder der Long-Term<br />

Reversal 28 sind inkonsistent mit der Annahme des Randomwalks und der daraus abgeleiteten<br />

Unvorhersehbarkeit der Renditeveränderung;<br />

22<br />

Vgl. Haugen (1999) S.7.<br />

23<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S. 386.<br />

24<br />

Vgl. Shleifer, Thaler und Lee (1992) S.170.<br />

25<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S. 386.<br />

26<br />

Aufgrund von diversen Problemen in den allgemeinen <strong>empirische</strong>n Untersuchungen (wie Survival Bias, Look-<br />

Ahead Bias, Bid-Asked Bounce, Data Snooping und Data Mining) sollten die Resultate der Anomalienuntersuchungen<br />

wie bei allen anderen <strong>empirische</strong>n Untersuchungen mit Vorsicht beurteilt werden. Wichtig ist hier jedoch<br />

nicht die Exaktheit der Resultate, sondern die empirisch belegte Möglichkeit, dass die Anomalie tatsächlich<br />

existiert. Details der Probleme der <strong>empirische</strong>n Untersuchungen vgl. Haugen (1999) S.63-69.<br />

27<br />

Short-Term Momentum: Bei kurzfristigem Zeithorizont (bis 9 Monate) bleibt der Gewinner weiterhin auf der<br />

Gewinnseite und der Verlierer meistens unverändert auf der Verliererseite. Vgl. Jagadeesh und Titman (1993),<br />

Daniel (1996), Rouwenhorst (1998); Hong, Lim and Stein (1998); Lee and Swaminathan (1999);<br />

28<br />

Long-Term Reversal: Bei langem Zeithorizont (3 bis 5 Jahre) wechselt der Gewinner zum Verlierer und der<br />

Verlierer umgekehrt zum Gewinner. Vgl. Fama und French (1988); Chorpra, Lakonishok, and Ritter (1992);<br />

Richards (1997).<br />

16


Behavior-Paradigma<br />

Zahlreiche <strong>empirische</strong> Studien haben gezeigt, dass neben Risiko (Volatilität) auch<br />

andere Faktoren wie Size 29 und Market-to-Book Ratio 30 mit der Rendite korreliert<br />

sind;<br />

Es lässt sich eine systematische und permanente Abweichung zwischen dem Marktpreis<br />

und Fundamentalwert beobachten.<br />

Es wird beispielsweis ex post eine Long-Short (zero cost) Portfoliostrategie identifiziert,<br />

welche auf Size, Book-to-Market Ratio und Momentum basiert. Im Zeitraum von<br />

1963 bis 1997 31 hat diese Portfoliostrategie eine permanente Überschussrendite erwirtschaftet<br />

und verfügt über eine Sharpe Ratio, welche dreimal höher als jene des Markt-<br />

Indexes ist. <strong>Die</strong> Überschussrendite lässt sich nicht durch das traditionelle Risikokonzept<br />

erklären. In der Tat ist das Beta dieser Strategie negativ. 32<br />

Es sollen nun an dieser Stelle einige wichtige abnormale Pattern dargestellt werden:<br />

Abbildung 3: Anomalie - Rendite/Risiko Beziehung<br />

Average returns on mutual Fonds (over the treasury bill rate) vs. their market betas; US-Data sample 1962-1996 from<br />

CRSP (Center for Research in Security Prices); E(R i ) - R f = αi + βi * 9%; market return (β = 1; excess return = 9%);<br />

Source: Cochrane (1999a) P.26<br />

29<br />

Size-Anomalien: Vgl. Banz (1981), Basu (1983); Fama und French (1998b);<br />

30<br />

Market-to-Book-Anomalien: Vgl. DeBondt und Thaler (1987), Fama und French (1998b);<br />

31<br />

Mit den Daten aus dem US-Markt.<br />

32<br />

Vgl. Daniel und Titman (1999) S.34; CAPM-Beta dieser Strategie ist –0.258 (mit α = 1.17% / pro Monat, und<br />

t=6.62);<br />

17


Behavior-Paradigma<br />

Abbildung 4: Anomalie - Long Term Reversal<br />

Cumulative Average Residuals for Winners and Loser Portfolios of 35 Stocks (1-60 months into the test period); US-Data<br />

sample 1962-1982 from CRSP. Cumulative abnormal returns for two portfolios, one consisting of past losers and the other<br />

consisting of past winners. Past losers subsequently outperform, while past winners subsequently underperform. Source:<br />

DeBondt and Thaler (1985) P. 803.<br />

Abbildung 5: Anomalie - Differenz zwischen Preis und Wert<br />

Fundamental Value versus Actual Price, 1925-1999: Stock prices tend to stray from fundamental value<br />

for long periods of time. The period after 1994 is especially striking.<br />

Source: Shefrin (2000) P. 39.<br />

18


Behavior-Paradigma<br />

Abbildung 6: Anomalie - Short Term Momentum<br />

Cumulative Abnormal Returns (CAR) to Portfolios Based upon Standardized Unexpected Earnings (SUE).<br />

What happens to stock prices after earnings surprises: price momentum is greater for bigger surprises. Cumulative<br />

abnormal return pattern is steeper with the magnitude of surprise (SUE).<br />

Source: Bernard (1993) P. 307.<br />

19


Behavior-Paradigma<br />

1.2 Erfahrungsobjekt: Weiche Faktoren am Aktienmarkt 33<br />

Finanzmarkttheorie ist eine Erfahrungswissenschaft, deren Ausgangspunkt die Erfahrung am<br />

Markt sein muss. Dem rationalen Konzept zufolge ist der Assetpreis allein durch die Erwartung<br />

über die diskontierten zukünftigen Cashflows des Underlyings bestimmt, und die Erwartung<br />

ist rational, d.h., der Investor ist unter gegebenen Informationen zu einer einzigen Erwartung<br />

– der rationalen Erwartung, nämlich der perfekten Voraussicht – inhärent verpflichtet.<br />

Nur die Veränderung der fundamentalen Faktoren, welche zur Veränderung der diskontierten<br />

zukünftigen Cashflows des Underlyings führen, kann eine Preisveränderung auslösen. Somit<br />

sollten die weichen Faktoren, wie beispielsweise das Behavior, im Hinblick auf die Preisveränderungen<br />

keine Rolle spielen. <strong>Die</strong> Hypothese des rationalen Konzepts entspricht jedoch<br />

nicht der Erfahrung, wie die vorausgehende Diskussion über Anomalien eindrücklich zeigt.<br />

Der Begriff „Stimmung“ 34 ist am Aktienmarkt weit verbreitet. <strong>Die</strong> Stimmung wird als zuversichtlich<br />

bezeichnet, wenn eine rege Nachfrage herrscht und neue Investitionen getätigt werden.<br />

Von lustloser oder schläfriger Stimmung ist die Rede, wenn nur geringe Kauf- oder Verkaufsaktivitäten<br />

zu verzeichnen sind. <strong>Die</strong> Stimmung wird dann als depressiv beschrieben,<br />

wenn die Mehrheit der Investoren bearish sind und folglich von Überverkauf die Rede ist.<br />

Schliesslich wird sogar ein psychologischer Begriff wie „Panik“ herangezogen, um die Stimmung<br />

bei einem Crash exakt beschreiben zu können. <strong>Die</strong> Stimmung bringt die kollektiven<br />

Verhaltenstendenzen der Investoren am Aktienmarkt zum Ausdruck. Das aktuelle Marktgeschehen<br />

ist auch mit der Stimmung eng verbunden: Euphorie (eine Haussestimmung mit<br />

Hoffnung als Dominante) oder Depression (eine Baissestimmung mit Angst als Dominante)<br />

kann Auf- oder Abwärtsbewegungen an der Börse auslösen, die sich von der wirtschaftlichen<br />

Realität lösen. Beispielsweise lassen sich positive Bubbles beobachten, wenn Euphorie<br />

herrscht, 35 und hingegen sind negative Bubbles zu beobachten, wenn sich die Marktteilnehmer<br />

in einer depressiven Stimmung befindet. Neben „Rendite, Risiko sowie Informationen<br />

33<br />

„Weiche Faktoren am Aktienmarkt“ wird hier als Sammelbegriff für das Verhalten angewandt, welches von<br />

der traditionellen rationalen Verhaltensannahme abweicht.<br />

34<br />

Gemäss der kognitiven Psychologie stehen Stimmung und Denken in einer engen Wechselbeziehung. Während<br />

die Gedankeninhalte einer Person ihre Stimmung beeinflussen, beeinflusst die Stimmung, was ihr in den<br />

Sinn kommt, wie sie Dinge bewertet und in welcher Art sie über Probleme nachdenkt. Eine stimmungsbedingte<br />

selektive Erinnerung führt zur Verzerrung in der Verarbeitung der Informationen sowie in den evaluativen Urteilen.<br />

Vgl. Schwarz und Bohner (1990) S.165-S.170.<br />

35<br />

Euphorie am Aktienmarkt: Von den Wachstumsaktien im US-Aktienmarkt in den 60er Jahren über die Junkbonds<br />

der 80er Jahre und die Biotech-Aktien in den 90er Jahren bis zu den TMT-Titeln in der Gegenwart.<br />

20


Behavior-Paradigma<br />

über die Fundamentalwerte“ ist an den Börsen auch „Hoffnung und Angst“ am Werke. <strong>Die</strong><br />

durch Hoffnung motivierte Haussestimmung kann zu spekulativen Blasen führen, während<br />

die durch Angst herbeigeführte Baissestimmung zum Platzen solcher Blasen führen kann.<br />

Somit oszillieren die Kurse um einen „vernünftigen“ Wert herum. Mit anderen Worten werden<br />

die Schwankungen der Kurse nicht nur durch die Veränderungen der fundamentalen Faktoren<br />

herbeigeführt, sondern auch durch die Veränderungen der weichen Faktoren mitgeprägt.<br />

Beispielsweise können die dramatischen Kurseinbrüche an den Börsen im Oktober 1987 36<br />

nicht allein auf realwirtschaftliche und politische Änderungen zurückgeführt werden. <strong>Die</strong> relevanten<br />

wirtschaftlichen Daten (z.B. Aussenhandelsbilanz, Haushaltsdefizite der USA, der<br />

sinkende Dollar, Inflationsbefürchtungen, fehlende Zinssenkungssignale aus Japan und<br />

Deutschland) waren zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem bekannt, ohne dass sie einen<br />

nachteiligen Einfluss auf die Kursentwicklung gehabt hätten. Am Crashtag waren keine neuen<br />

unerwarteten negativen Informationen eingetroffen. Darüber hinaus sprach eine Vielzahl wirtschaftlicher<br />

Daten für eine weitere Hausse an der Börse, wie Gewinnzuwächse der amerikanischen<br />

Unternehmen, ihre hohe Liquidität sowie ein allgemeiner Optimismus, dass die USA in<br />

der nahen Zukunft vorhandene Defizite werde abbauen können. Mit anderen Worten können<br />

vor und während dem Crash keine unerwartete Informationsschocks über harte Faktoren – die<br />

fundamentalen Faktoren – gefunden werden, welche die dramatischen Kurseinbrüche am Aktienmarkt<br />

rechtfertigen können. Aus Sicht des traditionellen rationalen Konzepts ist der Crash<br />

„unerwartet“, und der Grund dafür ist, dass der weiche Faktor - das Behavior – ignoriert worden<br />

ist.<br />

Nach den psychologischen Erkenntnissen ist beispielsweise eine Asymmetrie zwischen Gewinn-<br />

und Verlustverhalten des Investors festzustellen: Der Schmerz wegen des Verlustes<br />

einer Geldeinheit aus einer Investition ist zwei- bis dreimal höher als die Freude aufgrund<br />

eines Gewinns einer Geldeinheit aus der Investition. Eine kleine Korrektur des Marktpreises<br />

kann oft zu einem Crash führen, wenn die Investoren in Panik geraten und daher schnell eine<br />

Entscheidung zur Vermeidung von weiteren potenziellen Verlusten treffen, weil die Schmerzgrenze<br />

auf keinen Fall überschritten werden darf. Im Falle einer Panik verhält sich der Investor<br />

irrational und kurzfristig, 37 ohne die langfristigen Potenziale seines Investments zu be-<br />

36 Studien über den Crash im Oktober 1987, vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.129-135; Geiger (1990) S. 213-<br />

237;<br />

37<br />

Modelansatz für dieses Behavior: Pain-Avoidance-Model (PAM).<br />

21


Behavior-Paradigma<br />

rücksichtigen. Finanzmarktkrisen folgen aus <strong>behavioraler</strong> Perspektive zumeist auch einem<br />

Muster, hinter dem die Logik der Panik steht. 38<br />

Im Falle des Crashs von 1987 schien die Schmerzgrenze erreicht zu sein, als sich die im September<br />

1987 beginnende Korrektur auch im Oktober 1987 fortsetzte und die Kurse in der<br />

Woche vom 12. Oktober um 9.5% fielen. 39 <strong>Die</strong> Nervosität des Marktes war zu jenem Zeitpunkt<br />

sozusagen an der oberen Grenze angelangt und eine weitere kleine Korrektur konnte<br />

Panik auslösen und den Zusammenbruch herbeiführen. <strong>Die</strong> Kurse fielen am 19. Oktober 1987<br />

dann ohne preisrelevante neue Informationen über die fundamentalen Faktoren innerhalb eines<br />

Tages um 23%, die einzige kursrelevante Information war die Panik der Investoren. 40 Im<br />

Falle einer Panik gehen alle gleichzeitig short und der Preis verliert somit seine Signalfunktion<br />

bezüglich des Fundamentalwertes. An jenem Tag reflektierte der Preis nur die Panik des<br />

Marktes.<br />

Der Crash von 1987 ist auch Untersuchungsobjekt von Shiller. 41 In seinen Umfragen ging er<br />

vor allem auf drei Fragen ein: Welche News haben den Crash ausgelöst? Was war die Ursache<br />

des Crashs? Welche Theorie kann den Crash besser erklären? Im Hinblick auf die Frage<br />

über die Informationen kam in seiner Studie zum Schluss, dass die Informationen über die<br />

Veränderungen der fundamentalen Faktoren vor und während dem Crash von den durchschnittlichen<br />

Investoren lediglich als „moderate important“ 42 , hingegen die Informationen<br />

über „past price declines themselves“ als „very important“ eingestuft wurden. Das bedeutete,<br />

dass die dramatischen Kurseinbrüche nicht direkt durch neu unerwartete Informationen über<br />

die harten Faktoren ausgelöst waren. In Bezug auf die Frage über die Ursache ging die Mehrheit<br />

der befragten Marktteilnehmer davon aus, dass Overpricing, Programm Trading (Portfolio<br />

Insurance) bzw. die Panik die dramatischen Preisveränderungen herbeiführten. <strong>Die</strong> Marktteilnehmer<br />

vertraten nach eigenen Erfahrungen somit nicht den Standpunkt, dass die Preisveränderungen<br />

die Veränderungen der fundamentalen Faktoren reflektieren müssen. 43 Was die<br />

Erklärung der dramatischen Preisveränderung betraf, vertraten 64% der Privatinvestoren bzw.<br />

38<br />

Vgl. Sachs (1999) S.136.<br />

39<br />

Vgl. Geiger (1990) S. 214;<br />

40<br />

Vgl. Geiger (1990) S. 215;<br />

41<br />

Vgl. Shiller (2000) S.88 – 95.<br />

42<br />

Das heisst, dass vor und während dem Crash keine unerwarteten Informationsschocks vorliegen.<br />

43<br />

Nur 1/3 der Privatinvestoren bzw. 1/5 der institutionellen Investoren betrachtete die Bedenken der Marktteilnehmer<br />

über eine mögliche Verschlechterung der fundamentalen Faktoren auch als Ursache für die dramatischen<br />

Preisveränderungen im Oktober 1987. Vgl. Schiller (2000) S. 89.<br />

22


Behavior-Paradigma<br />

67.5% der institutionellen Investoren die Meinung, dass die Investor-Psychologie besser als<br />

andere Theorien die Preisveränderung erklären kann.<br />

Was den Einfluss der weichen Faktoren am Aktienmarkt betrifft, und ob die normative Annahme<br />

des rationalen Behaviors deskriptiv zutrifft, gibt die Erfahrung am realen Markt die<br />

beste Antwort. Jeder hat seine eigene Erfahrung mit diesem Markt, der nichts anderes als ein<br />

Treffpunkt für Menschen ist, die etwas oder sich über etwas austauschen möchten. Der Markt<br />

bzw. das Behavior des Marktteilnehmers in dem Markt ist nicht mystisch, sondern der Erfahrung<br />

zugänglich. Im Hinblick auf die Frage, wie sich der Marktteilnehmer unter realen Bedingungen<br />

tatsächlich verhält, liefert der Erlebnisbericht des professionellen Marktteilnehmers<br />

eine wertvolle Zusammenfassung der Erfahrungen:<br />

Erlebnisbericht eines Händlers I:<br />

“Ninety percent of what we do is based on perception. It doesn’t matter if that perceptions is<br />

right or wrong or real. It only matters that other people in the market believe it. I may know<br />

it’s crazy, I may think it’s wrong. But I lose my shirt by ignoring it. This business turns on<br />

decisions made in seconds. If you wait a minute to reflect on things, you’re lost. I can’t afford<br />

to be five steps ahead of everybody else in the market. That’s suicide.” 44<br />

Erlebnisbericht eines Händlers II:<br />

„Schon bei Tagesanbruch spürt der Händler den permanenten Zwang des Gewinnen-Müssens.<br />

Seine erste Aufgabe ist die Abfrage der Kurse, um ein „Gefühl“ für den Markt zu bekommen.<br />

Nach eingehenden Beratungen, manchmal aber auch einfach aus einem unbestimmten Gefühl<br />

heraus, geht der Händler long. Entwickelt sich der Kurs erwartungsgemäss, verwandelt sich<br />

die Hoffnung relativ schnell in Freude, die sich je nach Temperament des Händlers, gar zu<br />

Ausgelassenheit und Übermut steigern kann. Der Gewinn wird realisiert. Neben der psychologischen<br />

Genugtuung, richtig gelegen zu sein, ist ausserdem noch ein materieller Gewinn<br />

entstanden. Mit dem Erfolg wächst der Mut. Eine zweite Investition wird getätigt. <strong>Die</strong> Informationsphase<br />

des Händlers fällt beim zweiten Mal etwas flüchtiger und kürzer aus, da er ja<br />

eigentlich schon weiss, was er will – auch der Informationsaustausch dient eigentlich eher der<br />

Bestätigung der persönlichen Ansicht über die nächste Kursentwicklung als einer kritischen<br />

44 Vgl. Christoph (1994) S.103.<br />

23


Behavior-Paradigma<br />

Auseinandersetzung mit dem Marktumfeld. Auch der zweite Trade gelingt – die Zufriedenheit<br />

wächst. Der Händler hat das Gefühl, derzeit einen guten Riecher zu haben. Objektive Informationen<br />

und Interpretationen (sofern es diese überhaupt gibt) werden nicht mehr verlangt,<br />

sondern man handelt nur noch „aus dem Bauch“ heraus. Der Erfolgverwöhnte neigt zu versuchen,<br />

das Gefühl von Freude und Anerkennung möglichst häufig zu wiederholen. Das gesteigerte<br />

Selbstbewusstsein verführt dazu, nunmehr grössere Positionen im Vergleich zu früher<br />

einzugehen. Man wird gierig, nach höheren Gewinnen und nach Anerkennung. Mit Glück<br />

kommt der Erfolg in Serie, es beginnt eine Phase des Wohlbefindens und der gesteigerten<br />

Lebensfreude, die man als Euphorie bezeichnet. <strong>Die</strong> Gefühlsstadien Hoffnung, Freude, Gier<br />

und Euphorie, wie sie bei vielen erfolgreichen Marktteilnehmern vorkommen, verzerren, je<br />

nach erlebter Intensität, den Blick für die Realität. <strong>Die</strong> für das Engagement positiven Informationen<br />

werden oft stark vergrössert wahrgenommen, während bedrohliche Marktveränderungen<br />

kaum das Bewusstsein des Händlers erreichen. <strong>Die</strong> Wende kommt dann, als sich der<br />

Markt gegen die Erwartung bewegt ....“ 45<br />

45 Vgl. Goldberg und Nitzsch (2000) S. 32-37.<br />

24


Behavior-Paradigma<br />

1.3 Paradigmawechsel: <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong><br />

1.3.1 Anomalien als Herausforderung<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen auf die Existenz der Anomalien sind unterschiedlich. <strong>Die</strong> Vertreter des traditionellen<br />

rationalen Konzepts führen die Anomalien ausschliesslich auf die technischen Fehler<br />

wie Modellspezifikationen oder Datenprobleme zurück, für sie ist die <strong>empirische</strong> Erfahrung<br />

am Aktienmarkt, die Erfahrung des Marktteilnehmers mit Bubble bzw. die <strong>empirische</strong>n Befunde<br />

der Anomalien-Untersuchungen, eine falsche Wirklichkeit. Der Aktienmarkt muss fehlerfrei<br />

sein, d.h., der Marktpreis muss der Reflex der rationalen korrekten Erwartung über den<br />

Fundamentalwert sein, und systematische Über- bzw. Unterreaktionen (Bubbles) sind auszuschliessen.<br />

Trotz diverser Anpassungen des rationalen Konzepts lassen sich die Anomalien<br />

aber nicht innerhalb der bestehenden rationalen Theorien zum Verschwinden bringen, im Gegenteil,<br />

die Liste der Anomalien wird immer länger, und das Versagen des traditionellen rationalen<br />

Konzepts wird immer evidenter.<br />

Aus der Perspektive der Evolution der Theorien ist die Entdeckung der Anomalien jedoch<br />

eine gute Nachricht für die Forschung. Thomas Kuhn zufolge sollten die wissenschaftlichen<br />

Weiterentwicklungen auch diesen Entdeckungen verdankt werden, denn „discovery commences<br />

with the awareness of anomaly, i.e., with the recognition that nature has somehow violated<br />

the paradigm-induced expectations that govern normal science.” 46 <strong>Die</strong> Entdeckung des<br />

abnormalen Patterns gibt der Forschung neuen Schub. Immer mehr Forscher beginnen, das<br />

Paradigma des rationalen Behaviors in Frage zu stellen, und führen das Versagen des rationalen<br />

Konzepts auf „lack of common knowledge of rationality“ zurück (Hens 2001). Gemäss<br />

Haugen ist Anomalie “evidence of behavior that contradicts accepted theoretical prediction.”<br />

47 Das durch traditionelles Konzept wegrationalisierte Behavior erweckt wieder die<br />

Aufmerksamkeit der gegenwärtigen Forschung, und trotz des heftigen Widerstands der Vertreter<br />

der traditionellen Theorien findet das neue Behavior-Paradigma immer mehr Akzep-<br />

tanz. 48<br />

46 Vgl. Thaler (1992) S.5.<br />

47 Vgl. Haugen (1999) S.8.<br />

48 „Fortunately, even when the mud is thick, truth always makes its way to the surface.” Vgl. Haugen (1998) S.7.<br />

25


1.3.2 Altes Paradigma<br />

Behavior-Paradigma<br />

Das traditionelle Konzept beruht auf dem Paradigma des rationalen Behaviors. <strong>Die</strong> entsprechende<br />

Rationalität wird als Maximierung des Erwartungsnutzens (Gewinnmaximierung)<br />

spezifiziert, und der „homo oeconomicus“ wird als repräsentativer bzw. durchschnittlicher<br />

Investor betrachtet. Der Glaube an Rationalität bzw. an Disziplinierungskraft des Markts gegen<br />

abweichendes Behavior impliziert, dass sich der durchschnittliche Investor wie die besten<br />

Ökonomen verhalten muss, und er ist sogar besser als die besten Ökonomen, denn im Hinblick<br />

auf die Informationsverarbeitung soll seine Leistung gleich der Leistung eines Supercomputers<br />

sein. Mit diesem Glauben erlangt das normative Modell der rationalen Entscheidung<br />

seine Gültigkeit somit auch auf der deskriptiven Ebene. 49 Folglich ist für das traditionelle<br />

Konzept die Frage uninteressant, wie der Mensch tatsächlich seine Entscheidung trifft und<br />

ob er dabei aufgrund eigener Unzulänglichkeit bestimmten Beschränkungen unterliegt. Das<br />

Paradigma des rationalen Behaviors führt dazu, dass die Eigenschaften des Menschen sowie<br />

deren Konsequenz auf die Entscheidung unter Unsicherheit im Hinblick auf Beschreibung<br />

und Erklärung des Marktgeschehens irrelevant sind. Der Faktor Human ist faktisch überflüssig,<br />

und der wichtigste Teil des Marktes – der Marktteilnehmer – verschwindet somit in der<br />

Gedankenwelt der traditionellen Theorie. Es erstaunt deswegen nicht, dass man beim Lesen<br />

des Standard-Lehrbuchs der Finanzmarkttheorie – wie das exzellente Lehrbuch von Brealey<br />

und Myers – den Eindruck hat, dass es dem Finanzmarkt an den Human-Aktivitäten mangelt.<br />

Zur Beschreibung und Erklärung des Marktgeschehens ist die Aufmerksamkeit der traditionellen<br />

Theorie auf die Themen – wie die Berechnung der Rendite, die Analyse bzw. Pricing<br />

von Risiken, Optionspricing, Dividendenpolitik bzw. Refinanzierungspolitik – gerichtet, und<br />

hingegen erlebt der Faktor Human eine Ignorierung. Der von dem traditionellen Konzept vorgestellte<br />

Finanzmarkt ist eigentlich ein Markt ohne Marktteilnehmer. <strong>Die</strong> traditionelle Theorie<br />

benötigt sicher keine inhaltliche Modifizierung, wenn alle Marktteilnehmer durch Softwareprogramme<br />

ersetzt würden. Für die traditionelle Theorie gibt es keinen Unterschied, ob der<br />

49<br />

Nach Haward Raiffa (1968), dem Decision-Theoretiker, kann die Analyse der Entscheidungsfindung nach<br />

normativen, deskriptiven und preskriptiven Analysen unterschieden werden. <strong>Die</strong> normative Analyse setzt sich<br />

mit der rationalen Entscheidungsfindung auseinander, wobei der optimale Entscheid des idealen Menschen im<br />

idealen Markt gesucht wird, während die <strong>empirische</strong> Realisierungsmöglichkeit der Entscheidung eher im Hintergrund<br />

steht. <strong>Die</strong> deskriptive Analyse beschäftigt sich dagegen mit der Fragestellung, wie der Mensch tatsächlich<br />

seine Entscheidungen trifft, wobei die Realitätsnähe an Stelle der Optimalität den Ausgangspunkt der Überlegung<br />

bildet. Der deskriptive Ansatz setzt sich zum Ziel herauszufinden, nicht wie Menschen Entscheidungen<br />

treffen sollten, sondern wie sie diese Entscheidung tatsächlich treffen. Mit der preskriptiven Analyse werden<br />

Bemühungen unternommen, eine Brücke zwischen normativen und deskriptiven Ansätzen aufzubauen. <strong>Die</strong> Entscheidungsfindung<br />

ergibt sich aus der Interaktion zwischen idealen und realen Faktoeren.<br />

26


Behavior-Paradigma<br />

durchschnittliche Marktteilnehmer ein Mensch mit Blut und Fleisch oder ein Softwareprogramm<br />

ist.<br />

<strong>Die</strong> Erfahrung am Aktienmarkt zeigt jedoch ein anderes Bild: Der Marktteilnehmer verhält<br />

sich anders, als das traditionelle Konzept postuliert, und der Faktor Human existiert. 50 <strong>Die</strong><br />

Dynamik der weichen Faktoren am Aktienmarkt lässt sich sowohl in der konkreten Entscheidungsfindung<br />

als auch im Marktpreis – Konsequenz der Kauf- und Verkaufentscheidung -<br />

beobachten. „People make difference.“ Der Finanzmarkt, auf welchem das Marktgeschehen<br />

primär durch Human bestimmt ist, ist selbstverständlich anders als der Finanzmarkt, auf welchem<br />

das menschliche Dasein durch ein Softwareprogramm ersetzbar ist. <strong>Die</strong> Igonorierung<br />

des Faktors Human durch das traditionelle Konzept hat ihre Konsequenz: Verfremdung zwischen<br />

Theorie und Empirie, die dadurch ausgedrückt wird, dass das aktuelle Marktgeschehen<br />

nicht durch die Theorie erklärt werden kann. <strong>Die</strong>se Verfremdung ist weder von kurzer Natur<br />

noch lediglich ein Ausnahmefall. <strong>Die</strong> durch das traditionelle rationale Konzept unerklärbare<br />

Entwicklung des Nemax-Index zwischen dem Jahr 1999 und 2001 - der Höhenflug von 3'000<br />

auf 8'500 und dann der Freifall von 8'500 auf 1'500 - unterstreicht die Evidenz, dass diese<br />

Verfremdung von dauerhafter Natur ist.<br />

Abbildung 7: <strong>Die</strong> Nemax-Bubble<br />

9000<br />

8000<br />

7000<br />

6000<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

Nemax-Index (Source: Reuters)<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung des Nemax-Index<br />

50 Siehe die Diskussion im Kapitel 1.2 „Erfahrungsobjekt: Weiche Faktoren am Aktienmarkt“.<br />

27


Behavior-Paradigma<br />

Es stellt sich nun die Frage, warum das traditionelle Konzept den Faktor „Human“ ausgeklammert<br />

hat, wenn es eine evidente Tatsache ist, dass die Annahme des rationalen Behaviors<br />

auf der deskriptiven Ebene nicht zutrifft. <strong>Die</strong> Vertreter der traditionellen Theorien sind sich<br />

auch bewusst, dass sich der Investor durchaus abweichend von ihrer Rationalitätsannahme<br />

verhalten kann und ihre Rationalitätsannahme nicht plausibel ist, wenn die Erfahrung - das<br />

empirisch beobachtete Behavior des Investors - als Ausgangspunkt der Überlegung dient. Als<br />

Ausweg haben sie den Begriff „als ob rational“ eingeführt und glauben, dass das Resultat der<br />

Entscheidung auch dann rational sein soll, wenn sich der Entscheidungsträger bei der Entscheidung<br />

durchaus anders als ihre Rationalitätsannahme verhalten kann. Der Begriff „als ob<br />

rational“ wird auf Milton Friedman (1953) zurückgeführt und er wird an dem folgten Beispiel<br />

veranschaulicht: Der Billardspieler ist beispielsweise nicht imstande, die notwendigen<br />

Gleichungen mathematisch zu lösen, um die Laufbahn der Billardkugel zu berechnen. Aber er<br />

verhält sich im Spiel, als ob er die Laufbahn exakt berechnen könnte. <strong>Die</strong>ser Logik nach<br />

nimmt das traditionelle Konzept an, dass sich der durchschnittliche Investor so verhalten soll,<br />

als ob er der beste Ökonom wäre, wenn auch er über kein vergleichbares ökonomisches Wissen<br />

verfügt und seine Kapazität zur Informationsverarbeitung sehr beschränkt ist. Für den<br />

durchschnittlichen Investor ist die Rolle „als bester Ökonom“ doch eine schwierige Aufgabe,<br />

es ist wahrscheinlich, dass das Resultat seiner Entscheidung nicht dieselbe Rationalität wie<br />

die des Ökonomen aufweist, wenn die Rationalität des Ökonomen als Soll-Rationalität dient.<br />

Somit entsteht Fehler. Das traditionelle Konzept glaubt jedoch an eine sofortige Eliminierung<br />

der Fehler und die Fehlerfreiheit wird dadurch argumentiert: I) Marktdisziplin; Disziplinierungskraft<br />

des Markts – der Mechanismus der Arbitrage – sorgt dafür, dass die Fehler sofort<br />

eliminiert worden sind. D.h., eine unsichtbare Hand zwingt den durchschnittlichen Investor,<br />

die Rolle „des besten Ökonomen“ zu übernehmen. II) Aggregationseffekt; Im Grunde genommen<br />

sind die Fehler unsystematisch bzw. zufällig, und heben sich in der Aggregation auf.<br />

III) Ausleseprozess; <strong>Die</strong> natürliche Selektion sorgt dafür, dass ein Investor, welcher systematisch<br />

Fehler begeht, sofort aus dem Markt verdrängt wird. Der Finanzmarkt ist sozusagen<br />

durch eine minimale Fehlertoleranz ausgeprägt. <strong>Die</strong> Schwäche der Rationalitätsannahme wird<br />

vernebelt, indem weitere Annahmen über die Disziplinierungskraft des Marktes, den Aggregationseffekt<br />

bzw. den Ausleseprozess getroffen sind. Wenn die Fehler tatsächlich durch diesen<br />

Mechanismus sofort eliminiert werden könnten, dann ist logischerweise die Frage uninteressant,<br />

ob und wie der durchschnittliche Investor Fehler macht. <strong>Die</strong> Argumentationen des<br />

traditionellen Konzepts sind jedoch nicht unproblematisch:<br />

28


Behavior-Paradigma<br />

Erstens ist die These, dass die Fehler durch die Disziplinierungskraft des Markts – den Mechanismus<br />

der Arbitrage – sofort eliminiert werden, an strenge Anforderungen geknüpft. Zur<br />

Eliminierung der Fehler muss der Arbitrageur ein unplausibles Niveau von Kenntnissen haben<br />

und frei von diversen Restriktionen sein. In der Realität verfügen die Investoren einerseits nur<br />

über unvollständige Kenntnisse in Bezug auf den Fundamentalwert, die Präferenzen, die Tradingstrategie<br />

sowie die kognitiven Beschränkungen der anderen Investoren, 51 und unterliegt<br />

andererseits diversen Restriktionen (wie Zeithorizont, Kapitalaufnahmemöglichkeit, eigene<br />

Risikoaversion, eigene Kalibrierungsfähigkeit usw.). <strong>Die</strong> Voraussetzung für eine ausreichende<br />

Arbitrage zur sofortigen Eliminierung jeglicher Fehler ist aber im realen Aktienmarkt in vielen<br />

Fällen nicht erfüllt 52 , folglich lässt sich beobachten, dass die positiven oder negativen<br />

Bubbles für eine längere Zeit fortdauern, wenn auch sich die Marktteilnehmer der Existenz<br />

des Bubbles bewusst sind. <strong>Die</strong> Frage der Disziplinierungskraft des Markts ist vor allem eine<br />

<strong>empirische</strong> Frage, die Erfahrung mit der Existenzdauer des Bubbles (vgl. die Entwicklung von<br />

Nemax-Index) liefert keine <strong>empirische</strong> Evidenz, dass der Markt über einen Mechanismus verfügt,<br />

womit er die Fehler sofort eliminieren kann. 53<br />

Zweitens sind Aggregationseffekte von der Anwendbarkeit des Gesetzes der grossen Zahl auf<br />

unabhängige individuelle Fehleinschätzungen bedingt. <strong>Die</strong> Behauptung, dass irrationale Entscheidungen<br />

dazu neigen, sich gegenseitig aufzuheben, trifft nur dann zu, wenn die Unabhängigkeitsannahme,<br />

die dem Gesetz der grossen Zahl zugrundeliegt, nicht verletzt wird. 54 Herdentrieb,<br />

Fad sowie die Dominanz der durchschnittlichen Meinung im realen Aktienmarkt<br />

unterstützen die Unabhängigkeitsannahme und damit die Anwendbarkeit des Gesetzes der<br />

grossen Zahl jedoch nicht, weil die Fehler in solchen Fällen typischerweise gleichgerichtet<br />

sind.<br />

Drittens ist der Ausleseprozess des traditionellen Konzepts abweichend vom Prinzip der Evolution.<br />

Der Ausleseprozess ist Darwin zufolge nicht durch Fehlerfreiheit, sondern durch Fehlertoleranz<br />

gekennzeichnet. Aus evolutionärer Sicht ist die Mutation erst durch die Zulassung<br />

51 Vgl. Daniel und Titman (1999) S. 28ff.<br />

52 Nach DeBondt und Thaler setzt die Fehlerfreiheit zusätzliche Voraussetzungen voraus: I) Es besteht ein Datum<br />

T, wann der richtige Wert bekannt ist. II) Kostenloses Short-Selling mit einem genügend langen Zeitraum ist<br />

möglich, so dass das Datum T erreicht wird. III) Der Investmentzeithorizont des Investors erstreckt sich über das<br />

Datum T. IV) <strong>Die</strong> Noise-Trader im Markt sind nicht in der Überzahl. V) Short-Selling darf nur durch rationale<br />

Trader getätigt werden. Vgl. DeBondt und Thaler (1995), S. 387.<br />

53 Ausführliche Diskussion über die Disziplinierungskraft des Marktes siehe Kapitel 2.<br />

54 Vgl. Cymbalista (1997) S.100.<br />

29


Behavior-Paradigma<br />

von Fehlern und Redundanz möglich. Eine Welt voller Fehler ist eine notwendige Bedingung<br />

für die Offenheit der Zukunft und für die Evolution. Aus dieser Perspektive ist der von dem<br />

traditionellen Konzept verstandene Ausleseprozess, wo Noise-Trader aufgrund deren Fehler<br />

sofort aus dem Markt verdrängt werden müssen, nicht zwingend. <strong>Die</strong> Existenz und Persistenz<br />

der Anomalien im realen Aktienmarkt kann durchaus als ein Ausdruck der Fehlertoleranz des<br />

Ausleseprozesses verstanden werden. Nach dem Konzept des „satisfying“ von Simon liefert<br />

die Verhaltensannahme wie rationales Verhalten, Optimierung bzw. Maximierung keine adäquate<br />

Basis für die Beschreibung des tatsächlichen Verhaltens, in der Tat dominiert die suboptimale<br />

Lösung. 55 <strong>Die</strong>ses aus traditioneller Sicht irrationale Verhalten hat aber seine evolutionäre<br />

Bedeutung. Flexibilität wird unbewusst geschafft, indem die durch Selbstzufriedenheit<br />

geschaffene Redundanz nicht durch die Rationalisierungskraft abgeschafft wird. <strong>Die</strong> Erntezeit<br />

kommt dann, wenn sich die externen Bedingungen dynamisch ändern und die Redundanz<br />

unerwartet zu einem kritischen Erfolgsfaktor wird. Der Fehler ist keine Irrationalität, sondern<br />

gehört zu einer Rationalität höherer Ebene. 56<br />

<strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit der Disziplinierungskraft des Marktes, dem Aggregationseffekt<br />

bzw. dem Ausleseprozess zeigt, wie vage und unsicher die wissenschaftliche Basis der „alsob-Rationalität“<br />

ist. Wie die Rationalitätsannahme liefert die Annahme der „als-ob-<br />

Rationalität“ auch keine adäquate Basis für die Beschreibung des tatsächlichen Verhaltens.<br />

Der Annahmefehler interessiert das traditionelle Konzept jedoch wenig, mit dem Argument,<br />

dass in der Theorie unvermeidlich vereinfachende Annahmen involviert sind. Nach Friedman<br />

sollte eine Theorie nicht nach ihrer Annahme, sondern nach der Gültigkeit ihrer Aussage beurteilt<br />

werden, die sogenannte Friedman’sche „irrelevance of assumptions“-These. 57 <strong>Die</strong> Evidenz,<br />

dass die Aussagen der traditionellen Theorie den <strong>empirische</strong>n Überprüfungen nicht<br />

standhalten, wird durch eine Reihe von Anomalienuntersuchungen unterstrichen. <strong>Die</strong> Annahme<br />

über Behaviors ist nicht mehr irrelevant, sondern der Schlüssel zur Erklärung des<br />

55 Vgl. Gowdy (1992) S. 3f.<br />

56 Gould und Eldredge (1986) haben zwei wichtige Erkenntnisse aus geologischen und biologischen Forschungen<br />

gewonnen: Erstens gibt es die Dominanz einer statischen Periode, wo der Auswahlprozess der Evolution<br />

stillzubleiben scheint. Zweitens existiert eine höhere Ebene von Auswahl, nicht innerhalb des Systems, sondern<br />

ausserhalb des Systems. Jedes Gleichgewicht untersteht einer höheren Gewalt. <strong>Die</strong> Einsichten von Gould und<br />

Eldredge haben die Evolutionslehre durch ihre neuen Paradigmen bereichert. <strong>Die</strong> Darwin’sche Auswahl könnte<br />

nur eine mögliche Variante unter vielen sein. Der Auswahlprozess der Evolution müsste nicht zwingend auf<br />

Darwins Art erfolgen. <strong>Die</strong> graduelle Veränderung aufgrund des Maximierungszwangs könnte ausbleiben. Es ist<br />

erlaubt, statisch und ohne vorprogrammierten Zwang zum Optimum zu existieren. Vgl. Gowdy (1992) S. 2-4.<br />

57 Vgl. Thaler (1992) S.4f.<br />

30


Behavior-Paradigma<br />

Versagens des traditionellen Konzepts und zum Aufbau eines neuen Konzepts. Zur Überwindung<br />

der Verfremdung zwischen Theorie und Empirie ist ein Paradigmawechsel notwendig.<br />

31


Behavior-Paradigma<br />

1.3.3 Paradigmawechsel: <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong><br />

Vor wenigen Jahren hat sich in den USA eine verhaltenswissenschaftlich orientierte Finanzmarkttheorie,<br />

die sogenannte <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>, als neuer Forschungszweig etabliert. Das<br />

neue Behavior-Paradigma geht davon aus, dass sich Menschen nur beschränkt rational verhalten<br />

können. <strong>Die</strong>se Verhaltensannahme ist keine subjektive Vorentscheidung wie im Falle der<br />

traditionellen Theorie, sondern beruht auf den Erkenntnissen der Sozialpsychologie und der<br />

Entscheidungstheorie. <strong>Die</strong> psychologische Forschung hat gezeigt, dass das Gehirn zur Bewältigung<br />

komplexer Probleme regelmässig Heuristiken 58 anwenden muss. Heuristiken dienen<br />

vor allem dazu, effizient mit den Ressourcen umzugehen. Studien und Experimente der sozialpsychologischen<br />

Forschungen belegen, dass den Menschen bei der Anwendung von Heuristiken<br />

immer wieder Fehler und Trugschlüsse unterlaufen. Es handelt sich dabei nicht um gelegentliche<br />

Ausrutscher, im Gegenteil, die Fehler treten systematisch auf. 59 Nach den Erkenntnissen<br />

der experimentellen kognitiv-psychologischen Forschungen führen verkürzende<br />

kognitive Prozesse – sogenannte <strong>Behavioral</strong> Biases – zu Verzerrungen bei der Erwartungsbildung,<br />

dies hat Entscheidungen zur Folge, welche die Axiome der Erwartungsnutzentheorie 60<br />

systematisch verletzen. Schon in den 70er Jahren haben Psychologen, insbesondere Kahne-<br />

58<br />

Unter Heuristiken versteht man Regeln oder Strategien der Informationsverarbeitung, die mit geringem Aufwand<br />

zu einem schnellen, aber nicht garantiert optimalen Ergebnis kommen.<br />

59<br />

Sinneswahrnehmung durch Sehen ist ein komplexer Prozess, bei dem das Gehirn die Informationen bezüglich<br />

Farbton, Helligkeit, Tiefen und Formen zu bearbeiten und zu interpretieren hat. Mit einer Reihe von Instrumenten<br />

verfügt das Gehirn über die Möglichkeit, eine sehr schnelle Beurteilung über das Objekt zu bilden, ohne sich<br />

mit allen verfügbaren Informationen sorgfältig auseinanderzusetzen. Im allgemeinen zeichnet sich die entsprechende<br />

Einschätzung durch ihre Genauigkeit aus. Aber es kommt vor, dass systematische Fehler, - wie beispielsweise<br />

die visuelle Illusion -, auftreten.<br />

60<br />

Axiom der vollständigen Ordnung: Für jedes Paar von Lotterien X, Y gilt entweder X ≥ Y oder X ≤ Y (Voll-<br />

ständigkeit). Falls X ≤ Y und Y ≤ Z, dann X ≤ Z (Transitivität). Das Axiom der vollständigen Ordnung bedeutet<br />

also, dass beliebige Handlungsalternativen mit unsicheren Ergebnissen vom Entscheidungsträger eindeutig miteinander<br />

verglichen werden können und dass die Präferenzordnung des Entscheidungsträgers in Bezug auf die<br />

Handlungsalternativen transitiv ist. Stetigkeitsaxiom: Sind die Handlungsalternativen mit unsicheren Ergebnissen<br />

X, Y, Z und X ≥ Y ≥ Z gegeben, dann gibt es eine Wahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1], so dass Y ∼ pX +(1-p)Z.<br />

<strong>Die</strong>ses Axiom impliziert, dass immer eine aus X und Z zusammengesetzte Handlungsalternative gefunden werden<br />

kann, welche gegenüber Y gleich gut ist. Unabhängigkeitsaxiom: Gilt für zwei Handlungsalternativen mit<br />

unsicheren Ergebnissen X ≥ Y, so muss für alle Alternativen Z und alle p ∈ [0, 1] gelten, dass pX +(1-p)Z ≥ pY<br />

+(1-p)Z. Das Substitutions- oder Unabhängigkeitsaxiom fordert also, dass die Präferenzen eines Entscheidungsträgers<br />

zwischen zwei Handlungsalternativen unabhängig von den gemeinsamen Komponenten der Alternativen<br />

sein sollen. Dominanzprinzip: Eine Alternative X ist einer Alternative Y dann vorzuziehen, wenn die Ergebnisse<br />

X(s) ≥ Y(s) für alle s ∈ S und X(s′) > Y(s′) für mindestens ein s′∈ S gilt (Zustandsdominanz). Vgl. Weber und<br />

Camerer (1987), S.130-142;<br />

32


Behavior-Paradigma<br />

man und Tversky 61 , durch Experimente belegt, dass die Axiome der Finanzmarkttheorie – die<br />

rationale Erwartung, die Theorie des Erwartungsnutzens, die Riskaversion bzw. Bayesian<br />

Updating – deskriptiv falsch sind. <strong>Die</strong> Entscheidung unter Unsicherheit, vor allem die Schätzung<br />

der Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. die Quantifizierung der Unsicherheit, ist eine Aufgabe<br />

mit hoher Komplexität. Zur Reduktion dieser Komplexität werden verkürzende kognitive<br />

Prozesse – wie die Representativeness, das Anchoring, die Availability oder das Overconfidence<br />

– angewandt. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass die deskriptive Entscheidung systematisch von der<br />

normativ rationalen Entscheidung abweicht. <strong>Die</strong> Benutzung der Representativeness-Heuristik<br />

führt beispielsweise zu systematischen Fehlern bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten,<br />

62 und aus einer solchen Fehleinschätzung resultiert eine fehlerhafte Erwartung und die<br />

damit verbundene fehlerhafte Entscheidung. 63 Das Behavior-Paradigma benutzt die Erkenntnisse<br />

aus der Sozialpsychologie sowie der Entscheidungstheorie als Grundlage für die Verhaltensannahme,<br />

dass sich Menschen nur beschränkt rational verhalten können. Somit kann die<br />

<strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> auch als eine Synthese von Finanzmarkttheorie, Psychologie und Entscheidungstheorie<br />

betrachtet werden.<br />

61<br />

Vgl. Kahneman, Slovic und Tversky (1982);<br />

62<br />

<strong>Die</strong> diesbezüglichen <strong>empirische</strong>n Untersuchungen siehe: Kahneman und Tversky (1973) S. 49ff; „In general,<br />

three types of information are relevant to statistical prediction: (a) prior or background information (base rates);<br />

(b) specific evidence concerning the individual case; (c) the expected accuracy of prediction. A fundamental rule<br />

of statistical prediction is that expected accuracy controls the relative weights assigned to specific evidence and<br />

to prior information. When expected accuracy decreases, predictions should become more regressive, that is,<br />

close to the expectations based on prior information. In our studies, expected accuracy was low, and prior probabilities<br />

should have been weighted heavily. Instead, our subjects predicted by representativeness, that is, they<br />

ordered outcomes by their similarity to the specific evidence, with no regard for prior probabilities.” Vgl. Kahneman<br />

und Tversky (1973) S. 51;<br />

63<br />

<strong>Die</strong> Representativenessheuristik betrifft die Einschätzung des Übereinstimmungsgrades zwischen einer Stichprobe<br />

und einer Grundgesamtheit. In einem stabilen Umfeld leistet sie einen Beitrag zur Erhöhung der beschränkten<br />

Kapazität. Jedoch ist diese Shortcut-Strategie fehleranfällig: <strong>Die</strong> a priori Wahrscheinlichkeiten können<br />

dadurch weitgehend vernachlässigt werden, und die Wahrscheinlichkeitsurteile können systematisch von<br />

denen abweichen, die sich bei Anwendung von Bayes’s Gesetz für die Bestimmung bedingter Wahrscheinlichkeiten<br />

ergeben. Bei der Verwendung der Repräsentativitätsheuristik dient die wahrgenommene Ähnlichkeit mit<br />

vorhandenen Erfahrungen oder kognitiven Bildern als Urteilsdeterminante. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass eine<br />

Stichprobe von einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung generiert wurde, wird anhand des Ausmasses<br />

geschätzt, in dem die Stichprobe den statischen Prozess repräsentiert oder ihm ähnelt. <strong>Die</strong> Repräsentativität wird<br />

auch verwendet, um die Wahrscheinlichkeit zu schätzen, ob ein Objekt aus einer Klasse stammt oder ob eine<br />

Wirkung auf eine Ursache zurückzuführen ist. Sie führt beispielsweise dazu, dass man Gefahren mit niedrigen<br />

Eintrittswahrscheinlichkeiten fürchtet, sobald man ein erstes Anzeichen sieht, welches für die Gefahr hoch repräsentativ<br />

ist. Darauf sind ebenfalls Fehleinschätzungen zurückzuführen, in denen die Tendenz einer Rückkehr<br />

zum Mittelwert entweder ignoriert oder missverstanden wird. Vgl. Tversky und Kahneman (1971), (1972),<br />

(1973); Mass und Weibler (1990) S. 82-89;<br />

33


Behavior-Paradigma<br />

Das Etablierung des Behavior-Paradigmas ist jedoch ein langdauernder Prozess. Schon in den<br />

30er Jahren erkannte Keynes die entscheidende Rolle der Marktteilnehmer im Markt. Keynes<br />

zufolge ist der Assetpreis primär eine soziale Konvention, ein „Nichts“, das sowohl auf harten<br />

Faktoren (wie fundamentalen Faktoren) als auch auf weichen Faktoren (wie Vertrauen) beruht.<br />

<strong>Die</strong> Bestimmung des Assetpreises ist somit nicht eine rein mathematische Aufgabe, denn<br />

im realen Aktienmarkt spielt der soziale Aspekt auch eine wichtige Rolle. Mit anderen Worten<br />

hat die Preisfindung auch eine soziale Dimension in sich, und aus dieser Sicht reflektiert<br />

der Aktienpreis auch die weichen Faktoren. Keynes postuliert, dass die Marktbewertung<br />

gleichzeitig durch die Massenpsychologie beeinflusst wird und dass die sozialen Konventionen<br />

– die konventionellen Erwartungen – eine entscheidende Rolle am Aktienmarkt spielen.<br />

Der behavioralen Hypothese von Keynes wird jedoch keine Beachtung geschenkt. „Truth<br />

always makes its way to the surface.” Im Jahre 1981 hat Shiller mit seinem Paper, der eine<br />

starke Abweichung des tatsächlichen Marktpreises von dem fundamental gerechtfertigten<br />

Preis empirisch belegte, die sogenannte „volatility debate“ ausgelöst. Shiller’s Position stiess<br />

jedoch auf Ablehnung durch die herrschenden Lehre, welche die „excess volatility“ ausschliesslich<br />

auf Methoden- bzw. Datenprobleme zurückführte. Der Crash 1987 zeigte dann<br />

aber mit aller Deutlichkeit die Existenz der „excess volatility“. <strong>Die</strong> Frage, wodurch eigentlich<br />

die Aktienkurse bestimmt wurden, wurde wieder Gegenstand der Diskussionen. Culter, Poterba<br />

und Summers (1989) haben in ihrer Studie belegt, dass sich die Preise auch in Abwesenheit<br />

von neuen fundamentalen Informationen stark bewegen können. D.h., neben fundamentalen<br />

Faktoren sind auch andere Faktoren für Preisveränderungen verantwortlich. Shiller (1989)<br />

betrachtete die behavioralen Faktoren wie Herdentrieb oder Fad als erklärende Variablen. 64<br />

Zur Erklärung der „excess volatility“ hat Black (1986) das Konzept der „Noise Trader“ entwickelt.<br />

De Long, Summers, Shleifer und Waldmann (1990a, 1990b) setzten das Konzept von<br />

Black in einem theoretischen Modell mit der Idee um, dass das „Noise Trader Risk“ eine entsprechende<br />

Prämie verlange. In den 90er begann das Paradigma langsam zu ändern, nachdem<br />

eine Reihe von Forschern – wie DeBondt und Thaler (1985, 1987, 1990); Poterba und Summers<br />

(1989); Stein (1989); Bernard (1993), Jegadeesh und Titman (1993); Chan, Jagadeesh<br />

und Lakonishok (1996); Rouwenhorst (1998); Daniel und Titman (1999) – in ihren <strong>empirische</strong>n<br />

Untersuchungen die Über- bzw. die Unterreaktionen des Marktes festgestellt hatten.<br />

64<br />

Shiller betrachtet die Modeerscheinung als Epidemieausbreitung. Wichtige Parameter seines Modells sind die<br />

Infektionsrate, mit welcher Kaufs- bzw. Verkaufsempfehlungen übertragen werden, sowie die Beseitigungsrate,<br />

welche diesen Entscheid wieder rückgängig macht. Infektions- und Beseitigungsrate ermöglichen die Beschreibung<br />

verschiedener dynamischer, aus sozialer Interaktion hervorgegangener Muster, welche mit einer Mean-<br />

Reversion-Bewegung im Aktienpreis konsistent sein können. Vgl. Shiller (1989 b) S.16 ff.<br />

34


Behavior-Paradigma<br />

Der Glaube, dass der Aktienpreis immer „korrekt“ (Reflexion aller fundamentalen Information)<br />

sei, wurde durch die <strong>empirische</strong> Evidenz der Über- bzw. der Unterreaktionen immer mehr<br />

in Frage gestellt, und immer mehr Beachtung wurde den behavioralen Aspekten des Marktes<br />

geschenkt. Mit den Erkenntnissen aus der Entscheidungstheorie und der Sozialpsychologie<br />

haben De Bondt und Thaler (1995) darauf aufmerksam gemacht, dass die normativ rationale<br />

Entscheidung bzw. Erwartung deskriptiv falsch und deshalb ein Paradigmawechsel notwendig<br />

sei. Ende 90er Jahre begann sich das Behavior-Paradigma zu etablieren. Viele Forscher – wie<br />

Hong und Stein (1997, 1998, 1999, 2000); Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1997,<br />

1998, 1999); Barber und Odean (1999a, 1999b, 2000); Barberis, Shleifer und Vishny (1998);<br />

Haugen (1999); Odean (1998a, 1998b); Shefrin (2000); Shiller (1997, 2000) – haben die realitätsfremde<br />

Rationalitätsannahme verworfen, und bei der Beschreibung bzw. Erklärung des<br />

Marktgeschehens gingen sie von der Verhaltensannahme aus, welche sich auf die Erkenntnisse<br />

der Entscheidungstheorie bzw. der Sozialpsychologie stützte. Dadurch wird dem Behavior-<br />

Aspekt des Marktes Rechnung getragen.<br />

Was den Behavior-Aspekt des Marktes betrifft, liegt ein grosser Nachholbedarf vor, denn<br />

bisher wird dieser Aspekt faktisch ignoriert und der von dem traditionellen Konzept vorgestellte<br />

Finanzmarkt ist eigentlich ein Finanzmarkt ohne Marktteilnehmer. Es ist nicht überraschend,<br />

dass die Erklärungsmacht des traditionellen Konzepts nicht gross ist, weil das Marktgeschehen<br />

auch das reale Verhalten der Marktteilnehmer reflektiert. <strong>Die</strong> Erwartungen bzw.<br />

die Entscheidungen des Marktteilnehmers, wenn auch diese im Vergleich zu einem idealen<br />

Bild verzerrt sind, bestimmen schliesslich das Marktgeschehen, und folglich muss bei der<br />

Beschreibung und Erklärung des Marktgeschehens der Behavior-Aspekt genügend berücksichtigt<br />

werden. Mit der Berücksichtigung der Behavior-Aspekte humanisiert die <strong>Behavioral</strong><br />

<strong>Finance</strong> die Finanzmarkttheorie: <strong>Die</strong> Rolle der Marktteilnehmer ist nicht mehr marginal sondern<br />

steht im Zentrum der Überlegungen.<br />

Für die Finanzmarkttheorie ist die Humanisierung eine Bereicherung. Viele Nachbardisziplinen<br />

haben diesen Humanisierungsprozess, wobei der auf dem rationalen Konzept basierende<br />

neoklassische Ansatz durch den Behavioransatz bereichert ist, schon längst hinter sich. Laborökonomen<br />

setzen sich beispielsweise schon seit langer Zeit mit dem Behavior im Arbeitsmarkt<br />

und dessen Einfluss auf das Gleichgewicht auseinander: <strong>Die</strong> unvollständigen Informationen,<br />

die Suchintensität und Motivation des Individuums können als Erklärungsfaktoren für<br />

die Arbeitslosigkeit herangezogen werden; <strong>Die</strong> Unsicherheit der Arbeitnehmer bezüglich ih-<br />

35


Behavior-Paradigma<br />

res Arbeitsplatzes sowie ihr Wunsch nach einem stabilen Lohn führen zu Lohnstarrheiten<br />

sowie einer Abweichung vom neoklassischen Gleichgewichtspunkt; <strong>Die</strong> rücksichtslose Ausübung<br />

der Verhandlungsmacht durch die Gewerkschaft kann dazu führen, dass eine ineffiziente<br />

Lösung zustande kommt; <strong>Die</strong> Unternehmungen haben anstatt eines den Markt räumenden<br />

Gleichgewichtslohns den Effizienzlohnsystem zu implementieren, weil die Motivation<br />

der Arbeitnehmer zu berücksichtigen ist; <strong>Die</strong> Heterogenität der Arbeitnehmer führt zur Segmentierung<br />

des Marktes, so dass eine wichtige Rahmenbedingung für das Gleichgewichtsmodell<br />

im neoklassischen Sinn fehlt. Für den neoklassischen Ansatz, in welchem die Vernunft<br />

alleine regiert, stellt die Mitberücksichtigung des Behaviors eine Bereicherung dar. <strong>Die</strong> Finanzmarkttheorie<br />

gehört leider immer noch zu den wenigen Disziplinen innerhalb der Ökonomie,<br />

in welcher dem behavioralen Aspekt noch nicht genügend Rechnung getragen wird.<br />

Mit der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>, einer deskriptiven Theorie, soll dieses Defizit abgebaut werden. 65<br />

65 <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> ist keine normative Theorie.<br />

36


Behavior-Paradigma<br />

Kapitel 2 Zur Notwendigkeit des Paradigmawechsels<br />

Ein wichtiger Grund, weshalb das rationale Konzept den Behavior-Aspekt ignoriert, liegt im<br />

Glauben an die Fehlerfreiheit des Marktes, deren Garant die Marktdisziplin ist. Wenn der<br />

Markt tatsächlich fehlerfrei wäre, wie es sich das normative Konzept vorstellt, dann wäre die<br />

Thematik „Behavior“ im Hinblick auf Beschreibung bzw. Erklärung des Marktgeschehens<br />

überflüssig und irrelevant. <strong>Die</strong>ses Kapitel widmet sich somit der Frage, ob die Marktdisziplin<br />

hinreichend für einen fehlerfreien Markt ist.<br />

2.1 <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> Evidenz<br />

2.1.1 Der Fall von LTCM<br />

<strong>Die</strong> Long Term Capital Management (LTCM) ist ein Hedge Fund mit renommierten Partnern<br />

wie Nobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton oder John Meriwether, ein Pionier in<br />

der Fixed-Income Arbitrage. Zwischen 1994 und 1997 hat LTCM spektakuläre After-Fee-<br />

Renditen generiert: 19.9% im Jahre 1994, 42.8% im Jahre 1995, 40.8% im Jahre 1996 und<br />

17.1% im Jahre 1997. 66 <strong>Die</strong> Schwierigkeiten tauchten im Jahr 1998 auf, als sich der Markt<br />

entgegen den Erwartungen entwickelte und der Leverage von 100:1 zu einem hohen Eigenkapitalverlust<br />

führte, folglich sank das verwaltete Fundskapital von 7 Milliarden US-$ auf 4<br />

Milliarden US-$ ab. Schliesslich intervenierte die Federal Reserve Bank of New York, um<br />

den Kollaps zu verhindern. Das LTCM-Desaster wirkt wie ein Erdbeben in der Finanzindustrie<br />

und löste ein Umdenken aus.<br />

66<br />

Vgl. US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S.12.<br />

37<br />

„Markets can remain irrational longer than you<br />

can remain solvent.“ - J.M. Keynes


Behavior-Paradigma<br />

Eine wichtige Strategie der Renditegenerierung der Hedge Funds wie LTCM liegt in der Ausschöpfung<br />

der Arbitragemöglichkeiten – Kapitalisierung der Marktfehler – mit Hilfe des Leverage,<br />

um Überschussrendite zu erwirtschaften. <strong>Die</strong> zur Kapitalisierung der Marktfehler motivierte<br />

Arbitrage wird im traditionellen Konzept als Disziplinierungskraft des Marktes betrachtet,<br />

und die Vertreter der traditionellen Theorie postulieren, dass die Marktdisziplin hinreichend<br />

für eine sofortige Fehlerkorrektur sein sollte, weil die Ausübungen der Marktdisziplin<br />

– die entsprechende Arbitrage – durch einen sicheren Gewinn ohne Risiken entschädigt<br />

werden und der risikolose Gewinn schliesslich die Fehlerkorrektur erzwingen sollte. Demzufolge<br />

sollte der Markt stets frei von behavioralen Verzerrungen sein. Zur Illustration, ob diese<br />

normative Aussage auf der deskriptiven Ebene zutrifft, d.h., ob die entsprechende Arbitrage<br />

tatsächlich die Fehler sofort und ohne Risiken korrigiert, wird hier eine konkrete zur Kapitalisierung<br />

der Marktfehler motivierte Transaktion von LTCM unter die Lupe genommen.<br />

<strong>Die</strong> LTCM verfügt beispielsweise über grosse Beteiligungen an den beiden Firmen „Royal<br />

Dutch Petroleum“ und „Shell Transport and Trading“, welche als alleinige Inhaber des gemeinsamen<br />

Joint-Unternehmens „Royal Dutch/Shell“ fungieren, dessen Cashflows vertragsmässig<br />

in einem Verhältnis von 3:2 zwischen „Royal Dutch Petroleum“ und „Shell Transport<br />

and Trading“ geteilt werden. <strong>Die</strong> Ratio von 3:2 sollte somit äquivalent zur Ratio der Marktkapitalisierung<br />

beider Unternehmen sein, da die beiden Unternehmen dasselbe Underlying – die<br />

erwarteten zukünftigen Cashflows des Joint-Unternehmens „Royal Dutch/Shell“– besitzen<br />

und die Verteilung dieser Cashflows im Verhältnis 3:2 konstant ist. Der Marktwert von „Royal<br />

Dutch Petroleum“ sollte somit in einem fehlerfreien Markt 1.5-mal so hoch sein wie der<br />

Marktwert von „Shell Transport and Trading“. <strong>Die</strong> Aktien von „Royal Dutch Petroleum“<br />

werden an der London Stock Exchange gehandelt, die Aktien von „Shell Transport and Trading“<br />

dagegen an der New York Stock Exchange.<br />

In der Praxis weist der tatsächliche Marktpreis oft eine Abweichung vom theoretischen Sollpreis<br />

auf. <strong>Die</strong> Aktienpreise von „Royal Dutch Petroleum“ und „Shell Transport and Trading“<br />

machen in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme, so werden die Aktien von „Shell Transport<br />

and Trading“ in New York nicht der Parität entsprechend, sondern mit einem traditionellen<br />

Diskont von 18% im Vergleich zu den Aktien von „Royal Dutch Petroleum“ gehandelt.<br />

LTCM betrachtet den Marktfehler – den 18%-igen Diskont – als gegeben, und eine Arbitrage<br />

zur Kapitalisierung des Marktfehlers wird erst dann unternommen, wenn sich der Fehler vergrössert,<br />

d.h., wenn der Diskont höher als 18% liegt. In diesem Fall wird ein sog. Pairs Trade<br />

38


Behavior-Paradigma<br />

betrieben: LTCM geht eine Long-Position in „Shell Transport and Trading“ und eine entsprechende<br />

Short-Position in „Royal Dutch Petroleum“ ein, in Antizipation eines Short-Term Profits,<br />

wenn der Diskont zu seinem traditionellen Wert zurückkehrt. <strong>Die</strong>s ist eine Variante der<br />

marktneutralen Strategien. Aber der Fehler im Markt kann trotz der Arbitrage dauerhaft sein,<br />

anstatt zu verschwinden. Im Jahre 1998 blieb der Diskont nicht nur konstant über 18%, sondern<br />

er vergrösserte sich am Ende des Jahres weiter, ohne zu seinem traditionellen Wert von<br />

18% zurückzukehren. 67 Somit erlitt der LTCM Pair Trade einen empfindlichen Papierverlust.<br />

Der massive Kapitalabfluss zwang LTCM, diesen Verlust sofort zu realisieren, anstatt auf<br />

Recovery zu warten. <strong>Die</strong> zur Kapitalisierung von Marktfehlern motivierte Transaktion von<br />

LTCM erreichte ihr Ziel nicht, und der Traum „sicherer Gewinne ohne Risiken“ platzte.<br />

Aus der Sicht des traditionellen Konzepts ist die LTCM-Strategie in dieser Transaktion wenig<br />

vorzuwerfen. LTCM hat eine einfache und transparente Konstruktion zur Schaffung der Arbitragemöglichkeiten<br />

aufgebaut, indem zwei Firmen mit gleichem Underlying an zwei Börsen<br />

gebracht werden. Der Diskont offenbart die Fehlbewertung des Marktes, weil beide Aktien<br />

nach Adjustierung der Cashflowverteilungsratio im Verhältnis von 3:2 denselben inneren<br />

Wert haben und somit der Parität entsprechend gehandelt werden sollten. LTCM war in diesem<br />

Fall nicht unvorsichtig oder realitätsfremd. <strong>Die</strong> traditionelle Fehlbewertung des Marktes,<br />

ein 18%-iger Diskont, wird respektiert, und LTCM agierte erst dann als rationaler Arbitrageur<br />

(Kapitalisierung der Marktfehler), wenn sich der Fehler vergrösserte. Gemäss dem rationalen<br />

Konzept sollte die Transaktion von LTCM einen risikolosen Gewinn erwirtschaften können,<br />

wenn die entsprechende Arbitrage tatsächlich eine sofortige Eliminierung der Fehler impliziert.<br />

