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Halten Parteien, was sie versprechen?

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Andrea Urselmann und Oliver Manden | Universität Duisburg-Essen | Praxisprojekt<br />

Wählerinformationssystem (WIS), SS 2003 | Prof. Dr. Schmitt-Beck, Herr Schwarz<br />

<strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>,<br />

<strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Ein Essay über Wahlprogramme und politische Entscheidungen im<br />

internationalen Kontext


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Einleitung<br />

Der Demokratie scheint es nicht gut zu gehen. Die inflationäre Rede von der „Politikverdrossenheit“,<br />

der Mediali<strong>sie</strong>rung der Wahlkämpfe, der damit verbundenen Darstellung der Politik<br />

als publikumswirksamer Inszenierung und die Reduzierung von politischen Positionen auf das<br />

Image der Spitzenkandidaten legen die Vermutung nahe, unter den Bürgern nähre sich die<br />

Desillusionierung über die Verlässlichkeit der parlamentarischen Demokratie als Mittel zur<br />

Durchsetzung des Volkswillens.<br />

Doch jenseits eines allgemeinen Unbehagens an der Politik leistet die empirische Sozialforschung<br />

eine fundierte Überprüfung derartiger gesellschaftlicher Gefühlslagen und erlaubt eine<br />

realistische Einschätzung ihrer Stichhaltigkeit.<br />

In der parlamentarischen Demokratie kommt den Parteiprogrammen, und hier speziell dem<br />

Wahlprogramm, die Aufgabe zu, die Handlungsabsichten der politischen <strong>Parteien</strong> verbindlich<br />

zu fixieren – und die <strong>Parteien</strong> sind nach dem <strong>Parteien</strong>gesetz (PartG § 1, Satz 3; § 6, Satz 1) zu<br />

dieser Aussage verpflichtet. Hier befindet sich eine Schnittstelle für den Wähler, seiner Wahl<br />

eine rationale Grundlage zu geben und seine Entscheidung nicht auf Images oder Informationen<br />

gründen zu müssen, die erst mehrfach gefiltert die Medien pas<strong>sie</strong>ren.<br />

Festzuhalten ist: Umfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der Wähler Parteiprogramme als<br />

bedeutsam einstuft, während sich bei einer Umfrage des Instituts EMNID herausstellte, dass<br />

die Mehrheit der Befragten keinerlei Einzelheiten aus den Parteiprogrammen kannte. Es ergibt<br />

sich also das paradoxe Bild, dass die Mehrheit der Wähler Parteiprogramme zwar wichtig<br />

findet, letztlich aber keinerlei Kenntnisse über den Inhalt derselben hat.<br />

Es ist nun aber offensichtlich unrealistisch, einen politisch interes<strong>sie</strong>rten Bürger anzunehmen,<br />

der vor jeder Wahl ausreichend Zeit und Muße aufbringt, sich durch die mehreren hundert<br />

Seiten trockener politischer Rhetorik der vier oder fünf relevanten <strong>Parteien</strong> durchzuarbeiten,<br />

um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. An der Aufgabe, die Sichtung und den<br />

Vergleich der Parteiprogramme auf ein effizientes Maß an Zeitaufwand zu reduzieren, versucht<br />

das Projekt „Wählerinformationssystem“ des Studienganges Kommedia der Universität<br />

Duisburg-Essen hinsichtlich der Landtagswahlen Bayern 2003 seinen Beitrag zu leisten.<br />

Von zentraler Bedeutung für das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie bleibt die<br />

Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen den Versprechungen in den Wahlprogrammen<br />

und dem tatsächlichen politischen Handeln gibt – halten <strong>Parteien</strong> <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Die Arbeiten der Manifesto Research Group (MRG) dürften nach Methode und Gründlichkeit<br />

als vorbildlich für die empirische Erforschung von Zusammenhängen zwischen Wahlprogrammen<br />

und politischem Handeln gelten. Die Vorzüge der Ergebnisse der quantitativinhaltsanalytischen<br />

Studien des Comparative Manifesto Projects (CMP) der MRG liegen in<br />

der hohen Präzision der Daten und in der Tatsache, dass es sich um eine internationale Konvention<br />

handelt, die es erlaubt, nationale Ergebnisse miteinander zu vergleichen.<br />

1


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Genauer: die Inhaltsanalyse des CMP erschließt Wahlprogramme und Regierungserklärungen<br />

hinsichtlich der in ihnen genannten Probleme, Positionen und Handlungsabsichten (vgl. Volkens<br />

2002). Diese werden einem von 54 Politikfeldern (z.B. Gesundheitspolitik) zugeordnet<br />

und schließlich der prozentuale Anteil ermittelt, den ein Politikfeld am Gesamtvolumen eines<br />

Parteiprogramms hat. Die grundlegende Konzeption des CMP lautet nun: wenn es einen Zusammenhang<br />

zwischen Wahl<strong>versprechen</strong> und Regierungshandeln gibt, so muss sich die Gewichtung<br />

in den Programmen in einem ähnlichen Verhältnis in den Haushaltsausgaben einer<br />

Regierung niederschlagen. Das Einlösen der Wahl<strong>versprechen</strong>, das tatsächliche Handeln der<br />

Politik (policy-output) wird also anhand der Haushaltsausgaben gemessen (operationali<strong>sie</strong>rt).<br />

Entgegen der allgemein eher pessimistischen Einschätzung ergaben die Untersuchungen der<br />

MRG (vgl. Hofferbert/Klingemann 1990, Hofferbert/Klingemann/Volkens 1992 und Klingemann/Hofferbert/Budge<br />

1994) tatsächlich eine starke Beziehung zwischen den Wahlprogrammen<br />

bzw. Regierungserklärungen und dem Policy-Output der Regierungen. Wahlprogramme<br />

erlauben also eine einigermaßen verlässliche Vorhersage des Regierungshandelns.<br />

Die Konzeption des CMP ist allerdings auch kriti<strong>sie</strong>rt worden (vgl. Rölle 2000, S. 50). Kritikpunkte<br />

bilden hier zum einen die Operationali<strong>sie</strong>rung des Policy-Outputs über die Haushaltsausgaben,<br />

welche damit logischerweise das Handeln der Opposition ausblendet, die keinen<br />

Einfluss auf diese hat, und zum anderen der reine Vergleich der Gewichtung von Politikfeldern<br />

in den Programmen mit der Gewichtung der Haushaltsausgaben, der die Richtung der<br />

Wahl<strong>versprechen</strong> außer Acht lässt, da diese nur quantitativ-neutral über prozentuale Verhältnisse<br />

erfasst werden.<br />

Wir werden in der Folge einige Untersuchungen kennen lernen, die entweder eine Abwandlung<br />

der CMP-Methode darstellen, oder ganz und gar eigenen Untersuchungsdesigns folgen<br />

und sich als Untersuchungsgegenstand mit den politischen Systemen der USA, Großbritannien/Kanada,<br />

der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auseinandersetzen.<br />

2


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

I. Gerald M. Pomper: „Elections in America, Control and Influence in<br />

Democratic Politics”<br />

Inwieweit ist eine Einflussnahme von Wahlprogrammen möglich?<br />

Einer der Ersten, der sich mit der Einschätzung eines Zusammenhanges zwischen Wahlprogrammen<br />

und politischem Handeln auseinandersetzt ist Gerald M. Pomper im Jahr 1980 in<br />

seiner Untersuchung „Elections in America“ (vgl. Rölle 2000:44). Pomper untersucht die<br />