<strong>Die</strong> Erfahrung aus dem Fall von LTCM zeigt jedoch, dass die Existenz der Arbitrage –<br />

die Disziplinierungskraft des Marktes – im Hinblick auf die sofortige Fehlerkorrektur eine<br />

notwendige aber keine hinreichende Bedingung darstellt, und dass Bedingungen für eine<br />

strenge Marktdisziplin im realen Kontext fehlen können, so dass der Noise Trader den rationalen<br />

Arbitrageur aus dem Markt verdrängt. Der informierte rationale Arbitrageur könnte im<br />

realen Kontext durchaus Opfer „der blinden Masse“ sein, wenn der Preis primär die Durchschnittsmeinung<br />

anstatt die "korrekte" Meinung reflektiert und der Mechanismus der Fehlerkorrektur<br />

nicht in vollem Umfang seine Macht entfalten kann. Der Fall von LTCM hat die<br />

<strong>empirische</strong> Evidenz unterstrichen, dass erstens der Markt nicht fehlerfrei ist, dass zweitens die<br />

Arbitrage - die Ausübung der Disziplinierungsmacht - unter realen Bedingungen mit Risiken<br />

verbunden ist, und dass drittens die Existenz der Disziplinierungskraft nicht zwingend eine<br />

67<br />

Der Fall der Arbitrage des LTCM in Bezug auf Royal Dutch/Shell vgl. Shefrin (2000): S. 6f.<br />

39


Behavior-Paradigma<br />

sofortige Eliminierung der Fehler impliziert. <strong>Die</strong> Frage der Marktdisziplin ist primär eine <strong>empirische</strong><br />

Frage, diesbezüglich genügt die subjektiv normative Vorentscheidung nicht. <strong>Die</strong> Vertreter<br />

der rationalen Theorie - Myron Scholes und Robert Merton – haben nun selber erfahren,<br />

wie gravierend es ist, wenn das theoretische Konzept auf der deskriptiven Ebene nicht zu-<br />

trifft. 68<br />

68 Eine realitätsfremde Finanzmarkttheorie kann auch ihren Anwendern enormen Schaden zufügen.<br />

40


2.1.2 Hedge Funds<br />

Behavior-Paradigma<br />

Arbitrage, die Kapitalisierung der Marktfehler, ist eine stolze und geheime Waffe des „hochtalentierten“<br />

Hedge Fund Designers zur Generierung der Überschussrendite. <strong>Die</strong> sogenannten<br />

Makro Funds wie jene von Soros und Robertson versuchen beispielsweise von Ungleichgewichten<br />

und Verzerrungen in den globalen Volkswirtschaften, welche typischerweise durch<br />

politische Veränderungen ausgelöst werden, zu profitieren. In der Regel investieren Makro<br />

Funds in alle Anlagekategorien, von Aktien über Währungen und Obligationen bis hin zu<br />

Rohwaren. Sie benutzen Fremdkapital (Leverage) und Derivate, um die Wirkung des Einsatzes<br />

zu erhöhen. 69<br />

Anders als Makro Funds versuchen Market Neutral Funds mit den marktneutralen Strategien,<br />

das Marktrisiko auszuschalten, indem gegenläufige Positionen in verschiedenen Wertpapieren<br />

eines einzigen Emittenten eingegangen werden. Ziel ist die Erzielung von Erträgen, die nicht<br />

oder nur gering mit den Aktien- oder Bondmärkten korreliert sind. Auch wenn marktneutrale<br />

Funds häufig mit Leverage arbeiten, ist die erwartete Volatilität einer derartigen Strategie<br />

wegen der Ausschaltung des Marktrisikos typischerweise tief.<br />

Neben diesen wohl bekanntesten Strategien wie Makro und Market Neutral existiert eine<br />

Vielzahl weiterer Strategien: <strong>Die</strong> „Aggressive Growth“ Strategien investieren entweder in<br />

Aktien, von denen ein hohes Wachstum erwartet wird, oder verkaufen die Aktien leer, bei<br />

denen Gewinnenttäuschungen anstehen. <strong>Die</strong> „Distressed Securities“ Strategien spezialisieren<br />

sich auf Wertpapiere, deren Wert wegen einer Krise des Unternehmens unterhalb des fairen<br />

Wertes gehandelt wird. Mit „Income“ Strategien fokussieren sich die Funds weniger auf Kapitalgewinne<br />

als auf die gegenwärtige Dividendenrendite eines Titels. <strong>Die</strong> Strategien „Fund of<br />

Funds“ können durch den Mix von Funds mit unterschiedlichen Strategien getreu dem Prinzip<br />

der Diversifikation bleiben, damit ein besseres Rendite/Risiko Verhältnis erreicht wird.<br />

Mit einem überdurchschnittlichen Leistungsausweis und einer hohen Überlebensquote des<br />

Hedge Funds ist zu rechnen, wenn die Arbitrage – Kapitalisierung der Marktfehler – Gewinn<br />

ohne Risiken bringt, oder die Optimierung ein besseres Rendite/Risiko Verhältnis ermöglicht.<br />

69 Da Makro Funds zumeist auf eine einzige Richtung „wetten“, gilt diese Kategorie als die volatilste aller Hedge<br />

Funds.<br />

41


Tabelle 1: Performance von Hedge Funds<br />

Behavior-Paradigma<br />

Sharpe Ratios and Average Monthly Returns (1994-1998)<br />

Classification Mean Return Mean Volatility Sharpe Ratio 70<br />

Global Marco 0.212 0.179 1.318<br />

Global 0.095 0.220 1.285<br />

Market Neutral 0.068 0.062 4.309<br />

Other 0.115 0.121 1.965<br />

S&P 500 0.210 0.131 1.604<br />

Quelle: US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S. A4<br />

Tabelle 2: Überlebensquote von Hedge Funds (1994-1998)<br />

Year Global Macro Macro Market<br />

Neutral<br />

Other Total<br />

1994 91.2% 100.0% 98.7% 100.0% 90.5%<br />

1995 68.4% 94.7% 93.6% 71.7% 85.4%<br />

1996 57.9% 92.9% 87.2% 65.2% 80.4%<br />

1997 42.1% 76.5% 79.5% 63.0% 67.0%<br />

1998 35.1% 62.4% 64.1% 57.6% 57.7%<br />

Quelle: US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S.A5<br />

<strong>Die</strong> US-Untersuchung über die Performance und Überlebensquote der Hedge Funds zeigt<br />

jedoch ein anderes Bild, als Anhänger des traditionellen Konzepts erwartet hätten: Eine<br />

durchschnittliche Performance und eine niedrige Überlebensquote. <strong>Die</strong> LTCM scheint kein<br />

Einzelfall zu sein, und die niedrige Überlebensquote weist darauf hin, dass die Arbitragestrategie<br />

nicht automatisch Gewinne ohne Risiko bringt und dass die Arbitrage – Ausübung der<br />

Disziplinierungsmacht – hingegen mit hohen Risiken verbunden ist (50%-60% Überlebensquote).<br />

<strong>Die</strong>se Tatsachen führen zur Auseinandersetzung mit der Frage, warum die Arbitragestrategie<br />

– der Versuch der Fehlerkorrektur wie im erwähnten Fall von LTCM – durch den<br />

Markt bestraft wird, anstatt grosszügig entschädigt zu werden. Zur Beantwortung dieser Frage<br />

ist es notwendig, mit einer deskriptiven Methode auf die Frage der Marktdisziplin einzugehen.<br />

70<br />

“...Since all the numbers in table are averages of the statistics for individual funds, the average Sharpe Ratio<br />

cannot be derived by taking the quotient of the other two columns.” Vgl. US-President’s Working Group on<br />

Financial Market (1999) S.A4<br />

42


Behavior-Paradigma<br />

2.2 <strong>Die</strong> Fehlerkorrektur durch die Marktdisziplin<br />

Auf Finanzmärkten gibt es hauptsächlich zwei Arten von Fehlern: <strong>Die</strong> Verletzung des einheitlichen<br />

Pricings und die Verletzung des fairen Pricings. UBS-Aktien sollten in Zürich und<br />

New York beispielsweise nach Berücksichtigung der Faktoren wie Transaktionskosten und<br />

Wechselkursunsicherheit zum selben Marktpreis gehandelt werden. <strong>Die</strong> Verletzung des einheitlichen<br />

Pricings kann durch eine entsprechende Arbitragestrategie – long billig und gleichzeitig<br />

short teuer – korrigiert werden. <strong>Die</strong>se Strategie ist dadurch gekennzeichnet, dass ein<br />

Nettogewinn ohne Einsatz von Kapital und ohne Eingehen von Risiken durch Ausnutzung des<br />

Marktfehlers sofort realisiert werden kann. Hinsichtlich des einheitlichen Pricings garantiert<br />

die Arbitrage – Ausübung der Disziplinierungsmacht – die Strenge der Marktdisziplin bzw.<br />

die Ausschaltung von Fehlern dieser Art. <strong>Die</strong> zweite Art von Fehlern ist die Verletzung des<br />

fairen Pricings, nämlich die Über- oder Unterbewertung eines Titels. Der Fehler dieser Art<br />

kann technisch nicht mit der Arbitrage in engerem Sinn – sofortigem Gewinn ohne Kapitaleinsatz<br />

bzw. ohne Risiken – kapitalisiert werden. Eine Arbitrage im weiteren Sinn – long unterbewertete<br />

Titeln und gleichzeitig short überbewertete Titeln, oder long unterbewerteten<br />

Titel im Spotmarkt und gleichzeitig short denselben Titel im Futuresmarkt – kann zwar unternommen<br />

werden, aber die Korrektur der Fehler dieser Art ist mit Unsicherheit verbunden, da<br />

der Gewinn nicht sofort realisiert werden kann. Der Erfolg einer Arbitrage im weiteren Sinn<br />

hängt davon ab, ob und wann sich die Erwartung des Arbitrageurs am Markt durchsetzen<br />

kann. 71 <strong>Die</strong>s führt dazu, dass die Fehlerkorrektur im Falle von Verletzung des fairen Pricings<br />

anders als im Falle von Verletzung des einheitlichen Pricings ist, und folglich die Strenge der<br />

Marktdisziplin nicht dieselbe ist.<br />

In Bezug auf die Frage der Fehlerkorrektur durch die Marktdisziplin ist vor allem die Disziplinierungskraft<br />

im Falle der Über- bzw. Unterbewertung von zentraler Bedeutung, da behaviorale<br />

Fehler die Über- bzw. Unterreaktionen zur Folge haben. Somit wird hier nur die Korrektur<br />

der Fehler zweiter Art, der Verletzung des fairen Pricings, diskutiert. Der normativer Ansatz<br />

postuliert, dass die entsprechende Disziplinierungskraft – die Arbitrage im weiteren Sinn<br />

- hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler (Über- bzw. Unterbewertung) sei. <strong>Die</strong><br />

Empirie zeigt jedoch, dass diese normative Aussage deskriptiv nicht zutrifft. Zum Verstehen<br />

der tatsächlichen Disziplinierungskraft des Marktes ist es notwendig, mit einer deskriptiven<br />

Methode die Fragen zu diskutieren: I) <strong>Die</strong> Unsicherheit bei der Fehlerkorrektur; II) Risiken<br />

71 D.h., ob und wann sich der Markt Richtung der Erwartung des Arbitrageurs bewegt.<br />

43


Behavior-Paradigma<br />

bei der Fehlerkorrektur; III) Restriktionen bei der Fehlerkorrektur. <strong>Die</strong> Fehlerkorrektur ist<br />

kein automatischer Prozess, sie hängt davon ab, ob die Fehlerkorrektur mit Risiken verbunden<br />

ist, und welchen Restriktionen der rationale Arbitrageur unterliegt. <strong>Die</strong>se Elemente entscheiden,<br />

in welchem Umfang die Fehlerkorrektur vorgenommen wird und erklären, warum die<br />

normative Aussage der <strong>empirische</strong>n Überprüfung nicht standhalten kann.<br />

2.2.1 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit<br />

2.2.1.1 Fehleranfälligkeit<br />

Der normative Approach postuliert, dass alle preisrelevanten Informationen sofort in den<br />

Preis einfliessen. Zur Beschreibung und Erklärung des tatsächlichen Marktgeschehens ist aber<br />

die Frage von zentraler Bedeutung, wie die Informationen in den Preis einfliessen. <strong>Die</strong> Verfügbarkeit<br />

aller preisrelevanten Informationen impliziert noch nicht, dass diese Informationen<br />

schon in dem Preis sind. <strong>Die</strong> Informationen müssen zuerst verarbeitet werden, und eine objektive<br />

Informationsverarbeitung setzt voraus, dass sowohl subjektive als auch objektive Bedingungen<br />

dafür erfüllt sind. Gemäss den Erkenntnissen aus der Entscheidungstheorie bzw. der<br />

Sozialpsychologie bedient sich der Investor zur Bewältigung komplexer Probleme regelmässig<br />

Heuristiken, so dass systematische Verzerrungen bei der Informationsverarbeitung vorkommen<br />

können. 72 Neben der subjektiven Unzulänglichkeit des Investors lässt sich aber auch<br />

die objektive Schwierigkeit feststellen, welche eine objektive Informationsverarbeitung erschwert.<br />

Als individueller Marktteilnehmer ist der Investor mit zwei Problemen konfrontiert: Einerseits<br />

mit der Informationsüberflutung aufgrund der ständig verbesserten Verfügbarkeit der Informationen<br />

dank der rasanten IT-Entwicklung und andererseits mit dem Mangel an Key-<br />

Informationen aufgrund deren Unbeobachtbarkeit. <strong>Die</strong> Informationen jeglicher Art 73 sind<br />

reichlich vorhanden und lassen sich billig beschaffen, sei es durch Internet und Massenmedien<br />

oder durch diverse Informationsdienste wie Reuters. <strong>Die</strong>se Informationen werden erst dann<br />

72<br />

Ausführliche Diskussion über diese Thematik siehe nächste Kapitel.<br />

73<br />

<strong>Die</strong> Information über die einzelnen Unternehmen und deren Management, über die Branchen, über die volkswirtschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen, über die Konsumenten und deren Wohlstandsniveau usw.<br />

44


Behavior-Paradigma<br />

preisrelevant, wenn sie eine Veränderung der Erwartungen über die zukünftigen Cashflows<br />

auslösen. Vom Standpunkt der Fundamentalanalyse aus sind diejenigen Informationen, welche<br />

das zukünftige Matching zwischen Nachfrage und Angebot verändern können, Key-<br />

Informationen. Solche Informationen sind jedoch oft nicht direkt beobachtbar.<br />

Im Hinblick auf die Verschiebung in Bezug auf das erwartete zukünftige Matching zwischen<br />

Nachfrage und Angebot sowie die daraus resultierende Veränderung der erwarteten zukünftigen<br />

Cashflows ist beispielsweise Wohlstand eine Kernvariable, die nicht direkt beobachtbar<br />

ist. Es besteht sogar keine Einigkeit darüber, wie der Begriff Wohlstand definiert werden soll.<br />

Der Marktwert von Traded Assets ist zwar ein wichtiger Teil davon, jedoch wird der Marktwert<br />

von Non-Traded Assets wie Humankapital immer wichtiger. Der wachsende Anteil des<br />

Humankapitals am gesamten Wohlstand sowie die hohe Fluktuation des Marktwerts des Humankapitals<br />

ist eine logische Konsequenz der neuen Tempodimension hinsichtlich der Erneuerung<br />

und des Veraltens des Wissens im Technologiezeitalter. Anders als in neoklassischen<br />

Ansätzen, in welchen das Einkommen sowie das Konsumniveau durch Traded Assets geschätzt<br />

wird, hängt die Veränderung der Erwartung des permanenten Einkommens sowie die<br />

daraus abgeleitete Verschiebung der Nachfrage immer stärker von der Dynamik der Veränderung<br />

des Marktwerts des Humankapitals ab. <strong>Die</strong> Unbeobachtbarkeit des Marktwerts des Humankapitals<br />

sowie dessen Veränderung führt aber dazu, dass Wohlstand – eine wichtige Variable<br />

im Assetpricing – als eine Schätzgrösse in der Erwartungsbildung fehleranfällig ist. Wie<br />

können die für den Wohlstand relevanten Informationen tatsächlich korrekt in den Preis einfliessen,<br />

wenn Wohlstand an sich ein nicht klar abgrenzbarer Begriff ist und keine Einigkeit<br />

darüber besteht, welche Informationen dabei berücksichtigt werden sollen? Im heutigen<br />

Technologiezeitalter, in welchem komplementär zum realen Kapital der Faktor Wissen immer<br />

wichtiger wird 74 , sind Informationen über Humankapital im Rahmen des Assetpricings besonders<br />

wichtig, da die Informationen über den Anteil des aggregierten Humankapitals am<br />

gesamten Wohlstand sowie die Rolle des Humankapitals im Matching zwischen Nachfrage<br />

74<br />

<strong>Die</strong> Marktkapitalisierung von TMT-Titeln (Technologie, Medien und Telekommunikation) hat einen Anteil<br />

von 40% an der gesamten Marktkapitalisierung erreicht. <strong>Die</strong>se Tatsache kann dahingehend interpretiert werden,<br />

dass sie Ausdruck für den Marktwert des Wissens ist, da im TMT-Bereich das Wissen die Kernvariable für die<br />

Generierung zukünftiger Cashflows ist.<br />

Links für New Economy vgl.: http://www.hoechst-forum.uni-muenchen.de/neweconomy/index.html, oder<br />

http://www.nzz.ch/dossiers/dossiers2000/neweconomy/weiterfuehrende_links.html,<br />

45


Behavior-Paradigma<br />

und Angebot bei der Erwartungsbildung über die Veränderungen der zukünftigen Cashflows<br />

unentbehrlich sind. 75 <strong>Die</strong>se Informationen sind jedoch nicht direkt beobachtbar.<br />

Aus Nichtberücksichtigung dieser Informationen könne Fehler resultieren. Beispielsweise<br />

wird das Wohlstandsniveau aufgrund der Unbeobachtbarkeit des Humankapitals oft nach dem<br />

Marktwert der Traded Assets geschätzt, und das Ausklammern des Humankapitals in der<br />

Quantifizierung des Wohlstands kann dazu führen, dass der geschätzte Wohlstand viel kleiner<br />

als der tatsächliche ist. Somit ist einerseits die Schätzung der Risikoaversion, und andererseits<br />

die Schätzung des Konsumniveaus bzw. der Nachfragekurve nicht fehlerfrei (noisefrei). Ausgehend<br />

von der Asymmetrie zwischen Konsum und Vermögen ist die Wachstumsrate des<br />

Konsums höher als die des Vermögens im Falle einer Aufwärtsbewegung, mit anderen Worten<br />

sollte die erwartete zukünftige Nachfrage sowie das Konsumniveau viel höher sein, wenn<br />

das Humankapital in der Schätzung des Wohlstands mitberücksichtigt wird. Das Spiegelbild<br />

des Humankapitals ist der Faktor Wissen, mit dessen Hilfe sich die Angebotskapazität von der<br />

alten Grenze befreien kann. Als Folge davon verschieben sich sowohl die Nachfragekurve<br />

nach oben als auch die Angebotskurve nach aussen, und ein höheres Niveau der erwarteten<br />

zukünftigen Cashflows resultiert aus dieser Konstellation, was durch einen höheren Assetpreis<br />

zum Ausdruck gebracht wird. <strong>Die</strong> Erwartung über den Preis ist somit in dieser Hinsicht nicht<br />

unbedingt fehlerfrei, wenn der Marktwert des Humankapitals sowie dessen Nachfragewirksamkeit<br />

aufgrund der Unbeobachtbarkeit ausgeklammert oder unterschätzt wird. 76 Im Grunde<br />

genommen ist die Schätzung unter solchen Bedingungen fehlerbehaftet.<br />

Neben dem Wohlstand können viele Variablen für eine Veränderung des Konsumverhaltens<br />

sowie die Veränderung des Matchings zwischen Nachfrage und Angebot verantwortlich<br />

sein, 77 und viele davon sind nicht direkt beobachtbar, beispielsweise sind „Tastes“ unbeobachtbar<br />

und die Schätzung ihres Einflusses auf die Veränderung des Matchings zwischen<br />

Nachfrage und Angebot ist deswegen mit Unsicherheit verbunden. Ein weiteres Beispiel ist<br />

die unbeobachtbare Technologie: Wie kann die Fähigkeit der neuen Technologie zur Generierung<br />

zukünftiger Cashflows korrekt geschätzt werden und welche Informationen sind in die-<br />

75<br />

<strong>Die</strong> Fähigkeit der IT-Firmen zur Generierung der Cashflows hängt hauptsächlich von deren Humankapital ab.<br />

76<br />

Eine objektive Schätzung des Marktwertes des Humankapitals ist aufgrund der Unbeobachtbarkeit bzw. des<br />

Mangels an Daten schwierig.<br />

77<br />

„One major problem is that no matter how many variables we include in an econometric analysis, there always<br />

seem to be potentially important variables that we have omitted, possibly because they too are unobservable.”<br />

Siehe Black (1986) S.536.<br />

46


Behavior-Paradigma<br />

sem Zusammenhang tatsächlich preisrelevant, also nicht Noise? <strong>Die</strong> volatile Kursbewegung<br />

im TMT-Index wie Nasdaq liefert wenig <strong>empirische</strong> Anhaltspunkte dafür, dass der Preis noisefrei<br />

ist, zumal die zeitweise persistente hohe Bewertung aus fundamentaler Sicht, nämlich<br />

die Fähigkeit zur Generierung der zukünftigen Cashflows, realwirtschaftlich nicht immer<br />

nachvollziehbar ist. <strong>Die</strong> empirisch beobachtete Kursentwicklung des TMT-Index hat gezeigt,<br />

dass die Unbeobachtbarkeit der Keyvariablen wie Technologie oder „Tastes“ eine objektive<br />

Schätzung der Veränderung im Matching zwischen Nachfrage und Angebot sowie der Veränderung<br />

in der Erwartung über die zukünftigen Cashflows nicht immer ermöglicht, und dass<br />

der Kapitalmarkt in diesem Fall inhärent fehleranfällig ist. <strong>Die</strong>se Fehleranfälligkeit ist Konsequenz<br />

einer subjektiven Schätzung der unbeobachtbaren Kerngrössen unter Unsicherheit.<br />

2.2.1.2 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung unter Unsicherheit<br />

Angenommen, der rationale Investor habe einen Marktfehler identifiziert: <strong>Die</strong> Unterbewertung<br />

der Aktien der Zurich Financial Services – zu einem Kurs von 520 sFr. – aufgrund der<br />

pessimistischen Stimmung am Markt. Gemäss seiner Fundamentalanalyse gehe der rationale<br />

Investor davon aus, dass ein Aktienpreis von 650 sFr. den Fundamentalwert adäquat reflektieren<br />

würde. Er nimmt sofort eine Gegenposition ein, er geht long. Einen sofortigen Gewinn<br />

kann er nicht realisieren, weil der Erfolg seiner Strategie davon abhängt, ob sich seine (rationale)<br />

Erwartung am Markt durchsetzt. <strong>Die</strong> Entscheidung, eine Arbitrage im weiteren Sinn<br />

vorzunehmen, ist mit Unsicherheit verbunden, weil erstens der Arbitrageur selber fehleranfällig<br />

ist und zweitens der Marktfehler ex ante nicht eindeutig ist.<br />

Wie die Diskussion im vorausgehenden Abschnitt gezeigt hat, ist der Arbitrageur auch dann<br />

fehleranfällig, wenn er frei von subjektiver Unzulänglichkeit ist. <strong>Die</strong> Unbeobachtbarkeit der<br />

Key-Informationen führt dazu, dass stets eine Unsicherheit hinsichtlich der Informationsverarbeitung<br />

vorliegt. „There will always be a lot of ambiguity about who is an information<br />

trader and who is a noise trader.” 78 Eine Unterscheidung zwischen Information und Noise ist<br />

78 Vgl. Black (1986) S. 533;<br />

47


Behavior-Paradigma<br />

in der Praxis nicht immer möglich. 79 Wenn die echte Information nicht in vollem Umfang in<br />

den Preis einfliessen kann, dann ist der Preis noisebehaftet. 80 Und die Noise wird informativ,<br />

falls sie in den Preis einfliesst. <strong>Die</strong> Grenze zwischen Noise (unechter Information) und Information<br />

kann unter Umständen fliessend sein, wenn die echte bzw. unechte Information primär<br />

dem Updating der Marktpreise dient 81 . Der Arbitrageur muss demzufolge damit rechnen, dass<br />

seine Informationen noisebehaftet sein können, wenn er rational denkt. Aus diesem Grund ist<br />

der Arbitrageur nicht sicher, ob sich seine „korrekte“ Erwartung tatsächlich durchsetzen kann,<br />

wenn seine „korrekte“ Erwartung vom Marktkonsens stark abweicht. <strong>Die</strong> Disposition gegen<br />

den Markt kann durchaus ein Fehler sein, demzufolge ist die Arbitrageposition nicht risikolos.<br />

<strong>Die</strong> Sicherheit darüber, ob und wann sich die „korrekte“ Erwartung tatsächlich am Markt<br />

durchsetzen kann, hängt davon ab, mit welcher Sicherheit der Fehler identifiziert wird. Eine<br />

wichtige Frage in diesem Kontext ist, ob der Fundamentalwert eindeutig festgestellt werden<br />

kann. Eindeutiger Fundamentalwert impliziert eindeutigen Fehler, hingegen ist der Fehler<br />

nicht eindeutig, wenn der Fundamentalwert nicht eindeutig ist. Der Fundamentalwert ist durch<br />

die Erwartung über die zukünftigen Cashflows bestimmt. In einer deterministischen Welt ist<br />

die Unsicherheit in der Erwartungsbildung über die zukünftigen Cashflows eine Pseudounsicherheit,<br />

und es lässt sich eine eindeutige Lösung finden. Mit den heutigen Erkenntnissen aus<br />

den Naturwissenschaften haben wir jedoch eine offene Zukunft, und in dieser Offenheit ist<br />

alles möglich: Eine dynamische Verschiebung im ersten und zweiten Moment, eine dynamische<br />

Variierung der Zustandspräferenz, eine permanente Veränderung der möglichen zukünftigen<br />

Pfade usw. <strong>Die</strong>se Offenheit impliziert die Uneindeutigkeit in der Erwartungsbildung<br />

über die Zukunft. <strong>Die</strong> Entschlüsselung des Fundamentalwertes basiert primär auf der vagen<br />

und unsicheren Erwartung über die uneindeutige Zukunft. In diesem Sinne ist die Schätzung<br />

dieses Wertes noisebehaftet und mit Unsicherheit verbunden. Nach der Vorstellung von Black<br />

ist der Markt effizient, wenn die Preis-Wert-Relation zwischen 0.5 und 2 variiert, d.h., wenn<br />

die Abweichung kleiner als Faktor 2 ist. 82 <strong>Die</strong> Zulassung dieser grossen Abweichung resultiert<br />

aus der Berücksichtigung der Uneindeutigkeit. <strong>Die</strong> Uneindeutigkeit des Fundamentalwer-<br />

79<br />

Vgl. Black (1986) S.532: „the information trader can never be sure that they are trading on information rather<br />

than noise.”<br />

80<br />

Noise wird hier als unechte Information verstanden.<br />

81<br />

<strong>Die</strong> Noise ist auch eine Information, wenn sie einen Bestandteil des Marktpreises bildet. „The price of a stock<br />

reflects both the information that information traders trade on and the noise that noise traders trade on.” Vgl.<br />

Black (1986) S.532<br />

82<br />

Vgl. Black (1986) S.533<br />

48


Behavior-Paradigma<br />

tes impliziert, dass der Marktfehler ex ante uneindeutig ist. Daraus geht hervor, dass die Erwartung<br />

des Arbitrageurs darüber, ob und wann sich seine „korrekte“ Erwartung tatsächlich<br />

am Markt durchsetzen kann, mit Unsicherheit verbunden ist.<br />

Kommen wir zum Beispiel am Anfang dieses Abschnitts zurück: Der Investor, welcher eine<br />

Unterbewertung identifiziert und zur Kapitalisierung des Marktfehlers eine Gegenposition<br />

aufgebaut hat, ist keineswegs sicher, dass seine Disposition einen sicheren Gewinn erwirtschaften<br />

kann, weil erstens seine Informationen Noise sein können und zweitens der Marktfehler<br />

nicht eindeutig ist, so dass die Feststellung des Marktfehlers fehlerbehaftet sein kann.<br />

Mit anderen Worten hat der Investor – der Arbitrageur – keine Sicherheit, ob und wann sich<br />

seine „korrekte“ Erwartung am Markt durchsetzen kann. <strong>Die</strong> Sicherheit ist nur in einer deterministischen<br />

Welt gross, hingegen ist in einer Realität, in der die Zukunft offen und die Lösung<br />

uneindeutig ist, logischerweise stets die Unsicherheit dabei. Informierte im engeren<br />

Sinn 83 gibt es unter realistischen Bedingungen selten, jede Information kann Noise sein. Somit<br />

kann die durchschnittliche Marktmeinung dauerhaft von der „korrekten“ Erwartung des<br />

Arbitrageurs abweichen, weil die anderen Marktteilnehmer damit rechnen können, dass die<br />

„korrekte“ Erwartung des Arbitrageurs bzw. die Feststellung des Marktfehlers durch den Arbitrageur<br />

fehlerhaft ist. In diesem Fall fehlt die Voraussetzung für eine entsprechende Durchsetzung,<br />

mit anderen Worten, die Konvergenz des Marktpreises zu einem Wert – wie dem<br />

Fundamentalwert – ist kurzfristig gesehen nicht zwingend, wenn die „korrekte“ Erwartung<br />

des Arbitrageurs nur als eine heterogene Erwartung unter vielen verschiedenen Erwartungen<br />

wahrgenommen wird und zudem alle diese Erwartungen pure Noise sein können. Darüber<br />

hinaus ist die Konvergenz des Marktpreises zu einem konstanten Fundamentalwert bei langfristigem<br />

Zeithorizont auch nicht zwingend, denn warum sollte der Fundamentalwert langfristig<br />

gesehen eine statische Grösse sein? In einer offenen Welt, wo unerwartete externe Schocks<br />

die möglichen zukünftigen Pfade permanent verändern, sollte er dynamisch sein.<br />

Gemäss dem Postulat des normativen Ansatzes sollte die Disziplinierungskraft - Arbitrage im<br />

weiteren Sinn - hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler sein, weil eine grosszügige<br />

Entschädigung – der Gewinn ohne Risiken – diese Eliminierung erzwingt. Entgegen<br />

den Vorstellungen des normativen Ansatzes ist die tatsächliche Entschädigung der Fehlerkorrektur<br />

doch nicht grosszügig, weil die Fehlerkorrektur stets mit Risiken verbunden ist. <strong>Die</strong><br />

83 D.h., die Fähigkeit besitzen, echte Informationen von Noise zu unterscheiden.<br />

49


Behavior-Paradigma<br />

Unsicherheit hinsichtlich der Korrektheit der Informationen, die Uneindeutigkeit des Marktfehlers<br />

sowie die Ungewissheit in Bezug auf die Durchsetzbarkeit der „korrekten“ Erwartung<br />

implizieren, dass die Fehlerkorrektur im realem Kontext nicht risikolos ist. <strong>Die</strong> Existenz dieses<br />

Risikos bedeutet, dass der Markt über keinen Mechanismus verfügt, welcher eine sofortige<br />

Eliminierung der Fehler garantiert. Wie jede normale Investitionsentscheidung ist die Entscheidung,<br />

eine Position gegen den Fehltrend des Marktes (Über- bzw. Unterbewertung) aufzubauen,<br />

primär durch eine Rendite-Risiko Überlegung bestimmt, der Fehltrend des Marktes<br />

offenbart zwar die Gewinnchance, aber zur Realisierung dieses Gewinnes muss auch entsprechendes<br />

Risiko eingegangen werden. Es ist weiterhin eine Welt ohne „free lunch“, also arbitragefrei,<br />

wenn auch nicht fehlerfrei.<br />

50


2.2.2 <strong>Die</strong> Risiken der Fehlerkorrektur<br />

Behavior-Paradigma<br />

<strong>Die</strong> Diskussion im vorausgehenden Abschnitt hat gezeigt, dass die Fehlerkorrektur mit Risiken<br />

verbunden ist, weil der Arbitrageur – derjenige, welcher die Fehlerkorrektur vornimmt –<br />

keine Sicherheit hat, ob und wann sich seine „korrekte“ Erwartung am Markt durchsetzen<br />

kann. In dem realen Kontext ist die Fehlerkorrektur – der Aufbau einer Position gegen den<br />

Fehltrend des Marktes – eine riskante Entscheidung, weil einerseitzs der Arbitrageur mit dem<br />

Noise-Trader-Risk konfrontiert ist und andererseits der Fehltrend aufgrund der Unterstützung<br />

durch Herdentrieb sowie Fad dauerhaft sein kann.<br />

2.2.2.1 Das Noise-Trader-Risk<br />

„In extreme situations, arbitrageurs trying to eliminate the mispricing might lose<br />

enough money that they have to liquidate their positions. In this case, arbitrageurs<br />

may become the least effective in reducing the mispricing precisely when it is the<br />

greatest. Something along these lines occurred with the stocks of commercial banks<br />

in 1990-1991. As the prices of these stocks fell sharply, many traditional value arbitrageurs<br />

invested heavily in these stocks. However, the prices kept falling, and many<br />

value arbitrageurs lost most of their Funds under management. As a consequence,<br />

they had to liquidate their positions, which put further pressure on the prices of<br />

banking stocks. After this period, the returns on banking stocks have been very high,<br />

but many value Funds did not last long enough to profit from this recovery.” 84<br />

<strong>Die</strong>ser Effekt, welcher die der Preis-Wert-Differenz entgegenwirkende Arbitrage dämpft, ist<br />

das sog. Noise-Trader-Risk. 85 Damit wird ein Risiko bezeichnet, welches erst durch Noise<br />

Trading selbst zustande kommt und von Arbitrageuren mit einem kurzen Zeithorizont getragen<br />

werden muss. Das Vorgehen der Noise-Trader löst Unsicherheit in dem Sinne aus, als<br />

dass keine Prognose gemacht werden kann, ob die Noise-Trader ihre Meinung beibehalten<br />

oder nicht. Der heute spekulierende Akteur könnte nämlich morgen noch euphorischer werden<br />

oder weitere Noise-Trader zum Kauf von Papieren stimulieren. 86 <strong>Die</strong>jenigen Arbitrageure,<br />

welche in einer solchen Situation ihre leerverkaufte Position eindecken müssen, erleiden<br />

84<br />

Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 53<br />

85<br />

Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990) S. 704<br />

86<br />

Möglicherweise werden weitere Noise-Trader versuchen, auf den fahrenden Zug steigender oder fallender<br />

Aktienpreise aufzuspringen, um ihre Profite nach dem Motto „the trend is your friend“ zu realisieren.<br />

51


Behavior-Paradigma<br />

einen Verlust, und der Verlust wird nicht durch einen späteren Gewinn im Falle einer Kurskorrektur<br />

kompensiert, wenn der Arbitrageur aufgrund der eigenen Restriktionen nur mit einem<br />

kurzen Zeithorizont arbeiten kann. 87 Daraus geht hervor, dass nicht allein das Verhältnis<br />

von Noise-Tradern zu Informierten, sondern auch die Anlagehorizonte von Bedeutung sind.<br />

Das Noise-Trader-Risk könnte zeitweise die Arbitragefähigkeit des Aktienmarktes in bestimmten<br />

Segmenten stark dämpfen, wenn der Anlagehorizont der Noise-Trader gleich oder<br />

grösser demjenigen der Informierten ist. 88<br />

2.2.2.2 Der Fehltrend: Herdentrieb und Fad<br />

Wie die Diskussion in dem vorausgehenden Abschnitt zeigt, ist der „Fair-Value“ keine eindeutige<br />

Grösse, somit ist es auch nicht eindeutig, ob ein Trend tatsächlich fehlerbehaftet ist. Je<br />

uneindeutiger der „Fair-Value“ ist, d.h., je uneindeutiger der Fehler ist, desto riskanter ist die<br />

Position gegen den „falschen“ Trend, welche zur Kapitalisierung der Marktfehler aufgebaut<br />

wird, weil erstens jeder Trend über eigene Begründung verfügt 89 und zweitens der Anschluss<br />

an einen Trend dem durchschnittlichen Marktteilnehmer die Sicherheit gibt, welche ihm aufgrund<br />

der Uneindeutigkeit fehlt. Folglich kann Herdentrieb oder Fad dauerhaft sein, und in<br />

diesem Fall ist die Arbitrageposition gegen den „falschen“ Trend sehr riskant.<br />

Der Herdentrieb ist dadurch charakterisiert, dass die Investitionsentscheidungen anhand von<br />

vergangenen Kursentwicklungen anstelle von fundamentalen Daten getroffen werden. 90 D.h.,<br />

dass ein Teil der Investoren als Momentum-Investor agiert. Der einem Herdentrieb immanente<br />

Gruppenzwang bewirkt das gleichgerichtete Verhalten einer Gruppe von Marktteilnehmern,<br />

wobei sowohl fundamentale als auch nichtfundamentale Gründe diesen Herdentrieb auslösen<br />

können. <strong>Die</strong> in einem Herdentrieb zum Vorschein kommende Homogenisierung von Anlagemeinungen<br />

kann darauf zurückgeführt werden, dass sich der Mensch mit seinen Entscheidungen<br />

wohl fühlt, falls diese im Einklang mit dem Verhalten anderer Marktteilnehmer stehen.<br />

87<br />

Restriktionen der Arbitrageur siehe die Diskussion in dem nachfolgenden Abschnitt.<br />

88<br />

Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 a) S.713.<br />

89<br />

Während des TMT-Bubbles fanden die Finanzanalysten stets auch die ökonomischen (fundamentalen) Erklärungen<br />

für die hohen Marktpreise (Überbewertungen) und empfahlen die Kunden, in die TMT-Titeln zu investieren.<br />

Nach dem Platzen des Bubbles haben die privaten Investoren in Deutschland beispielsweise Klage gegen die<br />

Grossbanken erhoben, weil deren Prognosen bzw. Analysen mit gravierenden Fehler behaftet waren (Fahrlässigkeit).<br />

90<br />

Vgl. Culter, Poterba und Summers (1990) S.63.<br />

52


Behavior-Paradigma<br />

<strong>Die</strong> Investitionsentscheidungen ist vor allem eine Entscheidung unter Unsicherheit, und durch<br />

den Anschluss an einen Herdentrieb, d.h., die Homogenisierung der eigenen Meinung mit der<br />

Mehrheitsmeinung, gewinnt der Investor mehr Sicherheit. Zur Reduktion der Unsicherheit hat<br />

der Investor somit das Motiv, in den Trend einzuspringen. Das gleichgerichtete Verhalten<br />

führt zu einer massiven Verschiebung im normalen Nachfrage-Angebot-Verhältnis, und<br />

Überkaufe bzw. Überverkaufe können unter Abwesenheit der fundamentalen Informationen<br />

die Kurse massgeblich und dauerhaft beeinflussen.<br />

Unter dem Begriff Fad ist ein Investorenverhalten zu verstehen, bei welchem die Anlageentscheide<br />

weniger auf das Maximieren von Portfolio-Renditen als auf Modeerscheinungen im<br />

weitesten Sinne abgestützt werden. Das Fad ist dadurch charakterisiert, dass das Investieren in<br />

spekulativen Märkten genau so wie andere soziale Aktivitäten in und out sein und so die<br />

Nachfrage nach Wertpapieren zu- und abnehmen kann, ohne dass auf fundamentale Werte<br />

geachtet wird. Mit anderen Worten sind die Investitionsentscheidungen der Investoren im<br />

Falle von Fad mit der ökonomischen Realität unkorreliert. 91 <strong>Die</strong> Anlage in Wertschriften mit<br />

spekulativem Charakter nimmt für die individuellen Investoren eher die Züge eines Gesellschaftsspiels<br />

oder einer Wette an und impliziert daher einen anderen als den rein profitmaximierenden<br />

Nutzen, etwa die blosse Lust zu spielen oder soziale Anerkennung. <strong>Die</strong>se Ansicht<br />

ist motiviert durch die anekdotische Evidenz zahlreicher Spekulationsbooms und Börsenkräche<br />

wie etwa dem niederländischen Tulpenboom im 17. Jahrhundert. 92 <strong>Die</strong> Existenz von Fad<br />

ist nicht unbedingt ein Ausdruck der Irrationalität in diesem Gesellschaftsspiel, sie reflektiert<br />

eher die Unsicherheit der durchschnittlichen naiven Investoren bei der Erwartungsbildung<br />

über die Zukunft, da sie meistens über ein nur sehr unvollständiges oder gar kein Modell der<br />

Preisbildung verfügen und auch keinen Zugang zur Wahrscheinlichkeitsverteilung bezüglich<br />

erwarteter zukünftiger Rendite besitzen. In dieser Ungewissheit bietet die Orientierung an<br />

einer zeitgemässen Mode die notwendige Referenzgrösse, weil die Modeströmung beobacht-<br />

91<br />

Vgl. Topol (1991) S.786f.<br />

92<br />

Vgl. Shiller (1989 a) S.50ff; Ein extremes Beispiel von Fad ist die berühmte „Tulipomanie“, die in Holland<br />

etwa ein Jahrhundert nach der Einführung der Tulpen aus Konstantinopel ausbrach und die innerhalb weniger<br />

Jahre um 1636 ihren Höhepunkt erreichte, als eine einzige Zwiebel der Sorte „Semper Augustus“ mit ihrem Preis<br />

von 6000 Gulden in etwa dem Gegenwert eines Hauses samt Garten entsprach. <strong>Die</strong> Entwicklung scheint als eine<br />

Mode der Reichen begonnen zu haben, die einander durch die Extravaganz ihrer Züchtungen zu überbieten<br />

trachteten. Schon bald gehörte der Besitz interessanter Tulpen auch bei den einfacheren Leuten zum guten Ton,<br />

die freilich, um sich diesen Luxus leisten zu können, am Verkauf ihrer Kreationen interessiert sein mussten.<br />

Schliesslich wollte jedermann verkaufen, solange die Preise noch hoch standen, und kaum jemand kaufen. <strong>Die</strong><br />

Panik war da, und die Preise fielen ins Bodenlose.“ Vgl. Hofstätter (1990) S.29.<br />

53


Behavior-Paradigma<br />

bar und der Fundamentalwert dagegen meistens nicht beobachtbar ist. Folglich ist die Gefahr<br />

grösser, dass fundamentale Überlegungen zeitweise ausser Kraft gesetzt werden, je uneindeutiger<br />

der Fundamentalwert ist. Das Vorhandensein von Fad impliziert nicht, dass dadurch risikolose<br />

Profitmöglichkeiten geschaffen werden, da die zukünftige Entwicklung von Modeerscheinungen<br />

kaum oder gar nicht vorhergesagt werden kann. <strong>Die</strong> Tendenz zur geringen Profitabilität<br />

arbitragemotivierter Anlagestrategien nimmt mit der langsameren und langfristigeren<br />

Bewegung von Fad zu, was die Abwesenheit von Arbitrage in solchen langfristigen Zyklen<br />

erklärt. Der über den Fundamentalwert gut informierte Investor wird im Falle eines langen<br />

Fads mit seiner Arbitrageposition gegen den Trend ein substantielles Risiko tragen. 93<br />

In der Praxis wird das Risiko, welches aus der Disposition gegen den Trend resultiert, als ein<br />

grosses Risiko betrachtet. Zur Vermeidung dieses Risikos folgen die meisten Marktteilnehmer<br />

der Faustregel wie: „Trend is your friend.“ oder „Gehorche dem Trend.“ <strong>Die</strong> von diversen<br />

professionellen Marktteilnehmern umgesetzte Momentumstrategie ist beispielsweise eine<br />

Umsetzung dieser Faustregel. <strong>Die</strong> Entscheidung, als Momentum-Investor zu agieren, ist vor<br />

allem auf die Rendite-Risiko-Überlegung zurückzuführen. Zur Optimierung des Rendite-<br />

Risiko-Verhältnisses kann der Investor im Fall eines Herdentriebs oder Fads in Richtung<br />

Trend anstatt in Richtung des Fundamentalwerts spekulieren. DeLong, Shleifer, Summers und<br />

Waldman argumentieren, dass „in the presence of positive feedback 94 investors it might be<br />

rational for speculators to jump on the bandwagon and not to buck the trend.” 95 Gemäss <strong>empirische</strong>r<br />

Studien kann die Momentumstrategie tatsächlich eine Überschussrendite generieren. 96<br />

Daraus geht hervor, dass der Momentum-Investor nicht ex ante auf der Verlierer-Seite steht.<br />

Aus Sicht der Rendite-Risiko-Überlegung ist es durchaus möglich, dass der am Fundamentalwert<br />

orientierte Investor, welcher gemäss dem rationalen Konzept den irrationalen Investor<br />

wie Momentum-Investor aus dem Markt verdrängen sollte, zum Momentum-Investor wechselt.<br />

97 In diesem Fall wird der Fehltrend nicht gedämpft, sondern gestärkt.<br />

93<br />

Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.393f;<br />

94<br />

Positives Feedback ist synonym für Herdentrieb oder Momentum.<br />

95<br />

Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.393.<br />

96<br />

Vgl. die Diskussion über die Anomalien im Kapitel 1.<br />

97<br />

“The sing of arbitrage positions can be the opposite of what one needs to move asset prices toward fundamen-<br />

tals.” Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.394.<br />

54


Behavior-Paradigma<br />

2.2.3 Restriktionen bei der Fehlerkorrektur<br />

2.3.3.1 <strong>Die</strong> Trennung von Wissen und Kapital<br />

Nicht nur die oben geschilderten Risiken führen zu einer eingeschränkten Fehlerkorrektur,<br />

sondern auch die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten in der Praxis. Anders als die Vorstellung<br />

des normativen Konzepts, wo jeder Marktteilnehmer die Marktfehler korrigieren<br />

kann und will, sind die meisten Marktteilnehmer im realen Kontext aufgrund der ungenügenden<br />

Informationen und ihres Wissensmangels nicht in der Lage, die Über- bzw. Unterbewertung<br />

mit Sicherheit zu identifizieren. 98 Der reale Aktienmarkt ist durch eine Trennung von<br />

Wissen und Kapital geprägt, 99 und der Boom der Fondindustrie sowie der Vermögensverwaltung<br />

ist Ausdruck dieser Trennung. Im Hinblick auf die Durchführung einer effektiven Fehlerkorrektur<br />

– die Arbitrage – ist eine Kombination zwischen dem Know-how der professionellen<br />

Spezialisten und dem Kapital von Investoren oft notwendig. Beispiele dafür liefern die<br />

Hedge Funds, wo Kapitalgeber und Arbitrageur („talentierte Spezialisten“) zusammenarbeiten,<br />

100 weil der Arbitrageur zur Fehlerkorrektur das Kapital von anderen benötigt, um grosse<br />

Marktpreis beeinflussende Positionen aufbauen zu können. Ein fundamentaler Charakter dieser<br />

Arbitrage liegt in der Trennung der „Brains“ und „Resources“ durch eine Agency-<br />

Relationship. 101<br />

2.3.3.2 Kapitalbedarf<br />

Unter realen Bedingungen trägt die Arbitrageaktion, welche die Marktfehler zu kapitalisieren<br />

versucht, einerseits Risiko und benötigt andererseits Kapital. 102 Der Arbitrageur kann zwar bei<br />

Kursen, die unterhalb der fundamentalen Werte liegen, einen unterbewerteten Titel kaufen,<br />

ein gleichzeitiger Verkauf desselben Titels zum Fundamentalwert im Spotmarkt zur soforti-<br />

98<br />

Sonst besteht kein Unterschied zwischen professionellen Finanzspezialisten und Masseninvestoren.<br />

99<br />

Dem Wissensträger fehlt das Kapital und es mangelt dem Kapitalinhaber an Wissen.<br />

100<br />

Der Quantum Fund von George Soros verwaltete beispielsweise 20 Milliarden $ Vermögen, und die Short-<br />

Spekulation im britischen Pfund im Herbst 1992 war erfolgreich im Hinblick auf die Generierung einer Überschussrendite.<br />

Der Tiger Funds von Robertson hatte in seiner besten Zeit ein verwaltetes Vermögen von mehr als<br />

22 Milliarden $, so dass dessen Investmentdisposition eine den Preis beeinflussende Rolle spielte.<br />

101<br />

Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 36.<br />

102<br />

Beispiel von „Capital requirement” für Arbitrage im Bondmarkt: Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 35f.<br />

55


Behavior-Paradigma<br />

gen Realisierung des Gewinns ist ihm aber in den meisten Fällen nicht möglich. Entsprechende<br />

Short-Positionen im Futures- oder Terminmarkt sind möglich, sie benötigen aber Initial<br />

Margin und Margin-Pay bei weiterer Kurssenkung. Ein Leerverkauf ist auch margin-pflichtig.<br />

Ein Null-Investment zum Aufbau der Arbitrage-Strategie mit Long-Positionen in unterbewerteten<br />

Titeln und Short-Positionen in überbewerteten Titeln mit den gleichen Risiken liegt<br />

zwar im Bereich des Möglichen, aber das Problem ist, dass die Realisierung der Gewinne<br />

oder Verluste dieser Strategie erst in einem späteren Zeitpunkt erfolgt, und dass eine weitere<br />

Verzerrung nicht ausgeschlossen werden kann. Deswegen ist die Verfügbarkeit eines Haftungskapitals<br />

für den Fall der Realisierung eines Verlustes notwendig.<br />

<strong>Die</strong> Wirksamkeit der Fehlerkorrektur durch Arbitrage setzt voraus, dass die Arbitrage den<br />

Marktpreis beeinflussen kann. Im normativen Konzept gibt es unzählige kleine Arbitrageure<br />

und die gleichgerichteten Transaktionsentscheidungen dieser Gemeinschaft führen sofort eine<br />

Verschiebung in der Nachfrage-Angebot-Relation herbei, so dass der Preis zwingend zum<br />

einem bestimmten Wert wie Fundamentalwert zurückkehrt. Mit anderen Worten ist die Beeinflussbarkeit<br />

des Preises durch die Arbitrage nicht gegeben, wenn die Arbitrageure zahlenmässig<br />

in einer absoluten Minderheit sind. <strong>Die</strong> Mehrheit der Investoren sind Laien und meistens<br />

nicht in der Lage, selber die Arbitragemöglichkeiten zu identifizieren. <strong>Die</strong> spezialisierten professionellen<br />

Finanzspezialisten, welche die falsche Bewertung kennen, sind im realen Kontext<br />

zahlenmässig in einer absoluten Minderheit und mit wenig Kapital ausgestattet. <strong>Die</strong> Arbitrageposition<br />

dieser Spezialisten ist an sich nicht in der Lage, eine Verschiebung der Nachfrage<br />

oder des Angebots auszulösen, um den Preis zu beeinflussen, damit die Korrektur auch tatsächlich<br />

durchgeführt wird und der Gewinn realisiert werden kann. Angesichts dieser Tatsache<br />

benötigt der „einsame“ Arbitrageur eine „Allianz“. Erst mit dem Kapital vieler anderen<br />

kann der Arbitrageur grosse Arbitragepositionen aufbauen, die in der Lage sind, den Preis zu<br />

beeinflussen. Somit benötigt der Arbitrageur einen grossen Kapitaleinsatz zur Sicherstellung<br />

der Wirksamkeit der Fehlerkorrektur durch Arbitrage. 103<br />

103 <strong>Die</strong> von den Hedge Funds verwalteten Vermögen betragen schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar und<br />

wachsen jährlich um ca. 20%. Vgl. http://www.vanhedge.com.<br />

56


2.3.3.3 Restriktionen<br />

Behavior-Paradigma<br />

<strong>Die</strong> reale Arbitrage unterliegt dann Restriktionen, wenn der Arbitrageur auch mit dem Vermögen<br />

anderer arbeitet. 104 <strong>Die</strong> Existenz der Agency-Relationship impliziert die Notwendigkeit<br />

der Kontrolle, und die Kapitalabhängigkeit die Macht des Kapitalinhabers als Kontrolleur.<br />

Suboptimalität oder Fehlentscheidungen sind oft Konsequenz einer Kontrolle, wenn der<br />

Kontrolleur das Geschäft nicht versteht und trotzdem kontrolliert. Das ist der Fall, wenn der<br />

Arbitrageur auch das Kapital von anderen verwaltet und der Kapitalgeber nicht exakt weiss<br />

oder versteht, welche „Spekulation“ der Arbitrageur mit seinem Geld unternimmt.<br />

Als Kriterium der Kontrolle des Kapitalgebers bleibt dann in vielen Fällen nichts anderes übrig,<br />

als die Performancemessung pro Zeitperiode. Das Alpha der gegen den Fehltrend gerichteten<br />

Arbitrageposition sollte zwar langfristig gesehen 105 attraktiv sein, aber innerhalb einer<br />

kurzfristigen Zeitperiode 106 (bis zu einem Jahr) kann das Alpha negativ sein, wenn der Fehltrend<br />

weiter dominiert und sich der Anteil der Noise im Preis vergrössert. <strong>Die</strong> Sicherheit, dass<br />

das Alpha auch in der Kontrollperiode einen genügend positiven Wert annimmt, hat der Arbitrageur<br />

somit nicht. Bei einem negativen Alpha, Auftritt von Verlusten, ist der Arbitrageur<br />

mit der Unentschlossenheit des Kapitalgebers konfrontiert, da der Kapitalgeber als Kontrolleur<br />

mit dem Kriterium „Performance“ aufgrund der Tatsache einer negativen Performance<br />

unsicher wird. Der Verlust, der wegen des Leverage in der Arbitrage wesentlich höher als im<br />

Normalfall ausfällt, kann von den Kapitalgebern als Indiz der Inkompetenz des Arbitrageurs<br />

wahrgenommen werden. Deshalb können weitere Kapitalzuflüsse ausbleiben oder noch<br />

schlimmer, Kapitalrückzug wird vorgenommen, 107 wenn auch die erwartete Rendite der Arbitrageposition<br />

hoch ist. Bei einer Vergrösserung der Verzerrung sollte der Arbitrageur seine<br />

gegen die Verzerrung gerichteten Positionen eigentlich weiter aufbauen und viel aggressiver<br />

agieren, es sind somit weitere Kapitalzuflüsse notwendig. Unter realen Bedingungen ist je-<br />

104<br />

<strong>Die</strong> Hedge Funds haben beispielsweise meistens eine hohe Fremdfinanzierung.<br />

105<br />

Langfristigkeit: Der Zeitraum von Mean-Reversion, Korrektur der Bewertungsfehler, hat erfahrungsmässig in<br />

der Praxis eine Dauer von 3-5 Jahren.<br />

106<br />

Kurzfristigkeit: Das Momentum (Herdentrieb) hat erfahrungsgemäss in der Praxis eine Dauer von 3-9 Monaten.<br />

107<br />

<strong>Die</strong> Kapitalabflüsse im Verlustfall werden zusätzlich durch den Mechanismus der sich selbst erfüllenden<br />

Erwartung verstärkt, weil der wegen des Verlustes motivierte Abfluss oft den Verlust vergrössert und somit<br />

zusätzliche Abflüsse auslöst. Der Verdacht auf Verlust kann allein den Verlust herbeiführen, besonders wenn<br />

dieser Verdacht eine Liquidation erzwingt. <strong>Die</strong> schlechte Performance des Tiger Funds von Julian Robertson im<br />

Jahr 1999 hatte beispielsweise massive Mittelabflüsse herbeigeführt, so dass Robertson Ende März 2000 die<br />

Tore seines Hedge Funds schliessen musste. George Soros und sein Quantum Fund waren im Jahr 2000 mit<br />

denselben Problemen konfrontiert.<br />

57


Behavior-Paradigma<br />

doch in einem solchen Fall, in welchem der Verlust aufgrund des Leverage durch eine andere<br />

Dimension als üblich charakterisiert wird, mit Kapitalabflüssen zu rechnen, was oft die Liquidation<br />

der Arbitrageposition erzwingt: Eine sofortige Realisierung der Verluste bei Aufgabe<br />

der überdurchschnittlichen Gewinnchance durch sicheres Recovery zu einem späteren Zeitpunkt.<br />

Aus Mangel an Wissen kann der Kapitalgeber die Recovery oft nicht vorhersehen. Deshalb ist<br />

ihm eine Arbitrageposition gegen den Markttrend zu riskant, besonders dann, wenn ein vorübergehender<br />

Verlust auftritt. In diesem Fall ist das Beurteilungskriterium nicht die erwartete<br />

zukünftige Rendite, sondern die bereits realisierte Rendite. <strong>Die</strong> Zukunftsorientierung ist beim<br />

(naiven) Kapitalgeber als Kontrolleur oft einfach eine Extrapolation des heutigen Zustands in<br />

die Zukunft, und somit kann die Bekanntgabe der Verluste in der Rechenungslegung gravierende<br />

Konsequenzen für den Arbitrageur bedeuten. Aus dieser Sicht ist die Performance pro<br />

Zeitperiode für das Überleben des Arbitrageurs entscheidend. Shleifer und Vishny bezeichnen<br />

die Arbitrage unter einer solchen Restriktion als „performance based Arbitrage“. 108<br />

2.3.3.4 Restriktionen: Ein Fallbeispiel<br />

<strong>Die</strong> „performance based Arbitrage“ unterliegt zwei Restriktionen: Der Performance und dem<br />

Anlagehorizont. Der Arbitrageur muss innerhalb der Rechenschaftsperiode eine positive Performance<br />

erbringen. Der Fall der Orange County Bankruptcy liefert ein entsprechendes Beispiel<br />

für diese Restriktion.<br />

Der Treasurer des Orange County Investment Pools, Robert Citron, erwartete am Anfang der<br />

90er Jahre eine Tendenz zur Zinssenkung bei Beibehaltung der normalen Zinskurve aufgrund<br />

der Rezession und Desinflation, nämlich eine parallele Verschiebung nach unten. Der Zins<br />

sank von 1989 bis 1993 tatsächlich kontinuierlich und der Spread zwischen 2- und 5-jährigen<br />

Sätzen blieb relativ konstant bei 100 Basispunkten. Zur Kapitalisierung seiner Erwartung ging<br />

er mit einem Repurchase Agreement 109 long in 5-jährigen US-Treasuries und short in 2-<br />

108<br />

Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 37.<br />

109<br />

Repurchase Agreement: purchased five-year Treasury obtained with money borrowed for two years at the<br />

two-year rate. Such leveraging corresponds to purchasing stock on margin. Vgl. Shefrin (2000) S.198.<br />

58


Behavior-Paradigma<br />

jährigen US-Treasuries. <strong>Die</strong> Strategie war erfolgreich bis 1993: Einerseits die Spreadeinnahmen<br />

und anderseits die Wertsteigerung der Eigenmittel bei fallenden Zinsen aufgrund der<br />

positiven Duration. 110<br />

Im Jahr 1994 hat die Fed den Zins fünfmal (in den Monaten Februar, März, April, August und<br />

November) erhöht, nachdem die Fed in den vergangenen 5 Jahren den Zins kontinuierlich<br />

gesenkt hatte. Somit verschob sich die Zinskurve im Jahr 1994 nach oben, wobei der Spread<br />

zwischen dem 2- und 5-jährigen Treasury-Satz unverändert blieb. <strong>Die</strong> steigenden Zinsen führten<br />

dazu, dass der Markwert der Long-Position stärker als der Marktwert der Short-Position<br />

sank und dass Verlust aus dem Repurchase Agreement entstand. Der Orange County Investment<br />

Pool erlitt folglich einen Papierverlust. Aus Angst vor weiteren Verlusten zogen sich die<br />

Investoren des Investment Pools zurück und erzwangen somit die sofortige Realisierung der<br />

Verluste. Im Dezember 1994 ging der Orange County Investment Pool Konkurs mit einem<br />

Verlust von ca. 2 Milliarden US-Dollar. Der Treasurer Robert Citron, der seit 1971 County<br />

Treasurer und die meiste Zeit erfolgreich gewesen war, wurde im Jahr 1995 zu einem Jahr<br />

Gefängnis und einer Geldstrafe von 100'000 US-Dollar verurteilt. 111<br />

Nach Merton Milder und David Ross (1997) ist Robert Citron jedoch Opfer der Restriktionen.<br />

<strong>Die</strong> beiden Autoren weisen darauf hin, dass der Bankrott nicht notwendig gewesen wäre, weil<br />

der Investment Pool im Dezember 1994 weder insolvent noch illiquid war. Noch wichtiger ist,<br />

dass die Zinsentwicklung nach diesem Zeitpunkt eine schnelle und volle Recovery herbeiführen<br />

konnte. Der Verlust kann vermieden werden, wenn der Investor das Portfolio beibehält,<br />

anstatt es zu liquidieren. 112 Ex post gesehen dauerte die Tendenz zur Zinssenkung bis Ende<br />

der 90er Jahre an, wie Robert Citron korrekt erwartete. Das Alpha seiner Anlagepositionen<br />

war somit langfristig gesehen ausreichend positiv. Das LTCM-Debakel wäre auch weniger<br />

schlimm gewesen, wenn die Investoren dem Fundsmanager einen längeren Zeithorizont gewährt<br />

hätten und bei der Beurteilung der Performance der Anlagedisposition nicht nur die<br />

bereits realisierte Rendite sondern auch die erwartete zukünftige Rendite berücksichtigt hätten.<br />

110<br />

Duration der Long-Position ist grösser als die Duration der Short-Position. Bei einer Zinssenkung steigt der<br />

Marktwert der Long-Position stärker als der Marktwert der Short-Position.<br />

111<br />

<strong>Die</strong> komplette Fallstudie über Orange Country Bankruptcy vgl. Shefrin (2000) S. 193-212.<br />

112 Vgl. Shefrin (2000) S.204-205;<br />

59


2.2.4 <strong>Die</strong> Frage der Fehlerfreiheit<br />

Behavior-Paradigma<br />

Der normative Ansatz postuliert, dass die Marktdisziplin hinreichend für einen fehlerfreien<br />

Markt ist. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit der Frage der Marktdisziplin zeigt jedoch, dass die<br />

Existenz der Disziplinierungskraft nicht zwingend die Fehlerfreiheit impliziert. Erstens ist die<br />

Entscheidung zur Fehlerkorrektur eine Entscheidung mit Unsicherheit, d.h., die zur Kapitalisierung<br />

der Fehler motivierte Arbitrage ist mit Risiken verbunden. <strong>Die</strong> Annahme, dass die<br />

Fehlerkorrektur durch einen Gewinn ohne Risiko materiell erzwungen wird, ist verfehlt.<br />

Zweitens führen die Risiken bei der Fehlerkorrektur zur Aufweichung der Marktdisziplin. <strong>Die</strong><br />

Träger der Fehler (wie Momentum-Investoren) sind nicht ex ante Verlierer und es ist durchaus<br />

möglich, dass die sogenannten rationalen Arbitrageure (wie Fundamental-Investoren) aus<br />

Profitüberlegung zu den Momentum-Investoren wechseln. Eine Rationalität, welche durch<br />

Gewinnmaximierung gekennzeichnet ist, ist nicht hinreichend für die Eliminierung der Fehler.<br />

Drittens haben die Restriktionen bei der Fehlerkorrektur eine Beschränkung des Umfangs<br />

der Fehlerkorrektur zur Folge. <strong>Die</strong> Trennung von Wissen und Kapital erfordert vom Arbitrageur,<br />

die Restriktionen hinsichtlich Performance und Zeithorizont zu beachten. <strong>Die</strong>s führt<br />

dazu, dass der Arbitrageur von dem Aktienmarkt – wo der Fehler uneindeutig, die Volatilität<br />

hoch, und das Verhalten von Noise-Trader unvorhersehbar ist – fern bleibt. <strong>Die</strong> Restriktionen<br />

bewirken, dass die von dem rationalen Konzept angenommene Fehlerkorrektur am Aktienmarkt<br />

in der Tat sehr schwach ist. Kurz, die Marktdisziplin führt noch keine Fehlerfreiheit<br />

herbei.<br />

<strong>Die</strong> Existenz der Fehler ist doch kein Alptraum für den Markt, im Gegenteil, sie ist ein Katalysator<br />

für den Markt. In einem effizienten Markt ohne Fehler lohnt es sich für niemanden,<br />

kostenverursachende Informationen über Fundamentals zu beschaffen, um aufgrund derselben<br />

die Aktienmarkttransaktionen vorzunehmen, welche die Markteffizienz generieren, wenn die<br />

beobachtbaren Marktpreise (kostenlos) in diesem Fall genau den Fundamentalwert widerspiegeln.<br />

Daraus folgt, dass die als informationseffizient geltenden Preise diese unterstellte Effizienz<br />

erst gar nicht erreichen können. 113 Für das Funktionieren von Kapitalmärkten ist die<br />

Existenz von Fehlern unerlässlich, da ansonsten kein Handel stattfinden würde. 114 Existieren<br />

113<br />

Vgl. Grossman und Stiglitz (1976) S. 250. Das Paradoxon informationseffizienter Preise wird auch als<br />

Grossman-Stiglitz-Paradoxon bezeichnet.<br />

114<br />

Vgl. Milgrom und Stokey (1982), und Black (1986) S. 530. „From the point of view of someone who knows<br />

what both the traders know, one side or the other must be making a mistake. If the one who is making declines to<br />

trade, there will be no trading on information.”<br />

60


Behavior-Paradigma<br />

auf einem Markt ausschliesslich informierte Investoren mit der Folge effizienter Preise, d.h.,<br />

ohne Fehler, dann kommt es nicht zu Umsätzen, da Transaktionen auf der Basis von neuen<br />

Informationen keinen Gewinn versprechen. Da Fehler eine notwendige Bedingung informationseffizienter<br />

Preise ist, müssen die am Kapitalmarkt beobachtbaren Kurse zumindest in bestimmtem<br />

Ausmass mit Fehlern behaftet sein. Fehler (Noise) lassen sich nach Menkhoff und<br />

Röckmann durch vier Merkmale charakterisieren: 115<br />

Noise erklärt den beobachtbaren Kurs;<br />

Noise basiert auf einem schwächeren Rationalitätsbegriff als die neoklassische<br />

Kapitalmarkttheorie;<br />

Noise geht von der Heterogenität der Anleger an Kapitalmärkten aus;<br />

Noise lässt sich empirisch validieren.<br />

<strong>Die</strong> konzeptionelle Behandlung der „Fehler“ ist die Kernkompetenz von <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong>.<br />

Wir kommen nun zum zweiten Teil der Arbeit über „<strong>Behavioral</strong>e Modelle“.<br />

115 Vgl. Menkhoff und Röckmann (1994) S.279.<br />

61


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Teil 2 <strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Kapitel 3 Grundlagen: <strong>Behavioral</strong>e Erkenntnisse<br />

3.1 <strong>Behavioral</strong>e Erkenntnisse<br />

Der Fokus dieses Abschnitts wird auf die Behavior-Biases gerichtet, welche die Grundlagen<br />

der zu überprüfenden Modelle bilden. Zur Beschränkung des Umfangs der Arbeit werden<br />

andere Behavior-Biases überblicksweise behandelt.<br />

3.1.1 Overconfidence<br />

DeBondt und Thaler vertreten die Meinung: „Perhaps the most robust finding in the psychology<br />

of judgment is that people are overconfident.” 116 In seiner Fallstudie über „Overconfidence<br />

in Judgments“ hat Oskamp (1965) festgestellt, dass die Confidence mit der Zunahme der<br />

verfügbaren Informationen deutlich steigt und die Accuracy dagegen relativ konstant bleibt.<br />

D.h., je mehr Informationen verfügbar sind, desto mehr Confidence hat der Entscheidungsträger,<br />

desto overconfidenter ist er im Vergleich zum Durchschnitt. <strong>Die</strong> Differenz zwischen<br />

Confidence und Accuracy reflektiert den Grad der Overconfidence. 117<br />

Tabelle 3: <strong>Die</strong> Differenz zwischen Konfidenz und Genauigkeit<br />

Measure Stage 1 Stage 2 Stage 3 Stage 4 F P<br />

Accuracy (%) 26.0 24.0 28.4 27.8 5.02 0.01<br />

Confidence (%) 34.2 39.2 46.0 52.8 36.06 0.001<br />

<strong>Die</strong> Quantität der Informationen steigt von Stage 1 zu Stage 4 kontinuierlich. Overconfidence<br />

ergibt sich aus der Differenz zwischen Confidence und Accuracy.<br />

Vgl. Oskamp (1965): Table 2, “Performance of 32 judges on the 25-item case-study test”, S.291.<br />

Verschiedene Studien haben festgestellt, dass der Mensch overconfident ist. 118 <strong>Die</strong>ses Phänomen<br />

manifestiert sich in der Überschätzung der Verlässlichkeit eigener Erfahrungen und<br />

eigenen Wissens bei gleichzeitiger Unterschätzung der Möglichkeiten eigener Fehler. Jeder<br />

116<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S.389;<br />

117<br />

Vgl. Oskampf (1965) S.288-291;<br />

118<br />

Zur Überschätzung eigener Fähigkeiten: Greenwald 1980; Svenson 1981; Cooper, Woo und Dunkelberg<br />

1988; Taylor und Brown 1988; Zur Unterschätzung eigener Fehlervarianz: Alpert und Raiffa 1982; Fischhoff,<br />

Slovic und Lichtenstein 1977; Batchelor und Dua 1992; Lichtenstein, Fischhoff und Phillips 1982; Yatas 1990;<br />

62


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

kann selber einen „Overconfidence-Test“ machen. Angenommen, der SPI habe heute<br />

(28.09.2000) einen Indexstand von 5‘500. <strong>Die</strong> Frage lautet: Was ist Ihre Einschätzung über<br />

den Indexstand des SPI in einem Monat? Anschliessend soll ein maximaler Indexstand prognostiziert<br />

werden, so dass mit 99%-iger Sicherheit der SPI nach einem Monat niedriger als<br />

dieser Höchstwert ist. Und dann wird ein minimaler Indexstand prognostiziert, so dass mit<br />

99%-iger Sicherheit der SPI nach einem Monat höher als dieser Wert ist. <strong>Die</strong> subjektive<br />

Wahrscheinlichkeit, dass der SPI nach einem Monat höher oder niedriger als der Grenzwert<br />

ist, liegt bei 2%. Somit ist ein 98% subjektives Konfidenzintervall festgelegt worden. Es gibt<br />

nun drei Möglichkeiten:<br />

Der SPI kann in einem Monat später höher als der höchste Wert der Einschätzung sein.<br />

Der SPI kann sich in einem Monat später innerhalb des Konfidenzintervalls bewegen.<br />

Der SPI kann in einem Monat später niedriger als der niedrigste Wert der Einschätzung<br />

sein.<br />

Ein guter Prognostiker kann in 98% aller Fälle seine Einschätzung als korrekt bestätigen. <strong>Die</strong><br />

Überraschungsfälle (Fehleinschätzungen) liegen approximativ bei 2%. Vielleicht sind Sie ein<br />

guter Prognostiker. Eine ganze Reihe <strong>empirische</strong>r Untersuchungen hat festgestellt, dass nur<br />

sehr wenige Leute gute Prognostiker sind. <strong>Die</strong> Überraschungsfälle in den Studien sind wesentlich<br />

höher. Das typische Ergebnis beim oben beschriebenen Test ist, dass sich die Fehleinschätzungen<br />

zwischen 15% bis 20% bewegen, wenn sie ursprünglich nur mit 2% erwartet<br />

worden sind. Das heisst, dass die durchschnittliche Versuchsperson nur 80% sicher ist, wenn<br />

sie behauptet, dass sie 98% sicher ist. 119 Mit anderen Worten legt die durchschnittliche Versuchsperson<br />

bei der Erwartungsbildung das Konfidenzintervall viel breiter an, als es tatsächlich<br />

sein sollte. <strong>Die</strong>ses Phänomen wird als Overconfidence bezeichnet. Ein interessantes Beispiel<br />

der Overconfidence kommt aus der <strong>empirische</strong>n Untersuchung von Svenson (1988),<br />

wonach 90% der Autofahrer in Schweden der Meinung sind, dass sie überdurchschnittlich gut<br />

fahren. In Bezug auf die Fahrsicherheit sind 82% der Studenten aus USA der Meinung, dass<br />

sie zu den besten 30% ihrer Gruppe gehören. 120<br />

<strong>Die</strong> Overconfidence ist positiv mit dem Schwierigkeitsgrad der Fragestellung korreliert. Bei<br />

extrem schwierigen Fragen 121 ist die Möglichkeit von Overconfidence hoch, während bei ein-<br />

119<br />

Vgl. Kahneman und Riepe (1998) S.35; DeBondt und Thaler (1995) S.389f.<br />

120<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S.389f;<br />

121<br />

Overconfidence bei schwierigen Fragen: Fischhoff, Slovic und Lichtenstein 1977; Lichtenstein, Fischhoff und<br />

Phillips 1982; Yates 1990; Griffin und Tversky 1992;<br />

63


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

facheren Fragen Underconfidence zu beobachten ist. 122 Schwer zu kontrollierende Aufgaben,<br />

begleitet von Noise und erst verspätetem Feedback oder mit offenem Ergebnis, gehören zum<br />

typischen Bereich, in welchem Overconfidence eine wichtige Rolle in der Einschätzung einnimmt.<br />

Im Gegensatz dazu ist Overconfidence bei repetitiven Aufgaben mit schnellem und<br />

klarem Feedback (wie Meteorologie) minimal. 123 Darüber hinaus ist die Korrelation zwischen<br />

Fähigkeit und Overconfidence positiv: Je fähiger das Individuum ist, desto eher ist es overconfident.<br />

124 Auf den Finanzmärkten herrscht harter Wettbewerb und die Anforderungen sind<br />

hoch. <strong>Die</strong> aktiven Teilnehmer sind oft diejenigen, deren Qualifikation überdurchschnittlich<br />

hoch ist. Deswegen ist damit zu rechnen, dass das Konfidenzniveau auf den Finanzmärkten<br />

relativ hoch ist. Ein weiterer Faktor, welcher zu Overconfidence führen kann, ist die Survivorship:<br />

125 Erfolglose Marktteilnehmer müssen den Markt verlassen und erfolgreiche Marktteilnehmer<br />

bleiben. Der Erfolgreiche rechnet seinen Erfolg in der Regel seiner Begabung zu,<br />

und nicht auch den Einflussfaktoren wie dem Zufall oder dem Glück. Folglich hat er ein höheres<br />

Konfidenzniveau und die Anfälligkeit gegenüber Overconfidence steigt. Demzufolge ist<br />

Overconfidence positiv mit dem Erfolg korreliert. Nicht zuletzt produziert der Prozess „reich<br />

zu werden“ auch Nebenprodukte wie Overconfidence.<br />

Wie andere behaviorale Biases ist Overconfidence nur eine potenzielle Quelle einer Fehleinschätzung.<br />

In einem stabilen und durchschaubaren Kontext mit schnellem und eindeutigem<br />

Feedback-Mechanismus ist Overconfidence meistens nicht aktiv. Es hängt vom jeweiligen<br />

Kontext ab, ob Overconfidence die Einschätzung verzerrt. Generell ist mit einem Vorliegen<br />

von Overconfidence zu rechnen, wenn die Analyse auf mehrdeutigen subjektiven Informationen<br />

beruht und die Ergebnisse der Analyse wegen eines fehlenden Feedback-Systems schwer<br />

zu beurteilen sind.<br />

Der Finanzmarkt, wo Informationen mehrdeutig sind und das Feedback oft uneindeutig ist, ist<br />

deshalb kaum frei von Overconfidence: 126 „There are two main implications of investor overconfidence.<br />

The first is that investors take bad bets because they fail to realize that they are at<br />

an informational disadvantage. The second is that they trade more frequently than is prudent,<br />

122<br />

Vgl. Odean (1998a) S.1892f;<br />

123<br />

Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S.1845f;<br />

124<br />

Vgl. Odean (1998a) S.1896ff;<br />

125<br />

Vgl. Odean (1998a) S.1896<br />

126<br />

Empirische Evidenz von Overconfidence der Finanzmarktspezialisten: Ahlers und Lakonishok 1983; Elton,<br />

Gruber und Gultekin 1984; Froot und Frankel 1989; DeBondt und Thaler 1990; DeBondt 1991;<br />

64


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

which leads to excessive trading volume.“ 127 Mit seiner Case-Study über Overconfidence hat<br />

Shefrin (2000) festgestellt, dass sowohl die Finanzexperten als auch durchschnittliche Investoren<br />

overconfident sind. 128<br />

127 Vgl. Shefrin (2000) S.41;<br />

128 Case-Study über Overconfidence von Finanzexperten: Vgl. Shefrin (2000) S.194-205; Beispiele über Over-<br />

confidence von durchschnittlichen Investoren: Vgl. Shefrin (2000) S.131-134;<br />

65


3.1.2 Representativeness<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung von Ähnlichkeit als beziehungsstiftendes Prinzip kam schon in den gestaltpsychologischen<br />

Überlegungen zum Ausdruck. <strong>Die</strong>ses Prinzip ist unabdingbar, wenn man Objekte,<br />

Personen oder Zustände als Orientierungsgrösse in der Umwelt benutzt. Es gilt nicht nur<br />

für die Gleichsetzung oder Unterschiedlichkeit verschiedener Objekte, Personen, Zustände<br />

etc., sondern auch für deren Zuordnung zu der für sie äquivalenten Klasse oder Gruppe. Je<br />

grösser die Ähnlichkeit einer einzelnen oder mehrerer Ausprägungen für die typische Merkmale<br />

dieser Klasse oder Gruppe ist, desto eher wird angenommen, dass es sich bei dem zu<br />

betrachtenden Fall um etwas sehr Typisches handelt.<br />

Das Problem liegt darin, inwieweit der zu betrachtende Fall – als Stichprobe verstanden –<br />

repräsentativ für die Grundgesamtheit ist. Eine Repräsentativitätsheuristik ist ein kognitiver<br />

Prozess, welcher versucht, den Grad der geschätzten Übereinstimmung festzulegen, und zwar<br />

für die Urteilsbildung und dabei besonders für Kategorisierung und Wahrscheinlichkeitsurteile.<br />

In ihren Untersuchungen über die Repräsentativitätsheuristik haben Kahneman und<br />

Tversky (1972; 1973) festgestellt, dass die Benutzung dieser Heuristik zu fehlerhaften Einschätzungen<br />

der Wahrscheinlichkeiten führt.<br />

<strong>Die</strong>se Heuristik soll anhand eines Beispiels veranschaulicht werden: In der Untersuchung<br />

von Kahneman und Tversky (1972) werden alle Familien mit 6 Kindern in<br />

einer Stadt befragt. In 72 Familien ist die exakte Geburtenabfolge von Jungen (J)<br />

und Mädchen (M) gegeben durch MJMJJM. <strong>Die</strong> Versuchspersonen werden aufgefordert,<br />

die Anzahl der Familien mit einer Geburtenabfolge von JMJJJJ zu schätzen.<br />

Wenn man davon ausgeht, dass die Geburtenhäufigkeit für Jungen und Mädchen<br />

gleich gross ist (sie weichen in der Realität minimal ab, was hier aber unbedeutend<br />

ist) und dass das Geschlecht eines Kindes keine Voraussagen über das Geschlecht<br />

des nächsten enthält, sollten beide Sequenzen gleich wahrscheinlich sein. Aber die<br />

meisten Versuchspersonen, 81.5% der Befragten, betrachten die Geburtenabfolge<br />

von JMJJJJ als unwahrscheinlicher, im Vergleich zu der Geburtenabfolge von<br />

MJMJJM. Der Mittelwert der geschätzten Anzahl der Familien mit einer Geburtenabfolge<br />

von JMJJJJ beträgt 30, weniger als die Hälfte der Anzahl der Familien mit<br />

einer Geburtenabfolge von MJMJJM. Kahneman und Tversky führen die fehlerhafte<br />

Schätzung auf die Repräsentativitätsheuristik zurück:“The two birth sequences are<br />

about equally likely, but most people will surely agree that they are not equally rep-<br />

66


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

resentative. The sequence with five boys and one girl fails to reflect the proportion<br />

of boys and girls in the population.” 129<br />

Kahneman und Tversky (1972; 1973) glauben, dass man intuitiv bei Zufallsstichproben Regelmässigkeiten<br />

ausschliesst, sie werden als nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit erachtet.<br />

Es lässt sich im Allgemeinen die Annahme einer ausgewogenen Verteilung offenlegen<br />

(Beispiel Roulette: Wer setzt nach 12 mal rot wieder auf rot!), auch wenn definitiv keine Abhängigkeit<br />

zu dem vorausgegangenen Ereignis existiert. Es handelt sich dabei um ein regressives<br />

Denken, wobei der Glaube dominiert, dass durch einen sich selbst korrigierenden Zufallsprozess<br />

ein Ausgleich stattfindet. Dafür gibt es aber bei einer kleinen Stichprobe jedoch<br />

keinen Anlass, weil das Gesetz der grossen Zahlen nur dann gilt, wenn die Stichprobe genügend<br />

gross ist.<br />

Weiter werden durch die Benutzung von Repräsentativitätsheuristiken auch die Fälle angesprochen,<br />

in denen vorgegebene Wahrscheinlichkeiten vernachlässigt werden, wenn ein Informationselement<br />

als typisch für eine Kategorie, eine Gruppe oder eine Situation angesehen<br />

wird. Das heisst, sobald Ansätze von Stereotypen in einer Beschreibung erkennbar sind (zum<br />

Beispiel deutet die Beschreibung eher auf einen Ingenieur als auf einen Juristen hin), wird<br />

eine vorgegebene Wahrscheinlichkeit (von 100 Beschreibungen wurden 70 Juristen zugeordnet)<br />

unter Umständen total ignoriert. So ist zum Beispiel denkbar, dass die Aktie eines Unternehmens<br />

deshalb stark in die Höhe getrieben wird, weil das Unternehmen in einer bestimmten<br />

Wachstumsbranche wie der TMT-Bereich tätig ist und die Zugehörigkeit zur Branche als repräsentativ<br />

für hohes Wachstum wahrgenommen wird. Untergewichtet oder gar übersehen<br />

wird dabei vielleicht dessen Fähigkeit zur Generierung der zukünftigen Cashflows. Ähnlich<br />

sieht es auch mit der Attraktivität von Neuemissionen aus. Auch wenn man wüsste, dass Neuemissionen<br />

statistisch nicht besser als der Gesamtmarkt abschneiden (50% Chance), spielt<br />

dies nicht unbedingt eine Rolle. Solange, durch punktuelle Erfahrung bestärkt und medienmässig<br />

begleitet, „neu“ schnell mit „besser“ (im Sinne von kurzfristigen Profiten) gleichgesetzt<br />

wird, bleiben Statistiken untergewichtet. 130<br />

129 Vgl. Kahneman und Tversky (1972) S. 33f. Ähnliche Untersuchung siehe: Strack (1985);<br />

130 „ Representativeness can be thought of as excessive attention to the strength of particularly salient evidence,<br />

in spite of its relatively low weight. „ Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.308<br />

67


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Bar-Hillel (1982) zufolge führt die Benutzung von Repräsentativitätsheuristiken zu zwei systematischen<br />

Fehlern bei der Wahrscheinlichkeitseinschätzung: 131<br />

It may give undue influence to variables that affect the representativeness of the<br />

event but not its probability;<br />

It may reduce the importance of variables that are crucial to determining the<br />

event’s probability but are unrelated to the event’s representativeness.<br />

Mit seinem Case-Study über Representativeness-Bias hat Shefrin (2000) festgestellt, dass<br />

sowohl der Finanzexperte wie Barton Biggs von Morgan Stanley (Chefökonom und Global<br />

Strategist) als auch die durchschnittlichen Investoren durch Representativeness-Bias beeinflusst<br />

werden. 132<br />

131<br />

Vgl. Bar-Hillel (1982) S.69;<br />

132<br />

Case-Study über Representativeness-Bias von Barton Biggs (Chefökonom): Vgl. Shefrin (2000) S.14-18;<br />

Case-Study über Representativeness-Bias von durchschnittlichen Investoren: Vgl. Shefrin (2000) S.81-83;<br />

68


3.1.3 Behavior-Biases im Überblick<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Es gibt eine Reihe von Behavior-Biases, welche für die Abweichung der deskriptiven Erwartungsbildung<br />

von der normativen rationalen Erwartungsbildung verantwortlich sind. Wenn<br />

man seinen Kopf nicht in den Sand steckt und die <strong>empirische</strong> Evidenz ernst nimmt, dann liegt<br />

es klar auf der Hand, dass die von traditionellem Konzept postulierte rationale Erwartung zu<br />

weit weg von der Realität ist.<br />

Selektive Wahrnehmung<br />

<strong>Die</strong> selektive Wahrnehmung ist darauf zurückzuführen, dass die Wahrnehmung der Informationen<br />

durch das (Vor-)Wissen bestimmt wird und dass die Probleme nach eigenen Erfahrungen<br />

der Investoren restrukturiert werden. <strong>Die</strong> Antizipation dessen, was ein Entscheidungsträger<br />

erwartet wahrzunehmen, beeinflusst die Wahrnehmung der Realität. <strong>Die</strong>se Strategie reflektiert<br />

den Wunsch nach Stabilität und Kontinuität, was aber mit Kosten verbunden ist. In<br />

Entscheidungssituationen werden zur Wahrscheinlichkeitseinschätzung die Informationen<br />

übergewichtet, welche den Vorstellungen oder Hypothesen des Entscheidungsträgers besser<br />

entsprechen, und hingegegen werden diejenigen Informationen, welche den eigenen Vorstellungen<br />

oder Hypothesen widersprechen, verdrängt, vernachlässigt oder untergewichtet. Mit<br />

anderen Worten werden neue Informationen nicht unverfälscht den bereits vorhandenen Informationselementen<br />

hinzugefügt, indem die neuen Informationen den Abwehr- oder Umdeutungsprozessen<br />

unterliegen, so dass mit einer systematischen Verzerrung zu rechnen ist. 133<br />

Availability<br />

<strong>Die</strong> Availability ist ein Ausdruck von beschränkter Kapazität sowie „satisfying“ in der Entscheidungsfindung,<br />

und sie leistet einen Beitrag zur Reduktion der Komplexität von Problemen<br />

und des Aufwandes für die Informationssuche. 134 Bei der Verwendung der Verfügbarkeitsheuristik<br />

werden diejenigen Informationen übergewichtet, 135 welche einen starken Eindruck<br />

hinterliessen und deshalb kognitiv leicht verfügbar sind. Vorlieben, Erfahrungen und<br />

133 Vgl. Maas und Weibler (1990) S. 73-77;<br />

134 <strong>Die</strong> Verfügbarkeitsheuristik kann beispielsweise dazu führen, dass die eigene Meinung (unbewusst) als Vertreterin<br />

des Konsens betrachtet wird, falls die Konsensinformation nicht verhanden ist, die eigene Meinung dazu<br />

jedoch verfügbar ist.<br />

135 Eine Übergewichtung der Informationen bedeutet, dass die Informationen viel stärker wahrgenommen wer-<br />

den, als sie sein sollte.<br />

69


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Handlungen aus dem Familien- und Bekanntenkreis, die ebenso schnell sowie leicht verfügbar<br />

sind, führen zur Übergewichtung von solchen Informationen, was oft in „vorschnellen“<br />

Urteilen mündet. Mit anderen Worten kann durch die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit<br />

auf ein Ereignis oder eine Information die subjektive Einschätzung der zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

verzerrt werden. <strong>Die</strong> Availability ist für die Überschätzung der Auftrittshäufigkeit<br />

auffälliger Ereignisse verantwortlich und wird somit auch als „salience biases“<br />

bezeichnet. 136<br />

Framing<br />

<strong>Die</strong> Art der Präsentation von Informationen – beispielsweise die Reihenfolge – beeinflusst die<br />

nachfolgend getroffenen Entscheidungen (Relevanz der ersten bzw. letzten Information, Verletzung<br />

der Invarianz-Bedingung). Ob die Informationen zu einem Ereignis auf einmal oder<br />

nacheinander präsentiert werden, übt einen Einfluss auf die zu treffende Entscheidung aus. Es<br />

werden beispielsweise unterschiedliche Entscheidungen getroffen, je nachdem, ob Verluste<br />

als solche oder als entgangene Gewinne dargestellt werden (positive oder negative Darstellung).<br />

137 <strong>Die</strong> Entscheidung ist konzeptabhängig.<br />

Conservatism<br />

Der Konservatismus drückt sich durch das Beharrungsvermögen bestehender Informationen<br />

oder Meinungen gegenüber neu eintreffenden Informationen aus. <strong>Die</strong>ses Non-Bayesian Behavior<br />

führt zu einer Unterreaktion auf neue Informationen. 138 Der Konservatismus hat eine<br />

Übergewichtung des Status quo zur Folge, und foglich ist die Erwartung über die Zukunft oft<br />

eine lineare Extrapolation des Status quo.<br />

Illusion of control<br />

Investoren entwickeln im Umgang mit unsicheren Entscheidungssituationen das Gefühl, sie<br />

könnten die unsicheren Situationen steuern und im Griff haben, obwohl sie als einzelne<br />

Marktteilnehmer nur sehr geringe Einflussmöglichkeiten auf das Marktgeschehen haben. <strong>Die</strong><br />

136<br />

Vgl. Tversky und Kahneman (1973) S.163-165; und Taylor (1982) S.192-194;<br />

137<br />

Vgl. Shefrin (2000) S. 29-30;<br />

138<br />

Vgl. Edwards (1968) S. 363-365;<br />

70


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Erfahrung von Kontrolle bzw. Steuerbarkeit führt zu Gefühlen von eigener Wichtigkeit und<br />

Kompetenz. Der Verlust von Kontrolle oder das Ausbleiben solcher führt zu negativen Auswirkungen<br />

auf das Befinden eines Entscheidungsträgers. Kontrolle im kontrolltheoretischen<br />

Sinn erfasst auch die subjektive Wahrnehmung von Kontingenzen zwischen Handlung und<br />

Konsequenzen (wahrgenommene oder kognizierte Kontrolle). Kognizierte Kontrolle kann<br />

dann auch in Form „illusionärer Kontrolle“ vorliegen, d.h., in das Phänomen münden, dass<br />

Kontrollmöglichkeiten wahrgenommen werden, ohne dass diese existieren. Das Erlebnis der<br />

Kontroll-Illusion verzerrt die Erwartungsbildung und verfälscht Lernprozesse, indem Zusammenhänge<br />

an Finanzmärkten wahrgenommen werden, die real nicht bestehen. 139<br />

Mental Accounting<br />

Entscheidungsträger tendieren dazu, verschiedene (wahrgenommene) Typen von Alternativen<br />

zu trennen, sie unterschiedlichen „fiktiven Konten“ zuzuweisen und Entscheidungen dann<br />

separat für verschiedene Konten zu treffen, um die Komplexität zu reduzieren. Folglich ist<br />

eine punktuelle Optimierung zu verzeichnen, wobei das gesamte Bild verlorengeht. Im Hinblick<br />

auf die Verarbeitung der Informationen kann Mental Accounting dazu führen, dass die<br />

Informationen nicht aus einer Perspektive des Ganzen wahrgenommen und verarbeitet wer-<br />

den. 140<br />

Anchoring<br />

Verankerung und Anpassung beschreiben den Urteilsbildungsprozess in Fällen, in denen ausgehend<br />

von einem bestimmten Richtwert – Anker – bei der Problemeinschätzung eine fortlaufende<br />

Anpassung beim Eintritt neuer Informationen erfolgt. Ein wertvoller Anhaltspunkt<br />

kann durch Anchoring gewonnen werden, wenn ein objektiver und informativer Anker identifiziert<br />

werden kann. <strong>Die</strong>s ist jedoch oft nicht der Fall, und somit wird das Urteilsergebnis in<br />

Richtung Anker verzerrt. Eine Verankerung mit falschem Anker führt zu systematischen Verzerrungen<br />

der Art, dass eine ursprüngliche Information (Anker) ein Endurteil stärker prägt, als<br />

im Verlauf der Zeit hinzukommende neue Informationen, die den vorliegenden früheren Informationen<br />

zumindest teilweise widersprechen, d.h., die ursprüngliche Verankerung führt zu<br />

139 Vgl. Bungard und Schultz-Gambard (1990) 145-151;<br />

140 Vgl. Shiller (1997) S. 8-9;<br />

71


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

einer verringerten Anpassung der ursprünglichen Einschätzung aufgrund neuer Informatio-<br />

nen. 141<br />

Gambler’s fallacy<br />

<strong>Die</strong> auch als „misperception of chance fluctuation“ bekannte Anomalie beschreibt die Neigung<br />

von Entscheidungsträgern, aus der Beobachtung einer Anzahl gleichwahrscheinlicher<br />

ähnlicher Ereignisse abzuleiten, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines anderen<br />

Ereignisses höher ist. Beispielsweise wird beim Roulette nach 12 mal rot eher schwarz erwartet.<br />

Der Entscheidungsträger zeigt in solchen Situationen ein Bestreben, zufällige Ereignisse<br />

(das Glück) in eine Normalverteilung zu zwingen. Anders formuliert bewirkt der „Irrglauben<br />

des Spielers“, dass „illusionary correlations“ entstehen, wenn auch nach den Regeln der<br />

Wahrscheinlichkeitstheorie tatsächlich zufällige und voneinander unabhängige Ereignisse<br />

vorliegen. In diesem Zusammenhang scheint die Gültigkeit des Gesetzes der grossen Zahl<br />

auch für sehr kleine Stichproben erwartet zu werden, und folglich ist mit einer Über- oder<br />

Unterreaktion zu rechnen. Es wird auch vom „Aberglauben an das Gesetz des Durchschnitts“<br />

gesprochen, beispielsweise glauben viele Investoren, dass es nach steigenden Kursen am Aktienmarkt<br />

wieder zu fallenden Kursen kommen muss (sogenanntes regressives Denken und<br />

Verhalten). 142<br />

Conjunction fallacy<br />

Es kommt vor, dass der Entscheidungsträger auf der deskriptiven Ebene die Wahrscheinlichkeit<br />

des Auftretens von zwei konjunktiv verknüpften Ereignissen für grösser hält, als die<br />

Wahrscheinlichkeit des Eintretens jeder der beiden einzelnen Ereignisse, d.h., P(A&B) ≥ P(B),<br />

weil er die konjunktiv verknüpften Ereignisse als repräsentativ empfindet. 143 <strong>Die</strong>ses Verhalten<br />

ist inkonsistent mit der Conjunction-Rule in der Wahrscheinlichkeitstheorie, wo P(A&B) ≤<br />

P(B) sein muss. 144<br />

141 Vgl. Mass und Weibler (1990) S. 93-96;<br />

142 Vgl. Kahneman und Tversky (1971) S.24-25; Hofstätter (1990) S. 14-23;<br />

143 “An individual may resemble our image of a Republican artist more than our image of a Republican. .... Similarity<br />

or representativeness can be increased by specification of the target. If probability judgments are mediated<br />

by representativeness or similarity it should be possible that a conjunction of outcomes appears more representative<br />

and hence more probable than one of its components.” Vgl. Tversky und Kahneman (1982) S.90;<br />

144 In den experimentellen Untersuchungen kommen beispielsweise 87% der Teilnehmer zu der Beurteilung,<br />

dass P(A) > P(A&J) > P(J) ist. Vgl. Tversky und Kahneman (1982) Table I, S.93;<br />

72


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Loss Aversion<br />

Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass Verluste stärker als Gewinne wahrgenommen<br />

und Verluste dementsprechend auch stärker als Gewinne in gleicher Höhe bewertet werden.<br />

145 Mit anderen Worten ist das Entscheidungsverhalten in einem Verlustfall systematisch<br />

anders als in einem Gewinnfall. 146 <strong>Die</strong> rationale Entscheidungstheorie kennt hingegen keinen<br />

systematischen Unterschied zwischen den beiden Fällen.<br />

Ambiguity Aversion<br />

Der Ambiguitätseffekt ist dadurch gekennzeichnet, dass bei unsicheren Handlungsalternativen<br />

der Grad der Information über die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsverteilung die Präferenz<br />

des Entscheidungsträgers beeinflusst 147 , d.h., der Entscheidungsträger bevorzugt die Situationen,<br />

in denen er sich ein klares Bild von den Eintretenswahrscheinlichkeiten machen<br />

kann, gegenüber solchen mit einer Unklarheit bezüglich der Wahrscheinlichkeiten (Ambiguitäts-Situation).<br />

Dadurch kann das Unabhängigkeitsaxiom der Erwartungsnutzentheorie verletzt<br />

werden, wie das Ellsberg-Paradox gezeigt hat 148 . Mit zunehmender Ambiguität sinkt die<br />

Bereitschaft eines ambiguitätsaversen Entscheidungsträgers, Transaktion durchzuführen und<br />

unsichere Positionen in der ambiguitätsbehafteten Anlage zu halten. 149<br />

Regret Avoidance<br />

<strong>Die</strong> Verhaltensasymmetrie im Hinblick auf Gewinn und Verlust kann auf das Bestreben von<br />

Entscheidungsträgern zurückgeführt werden, Enttäuschung bzw. Bedauern (regret) über eine<br />

nach dem Eintritt des Ereignisses als fehlerhaft eingestufte Entscheidung dadurch zu vermeiden,<br />

dass der potenzielle Verlust nicht (oder noch nicht) realisiert wird. Empirische Untersuchungen<br />

führten zum Ergebnis, dass die mögliche Enttäuschung über eine falsche Entschei-<br />

145<br />

Nach De Bondt und Thaler werden die Verluste in der Bewertung doppelt so stark wie die Gewinne gewichtet.<br />

Vgl. De Bondt und Thaler (1995) S. 390;<br />

146<br />

Vgl. Thaler, Kahneman und Knetsch (1992) S.73-74;<br />

147<br />

Ambiguität kann als die subjektive Erfahrung fehlender, für eine Vorhersage relevanter Information verstanden<br />

werden. Vgl. Einsenberger (1996) S.40;<br />

148<br />

Das Ellsberg-Paradox, Vgl. Einsenberger (1996) S. 44-49;<br />

149<br />

Vgl. Einsenberger (1996) S.54 und S.74;<br />

73


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

dung höher bewertet wird als der mögliche Stolz (pride) im Fall einer richtigen Entscheidung,<br />

und daher die Tendenz zu beobachten ist, dass viele Entscheidungsträger eine Untätigkeit<br />

bzw. Passivität einer Aktivität vorziehen bzw. negative Konsequenzen als Folge einer Aktivität<br />

stärker enttäuschend empfinden als negative Konsequenzen aufgrund von Untätigkeit. 150<br />

Disposition Effect (endowment effect)<br />

Es wird „disparity between willingness to accept and willingness to pay“ beobachtet. <strong>Die</strong> vom<br />

Entscheidungsträger angegebenen Kauf- und Verkaufspreise für ein und dasselbe Gut differieren<br />

so stark, dass die Differenz nicht allein mit Einkommenseffekten oder Transaktionskosten<br />

begründet oder als strategischer Faktor verstanden werden kann. Als Ursache einer solchen<br />

Diskrepanz von Kauf- und Verkaufspreisen wird der „disposition effect“ angeführt, d.h.,<br />

das Zögern des Entscheidungsträgers, ein Gut aus seinem Besitz zu verkaufen bzw. sich von<br />

seinem Besitz zu trennen. Während ein langfristiger „disposition effect“ vor allem auf eine<br />

gefühlsmässige Verbundenheit mit einem Gut zurückgeführt werden kann („sentimental attachment“),<br />

gelten für den kurzfristigen „disposition effect“ mehrere Ursachen als relevant,<br />

die nicht alle unabhängig voneinander sind. Eine wesentliche Ursache ist die Loss Aversion.<br />

<strong>Die</strong> Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch den „disposition effect“ hat schliesslich<br />

eine suboptimale Nutzenmaximierung zur Folge. 151<br />

Prospect Theorie<br />

Prospect Theorie ist eine Alternative zur klassischen Erwartungsnutzentheorie. <strong>Die</strong> wichtigsten<br />

Elemente dieser Theorie sind die Berücksichtigung der mentalen Repräsentation des Problems<br />

im Rahmen einer „editing“-Phase, die Definition von Gewinnen und Verlusten als Abweichungen<br />

von einem individuellen Referenzpunkt, die unterschiedliche Behandlung der<br />

Gewinne und Verluste durch die Entscheider, sowie die Verwendung einer Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion<br />

zur Transformation der gegebenen, objektiven Wahrscheinlichkeiten.<br />

150<br />

Vgl. Shiller (1997) S.6;<br />

151<br />

Vgl. Shefrin (2000) S.107-117; Thaler, Kahneman und Knetsch (1992) S.64-78;<br />

74


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Prospect Theory - A: Value Function<br />

<strong>Die</strong> Valuefunktion unterscheidet sich von der Nutzenfunktion in drei wichtigen Aspekten:<br />

Erstens ist ein Benchmark (reference point) zur Messung von Gewinnen und Verlusten ins<br />

Modell eingebaut; Zweitens handelt es sich um ein relatives Konzept, wobei die Funktion<br />

nicht durch ein absolutes Niveau des Wohlstands, sondern durch Gewinne bzw. Verluste bestimmt,<br />

welche referenzpunktabhängig sind. Somit erfolgt eine relative Bewertung, welche<br />

die relative Wahrnehmung bzw. relative Bewertung in der tatsächlichen Entscheidung abbildet.<br />

Drittens geht das Modell explizit von der unterschiedlichen Bewertung von Gewinn und<br />

Verlust aus: konkav für Gewinn und konvex für Verlust. 152 Dadurch wird der Unterschied<br />

zwischen Gewinn- und Verlustverhalten abgebildet.<br />

Abbildung 8: Prospect Theory Valuefunction<br />

Valuefunktion<br />

Value<br />

Loss Gain<br />

Reference point<br />

Quelle: Kahneman und Tversky (1979) S.279<br />

Prospect Theory - B: Weighting Function<br />

<strong>Die</strong> Weighting Function der Prospect Theorie beruht auf den Erkenntnissen aus den experimentellen<br />

Untersuchungen, dass objektive Wahrscheinlichkeiten in der tatsächlichen Entscheidungsfindung<br />

modifiziert werden, d.h., die Gewichtungen im Entscheidungsbaum sind<br />

nicht identisch mit den objektiven Wahrscheinlichkeiten, denn die objektiven Wahrscheinlichkeiten<br />

sind nicht „eins zu eins“ in den Entscheidungsbaum aufgenommen worden. Konkret<br />

werden die extrem hohen Wahrscheinlichkeiten approximativ als sicheres Auftreten be-<br />

152 Vgl. Kahneman und Tversky (1979) S.279<br />

75


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

trachtet, und deswegen übergewichtet. 153 Mit anderen Worten sind die subjektiven Wahrscheinlichkeiten<br />

der Ereignisse mit extrem hohen Wahrscheinlichkeiten, die Gewichtung im<br />

Entscheidungsbaum des Entscheidungsträgers, höher als deren objektiven Wahrscheinlichkeiten,<br />

und es liegt folglich eine Überschätzung vor. Hingegen werden Ereignisse mit moderaten<br />

oder hohen objektiven Wahrscheinlichkeiten untergewichtet bzw. unterschätzt. <strong>Die</strong> Ereignisse<br />

mit extrem niedrigen Wahrscheinlichkeiten werden approximativ als sicheres Nichtauftreten<br />

betrachtet. 154<br />

Abbildung 9: Prospect Theory Weighting Function<br />

1<br />

Entscheidungsgewicht π(p) Weighting Function der Prospect Theory<br />

0<br />

Wahrscheinlichkeit p<br />

153 Wenn die Gewinnchance einer Lotterie beispielsweise 99% ist, dann wird die entsprechende Gewinnmöglichkeit<br />

als sicher betrachtet. In der tatsächlichen Entscheidungsfindung wird der Gewinn dann mit Sicherheit<br />

erwartet, d.h., anstatt 99% wird 100% zur Berechnung des Outcomes verwendet.<br />

154 Vgl. Kahneman und Tversky (1979) S. 265-266;<br />

76<br />

1


3.1.4 <strong>Die</strong> Persistenz<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Zum Aufzeigen, dass es sich bei Behavior-Biases um persistente Verhaltensmuster handelt,<br />

wird in diesem Abschnitt die Ursache von Behavior-Biases diskutiert. Es wird zuerst diskutiert,<br />

warum verkürzende kognitive Prozesse (Behavior-Biases) persistent existieren. Und<br />

dann wird exemplarisch die Persistenz von Overconfidence behandelt.<br />

3.1.4.1 Zufriedenstellung statt Optimierung<br />

Im Jahre 1978 wurde der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaft an einen Psychologen vergeben,<br />

Herber A. Simon von der Carnegy-Mellon-University, dessen Arbeiten über Entscheidungsfindung<br />

und künstliche Intelligenz das Verständnis des Problemlösens stark vorangebracht<br />

hat. Eine der fesselndsten und einflussreichsten Thesen Simons besagt, dass Entscheidungsträger<br />

ihre Wahl im Grunde nicht optimieren in dem Sinne, als dass sie alle möglichen<br />

Alternativen nach der besten durchsuchen. Statt dessen suchen sie Simon zufolge lediglich<br />

eine zufriedenstellende Lösung. Das heisst, sie wählen die erste Alternative, die gut genug<br />

ist. 155<br />

<strong>Die</strong> Stossrichtung eines Grossteils der Arbeit Simons war, die Grenzen der rationalen Ressourcen<br />

des Menschen zu demonstrieren, die Tatsache, dass ein grosser Teil der für eine Entscheidung<br />

relevanten Informationen nicht ohne weiteres zur Verfügung steht oder zu teuer zu<br />

beschaffen und zu benutzen ist. Seine Ideen lassen sich durch die Parabel vom Bauern veranschaulichen,<br />

der einen Hemdenknopf verloren hat. Vielleicht könnte der Bauer seinen Heuhaufen<br />

nach der schärfsten Nadel durchsuchen; aber das ist zu mühsam, also beschliesst er,<br />

nach irgendeiner Nadel zu suchen, die sich zum Annähen des Knopfs eignen würde. Plötzlich<br />

fällt dem Bauern ein, dass es in seinem Haus üblich ist, Hemden, deren Knöpfe fehlen, in die<br />

Waschküche zu hängen. Eine „zufriedenstellende“ Lösung! Was Simon damit sagen will, ist,<br />

dass die Entscheidungsfindung selbst im Investment eher damit vergleichbar ist, dass der<br />

Bauer sein Hemd in die Waschküche hängt, als dass er den Heuhaufen nach der schärfsten<br />

Nadel durchsucht. 156<br />

155 Vgl. March (1978) S.858-859;<br />

156 Vgl. March (1978) S.858-861;<br />

77


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Satisfying führt dazu, dass in Wirklichkeit die Entscheidungen deshalb oft nach der simpleren<br />

intuitiven Methode getroffen werden, mit dem Ergebnis, dass man erst durch Schaden klug<br />

wird. 157 <strong>Die</strong> Studie von Tversky und Kahneman hat gezeigt, dass die intuitiven Methoden,<br />

simple Abkürzungsstrategien, in der tatsächlichen Entscheidungsfindung breit eingesetzt werden,<br />

und dass das Zufriedenstellung wichtiger als die Optimierung ist: <strong>Die</strong> Versuchspersonen<br />

sind zu unbeweglich, wenn es darum geht, ihre Schätzungen zu überprüfen, weitere Informationen<br />

zu berücksichtigen, um zum optimalen Resultat zu gelangen. Sie vertrauen ferner zu<br />

sehr auf ihre eigene Beurteilung der Resultate, also eine Selbstzufriedenheit. Sie lassen sich<br />

zu leicht von sehr kleinen Stichproben beeindrucken. <strong>Die</strong>se Voreingenommenheit legen nicht<br />

nur normale Versuchspersonen an den Tag, sondern auch erfahrene Forscher, wenn sie sich<br />

auf ihre Intuition verlassen. 158<br />

Tversky hat ausgehend vom Satisfying eine Theorie entwickelt, wonach die tatsächliche Entscheidungsfindung<br />

als eine Heuristik (oder eine Strategie) der schrittweisen Eliminierung<br />

beschrieben wird. 159 Beim Kauf eines Autos wird beispielsweise selten zwecks optimaler Entscheidung<br />

ein Entscheidungsbaum eingesetzt, damit der erwartete Nutzen als Evaluationskriterium<br />

angewandt werden kann. 160 In der tatsächlichen Entscheidungsfindung setzt man oft<br />

zunächst eine Preisgrenze von einem gewissen Betrag (z.B. 60'000 sFr.) und schliesst dadurch<br />

alle teueren Modelle aus den Überlegungen aus. Unter den verbleibenden Alternativen wird<br />

dann ein weiterer Aspekt ausgewählt, vielleicht die Bedingung, dass das Auto ein automatisches<br />

Getriebe haben muss, somit werden alle Autos ohne Automatik von der Liste gestrichen.<br />

<strong>Die</strong>ser Vorgang wiederholt sich, bis alle Modelle mit Ausnahme von einem eliminiert<br />

sind. Tversky zufolge besteht der Vorzug dieser Heuristik darin, dass diese Strategie leicht zu<br />

formulieren, zu begründen und anzuwenden ist. Bei der Wahl zwischen vielen komplexen<br />

Alternativen, wie neue Autos oder Stellenangebote, ist man in der Regel mit einer überwältigenden<br />

Menge relevanter Informationen konfrontiert. Das optimale Verfahren, um unter diesen<br />

Alternativen eine Wahl zu treffen, erfordert gewöhnlich komplizierte Berechnungen, die<br />

auf dem Wert basieren, den man den verschiedenen relevanten Faktoren zuschreibt. <strong>Die</strong> Menschen<br />

scheinen sich davor zu scheuen, nach dem Grundsatz zu handeln, dass (auch sehr wichtige)<br />

Entscheidungen von Berechnungen abhängen sollten, die auf subjektiven Schätzungen<br />

157<br />

Dem rationalen Konzept nach sollte anhand eines Entscheidungsbaums mit entsprechender Gewichtung und<br />

jeweiligem Nutzen nach einer nutzenmaximierenden Entscheidung gesucht werden.<br />

158<br />

Vgl. Tversky und Kahneman (1974) S. 3-11;<br />

159<br />

Vgl. Tversky (1972) S. 286-291;<br />

160<br />

Auf deskriptiver Ebene ist es nicht immer möglich, den Nutzen und die Gewichtung eindeutig festzustellen.<br />

78


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

von Wahrscheinlichkeiten oder Werten beruhen, zu denen der Entscheidungsträger selber nur<br />

begrenztes Vertrauen hat. 161<br />

In ihren Forschungen haben Slovic, Fischhoff und Lichtenstein darauf hingewiesen, dass<br />

Menschen manchmal anderen einfachen Regeln folgen, etwa jeweils nur zwei Alternativen<br />

miteinander zu vergleichen und nur die bessere für spätere Vergleiche beizubehalten. 162 <strong>Die</strong>se<br />

Regel wird beispielsweise in politischen Wahlen breit eingesetzt, obwohl sie zu inkonsistenten<br />

Resultaten führen kann. 163 <strong>Die</strong> Zuhilfenahme von einfachen Regeln garantiert zwar keine<br />

optimalen oder konsistenten Entscheidungen, aber sie ist in der Praxis beliebt, weil sie durchaus<br />

eine zufriedenstellende Lösung liefern kann.<br />

161<br />

Vgl. Tversky (1972) S. 291-292;<br />

162<br />

Vgl. Fischhoff, Slovic und Lichtenstein (1977) S.552-553;<br />

163<br />

Das Arrow-Paradoxon: Nach dem Unmöglichkeitssatz von Arrow sind die notwendigen Nebenbedingungen<br />

für das Zustandekommen konsistenter Resultate untereinander unvereinbar ( NB: Universeller Definitionsbereich;<br />

Einstimmigkeitsprinzip; Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen; Diktatorverbot; Rationalität der<br />

aggregierten Präferenz).<br />

79


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

3.1.4.2 <strong>Die</strong> Persistenz von Overconfidence<br />

Im Hinblick auf die Beeinflussung der Entscheidung durch Overconfidence ist die Frage von<br />

Bedeutung, ob Overconfidence persistent bleibt. Es liegt auf der Hand, dass viele Nachteile<br />

mit Overconfidence verbunden sind. Es sollen Vorteile gefunden werden können, wenn es<br />

sich dabei um ein persistentes Phänomen handelt. <strong>Die</strong> evolutionäre Theorie vertritt die Hypothese,<br />

dass das Individuum mit seiner Erscheinung als stärkeres und intelligenteres Wesen in<br />

seiner Population bessere Möglichkeiten hat, das andere Geschlecht für sich zu gewinnen und<br />

seine DNA weiterzugeben. 164 <strong>Die</strong> Strategie von Overconfidence erhöht somit die Chance des<br />

Individuums zur Fortpflanzung seiner eigenen Gene, die wichtigste Aufgabe im evolutionären<br />

Kontext. In dieser Hinsicht ist das Muster von Overconfidence biologisch verwurzelt.<br />

Im ökonomischen Kontext schafft Overconfidence ein positives Signalling, wodurch ein<br />

komparativer Vorteil gegenüber Mitkonkurrenten geschaffen werden kann, somit wird die<br />

Möglichkeit, im Wettbewerb „ausgewählt“ werden zu können, vergrössert. Portfoliomanager,<br />

welche das positive Signalling beherrschen und sich als Smartest zu verkaufen verstehen,<br />

können im Vergleich zu anderen Portfoliomanagern mit gleicher Qualifikation und Leistung<br />

mehr Kunden gewinnen und sich dadurch eine bessere Ausgangslage im Wettbewerb verschaffen.<br />

<strong>Die</strong> Fähigkeit, sich kompetenter und intelligenter als tatsächlich zu präsentieren,<br />

schafft Wettbewerbsvorteile, weil dadurch an Glaubwürdigkeit gewonnen wird. Glaubwürdigkeit<br />

ist die Voraussetzung für jeden Erfolg. 165 Der Grund dieser Täuschungsstrategie<br />

(Marketing) liegt darin, dass dadurch mehr Chancen gewonnen werden können, unter Nebenbedingung<br />

der Informationsasymmetrie. 166<br />

Ein interessanter Punkt dabei ist, dass man zuerst sich selbst überzeugen muss, um dann die<br />

anderen zu überzeugen. <strong>Die</strong> Erscheinung als Smartest setzt den Glauben an die eigene Kompetenz<br />

bzw. Intelligenz voraus. <strong>Die</strong> natürliche Selektion hat zu diesem Zweck ein Instrument<br />

entwickelt, und in der Psychologie wird dieses Instrument als Self-Attribution genannt. Gemäss<br />

der Attributionstheorie lassen sich die Menschen zwischen Erfolgszurechner und Misserfolgszurechner<br />

unterscheiden. Ein Erfolgszurechner rechnet die Erfolge der eigenen Bega-<br />

164<br />

Vgl. Waldman (1994) und Hirshleifer (1999)<br />

165<br />

Handle wie ein König, um wie ein König behandelt zu werden.<br />

166<br />

Das Game in der natürlichen Selektion ist nicht zwingend fair. Faires Game ist aus evolutionärer Sicht nicht<br />

unbedingt eine gute Konstruktion, weil die Offenheit des Systems durch Determinismus und Starrheit stark beschränkt<br />

wird. <strong>Die</strong> Botschaft einer offenen Zukunft ist nicht inkonsistent mit einer unfairen Konstruktion, in der<br />

alles möglich ist.<br />

80


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

bung resp. Anstrengung zu, während Misserfolge der ungünstigen Situation oder der Pech<br />

zugeschrieben werden. Empirische Untersuchungen haben die Evidenz der Attribution bestä-<br />

tigt. 167<br />

Self-Attribution:<br />

Stabilität über Zeit<br />

Ort der Verursachung (Locus of control)<br />

in der Person (internal) in den Umständen (external)<br />

stabil Begabung Aufgabenschwierigkeit<br />

instabil Anstrengung Zufall (Glück & Pech)<br />

Erfolg zu internalisieren und Misserfolg zu externalisieren ist eine beliebte Strategie, auch für<br />

Investoren. Ein durchschnittlicher Investor verdankt den Kursgewinn von Titeln in seinem<br />

Portfolio selten dem Zufall, sondern in der Regel seiner Kompetenz. Bei Kursverlust wird<br />

selten die eigene Kompetenz in Frage gestellt, denn eine ungünstige Lage oder Pech kann<br />

alles erklären. Das Muster der asymmetrischen Attribution ist tief im Unterbewusstsein verwurzelt.<br />

Der Zweck dieses Mechanismus liegt in der Selbsttäuschung (Selbstüberzeugung),<br />

damit das positive Signalling nach aussen perfekt sein kann.<br />

Neben den positiven Effekten des Signalling kann die Attribution die ungewollten Kosten<br />

einer objektiven Selbsteinschätzung reduzieren: Das Zugeben eigener Fehler ist zwar objektiv<br />

und korrekt, aber nicht ungefährlich, weil der Markt linear denkt. In diesem Fall ist die Gefahr<br />

gross, dass eine Kontinuität der Fehler stillschweigend angenommen wird. Wer in der Gegenwart<br />

einen Fehler begeht, der läuft die Gefahr, dass sein Fehler durch die Erwartungsbildung<br />

von anderen in die Zukunft extrapoliert wird. <strong>Die</strong>se lineare Extrapolierung manifestiert<br />

sich beispielsweise beim sogenannten Short-Run Momentum: Gewinner bleiben Gewinner<br />

und Verlierer bleiben Verlierer. In diesem Fall stellt die Attribution eine massgeschneiderte<br />

Gegenstrategie gegen diese Linearität dar, und somit sind die Attribution und die Overconfidence<br />

ein notwendiges Mittel zum Ziel, um in der ökonomischen Selektion „ausgewählt“<br />

werden zu können. <strong>Die</strong> mit diesem Bias verbundenen Nachteile können durch dessen Vorteile<br />

durchaus überkompensiert werden.<br />

167 Attribution-Bias: DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990), Taylor und Brown (1988); Miller und<br />

Ross (1975); Langer und Roth (1975); Fischoff (1982);<br />

81


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Overconfidene wird durch Attribution ins Leben gerufen und verstärkt. <strong>Die</strong> Confidence der<br />

Investoren wird gestärkt, indem der möglicherweise vom Zufall verursachte Erfolg der eigenen<br />

Fähigkeit zugerechnet wird, wenn die öffentlichen Informationen die subjektive Einschätzung<br />

der Investoren bestätigen oder ein Kursgewinn verbucht werden kann. Im umgekehrten<br />

Fall wird die Confidence nicht geschwächt, wenn sich die subjektive Einschätzung als falsch<br />

erwiesen hat oder ein Kursverlust eingetreten ist, weil mittels des Immunisierungssystems der<br />

Attributionstrategie für den Misserfolg stets ein Sündenbock gefunden werden kann.<br />

Neben Genen, Signalling sowie Attribution gibt es andere Gründe, welche die Overconfidence<br />

hervorrufen können. Overconfidence kann auch auf die Schwierigkeiten zurückgeführt<br />

werden, Unsicherheit adäquat zu beschreiben. <strong>Die</strong> Unzulänglichkeiten bei „situational<br />

construal“ machen es schwierig, die Unsicherheit in einem viel breiteren Kontext zu identifizieren.<br />

<strong>Die</strong> Beschränktheit der Wahrnehmungsperspektiven kann zur Overconfidence füh-<br />

ren. 168<br />

Aus der Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen von Overconfidence geht hervor,<br />

dass es sich beim Behavior-Bias wie Overconfidence nicht um einen zufälligen Fehler handelt,<br />

der auf aggregierter Ebene ohne weiteres verschwinden wird. In der Tat ist das Verhaltensmuster<br />

biologisch verwurzelt und dient als Instrument dazu, um in der ökonomischen Selektion<br />

ausgewählt zu werden. Es lassen sich Gründe identifizieren, systematisch overconfident<br />

zu agieren. Wie jeder Behavior-Fehler seine Kehrseite hat, ist Overconfidence auch mit<br />

Vorteilen verbunden, welche deren Persistenz unterstützen.<br />

168<br />

Vgl. Shiller (1997) S.10. Es liegt auf der Hand, dass ein Mensch mit „Scheuklappen“ anfällig auf Overconfidence<br />

ist. <strong>Die</strong> Strategie der Scheuklappen kann jedoch eine effiziente Strategie im Informationswahrnehmungsund<br />

Bearbeitungsprozess darstellen und somit bewusst eingesetzt werden: Fokussierung anstatt Panorama. Es<br />

wird bewusst in Kauf genommen, dass viele Nebenaspekte aufgrund der Fokussierung auf den Schwerpunkt<br />

vernachlässigt werden, damit eine bessere ökonomische Ratio, z.B. Output/Input, erreicht werden kann.<br />

82


3.1.4.3 Andere Rationalität<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Es ist eine starke Vereinfachung, die Abkürzungsstrategie in der Entscheidungsfindung einfach<br />

als irrationales Verhalten zu betrachten. <strong>Die</strong> behavioralen Biases sind Produkte natürlicher<br />

Selektion. Was im ökonomischen Kontext als irrational angesehen wird, ist beispielsweise<br />

im evolutionären Kontext nicht unbedingt irrational, denn es gibt andere Ebenen von Rationalität.<br />

Im Kampf ums Überleben geht es nicht hauptsächlich um fehlerfreie Optimierung,<br />

sondern um Lernfähigkeit, Ausdauer und Flexibilität. Verkürzende kognitive Prozesse gehören<br />

zu den wichtigsten Mitteln des Überlebenskampfs, weil dadurch eine schnelle und kostengünstige<br />

Lösung ermöglicht wird. <strong>Die</strong> Kehrseite ist die Fehleranfälligkeit dieser Lösung. Im<br />

evolutionären Kontext stellen jedoch eine schnelle Reaktion, ein ökonomisches Umgehen mit<br />

knappen Ressourcen sowie die Flexibilität Determinanten der Selektion dar. Selektive Wahrnehmung<br />

kann zum Beispiel eine schnelle Reaktion und Minimierung des Einsatzes der<br />

knappen Ressourcen ermöglichen, somit ist sie aus evolutionärer Sicht nicht irrational. Es<br />

genügt, das Wesentliche aus den Datenbergen herauszufiltern. Ein entscheidender Vorteil<br />

dieser Strategie liegt in seiner Schnelligkeit, weil die Reaktionszeit zu den wichtigsten Determinanten<br />

der natürlichen Selektion zählt. <strong>Die</strong>se Strategie hat allerdings auch ihre Kehrseite:<br />

Unvollständige Bearbeitung aller verfügbaren Informationen zugunsten des Zeitgewinns und<br />

der Minimierung des Einsatzes der knappen Ressourcen kann zu Biases führen. Aus evolutionärer<br />

Perspektive können die Nachteile jedoch durch andere Vorteile überkompensiert werden.<br />

<strong>Die</strong> natürliche Selektion ist eigentlich durch ihre Fehlertoleranz gekennzeichnet. 169 <strong>Die</strong> Annahme<br />

der fehlerfreien Entscheidung hat zwei wichtige Determinanten der Evolution nicht<br />

ausreichend berücksichtigt: Reaktionszeit und ökonomisches Umgehen mit den knappen Ressourcen.<br />

Auf der deskriptiven Ebene kann der Entscheidungsträger zugunsten des Zeitgewinns<br />

und der Minimierung des Einsatzes knapper Ressourcen die Fehler bewusst in Kauf<br />

nehmen, indem verkürzende kognitive Prozesse eingesetzt werden, und diese Shortcuts-<br />

Strategien sind im evolutionären Kontext nicht irrational. Hier sollte der optimale Trade-off<br />

zwischen Nutzen und Kosten berücksichtigt werden. Das Abkürzungsmotiv liegt vor allem in<br />

der Optimierung der Output/Input Ratio.<br />

169<br />

Der Überlebende ist oft nicht derjenige, der sich stets optimal oder korrekt entscheidet, sondern derjenige, der<br />

stets wieder aufsteht und weitere Versuche unternimmt, obwohl er wegen seiner Fehlentscheidung zu Boden<br />

fällt. Andererseits ist die optimale Entscheidung in der realen Welt schwierig, weil jede Optimierung konzeptabhängig<br />

ist und fehlerhaft sein kann, wenn deren Annahmen aufgrund der dynamischen Veränderung der Rahmenbedingungen<br />

nicht mehr zutreffen.<br />

83


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

3.2 <strong>Die</strong> behavioralen Erkenntnisse von Keynes<br />

Eine unangenehme Tatsache am Aktienmarkt ist, dass der Assetpreis wie eine nominale Grösse<br />

dem inneren Wert (einer realen Grösse) oft nicht entspricht. <strong>Die</strong> Differenz zwischen nominaler<br />

und realer Grösse ist ein altbekanntes Phänomen und lässt an Keynes und seinen Monetarismus<br />

zurückdenken. In seinen Überlegungen zur Zinsbildung streitet Keynes beispielsweise<br />

die neoklassische Auffassung des Zinses als eine Entschädigung für den Konsumverzicht<br />

ab. Er postulierte, dass der Zins kein realwirtschaftliches, sondern ein monetäres Phänomen<br />

darstellt: Den Preis für die zeitliche Überlassung von Geld. Dabei wird Geld, im Gegensatz<br />

zum „homogenen Gut“, welches in der Neoklassik die Funktionen eines Numeraires und<br />

Tauschmittels übernimmt, nicht als ein Index verstanden. Geld ist nicht auf die einzelnen Ressourcen<br />

reduzierbar, die es kaufen kann, sondern eine komplexe Grösse. Geldpreis ist ein<br />

„Nichts“, eine soziale Konvention, die eine Aneignung von Ressourcen ohne Tausch vermag.<br />

170 Dabei fasst der Geldpreis das Vertrauen zusammen, welches die Wirtschaftssubjekte<br />

ihren Vorstellungen über das Verhalten der Gesamtheit der Akteure beimessen. <strong>Die</strong> Konvention<br />

an sich stellt jedoch keine Garantie für eine korrekte Beurteilung dar, hingegen kann sie<br />

die monetäre Illusion aufrechterhalten. Keynes zufolge muss der Assetpreis nicht zwingend<br />

seinen Innenwert reflektieren, der Assetpreis ist primär eine soziale Konvention, ein „Nichts“,<br />

das sowohl auf den harten Faktoren (wie fundamentalen Faktoren) als auch auf den weichen<br />

Faktoren (wie Vertrauen) beruht. <strong>Die</strong> Feststellung des Assetpreises ist somit nicht eine rein<br />

mathematische Aufgabe, denn im realen Aktienmarkt spielt der soziale Charakter auch eine<br />

wichtige Rolle. Mit anderen Worten ist die Gefahr einer Fehleinschätzung, sei es eine Blase<br />

oder eine Illusion, systeminhärent, weil die Preisfindung auch eine soziale und somit fehleranfällige<br />

Dimension in sich hat, wenn auch diese Dimension der Preisfindung mit realitätsfremden<br />

Annahmen wegrationalisiert werden kann. Keynes‘ Metapher vom Schönheitswettbewerb<br />

ist in dieser Hinsicht illustrativ.<br />

170 Vgl. Riese (1989), S.1ff.<br />

84


3.2.1 Keynes’ Schönheitswettbewerb<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Der Investor steht in der Regel vor der schwierigen Aufgabe, die weitere Entwicklung der<br />

Notierung abzuschätzen. Keynes, dem unter anderem auch erfolgreiche Börsenspekulationen<br />

nachgesagt werden, verglich diese Aufgabe mit einem Preisausschreiben, bei dem aus 100<br />

Mädchenphotos die sechs hübschesten Gesichter auszuwählen sind und der Gewinn demjenigen<br />

zufällt, der dem Mehrheitsvotum aller Beteiligten am nächsten kommt. Da alle Teilnehmer<br />

diese Bedingung kennen, hängt der Erfolg nicht so sehr von der Güte des eigenen Geschmacks<br />

ab – vom ökonomischen Sachverstand – als von der Menschenkenntnis, die dazu<br />

ausreichen muss, das zu antizipieren, was im Meinungsdurchschnitt als Durchschnittsmeinung<br />

erwartet wird. Es galt also weder, jenes Foto auszusuchen, das man selbst für das hübscheste<br />

hielt, noch jenes, welches objektiv zum schönsten gekürt werden müsste. 171 Keynes führte<br />

also eine „dritte Stufe“ ein, in welcher sich der Verstand darauf konzentriert, herauszufinden,<br />

was im Meinungsdurchschnitt als „Durchschnittsmeinung“ gesehen wird. Er endet dann mit<br />

der philosophischen Aussage, dass es seinem Wissen nach auch noch einige Marktteilnehmer<br />

gebe, die eine vierte, fünfte und weitere Stufen von abgeleiteten Meinungen praktizieren:<br />

„... professional investment may be likened to those newspaper competitions in<br />

which the competitors have to pick out the six prettiest faces from a hundred<br />

photographs, the prize being awarded to the competitor whose choice most<br />

nearly corresponds to the average preferences of the competitors as a whole: so<br />

that each competitor has to pick, not those faces which he himself finds prettiest,<br />

but those which he thinks likeliest to catch the fancy of other competitors,<br />

all of whom are looking at the problem from the same point of view. It is not a<br />

case of choosing those which, to the best of one’s judgment, are really the prettiest,<br />

nor even those which average opinion genuinely thinks the prettiest. We<br />

have reached the third degree where we devote our intelligence to anticipating<br />

what average opinion expects the average opinion to be. And there are some, I<br />

believe, who practise the fourth, fifth and higher degrees.” 172<br />

171<br />

So bizarr ist diese Situation nun auch wieder nicht, da im politischen Leben einer Demokratie die Auswahl<br />

der Kandidaten ebenfalls weitgehend im Hinblick darauf erfolgt, wie gut dieser oder jener bei den durchschnittlichen<br />

Wählern ankommen dürfte. Wer die Kandidatenliste einer Partei voraussagen wollte, müsste daher in<br />

manchen Fällen ebenfalls von den Qualitäten absehen, auf die er sonst bei einem Politiker grossen Wert legt.<br />

Auch für ihn käme es auf Behavior und Psychologie an.<br />

172<br />

Vgl. Keynes (1936) S.156.<br />

85


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Der an der Börse sehr erfolgreiche Spekulant Keynes diskriminierte im Hinblick auf Assetpricing<br />

die behavioralen Faktoren gegenüber den ökonomischen Faktoren nicht, nicht zuletzt<br />

aufgrund seiner eigenen Praxiserfahrungen. Jeder rationale Marktteilnehmer bildet neben den<br />

fundamentalen Überlegungen auch gleichzeitig Erwartungen über die Durchschnittsmeinung,<br />

denn davon hängt der Marktpreis auch ab. Der Preis dient sowohl als Signal für den Fundamentalwert<br />

als auch für die Durchschnittsmeinung. Im Falle der Eindeutigkeit des Fundamentalwerts<br />

oder der strengen Marktdisziplin sollte aus der Durchschnittsmeinung keine Verzerrung<br />

resultieren, mit anderen Worten fallen Wert und Preis zusammen. Allerdings kann der<br />

Zusammenhang zwischen der Durchschnittsmeinung und dem Fundamentalwert aufgrund des<br />

Mangels an Marktdisziplin und der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts geschwächt werden,<br />

so dass sich ein unbestimmtes Element in die Preisbildung einschleicht. In diesem Fall<br />

reflektiert die Durchschnittsmeinung den Fundamentalwert nur in begrenztem, oft ungenügendem<br />

Umfang. Ohne eine strenge Marktdisziplin ist der Preis primär ein Reflex der Durchschnittsmeinung,<br />

welche nicht unbedingt in einem eindeutigen Zusammenhang zum Fundamentalwert<br />

steht. <strong>Die</strong>s trifft sogar dann zu, wenn der stochastische Renditeprozess als existent<br />

und bekannt unterstellt wird. <strong>Die</strong> individuellen Erwartungen über die zukünftigen Preise können<br />

sich aufgrund des Mangels an Marktdisziplin von der Wahrscheinlichkeitsverteilung des<br />

Renditeprozesses abkoppeln, 173 wie im Falle eines Schönheitswettbewerbs.<br />

Sobald die Antizipation der Durchschnittsmeinung entscheidungsrelevant wird, lässt sich der<br />

Informationsbegriff nicht mehr objektivieren. <strong>Die</strong> Grenze zwischen relevanten (den Fundamentalwert<br />

betreffenden) und irrelevanten (das Sentiment betreffenden) Informationen kann<br />

verwischt werden, weil die Veränderung des Sentiments der durchschnittlichen Marktteilnehmer<br />

im Hinblick auf die Antizipation der Preisänderung gleich informativ sein kann. Der<br />

Aktienkurs könnte ohne realwirtschaftliche Fundierung auch steigen, wenn sich die durchschnittliche<br />

Meinung in einer optimistischen Fassung befindet. <strong>Die</strong> in den Preis einfliessende<br />

Information kann nicht länger als eine feste, subjektunabhängige Grösse betrachtet werden<br />

und schon besteht, bevor die Wirtschaftssubjekte dem ökonomischen Problem gegenüberstehen.<br />

Im Falle der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts und des Mangels an Marktdisziplin<br />

reflektieren die Preise eher die durchschnittliche Antizipation der Durchschnittsmeinung.<br />

Weil letztere nirgendwo eindeutig sowie objektiv verankert, sondern vertrauensabhängig ist,<br />

hat die Vertrauensschwankung einen ähnlichen Einfluss auf die Preise wie die Dividenden-<br />

173 <strong>Die</strong>se Abkopplung bringt die Indeterminiertheit bei der Bildung von Erwartung zum Ausdruck.<br />