Wahlprogramme der beiden amerikanischen <strong>Parteien</strong> in dem Zeitraum von 1944 bis 1964. Die<br />

herkömmliche Meinung, dass es Wahlprogrammen an Aufmerksamkeit und Bedeutung fehlt<br />

und <strong>sie</strong> deswegen keinerlei Einfluss auf späteres politisches Handeln haben, wird von Pomper<br />

erstmalig wissenschaftlich widerlegt.<br />

Pompers Methode stützt sich auf die Annahme einer indirekten Einflussnahme des Wählers<br />

durch seine Wahlentscheidung auf die jeweils gewählte Partei mit ihrem Wahlprogramm. Die<br />

Wählerschaft fällt ihr Urteil auf der Grundlage vorangegangener Parteileistungen in Relation<br />

zu ihren vorher versprochenen Gewinnerzielungen (vgl. Pomper 1980:149). Damit <strong>Parteien</strong><br />

ihr Ziel der Stimmenmaximierung erreichen können, müssen <strong>sie</strong> die Wahlentscheidungen der<br />

Wähler in ihren Stellungnahmen berücksichtigen und evtl. die Bedürfnisse der Wähler in ihren<br />

Kampagnen wieder spiegeln lassen. Als Index für diese Einflussnahme von Wahlprogrammen<br />

bedient sich der Autor der Theorie von Anthony Downs und stellt fest, dass eine<br />

Einflussnahme von Programmen nur mit Hilfe von Rationalität möglich ist 1 .<br />

Instrumentali<strong>sie</strong>rt ist die Rationalität ein Mittel, mit dem Ziele von <strong>Parteien</strong> und Wählern gefördert<br />

werden. Es wird unterschieden zwischen „voter-rationality“ und „party-rationality“.<br />

Wahlprogramme erfüllen „voter-rationality“, wenn die Partei dem Individuum hilft, diejenige<br />

Partei auszuwählen, die dem Wähler den bestmöglichen Nutzen verschafft. Ein Wahlprogramm<br />

erfüllt „party-rationality“, wenn zum Sieg der eigenen Partei beigesteuert wird. Pomper<br />

unterscheidet fünf Qualitätskriterien eines rationalen Wahlprogramms, folgende drei Kriterien<br />

sind für ein Zweiparteiensystem empfehlenswert:<br />

1. Der inhaltliche Gehalt der Programme variiert in Absprache zu den Kampagnenstrategien.<br />

Nur Sachfragen die zum Sieg führen, werden aufgenommen.<br />

2. Die vergangenen Verdienste werden mit denen von der Opposition zusammen aufgeführt.<br />

Das Wahlprogramm ermöglicht dem Wähler einen direkten Vergleich zwischen den beiden<br />

<strong>Parteien</strong> zu ihren Positionen und Handlungen und reflektiert die Verdienste und Mängel<br />

des Amtsinhabers.<br />

3. Die Partei nimmt sich versch. Interessengruppen an und formuliert, gemessen an der politischen<br />

Situation, die Sachfragen präzise oder weniger präzise.<br />

Entsprechen die Amerikanischen <strong>Parteien</strong> dem Modell von Rationalität?<br />

Die Methode von Pomper <strong>sie</strong>ht jeden Satz als eine Einheit und teilt nach drei inhaltlichen Kategorien<br />

ein. Diese Kategorien entsprechen dem typischen Aufbau von Programmen: vom<br />

1 Beim Wähler ist das einzig Rationale die Verknüpfung der eigenen Präferenzen mit den nächstliegenden Poli-<br />

cies der <strong>Parteien</strong> durch den Akt des Wählens.<br />

3


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Allgemeinen zum Speziellen und in Reflexion auf vorangegangene Versprechen hin zu Zukunfts<strong>versprechen</strong>.<br />

Ebenfalls wurden die Politikthemen in neun verschiedene Politikbereiche<br />

unterteilt: (1) foreign policy (Außenpolitik), (2) defense (Verteidigungspolitik), (3) economic<br />

policy (Wirtschaftspolitik), (4) labor (Arbeitspolitik), (5) agriculture (Agrarwirtschaft), (6)<br />

resources (Vermögenspolitik), (7) social welfare (Sozialpolitik), (8) government (Regierung).<br />

Die erste inhaltliche Kategorie „Rhetoric and Fact“ umfasst allgemeine Grundwerte der <strong>Parteien</strong><br />

und fällt durch das Schema für Rationalität. Diese Kategorie schließt jedoch nur ein<br />

Viertel aller Versprechen ein, der Durchschnitt entspricht etwa eins von sechs Versprechen.<br />

Zwei von jedem fünften Versprechen repräsentiert die zweite Kategorie „Evaluations of the<br />

Parties Records and Past Performances“. Inhaltlich wird bei diesen Versprechen auf vorangegangene<br />

Leistungen eingegangen und <strong>sie</strong> entsprechen dem Wesen von Rationalität. Hierbei<br />

wir hauptsächlich die Amtsinhaberpartei betrachtet, auch wenn die Opposition die Mehrheit<br />

im Kongress vertritt. Das Fehlen eines autori<strong>sie</strong>rten Sprechers für die Oppositionspartei und<br />

die Präsidiale Regierung begünstigen die Fokus<strong>sie</strong>rung der Aufmerksamkeit auf das Regierungsprogramm.<br />

Die dritte Kategorie „Statements of Future Policies“ schließt programmatische<br />

zukünftige Lösungsvorschläge ein. Hier wird noch mal in sechs Unterkategorien unterteilt:<br />

(1) Rhetorical Pledges (Rhetorische Versprechen), (2) General Pledges (Allgemeine<br />

Versprechen), (3) Pledges of Continuity (Versprechen für die Beibehaltung angefangener<br />

Handlungen), (4) Expressions of Goals and Concerns (Aussagen über Ziele und Belange).<br />

Eine größere Bedeutung fanden hier die Issues aus der Verteidigungspolitik und Sozialpolitik,<br />

diese wurden für die Wähler wichtiger und für die <strong>Parteien</strong> profitabler. Die Sachfragen variieren<br />

sehr in Ihrer Präzision nach Thema und Programm. Zur leichteren Unterteilung definiert<br />

Pomper für die Versprechen ein Maß für Präzision, die „pledge weight“. Das Maß 1.0 steht<br />

für rhetorische Versprechen und das Maß 6.0 steht für hohe Präzision. Ebenfalls wird ein Maß<br />

für die „emphases“ (Hervorhebungen) entwickelt, ähnlich der „pledge weight“ liegt das geringste<br />

Maß für Präzision bei 2.0 und das höchste bei 7.0. Die daraus resultierende Zahl nennt<br />

sich „index of attention“ (Aufmerksamkeitsindex). Hierbei ergab sich ein Durchschnittswert<br />

von 4.5. Der Durchschnitt der „pledge weight“ liegt bei einem Maß von 3.4. Anhand dieses<br />