86


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

schwankung. Aus dieser Sicht ist der Aktienpreis auch von den weichen sozialen Faktoren<br />

abhängig.<br />

Keynes postuliert, dass die Marktbewertung auch gleichzeitig durch die Massenpsychologie<br />

beeinflusst wird. Daher sieht er auf Basis von kollektiven Meinungsänderungen auch raschere<br />

Veränderungen von optimistischen und pessimistischen Einstellungen und erhöhte Volatilität<br />

in den Märkten. Wellenbewegungen würden die Börse auf von der realen ökonomischen Basis<br />

abgehobenem Niveau in die eine oder andere Richtung bewegen, und in diesem Zusammenhang<br />

kritisiert Keynes, dass die Spekulation an der Börse der Realwirtschaft letztlich –<br />

vor allem auf dem Wege der Blasenbildung und deren Platzen – auch erheblichen Schaden<br />

zufügen kann. 174<br />

174 Vgl. Pinner (1997) S. 22-24.<br />

87


3.2.2 Konventionelle Erwartung<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Im Hinblick auf die ökonomische Erwartungsbildung hat Keynes eine Verhaltenshypothese<br />

aufgestellt. Keynes zufolge ist die deskriptive Erwartungsbildung des Investors durch Non-<br />

Professionalität geprägt, indem der existierende Zustand einfach in die Zukunft extrapoliert<br />

wird. <strong>Die</strong> Notwendigkeit der Anpassung der Erwartungen wird nur dann in die Überlegung<br />

miteinbezogen, wenn die <strong>empirische</strong>n Fakten stark für eine Modifikation sprechen und diese<br />

auch im Vorstellungsbereich der Durchschnittsmeinung liegt. Je weiter die Konsequenzen<br />

einer Entscheidung in der Zukunft liegen, umso uneindeutiger können die Key-Variablen sein,<br />

umso unvollständiger ist also die Wissensbasis, auf welcher die Erwartungsbildung beruht.<br />

Daraus resultiert keine hohe Zuverlässigkeit der Beurteilung. Unter Unsicherheit lehnt man<br />

sich wie in anderen Gesellschaftsbereichen auch an Konventionen an, mit deren Hilfe Ordnung<br />

geschafft und die Unsicherheit reduziert werden kann. Keynes zufolge sind drei Konventionen<br />

bei der Bildung von langfristigen Erwartungen wirksam: 175<br />

<strong>Die</strong> Konvention, dass die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird.<br />

(Man ignoriert also die Möglichkeit zukünftiger Veränderungen, deren genaue Natur unbekannt<br />

ist.)<br />

<strong>Die</strong> Konvention, dass die bestehende Marktbewertung auf einer korrekten Einschätzung<br />

zukünftiger Aussichten basiert.<br />

(Obwohl diese Einschätzung nicht einzig und allein korrekt sein kann, da das vorhandene<br />

Wissen keine ausreichende Basis für eine eindeutige und korrekte Schätzung liefert.)<br />

<strong>Die</strong> Konvention, dass die Durchschnittsmeinung die beste Orientierung ist.<br />

(Weil die eigene Urteilskraft eigentlich als wertlos betrachtet werden sollte, stützt man<br />

sich auf die Urteile anderer ab: Man imitiert die Mehrheit, indem man der Durchschnittsmeinung<br />

folgt.)<br />

Mit der Erkenntnis, dass durch den Preis auch die Durchschnittsmeinung repräsentiert und der<br />

Preis somit gleichzeitig ein soziales Faktum ist, betrachtet Keynes die Preisbildung am Aktienmarkt<br />

auch aus einer anderen Perspektive. In seinen Überlegungen über die Erwartungsbildung<br />

im Rahmen des Assetpricings ist der Ausgangspunkt nicht ein normatives SOLL, sondern<br />

ein deskriptives IST: Es wird keine Anforderung an die Rationalität oder Objektivität der<br />

175 Vgl. Keynes (1937) S.214; Keynes (1973) S.124; und Cymbalista F. (1998) S.141.<br />

88


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Marktteilnehmer gestellt, sondern die behavioralen Gegebenheiten werden akzeptiert. Konventionen<br />

vermitteln eine Art von „peace and comfort of mind“ und zwar dadurch, indem sie<br />

uns es ermöglichen, „to hide from ourselves how little we foresee.” <strong>Die</strong> von Keynes postulierten<br />

Konventionen sind Daumenregeln, welche von der Mehrheit der Investoren akzeptiert<br />

werden. Sie sind handlungswirksam, weil sie einen Ersatz für das nicht vorhandene und unerreichbare<br />

Wissen als Entscheidungsgrundlage in einer undeterminierten Welt bieten. 176<br />

Durch seine Hypothese der Konventionen hat Keynes als erster die behavioralen Aspekte des<br />

Aktienmarktes angesprochen. In einem Aktienmarkt mit einer schwachen Marktdisziplin und<br />

der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts akzentuiert er den behavioralen Aspekt der Bewertung,<br />

ohne dass dabei auf das ökonomische Prinzip verzichtet werden muss.<br />

<strong>Die</strong> erste Konvention widerspiegelt den Konservatismus im menschlichen Verhalten, welcher<br />

die Persistenz sowie die Stabilität bestehender Erwartungen begünstigt. Forschungen im<br />

Rahmen sozialer Wahrnehmung und kognitiver Dissonanzen legen nahe, dass der Konservatismus<br />

einen Einfluss darauf hat, welche Informationen überhaupt wahrgenommen werden:<br />

Informationen, deren Inhalt zu eigenen Vorstellungen passt, werden besonders schnell und<br />

intensiv wahrgenommen, während eher widersprechende Informationen vernachlässigt oder<br />

verdrängt werden. <strong>Die</strong> selektive Wahrnehmung kann dazu führen, dass einer Erwartung widersprechende<br />

Informationen in ihrem diagnostischen und prognostischen Gehalt unterschätzt<br />

und der Erwartung entsprechende Informationen überschätzt werden. Bezogen auf den Aktienmarkt<br />

kann dieser Effekt als ein Prozess zunehmender Stereotypisierung bei der Bewertung<br />

von wirtschaftlichen Informationen beschrieben werden: Informationen über wirtschaftliche<br />

Phänomene werden oft nur im Lichte bereits bestehender Erwartungen gesehen, und die Menge<br />

notwendiger Informationen, um eine bestehende Erwartung zu widerlegen, muss um so<br />

grösser sein, je etablierter die bestehende Erwartung ist, mit anderen Worten, je grösser die<br />

Notwendigkeit eines Paradigmawechsels ist, desto fehleranfälliger ist die aus dieser Konvention<br />

resultierende Beurteilung. 177 Keynes zufolge sollte sowohl die Etablierung von Titel der<br />

New Economy als auch deren Korrektur im Falle einer Blasenbildung durch die Konventionswirkung<br />

bei der Preisbildung deutlich langsamer als in einem rationalen Markt sein.<br />

176<br />

Vgl. Keynes (1973) S.124; und Cymbalista F. (1998) S.141<br />

177<br />

Das Sprichwort – „Wer am Anfang gewinnt, hat für immer verloren“ – spielt beispielsweise auf die Tatsache<br />

an, dass Personen, die zunächst in ihrer Erwartung bestätigt wurden, häufig zu rigide werden und zu wenig flexibel<br />

sind, ihre Erwartung zeitmässig zu verändern.<br />

89


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

<strong>Die</strong> zweite Konvention stellt einen Reflex der Kontrollillusion der Investoren dar. Den psychologischen<br />

Forschungen zufolge haben die meisten Menschen das Bedürfnis, in einer kontrollierbaren<br />

Welt zu leben, d.h., sich als Verursacher von Ereignissen und Veränderungen,<br />

die einen selbst betreffen, zu erleben. 178 <strong>Die</strong> Erfahrung von Kontrolle führt zu Gefühlen von<br />

eigener Kompetenz und Wertigkeit, und das Ausbleiben sowie der Verlust von Kontrollen hat<br />

schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Betroffenen zur Folge. 179<br />

<strong>Die</strong> Kontrolle im engeren Sinn ist dann gegeben, wenn die Ereignisse durch das Handeln beeinflusst<br />

werden können. Eine Kontrolle im weiteren Sinn zeichnet sich dadurch aus, dass die<br />

Ereignisse erklärbar und vorhersagbar sind. Unerklärbarkeit und Unvorhersagbarkeit führen<br />

den sogenannten Kontrollverlust herbei. <strong>Die</strong> Erklärbarkeit ist am Aktienmarkt im Allgemeinen<br />

beschränkt, und die Vorhersagbarkeit ist auch nicht immer gegeben. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur in<br />

Krisenzeiten, sondern auch für den Normalzustand. Somit wäre ein Kontrollverlust vorprogrammiert<br />

und der Handel würde in diesem Fall zum Erliegen kommen, weil die Unkontrollierbarkeit<br />

eine Passivität oder ein Rückzugsverhalten zur Folge hätte. <strong>Die</strong> regen Transaktionen<br />

zeigen jedoch die Existenz von Kontrollillusion, d.h., die Investoren gehen in der Regel<br />

davon aus, dass sie durch die intensive Beobachtung der Tagesereignisse und relevanter Entwicklungen<br />

durchaus zu validen Vorhersagen und Erwartungen kommen können. <strong>Die</strong>s lässt<br />

sich auch am Einfluss der Expertenmeinungen, Faustregeln von Spekulationsgurus und<br />

brandheissen Tipps von Anlageberatern ablesen. Der Einfluss der zweiten Konvention ist<br />

durch die Tatsache besonders evident, dass die meisten Marktteilnehmer quasi konditioniert<br />

den Preis als korrekt wahrnehmen, im Glauben, dass der Markt immer Recht hat, 180 dies trotz<br />

der eigenen Erfahrung mit der Blasenbildung und deren Platzen.<br />

<strong>Die</strong> dritte Konvention bringt die Schaffung einer sozialen Wirklichkeit durch eine gemeinsame<br />

Meinung sowie Groupthinking 181 zum Ausdruck. Sie wird tendenziell als Bestätigung der<br />

178<br />

Vgl. Bungard, W. und S. G. Jürgen (1990) S. 146.<br />

179<br />

Vgl. Bungard, W. und S. G. Jürgen (1990) S. 147.<br />

180<br />

Ist die Effizienzhypothese ein Ausdruck dieser Konvention?<br />

181<br />

Menschliches Verhalten findet fast zwangsläufig in einem sozialen Kontext statt, so dass Gruppeneinflüsse<br />

wie Zuschauereffekte bzw. Koaktionseffekte unvermeidlich sind. Der Gruppendruck übt im Allgemeinen eine<br />

starke Wirkung auf das Urteil des Einzelnen aus. Es gibt zwei wichtige Mechanismen der sozialen Beeinflussung<br />

in einer Konformitätssituation: <strong>Die</strong> von anderen in derselben Situation gelieferten Informationen werden als<br />

zuverlässige Anhaltspunkte für die richtige Reaktion gewertet (informatorischer sozialer Einfluss), und was<br />

andere tun und welches Verhalten sie von einem erwarten, wird zum akzeptablen Verhalten in der Situation<br />

(normativer sozialer Einfluss).<br />

90


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Meinungsrichtigkeit gedeutet und verringert somit die wahrgenommene Unsicherheit. 182<br />

Bleibt der Prozess undeterminiert und hängt der Handlungserfolg eines Investors vom Verhalten<br />

aller anderen ab, so wird die Antizipation der Durchschnittsmeinung entscheidungsrelevant.<br />

<strong>Die</strong>s führt dazu, dass neben den fundamentalen Faktoren auch behaviorale Elemente in<br />

die Preise einfliessen können. Gemäss psychologischen Forschungen 183 kann die Übereinstimmung<br />

mit Mitgliedern einer Gruppe, mit der man sich vergleicht, als Bestätigung einer<br />

Erwartung dienen, wenn keine passende Referenzinformationen vorhanden sind. <strong>Die</strong>ses Phänomen<br />

wird als „Consensual Validation“ bezeichnet. 184 Soziale Unterstützung durch die<br />

Durchschnittsmeinung einer Gruppe dient ferner nicht nur der Bestätigung von Erwartungen<br />

in Abwesenheit von eindeutigen Referenzgrössen, sondern ist auch eine wichtige Quelle der<br />

Entstehung solcher Erwartungen. <strong>Die</strong> Kausalität kann umgekehrt werden, indem die Durchschnittsmeinung<br />

vom Mittel zum Ziel wird. Das Underlying der Erwartungen ist in diesem<br />

Fall nicht mehr der objektive Sachverhalt, sondern eine subjektive Kollektivreaktion (Durchschnittsmeinung).<br />

185 Im sozialen Bereich kommt es bei Gruppenentscheidungen oft zu Extremisierungen<br />

der ursprünglichen Einzelurteile der Gruppenmitglieder. 186 Das trifft auch am<br />

Aktienmarkt zu, wenn an dieser Stelle diverse Blasenbildungen und die dahinter stehende<br />

kollektive Euphorie in Erinnerung gerufen werden. <strong>Die</strong> Macht dieser Konvention am Aktienmarkt<br />

zeigt sich besonders in der Situation, in welcher das Sentiment stark ausgeprägt ist. In<br />

dieser Hinsicht bevorzugt Keynes keine Langfristigkeit 187 , er war der Ansicht, dass eine auf<br />

langfristigen Erwartungen basierende Anlagetätigkeit nicht durchführbar sei. Er gehorcht der<br />

dritten Konvention und rät den Marktteilnehmern, sich dem Trend der Zeit – also der Durchschnittsmeinung<br />

– anzupassen und ebenfalls kurzfristig zu agieren. 188 Schliesslich gibt es kei-<br />

182 Vgl. Cymbalista (1998) S.142.<br />

183 Als Beispiel kann dabei das klassische Experiment zum autokinetischen Phänomen herangezogen werden: In<br />

diesem Experiment hatten die Versuchspersonen in einer kleinen Gruppe die scheinbare Bewegung eines Lichtpunktes<br />

in einem dunklen Raum zu beobachten. Tatsächlich bewegte sich der Lichtpunkt jedoch nicht, was allerdings<br />

in einem dunklen Raum ohne Bezugsgrössen nicht eindeutig erkennbar ist. So gaben die meisten Versuchspersonen<br />

ein gewisses Ausmass wahrgenommener Bewegung an. Es zeigte sich jedoch, dass sich die laut<br />

gesprochenen Urteile der Versuchspersonen über den Umfang der Bewegung im Laufe wiederholter Urteile<br />

aneinander anglichen. Es bildete sich eine Norm heraus, was man als Bestätigung einer Wahrnehmungshypothese<br />

durch Übereinstimmung ansehen kann. Vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.123-124.<br />

184 Vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.123f.<br />

185 Dem Preis als einem objektiven Signal über die Fundamentals wird damit zum Teil der Boden entzogen.<br />

186 Gruppen haben die Tendenz, sich riskanter und weniger verantwortungsbewusst zu verhalten, als dieselben<br />

Personen das tun würden, wenn sie allein handeln würden. Dass Gruppenurteile durchaus manchmal auch zu<br />

Fehlentscheidungen führen können, wurde in den Arbeiten von Janis (1972) überzeugend dokumentiert.<br />

187 „In the long run, we are all dead“;<br />

188 Vgl. Pinner (1997) S.23.<br />

91


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

ne konzeptunabhängige Wirklichkeit, die Wirklichkeit ist eine gemeinsame Schöpfung der<br />

Menschen selbst. In diesem Sinn ist die dritte Konvention eine fundamentale Regel.<br />

Was den Aktienmarkt betrifft, so ist Keynes ein Behaviorist. Was er vor 70 Jahren gezeigt<br />

hat, ist auch in der Gegenwart wegweisend.<br />

92


Kapitel 4 <strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

4.1 Das Investor-Sentiment-Modell<br />

Zur Erklärung der Unter- und Überreaktionen am Aktienmarkt sowie der dadurch verursachten<br />

abnormalen Preisentwicklung haben Barberis, Shleifer und Vishny (1998, BSV) ein Modell<br />

namens „Model of Investor Sentiment“ entwickelt, 189 ausgehend von der Annahme der<br />

beschränkten Rationalität der Investoren aufgrund einer Beeinflussung der Entscheidung<br />

durch den Representativeness-Bias. 190<br />

4.1.1 Informale Beschreibung<br />

4.1.1.1 Das Sentiment des Investors<br />

Der Aktienmarkt kennt auch eine weiche Seite: Das Sentiment des Investors. Von einer<br />

Haussestimmung (Baissestimmung) ist dann die Rede, wenn die Erwartung eines nach oben<br />

(unten) gerichteten Trends vorherrscht. Dagegen ist von einer lustlosen oder schläfrigen<br />

Stimmung die Rede, wenn der Markt keine Veränderung erwartet und die Erwartung von Reverting<br />

herrscht. BSV führen die Existenz des Sentiments auf den Representativeness-Bias<br />

zurück: <strong>Die</strong> Investoren betrachten die fortdauernden Kursentwicklungen in eine Richtung<br />

(nach oben oder unten) innerhalb einer kurzen Periode (d.h., kleine Stichprobe) als repräsentativ<br />

für einen Trend, und umgekehrt werden die abwechselnden Kursentwicklungen (up, down,<br />

up, down...) als repräsentativ für Reverting wahrgenommen. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass die Randombewegung<br />

der Rendite verzerrt wahrgenommen wird und das Sentiment – stark oder<br />

schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung – entsteht. 191<br />

189<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998);<br />

190<br />

Der Representativeness-Bias ist definiert als: “subjective judgment of the extent to which the event in question<br />

is similar in essential properties to its parent population or reflect the salient features of the process by which<br />

it is generated.” Vgl. Kahneman und Tversky (1972) S.33;<br />

191<br />

Ohne Verzerrungen durch das nicht-rationale Behavior wie den Representativeness-Bias sollte keine Haussebzw.<br />

Baissestimmung beobachtet werden, weil in jedem Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit von „up“ äquivalent<br />

mit der Wahrscheinlichkeit von „down“ ist und die Renditeänderung unvorhersehbar ist. Auf realen Märkten<br />

kommt es aber kaum vor, dass der Marktteilnehmer sentimentfrei ist und sich keine Gedanken über mögliche<br />

Richtungen der Veränderungen macht, wie die Unvorhersehbarkeit impliziert. In der Tat bemühen sich die meisten<br />

durchschnittlichen Investoren, die möglichen Richtungen der Renditenveränderungen zu antizipieren.<br />

93


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Dem BSV-Modell nach erwartet der Investor, dass die Ertragsänderung durch zwei Regime<br />

bestimmt wird: Im Regime 1 liegt die Regel Mean-Reverting vor, wo nach einer Ertragserhöhung<br />

eine Senkung eher wahrscheinlich ist und die Hausse- bzw. Baissestimmung deswegen<br />

schwach ausgeprägt ist. Im Regime 2 dominiert die Regel „Trend“, wo nach einer Ertragserhöhung<br />

(Ertragssenkung) eine weitere Erhöhung (Senkung) eher wahrscheinlich ist und die<br />

Hausse- bzw. Baissestimmung somit stark ausgeprägt ist. In jeder Periode erhält der Investor<br />

Ertragsinformationen, und gemäss BSV-Modell benutzt er diese Informationen zur Aktualisierung<br />

(Updating) seiner Erwartung, so dass seine Erwartung darüber, welches Regime die<br />

aktuellen Ertragsveränderungen bestimmt, immer der neuen Evidenz entsprechend aktualisiert<br />

wird. Beispielsweise erhöht der Investor die Wahrscheinlichkeit, dass die Ertragsveränderung<br />

durch das Regime Trend bestimmt wird, wenn eine positive (negative) Ertragsüberraschung<br />

der anderen positiven (negativen) folgt. Im Falle negativer serieller Korrelation innerhalb kurzer<br />

Perioden, wo eine positive Ertragsüberraschung einer negativen folgt, erhöht der Investor<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsveränderung bestimmt.<br />

192 In seiner Aktualisierung ist der Investor Bayesianer, obwohl sein Modell des Ertragsprozesses<br />

– Mean Reverting oder Trend – inkorrekt ist.<br />

Weder das Regime Mean Reverting noch das Regime Trend folgt einem Random-Walk. <strong>Die</strong><br />

Hauptaufgabe des Investors liegt darin, mit Hilfe von historischen Informationen festzustellen,<br />

welches Regime die aktuellen Ertragsveränderungen bestimmt, damit er die Richtung der<br />

kommenden Änderungen vorhersehen kann. <strong>Die</strong> Transitionswahrscheinlichkeit zwischen diesen<br />

zwei Regimes sowie die statistischen Eigenschaften des Ertragsprozesses im jeweiligen<br />

Regime sind fixer Bestandteil der Erwartung des Investors. 193 Das BSV-Modell geht davon<br />

aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels relativ klein ist. 194 Das heisst: <strong>Die</strong><br />

Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsänderung in Periode<br />

t+1 bestimmt, falls die Ertragsänderung in Periode t durch das Regime Mean Reverting<br />

bestimmt wird. Dasselbe gilt auch für das Regime Trend. 195 Je grösser die Wahrscheinlichkeit<br />

des Regimewechsels ist, desto ähnlicher ist der wahrgenommene Ertragsprozess mit dem tatsächlichen<br />

Random-Walk. <strong>Die</strong> Verzerrung in der Wahrnehmung führt jedoch zu einer relativ<br />

niedrigen Wahrscheinlichkeit des Regimewechsels.<br />

192 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.309<br />

193 Gegenstand der eigenen Erfahrung der Investoren;<br />

194 Das heisst: die wahrgenommene Stationärität ist grösser als die tatsächliche.<br />

195 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 319<br />

94


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Das Regimesystem kann als ein Versuch des Investors verstanden werden, dem Randomwalk<br />

eine Regelmässigkeit – Trend oder Reverting – hinzuzufügen, ausgehend von einer kleinen<br />

Stichprobe. Umgekehrt hinterlassen die stochastischen Eigenschaften – Regress zum Mittelwert<br />

unter Nebenbedingung der grossen Zahlen – auch im Regimesystem ihre Spuren: <strong>Die</strong><br />

Investoren glauben, dass sich der Markt mehr im Regime Mean Reverting als im Regime<br />

Trend befindet. Zudem spezifiziert das BSV-Modell den Underlying-Prozess als einen Markov-Prozess:<br />

In jedem Regime ist die Ertragsänderung in Periode t nur von der Ertragsänderung<br />

in der Vorperiode t-1 abhängig. Im Hinblick auf einen Regimewechsel ist der Regimewechsel<br />

in der Periode t nur vom Regime in der Periode t-1 abhängig. 196 Im BSV-Modell ist<br />

die Lernfähigkeit des Investors beschränkt, so dass er die Tatsache der Unvorhersehbarkeit<br />

der Ertragsänderung nicht einsehen kann. Mit dem Glauben an Regelmässigkeit sind die Daten<br />

zum Zweck der Verbesserung der Vorhersehbarkeit verarbeitet worden, wobei der Fokus<br />

darauf gerichtet ist, festzustellen, welches Regime die Ertragsänderung bestimmt. 197<br />

196<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 318-320<br />

197<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320<br />

95


4.1.1.2 Über- und Unterreaktion<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

<strong>Die</strong> Erwartung des Investors hinsichtlich des Regimes des Ertragsprozesses führt zu Übersowie<br />

Unterreaktionen. Der Investor wird auf neue Evidenz unterreagieren, wenn er davon<br />

ausgeht, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsänderung bestimmt, da die Veränderung<br />

im Regime Mean Reverting nur temporär ist und es keinen Anlass gibt, voll auf die neue Evidenz<br />

zu reagieren. Umgekehrt tritt Überreaktion auf neue Information auf, falls der Investor<br />

von der Herrschaft des Regimes Trend überzeugt ist und demzufolge der Trend in der Vergangenheit<br />

linear in die Zukunft extrapoliert wird.<br />

Unterreaktion drückt sich dadurch aus, dass die durchschnittliche Rendite in den einer positiven<br />

Überraschung folgenden Perioden grösser ist als die durchschnittliche Rendite in den einer<br />

negativen Überraschung folgenden Perioden. 198 Unterreaktion ist darauf zurückzuführen,<br />

dass der durchschnittliche Investor typischerweise an eine Stationärität glaubt, die länger als<br />

tatsächlich ist. 199 <strong>Die</strong>s ist der Fall, wenn der Investor erwartet, dass der Ertragsprozess Mean<br />

Reverting ist. Im Regime Mean Reverting ist der Investor davon überzeugt, dass die positive<br />

Überraschung aufgrund der Stationärität der Rendite in den folgenden Perioden partiell korrigiert<br />

werden soll und demzufolge eine nach unten gerichtete Korrektur in der folgenden Periode<br />

eher wahrscheinlich ist. Folgt der Ertragsprozess einem Random-Walk, so ist die Kursbewegung<br />

hinsichtlich „up“ und „down“ symmetrisch: Nach einer positiven Überraschung ist<br />

die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung der positiven Kursentwicklung gleich gross wie die<br />

Wahrscheinlichkeit einer Umkehrung. Es kommt zur Diskrepanz zwischen den erwarteten<br />

und realisierten Renditen, falls der Investor das Regime Mean Reverting erwartet: Wenn die<br />

positive Überraschung durch eine negative Kursentwicklung abgelöst wird und Reverting<br />

erfolgt, dann entspricht die erwartete Rendite der realisierten Rendite, und die unerwartete<br />

Rendite ist nicht von null verschieden. Falls die positive Überraschung wieder durch eine positive<br />

Kursentwicklung fortgesetzt wird und das Reverting nicht eintritt, dann ist die realisierte<br />

Rendite grösser als die erwartete, weil die weitere positive Kursentwicklung vom Investor,<br />

welcher ein Mean Reverting erwartet, nicht erwartet wird, und die unerwartete Rendite ist in<br />

diesem Fall grösser als null. Deswegen ist damit zu rechnen, dass die durchschnittliche unerwartete<br />

Rendite in der Folgeperiode einer positiven Überraschung positiv ist und der Gewinner<br />

200 in der Folgeperiode auch Gewinner bleibt, falls der Investor das Regime Mean Rever-<br />

198 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 321;<br />

199 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 312;<br />

200 Der Gewinner wird hier als Träger der positiven Überraschungen verstanden.<br />

96


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

ting erwartet. Aus demselben Grund resultiert aus einer negativen Überraschung eine negative<br />

durchschnittliche unerwartete Rendite in der Folgeperiode, und der Verlierer bleibt in der<br />

Folgeperiode unverändert Verlierer. 201<br />

Das durch die <strong>empirische</strong>n Untersuchungen festgestellte Phänomen, dass Gewinner und Verlierer<br />

langfristig gesehen ihre Position wechseln und ein Reversal erfolgt, lässt auf eine Überreaktion<br />

schliessen. <strong>Die</strong> Überreaktion kann darauf zurückgeführt werden, dass der Trend der<br />

Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert wird. 202 Das Reversal-Phänomen entspricht der<br />

Folge des Investorenverhaltens im Regime Trend. Nach einer Serie von gleichgerichteten<br />

Überraschungen adjustiert der Investor seine Erwartung hinsichtlich einer möglichen Richtungsveränderungen<br />

der Rendite, indem die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime Trend die<br />

Ertragsveränderungen bestimmt, erhöht wird. Der Investor wird an das Vorliegen des Regimes<br />

Trend glauben, nachdem diese Wahrscheinlichkeit eine kritische Grösse überschritten<br />

hat. Im Regime Trend erwartet der Investor die Fortsetzung des Trends, 203 wobei die Wahrscheinlichkeit<br />

eines Regimewechsels als niedrig betrachtet wird. Nach einem positiven<br />

Schock werden vom Investor weitere Schocks in die gleiche Richtung erwartet. Unabhängig<br />

davon folgt der Underlying-Prozess jedoch einem Random-Walk, und es kann zur Diskrepanz<br />

zwischen erwarteten und realisierten Renditen kommen: <strong>Die</strong> unerwartete Rendite (Differenz<br />

zwischen realisierten und erwarteten Renditen) ist dann null, wenn der weitere positive<br />

Schock wie erwartet eintritt und der Trend tatsächlich fortdauert. Mit einer negativen unerwarteten<br />

Rendite muss gerechnet werden, wenn der Trend nicht eintritt. In einer Randomwelt<br />

ist die Kursbewegung hinsichtlich up und down symmetrisch, und die Wahrscheinlichkeit der<br />

Fortsetzung eines Trends ist gleich so gross wie die Wahrscheinlichkeit der Umkehrung des<br />

Trends. Somit ist die durchschnittliche unerwartete Rendite in der Folgeperiode nach einer<br />

Reihe positiver Überraschungen negativ. Aus demselben Grund ist die durchschnittliche unerwartete<br />

Rendite in der Folgeperiode nach einer Reihe negativer Überraschungen positiv. 204<br />

Daraus resultiert ein Reversal-Muster.<br />

201<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320f;<br />

202<br />

„In Practice, the forecasts of many investors are naive extrapolations of recent experience.” Vgl. DeBondt<br />

und Thaler (1995) S.394;<br />

203<br />

Das ist der Fall, wo stark ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung vorherrscht.<br />

204<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320f.<br />

97


4.1.2 Regime-Switching Modell<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Das BSV-Modell geht von folgenden Annahmen aus: 205<br />

Der Ertragsprozess folgt dem Random-Walk. Der Ertrag wird zu 100% als Dividende<br />

ausgeschüttet. Der Diskontsatz ist konstant.<br />

Der durchschnittliche Investor nimmt den tatsächlichen Random-Walk nicht wahr<br />

und benutzt das Regimesystem mit den beiden Regimen Mean Reverting bzw. Trend<br />

zur Unterstützung seiner Erwartungsbildung.<br />

Der repräsentative Investor ist risikoneutral. Bei der Aktualisierung der Informationen<br />

ist er Bayesianer. <strong>Die</strong> Erwartung des repräsentativen Investors reflektiert den<br />

Konsens.<br />

<strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit von Mean Reverting ist grösser als die Wahrscheinlichkeit<br />

von Trend. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels ist klein.<br />

Der Unternehmensgewinn zum Zeitpunkt t beträgt N t = N t−1<br />

+ yt<br />

, wobei yt = { y,<br />

− y}<br />

einer<br />

diskreten Gewinnänderung entspricht. Der Investor geht davon aus, dass die Ertragsänderung<br />

durch eines der beiden Regime bestimmt wird. <strong>Die</strong> Übergangswahrscheinlichkeiten können<br />

wie folgt beschrieben werden:<br />

Modell 1: Mean Reverting Modell 2: Trend<br />

yt+1 = y yt+1 = -y yt+1 = y yt+1 = -y<br />

yt = y πL 1- πL yt = y πH 1-πH<br />

yt = -y 1- πL πL<br />

205<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.318 – S.322;<br />

98<br />

yt = -y 1-πH πH<br />

Wichtig dabei ist, dass πL klein und πH gross ist (d.h., die Wahrscheinlichkeit eines Regime-<br />

wechsels ist klein). Nach BSV soll sich πL im Intervall (0, 0.5) und πH im Intervall (0.5, 1)<br />

befinden. Das heisst: Im Regime „Mean Reverting“ soll die Wahrscheinlichkeit der Fortset-<br />

zung von Reverting in der Folgeperiode, 1- πL, grösser als 50% sein, während die Wahr-<br />

scheinlichkeit der Fortsetzung des Trends in der folgenden Periode, πH, im Regime von Trend<br />

auch grösser als 50% sein soll. Der Investor kennt nach eigener Erfahrung die Parameter πL


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

und πH. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels ist durch die Übergangsmatrix defi-<br />

niert und kann wie folgt beschrieben werden:<br />

Wahrscheinlichkeit des Regimewechsels<br />

st+1 = 1 st+1 = 2<br />

st = 1 1- λ1 λ1<br />

st = 2 λ2 1- λ2<br />

Der Zustand zum Zeitpunkt t wird durch st beschrieben. Falls st = 1 ist, erwartet der Investor<br />

zum Zeitpunkt t, dass die Ertragsveränderungen durch Mean Reverting (Modell 1) bestimmt<br />

werden. Im Falle st = 2 geht der Investor zum Zeitpunkt t davon aus, dass der Trend die Er-<br />

tragsveränderungen bestimmt. <strong>Die</strong> Parameter λ1 und λ2 widerspiegeln die Wahrscheinlichkeit<br />

des Regimewechsels in der folgenden Periode. Nach der Modellannahme sind λ1 und λ2<br />

klein. Und es wird angenommen, dass λ1 + λ2 < 1 ist, das heisst, die Wahrscheinlichkeit eines<br />

Regimewechsels ist niedriger als die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung eines bestimmten<br />

Regimes. <strong>Die</strong> Modellannahme, dass die vom Investor erwartete Wahrscheinlichkeit von Mean<br />

Reverting grösser als die entsprechende Wahrscheinlichkeit von Trend ist, impliziert λ1 < λ2,<br />

dementsprechend soll die Wahrscheinlichkeit λ2, vom Regime 2 (Trend) zu Regime 1 (Mean<br />

Reverting) zu wechseln, im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit des Wechsels vom Regime 1<br />

(Mean Reverting) zu Regime 2 (Trend), λ1, grösser sein.<br />

<strong>Die</strong> Prognose der zukünftigen Gewinnentwicklung reduziert sich unter Verwendung des<br />

BSV-Modells für den Investor darauf, den bestehenden Zustand (Reverting oder Trend) und<br />

damit die „gültige Regelmässigkeit“ hinsichtlich Gewinnänderung zu bestimmen. Anhand der<br />

Beobachtung der Gewinnänderung yt berechnet er zum Zeitpunkt t die Wahrscheinlichkeit qt,<br />

dass yt durch Mean Reverting (Modell 1) bestimmt wird und verwendet die neuen Gewinn-<br />

Daten zur Aktualisierung seiner Schätzung qt-1 aus der Vorperiode. Formal ausgedrückt:<br />

( ) , s = y y q<br />

1 1 , 1 q t = P t t t−<br />

t−<br />

. BSV zufolge folgt die Aktualisierung der Zustandserwartung qt der<br />

Regel von Bayes:<br />

q<br />

t+<br />

1<br />

(( 1−<br />

λ1)<br />

qt<br />

+ λ2(<br />

1−<br />

qt<br />

)) Pr( yt+<br />

1 st+<br />

1 = 1,<br />

yt<br />

)<br />

=<br />

(( 1−<br />

λ ) q + λ ( 1−<br />

q )) Pr( y s = 1,<br />

y ) + (( λ q + ( 1−<br />

λ )( 1−<br />

q )) Pr( y<br />

1<br />

t<br />

2<br />

t<br />

t+<br />

1<br />

t+<br />

1<br />

t<br />

99<br />

1<br />

t<br />

2<br />

t<br />

t+<br />

1<br />

s<br />

t+<br />

1<br />

= 2,<br />

y )<br />

t<br />

(4.1)


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Wenn die Gewinnänderung yt+1 in der Periode t+1 dem Vorzeichen der Gewinnänderung yt in<br />

der Periode t entspricht (yt+1 = yt), aktualisiert der Investor qt+1 von qt gemäss:<br />

q<br />

(( 1−<br />

λ ) q + λ ( 1−<br />

q )) π<br />

1 t 2 t L<br />

t+<br />

1 =<br />

(4.2)<br />

(( 1−<br />

λ1)<br />

qt<br />

+ λ2(<br />

1−<br />

qt<br />

)) π L + ( λ1qt<br />

+ ( 1−<br />

λ2<br />

)( 1−<br />

qt<br />

)) π H<br />

In diesem Fall lässt sich zeigen, dass qt+1 < qt gilt. 206 Mit anderen Worten legt der Investor ein<br />

grösseres Gewicht auf das Modell 2 (Trend), wenn er zwei nachfolgende Gewinnänderungen<br />

gleichen Vorzeichens beobachtet. Im Falle einer Umkehrung der Gewinnänderung, yt+1 = -<br />

yt, wird q durch Aktualisierung nach oben korrigiert, so dass qt+1 > qt. Dem Modell 1 (Mean<br />

Reverting) wird mehr Gewicht zugeschrieben, wenn der Investor die Gewinnänderung mit<br />

einem umgekehrten Vorzeichen beobachtet. <strong>Die</strong> Aktualisierung folgt in diesem Fall der folgenden<br />

Regel:<br />

(( 1−<br />

λ1)<br />

qt<br />

+ λ2(<br />

1−<br />

qt<br />

))( 1−π<br />

L)<br />

qt+<br />

1 =<br />

(4.3)<br />

(( 1−<br />

λ ) q + λ ( 1−<br />

q ))( 1−π<br />

) + ( λ q + ( 1−<br />

λ )( 1−<br />

q ))( 1−π<br />

)<br />

1<br />

t<br />

2<br />

206<br />

Zur Herleitung „qt+1 < qt“ siehe BSV (1998) Appendix;<br />

207<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.324<br />

100<br />

t<br />

L<br />

1<br />

t<br />

Mit dem Ergebnis aus der Simulation des Modells 207 kann ein Einblick gewonnen worden,<br />

wie der Aktualisierungsprozess praktisch verläuft. Angenommen, der Startzeitpunkt sei in t=0<br />

und y sei die Gewinnänderung (Ertragsschock). <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass die Gewinnänderung<br />

durch Mean Reverting bestimmt wird, sei im Startzeitpunkt 50%, nämlich q0=0.5. <strong>Die</strong><br />

Tabelle unten präsentiert den Aktualisierungsprozess von qt. <strong>Die</strong> Parameter werden von BSV<br />

wie folgt gewählt: πL=1/3 < πH=3/4; λ1=0.1 < λ2=0.4. Unabhängig vom Regimesystem folgt<br />

der tatsächliche Ertragsprozess einem Random-Walk.<br />

t y t q t t y t q t<br />

0 y 0.50<br />

1 -y 0.80 11 y 0.74<br />

2 y 0.90 12 y 0.56<br />

3 -y 0.93 13 y 0.44<br />

4 y 0.94 14 y 0.36<br />

5 y 0.74 15 -y 0.74<br />

6 -y 0.89 16 y 0.89<br />

7 -y 0.69 17 y 0.69<br />

8 y 0.87 18 -y 0.87<br />

9 -y 0.92 19 y 0.92<br />

10 y 0.94 20 y 0.72<br />

2<br />

t<br />

H


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

In den Perioden 0 bis 4 sind die Ertragsschocks (Gewinnänderungen) symmetrisch: Dem positiven<br />

Schock folgt ein negativer Schock, und umgekehrt. <strong>Die</strong> Reihenfolge entspricht dem Pattern<br />

von Mean Reverting. <strong>Die</strong>se „Evidenz“ aus der Ertragsinformation hat der Investor beobachtet,<br />

und er aktualisiert dementsprechend seine Schätzung von qt . Folglich erhöht sich qt<br />

von 0.5 in Periode 0 auf 0.94 in Periode 4, d.h., in Periode 4 erwartet der Investor mit 94%<br />

Sicherheit, dass die Gewinnänderung durch Mean Reverting bestimmt ist. In den Perioden 10<br />

bis 14 sind fünf positive Schocks nacheinander zu beobachten, als ob ein Trend auftreten<br />

würde. <strong>Die</strong>se neue Evidenz aus der Schockinformation ist „beeindruckend“ für den Investor,<br />

dessen Beurteilung durch Representativeness-Bias verzerrt wird. Dementsprechend senkt er qt<br />

und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass der Ertragsprozess dem Regime Trend untersteht.<br />

Folglich fällt q von 0.94 in Periode 10 auf 0.36 in Periode 14. Mit anderen Worten erwartet<br />

der Investor in Periode 14 mit 64% Sicherheit, dass die Gewinnänderung durch Trend<br />

bestimmt wird. Im Modell steigt qt, wenn die Gewinnänderung in t ein umgekehrtes Vorzeichen<br />

im Vergleich zur Gewinnänderung in der Vorperiode hat (Umkehrung); qt sinkt, wenn<br />

die Gewinnänderung in t dieselbe Richtung wie die Gewinnänderung in t-1 hat (Fortsetzung).<br />

<strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit qt wird stets anhand neuer Informationen angepasst und aktualisiert,<br />

und bei der Aktualisierung von qt ist der Investor Bayesianer.<br />

Das BSV-Modell liefert einen Anhaltspunkt zur Identifizierung von Über- und Unterreaktion.<br />

<strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit einer Unterreaktion ist gross, wenn der Investor das Regime Mean<br />

Reverting erwartet. <strong>Die</strong>s ist der Fall, wenn qt gross ist. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit einer Überreaktion<br />

ist dann gross, wenn der Investor vom Regime Trend ausgeht. <strong>Die</strong>s ist der Fall, wenn qt<br />

klein ist. Zur Identifikation von Über- sowie Unterreaktion ist qt somit ein Schlüssel. Ob und<br />

wie qt beobachtbar ist, wird im Kapitel 6.2.2.2, Proxy für Sentiment, diskutiert.<br />

101


4.1.3 Implikationen<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Im BSV-Modell entspricht der korrekte Wertpapierpreis Pt dem vom repräsentativen Investor<br />

beigemessenen Wert der diskontierten erwarteten zukünftigen Cashflows:<br />

( ) ⎥ ⎡ ⎤<br />

= ⎢∑<br />

⎣ + ⎦<br />

∞ N t+<br />

n<br />

P t Et<br />

(4.4)<br />

n<br />

n=<br />

1 1 r<br />

Der Wertpapierpreis weicht jedoch vom „korrekten“ Wert ab, da der Investor zur Gewinnprognose<br />

nicht das Random Walk-Modell, sondern eine Kombination der Modelle der Trendumkehr<br />

und der Trendkontinuität (Regime-Switching Modell) verwendet.<br />

PROPOSITION 1:<br />

Sofern der Investor annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Regime-Switching Modell<br />

bestimmt wird, erfüllen die Wertpapierpreise:<br />

N t Pt = + yt<br />

( p1<br />

− p2qt<br />

)<br />

r<br />

(4.5)<br />

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen. 208<br />

Der erste Term, Nt/r, entspricht dem Wertpapierpreis, wenn der Investor das Random Walk-<br />

Modell zur Gewinnprognose verwendet. Der zweite Term, yt(p1- p2qt), gibt die Abweichung<br />

des Wertpapierpreises von diesem Wert an und kann als Bubbleterm interpretiert werden.<br />

Damit die Preisfunktion Pt durchschnittlich eine Unterreaktion auf eine Folge nicht gleich<br />

gerichteter Ertragsschocks generiert, darf p1 im Verhältnis zu p2 einerseits nicht zu gross gewählt<br />

werden. 209 Andererseits darf p1 im Verhältnis zu p2 nicht zu klein gewählt werden, damit<br />

die Preisfunktion Pt durchschnittlich eine Überreaktion auf eine Folge gleichgerichteter<br />

Ertragsschocks impliziert. 210 Damit ergeben sich für p1 im Verhältnis zu p2 eine obere und<br />

eine untere Wertgrenze.<br />

208<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.324; <strong>Die</strong> Ausdrücke für p1 und p2 sind in dem Beweis der Proposition<br />

1 in BSV(1998), S.333f., Appendix IA gegeben.<br />

209<br />

Es sei angenommen, dass der Investor einen positiven Ertragsschock beobachtet habe. Bei einer Unterreaktion<br />

erfolgt durchschnittlich nur eine unvollständige Preisanpassung, so dass der neue Fundamentalwert unterschätzt<br />

wird. Folglich ist die durchschnittliche Preisabweichung yt(p1- p2qt) negativ. Eine Unterreaktion erfordert<br />

somit, dass die Beziehung p1 < p2qMW gilt, wobei qMW den Mittelwert von q bezeichnet.<br />

210<br />

Es sei angenommen, dass der Investor einen positiven Ertragsschock beobachtet habe. Bei einer Überreaktion<br />

übersteigt der Preis den Fundamentalwert. Zudem ist bekannt, dass nach einer Folge von gleichgerichteten Ertragsschocks<br />

qt einen kleinen Wert annimmt. Das heisst: <strong>Die</strong> geschätzte Wahrscheinlichkeit, dass das Regime<br />

„Mean Reverting“ die Gewinnänderung bestimmt, ist klein. Eine Überreaktion impliziert, dass yt(p1- p2qt) positiv<br />

ist bzw. die Beziehung p1 > p2qklein gilt, wobei qklein einen kleinen Wert von q bezeichnet.<br />

102


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

PROPOSITION 2: Sofern die Modellparameter πL, πH, λ1 und λ2 die Bedingung<br />

k p < p < k p<br />

(4.6)<br />

2<br />

1<br />

2<br />

erfüllen, weist die Preisfunktion in Proposition 1 sowohl eine Unterreaktion als auch eine<br />

Überreaktion auf die Gewinninformationen auf, wobei k und⎺k positive Konstanten darstel-<br />

len, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen. 211<br />

BSV (1998) haben anhand von Simulationsberechnungen gezeigt, dass die Über- sowie Unterreaktion<br />

durch die Formel (4.5) in Proposition 1 konkret beschrieben werden kann. In der<br />

BSV-Simulation wurden folgende Parameterwerte angenommen: πL=1/3, πH=3/4, λ1=0.1 und<br />

λ2=0.4. BSV haben das Random-Walk Modell zur Simulation von 2'000 unabhängigen Er-<br />

tragsserien verwendet. Jede Ertragsserie beschreibt eine fiktive Firma. <strong>Die</strong> Volatilität der Ertragsschocks<br />

ist konstant, und der Ertragsschock yt ist im Vergleich zum Anfangsniveau des<br />

Gewinns N0 klein, um negative Erträge zu vermeiden. Es werden zwei Portfolios für n Perioden<br />

gebildet: Das Portfolio (+) besteht aus den Firmen mit positiven Ertragsschocks in jeder<br />

der n Perioden, und das Portfolio (-) setzt sich aus den Firmen mit negativen Ertragsschocks<br />

in jeder der n Perioden zusammen. <strong>Die</strong> Differenz der Rendite zwischen beiden Portfolios in<br />

der Folgeperiode nach der Portfolioformation, r+ n – r- n , wird berechnet:<br />

Resultat der BSV-Simulation<br />

r+ 1 – r- 1<br />

0.0391<br />

r+ 2 – r- 2 0.0131<br />

r+ 3 – r- 3 -0.0072<br />

r+ 4 – r- 4 -0.0309<br />

Eine positive Differenz impliziert eine Unterreaktion (Momentum), und eine negative Differenz<br />

reflektiert eine Überreaktion (Reversal).<br />

211<br />

Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.326; <strong>Die</strong> Ausdrücke für k und⎺k sind im Beweis der Proposition<br />

2 in BSV(1998), S.336f., Appendix IB definiert.<br />

103


4.2 Overconfidence-Modell<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Ausgehend von asymmetrischer Information und gradueller Informationsdiffusion auf Wertpapiermärkten<br />

einerseits und Overconfidence des Investors andererseits haben Daniel, Hirshleifer<br />

und Subrahmanyam (1998, DHS) das Overconfidence-Modell entwickelt, womit die<br />

Über- und Unterreaktion bzw. short-run Momentum und long-run Reversal erklärt werden<br />

können. Im Gegensatz zum BSV-Modell richtet sich der Erwartungsbildungsfehler jedoch<br />

nicht auf die Gewinnprognose, sondern auf die Interpretation privater und öffentlicher Informationssignale,<br />

aufgrund des nicht-rationalen Marktverhaltens wie Overconfidence. 212<br />

4.2.1 Informale Beschreibung<br />

Das Overconfidencemodell geht davon aus, dass die uninformierten Investoren frei von Behavior-Biases<br />

sind, während die informierten Investoren unter den Biases wie Overconfidence<br />

und Self-Attribution leiden. Es wird eine graduelle Informationsdiffusion angenommen. Am<br />

Anfang des Events wird der Preis durch die Privatinformationen der informierten Investoren<br />

bestimmt 213 und ist biasanfällig. <strong>Die</strong> Overconfidence des informierten Investors manifestiert<br />

sich in der Überschätzung der Genauigkeit der eigenen Informationen, was zu Überreaktion<br />

führt. <strong>Die</strong> durch Self-Attribution verursachte asymmetrische Gewichtung der öffentlichen<br />

Informationen – Übergewichtung der konformen Informationen und Untergewichtung der<br />

nicht konformen Informationen – ermöglicht dann die Persistenz der Überreaktion. 214 Somit<br />

entsteht aus der behavioralen Perspektive ein anderes Bild: In der ersten Phase der Preisänderungen<br />

im Rahmen eines Events, in welcher der Preis nur durch die Privatinformationen bestimmt<br />

wird, ist aufgrund von Overconfidence der informierten Investoren mit einer Überreaktion<br />

zu rechnen. <strong>Die</strong> ineffiziente Abweichung der Preise vom Fundamentalwert kann in der<br />

Folgeperiode nur partiell korrigiert werden, weil die eingetroffenen öffentlichen Informationen<br />

am Anfang noisy sind und die Self-Attribution eine volle Korrektur verhindert, so dass<br />

der Trend der Überreaktion fortdauern kann. Der hochgetriebene Preis kommt erst mit einer<br />

zeitlichen Verzögerung langsam zum Fundamentalwert zurück, wenn in den nachfolgenden<br />

Perioden mehr öffentliche Informationen im Markt auftreten und die öffentlichen Signale viel<br />

stärker und deutlicher werden. <strong>Die</strong> Kernidee des Overconfidencemodells lässt sich wie folgt<br />

212<br />

Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998), S.1839f.<br />

213<br />

Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1840<br />

214<br />

Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1841-1845<br />

104


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

zusammenfassen: I) <strong>Die</strong> Preisänderung wird durch die Privatinformationen der informierten<br />

Investoren initiiert, und die Informationsdiffusion ist graduell. <strong>Die</strong> Überschätzung der Genauigkeit<br />

der eigenen Informationen aufgrund von Overconfidence löst Überreaktionen aus.<br />

Langfristig wird der Preis aber durch die öffentliche Information bestimmt. <strong>Die</strong> Korrektur der<br />

anfänglichen Überreaktionen manifestiert sich durch die negative Autokorrelation der Rendite<br />

„in the long-run“ (Reversal); II) <strong>Die</strong> Self-Attribution führt zur Unterschätzung der öffentlichen<br />

Informationen, welche den informierten Investor zu einer Korrektur seiner Überreaktion<br />

veranlassen sollte, so dass die Überreaktion „in the short-run“ persistent bleiben kann. <strong>Die</strong>se<br />

Persistenz manifestiert sich „in the short-run“ als positive Autokorrelation der Rendite<br />

(Momentum).<br />

105


4.2.2 Das Grundmodell<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

4.2.2.1 Das Grundmodell mit konstanter Confidence<br />

Es wird angenommen, dass es zwei Typen von Investoren gibt: Informierte Investoren (I) und<br />

uninformierte Investoren (U), wobei die uninformierten Investoren nur öffentliche Informationen<br />

und die informierten Investoren auch Privatinformationen erhalten. In Bezug auf spekulative<br />

Assets herrscht am Anfang des Events asymmetrische Information: Der Insider hat zu<br />

diesem Zeitpunkt die preisrelevanten Informationen, während der Outsider keinen Zugang zu<br />

diesen Informationen hat. Somit wird die durch den Event ausgelöste unerwartete Preisänderung<br />

durch die Privatinformation initiiert. <strong>Die</strong> informierten Investoren haben nicht nur einen<br />

Informationsvorsprung, sondern werden auch durch Overconfidence und Self-Attribution geleitet,<br />

so dass die Fehlervarianz der eigenen Prognose unterschätzt und auf die nicht konformen<br />

öffentlichen Informationen unterreagiert wird. Eine andere wichtige Annahme ist die<br />

graduelle Informationsdiffusion, wonach die öffentliche Information hinsichtlich des Events<br />

mit zeitlicher Verzögerung hinter der Privatinformation graduell in den Markt auftritt. Somit<br />

ist die Preisänderung zuerst eine Variable der Privatinformation des informierten Investors,<br />

und die öffentliche Information kann erst in der zweiten Phase ihre deterministische Rolle in<br />

der Preisfindung einnehmen.<br />

Im DHS-Modell ist jeder Marktteilnehmer mit einem Ausgangsvermögen ausgestattet in Aktien<br />

und einer risikolosen Anlage. Zur Modellvereinfachung werden die Uninformierten als<br />

risikoavers und die Informierten als risikoneutral angenommen. Es gibt vier Zeitperioden:<br />

Zum Zeitpunkt t=0 nehmen die Marktteilnehmer bei homogenen Erwartungen einen Handel<br />

ihrer Ausstattungen zu Zwecken der optimalen Risikoallokation auf. Zum Zeitpunkt t=1 erhalten<br />

die Informierten ein verrauschtes privates Signal hinsichtlich des Wertes des Underlying-Assets<br />

und handeln aufgrund dieser Information mit den Uninformierten. Zum Zeitpunkt<br />

t=2 ist das verrauschte öffentliche Informationssignal in den Markt eingetroffen und der Handel<br />

setzt sich fort. Zum Zeitpunkt t=3 herrscht vollständige öffentliche Information, und der<br />

Fundamentalwert ist bekannt. Es wird auf das Wertpapier eine Liquiditätsdividende zum<br />

Zweck des Konsums ausgeschüttet. Alle Randomvariablen sind unabhängig und normalverteilt.<br />

Das risikobehaftete Wertpapier hat einen Zeitwert von θ, der mit einem Mittelwert⎺θ und<br />

einer Varianz σθ 2 als unabhängig und normalverteilt angenommen wird. Ohne Verlust an All-<br />

106


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

gemeingültigkeit wird⎺θ = 0 gesetzt. Zum Zeitpunkt t=1 erhalten Informierte das private Sig-<br />

nal:<br />

S = θ + ε<br />

(4.2.1)<br />

1<br />

wobei ε ∼ N(0, σε 2 ). <strong>Die</strong> Genauigkeit des Signals beträgt 1/σε 2 . <strong>Die</strong> Uninformierten können<br />

die Varianz dieses Störterms ohne Biases korrekt einschätzen, 215 während die Informierten<br />

aufgrund von Overconfidence die Fehlervarianz der eigenen Prognose unterschätzen, d.h., σC 2<br />

< σε 2 . 216 Den Marktteilnehmergruppen sind diese abweichenden Schätzungen der Informati-<br />

onsgenauigkeit bekannt.<br />

Zum Zeitpunkt t=2 ist das öffentliche Signal eingetroffen: 217<br />

S = θ + η<br />

(4.2.2)<br />

2<br />

wobei η ∼ N(0, σp 2 ), unabhängig von θ und ε. <strong>Die</strong> Varianz des Störterms σp 2 wird von allen<br />

Investoren unverzerrt eingeschätzt. In Bezug auf die öffentliche Informationen besteht kein<br />

Bias.<br />

Der Wertpapierpreis wird von den Erwartungen der risikoneutralen Informierten, EC(...), bestimmt,<br />

womit zu jedem Zeitpunkt (t=1, 2, 3) die folgenden Beziehungen erfüllt sind:<br />

= EC<br />

[ θ θ + ε ]<br />

P 1 (4.2.3)<br />

[ θ θ + ε θ + η]<br />

= , E P (4.2.4)<br />

2 C<br />

P = θ<br />

(4.2.5)<br />

3<br />

Bei der öffentlichen Bekanntgabe zum Zeitpunkt 3 entspricht der Wertpapierpreis dem ratio-<br />

nalen Wert (P3=θ). Für normalverteilte Variablen folgt: 218<br />

2<br />

σ θ<br />

P 1 = ( θ + ε )<br />

(4.2.6)<br />

2 2<br />

σ + σ<br />

θ<br />

C<br />

215 Allerdings erhalten Uninformierte keine privaten Signale. <strong>Die</strong> korrekte Einschätzung dient als Benchmark.<br />

216 σC 2 : die durch „overconfidente“ Investoren geschätzte Varianz des privaten Signals;<br />

217 <strong>Die</strong> Annahme, dass die private der öffentlichen Information vorausgeht, ist nach DHS (1998) zur Ableitung<br />

der Modellergebnisse nicht zwingend. Erforderlich ist, dass zumindest einige öffentliche Informationen nach<br />

dem privaten Signal auftreten. <strong>Die</strong> Modellergebnisse behalten ihre Gültigkeit, wenn zusätzliche Information dem<br />

privaten Signal vorausgeht bzw. mit diesem zeitlich zusammenfällt.<br />

218 Siehe Anderson (1984), Kapitel 2<br />

107


P<br />

2<br />

mit<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

2 2 2<br />

2 2 2 2<br />

σ θ ( σ C + σ p ) σ θσ<br />

p σ θσ<br />

C<br />

= θ + ε + η<br />

(4.2.7)<br />

D D D<br />

D σ<br />

2 2 2 2 2<br />

≡ σ θ ( σ p + σ C ) + σ p C , wobei σθ 2 die Varianz des Fundamentalwerts bezeichnet. Zum<br />

Zeitpunkt t=1 wird das Signal, S = θ + ε , durch die Genauigkeit des Signals normalisiert.<br />

1<br />

Bei gegebenem θ beträgt die Genauigkeit der Information zum Zeitpunkt t=1 σθ 2 /σθ 2 +σC 2 . 219<br />

Je sicherer bzw. overconfidenter der Investor bezüglich privater Information ist, desto kleiner<br />

ist σC 2 , desto näher ist der Term σθ 2 /(σθ 2 +σC 2 ) bei 1, und desto mehr fliesst die private In-<br />

formation, S = θ + ε , in den Preis ein. Umgekehrt reflektiert der Preis das private Signal ε<br />

1<br />

nur in beschränktem Umfang, wenn die Unsicherheit über die private Information dominiert,<br />

und mit einem entsprechend grossen Wert von σC 2 ist der Term σθ 2 /(σθ 2 +σC 2 ) weit kleiner als<br />

1. <strong>Die</strong> Adjustierung um die Genauigkeit der verrauschten Informationen erfolgt auch zum<br />

Zeitpunkt t=2.<br />

<strong>Die</strong> Modellierung lässt die Überreaktion des Wertpapierpreises entstehen, da bei einer Unter-<br />

schätzung der Fehlervarianz der eigenen Prognose aufgrund von Overconfidence, σC 2 < σε 2 ,<br />

der Preis P1 zum Zeitpunkt 1 gemäss (4.2.6) überschätzt wird. <strong>Die</strong>se Überschätzung kann in<br />

der folgenden Periode korrigiert werden, wenn das öffentliche Signal eindeutiger wird und<br />

mit einem kleinen Wert von σp 2 die Gewichtung des privaten Signals in der Bewertung (4.2.7)<br />

sinkt. 220 Allerdings kann die Überschätzung in bestimmtem Umfang persistent bleiben, wenn<br />

die privaten Investoren wegen Self-Attribution in der Folgeperiode (Zeitpunkt t=2) an der<br />

Genauigkeit ihrer Schätzung nicht zweifeln, so dass sich σC 2 < σε 2 fortsetzt. Folglich wird die<br />

öffentliche Information, η, in der Bewertung (4.2.7) unterschätzt, weil σC 2 σθ 2 /D < σε 2 σθ 2 /D<br />

ist. Der zweite Term in (4.2.7), σp 2 σθ 2 /D, kann als Korrekturterm verstanden werden, während<br />

der dritte Term in (4.2.7), σC 2 σθ 2 /D, als Momentumterm betrachtet werden kann. 221<br />

219<br />

<strong>Die</strong> objektive Genauigkeit beträgt σθ<br />

108<br />

2 /σθ 2 +σε 2 , mit gegebenem θ und noisy ε; <strong>Die</strong> von den Informierten<br />

wahrgenommene Genauigkeit beträgt σθ 2 /σθ 2 +σC 2 , mit gegebenem θ und noisy ε.<br />

220<br />

Bei Bekanntgabe vollständiger öffentlicher Information in der Endperiode ist σp 2 gleich null, und somit ist die<br />

Gewichtung der privaten Information in der Bewertung null.<br />

221<br />

<strong>Die</strong> Interpretation der Bewertungsformel vertritt nur die Meinung des Autors dieser Arbeit. DHS (1998)<br />

könnten eine andere Erklärung haben.


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

4.2.2.2 Implikation des Grundmodells: Über- sowie Unterreaktion<br />

Das DHS-Modell stellt ein Instrument zur Verfügung, womit Über- sowie Unterreaktion erklärt<br />

werden kann. <strong>Die</strong> Overconfidence im privaten Signal bewirkt, dass der Wertpapierpreis<br />

am Anfang des Events, zum Zeitpunkt t=1, auf die private Information überreagiert. Auf die<br />

Überreaktionsphase folgt eine Korrekturphase, wobei die durch Self-Attribution herbeigeführte<br />

Untergewichtung der nicht konformen öffentlichen Informationen zur Unterreaktion führt,<br />

so dass die Abweichung nur partiell korrigiert wird. 222 Aus dem Modell resultiert sowohl positive<br />

als auch negative Autokorrelation. In Bezug auf die Autokorrelationen der Preisveränderungen<br />

impliziert die Überreaktion auf das private Informationssignal und deren partielle<br />

Korrektur beim Auftreten öffentlicher Informationen, dass die Kovarianz der einperiodigen<br />

Preisänderungen der Zeitpunkte t=1 und t=2, cov(P2-P1, P1-P0), negativ sein soll. <strong>Die</strong> Kovarianz<br />

cov(P2-P1, P1-P0) des DHS-Modells hat in dem Fall einen negativen Wert, wenn<br />

Overconfidence die Erwartungsbildung verzerrt (σC 2 < σε 2 ): 223<br />

COV<br />

2 2 2 2<br />

σ θ σ C ( σ ε − σ C )<br />

− P0<br />

) = −<br />

< 0 (4.2.8)<br />

2 2 2 2 2 2<br />

( σ + σ )( σ ( σ + σ ) + σ σ )<br />

( P2<br />

− P1<br />

, P1<br />

2<br />

θ C θ C p C p<br />

<strong>Die</strong> Unterreaktion auf öffentliche Information impliziert, dass der Preis nicht sofort die öffentliche<br />

Information reflektiert, nachdem diese im Markt aufgetreten ist. <strong>Die</strong> partielle Korrektur<br />

der Überreaktion führt zu einer positiven Autokorrelation der Preisänderungen. Dementsprechend<br />

hat das DHS-Modell eine positive Kovarianz, cov(P3-P2, P2-P1):<br />

COV<br />

6 2 2 2 2<br />

σ θσ<br />

Cσ<br />

p ( σ ε − σ C )<br />

− P1<br />

) =<br />

> 0<br />

2 2 2 2 2 2 2<br />

( σ + σ )( σ ( σ + σ ) + σ σ )<br />

( P3<br />

− P2<br />

, P2<br />

2<br />

θ C θ C p C p<br />

224<br />

Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1848<br />

109<br />

(4.2.9)<br />

Im Hinblick auf Über- sowie Unterreaktionen kommen DHS (1998) zu folgender Schlussfol-<br />

gerung: 224<br />

PROPOSITION 1: Wenn die Investoren overconfident sind,<br />

werden die durch das Auftreten privater Information hervorgerufenen Preisänderungen<br />

in der langen Frist durchschnittlich partiell aufgehoben;<br />

222 <strong>Die</strong> durch Self-Attribution verursachte asymmetrische Gewichtung der öffentlichen Informationen, Übergewichtung<br />

der konformen Informationen und Untergewichtung der nicht konformen Informationen, ermöglicht<br />

die Persistenz der Überreaktion.<br />

223 Zur Herleitung der nachfolgend angegebenen Kovarianz siehe DHS (1998) S.1869.


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

sind die Preisänderungen beim Auftreten öffentlicher Information mit nachfolgenden<br />

Preisänderungen positiv korreliert.<br />

In den <strong>empirische</strong>n Untersuchungen der seriellen Preisabhängigkeiten werden die Autokorrelationen<br />

der Wertpapierrendite im Allgemeinen nicht auf das Auftreten privater bzw. öffentlicher<br />

Informationssignale konditioniert. Hierdurch können Vorzeichenunterschiede der Autokorrelationen<br />

in Abhängigkeit der Art des Informationsergebnisses überdeckt werden. So ist<br />

der Durchschnitt der Kovarianzen cov(P2-P1, P1-P0) und cov(P3-P2, P2-P1) der einperiodigen<br />

Preisänderungen nach dem Auftreten der privaten und der darauffolgenden öffentlichen Information<br />

negativ:<br />

1<br />

( COV ( P2<br />

− P1<br />

, P1<br />

− P0<br />

) + COV ( P3<br />

− P2<br />

, P2<br />

− P1<br />

))<br />

2<br />

8 4 2 2<br />

σ θσ<br />

C ( σ ε −σ<br />

C )<br />

= −<br />

< 0<br />

2 2 2 2 2 2 2 2<br />

2(<br />

σ + σ )( σ ( σ + σ ) + σ σ )<br />

θ<br />

C<br />

C<br />

θ<br />

p<br />

θ<br />

p<br />

110<br />

(4.2.10)<br />

PROPOSITION 2: Wenn die Investoren overconfident sind, dann weisen die Preisänderungen<br />

über einen kurz- und langfristigen Zeithorizont eine unkonditioniert negative Autokorrelation<br />

auf.<br />

Das Modell mit einer konstanten Confidence steht im Einklang mit der Beobachtung einer<br />

Trendumkehrung, nicht jedoch mit einer Trendkontinuität. <strong>Die</strong>s lässt sich durch eine Erweiterung<br />

des Modells um eine ergebnisabhängige Confidence erzielen.