Maßes operationali<strong>sie</strong>rt der Autor die Rationalität der Versprechen.<br />

Inwieweit werden Programm<strong>versprechen</strong> erfüllt?<br />

Natürlich ist eine indirekte Einflussnahme von Wählern auf Policies nur möglich, wenn die<br />

<strong>Parteien</strong> ihre Versprechen bis zu einem gewissen Grad erfüllen. Es stellt sich die Frage, ab<br />

wann ein Versprechen erfüllt wird und ob es dafür vollständig ausgeführt werden muss.<br />

Pomper operationali<strong>sie</strong>rt die Erfüllung eines Versprechens anhand von vier Möglichkeiten:<br />

1. Volle Ausführung.<br />

2. Direkte Ausführung des Versprechens durch den Präsidenten oder anderer exekutiver<br />

Handlungen.<br />

3. Dem Versprechen ähnliche Handlungen werden vollzogen.<br />

4. Keine Erfüllung, einfach keine Handlungen werden unternommen oder <strong>sie</strong> werden abgeschlagen.<br />

4


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Die Versprechen definiert er analog zur dritten Kategorie „Statements of Future Policies“<br />

einschließlich der sechs Unterkategorien (vgl. Pomper 1980:179 – 185).<br />

Pomper erzielt als Ergebnis, dass die Hälfte aller Versprechen durch die Amerikanischen Regierungen<br />

erfüllt wurde. Das Zweiparteiensystem zeigt in seinen Aspekten eindeutige Ergebnisse;<br />

sobald die Positionen der <strong>Parteien</strong> übereinstimmen, ist die darauf folgende Handlung<br />

schon sicher. Für die Opposition bedeutet das, dass <strong>sie</strong> ein Drittel ihrer Versprechen umsetzen<br />

kann, ihre Erfolge begründen sich damit nur auf die Ähnlichkeit ihrer Versprechen mit denen<br />

von der Regierungspartei. Zum besseren Verständnis zeigt die unten aufgeführte Tabelle die<br />

Erfüllung der Versprechen in Prozent, unterteilt in die einzelnen Wahljahre und den politischen<br />

Bereichen, gemessen an den Positionen der <strong>Parteien</strong> in Übereinstimmung zueinander,<br />

im Konflikt miteinander und die alleinige Einnahme einer Position:<br />

Year of Topic<br />

Election Year<br />

1944<br />

1948<br />

1952<br />

1956<br />

1960<br />

1964<br />

Policy Topic<br />

Foreign<br />

Defense<br />

Economic<br />

Labor<br />

Agriculture<br />

Resources<br />

Welfare<br />

Government<br />

Civil Rights<br />

All Pledges<br />

(N)<br />

(102)<br />

(124)<br />

(205)<br />

(302)<br />

(464)<br />

(202)<br />

(216)<br />

(84)<br />

(177)<br />

(84)<br />

(150)<br />

(185)<br />

(255)<br />

(136)<br />

(113)<br />

(1,399)<br />

One Party<br />

Pledge Only<br />

70<br />

51<br />

52<br />

61<br />

51<br />

70<br />

47<br />

65<br />

62<br />

42<br />

56<br />

63<br />

60<br />

76<br />

40<br />

57<br />

Bipartisan<br />

Pledges<br />

28<br />

42<br />

29<br />

34<br />

39<br />

19<br />

N. Total (1,399) 799 464<br />

47<br />

33<br />

22<br />

33<br />

33<br />

26<br />

27<br />

24<br />

60<br />

33<br />

Conflicting<br />

Pledges<br />

2<br />

7<br />

19<br />

5<br />

10<br />

11<br />

Tabelle 1: Übereinstimmung und Konflikte bei Wahlkampf<strong>versprechen</strong>, gemessen an 100%<br />

Quelle: Pomper (1980:194)<br />

Hierbei kann also ein großer Unterschied zwischen der Oppositionspartei und der Regierungspartei,<br />

nicht aber zwischen Demokraten und Republikanern festgestellt werden. Anders<br />

6<br />

2<br />

16<br />

25<br />

11<br />

11<br />

13<br />

0<br />

0<br />

10<br />

136<br />

5


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

<strong>sie</strong>ht es bei Themen aus der Arbeitspolitik und bei Themen über Regierungs- und Bürgerrechte<br />

aus. In diesen Bereichen herrscht eine hohe Konfliktrate zwischen der Opposition und der<br />

Regierung, da diese Issues materielle und ideologische Werte berühren.<br />

Im Gegensatz zu späteren Untersuchungen über das Verhältnis von Wahlprogrammen und<br />

politischem Handeln, ba<strong>sie</strong>rend auf der CMP Studie, untersucht Pomper sehr wohl auch den<br />

Policy-Output der Opposition (vgl. Volkens 2002). Der oppositionelle Policy-Output begründet<br />

sich jedoch aufgrund der Besonderheit des Zweiparteiensystems der USA nur auf erfüllte<br />

Versprechen der Regierungspartei, die ähnlich den Versprechen der Oppositionspartei sind.<br />

Pomper operationali<strong>sie</strong>rt den Policy-Output nicht über einzelne Politikfelder (CMP Studie),<br />

sondern über jegliche Form politischen Handelns in Form von Kongressabstimmungen oder<br />

Entscheidungen des Präsidenten, die auf die dritte Kategorie der „Statements of Future Policies“<br />

Versprechen zurück zuführen sind.<br />

Kritisch an dem Modell von Pomper ist eine mögliche Manipulierbarkeit von Seiten der <strong>Parteien</strong><br />

auf die Wählerschaft zu sehen. Die Kampagnen Strategien der <strong>Parteien</strong> vermögen<br />

durchaus mit Hilfe der Massenmedien das Wahrnehmungsfeld der Wählerschaft und welche<br />

Themen dort Eingang finden, zu gestalten. Die indirekte Einflussnahme des Wählers auf die<br />

Sachthemen in den Wahlprogrammen befindet sich also in einem Kreislauf der von den <strong>Parteien</strong><br />

aktiv mitgestaltet und gelenkt werden kann. Dadurch kann von einer reinen, wie bei<br />

Pomper dargestellten, souveränen Einflussnahme des Wählers nicht ausgegangen werden.<br />

II. Colin Rallings: „The Influence of Election Programmes:<br />

Britain and Canada 1956 - 1979“<br />

Inwieweit werden Mandate für die Umsetzung von Wahl<strong>versprechen</strong> genutzt?<br />

Den Grundstein für seine Untersuchung legt Rallings auf der theoretischen Basis repräsentativer<br />

Demokratien fest. <strong>Parteien</strong> streben auf der Grundlage von Wahl<strong>versprechen</strong> nach Macht.<br />

Das Mandat muss zur Umsetzung dieser Wahl<strong>versprechen</strong> dienen. Falls keine Umsetzung<br />

erfolgt, verliert der Mandatsinhaber, sprich die Regierungspartei, die Rechtfertigung für dieses<br />

Mandat.<br />

Um die Einflussnahme von Wahlprogrammen auf Regierungshandlungen nachzuweisen, zieht<br />

Rallings als Untersuchungsgegenstand zwei Länder mit für die Beweislage sehr günstigen<br />

politischen Systemen heran. Untersucht wird der Zeitraum von 1945-1979 in Großbritannien<br />

und Kanada. Das Westminster-Modell des Britischen Regierungssystems besitzt eine Fähigkeit,<br />

durch fehlende mögliche institutionelle Blockaden, wie z.B.: eine föderalistische Gegenmacht<br />

oder ein Verfassungsgericht, zum schnellen Entscheiden (vgl. D@dalos 2003). Anders<br />

als in Großbritannien bedeutet die föderale Struktur der Kanadischen Konstitution, dass<br />

Kompromisse bei der Umsetzung von Wahl<strong>versprechen</strong> eingegangen werden müssen. Begünstigend<br />

für schnelles politisches Handeln ist die asymmetrische Struktur in der Kompetenzverteilung<br />

der einzelnen Provinzen. Die kanadische Verfassung macht nur wenig konkrete<br />

Vorgaben bezüglich der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Gliedstaaten<br />

(vgl. Plate 1997/1998). Ebenfalls wird in beiden Ländern das Mehrheitswahlrecht angewendet,<br />

welches regelmäßig die Stimmenergebnisse zugunsten der großen <strong>Parteien</strong> verzerrt und<br />

6


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

für klare Mehrheiten sorgt. Dadurch kann eine Regierungsbildung ohne Koalitionspartner<br />

zustande kommen.<br />

In beiden Ländern wird in einer jährlich stattfindenden Regierungserklärung, in England vorgetragen<br />

von der Königin und in Kanada vom Generalgouverneur, das Gesetzesentwurfsprogramm<br />

der Regierung vorgestellt. Diese Reden spiegeln die Arbeit der jeweiligen Regierungen<br />

wieder und gelten bei Rallings als Richtlinie anhand derer er die Erfüllung von Versprechen<br />

misst. Der Autor überprüft den Policy-Output also über Thronreden, parlamentarischen<br />

Handlungen, ökonomischen Statistiken und Exekutivaktionen.<br />

Rallings konzentriert sich in seiner Untersuchung auf präzise Handlungsverspechen. Ähnlich<br />

dem Untersuchungsdesign von Pomper lässt Rallings in seiner Untersuchung die Einstellungsdaten<br />

von <strong>Parteien</strong> außen vor (vgl. Rölle 2000:44) - er erhebt diese Daten im Gegensatz<br />

zu Pomper noch nicht einmal (vgl. Rallings 1987:3). Der Analysemodus für Versprechen unterscheidet<br />

sich bei Rallings nach ihrem Grad an Priorität, Wichtigkeit und daran, ob <strong>sie</strong> kontroverser<br />

als andere sind. Die Implementierung eines Versprechens definiert Rallings, indem<br />

er nur die Beendigungen von Legislaturperioden als Kontrollpunkt bestimmt, an umgesetzten<br />

Gesetzesentwürfen.<br />

Bei der Betrachtung über die Einhaltung von Versprechen stellt Rallings fest, dass die Anzahl<br />

der formulierten Versprechen in Großbritannien konsistent von 18 im Jahr 1945 bis auf 57 im<br />

Jahr 1974 angestiegen ist. Rallings führt diese Entwicklung auf die ansteigende Bedeutung<br />

von Sozialpolitik in Großbritannien zurück. In Kanada wird die Sozialpolitik von den Regierungen<br />

in den Provinzen übernommen, daher fehlt dieser Effekt einer steigenden Bedeutung<br />

von Sozialpolitik in den Kanadischen Wahlprogrammen auf der Bundesebene.<br />

Warum glauben Wähler nicht an Wahl<strong>versprechen</strong> und deren Umsetzung?<br />

Das Ergebnis der Untersuchung verzeichnet einen Erfolg für die <strong>Parteien</strong> in ihrer Umsetzung<br />

von Gesetzesentwürfen. In Großbritannien wurden 70 Prozent aller aufgeführten Gesetze erlassen.<br />

Kanada erzielt die gleiche Anzahl in zwei von drei Legislaturperioden. Durch die<br />

mangelnde Wahlbeteiligung in beiden Ländern in den Wahljahren 1977-78 können die jeweiligen<br />

dünnen Mehrheiten im „House of Commons“ (Unterhaus) mit keiner großen Anzahl<br />

erlassener Gesetze aufwarten. Großbritannien erreicht einen Durchschnittswert von 63,7 Prozent<br />

in der Erfüllung von Wahl<strong>versprechen</strong>. Ähnlich erfolgreich <strong>sie</strong>ht der Durchschnitt von<br />

71,5 Prozent in Kanada aus, wobei die Versprechen zurückhaltender in ihrer Formulierung<br />

sind. Zur Verdeutlichung zeigen die beiden folgenden Tabellen 1 und 2 die Implementierungen<br />

der Versprechen in Prozent in Großbritannien und Kanada, gemessen an den einzelnen<br />

Legislaturperioden:<br />

7


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

1945-50<br />

1950-51<br />

1951-55<br />

1955-59<br />

1959-64<br />

1964-66<br />

1966-70<br />

1970-74<br />

1974-74<br />

1974-79<br />

Number of Pledges<br />

18<br />

15<br />

15<br />

20<br />

33<br />

50<br />

47<br />

52<br />

43<br />

57<br />

Number Implemented<br />

Tabelle 1: Erfüllte Versprechen in Großbritannien, gemessen an 100%<br />

Quelle: Rallings (1987:12)<br />

1945-49<br />

1949-53<br />

1953-57<br />

1957-58<br />

1958-62<br />

1962-63<br />

1963-65<br />

1965-68<br />

1968-72<br />

1972-74<br />

1974-79<br />

Number of Pledges<br />

7<br />

20<br />

7<br />

17<br />

5<br />

8<br />

33<br />

14<br />

40<br />

1<br />

20<br />

15<br />

4<br />

12<br />

16<br />

27<br />

29<br />

32<br />

34<br />

14<br />

40<br />

Number Implemented<br />

Tabelle 1: Erfüllte Versprechen in Kanada, gemessen an 100%<br />

Quelle: Rallings (1987:12)<br />

6<br />

17<br />

7<br />

9<br />

4<br />

5<br />

25<br />

10<br />

27<br />

10<br />

12<br />

&<br />

8<br />

83,3<br />

26,7<br />

80<br />

80<br />

21,8<br />

58<br />

68<br />

65,4<br />

32,6<br />

70,2<br />

Avg. 63,7<br />

&<br />

85,7<br />

85<br />

100<br />

53<br />

80<br />

62,5<br />

75,7<br />

71,4<br />

67,5<br />

100<br />

60<br />

Avg. 71,5


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Die Ergebnisse bestätigen das Untersuchungsdesign und Rallings Annahme, dass Koalitionsregierungen<br />

und föderale Regierungsstrukturen benachteiligt in ihrer Effizienz im politischen<br />

Handeln sind. Bei der Einhaltung von Versprechen kann ebenfalls ein Unterschied in der Art<br />

des Versprechens festgemacht werden. Klare Versprechen zur Erhöhung von Sozialleistungen<br />

und zur Aufhebung von ideologischen zeitlich unakzeptablen Gesetzen werden durchgängig<br />

eingehalten. Kanadische <strong>Parteien</strong> nehmen mehrmals Versprechen zur Erhöhung von Entwicklungshilfen<br />

an die Dritte Welt auf, diese Issues können aber aufgrund ihrer Finanzierung aus<br />