4.2.3 Das erweitertes Modell<br />

<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

4.2.3.1 Das erweitertes Modell mit ergebnisabhängiger Confidence<br />

Im erweiterten Modell wird Confidence nicht als konstant betrachtet, sondern variiert asymmetrisch<br />

mit den resultierenden Ergebnissen: <strong>Die</strong> Confidence wird überpropotional erhöht,<br />

wenn die private Prognose in der Folgeperiode durch öffentliche Information bestätigt wird,<br />

während die Confidence unverändert bleibt, wenn die öffentliche Information die private widerlegt.<br />

Somit erhöht das Auftreten öffentlicher Information im Durchschnitt die Confidence<br />

der Informierten und verstärkt daher die Überreaktion. Durch die Einbeziehung der Rückwirkung<br />

des Handelserfolgs auf das Konfidenzniveau lässt sich im Modell von DHS (1998) die<br />

Preisumkehrung kontinuierlich modellieren, wodurch auch das Auftreten einer Trendkontinuität<br />

erklärt werden kann. 225 <strong>Die</strong> Variation der Confidence aufgrund von Self-Attribution hat die<br />

Verlängerung der Überreaktionsphase zur Folge, was eine positive Autokorrelation der kurzfristigen<br />

Preisänderungen herbeiführt. Somit kann die öffentliche Information nur mit zeitlicher<br />

Verzögerung den Wertpapierpreis zu seinem Fundamentalwert zurückbringen, was sich<br />

durch langfristige negative Autokorrelationen zeigt.<br />

Im Vergleich zum Grundmodell ist die Overconfidence der Informierten am Anfang des<br />

Events nicht zwingend, so dass σC 2 ≤ σε 2 gilt. Zur Vereinfachung wird das öffentliche Signal<br />

zum Zeitpunkt t=2 als diskret mit S2 = {1, -1} angenommen. S2=1 bedeutet eine Bestätigung<br />

der privaten Information durch öffentliche, während S2= -1 die Widerlegung der privaten In-<br />

formation durch öffentliche bezeichnet. DHS (1998) nehmen an, dass die Genauigkeit (1/σC 2 ),<br />

mit der die Informierten die Verlässlichkeit ihres privaten Signals beurteilen, von der Realisation<br />

des öffentlichen Signals in der Folgeperiode abhängt. <strong>Die</strong> Confidence nimmt zu, wenn<br />

) ( ) S sign<br />

sign θ + ε =<br />

(4.2.11)<br />

( 2<br />

womit die Schätzung der Varianz des eigenen Prognosenfehlers aufgrund der Zunahme von<br />

Confidence auf σC 2 -k, mit 0


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Der Erwartungswert des Wertpapierpreises wird durch die Erwartungen der risikoneutralen<br />

Informierten mit Overconfidence-Bias bestimmt, und zum Zeitpunkt t=1 ist folgende Beziehung<br />

zu erfüllen:<br />

2<br />

σ θ [ θ θ + ε ] = ( θ + ε )<br />

P 1 = EC<br />

(4.2.13)<br />

σ + σ<br />

2<br />

θ<br />

2<br />

C<br />

Im Falle S2= -1 bleibt sowohl die Confidence als auch der Preis konstant, P1=P2, weil das öffentliche<br />

Signal virtuell als nicht informativ wahrgenommen wird. Im Falle S2=1 wird der<br />

neue Preis, P2C, durch die adjustierte Confidence (σC 2 -k) bestimmt:<br />

2<br />

σ θ P2<br />

C =<br />

( θ + ε )<br />

(4.2.14)<br />

2 2<br />

σ + σ − k<br />

θ<br />

C<br />

Um einen genügenden Zeitraum für die graduelle Diffusion der öffentlichen Informationen zu<br />

ermöglichen, wird im Modell ein weiterer Zeitpunkt t=3′ zwischen dem Zeitpunkt t=2 und t=3<br />

hinzugefügt, bei dem ein öffentliches Signal (θ+η) mit η ∼ N(0, σp 2 ) auftritt.<br />

Abbildung 10: <strong>Die</strong> Difussion der öffentlichen Informationen im Overconfidencemodell<br />

Privates<br />

Signal<br />

S 1 =θ+ε<br />

Öffentliches.<br />

Signal<br />

S 2 ={1,-1}<br />

0 1 2 3′ 3<br />

Reihenfolge der Informationsschocks<br />

Öffentliches.<br />

Signal<br />

S 3′ =θ+η<br />

112<br />

Öffentliches.<br />

Signal<br />

Zur Vereinfachung wird von DHS (1998) angenommen, dass die Confidence nicht vom zwei-<br />

ten öffentlichen Signal zum Zeitpunkt t=3′ beeinflusst wird. Bleibt die Confidence zum Zeit-<br />

punkt t=2 im Falle S2= -1 unverändert, so ist der Wertpapierpreis zum Zeitpunkt t=3′ nach<br />

Gleichung (4.2.7) gegeben. Erhöht sich die Confidence zum Zeitpunkt t=2 in der Folge von<br />

S2=1, so ist die adjustierte Confidence in der Preisfindung zum Zeitpunkt t=3′ bestimmend:<br />

S 4 =θ


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

2 2<br />

2<br />

2 2 2 2<br />

σ θ ( σ C − k + σ p ) σ θσ<br />

p σ θ ( σ C − k)<br />

P3<br />

'C<br />

= θ + ε + η<br />

D<br />

D D<br />

(4.2.15)<br />

wobei ≡<br />

2 2 2<br />

2 2<br />

( σ + σ − k)<br />

+ σ ( σ − k)<br />

D σ θ p C<br />

p C<br />

4.2.3.2 Implikation des erweiterten Modells: Über- sowie Unterreaktion<br />

<strong>Die</strong> durch Overconfidence verursachte Überreaktion auf das private Signal und deren Fortsetzung<br />

wegen Self-Attribution implizieren, dass die Kovarianz cov(P2-P1, P1-P0) der einperiodigen<br />

Preisänderungen in der Überreaktionsphase positiv ist. Mit der Annahme, dass die Wahr-<br />

scheinlichkeit von S2=1 gleich 50% ist, und σC 2 < σε 2 gilt, resultiert aus dem Modell eine po-<br />

sitive Korrelation: 226<br />

COV<br />

P<br />

4 2 2<br />

kσ<br />

θ ( σ ε + σ θ )<br />

P P − P0<br />

) =<br />

> 0<br />

(4.2.16)<br />

2 2 2 2<br />

2(<br />

σ + σ ) ( σ + σ − k)<br />

( 2 − 1,<br />

1<br />

2<br />

θ C θ C<br />

<strong>Die</strong> Korrektur der Überreaktion impliziert eine negative Korrelation der Preisänderungen zwischen<br />

der Überreaktions- und der Korrekturphase. Im DHS-Modell sind die Kovarianzen<br />

cov(P3-P2, P2-P1) und cov(P3-P1, P1-P0) dementsprechend negativ:<br />

COV<br />

COV<br />

4 2 2<br />

σ θ ( σ ε − σ C )<br />

− P0<br />

) = −<br />

< 0<br />

(4.2.17)<br />

2 2<br />

( σ + σ )<br />

( P3<br />

− P1<br />

, P1<br />

2<br />

θ C<br />

P<br />

2 2 2 2 2<br />

σ θ ( k σ θ + k(<br />

σ ε − σ C ))<br />

P P − P1<br />

) = −<br />

< 0<br />

(4.2.18)<br />

2 2 2 2<br />

2(<br />

σ + σ )( σ + σ − k)<br />

( 3 − 2,<br />

2<br />

2<br />

θ C θ C<br />

<strong>Die</strong> durch die Unterreaktion auf öffentliche Information implizierten partiellen und dauerhaften<br />

Korrekturen der Fehler in der Korrekturphase werden durch die positive Kovarianz der<br />

Preisänderungen in dieser Phase, cov(P3-P3′, P3′-P2), reflektiert:<br />

COV(<br />

P −P<br />

P −P<br />

) =<br />

3<br />

3',<br />

3'<br />

2<br />

6<br />

2 2 2<br />

2 2 2<br />

σ ⎡ σ ( )<br />

( )( ) ⎤<br />

C σ −σC<br />

σC<br />

−k<br />

σ + k −σ<br />

(4.2.19)<br />

θ ε<br />

ε C<br />

⎢<br />

+<br />

> 0<br />

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 ⎥<br />

2 ⎢⎣<br />

( σθ<br />

+ σC<br />

) ( σθ<br />

( σ p + σC<br />

) + σCσ<br />

p)<br />

( σθ<br />

( σC<br />

−k<br />

+ σ p)<br />

+ ( σC<br />

−k)<br />

σ p)(<br />

σθ<br />

+ σC<br />

−k)<br />

⎥⎦<br />

226 Zur Herleitung der nachfolgend angegebenen Kovarianzen siehe DHS (1998) S. 1877 ff.<br />

113


<strong>Behavioral</strong>e Modelle<br />

Bei der Berechnung der Autokorrelationen würde eine positive Autokorrelation am ersten Lag<br />

auftreten (Momentum, 4.2.16). Im Gegensatz hierzu sind die Paare von Preisänderungen an<br />

langen Lags, die den Umkehrungspunkt einschliessen, negativ korreliert (Reversal, 4.2.17),<br />

weil die Preisänderungen der Überreaktionsphase tendenziell ein entgegengesetztes Vorzeichen<br />

zu den Preisänderungen aus der Korrekturphase aufweisen. <strong>Die</strong>se Implikationen für das<br />

Preisverhalten werden von DHS (1998) wie folgt zusammengefasst:<br />

PROPOSITION 3: Wenn sich die Confidence von Investoren wegen Self-Attribution ändert<br />

und die Überreaktions- und Korrekturphasen beim Auftreten neuer Information graduell verlaufen,<br />

227 dann weisen die Preisänderungen „in the short-run“ positive Autokorrelation (Momentum)<br />

und „in the long-run“ negative Autokorrelation (Reversal) auf. 228<br />

227 D.h., die graduelle Informationsdiffusion gilt.<br />

228 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S.1858<br />

114


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Teil 3 Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong> der behavioralen Modelle<br />

Kapitel 5 Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Aus der Sicht des Empirismus muss eine Aussage stets empirisch überprüfbar sein, denn<br />

nichts ist intellectu, was nicht in der Erfahrung war, im Gegensatz zum Rationalismus, der die<br />

Erkenntnis aus dem Denken stammen lässt. 229 Bekanntlich sind behaviorale Elemente am<br />

Aktienmarkt transzendent und der Erfahrung nicht direkt zugänglich. 230 Zwecks wissenschaftlicher<br />

Sicherheit muss die Frage zwingend beantwortet werden können, ob das Overconfidencemodell<br />

(BSV) und das Sentimentmodell (DHS) empirisch überprüfbar sind, da die transzendenten<br />

Begriffe im Modell (wie Overconfidence und Sentiment) die Gefahr in sich bergen,<br />

dass sich pseudowissenschaftliche oder metaphysische Behauptungen einschleichen können.<br />

Somit widmet sich dieses Kapitel der Frage der <strong>empirische</strong>n <strong>Überprüfbarkeit</strong> beider Modelle.<br />

5.1 Methodologische Vorüberlegung<br />

5.1.1 Empirische Überprüfung<br />

Der <strong>empirische</strong> Test dient der Überprüfung der Bewährung bzw. des Bewährungsgrads der<br />

Modelle. 231 Als Überprüfungsmechanismus sieht sich der <strong>empirische</strong> Test bei der Finanzmarktforschung<br />

mit zwei Problemen konfrontiert: Der Unbeobachtbarkeit der Key-Variablen<br />

und Duhem/Quine-Frage.<br />

229 Vgl. Stier (1996) S.5.<br />

230 Das betrifft jedoch die Natur der Sache nicht, es stellt sich vielmehr die Frage des Zugangs zu ihnen. Wegen<br />

der begrenzten technischen Messmöglichkeiten hat die menschliche Erfahrung jedoch nur einen sehr beschränkten<br />

Zugang zum Menschen selbst, und die Charakteristiken des Menschen (wie Overconfidence, Representativeness,<br />

selektive Wahrnehmung, Konservatismus, usw.) gehören weiterhin zum Bereich des Unbeobachtbaren.<br />

231 Aus dem Aussagensystem werden (unter Verwendung bereits anerkannter Sätze) empirisch möglichst leicht<br />

nachprüfbare bzw. anwendbare singuläre Folgerungen (Prognosen) deduziert und aus diesen insbesondere jene<br />

ausgewählt, die aus bekannten Systemen nicht ableitbar sind bzw. mit ihnen in Widerspruch stehen. Über die<br />

abgeleiteten Folgerungen (Prognosen) wird nun im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung, den Experimenten<br />

usw. entschieden. Fällt eine Entscheidung positiv aus, d.h., das System hält eingehenden und strengen<br />

Nachprüfungen stand und wird auch nicht durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft überholt,<br />

dann hat sich das System bewährt. Der Bewährungsgrad kennzeichnet den Grad, in dem eine Hypothese strengen<br />

Prüfungen standgehalten hat.<br />

115


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

<strong>Die</strong> Testbarkeit setzt voraus, dass die Key-Variablen der Modelle direkt beobachtbar und<br />

messbar sind. <strong>Die</strong>se Voraussetzung ist in der <strong>empirische</strong>n Marktforschung oft nicht erfüllt,<br />

und die <strong>empirische</strong>n Untersuchungen sind meistens mit den Problemen konfrontiert, dass „die<br />

harten Faktoren“ wie Wohlstand oder Marktportfolio nicht direkt beobachtbar sind und dass<br />

die inhärente Unsicherheit bei deren Messung eine objektive Beurteilung hinsichtlich der Bewährung<br />

der Modelle verunmöglicht. In dieser Hinsicht stellt der <strong>empirische</strong> Test kein endgültiges<br />

Kriterium für eine objektive Überprüfung der Bewährung der Marktmodelle dar, solange<br />

das Problem der Beobachtbarkeit bei den Key-Variablen nicht in zufriedenstellendem<br />

Umfang gelöst ist. Beispielsweise ist das CAPM aufgrund der Unbeobachtbarkeit des Marktportfolios<br />

schwer testbar, und die aus den <strong>empirische</strong>n Tests resultierenden Kritiken gegen<br />

das CAPM sollten deswegen mit Vorsicht beurteilt werden, weil die beobachteten Abweichungen<br />

nicht zwingend den Modellfehler implizieren, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />

auch auf Datenfehler zurückgeführt werden können. Im Vergleich zu den harten Faktoren<br />

haben weiche Faktoren – wie Behavior Risk, Reputationsrisiken, Vertrauen und Image –<br />

eine noch ungünstigere Ausgangslage, da sie nicht direkt beobachtbar und damit unmessbar<br />

sind. Demzufolge ist eine objektive Überprüfung des Bewährungsgrads der behavioralen Modelle<br />

durch <strong>empirische</strong> Tests ausserordentlich schwierig. Es wäre ein entscheidender wissenschaftlicher<br />

Durchbruch in der Finanzmarktforschung, wenn die Hürde der Transzendenz genommen<br />

und das Problem der Beobachtbarkeit und Messbarkeit befriedigend gelöst werden<br />

könnte.<br />

Im Hinblick auf die Überprüfung des Bewährungsgrads der Modelle ist die Aussagekraft <strong>empirische</strong>r<br />

Tests im Falle der Beobachtbarkeit aller Daten trotzdem nur begrenzt, denn jeder<br />

Versuch einer Widerlegung scheitert an der Duhem/Quine-Frage, ob eine falsche Prognose<br />

die benutzte Theorie, eine Randbedingung oder einen Bestandteil des Hintergrundwissens<br />

widerlegt. 232 Mit anderen Worten lässt ein widersprechender <strong>empirische</strong>r Befund keinen eindeutigen<br />

Rückschluss darauf zu, wo der Fehler zu suchen ist. 233 Beispielsweise besteht jeder<br />

<strong>empirische</strong> Test bezüglich der Markteffizienz aus einem Hypothesenbündel, eine Ablehnung<br />

des Hypothesenbündels ist daher nie eindeutig der Ineffizienz zuzuschreiben, sie kann auf das<br />

unterstellte Preisbildungsmodell zurückgeführt werden, wie auch darauf, dass das verwendete<br />

Messverfahren nicht das misst, was es messen soll. <strong>Die</strong> Annahme über die Konstanz der erwarteten<br />

Rendite sowie Risikoprämie kann auch für die Ablehnung verantwortlich sein. Der<br />

232 Vgl. Zahar (1998) S.104f.<br />

233 Vgl. Gadenne (1998) S. 136.<br />

116


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

<strong>empirische</strong> Test kann somit in diesem Fall die entsprechende Theorie nicht eindeutig falsifizieren.<br />

Popper zufolge sagt die Bewährung einer Theorie durch die <strong>empirische</strong>n Untersuchungen nur<br />

etwas über ihre vergangenen, nichts dagegen über die zukünftigen Leistungen oder die Verlässichkeit<br />

einer Theorie aus. <strong>Die</strong> kritische Auseinandersetzung kann nie hinreichende Gründe<br />

für die Behauptung erbringen, dass eine Theorie wahr sei. Um es prägnant zu formulieren:<br />

Man kann nie eine Theorie – d.h., eine Behauptung, man wisse, dass sie wahr sei – rational<br />

rechtfertigen. 234 Andererseits verleihen induktive Schlüsse der Konklusion, demzufolge sich<br />

bisher beobachtete Erfolgshäufigkeiten in die Zukunft extrapolieren lassen, keine Sicherheit.<br />

Zum einen ist das Induktionsprinzip empirisch nicht begründbar, denn hierzu müsste man von<br />

einem Induktionsprinzip höherer Ordnung Gebrauch machen (demzufolge induktive Schlüsse,<br />

weil sie sich bisher bewährt haben, sich auch in Zukunft bewähren werden), und dies führt<br />

zum unendlichen Regress. Zum anderen ist der Versuch, das Induktionsprinzip als a priori<br />

gültig zu erweisen, zum Scheitern verurteilt, denn es ist denkmöglich, dass sich die Welt<br />

schon morgen ganz anders verhält als bisher. 235 D.h., die Bewährung durch die <strong>empirische</strong><br />

Untersuchung ist nur vorläufig, eine bisher gut bewährte Theorie kann schon morgen falsifiziert<br />

werden. Somit kann der <strong>empirische</strong> Test die Theorie nicht verifizieren, sondern lediglich<br />

falsifizieren. <strong>Die</strong> Falsifikation durch den <strong>empirische</strong>n Test ist jedoch nicht endgültig. Popper<br />

zufolge ist eine Theorie niemals falsifizierbar in dem Sinne, dass die fragliche Theorie endgültig<br />

oder zwingend falsifiziert werden kann. 236<br />

234 Vgl. Gadenne (1998) S.137.<br />

235 Vgl. Schurz (1994) S.26f.<br />

236 Vgl. Gadenne (1998) S.136.<br />

117


5.1.2 Das Problem der Transzendenz<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Gemäss der Grundthese des Empirismus sollten die Aussagen über die Wirklichkeit nur anhand<br />

der Erfahrung gewonnen und beurteilt werden. Demzufolge werden wissenschaftliche<br />

Theorien durch Induktion aus der Beobachtung bzw. den <strong>empirische</strong>n Tatsachen sozusagen<br />

herausextrapoliert, und der <strong>empirische</strong> Test soll die Korrektheit dieser Prozeduren überprüfen.<br />

Doch bereits sehr einfache Theorien wie z.B. das Galileische Fallgesetz oder gar die Newtonsche<br />

Physik enthalten Allgemeinbegriffe, welche über jede Erfahrung, über das Beobachtbare<br />

hinausgehen, wie z.B. „reibungslose Bewegung“, „Mass“, „Kraft“ usw. 237 Das Problem der<br />

Transzendenz der Darstellung kann zwar in der Naturwissenschaft durch konventionelle Entscheidungen<br />

238 relativiert werden, das bedeutet jedoch nicht, dass die Naturwissenschaft deswegen<br />

stets immun gegenüber der Transzendenz ist.<br />

Ein entsprechendes Beispiel, die Erfahrung über „parallele Geraden“, illustriert den Fall der<br />

Transzendenz in der Naturwissenschaft: Im Axiomsystem der euklidischen Geometrie scheint<br />

Postulat 5 – Euklids Parallelenpostulat 239 – die direkte physikalische Erfahrung zu transzendieren.<br />

<strong>Die</strong> unterschiedlichen Konventionen über den Begriff „parallele Geraden“ führen<br />

schliesslich zu zwei nichteuklidischen Geometrien: Hyperbolische Geometrie und elliptische<br />

Geometrie. 240 Angesichts der Transzendenz der Darstellung ist die <strong>empirische</strong> Untersuchung<br />

nicht in der Lage, die Aussagen über die geometrische Wirklichkeit (zwei nichteuklidische<br />

Geometrien) anhand der Erfahrung zu beurteilen. <strong>Die</strong> Erfahrung „parallele Gerade“ ist nicht<br />

theorieunabhängig, sondern theorieabhängig, was dazu führt, dass zwei nichteuklidische Geometrien<br />

inkommensurabel sind, weil erstens die Beobachtungstatsachen theorieabhängig<br />

sind und zweitens theoriebedingte Interpretationen involvieren, eine Tatsache, die offensichtlich<br />

nicht mit den Grundannahmen des modernen Empirismus vereinbar ist. In diesem Kontext<br />

sind Popper zufolge Entscheidungen oder Festsetzungen notwendig, um eine Hypothese<br />

237<br />

Vgl. Schurz (1994) S. 30.<br />

238<br />

Eine typische Konvention ist es, einen Meter als 1/40‘000‘000 des Umfangs der Erde zu definieren. <strong>Die</strong>se<br />

Konvention kann zweckmässig sein oder nicht, ist aber weder wahr noch falsch.<br />

239<br />

Euklids 5. Postulat: Parallele Geraden sind Geraden, die in derselben Ebene liegen, unbeschränkt in beiden<br />

Richtungen weitergeführt werden und sich weder in der einen noch in der anderen Richtung schneiden.<br />

240<br />

Hyperbolische oder Lobatschewkysche Geometrie:<br />

In einer Ebene sei eine Gerade L und ein Punkt P nicht auf L gegeben. Dann gibt es mindestens zwei<br />

Geraden durch P, die Parallel zu L sind. Summe (Innenwinkel) < 180°.<br />

Elliptische oder Riemannsche Geometrie:<br />

In einer Ebene sei eine Gerade L und ein Punkt P nicht auf L gegeben. Dann gibt es keine Gerade durch<br />

P, die Parallel zu L wäre. Summe (Innenwinkel) > 180°.<br />

118


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

überprüfen zu können, und das wissenschaftliche Urteil ist in diesem Fall dem Verdikt der<br />

Geschworenen über Tatsachenfragen vergleichbar. 241 Das Beispiel aus der Geometrie hat gezeigt,<br />

dass die Aussagen über die Wirklichkeit nicht nur anhand der Erfahrung gewonnen und<br />

beurteilt werden, und dass die Transzendenz der Darstellung nicht zwingend den Ausschluss<br />

eines möglichen Erkenntnisgewinns impliziert. Mit anderen Worten ist der Empirismus im<br />

Hinblick auf Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften nicht die einzige Möglichkeit.<br />

Das Problem der Transzendenz der Darstellung gibt es nicht nur in den Naturwissenschaften,<br />

sondern auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die<br />

Psychoanalyse von Sigmund Freud, eine Revolution in der wissenschaftlichen Theorie, welche<br />

das Selbstverständnis des Menschen als ein rationales, edel gesinntes, moralisches Geschöpf,<br />

dessen Verhalten durch Rationalität und Optimalität gesteuert wird, in Zweifel zieht.<br />

<strong>Die</strong> Theorie von Freud kann aufgrund einer Reihe transzendenter Begriffe (wie Unbewusstsein,<br />

Über-Ich, Ödipus-Komplex, Elektra-Komplex 242 usw.) jedoch nicht anhand der Erfahrung<br />

direkt beurteilt werden. Ähnlich wie der Fall von parallelen Geraden in der Geometrie ist<br />

hier eine Entscheidung notwendig, wo die Theorieabhängigkeit, die Unvereinbarkeit mit den<br />

Grundannahmen des Empirismus, unvermeidlich ist. Aus der Sicht des Empirismus ist die<br />

Psychoanalyse ein typisches Beispiel der Pseudowissenschaft, aber es gibt auch andere<br />

Sichtweisen und demzufolge gehört die Psychoanalyse von Freud trotz deren Unvereinbarkeit<br />

mit dem Empirismus zu den wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen des letzten Jahrhunderts,<br />

wie die Relativitätstheorie von Einstein.<br />

Sowohl im Falle von parallelen Geraden als auch im Falle der Psychoanalyse können die<br />

Aussagen aufgrund der Transzendenz nicht direkt anhand der Erfahrung beurteilt werden.<br />

<strong>Die</strong>s hat aber nicht dazu geführt, dass die entsprechenden Aussagen ohne weiteres verworfen<br />

werden. Im Gegenteil, die zwei nichteuklidischen Geometrien und die Psychoanalyse stellen<br />

einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf Erkenntnisgewinn dar. Das impliziert, dass die<br />

Überprüfung durch die direkte Erfahrung nicht das einzige Kriterium in der wissenschaftlichen<br />

Forschung sein kann. Gemäss Rationalismus kann die Erkenntnis aus dem Denken<br />

stammen.<br />

241 Vgl. Andersson (1998) 157-164.<br />

242 Ödipus-Komplex: Das männliche Kind strebt nach dem Alleinbesitz seiner Mutter, wobei es seinen Vater als<br />

furchterregendes Hindernis erlebt. Elektra-Komplex: Das kleine Mädchen rivalisiert mit seiner Mutter um die<br />

Zuneigung seines Vaters.<br />

119


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

<strong>Die</strong> Transzendenz oder Unbeobachtbarkeit betrifft die Natur der Gegenstände nicht, sondern<br />

ist eine Frage des Zugangs zu ihnen. Zugangsmöglichkeiten können sich aber verändern, auch<br />

durch Veränderungen im Verständnis dessen, was zugelassene Zugänge sind. Beobachtbarkeit<br />

ist somit eine Eigenschaft, die selbst mit verändertem Wissensstand und den technischen<br />

Möglichkeiten Veränderungen unterliegt und daher keine a priori beantwortbare Frage ist. <strong>Die</strong><br />

Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten kann dazu führen, dass ehedem als metaphysisch,<br />

also als nicht entscheidbar eingeschätzte Behauptungen nunmehr als <strong>empirische</strong>r Untersuchung<br />

und Prüfung zugängliche angesehen werden und mithin als <strong>empirische</strong> Aussagen gelten<br />

müssen. Ein Beispiel dazu ist die Atomlehre, die in ihrer ursprünglichen antiken Form mit<br />

dem damaligen Wissenshorizont sicherlich als eine metaphysische Lehre einzuschätzen war<br />

und in ihrer modernen Version schliesslich dem Bereich empirisch-wissenschaftlicher Theorien<br />

zuzuordnen ist. 243 <strong>Die</strong> Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten hat sowohl einen technischen<br />

Aspekt - die Weiterentwicklung der technischen Erkennungsmittel wie das Fernrohr<br />

von Galilei - als auch einen metaphysischen Aspekt, nämlich die Veränderung vor<strong>empirische</strong>r<br />

Annahmen, welche erst die Standards der Bewertung liefern, was überhaupt als <strong>empirische</strong><br />

Erkenntnis zählt. Beispielsweise ist die Entdeckung Galileis lange Zeit wegen philosophischer<br />

Vorurteile einfach nicht zur Kenntnis genommen worden. 244 Im Hinblick auf den Erkenntnisgewinn<br />

in der Finanzmarktforschung bedeutet die Transzendenz bzw. die Unbeobachtbarkeit<br />

weder die Nichtexistenz des Erkenntnisobjektes (wie Behavior) noch die Unmöglichkeit eines<br />

Erkenntnisgewinns (wie Behavior-Erkenntnis). Das Erkenntnisobjekt existiert unabhängig<br />

von den subjektiven vor<strong>empirische</strong>n Annahmen, und die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns<br />

kann sowohl durch eine Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten als auch durch eine<br />

Offenheit (Veränderung vor<strong>empirische</strong>r Annahmen) verbessert werden.<br />

243 Vgl. Wendel (1998) S.60f.<br />

244 <strong>Die</strong> Ergebnisse der Wahrnehmungspsychologie, selektive Wahrnehmung wie im Fall von Galilei, erweisen<br />

sich als unvereinbar mit den Grundannahmen des modernen Empirismus, indem sich herausgestellt hat, dass die<br />

<strong>empirische</strong> Basis der Erkenntnis theoriebedingte Interpretationen involviert, was sich für die Idee von der Stabilität<br />

und Theorieunabhängigkeit von Beobachtungstatsachen als äusserst problematisch erweist. Das Fallbeispiel<br />

von Galilei und seine Entdeckung durch das Fernrohr siehe Wendel (1998) S.62-65.<br />

120


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.1.3 <strong>Die</strong> Entscheidung in der Überprüfung<br />

Es ist schliesslich eine Entscheidung, ob Erkenntnis nur durch Erfahrung gewonnen und geprüft<br />

werden kann. Der transzendente Begriff „das Unendliche“ hat beispielsweise die Mathematik<br />

vor diese Entscheidung gestellt, 245 die Intuitionisten und Formalisten haben diesbezüglich<br />

verschiedene Entscheidungen getroffen:<br />

Prinzip des ausgeschlossenen Dritten:<br />

Entweder gilt für alle x ∈ S die Eigenschaft E, oder es existiert x ∈ S, das nicht die Eigenschaft E hat.<br />

Standpunkt der Intuitionisten Standpunkt der Formalisten<br />

Ist richtig, wenn S endlich ist;<br />

Gilt immer, unabhängig davon, ob wir ein<br />

Ist nicht (in endlich Schritten) überprüfbar, wenn S x ∈ S mit Eigenschaft ¬ E finden können<br />

unendlich ist, und gilt daher nicht uneingeschränkt. oder nicht.<br />

Existenzbeweise müssen konstruktiv sein. 246 Existenzbeweise müssen nicht konstruktiv<br />

(aber finit) sein. 247<br />

Das Aktual-Unendlich wird abgelehnt. Das Aktual-Unendlich wird zugelassen.<br />

<strong>Überprüfbarkeit</strong> und Gültigkeit dürfen nicht getrennt<br />

werden!<br />

121<br />

<strong>Die</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> hat nichts mit der<br />

Gültigkeit zu tun!<br />

245<br />

Das Unendliche: Potenzial-unendlich oder absolut-unendlich?<br />

Aristoteles: „Es hat aber die Betrachtung über das Unbegrenzte eine Schwierigkeit, denn es ergibt sich viel Unmögliches,<br />

mag man aufstellen, dass es nicht existiere, oder dass es existiere.“<br />

Leibniz: „Ich bin derart für das aktual Unendliche, dass ich – anstatt zuzugeben, dass die Natur es verabscheut,<br />

wie man gemeinhin sagt – dass ich annehme, dass sie es überall schätzt, um die Vollkommenheit des Schöpfers<br />

besser zu verdeutlichen. So glaube ich, dass es keinen Teil der Materie gibt, der nicht – ich sage nicht: teilbar ist<br />

-, sondern tatsächlich geteilt ist.“<br />

Descartes: „Nur der, welcher seinen Geist für unendlich hält, kann glauben, hierüber nachdenken zu müssen.“<br />

Hilbert: „Aus dem Paradies (das Unendliche), das Cantor uns geschaffen, soll uns niemand vertreiben können.“<br />

Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 69.<br />

246<br />

Konstruktiver Existenzbeweis:<br />

Satz: Es gibt komplexe Zahlen α und β, so dass α β reell ist.<br />

Beweis: i i = (e π/2*i ) i = e -π/2 = 0.2079 (reell)<br />

(Euler’sche Relation: e y i y<br />

iy<br />

= cos + sin ; Denn<br />

247 Nicht konstruktiver Existenzbeweis:<br />

Satz: Es gibt irrationale Zahlen α und β, so dass α β rational ist.<br />

2 2<br />

= ? rational (Fall a) oder irrational (Fall b)<br />

Im Fall a: Satz bewiesen;<br />

2<br />

Im Fall b: 2 = α , 2 = β ;<br />

(<br />

2<br />

2<br />

)<br />

2<br />

2<br />

= ( 2)<br />

= 2 (Satz bewiesen)<br />

π π<br />

i cos + i sin<br />

2 2<br />

= ; somit<br />

iπ<br />

2<br />

i = e )


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Im Hinblick auf die Frage, ob die Aussagen allein anhand der Erfahrung überprüft werden<br />

müssen, haben die Formalisten anders als die Intuitionisten (Erfahrung als einziges Urteilskriterium)<br />

entschieden, eine grosse Entscheidung für die Mathematik und ein reiner mathematischer<br />

Formalismus entsteht. 248 Dem harten Formalismus von David Hilbert zufolge sollte sich<br />

die Überprüfung von Axiomsystemen, nämlich Theorien, vor allem auf die Widerspruchfreiheit,<br />

die Vollständigkeit und die gegenseitige Unabhängigkeit der Axiome konzentrieren. Es<br />

geht nicht um Wahrheit, sondern nur um Sicherheit, denn der Erkenntnisanspruch auf Wahrheit<br />

ist rational nie zu rechtfertigen. Somit wird auf Anschaulichkeit und ontologische Fundierung<br />

verzichtet, dafür die Existenz des Axiomsystems durch Nachweis von Unabhängigkeit<br />

und Widerspruchfreiheit gesichert. D.h., das Axiomsystem ist als Gegenstand einer vernünftigen<br />

Theorie „existent“. 249 Mit anderen Worten wird die Rolle der Erfahrung bei der Überprüfung<br />

der Aussagen minimiert.<br />

Aufgrund der Transzendenz bzw. Beobachtbarkeit ist die Finanzmarkttheorie mit einer ähnlichen<br />

Situation konfrontiert wie die Mathematik im Falle des Unendlichen, so dass eine Entscheidung,<br />

Intuitionismus oder Formalismus, notwendig ist. Das Beispiel der Mathematik, das<br />

durch die Erfahrung unüberprüfbare Unendliche, hat gezeigt, dass die Erkenntnisse nicht<br />

zwingend allein durch die Erfahrung gewonnen und beurteilt werden müssen. In dieser Hinsicht<br />

sollte der Intuitionismus (strenger Empirismus) bei der Beurteilung der neuen Ansätze<br />

kein letztes Urteil treffen, denn sonst ist die Tür zu einem Teil der wertvollen Erkenntnisse<br />

(wie das Unendliche) für immer geschlossen.<br />

248<br />

Mathematischer Formalismus (reine Mathematik): Russell „Laws of Thought“, Boole „Formale Logik“, Hilbert<br />

„Grundlage der Mathematik“ usw.<br />

249<br />

Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 66-69;<br />

122


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.1.4 <strong>Die</strong> Unsicherheit in der Forschung<br />

<strong>Die</strong> Sicherheit, die David Hilbert durch seinen strengen Formalismus erreichen wollte, wird<br />

jedoch nicht erreicht, nachdem Kurt Gödel gezeigt hat, dass die Widerspruchfreiheit eines<br />

Programms nicht mit den Mitteln dieses Programms bewiesen werden kann. Nach Gödels<br />

Unvollständigkeitssatz enthalten alle axiomatischen Formulierungen unentscheidbare Aussagen.<br />

250 Streng genommen basieren axiomatische Programme wie die Mathematik nicht auf<br />

Beweisen, sondern auf Annahmen, d.h., Axiomen, die den unbeweisbaren Ausgangspunkt<br />

darstellen. Ein Beweis im engeren Sinn ist nur das logische Schliessen von Axiomen auf Aussagen.<br />

Aus dieser Sicht ist ein Beweis nichts anderes als ein richtiges Schliessen, und ob das<br />

Axiom richtig ist, kann „der Beweis“ nicht beweisen. Der Versuch, durch Beweis die Korrektheit<br />

der Axiome zu rechtfertigen, ist irgendwie zirkulär, als ob man sich an den eigenen<br />

Haaren aus dem Sumpf ziehen wollte. Kurt Gödel zufolge ist eine „Selbstgarantie“ des<br />

menschlichen Denkens, auf welchem Gebiet auch immer, ausgeschlossen. 251 In diesem Sinne<br />

hat die Finanztheorie wie andere Wissenschaften keine Pflicht, eine Selbstgarantie zu liefern.<br />

Bei Theorien lassen sich zwischen erklärenden und beschreibenden Theorien unterscheiden.<br />

Dabei zeigt sich, dass Galileis Fallgesetz den Fall von Körpern beschreibt und auf diese Wei-<br />

se erklärt, warum ein Geschoss bei einem Abgangswinkel von 45° die grösste Reichweite hat,<br />

während erst Newtons Gravitationsgesetz den Fall von Körpern erklärt, indem es die Wirkung<br />

der Gravitation beschreibt, ohne sie seinerseits erklären zu können. 252 <strong>Die</strong> Fähigkeit der Theorien<br />

zur Beschreibung und Erklärung ist jedoch meistens beschränkt. <strong>Die</strong> Mathematik wurde<br />

beispielsweise bis zum 19. Jahrhundert als Theorie betrachtet, die sowohl korrekt beschreiben<br />

als auch überzeugend erklären kann. <strong>Die</strong> Geburt nichteuklidischer Geometrien hat jedoch<br />

gezeigt, dass die Mathematik nicht in der Lage ist, die reale Welt adäquat zu beschreiben,<br />

weil deren Bausteine wie „Gerade“ oder „Ebene“ transzendent sind. Gödels Unvollständigkeitssatz<br />

stellt weiter die Glaubwürdigkeit der Mathematik als Denkmodell in Frage und damit<br />

deren Erklärungsmacht. Einen Garantieschein hat die Mathematik nicht, aber dies ist kein<br />

Grund, die Mathematik als Theorie zu verwerfen. <strong>Die</strong> Wissenschaft besitzt keine absolut sichere<br />

Basis, sondern alles ist ein Gewebe von Vermutungen. Popper vergleicht damit die<br />

Wissenschaft mit einem Pfeilerbau, der über einem Sumpfland errichtet ist. <strong>Die</strong> Pfeiler errei-<br />

250<br />

Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 80; Hofstadter (1985)<br />

251<br />

Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 79-84.<br />

252<br />

Vgl. Musgrave (1977) S.85f.<br />

123


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

chen keinen Felsengrund, sondern sind nur so weit in den Sumpf getrieben, dass man hoffen<br />

kann, dass sie das Gebäude tragen. 253 Der Erkenntnisfortschritt resultiert sozusagen aus Versuch<br />

und Irrtum auf diesem Sumpfland, alle Theorien und Wissen sind fehlbar, und wir lernen<br />

primär nicht aus erfüllten sondern gescheiterten Erwartungen.<br />

Im Hinblick auf die Überprüfung der neuen Ansätze sollte die allgemeine Unsicherheit der<br />

wissenschaftlichen Forschung genügend berücksichtigt werden, wie die bewährten alten Ansätze<br />

können die neuen Ansätze auch keine Selbstgarantie liefern, weil die neuen wie die alten<br />

keine sichere Basis hinsichtlich Beschreibung und Erklärung besitzen. Sowohl die Neuen als<br />

auch die Alten versagen, wenn eine totale wissenschaftliche Sicherheit bei der Überprüfung<br />

verlangt wird. Angesicht des „Sumpflands“ ist die Thematisierung der Unsicherheit in der<br />

Forschung wissenschaftlich wenig sinnvoll, wenn der Erkenntnisfortschritt das primäre Ziel<br />

bildet. Wie das traditionelle Konzept ist der Behavior-Ansatz auch nicht auf Felsengrund aufgebaut<br />

und somit nicht in der Lage ist, sämtliches Marktgeschehen zu beschreiben und flächendeckend<br />

zu erklären. Keine Wissenschaft darf einen solchen absoluten Erkenntnisanspruch<br />

erheben. Kleine Defizite in den einzelnen Gebieten gehören zur wissenschaftlichen<br />

Normalität. Schliesslich ist es mit der grundsätzlichen Fehlbarkeitsannahme besser in Einklang<br />

zu bringen, stets damit zu rechnen, dass eine Theorie, wenn auch die beste, dennoch<br />

nicht den Grad an Vollkommenheit erreicht hat, den man ihr mit dem Prädikat „Wahrheit“<br />

zusprechen würde.<br />

253 Vgl. Andersson (1998) S. 161f.<br />

124


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.1.5 Bemerkung: Orientierung bei der Überprüfung<br />

Bei der Überprüfung bzw. der Beurteilung der behavioralen Ansätze könnte es zu einer Situation<br />

kommen, in welcher vor<strong>empirische</strong> Annahmen und theoriebedingte Interpretationen involviert<br />

sind, weil Transzendenz und Unsicherheit unter Umständen eine eindeutige Beurteilung<br />

nicht zulassen und eine Entscheidung erzwingen. Im Falle einer unausweichlichen Entscheidung<br />

bei der Beurteilung dient die Offenheit als Orientierung für diese Arbeit:<br />

Das Problem der Transzendenz kann dazu führen, dass eine Entscheidung getroffen<br />

werden muss. Dabei ist die Dominanz des Intuitionismus – des strengen Empirismus<br />

– zu relativieren, weil in der wissenschaftlichen Forschung zugelassen ist,<br />

dass die Erkenntnisse aus dem Denken stammen. Eine methodologische Offenheit<br />

schafft einen breiteren Zugang zu den noch nicht entdeckten Erkenntnissen.<br />

<strong>Die</strong> Unsicherheit in der Forschung erfordert nicht nur die Vorsicht, sondern auch<br />

eine entsprechende Offenheit bei der Beurteilung, weil von keiner Theorie eine<br />

Selbstgarantie verlangt werden darf. Wie alle anderen Theorien enthalten die behavioralen<br />

Ansätze Vereinfachungen, so dass auf jeden Fall davon ausgegangen werden<br />

muss, dass sie bestenfalls nur eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellen.<br />

Von den behavioralen Ansätzen wird in dieser Arbeit nicht verlangt, dass sie alles<br />

beschreiben bzw. erklären und dass die entsprechende Basis absolut sicher sein<br />

muss. Das primäre Ziel der Überprüfung liegt nicht darin, die wissenschaftliche Unsicherheit<br />

zu thematisieren, sondern darin, die Gefahr der pseudowissenschaftlichen<br />

bzw. metaphysischen Aussagen zu minimieren, um die Sicherheit des Erkenntnisgewinns<br />

auf einem Sumpfland zu verbessern.<br />

Im Falle, dass die <strong>empirische</strong>n Befunde kein eindeutiges letztes Urteil liefern können<br />

und dass im Hinblick auf die Beurteilung der neuen Ansätze eine Kontroverse<br />

herrscht, wie die Diskussion über die möglichen Über- bzw. Unterreaktionen am Ende<br />

dieses Kapitels (im Kapitel 5.3) zeigt, wird für die Offenheit als Orientierung in<br />

der Uneindeutigkeit entschieden, unter der Nebenbedingung, dass die Gefahr der Metaphysik<br />

bzw. Pseudowissenschaft ausgeschlossen ist.<br />

125


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.2 <strong>Die</strong> Möglichkeiten der Falsifizierung<br />

<strong>Die</strong> Voraussetzung der behavioralen Ansätze als Erfahrungswissenschaft ist, dass die Möglichkeit<br />

der Falsifizierung besteht. Aufgrund der transzendenten Begriffe wie Sentiment oder<br />

Overconfidence in den behavioralen Ansätzen stellt sich logischerweise die Frage, ob die<br />

Möglichkeit der <strong>empirische</strong>n Falsifizierung besteht, oder anders formuliert, ob es sich bei den<br />

behavioralen Aussagen um pseudowissenschaftliche oder metaphysische Aussagen handelt.<br />

Zur Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung wird in diesem Abschnitt zuerst auf die Kriterien<br />

der Falsifizierung eingegangen, und dann wird mit diesen Kriterien überprüft, ob behaviorale<br />

Ansätze zu erfahrungswissenschaftlichen Arbeiten gehören.<br />

5.2.1 Das Falsifizierbarkeitskriterium<br />

Sofern sich die Aussagen einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen, müssen sie falsifizierbar<br />

sein. Das für die Aussagen der <strong>empirische</strong>n Wissenschaft Charakteristische ist Popper<br />

zufolge einerseits die logische Form des Scheiternkönnens und andererseits das Scheiternkönnen<br />

an der Erfahrung. 254 D.h., erfahrungswissenschaftliche Aussagen müssen nicht nur<br />

scheitern können, sondern sie müssen empirisch – im Sinne methodischer Nachprüfung –<br />

scheitern können. Das Falsifizierbarkeitskriterium umfasst also zwei Aspekte: Einen logischen<br />

und einen <strong>empirische</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Aussagen ist, dass sie, indem sie etwas behaupten,<br />

zugleich auch etwas verbieten. Aus den universellen Wenn-dann-Aussagen folgen auch bestimmte<br />

negative Existenzaussagen (Existenzverbote). Daher können die Aussagen aufgrund<br />

ihrer logischen Form mit besonderen Aussagen in Widerspruch geraten. <strong>Die</strong> Möglichkeit des<br />

Scheiternkönnens besteht dann, wenn das durch die Behauptung Verbotene akzeptiert wird,<br />

und in diesem Fall muss die Aussage verworfen werden. Das Vorhandensein der logischen<br />

Möglichkeit der Widerlegung ist mit dem Informationsgehalt eng verbunden, d.h., je informativer<br />

die Aussage ist, desto grösser ist das Intervall der Verbote, und desto grösser ist die<br />

Möglichkeit der Falsifikation. Das logische Kriterium soll vor allem die Wissenschaft von der<br />

Pseudowissenschaft unterscheiden. Pseudowissenschaften sind Aussagengebäude, die im<br />

254 Vgl. Wendel (1998) S.45.<br />

126


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Grunde genommen kein <strong>empirische</strong>s Ereignis verbieten, die vermeintlich für jede mögliche<br />

Tatsache eine Erklärung haben. 255 Keine logische Möglichkeit ist vorhanden, die Pseudowissenschaft<br />

zu widerlegen, weil das Intervall der Verbote leer ist.<br />

<strong>Die</strong> Falsifizierbarkeit soll nicht nur im Sinne der blossen logischen Möglichkeiten, sondern<br />

darüber hinaus auch im Sinne des Scheiternkönnens an Erfahrung verlangt werden, wenn es<br />

sich um erfahrungswissenschaftliche Aussagensysteme handelt. Das heisst, wissenschaftliche<br />

Aussagen müssen so beschaffen sein, dass sie bestimmte Erfahrungssätze – Basissätze 256 –<br />

verbieten, deren Wahrheit somit die Falschheit der betreffenden wissenschaftlichen Aussage<br />

implizieren würde. Der Aspekt des Scheiternkönnens an der Erfahrung gibt den Aussagen<br />

<strong>empirische</strong>n Informationsgehalt und macht sie erfahrungswissenschaftlich. Je mehr die Aussagen<br />

beobachtbare Ereignisse verbieten, um so mehr sind sie empirisch überprüfbar, und um<br />

so mehr sind sie Erfahrungswissenschaft. Der <strong>empirische</strong> Gehalt einer Aussage wird als die<br />

Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten definiert, d.h., die Klasse der mit ihr unvereinbaren<br />

Basissätze. 257 <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> Prüfbarkeit stellt hier eine Abgrenzung von <strong>empirische</strong>n gegenüber<br />

metaphysischen Aussagen dar, 258 denn die metaphysischen Aussagen sind keiner <strong>empirische</strong>n<br />

Überprüfung zugänglich.<br />

255<br />

Vgl. Wendel (1998) S.55.<br />

256<br />

Basissätze sind Sätze, die verwendet werden, um Theorien empirisch zu überprüfen. <strong>Die</strong> Transzendenz der<br />

Darstellung im Basissatz (Allgemeinbegriff oder Universalien) sowie die Unverifizierbarkeit der Basissätze führt<br />

dazu, dass die Wissenschaft keine sichere <strong>empirische</strong> Basis besitzt. Insofern ist diese Bezeichnung verleitend,<br />

weil die Basis schwankt. Der Basissatz wird auch als Prüfsatz oder Protokollsatz bezeichnet.<br />

257<br />

Vgl. Wendel (1998) S.50.<br />

258<br />

Was die Abgrenzung des Metaphysischen vom Empirischen angeht, so zeigt aber die neuere Entwicklung in<br />

der Wissenschaftstheorie, dass eindeutige Kriterien hier schwer zu geben sind und zudem selbst zutiefst von<br />

metaphysischen Voraussetzungen abhängen. Vgl. Wendel (1998) 53-57.<br />

127


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.2.2 <strong>Überprüfbarkeit</strong> der behavioralen Modelle<br />

Es stellt sich die Frage, ob die behavioralen Modelle an Erfahrung scheitern können. Als erfahrungswissenschaftliche<br />

Theorien müssen sie empirisch überprüfbar sein, d.h., sie müssen<br />

etwas Erfahrbares verbieten, denn nur dann sind sie solche, die unsere erfahrbare Wirklichkeit<br />

beschreiben. Wenn dies nicht der Fall ist, dann sind sie zumindest als Metaphysik klassifizierbar,<br />

in diesem Fall ist dann eine zweite Frage zu beantworten, nämlich, ob die logischen<br />

Möglichkeiten des Scheiternkönnens vorhanden sind. Mit anderen Worten müssen sie etwas<br />

verbieten. Wenn dies weiter nicht der Fall ist, dann handelt es sich bei den behavioralen Modellen<br />

um Pseudowissenschaft.<br />

Um die Frage der <strong>empirische</strong>n <strong>Überprüfbarkeit</strong> zu beantworten, werden aus den Modellen<br />

zuerst empirisch leicht nachprüfbare singuläre Folgerungen (Prognosen) deduziert und aus<br />

diesen insbesondere jene ausgewählt, die aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbar<br />

sind bzw. mit ihnen in Widerspruch stehen. Dann ist nachzuprüfen, ob diese Behauptungen<br />

etwas Erfahrbares verbieten, d.h., ob die Möglichkeiten vorhanden sind, diese Behauptungen<br />

durch Erfahrungen zu widerlegen.<br />

5.2.2.1 Sentiment-Modell BSV<br />

Modell-Proposition: Sofern der Investor annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Regime-Switching<br />

Modell bestimmt wird, erfüllen die Wertpapierpreise:<br />

N<br />

r<br />

y<br />

p<br />

p q )<br />

t Pt = + t ( 1 − 2 t<br />

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen. Der erste Term,<br />

Nt/r, entspricht dem Wertpapierpreis, wenn der Investor den Random-Walk zur Gewinnprognose<br />

verwendet. Der zweite Term, yt(p1- p2qt), gibt die Abweichung des Wertpapierpreises<br />

vom inneren Wert an und kann als „Bubbleterm“ interpretiert werden.<br />

<strong>Die</strong> empirisch leicht nachprüfbaren singulären Folgerungen (Prognosen) des BSV-Modells,<br />

welche aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbar sind bzw. mit ihnen in Widerspruch<br />

stehen, lauten wie folgt:<br />

Es gibt Phasen, in welchen der Renditeprozess nicht einem Random-Walk folgt;<br />

128


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Es gibt Über- sowie Unterreaktionen am Aktienmarkt;<br />

Es gibt Momentum und Reversal.<br />

Durch seine negativen Existenzaussagen – Existenzverbote – stehen die Aussagen des Sentiment-Modells<br />

mit folgenden bekannten Aussagen im Widerspruch, d.h., sie verbieten,<br />

dass der Renditeprozess stets dem Random-Walk folgt, und<br />

dass alle relevanten Informationen stets sofort in den Preis einfliessen.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen des BSV-Modells sind empirisch widerlegbar, indem durch <strong>empirische</strong> Tests<br />

gezeigt wird, dass<br />

serielle Autokorrelation der Renditen stets insignifikant von null verschieden ist;<br />

die Blasenbildungen ausbleiben;<br />

die Überschussrendite der Momentumstrategie bzw. der konträren Strategie stets<br />

nicht signifikant von null verschieden ist.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen des im Jahr 1998 im „Journal of Financial Economics“ publizierten Sentiment-<br />

Modells BSV können direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten überprüft werden. <strong>Die</strong><br />

Klasse der potenziellen <strong>empirische</strong>n Befunde der Effizienztests, die BSV falsifizieren würden,<br />

ist umfassend, so dass a priori das Risiko gross ist, dass das Sentiment-Modell in der <strong>empirische</strong>n<br />

Überprüfung scheitert. <strong>Die</strong> Falsifizierbarkeit der Aussagen des Sentiment-Modells ist<br />

somit gross, mit anderen Worten ist die Strenge der Prüfung genügend, und folglich handelt<br />

es sich hier um ein durch Erfahrung widerlegbares Aussagensystem. 259<br />

259 Testbar sind die Implikationen des Modells, nicht aber dessen Annahmen.<br />

129


5.2.2.2 Overconfidence-Modell DHS<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

PROPOSITION 1: Wenn die Investoren overconfident sind,<br />

werden die durch das Auftreten privater Information hervorgerufenen Preisänderungen<br />

in der langen Frist durchschnittlich partiell aufgehoben;<br />

sind die Preisänderungen beim Auftreten öffentlicher Information mit nachfolgenden<br />

Preisänderungen positiv korreliert.<br />

PROPOSITION 2: Wenn die Investoren overconfident sind, dann weisen die Preisänderungen<br />

über einen kurz- und langfristigen Zeithorizont eine unkonditioniert negative Autokorrelation<br />

auf.<br />

PROPOSITION 3: Wenn sich die Confidence von Investoren wegen Self-Attribution ändert<br />

und die Überreaktions- und Korrekturphasen beim Auftreten neuer Information graduell verlaufen,<br />

dann weisen die Preisänderung „in the short-run“ positive Autokorrelation (Momentum)<br />

und „in the long-run“ negative Autokorrelation (Reversal) auf.<br />

<strong>Die</strong> aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbaren bzw. mit ihnen in Widerspruch stehenden<br />

Folgerungen (Prognosen) des Overconfidence-Modells lauten wie folgt:<br />

Es gibt Überreaktionen auf Privatinformation; 260<br />

Es gibt Unterreaktionen auf öffentliche Information;<br />

Es gibt Short-Term Momentum sowie Long-Term Reversal.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen des Overconfidence-Modells verbieten gleichzeitig, dass<br />

die Information stets objektiv verarbeitet wird;<br />

alle öffentlichen Informationen stets sofort in den Preis einfliessen;<br />

der Renditeprozess stets einem Random-Walk folgt.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen des Overconfidence-Modells lassen sich empirisch widerlegen, indem durch<br />

<strong>empirische</strong> Tests gezeigt wird,<br />

dass alle Informierten stets systematisch Überschussrendite erwirtschaften; 261<br />

260 I) Wenn die Investoren overconfident sind, dann wird auf Privatinformationen überreagiert. (Hypothese)<br />

II) Es gibt overconfidente Investoren (Randbedingung)<br />

III) Es gibt Überreaktion auf Privatinformationen. (Prognose)<br />

261 Beispielsweise kann die Performance der Insider durch eine Event-Study untersucht werden.<br />

130


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

dass die serielle Autokorrelation der Renditen stets insignifikant von null verschieden<br />

ist; und<br />

dass die Überschussrendite der Momentumstrategie bzw. der konträren Strategie<br />

stets nicht signifikant von null verschieden ist.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen des im Jahr 1998 im „Journal of <strong>Finance</strong>“ publizierten Overconfidence-Modells<br />

DHS können direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten überprüft werden, und die Möglichkeit<br />

einer Falsifizierung des Overconfidence-Modells ist gross. Somit handelt es sich beim<br />

Overconfidence-Modell um ein durch Erfahrung widerlegbares Aussagensystem.<br />

131


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

5.3 Empirie: Über- und Unterreaktion<br />

Nachdem im vorausgehenden Abschnitt gezeigt worden ist, dass die Aussagen von Overconfidence-Modell<br />

und Sentiment-Modell direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten überprüft<br />

werden können und somit den <strong>empirische</strong>n Überprüfungen zugänglich sind, stellt sich<br />

die Frage, ob die empirisch widerlegbaren Aussagen bereits durch Empirie widerlegt worden<br />

sind. Das Overconfidence-Modell und das Sentiment-Modell postulieren, dass der Akienmarkt<br />

nicht frei von Über- sowie Unterreaktionen ist. Gibt es tatsächlich systematische Übersowie<br />

Unterreaktionen am Aktienmarkt? Und welche Ergebnisse haben die diesbezüglichen<br />

<strong>empirische</strong>n Untersuchungen schon erzielt? Aus der Überlegung der Unsicherheit in der Forschung<br />

bzw. der Probleme der Transzendenz wird Vorsicht bei der Interpretation der <strong>empirische</strong>n<br />

Befunde angestrebt, und sowohl Pro- als auch Kontra-Argumente werden gleichzeitig<br />

berücksichtigt.<br />

5.3.1 <strong>Die</strong> Unterreaktion<br />

<strong>Die</strong> Synchronisation zwischen „big news“ und „big movements“ am Aktienmarkt ist in den<br />

meisten Fällen nicht perfekt. Oft kann beobachtet werden, dass sich der Preis nur moderat<br />

bewegt, wenn die „big news“ eintreffen. Dagegen kommen „big movements“ im Markt oft an<br />

dem Tag vor, wo nur „little news“ vorhanden sind. 262 Beispielsweise fielen die Kurse am 19.<br />

Oktober 1987 ohne „big news“ über den fundamentalen Wert innerhalb eines Tages um 23%,<br />

und die einzige kursrelevante Information an diesem Tag war der Crash selbst. <strong>Die</strong> tatsächliche<br />

Marktreaktion auf neue Evidenz aus den Informationen scheint viel langsamer als die<br />

rationale Reaktion unter der Hypothese der Markteffizienz zu sein. <strong>Die</strong> serielle Korrelation<br />

der Rendite soll sich in der Nähe von null befinden, wenn Unter- und Überreaktion nur unbedeutend<br />

sind. <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong>n Untersuchungen zeigen aber, dass die serielle Korrelation der<br />

Short-Run Rendite zeitweise signifikant positiv sein kann, was eine Unterreaktion impliziert,<br />

263 wenn man davon ausgeht, dass dieses Muster nicht vollständig auf Datenprobleme<br />

oder die Spezifikationen der Modelle zurückgeführt werden kann. Mit anderen Worten ist die<br />

262 Vgl. Poterba und Summers (1989) S.8-12;<br />

263 Momemtum: vgl. Jegadeesh und Titman (1993); Chan, Jagadeesh und Lakonishok (1996);<br />

132


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

positive Korrelation in diesem Fall ein Indiz dafür, dass der Investor beim Eintreten der neuen<br />

Information nicht voll reagiert und er deswegen in den folgenden Perioden sukzessiv seinen<br />

Fehler korrigiert, so dass sich der Preis nach der anfänglichen Anpassung weiter in die Richtung<br />

dieser Anpassung bewegt. Somit kann beobachtet werden, dass der Preis nach einer anfänglichen<br />

Erhöhung wegen einer unerwarteten positiven Information auch in den folgenden<br />

Perioden den Trend nach oben behält, als ob die Performance kurzfristig persistent bleibt:<br />

Gewinner bleibt Gewinner, Verlierer bleibt Verlierer. <strong>Die</strong> kurzfristige Persistenz des Gewinners<br />

und Verlierers aufgrund der Unterreaktion wird auch als „Momentum“ bezeichnet. Formal<br />

lässt sich dies wie folgt beschreiben:<br />

( r Z G)<br />

> E(<br />

r Z = S)<br />

E t + 1 t = t+<br />

1 t<br />

264<br />

Mit den Daten aus der NYSE/AMEX von 1965 bis 1989 haben Jagadeesh und Titman als<br />

erste den Momentum-Effekt untersucht, indem eine Momentum-Strategie 265 gebildet wurde.<br />

<strong>Die</strong> Performance dieser Strategie ist signifikant von null verschieden: Eine durchschnittliche<br />

Überschussrendite von 1.66% pro Monat mit einer t-Statistik von 6.67. 266 Mit einer längeren<br />

Datenreihe aus der NYSE – von 1963 bis 1993 – hat Carhart eine durchschnittliche monatliche<br />

Überschussrendite der Momentum-Strategie von 0.82% mit einer t-Statistik von 4.46<br />

festgestellt. 267 Ein ähnliches Resultat hat Rouwenhorst bei seiner Untersuchung europäischer<br />

Daten von 1980 bis 1995 erzielt. 268 Es stellt sich die Frage, ob sich der Umfang der Unterreaktion<br />

verringern lässt, wenn sich der Investor der Existenz von Momentum bewusst ist. Zumindest<br />

ist der Momentum-Effekt seit 1993 kein Geheimnis mehr, und das Momentum-<br />

Phänomen sollte mit der Zeit verschwinden, wenn die signifikante Überschussrendite und das<br />

negative CAPM-β der Momentum-Strategie die Arbitragemotive aktivieren. 269 Mit einer Da-<br />

tenreihe von 1963 bis Ende 1997 haben Daniel und Titman den Momentum-Effekt wieder<br />

untersucht. Das alte Resultat bleibt unverändert: 1.17% durchschnittliche monatliche Überschussrendite<br />

mit einer t-Statistik von 6.62, wobei das Momentum-Phänomen auch nach dem<br />

Jahr 1993 persistent blieb. 270<br />

264<br />

Zt: Information zum Zeitpunkt t; G: gute Nachricht; S: schlechte Nachricht;<br />

265<br />

Momentum-Strategie: long past six-month winners (stock in the top performance decile); short past six-month<br />

losers (stock in the bottem performance decile);<br />

266<br />

Vgl. Jegadeesh und Titman (1993), Table IV, S.80.<br />

267<br />

Vgl. Carhart (1997), Table II, S.62.<br />

268<br />

Vgl. Rouwenhorst (1998)<br />

269<br />

Vgl. Daniel und Titman (1999) S.31, CAPM-β des Momentum-Portfolios in der entsprechenden <strong>empirische</strong>n<br />

Studie war -0.258.<br />

270<br />

Vgl. Daniel und Titman (1999) S.32, Figure 1: das Momentum-Pattern nach dem Jahr 1993.<br />

133


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

<strong>Die</strong> Untersuchung der seriellen Autokorrelation liefert ein ähnliches Bild und spricht für die<br />

Vermutung der Existenz der Unterreaktion am Aktienmarkt innerhalb eines kurzen Zeitraums<br />

von 3 bis 9 Monaten. Gemäss der Studie von Bernard und Thomas über die Preisveränderungen<br />

nach der Bekanntgabe der Gewinnzahlen mit den Daten von 1974 bis 1986 über 2'626<br />

Firmen ist die serielle Autokorrelation signifikant von null verschieden: 0.34 (bei 3 Monaten);<br />

0.19 (bei 6 Monaten); 0.06 (bei 9 Monaten); -0.24 (bei 12 Monaten). 271 Zu einem ähnlichen<br />

Resultat kamen auch Culter, Poterba und Summers. 272 Bernard führt die Non-Zero-<br />

Autokorrelation auf die anfängliche Unterreaktion auf die neuen unerwarteten Informationen<br />

in den Gewinnzahlen zurück, indem er zeigt, dass die Stärke des Momentums mit der Stärke<br />

der unerwarteten Informationsschocks positiv korreliert ist. D.h., um so mehr die neue Information<br />

unerwartet ist, desto stärker ist die Unterreaktion beim Eintreten der neuen Information,<br />

und desto grösser ist der Korrekturbedarf in den nachfolgenden Perioden. 273 <strong>Die</strong> negative<br />

serielle Autokorrelation nach der anfänglichen positiven Korrelation mit einem Zeithorizont<br />

von 3 bis 9 Monate impliziert andererseits die Überreaktion in der Korrekturphase. Das Muster<br />

der seriellen Autokorrelation der Preisveränderungen nach der Bekanntgabe der Gewinnzahlen<br />

ist ein Indiz dafür, dass die Informationen aus den Gewinnzahlen nicht sofort in den<br />

Preis einfliessen und der Markt unter- bzw. überreagieren kann, wenn neue unerwartete Informationen<br />

eintreten.<br />

Eine Reihe von Event-Studies kommt zum gleichen Resultat, nämlich einer Unterreaktion auf<br />

öffentliche Informationen, d.h., die durchschnittliche Rendite am Event-date hat dasselbe<br />

Vorzeichen wie die durchschnittliche Rendite in den direkt nachfolgenden Perioden, ausgedrückt<br />

durch die positiven seriellen Autokorrelationen der Preisveränderungen. 274<br />

271<br />

Vgl. Bernard (1993) Table 1, S.317.<br />

272<br />

Vgl. Culter, Poterba und Summers (1991)<br />

273<br />

Vgl. Bernard (1993) S. 305-309.<br />

274<br />

Event-Studies siehe:<br />

Stock splits: Grinblatt, Masulis und Titman (1984); Desai und Jain (1997); Ikenberry, Rankine und Stice (1996);<br />

Tender offer und open market repurchases: Lakonishok und Vermaelen (1990), Ikenberry, Lakonishok und<br />

Vermaelen (1995); Analyst recommendations: Groth, Lewellen, Scharbaum und Lease (1979); Bjerring, Lakonishok<br />

und Vermaelen (1983); Elton, Gruber und Gultekin (1984); Womack (1996); Michaely und Womack<br />

(1996); Dividend initiations und omissions: Michaely, Thaler und Womack (1995); Seasoned issues of common<br />

stock: Longhran und Ritter (1995); Spiess und Affleck-Graves (1995); Kang, Kim und Stulz (1996); Earnings<br />

surprises: Bernard und Thomas (1989); Brown und Pope (1996); Public announcement of previous insider trades:<br />

Seyhun (1997); Seyhun (1986); Seyhun (1988); Razeff und Zaman (1988);<br />

134


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Eine Existenz der Unterreaktion würde implizieren, dass die Möglichkeit besteht, Überschussrendite<br />

ohne zusätzliche Informationen zu erwirtschaften. Es stellt sich an dieser Stelle die<br />

Frage, ob es im realen Markt tatsächlich solche Möglichkeiten gibt. Das Wall Street Journal<br />

und Zacks Investment Research haben zu diesem Zweck eine Studie durchgeführt, wobei die<br />

Performance der von 17 Brokerage-Firmen empfohlenen Aktien untersucht wurde. 275 <strong>Die</strong><br />

Studie ging der Frage nach, ob ein Investor, der nur die öffentlichen Informationen benutzte<br />

und sein Aktien-Portfolio ausschliesslich nach den Kaufempfehlungen von Brokerage-Firmen<br />

aufbaute und umschichtete, eine Überschussrendite erwirtschaften konnte. <strong>Die</strong> Studie ergab,<br />

dass die Performance solcher Aktien-Portfolios zwischen 1993 bis 1997 permanent besser als<br />

der S&P 500 Index war, wobei das Aktien-Portfolio in der Fünfjahresperiode (01.93-12.97)<br />

eine Rendite von 165% und der S&P 500 Index eine Rendite von 151% erwirtschaftete. <strong>Die</strong><br />

jährliche Überschussrendite betrug 1.06% bei einem durchschnittlichen Portfolio-Beta von<br />

0.94. 276 Das bedeutete, dass zwischen 1993-1997 die Möglichkeit bestand, dass der Investor<br />

ausschliesslich mit den öffentlichen Informationen – den aktuellen Aktien-Kaufempfehlungen<br />

von Brokerfirmen – systematisch eine Überschussrendite erzielte, wenn der S&P 500 Index<br />

als Benchmark diente und die Transaktionskosten (Kommission) 1% betrugen.<br />

<strong>Die</strong> Unterreaktion scheint persistent zu bleiben und kein Zufall zu sein. Eine Reihe von <strong>empirische</strong>n<br />

Untersuchungen 277 hat dieses Phänomen unter die Lupe genommen und festgestellt,<br />

dass Beta, Size und Marktkapitalisierung diesbezüglich keinen Erklärungsgehalt haben. <strong>Die</strong><br />

<strong>empirische</strong>n Befunde liefern wenig Unterstützung, dass die Unterreaktion vollständig durch<br />

die Fehlspezifikation des Risikomodells erklärt werden kann.<br />

275<br />

Procedure: The Study assumes that an investor buys every strongly recommended stock and sells all others,<br />

even if they are designated as holds or weak buys. All buying and selling is on the last trading day of each<br />

month. Performance is tracked monthly. A 1% commission is charged for trade. Dividends are included, and<br />

taxes are disregarded. Vgl. Shefrin (2000) S. 71-74.<br />

276<br />

Vgl. Shefrin (2000) S. 73-75;<br />

277<br />

Vgl. Dressendörfer (1999) S57-58;<br />

135


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Tabelle 4: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion<br />

Studie, Daten und Methoden Untersuchungsergebnisse<br />

Brown und Harlow (88)<br />

NYSE 1946-1983; CRSP-Monthly Return File;<br />

Long Winner und Short Loser;<br />

Jegadeesh (90)<br />

NYSE/AMEX 1926-1987; CRSP-Daily Return File; Long<br />

Winner und Short Loser;<br />

Jegadeesh und Titman (93)<br />

NYSE/AMEX 1965-1989; CRSP-Daily Return File; Long<br />

Winner und Short Loser;<br />

Asness (95)<br />

NYSE/AMEX/Nasdaq1963-1992;CRSP-Monthly Return<br />

File; Long Winner und Short Loser;<br />

Schiereck und Weber (95)<br />

Frankfurter Börse 1973-1991; Monatliche Daten der<br />

KKMDB; Long Winner und Short Loser;<br />

Chan, Jagadeesh und Lakonishok (96)<br />

NYSE/AMEX/Nasdaq 1977-1993; CRSP-Monthly Return<br />

File; Long Winner und Short Loser;<br />

Broman, Schiereck und Weber (97)<br />

Frankfurter Börse 1973-1993; Monatliche Daten der<br />

KKMDB; Long Winner und Short Loser;<br />

Rouwenhorst (98)<br />

Frankfurter und Zürcher Börsen 78-95; Monatliche Daten;<br />

136<br />

Signifikante Unterreaktion; Unterreaktion wächst<br />

mit der Grösse und Intensität negativer (nicht positiver)<br />

Ereignisse;<br />

Signifikante Unterreaktion (0.93% p.m. 278 12 Monate);<br />

Positive Autokorrelation; Grösseneffekt und<br />

Risikoänderung ohne Erklärungsgehalt;<br />

Signifikante Unterreaktion (1.66% p.m., 6 Monate);<br />

Stärkere Unterreaktion für Unternehmen mit geringer<br />

Grösse und mit niedrigem Betawert;<br />

Signifikante Unterreaktion (1.0% p.m., 6 Monate);<br />

Beta, Marktkapitalisierung, B/M, Volumen und<br />

Kursniveau ohne Erklärungsgehalt;<br />

Signifikante Unterreaktion (8.1% p.a., 12 Monate);<br />

Saisonalitätseinfluss;<br />

Signifikante Unterreaktion (8.8% p.a., 6 Monate);<br />

Beta, Marktkapitalisierung und B/M ohne Erklärungsgehalt;<br />

Signifikante Unterreaktion (8.1% p.a., 12 Monate);<br />

Konzentration in liquiden Aktien;<br />

Signifikante Unterreaktion (1.0% p.m., 12 Monate);<br />

Konzentration in kleinen Unternehmen;<br />

278 0.93% p.m.: die monatliche Überschussrendite der Momentum-Strategie beträgt 0.93%.