öffentlichen Geldern und ihrer niedrigen Priorität niemals umgesetzt werden.<br />

Rallings findet für die realitätsferne Einschätzung der Wähler über die Erfüllung von Wahl<strong>versprechen</strong><br />

seine Erklärung in den Wirkungen der Massenmedien. Das öffentliche Bewusstsein<br />

wird durch die Massenmedien dominiert. Eine starke Konzentration durch wirtschaftspolitische<br />

Themen beeinflusst den Wähler in seiner Beurteilung über die Erfüllung von Wahl<strong>versprechen</strong>.<br />

Eindeutige Versprechen werden in der Wirtschaftpolitik selten getroffen und<br />

doch werden oftmals Sachthemen dem Kontext heraus entnommen und gegen den verantwortlichen<br />

Politiker verwendet. Solche massenmedialen Darstellungen hinterlassen bei der Wählerschaft<br />

einen allgemeinen Eindruck über die Intentionen der <strong>Parteien</strong> und lässt das Wahlprogramm<br />

in seiner Relevanz zurücktreten. Eine tagesaktuelle Bestätigung für diese These<br />

bezieht sich auf den vom Bundestag verabschiedeten „Lügenausschuss“ - die Untersuchung<br />

über eine absichtliche Unterschlagung von Seiten der Bundesregierung über den Bundeshaushalt<br />

und den damit verbundenen Risiken zur Einhaltung der EU-Defizitgrenze.<br />

9


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

III. Daniel Rölle: „Parteiprogramme und parlamentarisches Handeln“<br />

Zentrales Anliegen der Untersuchung von Daniel Rölle ist die Berücksichtigung der Opposition<br />

bei der Einschätzung eines Zusammenhangs zwischen Wahlprogrammen und politischem<br />

Handeln in der Bundesrepublik Deutschland. Und letzteres ist auch der entscheidende Unterschied<br />

zu den konventionellen Untersuchungen im Rahmen des CMP: um den Policy-Output<br />

auch der Opposition erfassen zu können, kann dieser nicht über die Haushaltsausgaben operationali<strong>sie</strong>rt<br />

werden, da dieses Instrument nur den Regierungsparteien zur Verfügung steht.<br />

Rölle wählt also einen anderen Weg und operationali<strong>sie</strong>rt den Policy-Output über das parlamentarische<br />

Handeln der Fraktionen. Mit parlamentarischem Handeln ist hier das Instrumentarium<br />

gemeint, welches den Fraktionen im Bundestag zur Verfügung steht. Darunter fallen:<br />

Gesetzesentwürfe, Sachanträge, Änderungsanträge, Entschließungsanträge, große und kleine<br />

Anfragen und die Beantragung Aktueller Stunden. Als politischer Akteur wurde die Fraktion<br />

gewählt, weil diese, anders als etwa der einzelne Abgeordnete, am ehesten die Linie der gesamten<br />

Partei vertritt, so wie <strong>sie</strong> im Wahlprogramm formuliert wurde.<br />

Rölle untersucht aus dem Zeitraum von 1949-1987 vier Wahlperioden (1949-53, 1965-69,<br />

1969-72 und 1983-87) anhand der im Rahmen des CMP analy<strong>sie</strong>rten Wahlprogramme bzw.<br />

Regierungserklärungen 2 und beschränkt sich dabei auf das Politikfeld „Wohlfahrtsstaat“, welches<br />

während der gesamten Legislaturperiode hinweg gleichmäßig oft Gegenstand von Bundestagsdebatten<br />

war, darüber hinaus für den Wähler eine hohe Relevanz besitzt und ein dementsprechend<br />

in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiertes Thema ist (vgl. Klingemann 1989,<br />

Volkens 1989). Zudem ist das Politikfeld „Wohlfahrtsstaat“ in wahltaktischer Hinsicht ein<br />

sensibles Thema, denn Gratifikationen in Aussicht zu stellen kann neue Wählerschichten erschließen,<br />

während es zugleich diejenigen verprellt, welche deshalb mit Steuererhöhungen<br />

rechnen.<br />

Gibt es also, bezüglich des Politikfeldes „Wohlfahrtsstaat“, einen Unterschied im Policy-<br />

Output von Regierung und Opposition, eine Annahme, die durch den Verdacht gestützt wird,<br />

die Opposition könne bedenkenlos wohlfahrtsstaatliche Initiativen einbringen, da <strong>sie</strong> außerhalb<br />

der Regierungsverantwortung nicht in die Pflicht genommen ist, diese Initiativen auch<br />

konkret umzusetzen. Das Untersuchungsdesign erlaubt Rölle weiter zu erfassen, ob die politischen<br />

Aktivitäten der <strong>Parteien</strong> zum Wahltermin hin zunehmen, eine Hypothese, die zuerst von<br />

Kirchheimer (1976) geäußert wurde.<br />

Die Kernfrage der Untersuchung lautet also: In welchem Maße handeln die <strong>Parteien</strong> im deutschen<br />

Bundestag bei ihren parlamentarischen Handlungen kongruent mit den Aussagen in<br />

ihren Wahlprogrammen? In Anlehnung an das CMP müsste also, bei gegebener Kongruenz,<br />

der Anteil des Politikfeldes Wohlfahrtsstaat am Wahlprogramm mit einem entsprechend hohen<br />

Anteil an parlamentarischem Handeln zu diesem Issue korrespondieren.<br />

Bei der Betrachtung der Bedeutungszumessung des Themas „Wohlfahrtsstaat“ über die<br />

Wahlperioden hinweg kommt Rölle zu einem ersten, nicht unbedingt zu erwartenden Ergebnis,<br />

denn dieser Anteil ist keineswegs konstant, sondern unterliegt starken Schwankungen.<br />

2 Diese werden herangezogen, um die Handlungsabsichten von Koalitionsregierungen, die in der Bundesrepublik<br />

eher die Regel sind, an einem für alle beteiligten <strong>Parteien</strong> verbindlichen Papier festzumachen.<br />

10


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Die größten Schwankungen sind bei der SPD zu finden (Standardabweichung = 4,2), welche<br />

allerdings auch den kontinuierlich höchsten Anteil wohlfahrtsrelevanter Themen aufweist<br />

(durchschnittlich 9,2 % verglichen mit 3,1 % bei der FDP). Andererseits ist es aber die FDP,<br />

welche von allen <strong>Parteien</strong> den höchsten positiven Saldo zugunsten des parlamentarischen<br />

Handelns zu wohlfahrtsstaatlichen Themen zeigt (<strong>sie</strong>he Tabelle 3: bis zu 16 % mehr, als es<br />

das Wahlprogramm hätte vermuten lassen. Interessant an dieser Stelle auch: die Untersuchungen<br />

von Hofferbert/Klingemann/Volkens [1992: 387] ergaben, dass das Wahlprogramm der<br />

FDP in Koalitionsregierungen ein ebenso gutes Vorhersaginstrument war, wie das Programm<br />

der Kanzlerpartei selbst. Und weiter: die FDP konnte von allen <strong>Parteien</strong> prozentual die meisten<br />

ihrer Positionen in Regierungshandeln umsetzen [nach Rölle 2000] – wie ist das mit der<br />

Demokratietheorie, nach welcher das Mehrheitsvotum die Politik bestimmen sollte, zu vereinbaren?).<br />

Partei 1. WP<br />

1949-53<br />

CDU/CSU<br />

SPD<br />

FDP<br />

GRÜNE<br />

5,4<br />

12,2<br />

2,8<br />

-<br />

5. WP<br />

1965-69<br />

10,4<br />

7,1<br />

1,9<br />

-<br />

Legislaturperiode<br />

6. WP<br />

1969-72<br />

9,3<br />

13,0<br />

6,0<br />

-<br />

11<br />

10. WP<br />

1983-87<br />

Tabelle 1: Anteil wohlfahrtsrelevanter Aussagen in den Wahlprogrammen 1949-87 in Prozent<br />

Quelle: Rölle (2000:63)<br />

Zur Verdeutlichung zeigt folgende Tabelle die untersuchten Legislaturperioden und die jeweiligen<br />

Regierungen. Die ausgesuchten Perioden weisen also die wichtigsten Konstellationen<br />

bis 1987 auf:<br />

Legislaturperiode Regierung Kanzler<br />

1. Wahlperiode 1949-53 CDU/CSU, FDP, DP Adenauer<br />

5. Wahlperiode 1965-69 Große Koalition Erhard, Kiesinger<br />

6. Wahlperiode 1969-72 Sozial-liberale Koalition,<br />

SPD, FDP<br />

10. Wahlperiode 1983-87 Christlich-liberale Koalition,<br />

CDU/CSU, FDP<br />

Tabelle 2: Legislaturperioden und Regierungen<br />

Quelle: Rölle (2000:60)<br />

Brandt<br />

Kohl<br />

Tabelle 3 schließlich zeigt die Anteile wohlfahrtsstaatlicher Themen in den Wahlprogrammen<br />

verglichen mit dem Anteil an parlamentarischem Handeln sowie die Differenz zwischen beiden.<br />

Der untere Teil vergleicht Regierung und Opposition miteinander.<br />

6,5<br />

4,6<br />

1,5<br />

3,0


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Fraktionen<br />

SPD<br />

CDU/<br />

CSU<br />

FDP<br />

GRÜNE<br />

Opposition<br />

Regierung 3<br />

1. Wahlperiode 1949-53 5. Wahlperiode 1965-69 6. Wahlperiode 1969-72 10. Wahlperiode 1983-87 Gesamt<br />

Parl.<br />

Handl.<br />

23<br />

17<br />

19<br />

-<br />

18<br />

Wahl-<br />

Progr.<br />

12<br />

5<br />

3<br />

-<br />

Diff. Parl.<br />

Handl.<br />

+ 11<br />

+ 12<br />

+ 16<br />

-<br />

SPD: 12 + 6<br />

6<br />

6<br />

12<br />

-<br />

(FDP)<br />

12<br />

Wahl-<br />

Progr.<br />

7<br />

10<br />

2<br />

-<br />

Diff. Parl.<br />

Handl.<br />

- 1<br />

- 4<br />

+ 10<br />

-<br />

19<br />

16<br />

19<br />

-<br />

Wahl-<br />

Progr.<br />

8 7 + 1 7 5 +2 16 6<br />

Tabelle 3: Der Zusammenhang zwischen Wahl<strong>versprechen</strong> und parlamentarischem Handeln.<br />

Quelle: Rölle (2000:82)<br />

3 Bezogen auf die Regierungserklärung<br />

2<br />

+10<br />

16<br />

13<br />

9<br />

6<br />

-<br />

9<br />

Diff. Parl.<br />

Handl.<br />

+ 6<br />

+ 7<br />

+ 13<br />

-<br />

+ 7<br />

13<br />

12<br />

15<br />

4<br />

12<br />

Wahl-<br />

Progr.<br />

5<br />

8<br />

2<br />

3<br />

S: 5<br />

G: 9<br />

Diff. Diff.<br />

+ 8<br />

+ 4<br />

+ 13<br />

+ 1<br />

+ 6<br />

+ 4,8<br />

+ 13<br />

+ 1<br />

+ 7<br />

+ 3 8,3<br />

+ 10 12 5 7 5<br />

12


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Der Vergleich von Aussagen in den Wahlprogrammen und parlamentarischem Handeln führt<br />

zu dreierlei Ergebnissen:<br />

1. Für das Politikfeld „Wohlfahrtsstaat“ gilt: die <strong>Parteien</strong> haben stets mehr parlamentarisches<br />

Handeln an den Tag gelegt, als es der Anteil des Themas am Gesamtvolumen des Wahlprogramms<br />

vermuten ließ. Die einzige Ausnahme bildet dabei die Zeit der Großen Koalition:<br />

nur hier ergab sich ein Defizit.<br />

2. Es spielt dabei keine Rolle, ob eine Partei Regierungsverantwortung trägt, oder ob <strong>sie</strong> sich<br />

in der Opposition befindet.<br />

3. Zum Wahltermin hin steigen die parlamentarischen Aktivitäten an, wenn <strong>sie</strong> am Anfang<br />

der Legislaturperiode unterrepräsentiert waren. Kirchheimers Behauptung scheint sich also<br />

mit Einschränkung zu bestätigen.<br />

Als einzige Wahlperiode weicht die Große Koalition von der allgemeinen Tendenz ab: nur<br />

hier ist das Verhältnis von Wahl<strong>versprechen</strong> zu parlamentarischem Handeln defizitär. Rölle<br />

führt dies auf den „Kompromisscharakter“ der Großen Koalition zurück (vgl. Rölle 2000,<br />

2001), die in ihrer Endphase von starken Differenzen zwischen der Union und den Sozialdemokraten<br />

geprägt war. Das öffentliche Klima dieser Zeit, als dessen Ausdruck Studentenrevolte<br />

und Außerparlamentarische Opposition (APO) gelten können, legen die Vermutung nahe,<br />

die sich ihrer Regierungsmacht sichere Große Koalition habe mit ihrer Unterbewertung<br />

wohlfahrtsstaatlicher Issues breiten Schichten der Wählerschaft ein Gefühl der Ohnmacht<br />

bereitet. 1969 wird Willy Brandt darauf reagieren und „mehr Demokratie wagen“.<br />

Das Beispiel der Großen Koalition macht ein Problem dieser Untersuchung deutlich: parlamentarisches<br />

Handeln findet nicht im luftleeren Raum statt. Die nackten Zahlen geben keinerlei<br />

Auskunft über Randbedingungen wie: Wirtschaftsdaten, Massenmedien, Einstellung der<br />

Bevölkerung oder auch Lobbyismus.<br />

Tabelle 3 offenbart noch einen weiteren Schwachpunkt: entgegen der landläufigen Meinung<br />

legen die <strong>Parteien</strong> nicht etwa weniger parlamentarisches Engagement zu wohlfahrtsstaatlichen<br />