5.3.2 <strong>Die</strong> Überreaktion<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Das „Long-Term Reversal“ des spekulativen Assets stellt ein Indiz für die Existenz der Überreaktion<br />

des Investors am Aktienmarkt dar. Das Reversal-Muster ist durch eine Reihe <strong>empirische</strong>r<br />

Untersuchungen in der Gegenwart identifiziert worden. 279<br />

<strong>Die</strong> erste einflussreiche Untersuchung von „Long-Term Reversal“ kam von DeBondt und<br />

Thaler im Jahr 1985, wobei eine negative Autokorrelation der Aktienrendite bei einem langen<br />

Zeithorizont von 3 bis 5 Jahren nachgewiesen wurde. Mit den US-Daten bis in das Jahr 1933<br />

zurück haben DeBondt und Thaler festgestellt, dass das Portfolio mit Aktien, die in der Vergangenheit<br />

eine extrem schlechte Rendite erwirtschaftet hatten, eine signifikant höhere Sharpe-Ratio<br />

in den folgenden Perioden aufwies als das Portfolio bestehend aus den Aktien, die in<br />

der Vergangenheit eine extrem gute Performance hatten. 280 Aktien mit schlechter Sharpe-<br />

Ratio in den vergangenen 5 Jahren wiesen in den meisten Fällen eine hohe Sharpe-Ratio in<br />

den kommenden 5 Jahren auf und vice versa. Für monatliche, aus der CRSP-Datenbank<br />

stammende Aktienrenditen von 1926 bis 1982 wurde eine Performance-Differenz zwischen<br />

Verlierer-Portfolio und Gewinner-Portfolio (ACARv,60 – ACARG,60) von 31.9% mit einem t-<br />

Wert von 4.28 ermittelt. Demnach konnte die konträre Anlagestrategie mit einem Zeithorizont<br />

von 5 Jahren, wobei das Gewinner-Portfolio verkauft und gleichzeitig das Verlierer-Portfolio<br />

gekauft wurde, 281 die kumulative Kursentwicklung des Aktienmarktes um 31.9% übertref-<br />

fen. 282<br />

DeBondt und Thaler begründen das Reversal-Pattern mit den Überreaktionen am Aktienmarkt,<br />

wonach die am Aktienmarkt tätigen Akteure bei den Gewinnern (Verlierern) oft über-<br />

279<br />

Empirische Untersuchungen des Reversal-Patterns vgl:<br />

Aktienmarkt: Stock (1990) bzw. Meyer (1995) für den deutschen Aktienmarkt; Poterba und Summer<br />

(1988), Klein (1990) bzw. Fama und French (1988, 1996) für den US-Aktienmarkt; Alonso und<br />

Rubio (1990) für den spanischen Aktienmarkt; Kryzanowski und Zhang (1992) für den kanadischen<br />

Aktienmarkt; Richards (1997) für den Internationalen Markt;<br />

Cross-section return: Fama und French (1996); Ball, Kothari und Shanken (1995); Chopra, Lakonishok<br />

und Ritter (1992);<br />

Market to Book ratio: Fama und French (1992); DeBondt und Thaler (1987);<br />

Market value to cash flow: Lakonishok, Shleifer und Vishny (1994);<br />

Robustness of the finding: Carmel und Young (1997); Daniel (1996); Asness (1995);<br />

280<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1985), S. 709-804.<br />

281<br />

Das Gewinner-Portfolio besteht in diesem Fall aus Titeln, die in den vergangenen 5 Jahren erfolgreich waren,<br />

und das Verlierer-Portfolio setzt sich hier aus den Titeln zusammen, die in den vergangenen 5 Jahren stets auf<br />

der Verliererseite standen.<br />

282<br />

Vgl. DeBondt und Thaler (1985), S. 801.<br />

137


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

mässig positive (negative) Prognosen bezüglich der weiteren Kursentwicklungen formen und<br />

diese Fehleinschätzung erst allmählich korrigieren, wodurch es zur Umkehrung in der Kursentwicklung<br />

kommt, ausgedrückt durch negative serielle Autokorrelation.<br />

<strong>Die</strong> Existenz des von DeBondt und Thaler entdeckten Reversalpatterns wird durch diverse<br />

andere <strong>empirische</strong> Untersuchungen in der Gegenwart bestätigt. Mit einer US-Datenreihe von<br />

1931 bis 1993 haben Fama und French beispielsweise Long-Term Reversal bzw. Short-Term<br />

Momentum untersucht, indem eine Reversal-Strategie 283 bzw. Momentum-Strategie gebildet<br />

und deren Performance gemessen wurde: 284<br />

Tabelle 5: <strong>Die</strong> Performance der Reversal- bzw. Momentumstrategie<br />

Average monthly returns from reversal and momentum strategies<br />

Strategy Period Formation Months Average Return, 10-1<br />

Reversal 6307-9312 60-13 -0.74%<br />

Momentum 6307-9312 12-2 +1.31%<br />

Reversal 3101-6306 60-13 -1.61%<br />

Momentum 3101-6306 12-2 +0.38%<br />

<strong>Die</strong> monatliche Performance der Reversal-Strategie, Long Gewinner und Short Verlierer, ist<br />

signifikant negativ und besagt somit, dass der Verlierer als Gewinner hervorgeht und dass der<br />

Gewinner sich in eine Verliererposition begibt. Formal kann Long-Term Reversal wie folgt<br />

beschrieben werden:<br />

( r Z G Z = G,......<br />

Z = G)<br />

< E(<br />

r Z = S,<br />

Z = S,.....<br />

Z = S)<br />

E t + 1 t = , t−1<br />

t−<br />

j<br />

t+<br />

1 t t−1<br />

t−<br />

j<br />

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob es im realen Markt tatsächlich Gewinner- bzw.<br />

Verlierer-Portfolios gibt, denn in einem fehlerfreien Markt, wo Über- sowie Unterreaktion<br />

sofort durch Marktdisziplin korrigiert wird, sollten Gewinner- bzw. Verlierer-Portfolios nicht<br />

persistent bleiben können. Eine Prüfmöglichkeit liegt im Performancevergleich von unterschiedlichen<br />

Funds. Vom Standpunkt der strengen Marktdisziplin aus, wo die Über- bzw.<br />

283<br />

<strong>Die</strong> Reversal Strategie: monthly long the best-performing Stocks and short the worst-performing Stocks based<br />

on performance in year –5 to year –1; Vgl. Fama und French (1996) S.66<br />

284<br />

Procedure: Each month, allocate all NYSE firms on CRSP to 10 portfolios based on their performance during<br />

the “performance formation months” interval. For example, 60-13 forms portfolios based on return from 5 year<br />

ago to 1 year, 1 month ago. Then buy the best-performing decile portfolio (decile 10) and short the worst performing<br />

decile portfolio (decile 1). Vgl. Fama und French (1996) Table VI S. 66.<br />

138


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Unterreaktion ausgeschlossen ist, sollte die Performance von unterschiedlichen Funds nach<br />

der Risiko-Adjustierung gleich gut oder schlecht sein, es darf also keinen Gewinnerfonds<br />

bzw. Verliererfonds geben, denn die Marktdisziplin korrigiert die durch Über- bzw. Unterreaktion<br />

induzierten Fehler (Über- bzw. Unterbewertung) sofort. <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> Untersuchung<br />

von Cochrane über die Performance in der Fundsindustrie hat gezeigt, dass die Rendite/Risiko-Verhältnisse<br />

von unterschiedlichen Funds breit um die SML gestreut sind und Gewinner-<br />

bzw. Verliererfunds kein vorübergehender Zufall, sondern weitgehend ein persistentes<br />

Phänomen sind. 285 <strong>Die</strong> Performancevergleiche von unterschiedlichen Funds in Massenmedien<br />

bzw. Fachzeitschriften ergeben ein ähnliches Bild. <strong>Die</strong> signifikant breite Streuung des<br />

Rendite/Risiko-Verhältnisses verschiedener Funds um die SML ist ein Indiz dafür, dass der<br />

Mechanismus der Marktdisziplin nicht hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler<br />

ist. Folglich existieren Gewinner- bzw. Verliererfunds, und das Reversal-Muster reflektiert<br />

die Korrektur der Fehler in nachfolgenden Perioden. Am US-Aktienmarkt wiesen zum Beispiel<br />

die Small/Value-Aktien zwischen 1988 bis 1993 im Vergleich zum Benchmark eine<br />

durchschnittliche Outperformance auf, und das Reversal kam, als die Small/Value-Aktien im<br />

Zeitraum von 1993 bis 1998 eine durchschnittliche Underperformance zeigten. 286<br />

285 Vgl. Cochrane (1999a) S.25-26.<br />

286 Vgl. Shefrin (2000) S.79-80.<br />

139


5.3.3 Eine Bemerkung zur Kontroverse<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Es herrscht eine Kontroverse darüber, wie die Über- bzw. Unterreaktion erklärt werden sollte.<br />

Das traditionelle Konzept führt das abnormale Pattern auf andere Gründe zurück: 287<br />

Falsche Spezifikationen des Modells in Bezug auf die erwartete Rendite bzw. die<br />

Risikoprämie können z.B. für das abnormale Pattern (wie Momentum oder Reversal)<br />

verantwortlich sein. Mit einer Variation der erwarteten Rendite oder Risikoprämie<br />

ist es technisch möglich, das abnormale Pattern verschwinden zu lassen;<br />

<strong>Die</strong> Verliereraktien haben höhere Risiken, weil das Konkursrisiko aufgrund der<br />

schlechten Performance der Aktien in der Vergangenheit steigt, und dies zieht eine<br />

höhere Entschädigung für das Halten dieses zusätzlichen Risikos nach sich. In diesem<br />

Sinn gibt es keine Überschussrendite bzw. Überreaktion. Fama und French zufolge<br />

wird der Risikopreis nicht allein durch die Kovarianz mit der Marktbewegung<br />

(CAPM-Beta) bestimmt, sondern auch durch andere Risiken wie Konkursrisiken<br />

mitbestimmt. 288 <strong>Die</strong> schlechte Performance in der Vergangenheit kann in diesem<br />

Fall als Proxy für das Konkursrisiko dienen;<br />

<strong>Die</strong> Verliereraktien sind meistens Aktien von kleinkapitalisierten Firmen, und die<br />

Überperformance des Verlierer-Portfolios kann deswegen zum grossen Teil auf den<br />

Grösseneffekt zurückgeführt werden. 289 Somit kann der Überreaktionseffekt auf einen<br />

Grösseneffekt reduziert werden, wobei Size als Proxy für das Konkursrisiko betrachtet<br />

wird;<br />

Das Reversal-Pattern kann auf die intertemporale Variation der Volatilität zurückgeführt<br />

werden. Black zufolge ist der Leverage-Effekt eine Ursache der Inkonstanz<br />

der Volatilität. 290 Typischerweise sind die Aktienmärkte in rezessiven Phasen<br />

volatiler als in Perioden der Hochkonjunktur, und der Leverage-Effekt stellt in diesem<br />

Zusammenhang eine Erklärungsvariable dar. <strong>Die</strong> Aktien einer mit Fremdkapital<br />

verschuldeten Firma sind im Vergleich zu einer identischen, aber rein eigenkapitalfinanzierten<br />

Firma riskanter, und deshalb volatiler. <strong>Die</strong> Volatilität der Aktien der<br />

287<br />

<strong>Die</strong> Aufzählung der Erklärungsansätze hier ist nicht vollständig.<br />

288<br />

Vgl. Fama und French (1995) S. 153-154.<br />

289<br />

Vgl. Zarowin (1990) S.118.<br />

290<br />

Vgl. Black (1976) S.179.<br />

140


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

verschuldeten Firma wird sich stark erhöhen, wenn die verschuldete Firma aufgrund<br />

einer Rezession oder durch Distress des Unternehmens zur Verliererseite wechselt<br />

und der negative Hebel des Leverage wirkt. <strong>Die</strong> erhöhte Volatilität der Verlierer<br />

führt zu einer höheren Risikoprämie in Form einer höheren Rendite. In diesem Sinn<br />

reflektiert die Performance-Differenz zwischen Gewinner-Portfolio und Verlierer-<br />

Portfolio die Variation der Risikoprämie, nicht jedoch eine Überreaktion; 291<br />

Auch der Mangel an Qualität beim Datenmaterial und bei den Untersuchungsmethoden<br />

kann das Reversal-Pattern herbeiführen. Survivorship Bias kann beispielsweise<br />

für die Performance der Reversal-Strategie verantwortlich sein, wenn die echten<br />

Verlierer, die in Konkurs gehen, nicht durch die Datenbasis erfasst werden;<br />

<strong>Die</strong> Anhänger des traditionellen Konzepts vertreten die Ansicht, dass die den <strong>empirische</strong>n<br />

Untersuchungsmethoden zugrunde gelegten Modelle fehlspezifiziert sind,<br />

weil die Portfolios mit einem oder mehreren unbekannten Risikofaktoren korreliert<br />

sind, welche die beobachtete Performance der Gewinner und Verlierer erzeugen. Jede<br />

Variation beim Return ist und muss rational sein.<br />

<strong>Die</strong> traditionellen Erklärungsansätze können zwar das abnormale Pattern zum Teil auf einer<br />

normativen Ebene erklären, aber es werden noch keine empirisch bewährten Modell-<br />

Lösungen seitens traditionellen Konzepts vorgeschlagen, womit das abnormale Preisverhalten<br />

zum Verschwinden gebracht werden kann. Wie die Diskussion über die Marktdisziplin im<br />

Kapitel 2 gezeigt hat, trifft die allgemeine Argumentation, dass die strenge Marktdisziplin<br />

hinreichend für die Eliminierung der Über- und Unterreaktion ist, deskriptiv nicht zu. Was die<br />

Erklärung der Über- und Unterreaktion betrifft, sind die Argumente des traditionellen Konzepts<br />

nicht in jeder Hinsicht genügend überzeugend:<br />

<strong>Die</strong> Fehlerfreiheit kann zwar technisch „erzwungen“ werden, indem die erwartete<br />

Rendite bzw. Risikoprämie dynamisch variiert, so dass die Möglichkeit der Überbzw.<br />

Unterbewertung faktisch ausgeschlossen ist. Der Verlust liegt hier aber in der<br />

starken Verringerung der Falsifizierbarkeit der Hypothese der Fehlerfreiheit und<br />

291<br />

Volatility Feedback ist auch ein Erklärungsansatz in diesem Zusammenhang. Dem Volatility-Feedback Ansatz<br />

nach führt die Persistenz der Informationsschocks dazu, dass weitere Schocks folgen werden. Somit wird<br />

sich die erwartete Varianz erhöhen. <strong>Die</strong> Persistenz der Schocks ist jedoch ein Indikator für die Beeinflussung<br />

durch behaviorale Elemente.<br />

141


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

kann sogar dazu führen, dass sie unwiderlegbar wird. <strong>Die</strong> Anpassungen müssen vor<br />

allem ökonomisch sinnvoll sein;<br />

<strong>Die</strong> Annahme der Variation der Risikoprämie und der erwarteten Rendite ist zwar<br />

nicht unplausibel, aber deren Umsetzung ist mit technischen Schwierigkeiten verbunden.<br />

Technisch ist es beispielsweise schwierig, eine Grenznutzenfunktion mit<br />

extremer Variabilität bezogen auf „State“ zu identifizieren, wobei der Grenznutzen<br />

mit der Rendite des Size-, Book-to-Market-, und Momentum-Portfolios stark kovariieren<br />

muss. 292<br />

Intuitiv ist es überzeugend, dass die Verliereraktien ein grösseres Konkursrisiko<br />

haben, jedoch ist dieser Zusammenhang nicht zwingend. Es gibt Beispiele, in welchen<br />

der Wechsel von Gewinner zu Verlierer oder von Verlierer zu Gewinner mit<br />

dem Konkursrisiko unkorreliert ist. <strong>Die</strong> Bluechips wie VW, CS oder UBS gehörten<br />

beispielsweise zeitweise zu den Verlierern am Aktienmarkt, als ihre Kurse um 30%<br />

bis 40% dramatisch fielen. Ex post konnte eine Long-Position der Verlierer in diesem<br />

Zeitpunkt Überschussrendite erwirtschaften, die erzielte Überschussrendite<br />

kann jedoch nicht vollständig durch eine zusätzliche Konkursprämie aufgrund der<br />

entsprechenden Erhöhung der Konkursrisiken dieser Firmen erklärt werden, zumal<br />

solche Firmen nicht nur „too big to fail“, sondern auch weit entfernt von einem<br />

möglichen potenziellen Konkurs waren, als ihre Kurse dramatisch fielen. Wichtig in<br />

diesem Zusammenhang ist, dass das Konkursrisiko der individuellen Firma nicht als<br />

Risikofaktor betrachtet werden sollte, weil dieser Faktor ein unsystematisches Risiko<br />

darstellt und wegdiversifiziert werden kann. Somit sollte das Konkursrisiko nicht<br />

durch den Aktienmarkt entschädigt werden; 293<br />

Über- sowie Unterreaktion (Momentum sowie Reversal) sind kein spezielles Phänomen<br />

bei Small-Size-Aktien, und es gilt auch bei Bluechips. <strong>Die</strong> <strong>empirische</strong>n Untersuchungen<br />

haben gezeigt, dass Size und Marktkapitalisierung in Bezug auf Erklärung<br />

der Unter- sowie Überreaktion keinen Erklärungsgehalt haben. 294 Übrigens ist<br />

es theoretisch fraglich, ob die Überschussrendite der konträren Strategie durch das<br />

292<br />

Vgl. Campbell und Cochrane (1999) S. 205-207.<br />

293<br />

Vgl. Cochrane (1999a) S.10-11.<br />

294<br />

Vgl. Tabelle: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion, Kapitel 5.3.1;<br />

142


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Konkursrisiko erklärt werden darf, wenn Size als Proxy für das Konkursrisiko betrachtet<br />

wird;<br />

Solange der Konjunktur- und Unternehmungszyklus nicht die angenommene Verteilung<br />

der Rendite verändern, sollte das erste bzw. das zweite Moment der Verteilung<br />

zeitinvariant und konstant sein. In diesem Fall sollte die durch diesen Zyklus<br />

induzierte Veränderung von Leverage kaum Einfluss auf die Volatilität haben.<br />

Kurz, die Position des traditionellen Konzepts, wonach der Markt frei von Über- bzw. Unterreaktion<br />

sein muss und die durch <strong>empirische</strong> Untersuchungen festgestellte Über- bzw. Unterreaktion<br />

eine falsche Wirklichkeit darstellt, besitzt weder <strong>empirische</strong> Evidenz noch eine solide<br />

theoretische Fundierung. 295 <strong>Die</strong> Evidenz fehlt, dass die Über- bzw. Unterreaktion ausschliesslich<br />

auf die Fehlspezifikationen der rationalen Modelle und die Datenprobleme zurückzuführen<br />

ist. Wenn die Erfahrung am realen Markt – die Blasenbildung und deren Platzen – als<br />

Ausgangspunkt der Überlegung dient, dann stellt die wahrgenommene Über- bzw. Unterreaktion<br />

keine falsche Wirklichkeit dar. 296 In Bezug auf die Ausgangsfrage dieses Abschnittes, ob<br />

die empirisch widerlegbaren behavioralen Aussagen, welche die Über- sowie Unterreaktion<br />

prognostizieren, bereits durch die Empirie widerlegt sind, ist eine vorläufige Nichtfalsifikation<br />

zu bejahen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>empirische</strong>n Befunde über die Über- sowie Unterreaktion am Aktienmarkt liefern zwar<br />

eine gute Möglichkeiten, die behavioralen Ansätze mit bereits vorhandenen Fakten direkt zu<br />

295<br />

Sentana fasst die Kontroverse wie folgt zusammen: “There is now overwhelming evidence that the simple<br />

present value model for stock prices with constant expected returns is rejected by data. The disagreement is now<br />

centred of whether the observed predictability is due to rational variation in expected returns or the result of<br />

market inefficiencies.” Vgl. Sentana (1993) S. 401.<br />

296<br />

Eine empirisch gesicherte Antwort auf die Frage der Über- bzw. Unterreaktion kann jedoch nicht gefunden<br />

worden. Nach den Argumenten des traditionellen Konzepts besitzen die <strong>empirische</strong>n Untersuchungen im Hinblick<br />

auf die Beantwortung der Frage, ob der Markt über- sowie unterreagieren kann, keine genügende Aussagekraft,<br />

weil die Fehlspezifikationen der rationalen Modelle und die noch ungelösten Datenprobleme eine objektive<br />

Beurteilung durch Erfahrungen erschweren. Ob der Aktienmarkt fehlerfrei ist, ist im Grunde genommen somit<br />

eine transzendente Frage, und aufgrund der Unbeobachtbarkeit der Key-Daten und der Modellprobleme ist<br />

es auch schwierig, wenn nicht unmöglich, eine endgültige und empirisch gesicherte Antwort auf diese Frage zu<br />

finden. <strong>Die</strong>se Unsicherheit verlangt nicht nur Vorsicht, sondern insbesondere auch wissenschaftliche Offenheit,<br />

denn es gibt den heutigen Kenntnissen zufolge ex ante kein eindeutiges Verbot der Über- sowie Unterreaktionen,<br />

und im Licht der offenen Zukunft kann und wird alles geschehen, was nicht ausdrücklich verboten ist. <strong>Die</strong> Möglichkeit<br />

der Über- sowie Unterreaktion lässt sich nicht ausschliessen, solange die <strong>empirische</strong>n Fakten für deren<br />

Ausschluss fehlen.<br />

143


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

falsifizieren, aber eine vorläufige Nichtfalsifikation impliziert nicht die vorläufige Bewährung,<br />

denn „der Beweis“ fehlt noch, dass die festgestellten Über- sowie Unterreaktionen tatsächlich<br />

auf behaviorale Ursachen zurückzuführen sind. Somit sind Tests der behavioralen<br />

Modelle notwendig. <strong>Die</strong>se Tests müssen vor allem Out-of-Sample sein, weil die behavioralen<br />

Modelle zur Erklärung der Über- sowie Unterreaktion konstruiert sind und eine Überprüfung<br />

durch dieses Phänomen Gefahr „des zirkulären Beweises“ läuft. Somit wird im nächsten Kapitel<br />

auf die Frage der Testbarkeit eingegangen, wobei die Überprüfung der technischen Möglichkeiten<br />

der Out-of-Sample Tests den Schwerpunkt bildet.<br />

144


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6 Testbarkeit der Behavior-Modelle<br />

Aus der Sicht des strengen Empirismus muss jede neue Theorie mindestens 3 Kriterien<br />

gleichzeitig erfüllen, um sich als Kandidatin zu qualifizieren 297 :<br />

Sie basiert auf a priori plausiblen Annahmen;<br />

Sie erklärt die neue Evidenz;<br />

Sie ist „Out-of-Sample“ testbar.<br />

<strong>Die</strong> Prognose der behavioralen Modelle – Overconfidencemodell bzw. Sentimentmodell –<br />

kann zwar direkt durch <strong>empirische</strong> Befunde falsifiziert werden, aber die direkten Testmöglichkeiten<br />

sind aufgrund der Unbeobachtbarkeit der Key-Variablen stark eingeschränkt. Um<br />

wissenschaftliche Sicherheit zu gewinnen und praktischen Nutzen daraus ziehen zu können,<br />

müssen sie jedoch testbar sein, und zwar Out-of-Sample. Fama zufolge sollte man sich nicht<br />

durch diejenigen Modelle beeindrucken lassen, die speziell zur Erklärung bestimmter abnormaler<br />

Pattern konstruiert worden sind. Der Test muss somit Out-of-Sample sein: <strong>Die</strong> Fähigkeit<br />

zur Generierung neuer Hypothesen, welche durch andere <strong>empirische</strong> Untersuchungen<br />

falsifizierbar sind. „The over-riding question should always be: does the new model produce<br />

coherent rejectable predictions...”. 298 Ohne die Bewährung durch solche Tests bleiben die<br />

Modelle aus der Sicht des strengen Empirismus wissenschaftlich wertlos, wenn auch sie die<br />

neue Evidenz zu erklären vermögen. Mit anderen Worten ist hier zwecks wissenschaftlicher<br />

Sicherheit ein „Out-of-Sample Test“ zwingend notwendig. Der Test dient der Falsifikation,<br />

nicht jedoch der Verifikation; und eine vorläufige Bewährung durch den Test besitzt hinsichtlich<br />

der Wahrheitsnähe keine Aussagekraft. Das Ziel des Out-of-Sample Tests liegt primär<br />

darin, zu überprüfen, ob eine Falsifikation durch Out-of-Sample Tests möglich ist. Angelehnt<br />

an die neusten <strong>empirische</strong>n Behavioruntersuchungen in der Finanzmarktforschung wird in<br />

diesem Kapitel die Testbarkeit der behavioralen Modelle behandelt, um die Frage zu beantworten,<br />

ob <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> überhaupt zur Erfahrungswissenschaft gehört.<br />

297 Vgl. Hong und Stein (1999) S. 2144.<br />

298 Vgl. Fama und French (1998) S. 284ff.<br />

145


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6.1 <strong>Die</strong> Testbarkeit von Overconfidence<br />

Das Overconfidence-Modell geht von zwei zentralen Annahmen aus, die im Widerspruch<br />

zum traditionellen Konzept stehen: Erstens beeinflusst Overconfidence die tatsächliche Entscheidung<br />

der Investoren. Und zweitens ist die Diffusion der Informationen im Falle einer<br />

Informationsasymmetrie auch nach der Offenbarung der Privatinformation graduell. Aus<br />

Sicht des traditionellen Konzepts sollte der Retail-Investor in seiner tatsächlichen Investmententscheidung<br />

eine Als-Ob-Rationalität aufweisen, folglich sollte die tatsächliche Transaktionsentscheidung<br />

frei vom Fehlverhalten wie Overconfidence sein. <strong>Die</strong> strenge Marktdisziplin<br />

garantiert sowohl die Als-Ob-Rationalität als auch die Informationseffizienz, demnach soll die<br />

Diffusion der Informationen nach der Offenbarung der Privatinformationen genügend schnell<br />

sein, so dass systematische Fehler nicht auftreten. <strong>Die</strong> unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich<br />

Rationalität und Informationseffizienz implizieren neue Hypothesen beim Overconfidence-Modell:<br />

<strong>Die</strong> durch Overconfidence verzerrte Transaktionsentscheidung und die graduelle<br />

Informationsdiffusion. <strong>Die</strong>se neuen Prognosen haben zwei Möglichkeiten geliefert, die Aussagen<br />

des Overconfidence-Modells Out-of-Sample zu testen:<br />

Beeinflusst die Overconfidence die tatsächliche Entscheidung der Investoren?<br />

Ist die Informationsdiffusion nach der Offenbarung der Privatinformation graduell?<br />

<strong>Die</strong> durch das Overconfidence-Modell prognostizierten Über- sowie Unterreaktionen sind die<br />

logische Konsequenz des Einflusses von Overconfidence in der tatsächlichen Investmententscheidung<br />

sowie des Einflusses der graduellen Informationsdiffusion, und somit kann die Validität<br />

der Aussagen des Overconfidence-Modells direkt anhand dieser zwei Aspekte getestet<br />

werden. Mit anderen Worten kann das Overconfidence-Modell durch <strong>empirische</strong> Tests direkt<br />

falsifiziert werden, wenn <strong>empirische</strong> Tests ergeben, dass Overconfidence die tatsächlichen<br />

Transaktionsentscheidungen nicht beeinflusst 299 oder dass die Informationsdiffusion nach der<br />

Offenbarung von Privatinformationen nicht graduell ist.<br />

299 D.h.: Investoren mit differenziertem Konfidenzniveau verhalten sich gleich.<br />

146


6.1.1 Der Overconfidence-Test<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Das Ziel der Overconfidence-Tests liegt darin, zu testen, ob Overconfidence die tatsächliche<br />

Transaktionsentscheidungen beeinflusst, d.h., ob die Differenz im Konfidenzniveau der Investoren<br />

zu systematisch unterschiedlichen Entscheidungen führt. Nach dem traditionellen Konzept<br />

sollten sich verschiedene Investorentypen in den tatsächlichen Transaktionsentscheidungen<br />

gleich verhalten, wenn auch verschiedene Investorentypen durchaus ein unterschiedliches<br />

Konfidenzniveau aufweisen können. Im Falle der Beeinflussung der Transaktionsentscheidung<br />

durch Overconfidence sollte beobachtet werden können, dass die nach dem Kriterium<br />

des Konfidenzniveaus unterschiedlichen Investorentypen in ihrer Transaktionsentscheidung<br />

nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen systematischen Unterschied<br />

hinsichtlich des Handelsvolumens und der risikoadjustierten Rendite. Mit anderen Worten<br />

sollte beobachtet werden können, dass die Aktivitäten der Investorengruppe, die im Vergleich<br />

zu anderen Gruppen relativ overconfident ist, durch grösseres Handelsvolumen und schlechtere<br />

Performance geprägt sind, weil die Overconfidence den Investor zur Mehraktivität verleitet<br />

und die Underperformance die logische Konsequenz der Fehlentscheidung darstellt, falls die<br />

tatsächlichen Transaktionsentscheidungen durch Overconfidence beeinflussbar sind und die<br />

von dem traditionellen Konzept angenommene Rationalität auf deskriptiver Ebene aufgeweicht<br />

wird. Zu diesem Zweck können die Investoren nach deren Konfidenzdifferenz in Subgruppen<br />

unterteilt werden, um zu überprüfen, ob ein systematischer Unterschied hinsichtlich<br />

Handelsvolumen und Performance zu beobachten ist. Ausgehend von der Konfidenzdifferenz<br />

zwischen traditionellen Investoren und Online-Investoren kann getestet werden, ob die Transaktionsentscheidung<br />

tatsächlich durch Overconfidence verzerrt wird.<br />

6.1.1.1 Konfidenzdifferenz zwischen Online-Investor und Phone-Investor als<br />

Proxy<br />

Das Internet verändert die Welt, und dies gilt ganz besonders für den Börsenhandel über das<br />

Internet. In den USA handeln bereits mehr als 10 Mio. Menschen online. 25% aller Börsentransaktionen<br />

von US-Kleininvestoren werden übers Web abgewickelt. 300 Forrester Research<br />

prognostiziert, „that by 2003, 9.7 million U.S. households will manage more than $ 3 trillion<br />

300 Vgl. CS Bulletin (2000): http:// bulletin.credit-suisse.ch/ebusiness/939794497.html;<br />

147


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

online, nearly 19% of total retail investment assets, in 20.4 million online accounts.” 301 <strong>Die</strong><br />

unangefochtenen Trendsetter im Internet-Trading sind die USA. Derzeit macht der Wertschriftenhandel<br />

per Mausklick bereits 16% des US-Börsenhandels aus, und die Tendenz ist<br />

weiter steigend. <strong>Die</strong> Home-Page des US-Marktführers Charles Schwab, der ca. 30% des US-<br />

Online-Markts beherrscht, wird täglich 76 Mio.-mal aufgerufen, und 6 Mio. Kunden, fast 50%<br />

davon mit einem Online-Konto, nutzen dabei die Möglichkeit, online Aktiengeschäfte zu tätigen.<br />

<strong>Die</strong> Nutzniesser des enormen Anstiegs des Online-Aktienhandels sind die USamerikanischen<br />

Online-Broker. Aus einem Bericht der Deutschen Bank geht hervor, dass sich<br />

das verwaltete Vermögen der weltweit 10 grössten Online-Broker auf ca. 1.3 Bio. USD beläuft.<br />

Verglichen mit den 4.7 Bio. USD an Einlagen aller US-amerikanischen Banken ist dies<br />

beachtlich. Gut 100 Broker zählt der US-Markt gegenwärtig. <strong>Die</strong> 10 grössten davon vereinen<br />

rund 80% aller Online-Transaktionen auf sich. 302<br />

„E*Trade“ bringt dem Investor echten „added Value“: Niedrige Kommissionen, tiefere<br />

Transaktionskosten, höhere Geschwindigkeit, besserer Zugang zu Echt-Zeit-Informationen.<br />

Aber trotzdem ist die Mehrheit der Retail-Investoren eher zurückhaltend gegenüber dieser<br />

neuen Möglichkeit. Neuerdings verbreitet sich jedoch allmählich die Akzeptanz durch die<br />

Mainstream-Investoren. 303 Als eine Gruppe sind die Online-Trader im Vergleich zu den<br />

durchschnittlichen Retail-Investoren in vieler Hinsicht überdurchschnittlich: Sie sind im Bereich<br />

neuer Technologien relativ fit, im Vergleich zu anderen Investoren haben Sie ein überdurchschnittliches<br />

Einkommen sowie Vermögen, sie haben mehr Investmenterfahrung als der<br />

Durchschnitt, und ihre Performance vor dem „Go-Online“ ist deutlich höher als der Durchschnitt.<br />

Nach der Studie von Barber und Odean (1999a) weisen die durchschnittlichen Online-<br />

Investoren vor dem „Going-Online“ gegenüber dem Marktdurchschnitt eine jährliche Outperformance<br />

von 4.2% auf, ohne Berücksichtigung der Transaktionskosten. 304 Kurz, sie sind eine<br />

„Pioniergruppe“ im Vergleich zum Marktdurchschnitt: Wohlhabender, kompetenter und erfolgreicher,<br />

ausgestattet mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und entsprechenden Erfolgsausweisen.<br />

Daraus folgt, dass sie im Vergleich zum Marktdurchschnitt logischerweise<br />

301<br />

Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.1;<br />

302<br />

Vgl. CS Bulletin (2000): http:// bulletin.credit-suisse.ch/ebusiness/939794497.html;<br />

303<br />

Aktuelle demographische Verteilung der CS-Youtrade-Benützer:<br />

20-30 Jahre: 21%; 30-40 Jahre: 33%; 40-50 Jahre: 23%; 50-60 Jahre: 14%; über 60 Jahre: 7%<br />

In den USA gehören 75% der gesamten Vermögen Menschen mit einem Alter von mehr als 65 Jahren. Vgl. CS<br />

Bulletin (2000);<br />

304<br />

Mit p = 0.09; Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table III, S. 28;<br />

148


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

über ein höheres Konfidenzniveau verfügen und als overconfident bezeichnet werden können,<br />

wenn das Konfidenzniveau des Marktdurchschnitts als Benchmark dient. 305<br />

Overconfidence ist keine unveränderbare Eigenschaft des Menschen, sondern sie ist eine<br />

Funktion von Erfolg, Erfahrungshorizont und Quantität der Informationen. 306 <strong>Die</strong> relative<br />

Overconfidence der Online-Investoren im Vergleich zu traditionellen Investoren hinsichtlich<br />

Stock-Picking kann auf folgende Aspekte zurückgeführt werden:<br />

Das Konfidenzniveau ist positiv mit dem Erfolg korreliert und der Erfolg schafft<br />

Overconfidence. <strong>Die</strong> überdurchschnittliche Performance vor Go-Online führt im Allgemeinen<br />

zu einem höheren Konfidenzniveau der Online-Investoren, ausgedrückt<br />

durch eine Überschätzung der Verlässlichkeit des eigenen Wissens einerseits und Unterschätzung<br />

der eigenen Fehlervarianz andererseits.<br />

Ein wichtiger Teil der Online-Investoren besteht aus Vertretern der jüngeren Generation,<br />

die meistens nur Erfahrung mit dem Bullmarkt besitzt und die grosse Rezession<br />

nicht selber miterlebt hat. Der enge Erfahrungshorizont und die Verwöhnung<br />

durch die Wohlstandsgesellschaft machen die junge Generation weniger<br />

selbstkritisch als die ältere erfahrene Generation, folglich neigt diese Gruppe im<br />

Vergleich zur älteren erfahrenen Generation dazu, die eigenen Fähigkeiten zu über-<br />

schätzen. 307<br />

Erfolg, Fähigkeit und Erfahrungshorizont schaffen zwar Overconfidence, aber<br />

diese Eigenschaft wird erst dann handlungswirksam, wenn die Nebenbedingungen<br />

dafür reif sind. <strong>Die</strong> Quantität der Informationen bildet eine wichtige Voraussetzung<br />

dafür, dass Overconfidence die Transaktionsentscheidung beeinflussen kann. In seiner<br />

Fallstudie über „Overconfidence in Judgments“ hat Oskamp (1965) festgestellt,<br />

dass die Confidence mit der Zunahme der verfügbaren Informationen deutlich steigt<br />

und die Genauigkeit der Einschätzung dagegen relativ konstant bleibt. D.h., je mehr<br />

Informationen verfügbar sind, desto mehr Confidence hat der Beurteilte, desto over-<br />

305<br />

Overconfidence im Sinne der Überschätzung der eigenen Selektionsfähigkeit (stock picking abilities);<br />

306<br />

Overconfidence ist positiv mit Erfolg, Erfahrungshorizont und Quantität der Informationen korreliert.<br />

307<br />

Je mehr man erlebt, und umso mehr Wissen man hat, desto bescheidener ist man. Daher behauptete Aristoteles,<br />

dass er nichts wisse. Dagegen neigt derjenige, der eine beschränkte Wissensbasis und einen limitierten Erfahrungshorizont<br />

hat, oft zur Überschätzung eigener Fähigkeit.<br />

149


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

confidenter ist er im Vergleich zum Durchschnitt. 308 Online-Investoren sind die Vertreter<br />

der neuen Technologiegeneration auf dem Finanzmarkt, sie sind vertraut mit<br />

neuen Informatikmöglichkeiten und haben im Hinblick auf die Informationssuche<br />

im Vergleich zu klassischen Investoren einen systematischen Vorteil. Sie haben einen<br />

besseren Zugang zu Informationen und nutzen diesen auch systematisch aus, um<br />

besser und schneller informiert zu sein. Mit anderen Worten haben Online-<br />

Investoren im Durchschnitt mehr Informationen als der Marktdurchschnitt, und<br />

demzufolge haben sie auch ein relativ höheres Konfidenzniveau verbunden mit einer<br />

höheren Wahrscheinlichkeit, overconfident zu sein, wenn die zusätzlichen Informationen<br />

zur Erhöhung der Genauigkeit der Einschätzung nicht viel beitragen können.<br />

Zusammengefasst kann davon ausgegangen werden, dass Online-Investoren im Vergleich<br />

zum Marktdurchschnitt relativ gesehen Overconfidence aufweisen sollten und das Behavior<br />

der Online-Investoren somit annäherungsweise als ein mögliches Proxy für Overconfidence<br />

angewandt werden kann. Es stellt sich dann die Frage, ob Overconfidence tatsächlich die<br />

Transaktionsentscheidung beeinflusst. Wenn dies der Fall ist, dann sollte beobachtet werden,<br />

dass Online-Investoren in ihrer Transaktionsentscheidung im Vergleich zum Marktdurchschnitt<br />

nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen systematischen Unterschied<br />

hinsichtlich des Handelsvolumens und der Performance. Mit anderen Worten sollte<br />

beobachtet werden, dass die Transaktionen der Online-Investoren, welche im Vergleich zu<br />

anderen Gruppen relativ overconfident sind, durch höhere Handelsvolumen und unterdurchschnittliche<br />

Performance geprägt sind, weil die Overconfidence den Investor zur Mehraktivität<br />

verleitet und die Underperformance die logische Konsequenz der Fehlentscheidung darstellt,<br />

falls die tatsächlichen Transaktionsentscheidungen durch Overconfidence beeinflussbar<br />

sind und das Proxy die Konfidenzdifferenz reflektieren kann. Barber und Odean (1999 a) haben<br />

zum Zweck des Testens der Overconfidence die Transaktionen der Online-Investoren<br />

bezüglich Turnover und Performance untersucht. 309<br />

308 Vgl. Oskamp (1965) S.289ff;<br />

309 Vgl. Barber und Odean (1999 a)<br />

150


6.1.1.2 Daten und Methoden<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

A. Daten<br />

Der Fortschritt in der Informatik hat dazu geführt, dass Mikrodaten 310 im <strong>Die</strong>nst ökonomischer<br />

Erkenntnisse zu stehen beginnen. Mit Hilfe der gespeicherten Daten über die „Tradingrecords“<br />

und „Position-Statements“ der Investoren ist ein Vergleich hinsichtlich Performance<br />

und Turnover verschiedener Investorengruppe möglich. Es können zwei Gruppen gebildet<br />

werden: Eine Gruppe der Online-Investoren und eine Matching-Gruppe als Vergleichsbenchmark.<br />

Für jeden Online-Investor wird somit ein Matched-Investor in der Datenbank<br />

ausgesucht, der im Hinblick auf Vermögensausstattung, Investmenterfahrung sowie demographische<br />

Eigenschaft dem Online-Investor am meisten ähnelt und seine Transaktionen nicht<br />

über das Internet sondern über das Telefon abwickelt. 311 Es sollte keine systematische Abweichung<br />

zwischen beiden Gruppen beobachtet werden, wenn Overconfidence irrelevant ist.<br />

Mit der Datenunterstützung durch eine US-Brokeragefirma, die seit 1991 die Mikrodaten (detaillierte<br />

„Tradingrecords“ 312 sowie „Position-Statements“ der individuellen Kunden) in deren<br />

Datenbank erfasst und gepflegt hat, haben Barber und Odean Overconfidence der Online-<br />

Investoren sowie deren Einfluss untersucht. Aus den Daten von über 78'000 Investoren haben<br />

sie zuerst 1'607 Online-Investoren identifiziert 313 und dann eine entsprechende Matching-<br />

Gruppe (matched-pair research design) aufgebaut, 314 welche während der Stichprobenperiode<br />

kein Online-Trading vorgenommen hat.<br />

Marktwert der Investmentpositionen während der Sample-Periode 315<br />

Online-Investoren Size-Matched-Investoren Gesamtes Sample<br />

Mean Median Mean Median Mean Median<br />

$133‘600 $44‘800 $130‘400 $42‘100 62‘710 $21‘346<br />

310<br />

Mikrodaten sind Datensets, die sich aus Beobachtungen zusammensetzen, welche das Verhalten einzelner<br />

Personen, Haushalte oder Firmen abbilden. Sie beschreiben die Begleitumstände, welche einen beobachteten<br />

Entscheid begründen könnten, in weit grösserem Detail als Makrodaten.<br />

311<br />

Vgl. Barber und Odean (1999 a) S. 3-4;<br />

312<br />

<strong>Die</strong> Trading-Records dokumentieren auch, wie die Transaktionen ausgelöst werden: durch Telefon oder PC.<br />

313<br />

<strong>Die</strong> Gruppe der Online-Investoren repräsentiert alle Haushalte, die mindestens eine Aktie in jedem Monat der<br />

Stichprobenperiode (01.91-12.96) besitzen und E*Trade zwischen 01.92 und 12.95 tätigen.<br />

314<br />

Matched-pair research design: Each online investor is size matched to the investor whose market value of<br />

commen stock positions is closest to that of the online investor. This size matching is done in the month preceding<br />

the online investor’s first online trade. As in the case for the online sample, the matched investor must have a<br />

common stock position in each month of the six-year sample period and at least one common stock trade during<br />

the six years. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S. 3- 4;<br />

315<br />

Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.4;<br />

151


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Während die Gruppe der Size-Matched-Investoren in Bezug auf den Marktwert des Investmentportfolios<br />

eine minimale Abweichung zur Gruppe der Online-Investoren aufzeigt, gibt es<br />

jedoch bei anderen Aspekten Unterschiede: 316<br />

Im Vergleich zu den Size-Matched-Investoren sind Online-Investoren jünger, haben<br />

ein höheres Einkommen und Vermögen:<br />

Mean-Alter Mean-Einkommen Median-Vermögen<br />

Online-Investoren 49.6 $80‘300 $150‘000<br />

Matched-Investoren 54.1 $75‘200 $100‘500<br />

Online-Investoren haben nach eigenen Angaben im Vergleich zu Size-Matched-<br />

Investoren grössere Investmenterfahrungen: 317<br />

Investment-Erfahrung Online-Investoren Matched-Investoren<br />

None 1.2% 4.0%<br />

Limited 19.3% 32.1%<br />

Good 59.4% 48.7%<br />

Extensive 20.1% 15.2%<br />

B. Transaktionskosten<br />

Für jede Transaktion schätzten Barber und Odean (1999) den bid-ask Spread für den Kauf<br />

(sprdb) und den Verkauf (sprds) wie folgt: 318<br />

cl<br />

ds<br />

⎟ cl ⎛ P ⎞ ds spr ds = ⎜ −1<br />

und s<br />

⎝ P<br />

⎟<br />

ds ⎠<br />

⎟<br />

cl<br />

⎛ Pdb<br />

⎞<br />

spr db = − ⎜ − 1 b<br />

⎝ Pdb<br />

⎠<br />

P und cl<br />

P sind die elektronisch dokumentierten Closing-Preise aus dem CRSP-File für „daily<br />

db<br />

stock return“ an dem Tag, an welchem der Verkauf oder der Kauf getätigt worden ist.<br />

P und b<br />

P sind die aktuellen Verkauf- oder Kaufpreise, bei denen die Investoren die Transak-<br />

s<br />

ds<br />

db<br />

tionen durchgeführt haben, elektronisch dokumentiert als Tradingrecords. Aus den gelieferten<br />

Daten haben Barber und Odean auch die aktuellen Informationen über die Kommissionen<br />

herausgefiltert, wodurch die Transaktionskosten in der Performancemessung berücksichtigt<br />

316 Für eine umfassende statistische Beschreibung der Daten siehe: Barber und Odean (1999 a) Table I. S.26;<br />

317 Selbstangaben über eigene Investmenterfahrungen sind nur für 510 Online-Investoren und 360 Matched-<br />

Investoren verfügbar. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.26;<br />

318<br />

Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.4f;<br />

152


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

werden können. Für die Online-Investoren sinken die Transaktionskosten, nachdem sie online<br />

gegangen sind. <strong>Die</strong> durchschnittlichen round-trip Kommissionen sinken von 3.3% auf 2.5%<br />

und die durchschnittlichen round-trip Spreads von 1.1% auf 0.9%: 319<br />

Tabelle 6: Transaktionskosten vor und nach dem Online Trading<br />

Mean-Transaktionskosten vor und nach E*Trade<br />

Kauf Verkauf Round-Trip<br />

Vor Online-Trading<br />

Spread (%) 0.297 0.836 1.133<br />

Kommission (%) 1.697 1.568<br />

Nach Online-Trading<br />

3.265<br />

Spread (%) 0.223 0.636 0.859<br />

Kommission (%) 1.315 1.192 2.507<br />

C. Performance-Messung<br />

Es wird die Brutto-Performance und die Netto-Performance berechnet. <strong>Die</strong> monatliche Bruttorendite<br />

des Portfolios des Haushalt-Investors wird berechnet als:<br />

R<br />

= ∑<br />

=<br />

ht S<br />

gr<br />

ht<br />

i 1<br />

p<br />

it<br />

R<br />

gr<br />

it<br />

wobei pit die Gewichtung der Aktie i im Monat t im Portfolio darstellt (Marktwert der Aktie i<br />

am Monatsanfang dividiert durch den Marktwert des gesamten Portfolios am Monatsanfang),<br />

gr<br />

Rit ist die monatliche Bruttorendite der Aktie i 320 und Sht bezeichnet die Anzahl der Aktien i<br />

im Portfolio von Haushalt h im Monat t. <strong>Die</strong> monatliche Netto-Performance des Wertpapiers i<br />

kann dann durch die Bereinigung der entsprechenden Transaktionskosten berechnet werden:<br />

wobei<br />

und<br />

net ( 1 + R )<br />

it<br />

=<br />

( 1<br />

+ R<br />

gr<br />

it<br />

)<br />

( 1<br />

( 1<br />

− c<br />

+ c<br />

)<br />

)<br />

s<br />

i,<br />

t<br />

b<br />

i,<br />

t−1<br />

s<br />

c it die durch den Verkaufspreis im Monat t skalierten Kosten des Verkaufs darstellt,<br />

b<br />

ci, t−<br />

1 die durch den Kaufpreis im Monat t skalierten Kosten des Kaufs. <strong>Die</strong> Kosten des<br />

319<br />

Statistische Daten über die Transaktionskosten siehe: Barber und Odean (1999 a) Table II. S.27;<br />

320<br />

Bei Barber und Odean (1999 a) wird die monatliche Bruttorendite mit Hilfe des Position-Statements am Monatsanfang<br />

und monatlichen Rendite-Files von CRSP geschätzt. Demzufolge werden vereinfachende Annahmen<br />

getroffen: I) Alle Wertpapiere werden am letzten Tag des Monats gekauft oder verkauft. II) Es gibt kein Intramonth-Trading.<br />

Barber und Odean (2000) zeigen im Anhang, dass diese Annahmen die Renditeschätzung materiell<br />

nicht beeinflussen.<br />

153


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Kaufs und des Verkaufs berücksichtigen sowohl die Kommissionen als auch den Bid-Ask-<br />

Spread und werden individuell für jedes Trading geschätzt. 321 Für ein Wertpapier, welches im<br />

Monat t-1 und t weder gekauft noch verkauft wird, sind<br />

sind<br />

c sowie b<br />

s<br />

it<br />

154<br />

c sowie b<br />

s<br />

it<br />

ci, t−<br />

1 beide null, hingegen<br />

ci, t−<br />

1 beide positiv, falls das Wertpapier im Monat t-1 gekauft und dann im<br />

Monat t verkauft wird. 322 Dadurch werden die Transaktionskosten des Timings berücksichtigt,<br />

und die Haushalte, welche über das gleiche Portfolio verfügen, aber hinsichtlich Timing unterschiedlich<br />

sind (relativ aktive Investoren vs. relativ passive Investoren), werden eine unterschiedliche<br />

Netto-Performance erwirtschaften. <strong>Die</strong> monatliche Netto-Performance des Haushalt-Investors<br />

ist gegeben durch:<br />

R<br />

= ∑<br />

=<br />

ht s<br />

net<br />

ht<br />

i 1<br />

p<br />

it<br />

R<br />

net<br />

it<br />

;<br />

D. <strong>Die</strong> risikoadjustierte Performance<br />

<strong>Die</strong> wichtige neue Aussage des Overconfidence-Modells ist, dass overconfidente Investoren<br />

eine relativ schlechte Performance erwirtschaften. Zur Überprüfung dieser Aussage ist eine<br />

objektive Performancemessung die notwendige Voraussetzung. <strong>Die</strong> Performance ist eine relative<br />

Grösse und erst dann informativ für eine Beurteilung, wenn ein fairer Benchmark identifiziert<br />

werden kann.<br />

<strong>Die</strong> Wahl des korrekten Benchmarks ist in der Forschung der Performancemessung bis heute<br />

das wohl kontroverseste Thema geblieben. <strong>Die</strong> theoretische Fundierung ist strittig: Roll<br />

(1978) weist in einer grundsätzlichen Diskussion auf die logische Inkonsistenz der Verwendung<br />

des CAPM für die Leistungsmessung hin. 323 Er zeigt, dass die Leistungsmessung mit<br />

der Security-Market-Line-Analyse sehr sensitiv gegenüber der Wahl des verwendeten Vergleichsindex<br />

ist. Er führt dies darauf zurück, dass die als Approximation für das unbekannte<br />

Marktportfolio verwendeten Referenzportfolios innerhalb der Efficient Frontier liegen und<br />

damit ineffizient sind. <strong>Die</strong> Reihenfolge passiver Portfolios ist durch die Wahl alternativer ineffizienter<br />

Indizes beliebig veränderbar. Andererseits kann ein effizientes Benchmarkportfolio<br />

321<br />

Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.6;<br />

322 s<br />

Falls nur ein Kauf getätigt wird, ist c it null.<br />

323<br />

Vgl. Roll (1978) S. 1052-1054, 1056;


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

nicht zwischen passiven Portfolios unterscheiden. Wenn der Benchmark effizient ist, liegen<br />

alle darin enthaltenen Wertpapiere und aus diesen Wertpapieren gebildeten Portfolios auf der<br />

Security-Market-Line. Eine Unterscheidung der Portfolios bezüglich Performance ist nicht<br />

möglich.<br />

Grinblatt und Titman (1989) begründen die logische Inkonsistenz mit der Unvereinbarkeit der<br />

Perspektiven zwischen informierten und uninformierten Investoren. 324 <strong>Die</strong> von den informierten<br />

und uninformierten Investoren wahrgenommenen Betas sind nicht dieselben. 325 Aus der<br />

Perspektive der Uninformierten führt das Markttiming der Informierten zur Erhöhung der<br />

Betas, wenn auch die Strategie aus der Perspektive der Informierten in der Tat die Betas<br />

senkt. 326 Der Benchmark, der effizient bezüglich passiver Portfolios von Uninformierten ist,<br />

ist somit in Bezug auf aktive Portfolios von Informierten nicht effizient.<br />

<strong>Die</strong> Forschung ist mit einem unangenehmen Dilemma konfrontiert: Der Benchmark mit einer<br />

plausiblen theoretischen Fundierung wie das Fundamentalmodell 327 leidet oft an einem niedrigen<br />

R 2 , andererseits haben die Modelle wie das Drei-Faktoren-Modell von Fama und French<br />

(1993) 328 und das Vier-Faktoren-Modell von Carhart (1997) 329 , welche sich vom Standpunkt<br />

der Modernen <strong>Finance</strong> aus nicht durch deren theoretische Fundierung auszeichnen, eine vergleichsweise<br />

grössere Erklärungskraft. Aufgrund der Schwierigkeit der Wahl eines fairen<br />

Benchmarks werden in der Praxis auch alternative Benchmarks wie die Styleanalyse von<br />

Sharpe 330 bzw. der Period-Weighting-Approach von Grinblatt und Titman 331 (Own-<br />

Benchmark) zur Performancemessung eingesetzt.<br />

Um ein möglichst objektives Bild zu gewinnen und die Probleme der Wahl eines fairen Benchmarks<br />

zu berücksichtigen, haben Barber und Odean (1999 a) verschiedene Benchmarks zur<br />

324<br />

Vgl. Grinblatt und Titman (1989 a) S.394-403;<br />

325<br />

Uninformierte Investoren gehen von konstanten Betas aus. <strong>Die</strong> informierten Investoren kapitalisieren die<br />

Variation von instantaneous Volatilitäten durch Markttiming, um das instantaneous Alpha zu maximieren. Vgl.<br />

Nielsen und Vassalou (1998) S. 27-32;<br />

326<br />

Grinblatt und Titman (1989a) S. 395;<br />

327<br />

Erklärende Variablen im Fundamental-Modell: Term-Spread, Default-Spread, Dividend Yield, P/E Ratio,<br />

Wechselkurs, globale Marktvolatilität, usw.<br />

328<br />

Vgl. Fama und French (1993)<br />

329<br />

Vgl. Carhart (1997)<br />

330<br />

Vgl. Sharpe (1992)<br />

331<br />

Vgl. Grinblatt und Titman (1989a)<br />

155


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

zur Messung der Überperformance eingesetzt: CAPM-Benchmark, Fama-French-Benchmark<br />

und Own-Benchmark.<br />

D-1. CAPM als Benchmark<br />

r = α + β r + ε<br />

it<br />

i<br />

i<br />

mt<br />

cov( Ri − R<br />

wobei β i =<br />

Var(<br />

R )<br />

it<br />

m<br />

m<br />

)<br />

mit „White Noise“ Eigenschaften des Störterms εit:<br />

2<br />

E( ε i,<br />

t ) = 0;<br />

Var(<br />

ε i,<br />

t ) = σ ε ; Cov(<br />

ε i,<br />

t , ε i,<br />

t−1)<br />

= 0;<br />

Cov(<br />

ε i , rm<br />

) = 0;<br />

rit bezeichnet die Überschussrendite des Portfolios (Rit – Rft), und rmt beschreibt die Über-<br />

schussrendite des Kapitalmarktes (Rmt – Rft). Das Jensen’s Alpha αi entspricht der Über-<br />

schussrendite, die durch Umsetzung von Selektionsinformation gegenüber einer passiven<br />

„buy-and-hold“ Strategie (in Form einer indexierten Anlage) erreicht wird. Ein guter Bench-<br />

mark impliziert, dass αi insignifikant von null abweicht. Als Schätzgrösse unterliegt das Jen-<br />

sen’s Alpha jedoch einem Stichprobenfehler. Bei der Beurteilung der Ergebnisse muss deshalb<br />

die statistische Signifikanz (t-Test) berücksichtigt werden.<br />

D-2. Drei-Faktor-Benchmark (Fama und French 1993)<br />

„Small cap stocks“ haben eine kleine Marktkapitalisierung, und „value“ oder „high<br />

book/market stocks“ haben im Vergleich zu ihrem Buchwert auch einen relativ kleinen<br />

Marktwert. <strong>Die</strong> durchschnittliche Rendite der beiden Kategorien ist hoch. Umgekehrt haben<br />

„large“ und „growth stocks“ oft eine ungewöhnlich niedrige durchschnittliche Rendite. Eine<br />

höhere durchschnittliche Rendite ist konsistent mit dem CAPM, wenn die entsprechenden<br />

Aktienkategorien eine höhere Sensitivität gegenüber dem Marktportfolio (hohes Marktbeta)<br />

aufweisen. Jedoch ist die durchschnittliche Rendite bei „small stocks“ und besonders bei „value<br />

stocks“ nach der Adjustierung durch Marktbetas weiterhin abnormal hoch. Umgekehrt<br />

werden „growth stocks“ aus Sicht des CAPM für deren systematische Risiken systematisch<br />

schlecht entschädigt. „Small size puzzle“ und „value puzzle“ weisen auf die mögliche Unzu-<br />

156


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

länglichkeit des CAPMs als fairer Benchmark hin. 332 Zur Berücksichtigung dieser <strong>empirische</strong>n<br />

Evidenz haben Fama und French ein Multifaktormodell entwickelt, wo Marktrendite,<br />

die Rendite von „small minus big stocks“ (SMB) sowie die Rendite von „high B/M minus<br />

low B/M stocks“ (HML) als drei erklärende Faktoren betrachtet werden.<br />

R − R = α + β ( R − R ) + h HML + s SMB + ε<br />

it<br />

mit<br />

ft<br />

i<br />

i<br />

mt<br />

ft<br />

SMB = 1 3(<br />

S L + S M + S H ) −1<br />

3(<br />

B L + B M + B H )<br />

HML = 1 2 ( S H + B H ) − 1 2(<br />

S L + B L)<br />

i<br />

t<br />

wobei αi den Achsenabschnitt sowie βi, hi und si die Faktorkoeffizienten in einer Zeitreihen-<br />

regression der (monatlichen) Überschussrendite des Wertpapiers i (Rit- Rft) auf (1) die Überschussrendite<br />

des Marktes (Rmt- Rft), (2) die B/M-Faktor Prämie HMLt und (3) die Size-<br />

Faktor Prämie SMBt bezeichnen. Rmt bezeichnet die Rendite auf einen wertgewichteten Aktienindex,<br />

SMB beschreibt die Renditedifferenz zwischen zwei wertgewichteten Portfolios von<br />

Unternehmen mit einer niedrigen (S) und einer hohen (B) Marktkapitalisierung, nämlich<br />

„small-minus-big“ und kontrolliert durch B/M-Effekte. 333 HML stellt die Renditedifferenz<br />

zwischen zwei wertgewichteten Portfolios von Unternehmen mit einem hohen (H) und einem<br />

niedrigen (L) Book/Market-Verhältnis dar, d.h., „high-minus-low“ kontrolliert durch den Si-<br />

ze-Effekt. 334 Rft ist die Schätzgrösse des risikolosen Zinssatzes und εit der White-Noise-<br />

Störterm. <strong>Die</strong> risikoadjustierte Überschussrendite eines Wertpapiers αi lässt sich aus der Ab-<br />

weichung der realisierten von der erwarteten Rendite berechnen.<br />

Fama und French (1993) interpretieren das Drei-Faktor-Modell als multifaktorielle Version<br />

des Intertemporalen CAPM (ICAPM) von Merton (1973) oder der Arbitrage Pricing Theory<br />

(APT) von Ross (1976), wobei die überdurchschnittliche Rendite von Unternehmen mit einer<br />

relativ kleinen Marktkapitalisierung bzw. einem hohen B/M-Verhältnis eine Entschädigung<br />

für die übernommenen Risiken darstellt. 335 <strong>Die</strong>se übernommenen Risiken sind nach Fama und<br />

French nicht die Kovarianz mit der Marktbewegung, sondern „financial distress“ (Konkursri-<br />

332 Bereits Black/Jensen/Scholes (1972) und Fama/MacBeth (1973) stellen in ersten <strong>empirische</strong>n Überprüfungen<br />

des CAPMs am US-Aktienmarkt einen zu flachen Verlauf der Wertpapiermarktgerade fest, was auf einen geringen<br />

Erklärungsgehalt des Betas für den Querschnitt der Aktienrenditen hinweist.<br />

333 S/L: Small Stocks & Low Book/Market; S/H: Small Stocks & High Book/Market;<br />

334 S/H:Small Stocks & High B/M; B/H: Big Stocks & High B/M;<br />

335 Vgl. Fama und French (1993) S.4ff, 51ff;<br />

157<br />

i<br />

t<br />

it


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

siko), und die B/M Ratio kann somit als Proxy für relativen Distress interpretiert werden: 336<br />

Eine niedrige B/M Ratio (Charakter der starken Firma) impliziert eine niedrige Rendite aufgrund<br />

ihrer hohen Immunität gegenüber „financial distress“, und der entsprechende Renditeabschlag<br />

ist unabhängig von der Risikoladung (Marktbeta). Aus demselben Grund hat die<br />

Firma mit einer hohen B/M Ratio (Charakter der schwachen Firma) eine hohe Rendite zu erwirtschaften,<br />

ungeachtet deren Risikoladung (Kovarianz mit der Marktbewegung). 337<br />

<strong>Die</strong> Charakter-Hypothese von Fama und French besagt, dass neben dem Marktrisiko der<br />

Distress-Faktor eine wichtige Variable des Renditegenerierungsprozesses darstellt. Beispielsweise<br />

gibt es starke Firmen (low B/M Ratio) in einer konkursgefährdeten (distressed) Branche.<br />

Nach dem Charakter-Modell sollte die Rendite solcher Firmen aufgrund ihrer Stärke<br />

niedrig sein. <strong>Die</strong> Kovarianz dieser Firmen kann jedoch hoch sein, wenn ein Teil dieser Kovarianz<br />

durch den Distress ihrer Branche mitbestimmt wird. Mit anderen Worten haben diese<br />

Firma eine relative niedrige Rendite im Vergleich zu deren Marktbeta. Umgekehrt hat die<br />

konkursgefährdete (distressed) Firma in der starken Branche aus demselben Grund eine relativ<br />

höhere Rendite im Vergleich zu deren Marktbeta. Fama und French zufolge sollte die<br />

durch das CAPM postulierte Rendite-Risiko-Relation viel deutlicher werden, falls der<br />

Distress-Faktor kontrolliert wird.<br />

D-3. Own-Benchmark: GT-Measure (Grinblatt und Titman 1993)<br />

Grinblatt und Titman gehen von einer Unterscheidung zwischen Informierten und Uninformierten<br />

aus. Aus der Perspektive der Uninformierten ist der Vektor der erwarteten Assetrendite<br />

über die Zeit konstant und impliziert somit, dass Portfolioholdings der Uninformierten<br />

(passives Portfoliomanagement) mit der Future-Assetrendite nicht korreliert sind. <strong>Die</strong> Informierten<br />

können jedoch dank ihres Informationsvorspungs vorhersehen, wann die Rendite der<br />

jeweiligen Assets höher oder niedriger als der Durchschnitt ist, und der Vektor der erwarteten<br />

Assetrenditen variiert dementsprechend aus der Perspektive der Informierten über die Zeit.<br />

Durch Markttiming kapitalisiert der Informierte die Veränderung der erwarteten Rendite, indem<br />

die Gewichtung der Portfolios zugunsten des Assets mit positiver Renditeveränderung<br />

und zulasten der Assets mit negativer Renditeveränderung verschoben wird. 338 Im Hinblick<br />

336 Vgl. Fama und French (1995) S.153f;<br />

337 Vgl. Davis, Fama und French (1999) S.2f;<br />

338 Vgl. Grinblatt und Titman (1999) S.49;<br />

158


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

auf die Beurteilung der Performance kann die Gewichtung oder die Rendite direkt als Benchmark<br />

dienen.<br />

PortfolioChangeMeasure ∑∑( Ri<br />

, t ( wi,<br />

t − wi,<br />

t−k<br />

= )) / T<br />

EventStudy Measure ∑∑ wi<br />

, t ( Ri,<br />

t − Ri,<br />

t+<br />

k<br />

= )) / T<br />

wobei wt die Portfoliogewichtung am Anfang der Periode t mit ∑ w t = 1 und Ri,t die Portfo-<br />

liorendite von t bis t+1 bezeichnet. In der „Portfolio Change Measure“ ist die Portfoliogewichtung<br />

am Anfangszeitpunkt (t-k) als Benchmark eingesetzt, und die Superiorinformation<br />

wird durch eine Verschiebung der Gewichtung (wi,t – wi,t-k) reflektiert. In der „Event Study<br />

Measure“ dient die Rendite zum Zeitpunkt (t+k) als Benchmark. Der Vorteil des Own-<br />

Benchmarks liegt darin, dass die Performancemessung unabhängig von bestimmten Risikomodellen<br />

ist. Durch „Portfolio Change Measure“ kann beispielsweise direkt gemessen werden,<br />

ob Markttiming (Umschichtung) zu zusätzlicher nicht risikoadjustierter Rendite führt,<br />

indem die passive Hold-Strategie als Benchmark dient. <strong>Die</strong> abnormale Rendite, gemessen<br />

durch den Own-Benchmark, wird null sein, falls der Retail-Investor während des Jahres kein<br />

Trading getätigt hat. 339 Der Own-Benchmark wird in der Untersuchung von Barber und Odean<br />

als eine Ergänzung zum Risk-Benchmark eingesetzt.<br />

339 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.8;<br />

159


6.1.1.3 Empirische Befunde<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Das Ziel der Overconfidence-Untersuchung durch Barber und Odean ist zu testen, ob Overconfidence<br />

die tatsächliche Entscheidung der Investoren beeinflusst. Im Falle der Beeinflussung<br />

der Transaktionsentscheidung durch Overconfidence sollte beobachtet werden, dass die<br />

nach dem Kriterium des Konfidenzniveaus unterschiedlichen Investorentypen in ihrer Transaktionsentscheidung<br />

nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen systematischen<br />

Unterschied hinsichtlich Handelsvolumen und risikoadjustierter Rendite. Mit anderen<br />

Worten sollte beobachtet werden, dass die Transaktionen der Investorengruppe, die im<br />

Vergleich zu anderen Gruppen relativ overconfident ist, durch höheres Handelsvolumen und<br />

schlechte Performance geprägt sind.<br />

A. Turnover<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung von Barber und Odean ergibt, dass die Handelsaktivität des Investors deutlich<br />

steigt, nachdem er zum Online-Trading gewechselt hat. <strong>Die</strong> jährliche Turnover-Rate 340<br />

steigt von 74.7% (vor Online-Trading) auf 95.5% (mit Online-Trading), und die Turnover-<br />

Rate hat um 21.8% (p


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

gleich rational verhält und demzufolge invariant gegenüber dem Wechsel der Handelsplattform<br />

ist. <strong>Die</strong> Beeinflussung der Transaktionsentscheidung durch den Wechsel der Handelsplattform<br />

deutet darauf hin, dass die Rationalität eine beeinflussbare Grösse ist und der Investor<br />

nicht zwingend mit gleicher Rationalität agiert.<br />

B. Performance<br />

Was die Performance betrifft, ist vor allem eine Frage interessant: Wird die risikoadjustierte<br />

Netto-Performance der Online-Investoren, d.h., unter Berücksichtigung der Transaktionskosten,<br />

durch die neue Plattform wie E*Trade verschlechtert? Dem rationalen Konzept zufolge<br />

sollte die Performance keine Verschlechterung erfahren, weil:<br />

der Grenznutzen für jede zusätzliche Transaktion grösser oder gleich null sein<br />

sollte und aus der Mehraktivität beim Handel dementsprechend kein negativer Saldo<br />

resultieren sollte, wenn sich der Investor rational verhält. D.h., im Vergleich zu sich<br />

selbst, vor Go-Online, sollte keine Verschlecherterung beobachtet werden.<br />

die Online-Investoren im Vergleich zu anderen Investoren niedrige Transaktionskosten<br />

und besseren bzw. schnelleren Zugang zu den Informationen haben und aus<br />

diesen systematischen Vorteilen kein systematisch negatives Nettoresultat resultieren<br />

sollte, d.h., im Vergleich zu anderen traditionellen Investoren sollte keine Performanceverschlechterung<br />

beobachtet werden.<br />

Aus dieser Überlegung sollte die Performance der Online-Investoren nach dem Go-Online<br />

mindestens nicht verschlechtert werden. Sie sollte aufgrund der Senkung von Transaktionskosten<br />

und der Verbesserung der Handelsbedingungen eigentlich verbessert werden, falls das<br />

Fehlverhalten wie Overconfidence die tatsächlichen Transaktionsentscheidungen nicht verzerrt.<br />

Dagegen impliziert eine Verschlechterung der risikoadjustierten Netto-Performance die<br />

Verzerrung durch Behavior wie Overconfidence.<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung von Barber und Odean hat eine deutliche Verschlechterung der risikoadjustierten<br />

Netto-Performance nach dem Go-Online festgestellt, sowohl im Vergleich zu sich<br />

selbst (vor Go-Online vs. nach Go-Online) als auch im Vergleich zu einer Kontrollgruppe<br />

(Online-Investor vs. Size-Matched-Investor). <strong>Die</strong> Verschlechterung der Brutto-Performance,<br />

161


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

d.h., die Performance vor der Bereinigung der Transaktionskosten, nimmt einen ähnlichen<br />

Umfang an. 344<br />

Tabelle 7: <strong>Die</strong> Verschlechterung der Nettoperformance der Online-Investoren<br />

Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance<br />

der Online-Investoren (%)<br />

Vor Go-Online<br />

Nach Go-Online<br />

(Confidence-Benchmark) (rel. Overconfidence)<br />

CAPM-Alpha 0.124<br />

-0.520<br />

(0.58)<br />

(-2.78)***<br />

Fama-French Alpha -0.025<br />

-0.364<br />

(-0.18)<br />

(-2.77)***<br />

Own-Benchmark -0.172<br />

-0.330<br />

(-6.06)***<br />

(-7.30)***<br />

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table III, S.29<br />

Mit allen Benchmarks lässt sich eine Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance<br />

nach Go-Online beobachten. Je nach Benchmark bewegt sich die Verschlechterung zwischen<br />

16 und 64 Basispunkten pro Monat, d.h., zwischen 1.9% und 7.7% pro Jahr, ein markanter<br />

Rückgang der Netto-Performance. Vor Go-Online haben die Online-Investoren ein insignifikantes<br />

CAPM-Alpha bzw. Fama-French-Alpha, d.h., sie sind insignifikant von Null-<br />

Überperformance verschieden, was die Effizienz des Marktes reflektiert. Aber nach Go-<br />

Online ist die Underperformance signifikant, sowohl das negative CAPM-Alpha als auch das<br />

negative Fama-French-Alpha sind statistisch signifikant.<br />

Wenn davon ausgegangen wird, dass der Wechsel der Handelsplattform wie Go-Online weder<br />

die Präferenzen der Retail-Investoren noch deren Fähigkeit des Timings verändert und die<br />

erwartete Rendite in der Test-Periode (1991-1996) stationär ist, dann impliziert die signifikante<br />

Veränderung der risikoadjustierten Performance der Online-Investoren, von quasi Null-<br />

Überperformance vor Go-Online zu signifikanter Underperformance nach Go-Online, die<br />

Existenz des Fehlverhaltens, welches für das negative Alpha verantwortlich ist. <strong>Die</strong>ses Fehlverhalten<br />

deutet auf Overconfidence hin: Gemäss Overconfidence-Studien erhöht sich die<br />

Confidence, wenn der Beurteiler mehr Informationen bekommt. Wenn die Annahme, dass der<br />

Online-Trader im Durchschnitt mehr Informationen bekommt, plausibel ist, dann hat der On-<br />

344 Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table III, S. 28f;<br />

162


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

line-Trader im Durchschnitt ein relativ höheres Confidenceniveau (d.h., er ist relativ overconfident).<br />

Der Wechsel zum Online-Trading kann als ein Proxy für die Erhöhung der Confidence<br />

betrachtet werden. Gemäss den Daten ist die Erhöhung der Confidence mit einer Verschlechterung<br />

der Performance korreliert, und es liegt nahe, dass Overconfidence für die Verschlechterung<br />

der Performance mitverantwortlich ist.<br />

Der Performancevergleich vor und nach Go-Online hat jedoch den Nachteil, dass sich die<br />

Renditezeitreihen nicht in demselben Zeitraum befinden, so dass die Verschiebung bei der<br />

Risikoprämie bzw. der erwarteten Rendite für den grossen Teil der Veränderung der Überperformance<br />

verantwortlich sein könnte, weil die Benchmarkmodelle diese Verschiebung nicht<br />

berücksichtigen können. Somit ist eine zusätzliche Kontrolle durch Vergleich der Renditezeitreihen<br />

in demselben Zeitraum notwendig. Zu diesem Zweck haben Barber und Odean einen<br />

weiteren Test durchgeführt, indem die Online-Gruppe in zwei Subgruppen „already online“<br />

vs. „not yet online“ unterteilt wird und deren Performance in demselben Zeitraum verglichen<br />

wird. 345<br />

Tabelle 8: <strong>Die</strong> Verschlechterung der Nettoperformance und Go-Online<br />

Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance<br />

der Online-Investoren (%)<br />

Not Yet Online<br />

Already Online<br />

Differenz<br />

(Confidence-Benchmark) (rel. Overconfidence) (already - not yet)<br />

CAPM-Alpha -0.058<br />

-0.454<br />

-0.396<br />

(-0.33)<br />

(-2.24)**<br />

(-4.87)***<br />

Fama-French Alpha 0.008<br />

-0.303<br />

-0.311<br />

(0.06)<br />

(-2.13)**<br />

(-4.25)***<br />

Own-Benchmark -0.152<br />

-0.330<br />

-0.178<br />

(-4.87)***<br />

(-6.21)***<br />

(-4.66)***<br />

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table V, S.32<br />

Der Vergleich der Performance in demselben Zeitraum ergibt eine statistisch signifikante<br />

Verschlechterung der Performance durch Go-Online: Mit dem CAPM-Benchmark beträgt die<br />

Verschlechterung der monatlichen Netto-Performance 40 Basispunkte (ca. 5% pro Jahr), und<br />

345<br />

To do so, Barber and Odean compare the returns earned by online investors who have not yet go online to<br />

those earned, during the same months, by online investors who have already begun trading online. For online<br />

sample, the first online trading begins in January 1992 and the last households commence online trading in December<br />

1995. Thus, they calculate the before-after return series for 46 month: 02.92-11.95. Vgl. Barber und<br />

Odean (1999 a) S.15.<br />

163


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

mit dem Fama-French-Benchmark nimmt sie eine Grössenordnung von 31 Basispunkten pro<br />

Monat (ca. 4% pro Jahr) an. <strong>Die</strong> durch den Own-Benchmark gemessene Turnoverperformance<br />

geht auch deutlich zurück: 18 Basispunkte pro Monat (ca. 2% pro Jahr).<br />

Der Performancevergleich mit der Kontrollgruppe (Size-Matched-Investoren) kommt zu demselben<br />

Resultat, nämlich einer Verschlechterung der Performance der Online-Investoren. Hier<br />

wird die relative Distanz zur Kontrollgruppe gemessen. Beispielsweise hat die Online-Gruppe<br />

nach dem Go-Online ein durchschnittliches monatliches CAPM-Alpha von –0.520, und die<br />

Kontrollgruppe (Size-Matched-Gruppe) hat in demselben Zeitraum ein durchschnittliches<br />

CAPM-Alpha von –0.312, somit beträgt die relative Differenz nach Go-Online –0.208. Eine<br />

relative Verschlechterung bzw. Verbesserung der Performance kann dann beobachtet werden,<br />

wenn sich die relative Distanz zur Kontrollgruppe verändert.<br />

Tabelle 9: Performancevergleich zwischen Online- und Phone-Investoren<br />

Differenz der monatlichen Nettoperformance vor und nach Go-Online (%)<br />

Online-Investoren vs. Size-Matched-Investoren<br />

Differenz vor Go-Online Differenz nach Go-Online<br />

(Online less Matched)<br />

(Online less Matched)<br />

CAPM-Alpha 0.081<br />

-0.208<br />

(1.03)<br />

(-2.10)**<br />

Fama-French Alpha 0.094<br />

-0.082<br />

(1.41)<br />

(-1.10)<br />

Own-Benchmark 0.029<br />

-0.197<br />

(0.60)<br />

(-4.52)***<br />

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table III, S.29<br />

Eine Veränderung der Distanz lässt sich beobachten: Vor dem Go-Online ist sie bei allen<br />

Benchmarks positiv, und nach dem Go-Online ist sie bei allen Benchmarks negativ. Der Vorzeichenwechsel<br />

impliziert eine Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe. Mit dem<br />

CAPM als Benchmark hat die Onlinegruppe beispielsweise vor dem Go-Online im Vergleich<br />

zur Kontrollgruppe eine leicht bessere Performance von 8 Basispunkten pro Monat (ca. 1%<br />

pro Jahr), wobei diese relative Überperformance statistisch insignifikant ist, d.h., mit dem<br />

CAPM als Benchmark ist die Performance von beiden Gruppen nicht verschieden. Das ändert<br />

sich aber, sobald diese Gruppe zum Online-Trading übergeht: Mit demselben Benchmark hat<br />

die Online-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine um 21 Basispunkte schlechtere Performance<br />

pro Monat (ca. 2.5% pro Jahr), und die relative Underperformance ist statistisch<br />

164


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

signifikant. <strong>Die</strong> relative Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe aufgrund des<br />

Go-Online beträgt 29 Basispunkte pro Monat (ca. 3.5% pro Jahr), falls das CAPM und die<br />

Performance der Size-Matched-Phonegruppe als Benchmark dienen. Durch diese doppelten<br />

Benchmarks können die Probleme wie die Verschiebung der Risikoprämie bzw. der erwarteten<br />

Rendite berücksichtigt werden. Somit ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass der Vorzeichenwechsel<br />

der Distanz, eine relative Verschlechterung der Performance der Online-<br />

Investoren nach dem Go-Online, ein rein technisches Problem ist (Modellspezifikation bzw.<br />

Datenproblem). Wenn davon ausgegangen wird, dass die durchschnittliche Rendite am Aktienmarkt<br />

8% beträgt, ist eine durch das Go-Online herbeigeführte Verschlechterung der jährlichen<br />

Performance um 3.5% beachtlich.<br />

<strong>Die</strong> Verschlechterung erfolgt nicht nur in der risikoadjustierten Performance, sondern sie ist<br />

auch in der Veränderung der Turnoverperformance zu beobachten, wenn der Own-Benchmark<br />

eingesetzt und der Risikoaspekt bzw. die mögliche Fehlspezifikation des Risikomodells ausgeklammert<br />

wird: Vor dem Go-Online ist die Turnoverperformance der beiden Gruppen renditemässig,<br />

ohne Berücksichtigung der Risiken, in derselben Grössenordnung, die Onlinegruppe<br />

weist im Vergleich zur Kontrollgruppe eine insignifikant bessere Performance von 3<br />

Basispunkten pro Monat auf. Mit anderen Worten lässt sich im Hinblick auf Turnoverperformance<br />

renditemässig kein systematischer Unterschied zwischen beiden Gruppen beobachten,<br />

d.h., bezüglich der Fähigkeit des Markttimings besteht kein systematischer Unterschied. Das<br />

Go-Online verändert jedoch diese Gleichheit: Nach dem Go-Online hat die Onlinegruppe im<br />

Vergleich zur Kontrollgruppe eine relativ schlechtere Turnoverperformance von 20 Basispunkten<br />

pro Monat (ca. 2.4% pro Jahr). <strong>Die</strong> Underperformance ist statistisch signifikant. <strong>Die</strong><br />

relative Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe aufgrund des Go-Online beträgt<br />

23 Basispunkte pro Monat (ca. 2.8% pro Jahr), d.h., die Mehraktivität der Onlinegruppe –<br />

Versuch des Markttimings – führt zu einem jährlichen Renditeverlust von 2.8%, falls Size-<br />

Matched-Phonegruppe als Benchmark dient und der Risikoaspekt ausgeklammert wird.<br />

Den unterschiedlichen Vergleichen der Performance vor und nach dem Go-Online gemeinsam<br />

ist die signifikante Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe. Aus den Daten lässt<br />

sich eine Zunahme des Turnovers bei gleichzeitigem Rückgang der Performance beobachten,<br />

ein Symptom von Overconfidence. <strong>Die</strong> Kontrollen haben gezeigt, dass die Verschlechterung<br />

der Netto-Performance nicht allein auf technische Probleme wie die Verschiebung der Risikoprämie<br />

oder der erwarteten Rendite zurückgeführt werden kann. <strong>Die</strong> Feststellung, dass die<br />

165


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Performance vor dem Go-Online weitgehend der Erwartung der rationalen Theorie entspricht,<br />

nämlich die Null-Outperformance, gibt kein Indiz für die Fehlspezifikationen der rationalen<br />

Modelle oder gravierende Datenprobleme. Mit anderen Worten ist die Verschlechterung der<br />

Performance nicht ein Problem, welches durch eine Anpassung der rationalen Modelle bzw.<br />

eine Verbesserung der Datenqualiät ohne weiteres zum Verschwinden gebracht werden kann,<br />

sondern eine <strong>empirische</strong> Tatsache, die im Widerspruch zum rationalen Konzept steht. Aus den<br />

<strong>empirische</strong>n Daten lässt sich beobachten, dass das Go-Online nicht nur zur Erhöhung der<br />

Turnoverrate sondern auch zur Senkung der Performance führt, eine Tatsache, welche die<br />

Overconfidence-Hypothese vorhersagt.<br />

166


6.1.1.4 Bemerkung<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Der Ausgangspunkt des Overconfidencetests sind die vom Overconfidenceansatz abgeleiteten<br />

neuen Hypothesen: I) Overconfidente Investoren handeln relativ viel; und II) Overconfidente<br />

Investoren haben eine relativ schlechte Performance. Mit der Konfidenzdifferenz als Proxy<br />

für die (relative) Overconfidence, unterstützt durch die Verfügbarkeit der entsprechenden<br />

Mikrodaten, können die neu abgeleiteten Overconfidence-Hypothesen empirisch getestet<br />

werden. Durch verschiedene Kontrollmöglichkeiten kann die Gefahr einer Verzerrung der<br />

<strong>empirische</strong>n Befunde durch die Fehlspezifikationen der Modelle oder durch Datenprobleme<br />

reduziert werden, damit die <strong>empirische</strong>n Befunde die Wirklichkeit besser reflektieren und<br />

mehr Aussagekraft haben. Das erste Ergebnis des Overconfidence-Tests falsifiziert vorläufig<br />

die Overconfidence-Hypothese nicht, denn wie die Overconfidence-Hypothese vorhersagt,<br />

handeln die relativ overconfidenten Investoren – Investoren mit einem relativ hohen<br />

Confidenceniveau – mehr und haben eine schlechtere Performance im Rahmen der<br />

Stichprobe. Ob die Stichprobe repräsentativ ist, bleibt noch offen.<br />

Wichtig ist hier nicht primär das Resultat, sondern die Möglichkeit, dank der Verfügbarkeit<br />

von Mikrodaten die behavioralen Aussagen Out-of-Sample testen zu können. Aufgrund der<br />

Nichtverfügbarkeit von Mikrodaten sowie der beschränkten Rechenkapazität des Computers<br />

war dies früher nicht möglich, so dass vor<strong>empirische</strong> Annahmen entscheiden, ob Behavior auf<br />

der aggregierten Ebene existiert oder nicht. Der Test von Overconfidence hat gezeigt, dass<br />

die behavioralen Hypothesen empirisch überprüfbar sind, und hier liegt ihre wissenschaftliche<br />

Bedeutung.<br />

Da das Behavior wie Overconfidence nicht direkt beobachtbar ist, ist die Qualität des Proxys<br />

entscheidend für die Behaviorforschung. Go-Online als Proxy für die Konfidenzdifferenz ist<br />

zwar eine Möglichkeit, aber es gibt diesbezüglich sicher andere (besseren) Möglichkeiten.<br />

Eine sichere wissenschaftliche Basis dafür, dass Go-Online im Durchschnitt eine Konfidenzdifferenz<br />

impliziert, ist nicht vorhanden, und es handelt sich dabei eher um eine Annahme.<br />

Wenn die Annahme korrekt wäre, dann könnte die beobachtete Veränderung in der Performance<br />

und dem Handelsvolumen trotzdem nur zum Teil auf die relative Overconfidence zurückgeführt<br />

werden, denn es ist durchaus möglich, dass andere Faktoren dabei mitwirken<br />

(Joint-Problem).<br />

167


6.1.2 Informationsdiffusions-Test<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Dem traditionellen Konzept zufolge sollte die Informationsdiffusion nach der Offenbarung<br />

der Privatinformation genügend schnell und nicht graduell sein. Das Overconfidence-Modell<br />

geht jedoch von der Möglichkeit einer graduellen Informationsdiffusion aus, so dass die Verzerrung<br />

durch Overconfidence nur langsam korrigiert wird. Folglich lässt sich Momentum<br />

und Reversal beobachten. Daraus kann eine neue Out-of-Sample testbare Hypothese abgeleitet<br />

werden: Es sollte mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen vorhanden sein, bei denen<br />

die Informationsdiffusion gradueller ist. 346 <strong>Die</strong> Validität des Overconfidence-Modells kann<br />

somit Out-of-Sample durch eine neue empirisch falsifizierbare Prognose, die im Widerspruch<br />

zum traditionellen Konzept steht, getestet werden.<br />

6.1.2.1 Residual-Analyst-Coverage als Proxy für die Informationsdiffusion<br />

Ein mögliches Proxy für die Informationsdiffusion ist die Analyse-Coverage. <strong>Die</strong> Idee dahinter<br />

ist, dass sich die firmenspezifischen Informationen der Aktien mit niedriger Analyse-<br />

Coverage vergleichsweise langsamer im Investmentpublikum verbreiten. 347 Vontobel-Aktien<br />

haben beispielsweise im Vergleich zu UBS-Aktien eine niedrigere Analyse-Coverage, und<br />

dementsprechend sollte die Verbreitungsgeschwindigkeit der firmenspezifischen Informationen<br />

über Vontobel auch langsamer als im Falle von UBS sein. Falls das abnormale Preispattern<br />

wie Momentum oder Reversal tatsächlich auf die graduelle Informationsdiffusion zurückzuführen<br />

ist, dann sollte eine signifikante Differenz im abnormalen Pattern (Momentum)<br />

zwischen Subgruppen der Aktien, die nach dem Unterschied bezüglich Analyse-Coverage<br />

gruppiert sind, beobachtet werden können. D.h., die Analyse-Coverage sollte in diesem Fall<br />

einen Erklärungsgehalt haben. 348<br />

Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Analyse-Coverage und Informationsdiffusion sind<br />

zwei Aspekte zu beachten:<br />

346<br />

Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 281;<br />

347<br />

Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 266f;<br />

348<br />

Dem Effizienzkonzept zufolge ist die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen allein entscheidend, und<br />

dementsprechend sollte die Analyse-Coverage, welche nicht die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen<br />

betrifft, sondern nur die Quantität der Analysen erfasst, hinsichtlich der Erklärung der abnormalen Preisentwicklungen<br />

keine Erklärungsmacht haben, falls die Informationen unabhängig von der Quantität der Analysen sofort<br />

in den Preis einfliessen und von einer graduellen Informationsdiffusion keine Rede ist.<br />

168


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Der Beitrag jeder zusätzlichen Analyse zur Informationsdiffusion ist dann gross,<br />

wenn die entsprechenden Aktien nur durch wenige Analysten analysiert worden<br />

sind. Dagegen ist der Grenzbeitrag zur Informationsdiffusion sehr klein, falls bereits<br />

eine Vielzahl von Analysen über die entsprechenden Wertpapiere öffentlich verfügbar<br />

ist. Und ab einem bestimmten Niveau sollte sich eine zusätzliche Analyse nur<br />

unbedeutend auf die Geschwindigkeit der Diffusion auswirken, beispielsweise sollte<br />

die Unternehmung mit einer Analyse-Coverage von 29 hinsichtlich Informationsdiffusion<br />

keinen signifikanten Unterschied gegenüber einer Unternehmung mit einer<br />

Analyse-Coverage von 30 haben. <strong>Die</strong> absolute Anzahl der Analysen als Unterteilungskriterium<br />

hat somit den Nachteil, dass der Unterschied in Bezug auf den<br />

Grenzbeitrag der Analyse zur Informationsdiffusion nicht genügend berücksichtigt<br />

werden kann.<br />

Als Proxy für die Informationsdiffusion hat die Analyse-Coverage ausserdem den<br />

Nachteil, dass die Qualität des Proxys nicht hoch ist, weil die Analyse-Coverage auf<br />

viele Faktoren (Size, Markttiefe, Branche usw.) zurückzuführen ist und man deswegen<br />

mit dem Joint-Problem konfrontiert ist. Beispielsweise ist die Analyse-Coverage<br />

stark mit Size korreliert, und das abnormale Preispattern aus der Untersuchung mit<br />

Analyse-Coverage als Proxy für Informationsdiffusion kann somit mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

nur ein Reflex des Sizeeffekts sein und hat deswegen mit der Informationsdiffusion<br />

wenig zu tun.<br />

Aufgrund dieser Überlegung ist es nicht optimal, die absolute Anzahl der Analysen als Proxy<br />

für die Informationsdiffusion zu verwenden, und somit ist eine entsprechende Modifikation<br />

notwendig. HLS (Hong, Lim und Stein 2000) verwenden „residual analyst coverage“ als Proxy<br />

für Informationsdiffusion, indem anstelle einer absoluten Analysenanzahl das Residual der<br />

Analyst-Coverage-Regression angewandt wird. 349 <strong>Die</strong> Motivation dieses Ansatzes liegt darin,<br />

dass erstens die Analyse-Coverage mit anderen Faktoren wie Size, Markttiefe (Transaktionskosten)<br />

oder Branche (TMT-Euphorie) stark korreliert sein kann. Durch die Anwendung des<br />

Residuals aus der Regression kann der Einfluss dieser Faktoren kontrolliert werden. Und<br />

zweitens kann die Logarithmierung durch log(1+Analysts) den sinkenden Grenzbeitrag der<br />

349<br />

Abhängige Variable: log(1+Analysts); Und unabhängige Variable: log(Size), Nasdaq-Dummy, Book/Market,<br />

Market-Beta, 1/P, Turnover, OPT-Dummy, Industry-Dummies, Varianz sowie Return der Unternehmung. Vgl.<br />

Hong, Lim und Stein (2000) Table II;<br />

169


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Analyse zur Informationsdiffusion besser beschreiben. 350 Dadurch verbessert sich die Qualität<br />

des Proxys.<br />

Mit Residual-Analyst-Coverage als Kriterium kann das Aktienuniversum in Subgruppen (hohe,<br />

mittlere bzw. niedrige Coverage-Gruppen) unterteilt werden, um deren Momentum zu<br />

vergleichen. Es sollte eine signifikante Differenz zwischen Momentum von verschiedenen<br />

Subgruppen beobachtet werden können, falls das Momentum auf graduelle Informationsdiffusion<br />

zurückzuführen ist und die Residual-Analyst-Coverage den Unterschied in der Informationsdiffusion<br />

auch tatsächlich reflektieren kann.<br />

<strong>Die</strong> zu testende Hypothese ist, dass die Aktien mit langsamer Informationsdiffusion mehr<br />

Momentum aufweisen sollten. Eine einfache Methode zum Testen dieser Hypothese ist eine<br />

Regression, wobei die seriellen Korrelationen als Regressand und das Measure der Analyse-<br />

Coverage (wie residual analyst coverage) als Regressor verwendet werden. Um den Size- und<br />

B/M-Effekt zu kontrollieren, können zusätzliche Regressoren wie Size, B/M und Interaktionen<br />

(wie residual analyst coverage*Size, residual analyst coverage*B/M, sowie Size*B/M)<br />

hinzugefügt werden. Dadurch kann überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen serieller<br />

Korrelation und Informationsdiffusion (mit residual analyst coverage als Proxy) besteht.<br />

350 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 268-271;<br />

170


6.1.2.2 Empirische Befunde<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Sowohl die Daten über die monatliche Rendite als auch die Daten über die Analyse-Coverage<br />

werden in den USA systematisch gesammelt. HLS beziehen die Rendite-Daten aus dem<br />

CRSP Monthly Stocks Combined File, welches die Daten der NYSE-, AMEX- sowie NAS-<br />

DAQ-Aktien historisiert, während die Analyse-Coverage Daten aus dem I/B/E/S Historical<br />

Summary File stammen, welche auf monatlicher Basis seit 1976 verfügbar sind. 351 Mit betaadjustierter<br />

monatlicher Rendite und Residual Analyst-Coverage als Kriterien sind die untersuchten<br />

Aktien in Subgruppen unterteilt worden (je ein Drittel in Low-, Medium- bzw. High-<br />

Coverage): 352<br />

Tabelle 10: Residual-Analyse-Coverage und Momentum<br />

01.80-12.96, monatliche Beta-adjustierte Rendite in Prozent (%)<br />

Low-Coverage Medium-Coverage High-Coverage Low minus High<br />

P1 (Verlierer) -1.0%<br />

-0.71%<br />

-0.51%<br />

(-4.97)<br />

(-4.30)<br />

(-2.13)<br />

P2 0.31%<br />

0.30%<br />

0.23%<br />

(2.48)<br />

(2.92)<br />

(1.73)<br />

P3 (Gewinner) 0.42%<br />

0.45%<br />

0.43%<br />

(2.76)<br />

(4.50)<br />

(2.74)<br />

P3-P1 (Momentum) 1.42%<br />

1.16%<br />

0.94%<br />

(6.79)<br />

(5.76)<br />

(4.62)<br />

Mean Size (Mio.) 1070 998 464<br />

Analysezahl (Mean) 1.8 7.1 9.9<br />

Quelle: Hong, Lim und Stein (2000) Table VI<br />

-0.49%<br />

(-4.64)<br />

0.08%<br />

(1.06)<br />

-0.01%<br />

(-0.06)<br />

0.48%<br />

(4.04)<br />

Bei der Untersuchung von HLS (2000) sind zwei Pattern auffallend: Erstens, wie die Hypothese<br />

der graduellen Informationsdiffusion vorhersagt, lässt sich tatsächlich beobachten, dass<br />

mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen enthalten ist, bei denen die Informationsdiffusion<br />

gradueller ist, nämlich die Aktien mit Low-Coverage. Das Momentum-Measure, P3-P1,<br />

351<br />

Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 268ff;<br />

352 th<br />

This Table includes only stocks above the NYSE/AMEX 20 percentile. The relative momentum portfolios<br />

are formed based on six-month lagged beta-adjusted returns and held for six months. The stocks are ranked in<br />

ascending order on the basis of six-month lagged returns. Portfolio P1 is an equally weighted portfolio of stocks<br />

in the worst performing 30 percent, portfolio P2 includes the middle 40 percent, and portfolio P3 includes the<br />

best performing 30 percent. This table reports the average monthly beta-adjusted returns of these portfolios and<br />

portfolio formed using an independent sort on analyst residuals of log size and a NASDAQ dummy. T-statistics<br />

are in parentheses. Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table VI;<br />

171


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

beträgt 1.42% pro Monat in der „low-residual-coverage“ Gruppe mit einer Mean-<br />

Analysenanzahl von 1.8, und die Performance der Momentum-Strategie sinkt, wenn sich die<br />

Analyse-Coverage vergrössert. Bei der „high-residual-coverage“ Gruppe, wo die Mean-<br />

Analysenanzahl 9.9 beträgt, macht die Performance der Momentum-Strategie nur 0.94% pro<br />

Monat aus. <strong>Die</strong> Differenz beträgt monatlich 0.48%, ist sowohl statistisch hoch signifikant mit<br />

einer t-Statistik von 4.04, als auch ökonomisch bedeutend mit einer Grössenordnung von jährlich<br />

ca. 6%. Das Pattern aus den US-Daten zeigt: Je geringer die Anzahl der Analysen ist,<br />

d.h., je langsamer die Informationsdiffusion ist, desto grösser ist das abnormale Preisverhalten<br />

(Momentum), wie die neu abgeleitete Behavior-Hypothese vorhersagt. Wichtig in diesem<br />

Kontext ist wiederum nicht primär das Resultat, sondern die Möglichkeit, behaviorale Aussagen<br />

Out-of-Sample durch neue empirisch falsifizierbare Prognose zu testen. Durch weitere<br />

Untersuchungen kann beispielsweise überprüft werden, ob dasselbe Pattern in europäischen<br />

Daten beobachtbar ist.<br />

Das zweite Pattern zeitigt eine andere interessante Regularität: <strong>Die</strong> Analyse-Coverage beeinflusst<br />

hauptsächlich die Verlierer-Gruppe (P1), und deren Einfluss auf die Gewinner-Gruppe<br />

(P3) ist unbedeutend. Innerhalb der Verlierer-Gruppe (P1) beträgt die Performancedifferenz<br />

zwischen der Low- und High-Coverage-Gruppe 49 Basispunkte pro Monat, dagegen macht<br />

diese Performancedifferenz innerhalb der Gewinner-Gruppe (P3) nur unbedeutend 1 Basispunkt<br />

aus. D.h., die Momentumdifferenz zwischen der Low- und der High-Coverage-Gruppe<br />

in einer Grössenordnung von 48 Basispunkten pro Monat ist vollständig auf die Performancedifferenz<br />

innerhalb der Verlierer-Gruppe zurückzuführen. Somit ist eine differenzierte Betrachtung<br />

des Beitrags der Analyse-Coverage zur Informationsdiffusion notwendig: Der Beitrag<br />

ist gemäss der HLS-Studie nur dann gross, wenn das Analyse-Objekt zur Verlierer-<br />

Gruppe gehört.<br />

Wenn davon ausgegangen wird, dass das Informationsschock für die Verlierer-Gruppe im<br />

Durchschnitt negativ und hingegen für die Gewinner-Gruppe im Durchschnitt positiv ist, dann<br />

deutet das zweite Pattern darauf hin, dass sich die guten Nachrichten wesentlich schneller als<br />

die schlechten Nachrichten verbreiten und dass die externen Analysen im Hinblick auf die<br />

Verbesserung der Informationseffizienz erst dann eine wichtige Rolle spielen, wenn die firmenspezifischen<br />

Nachrichten schlechte Nachrichten sind. <strong>Die</strong> Asymmetrie in der Informationsdiffusion<br />

zwischen guten und schlechten Nachrichten kann dadurch herbeigeführt werden,<br />

dass die Firmen bei guten Nachrichten die Motivation haben, durch eine aktive Informationspolitik<br />

selber die positiven Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen und die Investoren<br />

172


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

so schnell wie möglich zu informieren. Somit scheint die Informationsdiffusion unabhängig<br />

von der Anzahl der externen Analysen zu sein. Dagegen haben die Firmen bei schlechten<br />

Nachrichten eine viel geringere Motivation, Transparenz zu schaffen und den Investoren die<br />

ungünstige Lage sofort zu kommunizieren. Somit ist der Grenzbeitrag der externen Analysen<br />

zur Informationsdiffusion in dem Fall besonders gross, wenn das Analyse-Objekt zur Verlierer-Gruppe<br />

gehört und der Informationsschock negativ ist. Aus dieser Sicht nehmen die externen<br />

Analysen die Rolle einer unentbehrlichen Kontrolle im Finanzmarkt ein, deren Beitrag<br />

zur Informationseffizienz echten Mehrwert schafft, weil die Firmen in den meisten Fällen eine<br />

asymmetrische Informationspolitik betreiben und der Finanzmarkt somit nicht von selbst informationseffizient<br />

ist.<br />

Interessant ist zu beobachten, welches Resultat die asymmetrische Informationspolitik erzeugt:<br />

Bei der Verlierer-Gruppe beträgt die monatliche Performancedifferenz zwischen der<br />

Low- und High-Coverage-Gruppe 49 Basispunkte, jährlich ca. 6%, d.h., die zu der Verlierergruppe<br />

gehörenden Firmen mit besserer externer Kontrolle sind 6% weniger unterbewertet als<br />

die Firmen in derselben Gruppe mit weniger externer Kontrolle. Mit anderen Worten sind sich<br />

die Investoren der asymmetrischen Informationspolitik der Firmen durchaus bewusst und fordern<br />

dementsprechend eine Vertrauensprämie, falls die Lage ungünstig wird, denn in diesem<br />

Fall gehen die Investoren davon aus, dass die Firmen motiviert sind, die schlechten Nachrichten<br />

zu vertuschen, so dass die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass die Informationen unvollständig<br />

sind. Aus dieser Überlegung ist ein Vertrauensabschlag rational, und das abnormale<br />

Preispattern in den Aktien mit kleiner Size, meistens mit schlechter externer Kontrolle, kann<br />

somit zum Teil durch die Ineffizienz der Information, welche durch die asymmetrische Informationspolitik<br />

der Firmen herbeigeführt worden ist, erklärt werden. Aus den Daten lässt sich<br />

beobachten, dass der Saldo der asymmetrischen Informationspolitik für die Firmen negativ ist,<br />

denn je transparenter die Informationen in ungünstigen Situationen sind, desto kleiner ist die<br />

Unterbewertung oder desto kleiner ist der Vertrauensabschlag. Dementsprechend sollte eine<br />

transparente Informationspolitik besser als eine asymmetrische Informationspolitik sein, und<br />

die Verbesserung der Transparenz liegt klar im eigenen Interesse der Firmen.<br />

Ausgehend von der signifikanten Performancedifferenz zwischen der Low- und High-<br />

Coverage-Gruppe in den Verliereraktien, 49 Basispunkte pro Monat (jährlich 6%) mit einer t-<br />

Statistik von 4.64, haben HLS eine attraktive Anlagestrategie identifiziert, nämlich long „Verlierer&High-Coverage“<br />

und gleichzeitig short „Verlierer&Low-Coverage“. Sie bezeichnen<br />

173


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

diese Strategie als „LAST“ Strategie, „loser-analyst-spread trade“. <strong>Die</strong>se Strategie ist nicht<br />

nur risikoneutral, sondern auch sizeneutral und momentumneutral. 353<br />

Der Ansatz der „Residual Analyse-Coverage“ ist um den Size-Effekt bereinigt, damit das Untersuchungsergebnis<br />

nicht durch das abnormale Preispattern bei den kleinen Aktien verzerrt<br />

wird. Im Hinblick auf die Untersuchung der Informationsdiffusion ist Size jedoch ein wichtiger<br />

Aspekt, denn der Unterschied bei Size impliziert nicht nur einen Unterschied in der Analyse-Coverage,<br />

sondern auch einen Unterschied in der Informationsdiffusion. Bei Firmen mit<br />

grosser Marktkapitalisierung, die sich dank der intensiven externen Analysen durch hohe Informationstransparenz<br />

auszeichnen, sollte die Informationsdiffusion genügend schnell und das<br />

Momentum dementsprechend unbedeutend sein, dagegen sollte eine Verzerrung durch die<br />

graduelle Informationsdiffusion, ausgedrückt durch das Momentum, bei den Firmen mit kleiner<br />

Marktkapitalisierung beobachtbar sein. HLS haben in ihrer Untersuchung die Rolle von<br />

Size unter die Lupe genommen: 354<br />

Tabelle 11: Size, Residual-Analyse-Coverage und Momemtum<br />

20 th –40 th Perc. 40 th -60 th Perc. 60 th -80 th Perc. 80 th -100 th Perc.<br />

1.51% (6.46)<br />

1.06% (4.49)<br />

0.61% (4.11)<br />

0.09% (0.49)<br />

Momentum (P3-P1)<br />

Low-Coverage Mean-Size: 63 Mio. Mean-Size: 199 Mio. Mean-Size: 653 Mio. Mean-Size: 5056 Mio.<br />

Median-Coverage:0.0 Median-Coverage:0.6 Median-Coverage:4.7 Median-Coverage:11.1<br />

Momentum (P3-P1) 1.39% (5.48) 0.98% (4.95) 0.32% (1.62) 0.009% (0.05)<br />

Medium-Coverage Mean-Size: 61 Mio. Mean-Size: 207 Mio. Mean-Size: 678 Mio. Mean-Size: 5163 Mio.<br />

Median-Coverage:0.9 Median-Coverage:4.6 Median-Coverage:9.0 Median-Coverage:18.8<br />

Momentum (P3-P1) 1.15% (5.10) 0.73% (4.60) 0.43% (2.02) 0.07% (0.33)<br />

High-Coverage Mean-Size: 64 Mio. Mean-Size: 202 Mio. Mean-Size: 663 Mio. Mean-Size: 3650 Mio.<br />

Median-Coverage:4.1 Median-Coverage:7.6 Median-Coverage:14.7 Median-Coverage:24.9<br />

Low minus High 0.36% (2.13) 0.33% (1.95) 0.18% (1.18) 0.02% (0.14)<br />

Quelle: Hong, Lim und Stein (2000) Table V<br />

Aus den Daten lässt sich beobachten, dass die grössten Aktien, die Gruppe im 80.-100. Perzentil<br />

mit einer Marktkapitalisierung zwischen 3 bis 5 Milliarden $, im Vergleich zu anderen<br />

353<br />

Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S.274-275;<br />

354<br />

Size is sorted using NYSE/AMEX breakpoints, t-statistics are in parentheses. This Table includes only stocks<br />

above the NYSE/AMEX 20<br />

174<br />

th Percentile. Portfolio P1 is an equally weighted portfolio of stocks in the worst<br />

performing 30 percent, and portfolio P3 includes the best performing 30 percent.Vgl. Hong, Lim und Stein<br />

(2000) Table V;


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Gruppen eine deutlich höhere Analyse-Coverage haben und das Momentum in diesem Segment<br />

ökonomisch unbedeutend und statistisch insignifikant ist, quasi nicht von null verschieden<br />

ist. Mit anderen Worten ist die Informationsdiffusion hier nicht graduell, sondern genügend<br />

schnell, und somit lässt sich eine Informationseffizienz in dieser Gruppe beobachten.<br />

Hingegen haben die Aktien mit einer kleineren Marktkapitalisierung, die Gruppe im 20.-40.<br />

Perzentil mit einer Mean-Size von ca. 60 Millionen $, eine deutlich niedrigere Analyse-<br />

Coverage als die anderen Gruppen, und das Momentum in dieser Gruppe ist nicht nur deutlich<br />

höher als das Momentum in anderen Gruppen, sondern auch statistisch hoch signifikant. Das<br />

hohe Momentum reflektiert eine graduelle Informationsdiffusion in diesem Segment, und von<br />

einer Informationseffizienz kann also nicht die Rede sein. Das Momentum der Gruppen im<br />

40.-60. Perzentil sowie im 60.-80. Perzentil ist ökonomisch bedeutend und statistisch signifikant<br />

und stellt ein Abbild der graduellen Informationsdiffusion in diesem Segment dar. <strong>Die</strong><br />

Differenz des Momentums zwischen Low- und High-Coverage, „Low minus High“, kann als<br />

der Beitrag der Analyse-Coverage zur Informationsdiffusion verstanden werden. Bei Small-<br />

Caps, den Aktien im 20.-40. Perzentil, beträgt diese Differenz 36 Basispunkte pro Monat mit<br />

einer t-Statistik von 2.13, und dieser Beitrag sinkt, wenn mit Vergrösserung der Size die Analysenanzahl<br />

zunimmt. Bei Aktien im 60.-80. Perzentil sinkt die Differenz um die Hälfte auf<br />

18 Basispunkte pro Monat mit einer t-Statistik von 1.18, und bei den grössten Aktien verschwindet<br />

diese Differenz schliesslich vollständig. <strong>Die</strong>s ist konsistent mit der Annahme, dass<br />

der Grenzbeitrag der Analyse zur Informationsdiffusion mit der Erhöhung der Analysenanzahl<br />

abnimmt und ab einem bestimmten Niveau auf eine Konstante konvergiert. Aus den Zahlen<br />

lässt sich beobachten, dass der Grenznutzen einer zusätzlichen Analyse bei Small-Caps<br />

am grössten ist, wo das entsprechende Momentum jährlich ca. 18% beträgt.<br />

Dem Untersuchungsergebnis von HLS zufolge ist bei der Beurteilung der Informationseffizienz<br />

eine differenzierte Betrachtung notwendig: Im Segment der Bluechips (Top 20% aller<br />

Aktien mit Grösse als Kriterium), zeichnet sich der Finanzmarkt weitgehend durch eine starke<br />

Effizienz der Informationen aus, allerdings ist diese Effizienz bei den restlichen 80% aufgrund<br />

der graduellen Informationsdiffusion schwächer. Je nach Segment weist der Markt einen<br />

unterschiedlichen Grad an Effizienz auf, und eine pauschale Beantwortung der Frage der<br />

Effizienz mit „entweder-oder“ ist aus dieser Sicht somit wenig sachlich.<br />

Es stellt sich die Frage, warum ein Unterschied hinsichtlich des Grades der Effizienz zu beobachten<br />

ist. Gemäss der Effizienztheorie sollten alle Informationen sofort in den Preis ein-<br />

175


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

fliessen, sobald sie öffentlich verfügbar sind, demzufolge ist die Anzahl der externen Analysen<br />

irrelevant, und wichtig ist nur die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen, wie beispielsweise<br />

durch Massenmedien. Aus dieser Überlegung lässt sich das Momentum bei Med-<br />

Caps, den Aktien im 40.-80. Perzentil, wo die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen<br />

gegeben ist, schwer erklären. Eine mögliche Erklärung hier ist, dass die öffentliche Verfügbarkeit<br />

der Informationen nicht hinreichend für einen effizienten Zustand ist und die Effizienz<br />

die Bearbeitung und Entcodierung der Rohinformationen durch Fachexperten voraussetzt. Mit<br />

anderen Worten ist der durchschnittliche Marktteilnehmer nicht unbedingt in der Lage, die<br />

verfügbaren Informationen zu nutzen. <strong>Die</strong> Effizienz wird in dieser Hinsicht durch Fachspezialisten<br />

geschaffen, denn je mehr externe Analysen es gibt, desto kleiner ist das Momentum und<br />

desto effizienter ist der Markt.<br />

Um zu überprüfen, ob ein Zusammenhang zwischen serieller Korrelation und der Informationsdiffusion<br />

(mit Residual-Analyst-Coverage als Proxy) besteht, testen HLS die Hypothese<br />

direkt durch eine Regression, wobei die seriellen Korrelationen als Regressand und „residual<br />

analyst coverage“ und Size als Regressoren eingesetzt werden. <strong>Die</strong> Koeffizienten der Analyse-Coverage<br />

sind in 13 von 14 Fällen negativ und meistens statistisch signifikant. <strong>Die</strong> Koeffizienten<br />

von Size sind auch meistens negativ, aber statistisch insignifikant. 355 Zu demselben<br />

Resultat kommt die Regressionsanalyse somit, nämlich negative Korrelation zwischen Momentum<br />

und Analyse-Coverage: Je niedriger die Analyse-Coverage ist, d.h., je gradueller die<br />

Informationsdiffusion ist, desto höher ist das Momentum.<br />

355 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table IX;<br />

176


6.1.2.3 Bemerkung<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Der Ausgangspunkt des Informationsdiffusions-Tests ist die vom Overconfidenceansatz abgeleitete<br />

neue Hypothese: Es sollte mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen vorhanden<br />

sein, bei denen die Informationsdiffusion gradueller ist. Mit „residual analyst coverage“ als<br />

Proxy für die Informationsdiffusion kann überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen<br />

Informationsdiffusion und abnormalem Preispattern besteht. Der <strong>empirische</strong> Befund zeigt,<br />

dass dieser Zusammenhang tatsächlich existiert: je gradueller die Informationsdiffusion oder<br />

je schwächer die Informationseffizienz ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit des abnormalen<br />

Preispatterns wie Momentum.<br />

Neben Rendite und Risiko ist die Information die dritte Kerngrösse in der Finanzmarkttheorie.<br />

Wie effizient die Information ist, ist das wohl kontroverseste Thema in der Forschung. Da<br />

Effizienz ein transzendenter Begriff ist, ist die Annahme der Effizienz oder Ineffizienz empirisch<br />

schlecht überprüfbar, so dass in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik vor<strong>empirische</strong><br />

Annahmen und Entscheidungen oft involviert sind. Der Informationsdiffusions-Test<br />

stellt eine andere Möglichkeit dar, die Annahme über die Informationseffizienz empirisch zu<br />

untersuchen, und das Resultat ist im Hinblick auf die Effizienzdiskussion nicht uninteressant:<br />

<strong>Die</strong> öffentliche Verfügbarkeit der Informationen impliziert noch keinen effizienten<br />

Zustand. Ein effizienter Zustand setzt voraus, dass erstens die Rohinformationen<br />

durch Fachspezialisten entcodiert und bearbeitet werden und zweitens, dass die Breite<br />

und Tiefe der Ausbreitung der Informationen genügend sein muss. Das heisst, die<br />

öffentlichen Informationen fliessen nicht von sich selber sofort in den Preis ein, und<br />

die Synchronisation zwischen Informationen und Preisveränderungen muss also<br />

nicht zwingend perfekt sein.<br />

<strong>Die</strong> Information ist nicht entweder effizient oder ineffizient. Bei der Effizienzfrage<br />

ist eine differenzierte Betrachtung notwendig: Im Segment der grössten und<br />

wichtigsten Aktien (20% aller Aktien) zeichnet sich der Aktienmarkt durch eine<br />

starke Effizienz aus; Und hingegen im Segment von Med- und Small-Caps (80% aller<br />

Aktien) ist die Effizienz jedoch schwach. Somit ist eine „sowohl als auch“<br />

Sichtweise angebracht.<br />

<strong>Die</strong> Informationsdiffusion ist asymmetrisch: Schlechte Nachrichten verbreiten<br />

sich langsam, gute Nachrichten hingegen schnell.<br />

177


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

<strong>Die</strong> asymmetrische Informationspolitik der Unternehmen führt zu einem negativen<br />

Saldo, denn die Überreaktion des Investors aufgrund des Misstrauens im Falle<br />

schlechter Nachrichten (wie Gewinnwarnungen) führt zu einer (übertriebenen) Unterbewertung<br />

der entsprechenden Titel.<br />

Der Aktienmarkt ist dann besonders ineffizienzverdächtig, wenn das Med- und<br />

Small-Cap Segment von schlechten Nachrichten betroffen ist. D.h., die Gefahr einer<br />

Überreaktion ist in diesem Fall gross.<br />

<strong>Die</strong> Effizienz ist kein Naturphänomen, sondern eine Wertschöpfung der Fachspezialisten.<br />

Der grösste Grenzbeitrag der Aktienanalyse zur Informationseffizienz ist<br />

die Analyse der Titeln von Small-Caps.<br />

Wie gut dieser <strong>empirische</strong> Befund die Wirklichkeit beschreibt, bleibt eine offene Frage und<br />

lässt sich nur durch weitere Tests überprüfen. Wichtig ist hier wiederum nicht das Resultat,<br />

sondern die Möglichkeit, die behavioralen Aussagen Out-of-Sample testen zu können. Was<br />

behaviorale Ansätze betrifft, hat der Diffusionstest nicht nur die Annahme der graduellen Informationsdiffusion<br />

empirisch überprüft, sondern zeigt vor allem auch die Grenze der behavioralen<br />

Ansätze auf: Für die Preisänderungen im Segment der grössten und wichtigsten Aktien<br />

(20% aller Aktien) haben die behavioralen Ansätze wenig Erklärungsgehalt, sie sind eher Ansätze<br />

für das Segment von Med- und Small-Caps, und haben insbesondere dann einen grossen<br />

Erklärungsgehalt, wenn dieses Segment von schlechten Nachrichten betroffen ist. Es sollte<br />

darauf hingewiesen werden, dass die Basis des Diffusionstests wie in anderen Tests schwankend<br />

ist, denn der Beweis fehlt, dass die Analyse-Coverage den Grad der Informationsdiffusion<br />

reflektiert. Es handelt sich dabei wiederum um eine Annahme, jedoch scheint diese Annahme<br />

a priori plausibel zu sein, und die dadurch gewonnenen Befunde sind ökonomisch<br />

durchaus sinnvoll.<br />

178


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6.1.3 Möglichkeit der direkten Überprüfung<br />

DHS gehen von Overconfidence der Insider aus, ausgedrückt durch Unterschätzung der Risi-<br />

ken vom Insider: σC 2 < σε 2 . 356 <strong>Die</strong> Unterschätzung der Risiken führt zu einer Über- bzw. Un-<br />

terreaktion, und folglich ist die serielle Korrelation ungleich null: 357<br />

COV<br />

COV<br />

P<br />

2 2 2 2<br />

σ θ σ C ( σ ε − σ C )<br />

P P − P0<br />

) = −<br />

< 0<br />

2 2 2 2 2 2<br />

( σ + σ )( σ ( σ + σ ) + σ σ )<br />

( 2 − 1,<br />

1<br />

2<br />

θ C θ C p C p<br />

6 2 2 2 2<br />

σ θσ<br />

Cσ<br />

p ( σ ε − σ C )<br />

P − P P − P1<br />

) =<br />

> 0<br />

2 2 2 2 2 2 2<br />

( σ + σ )( σ ( σ + σ ) + σ σ )<br />

( 3 2,<br />

2<br />

2<br />

θ C θ C p C p<br />

Ein Wenn-Dann-Satz liegt vor: wenn der Inverstor overconfident (σC 2 < σε 2 ) ist, dann kommt<br />

es zur Über- bzw. Unterreaktion. Es ist eine offene Frage, wie das Overconfidencemodell<br />

direkt getestet werden kann. Jedoch kann in einem ersten Schritt überprüft werden, ob die<br />

Möglichkeit besteht, den Overconfidenceansatz direkt zu falsifizieren. Eine direkte Überprü-<br />

fungsmöglichkeit liegt darin, zu untersuchen, ob σC 2 < σε 2 gilt. Aus den Preisveränderungen<br />

in der Periode, wo nur das private Signal eintrifft, kann die Information über σC 2 gewonnen<br />

werden, und die Preisveränderungen sowie die eventuellen Korrekturen in der nachfolgenden<br />

Periode, wo die private Information öffentlich wird, geben Informationen über σε 2 . Da in den<br />

<strong>empirische</strong>n Untersuchungen der seriellen Preisabhängigkeiten die Autokorrelationen der<br />

Wertpapierrendite im Allgemeinen nicht auf das Auftreten privater bzw. öffentlicher Informationssignale<br />

konditioniert werden, ist die Durchführbarkeit solcher Überprüfung aufgrund der<br />

Datenproblem stark beschränkt.<br />

Eine andere Möglichkeit zur direkten Falsifikation des Overconfidencemodells ist zu überprü-<br />

fen, ob overconfidente Investoren die Risiken tatsächlich unterschätzen, was σC 2 < σε 2 impli-<br />

ziert. Wenn dies der Fall ist, dann sollte dieses Behavior empirisch beobachtet werden können:<br />

Es sollte beobachtet werden, dass das Portfoliobeta der overconfidenten Investoren (Insider)<br />

systematisch höher als das Portfoliobeta der Matched-Investoren ist und dass diese Differenz<br />

statistisch signifikant ist, da die overconfidenten Investoren aufgrund der Unterschätzung<br />

der Risiken unbewusst eine grössere Risikotoleranz als im normalen Fall haben. Was<br />

356<br />

σC 2 : die durch „overconfidente“ Investoren geschätzte Varianz des privaten Signals; σε 2 : die korrekte Varianz<br />

des privaten Signals; σp 2 : die Varianz des entsprechenden öffentlichen Signals; σθ 2 : die Varianz des Underlyings;<br />

357<br />

Wenn σC 2 < σε 2 ist, dann ist cov(P2-P1, P1-P0) negativ. Wenn σC 2 = σε 2 ist, d.h.: keine Unterschätzung der<br />

Risiken durch Insider, dann ist cov(P2-P1, P1-P0) gleich null.<br />

179


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

den Betavergleich betrifft, ist es vor allem wichtig, eine gute Matching-Gruppe als<br />

Vergleichsbenchmark zu konstruieren, die im Hinblick auf Vermögensausstattung, Investmenterfahrung,<br />

Ausbildung sowie demographische Eigenschaft der Insider-Gruppe möglichst<br />

homogen sein sollte. Als Kontrolle kann ein zweiter Betavergleich durchgeführt werden, indem<br />

das gesamte Investment der Insider-Gruppe in zwei Portfolios unterteilt wird: Ein Investment-Portfolio<br />

mit Insiderinformation und ein Investment-Portfolio ohne Informationsvorsprung,<br />

um dann deren Betas zu vergleichen. In ihrem Overconfidence-Test haben Barber<br />

und Odean (1999) auch das Portfoliobeta zwischen der Overconfidence-Gruppe und der Matching-Gruppe<br />

verglichen, und das Portfoliobeta der Overconfidence-Gruppe ist tatsächlich<br />

statistisch signifikant höher als das Beta der Benchmark-Gruppe. 358<br />

358 Vgl. Barber und Odean (1999 b) Table 4, S.37;<br />

180


6.2 Testbarkeit des Sentiments<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Das Sentimentmodell führt die Existenz des Sentiments auf Representativeness-Bias zurück:<br />

<strong>Die</strong> Investoren betrachten die fortdauernden Kursentwicklungen in eine Richtung innerhalb<br />

einer kurzen Periode als repräsentativ für einen Trend, und umgekehrt werden die abwechselnden<br />

Kursentwicklungen als repräsentativ für Reverting wahrgenommen. <strong>Die</strong>s führt dazu,<br />

dass die Randombewegung der Rendite verzerrt wahrgenommen wird und Sentiment, stark<br />

oder schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung, entsteht. Wenn sich der Investor<br />

tatsächlich so verhält, wie es das Sentiment-Modell prognostiziert, dann sollte dieses Behavior<br />

beobachtet werden können. Konkret sollte der Glaube an Mean-Reversion durch das<br />

Contrarian Behavior 359 zum Ausdruck kommen. Umgekehrt reflektiert das Momentum Behavior<br />

360 den Glauben an einen Trend. Gemäss dem Sentiment-Modell sollte der nichtprofessionelle<br />

Investor entweder Contrarian Behavior oder Momentum Behavior zeigen 361 ,<br />

wobei das Contrarian Behavior dominierend sein sollte. Daraus lässt sich eine neue Out-of-<br />

Sample testbare Prognose ableiten: Der nicht-professionelle Investor kauft gerne Verliereraktien<br />

und verkauft gerne Gewinneraktien. <strong>Die</strong>se neue Prognose steht im Widerspruch zum traditionellen<br />

Konzept, wonach sich der nicht-professionelle Investor bei seiner Investmententscheidung<br />

indifferent gegenüber den sogenannten Gewinnern und Verlierern verhalten sollte,<br />

weil angesichts der Randombewegung der Rendite und der strengen Marktdisziplin keine rationalen<br />

Gründe gefunden werden können, dass der nicht-professionelle Investor bei der<br />

Kaufentscheidung die sogenannten Verliereraktien und bei der Verkaufentscheidung die sogenannten<br />

Gewinneraktien systematisch bevorzugen sollte. Beim Test der neuen Prognose<br />

geht die Nullhypothese somit davon aus, dass sich der nicht-professionelle Investor bei seiner<br />

Investmententscheidung indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- sowie Verliereraktien<br />

verhält, d.h., er zeigt weder Contrarian Behavior noch Momentum Behavior.<br />

359<br />

Contrarian Behavior: Beim Kauf von Wertpapieren werden die Verliereraktien bevorzugt, beim Verkauf die<br />

Gewinneraktien. Long Verliereraktien > Short Verliereraktien; Long Gewinneraktien < Short Gewinneraktien;<br />

360<br />

Momentum Behavior: Beim Kauf von Wertpapieren werden die Gewinneraktien bevorzugt, beim Verkauf die<br />

Verliereraktien. Long Verliereraktien < Short Verliereraktien; Long Gewinneraktien > Short Gewinneraktien;<br />

361<br />

<strong>Die</strong> verzerrte Wahrnehmung der Randombewegung durch behaviorale Biases sollte bei nicht-professionellen<br />

Investoren am deutlichsten sein. <strong>Die</strong> Verzerrung sollte mit der Erhöhung der Professionalität sinken.<br />

181


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6.2.1 Der Sentiment-Test: Contrarian Behavior<br />

6.2.1.1 Contrarian Behavior bei der Kaufentscheidung<br />

A. Daten und Methode<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung des Investmentbehaviors des Investors setzt die Verfügbarkeit von detaillierten<br />

Transaktions- sowie Renditedaten voraus. Aus den Mikrodaten über die Tradingrecords<br />

und Position-Statements der Retail-Investoren lassen sich Informationen gewinnen, wo<br />

die Investoren long und short gehen, und mit den Renditeninformationen kann dann festgestellt<br />

werden, ob ein systematisches Pattern in den Kaufentscheidungen zu beobachten ist. Im<br />

Falle vom Contrarian Behavior sollte beobachtet werden, dass „Past-Losing-Stocks“ einen<br />

überdurchschnittlichen Anteil an den gekauften Wertpapieren ausmachen.<br />

Aufgrund der beschränkten Datenverfügbarkeit ist die Untersuchung des Investmentbehaviors<br />

aller Investorenkategorien für die meisten Teilmärkte jedoch weiterhin unmöglich. Finnland<br />

gehört zu den ersten Ländern, die Defizite in diesem Bereich abzubauen beginnen, indem<br />

„The Central Register of Shareholdings for Finnish Stocks in the Finnish Central Securities<br />

Depository (FCSD)” die entsprechenden Transaktionsdaten seit 1995 systematisch ansammelt.<br />

<strong>Die</strong> meisten öffentlich gehandelten finnischen Aktien sind durch das Zentralregister<br />

erfasst, und die Abdeckung erreicht 97% der Marktkapitalisierung der finnischen Aktien. Das<br />

Register dokumentiert sowohl den Aktienbesitz aller finnischen Investoren bei FCSD-Titeln<br />

(Retail- sowie Institutionelle-Investoren) als auch deren Transaktionen (Aktienhandel) auf<br />

einer Tagesbasis. Für beide Investorentypen, Retail-Investoren sowie institutionelle Investoren,<br />

ist die Registrierung (Holdings & Tradings) in Finnland rechtlich zwingend, und nur der<br />

ausländische Investor darf sich ausnahmsweise unter einem anonymen Namen registrieren<br />

lassen. 362 <strong>Die</strong> finnische Datenbasis ist wahrscheinlich die erste in der ganzen Welt, welche die<br />

Transaktionen des ganzen Marktes systematisch und umfassend erfasst, und die finnischen<br />

Daten sollten auch eine bessere Qualität und höhere Verlässigkeit als in anderen Fällen aufweisen,<br />

weil die Registrierung das öffentliche Zertifikat des Eigentums repräsentiert. 363<br />

Mit diesen einzigartigen finnischen Daten haben Grinblatt und Keloharju (2000) das Investmentbehavior<br />

der finnischen Investoren untersucht, wobei die Rendite auf Basis der täglichen<br />

Closing-Preise der Helsinki Stock Exchange mit entsprechenden Anpassungen für Splits<br />

362 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.46-48;<br />

363 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.46;<br />

182


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

sowie Dividenden berechnet und die einmonatige Finnish Markka Helsinki Interbank Offered<br />

Rate, HELIBOR, als Proxy für die risikofreie Rendite angewandt wurde. 364 Um die möglichen<br />

Verzerrungen durch den Size-Effekt oder ausserordentliche Entwicklungen wie M&A zu<br />

vermeiden, konzentriert sich die Untersuchung von Grinblatt und Keloharju (2000) nur auf<br />

den Handel bei den 16 grössten finnischen Aktien, die in der Testperiode (01.95-12.96) keinen<br />

Merger erlebt haben und insgesamt 52% der Marktkapitalisierung ausmachen. 365<br />

Zur Feststellung des Investmentbehaviors haben Grinblatt und Keloharju (2000) den Style-<br />

Approach eingeführt: Momentum Style und Contrarian Style. Das Investmentbehavior einer<br />

Investoren-Gruppe am Tag t wird demnach durch die Differenz zwischen der durchschnittlichen<br />

Buy-Ratio 366 der Past-Winning-Stocks (top quartile Stocks) und der durchschnittlichen<br />

Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks (lowest quartile Stocks) gemessen. 367 Eine Investoren-<br />

Gruppe weist dann das Momentum Behavior an einem Handelstag t auf, wenn die Buy-Ratio<br />

Differenz positiv ist, d.h., die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks dieser<br />

Gruppe am Tag t ist höher als die entsprechende durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing<br />

Stocks. Dagegen impliziert eine negative Buy-Ratio Differenz das Contrarian Behavior. 368<br />

Wenn eine Investorengruppe die Contrarian Strategie bevorzugt und dementsprechend in der<br />

meisten Zeit der Untersuchungsperiode das Contrarian Behavior aufweist, d.h., der Anteil der<br />

Tage (fraction of days), in denen die Buy-Ratio Differenz negativ ist, deutlich höher als 50%<br />

ist, dann hat sie ein Contrarian Style. Umgekehrt reflektiert das Überwiegen der positiven<br />

Buy-Ratio Differenz ein Momentum Style. Falls sich die Investorengruppe bei ihren Entscheidungen<br />

indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- sowie Verliereraktien verhält,<br />

entsprechend der Nullhypothese, dann sollte der Anteil der Tage, an welchen die Buy-Ratio<br />

Differenz negativ ist, in der Nähe von 50% liegen.<br />

364 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S. 49;<br />

365 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.48;<br />

366 Buy Ratio = Buy Volumen / (Buy Volumen + Sell Volumen);<br />

367 „Stocks receive an equal weight rather than a value or volume weight in the buy ratio average to prevent<br />

Nokia, by far the largest and most actively traded company, from dominating the results.” Vgl. Grinblatt und<br />

Keloharju (2000) S.53;<br />

368 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.52f;<br />

183


B. Empirische Befunde<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Weil die Transaktionsdaten erst seit 1995 verfügbar sind, ist der Beobachtungszeitraum entsprechend<br />

kurz und die Erklärungsmacht der Untersuchung beschränkt. Aus den Daten von<br />

01.95-12.96 kann jedoch ein erster Eindruck gewonnen werden. In der Untersuchung von<br />

Grinblatt und Keloharju werden sämtliche Investoren in Finnland in 6 Subgruppen unterteilt:<br />

Haushalte, Nonprofit-Institutionen, öffentliche Institutionen, Finanz-Institutionen, Nonfinancial<br />

Corporations sowie ausländische Investoren. 369 Je nach Past-Return-Horizont 370 werden<br />

dann die Gewinner- sowie Verliereraktien identifiziert, und auf dieser Basis wird die Buy-<br />

Ratio Differenz, die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks von einer bestimmten<br />

Gruppe am Tag t minus die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing Stocks<br />

dieser Gruppe an demselben Tag, berechnet. <strong>Die</strong> Tage, an denen die Buy-Ratio Differenz<br />

positiv ist, werden addiert, um den Anteil der positiven Buy-Ratio Differenzen zu berechnen<br />