Themen an den Tag, sondern deutlich mehr (vgl. die Spalte „Differenz“). Für Rölle ist dies<br />

ein Beweis für die Verlässlichkeit von Wahlprogrammen. Wenn man jedoch berücksichtigt,<br />

dass die <strong>Parteien</strong> z.T. mehr als das zweifache an wohlfahrtsstaatlichem Engagement in den<br />

Bundestag einbrachten, und dieses Verhältnis ja nur auf Kosten anderer Themen zu steigern<br />

war, kann es um die Vorhersagequalität von Wahlprogrammen nun doch nicht so gut bestellt<br />

sein. Eine gesicherte Auskunft über die Verschiebung der Verhältnisse könnte die Untersuchung<br />

nur geben, wenn <strong>sie</strong> sich nicht auf ein Politikfeld beschränkte, sondern alle Politikfelder<br />

einbezöge.<br />

Und letztens ist zu berücksichtigen, dass diese Untersuchung rein den Anteil wohlfahrtsstaatlicher<br />

Themen in den Wahlprogrammen mit dem Anteil parlamentarischen Handelns vergleicht.<br />

Dies sagt aber nichts über die Richtung der Aktivität aus. Ob eine Partei also dem<br />

Wortlaut ihres Programms folgt, oder aber das komplette Gegenteil umsetzt, lässt sich mit<br />

diesem Untersuchungsdesign nicht erfassen. Hier ist die CMP-übliche Operationali<strong>sie</strong>rung<br />

des Policy-Outputs über die Haushaltsausgaben aussagekräftiger.<br />

13


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

IV. François Petry: „Schwaches Mandat: Parteiprogramme und öffentliche<br />

Ausgaben in der französischen Fünften Republik“<br />

Wenden wir uns nun den Verhältnissen in Frankreich und damit der Untersuchung von Francois<br />

Petry zu.<br />

Im Vergleich zu Deutschland weist das politische System Frankreichs deutliche Unterschiede<br />

auf, die Untersuchungen über den Zusammenhang von Wahlprogrammen und politischem<br />

Handeln schwieriger gestalten.<br />

Die so genannte Fünfte Republik besteht seit 1958 und gründet sich auf eine Verfassungsänderung<br />

auf die Initiative von General Charles de Gaulle hin, und aus der unter Anderem eine<br />

Stärkung der Stellung des Präsidenten hervorging. Anders als in Deutschland besteht die Exekutive<br />

in Frankreich aus einer Art Doppelspitze: dem vom Volk direkt gewählten Präsidenten<br />

und der Regierung unter Leitung des Premierministers. Aufgrund dieser Struktur kann es in<br />

Frankreich zu einer Konstellation kommen, in der der Präsident und Premier nicht derselben<br />

Partei angehören, ein Zustand, der „Kohabitation“ genannt wird; so war der Sozialist Lionel<br />

Jospin Premierminister unter dem Konservativen Jaques Chirac.<br />

Das Parlament besteht aus zwei Kammern: der auf fünf Jahre gewählten Nationalversammlung<br />

und dem auf neun Jahre gewählten Senat, welcher die politische Stabilität gewährleisten<br />

soll. Das wichtigste Instrument der Exekutive ist die Verwaltung und diese ist, aufgrund der<br />

zentralistischen Organisation Frankreichs, ein bürokratischer Moloch, dessen hohe Trägheit<br />

eine klare Entfaltung des Policy-Outputs oftmals versanden lässt (vgl. Suleiman 1974).<br />

Diese Untersuchung nun bedient sich zwar ebenfalls der inhaltsanalytischen Methode und<br />

operationali<strong>sie</strong>rt den Policy-Output über die Haushaltsausgaben, aber eben nicht konform mit<br />

den Konventionen des CMP. Sie bedient sich anderer Kategorien bei der Einteilung der Politikfelder<br />

(hier sind es nur 13 im Vergleich zu den 54 des CMP) und wertet die Programme<br />

hinsichtlich der Aussagen aus, die eine Minderung oder Erhöhung der Haushaltsausgaben<br />

fordern. Diese Aussagen werden gegeneinander aufgerechnet; als Ergebnis ergibt sich ein<br />

positiver oder negativer Index. Die Richtung der Wahl<strong>versprechen</strong> ist hinsichtlich der Haushaltsangaben<br />

also erfasst. Zusätzlich wurde, ähnlich wie beim CMP, der Anteil eines Haushaltsressorts<br />

am Gesamtprogramm ermittelt. Auf Seite der Regierung wurden die Haushaltsausgaben<br />

auf Dollar umgelegt und der Anteil der einzelnen Ressorts prozentual ermittelt.<br />

Um nun Zusammenhänge nachweisen zu können, wurden die Legislaturperioden der Jahre<br />

1960-1989 einer Zeitreihen-Regressionsanalye unterzogen.<br />

Eine Schwierigkeit für die Analyse liegt in der Art der französischen Wahlprogramme. Im<br />

Vergleich zur Bundesrepublik weist die französische <strong>Parteien</strong>landschaft einen hohen Grad der<br />

Polari<strong>sie</strong>rung auf. Dementsprechend sind die Inhalte französischer Wahlprogramme über weite<br />

Strecken polemischer Natur und haben eher ideologischen Charakter, wodurch eine klare<br />

Kategori<strong>sie</strong>rung der Aussagen erschwert wird – sofern überhaupt klare Handlungsabsichten<br />

geäußert werden.<br />

Petry verfolgt in seiner Untersuchung zwei Fragestellungen:<br />

14


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

1. Beeinflusst ein Wahlprogramm die Haushaltsausgaben, wenn die betreffende Partei an der<br />

Regierung ist, und<br />

2. Beeinflusst ein Wahlprogramm die Haushaltsausgaben, wenn die betreffende Partei in der<br />

Opposition ist?<br />

Wir sehen also hier ähnlich wie bei Rölle den Versuch, auch den Einfluss der Opposition zu<br />

berücksichtigen. Jedoch geht es hier weniger um die Frage, ob sich das Wahlprogramm der<br />

Opposition in ein äquivalentes parlamentarisches Handeln übersetzen lässt, sondern ob das<br />

Programm der Opposition womöglich ein besseres Vorhersageinstrument für die Regierungsausgaben<br />

ist, als das Programm der Regierungsparteien selbst. Vor dem Hintergrund dieser<br />

Fragestellungen werden vier Erklärungsansätze vorgestellt:<br />

1. Die These der „Isolation-von-Parteiprogrammen“<br />

Diese These bestreitet einen Zusammenhang von Parteiprogrammen und Haushaltsausgaben,<br />

gleichgültig, ob eine Partei regiert oder sich in der Opposition befindet. Eine mögliche Erklärung<br />

liegt zum einen in den schwammig formulierten Wahlprogrammen, die ohne klare Aussagen<br />

über Handlungsabsichten sind und somit auch nicht die Grundlage für die Vorhersage<br />

der Haushaltsausgaben sein können. Ein anderer Grund liegt in der oben erwähnten Trägheit<br />

der französischen Verwaltung, einem Staat im Staate, der sich als sehr widerstandsfähig gegenüber<br />