371 :<br />

Tabelle 12: <strong>Die</strong> Differenz der Buy-Ratio<br />

Proportion of positive buy ratio differences<br />

1 week<br />

Past performance period<br />

1 month 6 month<br />

Households 0.353 (p=0.000) 0.299 (p=0.000) 0.159 (p=0.000)<br />

Nonprofit institutions 0.392 (p=0.000) 0.420 (p=0.006) 0.311 (p=0.000)<br />

<strong>Finance</strong> institutions 0.434 (p=0.005) 0.506 (p=0.793) 0.390 (p=0.000)<br />

Foreign investors 0.608 (p=0.000) 0.572 (p=0.002) 0.647 (p=0.000)<br />

Quelle: Grinblatt und Keloharju (2000) Table 3;<br />

Aus dem Untersuchungsergebnis lässt sich beobachten, dass die Proportion der positiven<br />

Buy-Ratio Differenzen in den meisten Fällen statistisch signifikant von 0.5 abweicht. Mit<br />

anderen Worten verhält sich die Investorengruppe bei ihren Investmententscheidungen nicht<br />

369<br />

In der Tabelle 12 und 13 werden die Befunde über vier wichtigen Supgruppen aufgezeigt.<br />

370<br />

Es werden 5 Past-Return-Horizonte angewandt: 1 Tag, 1 Woche, 1 Monat, 5 Monate, 6 Monate. Vgl. Grinblatt<br />

und Keloharju (2000) Table 3, S.56;<br />

371<br />

For 1995-1996, the table reports the fraction of positive daily buy ratio differences for each categories of<br />

investors, along with the significance level of a two-tailed binomial sign test that the fraction of positive differences<br />

is one half. Each day’s buy ratio difference is generated by subtracting the average buy ratio for stocks<br />

with past returns in the loser quartile from the average buy ratio of stocks with past returns in the winner quartile.<br />

The past return used for ranking a stock are based on various prior return intervals relative to day t. In the absence<br />

of momentum or contrarian behavior, the average buy ratio difference should be zero and the fraction of<br />

measured positive buy ratio differences should be one-half. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 3, S.56;<br />

184


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- und Verliereraktien, und die Nullhypothese,<br />

dass das systematisch abnormale Verhaltensmuster ausbleibt, ist zu verwerfen.<br />

Das Investmentbehavior der finnischen Haushalte ist der Untersuchung zufolge durch einen<br />

Contrarian Style geprägt: Mit einem Monat als Past-Return-Horizont haben sie beispielsweise<br />

an 70% der Handelstage eine negative Buy-Ratio Differenz, d.h., in mehr als 2/3 der Beobachtungszeit<br />

ist ihre durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks höher als ihre<br />

durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks. <strong>Die</strong> Proportion ist noch höher, falls<br />

sechs Monate als Past-Return-Horizont eingesetzt werden, und in diesem Fall beträgt die Proportion<br />

der negativen Buy-Ratio Differenzen gar 84%. <strong>Die</strong> finnischen Haushalte scheinen bei<br />

Ihrer Investmententscheidung tatsächlich die Verliereraktien zu bevorzugen. Das Contrarian<br />

Behavior der Haushalte variiert jedoch mit der Investmentsize: Je kleiner die Investmentsize<br />

ist, desto ausgeprägter ist das Contrarian Behavior. 372 Falls die Investmentsize der Haushalte<br />

als ein Proxy für deren Professionalität betrachtet werden darf, dann ist die Frequenz des<br />

Contrarian Behaviors mit der Professionalität invers korreliert, d.h., je unprofessioneller der<br />

Investor ist, desto häufiger zeigt er abnormales Behavior wie Contrarian in seinen Investmententscheidungen.<br />

Dem Behavior-Ansatz nach ist dieses abnormale Behavior auf verzerrte<br />

Wahrnehmung der Randombewegung zurückzuführen, und demnach lautet die Botschaft der<br />

Daten: Je unprofessioneller der Investor ist, desto verzerrter ist seine Wahrnehmung.<br />

<strong>Die</strong> inverse Beziehung zwischen der Frequenz des abnormalen Behaviors wie Contrarian und<br />

Professionalität lässt sich nicht nur innerhalb der Investorengruppe „Haushalte“, sondern auch<br />

im gesamten finnischen Markt beobachten, falls Haushalte als nicht-professionelle Investoren,<br />

die Nonprofit-Institution als halbprofessionelle Investoren und Finanzinstitution als professionelle<br />

Investoren betrachtet werden dürfen und die Proportion der positiven Buy-Ratio Differenzen<br />

mit dem Wert 0.5 das rationale Behavior kennzeichnen kann. Der Untersuchung zufolge<br />

weist das Behavior des nicht-professionellen Investors die grösste Abweichung zum<br />

rationalen Behavior auf, und diese Abweichung sinkt kontinuierlich, je mehr die Professionalität<br />

steigt: Mit einem Monat als Past-Return-Horizont beträgt beispielsweise die Abweichung<br />

bei der nicht-professionellen Investorengruppe 0.2 mit statistischer Signifikanz, und die Ab-<br />

372<br />

Mit 6 Monaten als Past-Return-Horizont beträgt die Proportion der negativen Buy-Ratio Differenzen: für<br />

einen Haushalt mit Small Portfolio-Size: 0.825; für einen Haushalt mit Medium-Portfoliosize: 0.765; für einen<br />

Haushalt mit Large-Portfoliosize: 0.658. <strong>Die</strong>selbe Relation zwischen Proportion der negativen Buy-Ratio Differenzen<br />

und Portfoliosize lässt sich auch bei anderen Past-Return-Horizonten beobachten. Vgl. Grinblatt und<br />

Keloharju (2000) Table 3, S.56;<br />

185


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

weichung sinkt auf 0.08, wenn die halbprofessionelle Investorengruppe betrachtet wird.<br />

Schliesslich lässt sich keine signifikante Abweichung (0.006, p=0.793) beobachten, wenn das<br />

Behavior der professionellen Investorengruppe untersucht wird.<br />

Das Abnehmen der Abweichung bei gleichzeitiger Erhöhung der Professionalität reflektiert<br />

die Evidenz, dass fachliche Ausbildung zur Reduktion der Verzerrung in der Wahrnehmung<br />

der Randombewegung beitragen kann, wenn davon ausgegangen wird, dass die Abweichung<br />

zum grossen Teil durch verzerrte Wahrnehmung herbeigeführt wird. Mit einem Monat als<br />

Past-Return-Horizont scheint die Wahrnehmung durch die Fachspezialisten verzerrungsfrei zu<br />

sein. Allerdings lässt sich bei anderen Past-Return-Horizonten weiterhin eine signifikante<br />

Abweichung beobachten, wenn auch das Muster der inversen Beziehung unverändert bleibt.<br />

Im Gegensatz zum deutlichen Contrarian Behavior des finnischen Haushalts zeigen die ausländischen<br />

Investoren, welche aus Mutual Funds, Hedge Funds sowie Foreign Investment<br />

Banks bestehen 373 und als Gegenpartei der finnischen Haushalt-Investoren verstanden werden<br />

können 374 , ein deutliches Momentum Behavior auf, d.h., die durchschnittliche Buy-Ratio der<br />

Past-Winning-Stocks ist grösser als die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks.<br />

Mit anderen Worten bevorzugt diese Gruppe bei ihren Investmententscheidungen die Gewinneraktien,<br />

und dieses Momentum Style ist nicht inkonsistent mit den wichtigen Eigenschaften<br />

des internationalen Kapitalflusses: Kurzfristigkeit und Herdentrieb bei Winning-Stocks.<br />

Es kann sein, dass der Investor eine bestimmte Branche wie Telekommunikation (z.B. Nokia)<br />

bevorzugt und weder Mean Reversion noch Trend erwartet. In diesem Fall wird der Investor<br />

jedoch Contrarian Behavior aufweisen, wenn die Telekommunikationstitel in der Testperiode<br />

in der meisten Zeit zu den Verlierer-Gruppe gehören. Um diesen Fall zu kontrollieren, können<br />

im Weiteren die „mean-adjusted buy ratio differences“ 375 berechnet werden, wobei die Ab-<br />

373<br />

Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.57;<br />

374<br />

<strong>Die</strong>se Gruppe kann als Gegenpartei der Haushalte verstanden werden, wenn Buy-Winner durch Sell-Loser<br />

finanziert wird.<br />

375<br />

Mean-adjusted buy ratio differences: an investor category’s mean-adjusted buy ratio for a stock on a given<br />

day represents the deviation of an investor’s buy ratio for the stock on that day from the investor’s typical buy<br />

ratio for that stock throughout the sample period. For purposes of computing a typical buy ratio, the investor<br />

category’s daily buy ratios for the stock throughout the sample period is averaged excluding a window of up to<br />

240 days around the day that is being mean-adjusted. The exclusion window is necessary to avoid having behaviorial<br />

patterns with respect to six-month past returns contaminate the mean adjustment. Vgl. Grinblatt und Keloharju<br />

(2000) S.59;<br />

186


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

weichung der Buy-Ratio von deren Mittelwert als Ausgangspunkt dient, d.h., anstelle der absoluten<br />

Buy-Ratio ist die relative Buy-Ratio (aktuelle absolute Buy-Ratio minus typische<br />

Buy-Ratio) in der Testperiode ausschlaggebend. Dadurch sollte kein abnormales Behavior<br />

festgestellt werden können, wenn der Investor in der Tat indifferent gegenüber sogenannten<br />

Gewinnern oder Verlierern ist und nur bestimmte Branche bevorzugt. Mit der Methode der<br />

Mean-Adjustierung kontrollieren Grinblatt und Keloharju ihre Untersuchung und kommen zu<br />

demselben Pattern, wonach bei Haushalts-Investoren das Contrarian Behavior und bei ausländischen<br />

Investoren das Momentum Behavior vorherrscht: 376<br />

Tabelle 13: <strong>Die</strong> Differenz der Buy-Ratio mit einer Meanadjustierung<br />

Proportion of positive buy ratio differences<br />

(Using mean-adjusted buy ratio differences)<br />

Past performance period<br />

1 week 1 month 6 month<br />

Households 0.335 (p=0.000) 0.303 (p=0.000) 0.173 (p=0.000)<br />

Nonprofit institutions 0.429 (p=0.006) 0.464 (p=0.160) 0.388 (p=0.000)<br />

<strong>Finance</strong> institutions 0.428 (p=0.002) 0.508 (p=0.732) 0.398 (p=0.000)<br />

Foreign investors 0.592 (p=0.000) 0.566 (p=0.005) 0.643 (p=0.000)<br />

Quelle: Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4;<br />

Mit weiteren Tests kann dann geprüft werden, ob das Resultat robust ist. Beispielsweise kann<br />

die Buy-Ratio über die Anzahl der Transaktionen anstatt über das Volumen berechnet werden,<br />

oder die Testperiode kann in zwei Subperioden unterteilt und dann separat analysiert werden.<br />

In ihrem Robust-Test finden Grinblatt und Keloharju das gleiche Muster: Das Contrarian Behavior<br />

bei Haushalt-Investoren und das Momentum Behavior bei ausländischen Investoren. 377<br />

<strong>Die</strong> <strong>empirische</strong> Untersuchung von Grinblatt und Keloharju (2000) zeigt die Heterogenität des<br />

Behaviors der Investoren im finnischen Markt auf. Das Ergebnis weist darauf hin, dass die<br />

nicht-professionellen Investoren (die finnischen Haushalte) bei Investmententscheidungen das<br />

Contrarian Behavior aufweisen, wie die aus dem Sentiment-Modell BSV abgeleitete neue<br />

376 For 1995-1996, the table reports the fraction of positive daily “mean-adjusted” buy ratio differences for each<br />

categories of investors, along with the significance level of a two-tailed binomial sign test that the fraction of<br />

positive differences is one half. Each day’s mean-adjusted buy ratio difference is generated by subtracting the<br />

average mean-adjusted buy ratio for stocks with past returns in the loser quartile from the average mean-adjusted<br />

buy ratio of stocks with past returns in the winner quartile. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4, S.60;<br />

377 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4, S.61;<br />

187


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Prognose vorhersagt. 378 Für das Sentiment-Modell ist dieser Befund jedoch nur eine vorläufige<br />

Unterstützung, welche nicht überschätzt werden darf: Erstens ist der Beobachtungszeitraum<br />

sehr kurz, und zweitens ist es möglich, dass Finnland für den globalen Finanzmarkt<br />

nicht repräsentativ ist. Relevant in diesem Kontext ist nur, dass der Fortschritt bei der Datensammlung<br />

neue Möglichkeiten eröffnet, die behavioralen Aussagen zu überprüfen.<br />

378<br />

Weitere Untersuchung zeigt, dass die Haushalt-Investoren im Vergleich zu anderen Investoren-Gruppen die<br />

schlechteste Performance aufweisen und die besten Performer in Finnland die ausländischen Investoren (Mutual<br />

Funds, Hedge Funds sowie Foreign Investment Banks) sind. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 5, S.64;<br />

188


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6.2.1.2 Contrarian Behavior bei Verkaufsentscheidung<br />

<strong>Die</strong> aus dem Sentiment-Modell abgeleitete neue Prognose behauptet, dass der nichtprofessionelle<br />

Investor auch bei den Verkaufsentscheidungen aufgrund des Glaubens an Mean<br />

Reversion das Contrarian Behavior aufweisen sollte. Dementsprechend sollte beobachtet werden<br />

können, dass er mit Vorliebe die Gewinneraktien verkauft.<br />

A. Daten und Methoden<br />

Mit den detaillierten Transaktionsdaten über Tradingrecords sowie Position-Statements der<br />

Investoren kann getestet werden, ob der nicht-professionelle Investor (Haushaltinvestor) tatsächlich<br />

den Verkauf der Gewinneraktien bevorzugt. Im Falle von Contrarian Behavior sollte<br />

beobachtet werden können, dass Gewinneraktien im Vergleich zu Verliereraktien häufiger<br />

verkauft werden. Schon in den 80er Jahren haben die US-Finanz-Institutionen begonnen, detaillierte<br />

Transaktionsdaten der Retail-Investoren systematisch zu sammeln, und somit besteht<br />

die Möglichkeit, das Verkaufsbehavior der US-Investoren anhand dieser Daten zu untersuchen.<br />

Mit der Datenunterstützung eines grossen US-Discount-Brokerage Hauses hat Odean<br />

(1998) eine Untersuchung in diesem Bereich durchgeführt. Zur Beschränkung des Umfangs<br />

wurden 10'000 Kundenkontos per Zufall ausgewählt, und die Daten decken deren Transaktionen<br />

zwischen Anfang 1987 und Ende 1993 mit 162'948 Trading Records sowie 1'258'135<br />

Position Records ab. 379<br />

Um zu testen, ob der Haushalt-Investor beim Verkauf die Gewinneraktien bevorzugt, hat ein<br />

Vergleich der absoluten Anzahl der verkauften Gewinner und Verlierer wenig Aussagekraft,<br />

wenn sich der Markt in einem Boom befindet und von Assetinflation die Rede ist, denn in<br />

diesem Fall ist der Anteil der Gewinneraktien im Portfolio überproportional, so dass die absolute<br />

Anzahl der verkauften Gewinner dementsprechend höher ist, wenn auch sich der Haus-<br />

379<br />

The trades file includes the records of all trades made in the 10'000 accounts in sample period, and each record<br />

is made up of an account identifier, the trade date, the brokerage house’s internal number for the security<br />

traded, a buy-sell indicator, the quantity traded, the commission paid, and the principal amount. Multiple buys or<br />

sells of the same stock, in the same account, on the same day are aggregated. The positions file contains monthly<br />

position information for the 10'000 accounts in sample period, and each of its 1'258'135 records is made up of<br />

the account identifier, year, month, internal security number, equity, and quantity. Accounts that were closed<br />

between sample period are not replaced, thus the data set may have some survivorship bias in favor of more<br />

successful investors. Vgl. Odean (1998) S. 1780;<br />

189


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

haltinvestor beim Verkauf indifferent gegenüber Gewinner und Verlierer verhält. Somit bringt<br />

ein relativer Vergleich mehr Informationen: 380<br />

Re alizedGains<br />

= PGR (Proportion of Gains Realized)<br />

Re alizedGains<br />

+ PaperGains<br />

Re alizedLosses<br />

Re alizedLosses<br />

+ PaperLosses<br />

= PLR (Proportion of Losses Realized)<br />

Das Portfolio des Haushaltinvestors enthält sowohl Gewinner als auch Verlierer, 381 und wenn<br />

der Haushaltinvestor beim Verkauf tatsächlich die Gewinneraktien bevorzugt, dann ist zu<br />

beobachten, dass PGR grösser als PLR ist. D.h., der Investor neigt in diesem Fall dazu, eher<br />

die Gewinne zu realisieren. Beispielsweise hat ein Investor 6 Aktien in seinem Portfolio: A,<br />

B, C, D, E und F. Der aktuelle Verkaufpreis von A, B und C ist höher als ihr Kaufpreis, 382<br />

während der aktuelle Verkaufpreis von D, E, F niedriger als deren Kaufpreis ist. Mit anderen<br />

Worten sind A, B und C die Gewinner, D, E und F die Verlierer. <strong>Die</strong> andere Investorin hat 4<br />

Aktien in ihrem Portfolio: G, H, I, J. Der aktuelle Verkaufpreis von G, H und I ist höher als<br />

ihr Kaufpreis, und der Verkaufpreis von J dagegen ist niedriger als sein Kaufpreis. An einem<br />

bestimmten Tag verkauft der erste Investor A, B und D, zwei Gewinner und einen Verlierer.<br />

Am nächsten Tag verkauft die zweite Investorin G, einen Gewinner. Der Verkauf von A, B<br />

und G kann als eine Realisierung der Gewinne verstanden werden, während der Verkauf von<br />

D als eine Realisierung der Verluste betrachtet werden kann. <strong>Die</strong> anderen Gewinner - C, H,<br />

und I - könnten auch zur Realisierung der Gewinne verkauft werden, bleiben aus welchem<br />

Grund auch immer jedoch weiter im Portfolio, und somit handelt es sich bei diesen Aktien um<br />

unrealisierte Papiergewinne. Dagegen erzeugen E, F und J als Verlierer die Papierverluste.<br />

Also haben die zwei Investoren innerhalb dieser zwei Handelstage drei realisierte Gewinne,<br />

einen realisierten Verlust, drei Papiergewinne sowie drei Papierverluste zu verzeichnen, somit<br />

betragen die beiden Kennzahlen in diesem Beispiel PGR=1/2 und PLR=1/4, 383 d.h., 50% der<br />

Gewinneraktien und 25% der Verliereraktien werden verkauft. Eine höhere PGR als PLR reflektiert<br />

die Neigung der Investoren, beim Verkauf die Gewinneraktien zu bevorzugen.<br />

380 Vgl. Odean (1998) S.1782-1783;<br />

381 Jene Aktien werden als Gewinner verstanden, deren Verkaufspreis höher als deren Kaufpreis ist. Dagegen<br />

werden jene Aktien als Verlierer betrachtet, deren Verkaufspreis niedriger als deren Kaufpreis ist. <strong>Die</strong> Kommissionen<br />

werden bei Berechnung der Gewinne und Verluste adjustiert, indem sie zum Kaufpreis addiert und vom<br />

Verkaufspreis subtrahiert werden. Vgl. Odean (1998) S.1783;<br />

382 Der Kaufpreis ist ein Bruttopreis, d.h., plus die entsprechende Kommission.<br />

383 PGR = 3 realisierte Gewinne / (3 realisierte Gewinne + 3 Papiergewinne) = 1/2; PLR = 1/(1+3) = 1/4;<br />

190


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Der Test hier ist ein Joint-Test: Einerseits der Test der Hypothese, dass der Investor die Gewinneraktien<br />

gerne verkauft, und andererseits der Test der Spezifikation des Referenzpunktes,<br />

mit dem die Gewinner und Verlierer bestimmt worden sind. Verschiedene Kaufpreise können<br />

als Referenzpunkt verwendet werden: Der durchschnittliche Kaufpreis, der höchste Kaufpreis,<br />

der erste Kaufpreis sowie der aktuelle Kaufpreis. In seiner Untersuchung hat Odean verschiedene<br />

Kaufpreise als Referenzpunkt eingesetzt, und der Befund bleibt materiell unverändert. 384<br />

B. Empirische Befunde<br />

Es gibt zwei Hypothesen zu testen. <strong>Die</strong> erste Hypothese ist, dass der Investor bei seiner Verkaufsentscheidung<br />

dazu neigt, den Verkauf der Gewinneraktien zu bevorzugen, d.h., dass<br />

PGR > PLR gilt. <strong>Die</strong> Nullhypothese in diesem Fall ist, dass PGR ≤ PLR ist. 385 <strong>Die</strong> zweite<br />

Hypothese ist, dass sich der Investor im Monat Dezember anders verhält und den Verkauf der<br />

Verliereraktien bevorzugt 386 , somit ist (PLR-PGR) im Dezember dementsprechend grösser als<br />

(PLR-PGR) vom Januar bis November. <strong>Die</strong> entsprechende Nullhypothese ist somit, dass<br />

(PLR-PGR) im Dezember ≤ (PLR-PGR) vom Januar bis November ist. <strong>Die</strong> Testergebnisse<br />

von Odean (1998) sprechen für eine Verwerfung der beiden Nullhypothesen: 387<br />

384<br />

Vgl. Odean (1998) S.1783;<br />

385<br />

Wenn sich der Investor indifferent gegenüber Gewinneraktien sowie Verliereraktien verhält, dann sollte PGR<br />

gleich PLR sein. Wenn der Investor der Faustregel im Handel folgt, wonach der Verlust durch einen Stop-Loss-<br />

Order sofort zu begrenzen ist und kein Stop-Winning-Order für die Gewinner einzusetzen ist, dann sollte PGR<br />

kleiner als PLR sein. Faustregel im Handel: Vgl. Lefevre (1997) S. 189-207;<br />

386<br />

Aus steuerlichen Gründen wird der Verkauf der Verliereraktien am Jahresende bevorzugt.<br />

387<br />

These tests count each sale for a gain, sale for a loss, paper gain on the day of a sale, and paper loss on the<br />

day of a sale as separate independent observations. These observations are aggregated across investors. The<br />

selling price for each stock sold is compared to its average purchase price to determine whether that stock is sold<br />

for a gain or a loss. The table compares the aggregate Proportion of Gains Realized (PGR) to the aggregate Proportion<br />

of Losses Realized (PLR), where PGR is the number of realized gains divided by the number of realized<br />

gains plus the number of paper (unrealized) gains, and PLR is the number of realized losses divided by the number<br />

of realized losses plus the number of paper (unrealized) losses. Realized gains, paper gains, losses, paper<br />

losses are aggregated over time (1987-1993) and across all accounts in the dataset. The t-statistics test the null<br />

hypotheses that the differences in proportions are equal to zero assuming that all realized gains, paper gains,<br />

realized losses, and paper losses result from independent decisions. Vgl. Odean (1998) Table I;<br />

191


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Tabelle 14: Der Unterschied bei der Realisierung der Gewinner- und Verliereraktien<br />

PLR vs. PGR (1987-1993)<br />

Das ganze Jahr Januar-November Dezember<br />

PLR 0.098 0.094 0.128<br />

PGR 0.148 0.152 0.108<br />

Differenz in Proportion -0.05 -0.058 0.020<br />

t-Statistik<br />

Quelle: Odean (1998) Table I;<br />

-35 -38 4.3<br />

Das Verhältnis von PGR und PLR über das ganze Jahr - PGR/PLR - beträgt ca. 1.5 und deutet<br />

darauf hin, dass die Realisierungsrate der Gewinne 50% höher als die Realisierungsrate der<br />

Verluste ist. <strong>Die</strong> Differenz zwischen PGR und PLR ist statistisch hoch signifikant. Es lässt<br />

sich beobachten, dass der Investor beim Verkauf die Gewinneraktien tatsächlich systematisch<br />

bevorzugt und dass die Gewinne des Investments deswegen schneller als die Verluste realisiert<br />

werden. <strong>Die</strong>ses Contrarian Behavior ändert sich jedoch im Dezember, wo die Realisierungsrate<br />

der Verluste höher ist, was darauf hindeutet, dass der Investor im Dezember Tax-<br />

Loss-Selling durchführt.<br />

Das Contrarian Behavior im Hinblick auf die Realisierung der Gewinne und Verluste ist nicht<br />

zwingend auf behaviorale Ursachen wie verzerrte Wahrnehmung der Randombewegung in<br />

Form von falschem Glauben an Mean Reversion zurückzuführen. Rationale Gründe wie Rebalance<br />

oder Transaktionskosten können dafür verantwortlich sein, dass Gewinne schneller<br />

realisiert werden. Beispielsweise kann es durchaus sein, dass die Gewinneraktien überproportional<br />

häufig rebalanciert werden, und in diesem Fall reflektiert die höhere PGR primär die<br />

höhere Rate der Umschichtung der Gewinneraktien. <strong>Die</strong>ser Fall kann kontrolliert werden,<br />

wenn davon ausgegangen wird, dass der Investor, welcher sein Portfolio rebalancieren wollte,<br />

nur einen Anteil seiner Gewinneraktien verkauft, nicht jedoch die gesamte Position. „A sale<br />

of the entire holding of a stock is most likely not motivated by the desire to rebelance.” 388<br />

Somit werden beim Kontrolltest PGR und PLR nur auf Basis der Transaktionen berechnet, bei<br />

denen die gesamte Position einer bestimmten Aktie verkauft wird. Bei diesem neuen Test, bei<br />

dem die möglicherweise durch Rebalance motivierten Transaktionen ausgeklammert sind,<br />

lässt sich jedoch dasselbe Pattern beobachten, nämlich dass PGR > PLR gilt, mit PGR=0.233,<br />

388 Vgl. Odean (1998) S.1786;<br />

192


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

PLR=0.155 und PLR-PGR=-0.078 (t-Statistik:-32). 389 Somit ist die höhere PGR - die Präferenz<br />

des Verkaufs der Gewinneraktien - allein durch Rebalance nicht erklärbar.<br />

Es kann sein, dass der Verkauf der Verliereraktien mit höheren Transaktionskosten verbunden<br />

ist, weil der Preis der Verlierer tendenziell niedrig ist, so dass deren Transaktionskosten relativ<br />

hoch sind. Aus diesem Grund kann die Realisierungsrate der Verluste relativ niedrig sein,<br />

so dass der Eindruck erweckt wird, dass der Investor den Verkauf der Gewinner bevorzugt.<br />

Zur Überprüfung dieser Möglichkeit können die Aktien nach deren Preisniveau in Subgruppen<br />

unterteilt werden, die Gewinneraktien und die Verliereraktien mit demselben Preisniveau<br />

sollten dieselben Transaktionskosten verursachen. Wenn die Differenz zwischen PGR und<br />

PLR tatsächlich auf den Faktor „Transaktionskosten“ zurückzuführen ist, dann sollte beobachtet<br />

werden, dass diese Differenz für die Subgruppe, wo die Transaktionskosten dieselben<br />

sind, insignifikant von null abweicht. <strong>Die</strong> Untersuchung von Odean (1998) zeigt, dass der<br />

Investor den Verkauf der Gewinneraktien auch in dem Fall bevorzugt, wo kein Unterschied<br />

hinsichtlich Transaktionskosten zwischen Gewinneraktien und Verliereraktien besteht. Es<br />

lässt sich auch in diesem Fall statistisch eine signifikante Differenz zwischen PGR und PLR<br />

(PGR > PLR) beobachten. 390 Mit anderen Worten kann diese statistisch signifikante Differenz<br />

nicht allein durch den Faktor „Transaktionskosten“ erklärt werden.<br />

Der hohe Wert der t-Statistik in der Untersuchung deutet auf den Fehler in der Annahme hin,<br />

wonach die Transaktionsentscheidung unabhängig sein sollte. Zwei Investoren können in<br />

demselben Zeitraum dieselben Aktien verkaufen, weil sie dieselben Informationen bekommen,<br />

und in diesem Fall sind die Transaktionen nicht unabhängig. Der Mangel an Unabhängigkeit<br />

kann dazu führen, dass die Teststatistik inflationiert wird, wenn auch die beobachteten<br />

Proportionen (PGR sowie PLR) dadurch nicht verzerrt werden. Eine Kontrollmöglichkeit hier<br />

ist die Annahme, dass nicht auf der Transaktionsebene, aber wohl auf der Kontoebene eine<br />

Unabhängigkeit besteht. 391 Mit anderen Worten wird angenommen, dass die Proportion der<br />

realisierten Gewinne und Verluste eines Kontos unabhängig von der Realisierung in anderen<br />

389 Vgl. Odean (1998) Table IV, Losses and gains are counted only if a portfolio’s total position in a stock was<br />

sold that day. Paper (unrealized) gains and losses are counted only if the portfolio’s total position in another<br />

stock held in the portfolio was sold that day. Realized gains, paper gains, losses, paper losses are aggregated over<br />

time (1987-1993) and across all accounts in the dataset. The t-statistics test the null hypotheses that the differences<br />

in proportions are equal to zero assuming that all realized gains, paper gains, realized losses, and paper<br />

losses result from independent decisions.<br />

390 Vgl. Odean (1998) Table VII;<br />

391 Vgl. Odean (1998) S. 1783ff.<br />

193


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Konten ist. PGR und PLR werden dann nicht auf der Transaktionsbasis, sondern auf der Kontobasis<br />

berechnet 392 , der t-Wert sinkt in diesem Fall, bleibt aber trotzdem sehr hoch und sollte<br />

weiter mit Skepsis betrachtet werden. 393 Der Robusttest, bei dem das Datenset sowohl in zwei<br />

Zeitperioden (1987-1990, 1990-1993) als auch nach der Handelsaktivität (aktive Investoren,<br />

passive Investoren) unterteilt ist, ergibt dasselbe Pattern, nämlich dass PGR > PLR gilt, mit<br />

statistisch signifikanter Differenz. 394 Kurz, das Contrarian Behavior lässt sich bei den Verkaufsentscheidungen<br />

der Investoren beobachten, wie die neue aus dem Sentiment-Modell<br />

BSV abgeleitete Prognose vorhersagt.<br />

392<br />

<strong>Die</strong> durchschnittliche Konto-PGR ist 0.57, die durchschnittliche Konto-PLR ist 0.36, durchschnittliche Differenz<br />

(PLR-PGR) ist –0.21 mit t-Wert von –19. Vgl. Odean (1998) S. 1783;<br />

393<br />

Zur Kontrolle der durch den Informationsfluss herbeigeführten Abhängigkeit können alle Transaktionen, die<br />

hinsichtlich Abhängigkeit verdächtig sind, aus der Stichprobe herausgenommen werden, damit die Signifikanz<br />

auf Basis der „bereinigten“ Daten berechnet werden kann. Beispielsweise wird der Verkauf einer Aktie nur dann<br />

in der Stichprobe berücksichtigt, wenn keiner der anderen Investoren dieselbe Aktie innerhalb eines bestimmten<br />

Zeitraums (z.B. eine Woche) verkauft hat. Der Nachteil hier ist, dass der Informationsverlust zu gross ist.<br />

394<br />

Vgl. Odean (1998) Table II;<br />

194


6.2.1.3 Bemerkung<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Der Fortschritt bei den Mikrodaten, wie das Beispiel Finnland zeigt, in dem die Transaktionen<br />

des gesamten Markts systematisch und umfassend mit einem Deckungsgrad von 97% erfasst<br />

sind, hat der <strong>empirische</strong>n Forschung einen neuen Horizont eröffnet. Das Markt-Behavior ist<br />

nun nicht mehr eine unzugängliche Blackbox, im Gegenteil, das Behavior beginnt ein ernsthaftes<br />

Forschungsobjekt zu werden.<br />

<strong>Die</strong> Verfügbarkeit der Mikrodaten macht es möglich, mit dem früher unmöglichen Behaviortest<br />

in den Bereich des Möglichen vorzustossen. <strong>Die</strong> Tests von Grinblatt und Keloharju<br />

(2000) und Odean (1998) haben gezeigt, dass Möglichkeiten bestehen, das Sentiment-Modell<br />

durch neu abgeleitete Hypothesen Out-of-Sample zu testen, und wie die neue Hypothese vorhersagt,<br />

lässt sich tatsächlich Contrarian Behavior in den <strong>empirische</strong>n Daten beobachten. Somit<br />

ist eine vorläufige Nichtfalsifikation zu bejahen. Allerdings darf dieser Befund aufgrund<br />

der Grösse der Stichprobe und der Länge des Beobachtungszeitraums nicht überschätzt werden,<br />

und es handelt sich dabei nur um einen ersten Einblick in den Bereich des Behaviors des<br />

Investors. Wichtig ist, dass der Out-of-Sample Test nur dem Zweck der Falsifikation dient<br />

und keine Aussagekraft hinsichtlich einer Verifikation besitzt. Neben Sentiment können viele<br />

andere Faktoren für die Existenz des Contrarian Behavior verantwortlich sein. Es ist nur der<br />

erste Schritt, und mit weiteren Fortschritten bei den Mikrodaten und bei den Methoden der<br />

Mikroökonometrie ist mit einer Vertiefung der Kenntnisse über das individuelle Verhalten des<br />

Investors zu rechnen.<br />

Den Untersuchungen zufolge zeigen die Haushaltinvestoren nicht nur Contrarian Behavior,<br />

sondern sie haben im Vergleich zu anderen Investorengruppen oder dem Benchmark eine<br />

statistisch signifikant schlechtere Performance. 395 <strong>Die</strong> statistisch signifikante Differenz in der<br />

Performance sowie die Persistenz dieser Differenz deuten darauf hin, dass die verschiedenen<br />

Investorengruppen nicht mit quasi gleicher Rationalität im Markt agieren und die Marktdisziplin<br />

nicht zwingend den Ausschluss der behavioralen Elemente in der Investmententscheidung<br />

impliziert.<br />

<strong>Die</strong> Out-of-Sample Tests überprüfen nicht nur die durch das Sentiment-Modell abgeleitete<br />

neue Hypothese, sondern zeigen auch die Grenze des Sentiment-Modells auf: <strong>Die</strong> verzerrte<br />

395<br />

Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 5; Odean (1998) Table VI;<br />

195


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Wahrnehmung ist nicht eine konstante Eigenschaft des Menschen, sie sinkt mit der Erhöhung<br />

der Professionalität, bei nicht-professionellen Investoren wie Haushaltinvestoren ist die Verzerrung<br />

am grössten. Dagegen ist die Wahrnehmung durch Experten weitgehend verzerrungsfrei.<br />

Somit ist der Erklärungsgehalt des Sentiment-Modells für das Marktgeschehen besonders<br />

gross, wenn nicht-professionelle Investoren dabei eine wichtige Rolle spielen. <strong>Die</strong> durchschnittliche<br />

Wahrnehmung kann durchaus verzerrt sein, wenn eine wichtige Investorengruppe<br />

(Masseninvestoren) unter der Verzerrung leidet, wenn die Fachexperten in der Minderheit<br />

sind und die Marktdisziplin nur in beschränktem Umfang wirksam ist, so dass die Korrektur<br />

der Verzerrungen nicht in vollem Umfang erfolgen kann, wie im Falle des zeitweisen Herdentriebs<br />

bei den Nasdaq-Titeln. In diesem Fall kann das Sentiment-Modell wertvolle Informationen<br />

liefern, ob der Markt überreagiert. Eine Anwendung des Modells setzt jedoch die direkte<br />

Testbarkeit voraus, damit die Parameter ermittelt werden können. An dieser Stelle wird somit<br />

zum nächsten Thema übergegangen, nämlich ob eine direkte Überprüfung möglich ist.<br />

196


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

6.2.2 Möglichkeit der direkten Überprüfung<br />

6.2.2.1 Ausgangspunkt<br />

Dem BSV-Ansatz zufolge erfüllen die Wertpapierpreise folgende Gleichung, sofern der Investor<br />

annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Regime-Switching-Modell bestimmt<br />

wird:<br />

N t Pt = + yt<br />

( p1<br />

− p2qt<br />

)<br />

r<br />

oder: Y t = a + bX t<br />

N t<br />

mit Yt<br />

= Pt<br />

− ; a = yt<br />

p1;<br />

b = − yt<br />

p2<br />

; X t = qt<br />

;<br />

r<br />

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von der Wahrscheinlichkeitsschätzung des Inves-<br />

tors bezüglich Regime (Reversion oder Trend) und dessen Wechsel (πL, πH, λ1 und λ2) abhän-<br />

gen. Pt ist der Wertpapierpreis zum Zeitpunkt t, Nt ist der Gewinn, und Nt/r reflektiert den<br />

inneren Wert des Wertpapiers in t, yt bezeichnet die Gewinnveränderung, d.h., yt = Nt - Nt-1.<br />

Beobachtbar sind Pt , Nt/r sowie yt. Unbeobachtbar dagegen ist qt, die Erwartung des Investors<br />

bzw. der Glaube, dass der Renditeprozess dem Gesetz der Mean Reversion folgt. Das Modell<br />

ist nur dann testbar, wenn ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors (qt) gefunden werden<br />

kann.<br />

6.2.2.2 Proxy für Sentiment<br />

Durch qt wird die Erwartung des Investors, dass das Regime „Mean Reversion“ herrscht, zum<br />

Ausdruck gebracht. Je grösser qt ist, desto eher erwartet der Investor, dass eine Verschiebung<br />

der Rendite unwahrscheinlich ist, sei es nach oben oder nach unten. Mit anderen Worten reflektiert<br />

ein grosser q-Wert die Erwartung in Richtung Stabilität. Im Falle, wo qt in der Nähe<br />

von 1 liegt, geht der Investor davon aus, dass der Markt perfekt statisch ist und alles beim<br />

Alten bleibt. Eine Verschiebung der Rendite ist somit auszuschliessen, in diesem Fall ist die<br />

Hausse- bzw. Baissestimmung minimal. Umgekehrt sollte der q-Wert in der Nähe von null<br />

sein, wenn der Investor erwartet, dass der Trend nach oben oder unten nicht zu bremsen ist,<br />

und in einem solchen Fall ist das Sentiment (Hausse- bzw. Baissestimmung) stark ausgeprägt.<br />

197


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Kurz vor bzw. in der Anfangszeit eines Herdentriebs oder eines Börsencrashs, wo das Sentiment<br />

stark ausgeprägt ist, sollte der q-Wert sehr klein sein.<br />

Das Sentiment im BSV-Modell, die Erwartung in Richtung Mean Reversion oder Trend, kann<br />

somit als eine Stabilitätserwartung verstanden werden. Entweder erwartet der Investor, dass<br />

der Markt stabil und demzufolge die Verschiebung der Rendite unwahrscheinlich ist, und in<br />

diesem Fall ist q gross (keine Nervosität und schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung),<br />

oder er erwartet, dass der Markt instabil und die Wahrscheinlichkeit des Primary<br />

Trends 396 (Bull oder Bear) dementsprechend gross ist, und in diesem Fall ist q klein (Nervosität<br />

und stark ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung).<br />

Ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors lässt sich schwer finden, zumal die Entscheidung<br />

des Investors nie allein auf Sentiment zurückgeführt werden kann und das Beobachtbare<br />

deswegen stets eine Mischung von Sentiments, rationalem Kalkül und anderen Faktoren darstellt,<br />

falls Sentiment tatsächlich die Entscheidung beeinflusst. <strong>Die</strong> vom Autor dieser Arbeit<br />

vorgeschlagenen Proxys sind somit alle mit Schwächen verbunden.<br />

I) Modifizierte Bull-Bear-Ratio als Proxy<br />

Der erste Kandidat als Proxy ist die modifizierte Bull-Bear-Ratio:<br />

1 −<br />

Bull<br />

Bull<br />

Zahl<br />

− Bear<br />

+ Bear<br />

Zahl Zahl ≅<br />

Zahl<br />

q<br />

396<br />

Nach der Dow-Theorie gibt es 3 Trends: Primary Trends, Secondary Trends sowie Minor Trends. <strong>Die</strong> Primary<br />

Trends sind die allgemeinen, breiten Auf- und Abwärtsbewegungen, die gewöhnlich mehr als ein Jahr anhalten,<br />

aber auch mehrere Jahre dauern können. Ist der Primary Trend aufwärts gerichtet, dann ist von Bull-Markt<br />

die Rede. Dagegen ist ein Bear-Markt durch den nach unten gerichteten Primary Trend gekennzeichnet. <strong>Die</strong><br />

Secundary Trends sind jene bedeutsamen Reaktionen, die den Fortschritt der Kurse in Richtung Primary Trend<br />

unterbrechen. Sie sind zwischenzeitliche Kursrückgänge oder Korrekturen, die während des Bull-Marktes eintreten,<br />

und zwischenzeitlichen Rallies oder Erholungen, die den Bear-Markt unterbrechen. In der Regel dauern sie<br />

von drei Wochen bis zu drei Monaten, selten länger. Normalerweise machen sie ein Drittel bis zu zwei Drittel<br />

der Kursgewinne (bzw. Verluste), die vorhergehende Swing des Primary Trends gebracht hat, rückgängig. <strong>Die</strong><br />

Minor Trends sind kurze Fluktuationen, Tagesfluktuationen. Der Minor Trend ist der einzige von den drei<br />

Trendarten, die vielleicht überhaupt manipuliert werden können. Vgl. Edwards und Magee (1988) S.15-17;<br />

198


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Wenn der Markt im Durchschnitt keine Veränderungen erwartet und weder die Hausse- noch<br />

die Baissestimmung dominierend ist, 397 dann sollte beobachtet werden, dass die Anzahl der<br />

Bull-Investoren ähnlich wie die Anzahl der Bear-Investoren ist, in diesem Fall nähert sich q<br />

seinem grössten Wert 1. Umgekehrt sollte die Anzahldifferenz zwischen Bull- und Bear-<br />

Investoren gross sein, falls der Markt im Durchschnitt grosse Veränderungen (Trend nach<br />

oben oder unten) erwartet und die Hausse- bzw. die Baissestimmung dominierend ist. Im extremen<br />

Fall, wo die Bull-Investoren (oder Bear-Investoren) absolut dominieren, tendiert q<br />

Richtung kleinster Wert 0.<br />

<strong>Die</strong> Frage ist, wie man wissen kann, wieviele Investoren „bullish“ und wieviele „bearish“<br />

sind. Hier stösst man auf Datenprobleme. Es gibt jedoch Firmen, welche erste Arbeiten in<br />

diesem Bereich geleistet haben, wie beispielsweise die Firma „Chartcraft“. 398 Seit 1963 sammelt<br />

Chartcraft systematisch die Vorhersagen über die Akienmarktentwicklungen, klassifiziert<br />

die Verfasser der Vorhersagen in zwei Gruppen: Bullish und bearish, 399 und die Summary-Data<br />

werden dann in der Publikation „Investor Intelligence“ veröffentlicht. Zur Messung<br />

des Optimismus des Markts wird der „Bullish Sentiment Index“ 400 berechnet, der wie folgt<br />

definiert ist:<br />

BullZahl<br />

Bull + Bear<br />

Zahl<br />

Zahl<br />

Der Index ist jedoch ein Sentiment-Index des Newsletter-Writers (Verfasser der entsprechenden<br />

Studien). Ob er repräsentativ für das Sentiment der durchschnittlichen Investoren ist, ist<br />

fraglich. Das Argument dafür ist: Der durchschnittliche (naive) Investor ist selber fachlich<br />

nicht in der Lage, den Trend des Aktienmarktes vorherzusehen, und somit schliesst er sich in<br />

diesem Bereich in den meisten Fällen der Meinung des Newsletter-Writers (Analysten) an.<br />

Mit anderen Worten kann der Index als approximativ repräsentativ betrachtet werden, falls die<br />

Medien in diesem Bereich die Rolle des Meinungsmachers spielen. In diesem Fall können die<br />

Verhältnisse zwischen Bull- und Bear-Vorhersagen als Proxy für die Verhältnisse zwischen<br />

Bull- und Bear-Investoren betrachtet werden.<br />

397<br />

D.h., im Durchschnitt sentimentfrei.<br />

398<br />

Vgl. http://www.chartcraft.com<br />

399<br />

<strong>Die</strong>jenigen, die langfristig gesehen bullish sind, aber kurzfristig eine Korrektur erwarten und somit bearish<br />

sind, werden auch „chickens“ genannt.<br />

400<br />

In ihrer Untersuchung über die Relation zwischen Bull-Vorhersagen in den Medien und Preisbewegungen des<br />

Aktienmarktes haben Clarke und Statman (1998) beispielsweise festgestellt, dass eine Erhöhung des S&P 500<br />

Indexes um 1% zu einer Erhöhung der Bull-Vorhersagen um 1.23% führt. Vgl. Shefrin (2000) S. 67.<br />

199


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Es besteht auch die Möglichkeit, die Anzahl der Bull- und Bear-Investoren mit Hilfe der Informationen<br />

über das Handelsvolumen festzustellen, denn der Umsatz geht mit dem Trend. Es<br />

ist ein Ausdruck der allgemeinen Wahrheit, dass der Umsatz tendenziell steigt, wenn die Kurse<br />

sich in Richtung des vorherrschenden Primary Trends bewegen. So steigt in einem Bull-<br />

Markt der Umsatz, wenn die Kurse steigen, und nimmt ab, wenn die Kurse fallen. Im Bear-<br />

Markt steigt der Umsatz, wenn die Kurse fallen, und in einem Rally trocknet das Volumen<br />

aus. In geringerem Umfang gilt das auch für Secondary Trends. 401 Mit anderen Worten sollte<br />

beobachtet werden, dass das Handelsvolumen deutlich niedriger ist, wenn die Hausse- bzw.<br />

die Baissestimmung schwach ausgeprägt ist und der q-Wert gross ist. Dagegen sollte das<br />

Handelsvolumen deutlich höher sein, falls eine Haussestimmung (oder eine Baissestimmung)<br />

dominiert. Somit kann aus den Informationen über die Handelsvolumen ein Rückschluss auf<br />

das Sentiment gezogen werden. Der Investor kann beispielsweise als bullish betrachtet werden,<br />

wenn dessen Kaufvolumen grösser als sein Mean-Kaufvolumen ist. Dagegen kann der<br />

Investor als bearish angesehen werden, wenn dessen Verkaufsvolumen grösser als sein Mean-<br />

Verkaufsvolumen ist. Auf dieser Basis kann die Bull-Anzahl und Bear-Anzahl aggregiert<br />

werden, damit q berechnet werden kann.<br />

II) Modifizierte Put-Call-Ratio als Proxy<br />

Der zweite Kandidat als Proxy ist die modifizierte Put-Call-Ratio. 402 <strong>Die</strong> Veränderung der<br />

Verhältnisse zwischen Calls und Puts reflektiert die Veränderung der durchschnittlichen<br />

Markterwartung über die Richtung der zukünftigen Preisbewegungen, und sie ist beobachtbar.<br />

Es stellt sich aber die Frage, ob diese Grösse auch das Sentiment reflektiert.<br />

Falls alle Informationen, auch die unterschiedlichen zukünftigen Erwartungen, schon in den<br />

aktuellen Preisen enthalten sind und die Preisbewegung dem Randomwalk folgt, dann sollte<br />

die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Aufwärtsbewegung nicht systematisch von der<br />

Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Abwärtsbewegung abweichen, somit sollte vom ratio-<br />

401<br />

Vgl. Edwards und Magee (1988) S.20-21;<br />

402<br />

Der Strikepreis der Option ist der aktuelle Marktpreis. Es werden nur Long-Calls sowie Long-Puts berücksichtigt,<br />

weil der Haushaltinvestor, dessen Wahrnehmung am meisten verzerrt ist, im Allgemeinen nicht in Optionen<br />

short gehen kann. Aus dieser Sicht ist die Short-Position (Call oder Put) nicht repräsentativ für Sentiment<br />

des Investors.<br />

200


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

nalen Standpunkt aus keine systematische persistente Differenz zwischen Calls und Puts bestehen,<br />

d.h., die Preisveränderung ist unvorhersehbar. <strong>Die</strong> in der Praxis beobachtete Differenz<br />

zwischen Puts und Calls deutet darauf hin, dass die Unvorhersehbarkeit der Preisveränderung<br />

nicht zwingend den Ausgangspunkt der Überlegung des Investors bildet, und dass diese Grösse<br />

auch die Informationen über die weichen Faktoren wie das Sentiment (Hausse- bzw.<br />

Baissestimmung) enthalten kann, wenn auch die weichen Faktoren nicht allein für deren Veränderungen<br />

verantwortlich sind. Beispielsweise verändert sich die Anzahldifferenz zugunsten<br />

der Puts, als die Angst vor einer massiven Korrektur durch die diversen Gewinnwarnungen im<br />

Herbst 2000 aktiviert wurde und die Baissestimmung stark zunahm. Am Aktienmarkt sind<br />

auch Hoffnung und Angst am Werk, und die modifizierte Put-Call-Ratio könnte eine Möglichkeit<br />

sein, annäherungsweise das Sentiment zu beobachten:<br />

1 −<br />

Call<br />

Call<br />

Zahl<br />

− Put<br />

+ Put<br />

Zahl Zahl ≅<br />

Zahl<br />

q<br />

Falls die durchschnittliche Meinung im Markt davon ausgeht, dass Primary sowie Secondary<br />

Trends ausbleiben und somit weder eine Hausse- noch Baissephase kommt, dann sollte beobachtet<br />

werden, dass die Anzahl-Differenz zwischen Long-Calls und Long-Puts sehr klein ist.<br />

In diesem Fall liegt q in der Nähe seines höchsten Werts 1, d.h., der Markt ist sentimentfrei.<br />

Wenn die durchschnittliche Marktmeinung durch die Erwartung auf einen Bull-Markt geprägt<br />

ist und diese Erwartung auch in der Investmententscheidung umgesetzt wird, dann überwiegen<br />

logischerweise Long-Calls, und in diesem Fall hat q einen kleinen Wert. Je kleiner q ist,<br />

desto mehr erwartet der Marktteilnehmer, dass ein Trend nach oben (oder unten) vorherrscht,<br />

d.h., desto stärker ist die Haussestimmung (oder Baissestimmung).<br />

III) Veränderung des Diskontfaktors als Proxy<br />

Der dritte Kandidat für ein Proxy basiert auf der Annahme, dass die Schwankung in der Diskontrate<br />

der Closed-End-Funds auch die Schwankung des Sentiments des Investors reflektiert.<br />

Das abnormale Preisverhalten in Closed-End-Funds 403 deutet darauf hin, dass die Diskontrate<br />

mit dem Sentiment des Investors nicht unkorreliert ist, weil die Veränderung beim Diskont<br />

403<br />

<strong>Die</strong> Fundsanteile von Closed-End-Funds werden zu einem Preis gehandelt, der vom Marktpreis der Wertpapiere<br />

im Portfolio verschieden ist, und im Allgemeinen ist der Preis deutlich niedriger als dessen Net-Asset-<br />

Value. Im US-Markt ist eine Diskontrate zwischen 10% - 20% die Norm. Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991)<br />

S.75;<br />

201


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

der Closed-End-Funds 404 nicht allein durch rationale Argumente (wie Agentkosten, Illiquidität<br />

der Assets, Steuer- sowie Risikoüberlegung) erklärt werden kann. 405 Lee, Shleifer und<br />

Thaler (1991) haben in ihrer Untersuchung eine negative Korrelation zwischen Marktrendite<br />

und Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds festgestellt, 406 und nach ihrer Interpretation<br />

reflektiert die Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds die Veränderung des<br />

Sentiments: Der Diskont vergrössert sich, wenn der Investor pessimistisch über die zukünftige<br />

Rendite ist. Dagegen wird der Diskont kleiner, falls der Investor optimistisch ist. 407 Demzufolge<br />

kann die Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds als Proxy für die Veränderung<br />

des Sentiments des Investors eingesetzt werden:<br />

d − dˆ<br />

1 − ≅ q<br />

a<br />

wobei d den Diskont der Closed-End-Funds (in Prozent) und dˆ den Mittelwert des Diskonts<br />

bezeichnet, während a als Konstante die absolute maximale Abweichung im Beobachtungszeitraum<br />

darstellt, nämlich a = d dˆ<br />

. Beispielsweise ist zum Zeitpunkt t der Diskont der<br />

max −<br />

Closed-End-Funds (d) 20%, der Mittelwert des Diskonts ( dˆ ) beträgt 15%, und die maximale<br />

Abweichung im Beobachtungszeitraum (a) ist 15%, dann hat q zum Zeitpunkt t einen Wert<br />

von 0.67. D.h., der Investor erwartet zum Zeitpunkt t mit 67% Sicherheit, dass ein Trend nach<br />

oben oder unten ausbleiben wird. Wenn der Investor weder optimistisch noch pessimistisch<br />

über die zukünftige Rendite ist und keine Erwartung über neuen Trend bildet, dann sollte der<br />

Diskont d in der Nähe von seinem Mittelwert dˆ sein ( d − dˆ<br />

≈ 0 ), in diesem Fall nähert sich<br />

q seinem grössten Wert 1. D.h., der Investor erwartet mit Sicherheit, dass der Markt unverändert<br />

bleibt und ein Up wird sicher von einem Down gefolgt (Glaube an Reversion). Umgekehrt<br />

liegt q in der Nähe seines kleinsten Werts 0, falls der Investor sehr optimistisch (Glaube<br />

an Bull-Markt) oder sehr pessimistisch (Glaube an Bear-Markt) ist und sich der Diskont d<br />

404<br />

Closed-end fund puzzle: 1) The average closed-end fund is initially priced at a premium of 10 percent; 2)<br />

Within 120 days of being brought out, the average fund is trading at a discount of 10 percent; 3) The magnitude<br />

of the discount is not stable, it varies through time; 4) When a closed-end fund is either liquidated or converted<br />

into an open-end fun, the share price tends to rise and the discount tends to shrink. Vgl. Shefrin (2000) S.179;<br />

405<br />

Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) S.78-80;<br />

406<br />

Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) Table IV-VIII;<br />

407<br />

Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) S. 106; „The percentage discount is computed as (NAV-SP)/NAV*100,<br />

where NAV is the per share net asset value and SP is the share price of the fund. The mean (median) of the percentage<br />

discount or premium is 14.43 (15.0). The maximum (minimum) value is 25.0 (-2.5) and the standard<br />

deviation is 8.56. Discounts are expressed in terms of percentage of NAV. Positive discounts reflect stock prices<br />

which are below NAV.“ Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) Table I;<br />

202


Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

dementsprechend seinem historisch höchsten Niveau nähert ( d − d ≈ a ˆ ). In diesem Fall er-<br />

wartet der Investor mit Sicherheit, dass ein Trend eintreten wird (Glaube an Trend).<br />

In vielen Teilmärkten ist das Marktsegment Closed-End-Funds aufgrund dessen Grösse für<br />

die Repräsentation des Sentiments des Investors jedoch nicht reif, so dass eine andere Lösung<br />

notwendig ist. Falls der Diskont der Closed-End-Funds tatsächlich auch das Sentiment des<br />

Investors reflektiert, warum sollte dann anderer Diskont frei von Sentiment sein? Wenn dies<br />

nicht der Fall ist, dann sollte die Diskontinformation im Allgemeinen auch gleichzeitig Informationen<br />

über das Sentiment des Investors enthalten: Eine Erhöhung des Diskonts reflektiert<br />

somit nicht nur die Veränderungen der harten Faktoren, sondern auch gleichzeitig die Zunahme<br />

des Pessimismus im Sentiment des Investors. 408 Ausgehend von dieser Überlegung kann<br />

die Veränderung des Diskonts im Kapitalmarkt annäherungsweise als Proxy für die Veränderung<br />

des Sentiments angewandt werden:<br />

1 −<br />

d S − d K<br />

a<br />

≅ q<br />

wobei dS der stochastische Diskont und dK der konstante Diskont darstellen. Der absolute<br />

Wert der maximalen Abweichung zwischen dS und dK wird durch a dargestellt. Unter idealen<br />

Annahmen ist der Diskontsatz, der risikolose Zinssatz, konstant, in der Praxis schwankt er<br />

jedoch. Mit Schätzmethoden wie GMM von Hansen (1982), „generalized method of moment“,<br />

kann der stochastische Diskontfaktor (SDF) geschätzt werden, damit die Schwankung<br />

des Diskonts, (dS - dK), quantifiziert werden kann. 409 Aus dieser Schwankung kann dann auch<br />

die Information über die Veränderung des Sentiments gewonnen werden. Dementsprechend<br />

sollte die Differenz zwischen dS und dK gross, und q somit klein sein, wenn die Investoren<br />

besonders emotionsgeladen sind, entweder sehr optimistisch oder sehr pessimistisch. Auf dieser<br />

Weise ist es möglich, annäherungsweise ein Barometer über das Sentiment des Investors<br />

zu konstruieren.<br />

408 <strong>Die</strong> Risikoaversion im Finanzmarkt ist nicht konstant. Aus einer behavioralen Perspektive reflektiert die Veränderung<br />

der Risikoaversion auch die Änderung des Sentiments. In einem unsicheren Zustand mit einem pessimistischen<br />

Sentiment (wie im Falle des Platzens der Tech-Blase) ist die Risikoaversion entsprechend hoch.<br />

409 Vgl. Dahlquist und Söderling (1998);<br />

203


6.2.2.3 Regressionsanalyse<br />

Empirische <strong>Überprüfbarkeit</strong><br />

Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, die Frage zu diskutieren, ob eine Möglichkeit besteht,<br />

das Sentiment-Modell direkt zu testen. Der Ausgangspunkt ist die umformulierte BSV-<br />

Proposition:<br />

Y = a + bX<br />

t<br />

t<br />

N t<br />

mit Yt<br />

= Pt<br />

− ; a = yt<br />

p1;<br />

b = − yt<br />

p2<br />

; X t = qt<br />

;<br />

r<br />

Beobachtbar ist Yt, unbeobachtbar dagegen ist Xt, das Sentiment des Investors. Das Modell ist<br />

nur dann testbar, wenn ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors Xt, qt, gefunden werden<br />

kann.<br />

Zum Zweck des Tests wird der Schwerpunkt auf die Suche nach Proxys gelegt, um das Problem<br />

der Unbeobachtbarkeit zu relativieren. Schon seit langem betrachtet man in der Praxis die<br />

Bull-Bear-Ratio, die Put-Call-Ratio und die Diskontrate der Closed-End-Funds als Barometer<br />

für Sentiment, und diverse Sentimentindices werden deswegen auf dieser Basis aufgebaut.<br />

Somit werden diese Grössen als Bausteine zum Aufbau des Proxys verwendet, um annäherungsweise<br />

das durch BSV definierte Sentiment abbilden zu können.<br />

Nachdem das Sentiment des Investors mit Hilfe der Proxys annäherungsweise als beobachtbar<br />

betrachtet werden kann, ist der Weg frei für einen direkten Test. Durch eine Regressionsanalyse,<br />

wo (Pt - Nt/r) den Regressanden und qt den Regressor bilden, kann überprüft werden, ob<br />

die durch BSV postulierte Relation zwischen Sentiment und Abweichung des Preises von<br />

seinem inneren Wert tatsächlich existiert. Im Falle von ungenügender statistischer Testsignifikanz<br />

kann die Hypothese von BSV direkt empirisch verworfen werden. Ein direkter Test des<br />

Sentiment-Modells BSV ist somit nicht unmöglich.<br />

204


Schlussbemerkung<br />

Schlussbemerkung<br />

In den letzten Jahren ist die Theorie des <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> immer mehr ins Blickfeld gerückt.<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus. Nicht selten stösst die <strong>Behavioral</strong><br />

<strong>Finance</strong> auf Ablehnung, weil die weichen Faktoren der Marktteilnehmer – ihr Behavior – mit<br />

einer wissenschaftlichen Unsicherheit assoziiert sind. Aus Überlegungen der wissenschaftlichen<br />

Sicherheit hat sich die vorliegende Arbeit mit einer einzigen Forschungsfrage auseinandergesetzt:<br />

Ist die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> eine Pseudowissenschaft? Das Ziel dieser Arbeit liegt<br />

darin, zur Anerkennung der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> als Wissenschaft beizutragen.<br />

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird diese aus verschiedenen Perspektiven – theoretischer,<br />

methodologischer und <strong>empirische</strong>r – beleuchtet. Aus der theoretischen Sicht ist die<br />

Frage der Marktdisziplin im Hinblick auf die Notwendigkeit der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> eine<br />

zentrale Frage. Es ist unumstritten, dass sich der Mensch nur begrenzt rational verhält. Kontrovers<br />

ist, inwiefern diese begrenzte Rationalität für die Finanzmärkte relevant ist. <strong>Die</strong> seit<br />

Jahrzehnten gepredigte Fundamentanalyse geht davon aus, dass der Finanzmarkt über eine<br />

starke Marktdisziplin verfügt und dass der Finanzmarkt folglich frei von behavioralen Verzerrungen<br />

sein sollte. Ob diese Hypothese gilt, ist Gegenstand zahlreicher <strong>empirische</strong>r Untersuchungen<br />

seit Jahrzehnten, und aufgrund der bekannten Problemen in der <strong>empirische</strong>n Untersuchung<br />

bleibt diese Frage stets unbeantwortet. Zur Beantwortung dieser Frage hat die vorliegende<br />

Arbeit zuerst die <strong>empirische</strong>n Fakten hinsichtlich Marktdisziplin vorgebracht und dann<br />

die Marktdisziplin fokussiert behandelt, indem die Entscheidungsunsicherheit, die Risiken<br />

bzw. die Restriktionen bei der Fehlerkorrektur – die Ausübung der Marktdisziplin – diskutiert<br />

werden. Aus der Auseinandersetzung geht hervor, dass die normative Annahme über eine<br />

strenge Marktdisziplin auf der deskriptiven Ebene nicht zutrifft und, dass die Marktdisziplin<br />

in der Tat schwach und damit nicht hinreichend für die Ausschaltung der behavioralen Beeinflussungen<br />

ist. Zunächst wird die theoretische Fundierung für die Berücksichtigung des Behaviors<br />

in der Finanzmarkttheorie untermauert, um dann in einem zweiten Schritt die theoretischen<br />

Grundlagen der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> zu behandeln. <strong>Die</strong>se zeigen auf, dass es sich bei der<br />

<strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> um ein theoretisch fundiertes Aussagesystem handelt.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> als Pseudowissenschaft zu klassieren ist eine harte Kritik. Eine sachliche<br />

Diskussion über die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> setzt eine solide methodologische Grundlage<br />

voraus, und somit wird zur Beantwortung der Forschungsfrage die methodologische Perspek-<br />

205


Schlussbemerkung<br />

tive behandelt. In diesem Kontext ist vor allem die Frage der Transzendenz zentral. In einer<br />

ausführlichen Diskussion über diese Thematik wird aufgezeigt, dass erstens die Anforderung,<br />

wonach alle Bausteine einer Erfahrungswissenschaft transzendentfrei sein müssen, eine sehr<br />

extreme Position vertritt, zumal die meisten Erfahrungswissenschaften auch mit transzendenten<br />

Begriffen arbeiten, und dass zweitens die Transzendenz nicht in einem ausschliessenden<br />

Verhältnis zum Erkenntnisgewinn steht. Es wird gezeigt, dass die transzendenten Begriffe<br />

keine Pseudowissenschaft implizieren. Darüber hinaus wird dann anhand Falsifizierbarkeitskriterien<br />

auf die Frage nach Möglichkeiten zur Falsifizierung eingegangen. In Bezug auf die<br />

<strong>empirische</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> hört die Diskussion nicht auf einer allgemeinen methodologischen<br />

Ebene auf, sondern setzt schwerpunktmässig mit der Frage fort, ob es konkrete Methoden<br />

gibt, die behavioralen Modelle Out-of-Sample zu testen. <strong>Die</strong> Verfügbarkeit konkreter<br />

Möglichkeiten <strong>empirische</strong>r Überprüfungen der behavioralen Modelle impliziert das Verwerfen<br />

der Hypothese, wonach die behavioralen Modelle empirisch unüberprüfbar sind und folglich<br />

pseudowissenschaftlichen Charakter haben.<br />

Im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfrage ist die beste Argumentation die auf<br />

den <strong>empirische</strong>n Fakten basierende. Deshalb hat die vorliegende Arbeit grosses Gewicht auf<br />

das Vorlegen <strong>empirische</strong>r Evidenz gelegt. Sowohl die theoretische Fundierung als auch die<br />

<strong>empirische</strong> <strong>Überprüfbarkeit</strong> der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> wird durch zahlreiche Fakten untermauert.<br />

<strong>Die</strong> <strong>empirische</strong>n Fakten sprechen eindeutig dafür, dass die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> eine Bereicherung<br />

für die Finanzmarkttheorie ist.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> ist ein neuer, oft hart kritisierter Ansatz. <strong>Die</strong> vorliegende Arbeit hat<br />

mit eigenem Beitrag – die systematische Behandlung der Frage der Marktdisziplin bzw. der<br />

Frage der <strong>empirische</strong>n <strong>Überprüfbarkeit</strong> – aufgezeigt, dass die Kritik gegen diesen neuen Ansatz<br />

nicht gestützt werden kann. <strong>Die</strong> etablierte Theorie muss die <strong>empirische</strong> Evidenz erklären<br />

können, ansonsten verliert sie ihre Rechtfertigung. Selbstverständlich führt das Postulieren<br />

eines neuen Paradigmas zu Spannungen mit dem Bestehenden, denn im Alten steckt oft die<br />

Identifikation. Es verlangt einen freien Geist in freier Umgebung, um die <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong><br />

akzeptieren zu können. Aber das braucht Zeit. Das angestrebte Ziel dieser Arbeit ist dann erreicht,<br />

wenn sie zur Akzeptanz der <strong>Behavioral</strong> <strong>Finance</strong> beitragen kann.<br />

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230


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231


Name: Guo<br />

Vorname: Zhaohui<br />

Geburtsdatum: 16 April 1968<br />

Lebenslauf<br />

P E R S Ö N L I C H E D A T E N<br />

Geburtsort: Nanjing, China<br />

Nationalität: China<br />

A U S B I L D U N G<br />

Universität St. Gallen (HSG)<br />

Doktorstudium, Finanzmarkttheorie & Banking<br />

Universität St. Gallen (HSG)<br />

Lizentiat, Finanzmarkttheorie & Banking<br />

Abschluß: LIC OEC HSG<br />

Beijing Foreign Studies University<br />

Universität, Beijing, China<br />

ABSCHLUß: BACHELOR OF ARTS<br />

Gymnasium Nanjing<br />

Gymnasium, Nanjing, China<br />

B E R U F S T Ä T I G K E I T<br />

Swiss Life Hedge Fund Partner<br />

Risk Management, Riskmanager, Pfäffikon SZ, ab 2002;<br />

Zürcher Kantonalbank<br />

Treasury, Asset&Liability Management, Fachbereichsleiter, Zürich, 1999 - 2001;<br />

Aussenhandelsministerium VR China<br />

Europaabteilung, Officer, Beijing, China, 1990 – 1992;<br />

1998 - 2002<br />

1994 - 1998<br />

1986 - 1990<br />

1978 - 1986

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