äußeren Einflüssen erweist, den Policy-Output der Regierung also zu schlucken imstande<br />

wäre.<br />

2. Die „Mandat“-These<br />

Dieser These zufolge sind die Haushaltsausgaben einzig von den Wahlprogrammen der Regierungspartei<br />

abhängig, genauer: von der Partei des Präsidenten. Dementsprechend müsste<br />

die Regressionsanalyse den stärksten Zusammenhang zwischen Haushaltsangaben und dem<br />

Programm der Gaullisten aufweisen, weil diese im Zeitraum von 1960 bis 1989 am längsten<br />

den Präsidenten stellten, der geringste Zusammenhang müsste zum Programm der Kommunisten<br />

bestehen. Zusätzlich zu diskutieren wäre der Spezialfall von Koalitionsregierungen.<br />

3. Die „Hegemonie“-These<br />

Trifft die „Hegemonie“-These zu, so sind die Haushaltsausgaben eines Ressorts am meisten<br />

abhängig vom Wahlprogramm der Partei, welche das betreffende Ministerium die längste Zeit<br />

führte. Denkbar wäre auch ein großer Einfluss der Partei, welcher seitens der Bevölkerung die<br />

größte Kompetenz für ein Ressort zugeschrieben wird. In diesem Fall ist es wahrscheinlich,<br />

dass die Politik dieser Partei auch dann verfolgt wird, wenn <strong>sie</strong> das Ressort gar nicht besetzt<br />

hat.<br />

4. Die „Ansteckung-durch-Opposition“-These<br />

Befindet sich die Regierungspartei im Unklaren darüber, welche Politik die Zustimmung des<br />

Wählers erfährt, kann <strong>sie</strong> dazu kommen, die Politik der Opposition zu übernehmen, schlicht<br />

aus der Angst heraus, die Opposition könne die nächste Regierung stellen. Nach der „Ansteckung-durch-Opposition“-These<br />

wären die Haushaltsausgaben der Regierung also am Besten<br />

am Wahlprogramm der Opposition abzulesen.<br />

15


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Methodisch geht Petry folgendermaßen vor. Für den Untersuchungszeitraum 1960-89 wurden<br />

die Haushaltsausgaben in den dreizehn Ressorts mit ihren steigenden oder fallenden Tendenzen<br />

(über die so genannten Regressionskoeffizienten) erfasst und mit den Tendenzen der<br />

Wahlprogramme verglichen. Die Haushaltsressorts ließen sich in zwei Gruppen scheiden:<br />

zeigten wenigstens drei Programme die gleiche Tendenz auf, ordnete man <strong>sie</strong> der Gruppe der<br />

konvergenten Ressorts zu, widerstrebten wenigstens zwei Programme der Tendenz, so<br />

handelte es sich um die Gruppe der divergenten Ressorts. Interessanterweise waren die<br />

meisten der konvergenten Ressorts aus dem wohlfahrtsstaatlichen Bereich. Anhand der<br />

divergenten Ressorts nun konnte die Ansteckung-durch-Opposition-Hypothese überprüft<br />

werden.<br />

Drei der vier Thesen wurden in statistische Modelle übersetzt, die also den generellen Einfluss,<br />

den Einfluss der Regierungsmacht und den Einfluss des Innehabens eines Ministeriums<br />

in Relation zur Tendenz der Haushaltsausgaben über die Zeit herausrechnet. Die Isolations-<br />

These zeigt sich in der Abwesenheit eines Zusammenhangs.<br />

Die Auswertung der Zeitreihen-Regressionsanalyse führt Petry bezüglich der beiden Hauptfragestellungen<br />

zu folgenden Ergebnissen:<br />

1. Wahlprogramme haben einen Einfluss auf die Haushaltsausgaben, jedoch spielt es keine<br />

Rolle, ob eine Partei an der Regierung beteiligt ist oder nicht.<br />

Genauer:<br />

2. Wahlprogramme haben eher einen Einfluss, wenn es sich um das der Partei des Präsidenten<br />

handelt, aber<br />

3. das Wahlprogramm des Präsidenten hat einen überwiegend negativen Einfluss auf die<br />

Haushaltsausgaben.<br />

Aus den Ergebnissen ergibt sich eine teilweise Bestätigung der „Hegemonie“-These und der<br />

„Ansteckung-durch-Opposition“-These. Die „Mandat“-These scheint widerlegt zu sein: dem<br />

Wahlprogramm der Partei des Premierministers ist kein Einfluss zuzuschreiben, im Falle des<br />

Präsidenten ist nur ein schwacher Einfluss zu beobachten, da sich bezogen auf die Ressorts<br />

Zusammenhänge eher aus der Hegemonie-Hypothese herleiten lassen. Weiter: je nach Ressort<br />

scheint eher die eine oder die andere (Hegemonie oder Ansteckung-durch-Opposition) Hypothese<br />

zu greifen.<br />

So kommt Petry zu dem jeder Demokratietheorie widersprechenden Ergebnis: in Frankreich<br />

scheint sich zumeist die Politik der Opposition durchzusetzen. Dies bleibt – nicht zuletzt für<br />

Petry selbst – erklärungsbedürftig. Mögliche Erklärungen wären: es fehlt die Berücksichtigung<br />

außerparlamentarischer Faktoren wie Wirtschaftslage, Massenmedien, Einstellung der<br />

Bevölkerung und Bürokratie. Auch können bei diesem Untersuchungsdesign Einflussgrößen<br />

wie Koalitionsregierungen oder die oben erwähnte Kohabitation in ihrer Auswirkung nicht<br />

eingeschätzt werden, da nicht wie bei Rölle die jeweiligen Legislaturperioden miteinander<br />

verglichen werden, sondern die Berechnung der Indizes über den gesamten Zeitraum von 29<br />

Jahren erfolgt. Letztens ist es fraglich, ob es die oben beschriebene Eigenart der französischen<br />

Wahlprogramme überhaupt erlaubt, <strong>sie</strong> zur Grundlage einer Inhaltsanalyse zu machen.<br />

16


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Fazit<br />

Am Ende unseres Parforceritts durch die politischen Systeme von fünf Ländern und der Methodik<br />

vierer Untersuchungen drängt sich geradezu die Frage auf: welches ist denn nun die<br />

„bessere“ Demokratie? Es zeigt sich hier ein fundamentaler Gegensatz: ist die bessere Demokratie<br />

die effizientere, oder ist es die „demokratischere“?<br />

Wir sahen am Beispiel der USA ein Zweiparteiensystem mit klaren Mehrheiten und einem<br />

starken Präsidenten, in Großbritannien das Westminster-Modell mit durch das Mehrheitswahlrecht<br />

bedingten klaren Mehrheiten ohne den Zwang zu koalieren, in Kanada eine Variante<br />

des britischen Modells mit föderalen Einflüssen, in der Bundesrepublik die Kombination<br />

von Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht, der damit verbundenen Koalitionsregierungen<br />

plus eines starken Föderalismus und in Frankreich schließlich die komplizierte Konstellation<br />

der doppelköpfigen Exekutive mit einem aus zwei Kammern bestehenden Parlament.<br />

Die Ergebnisse der vorgestellten Untersuchungen legen folgenden Schluss nahe: je komplizierter<br />

die politische Struktur einer Demokratie, je mehr Akteure an der Macht partizipieren,<br />

desto schwieriger gestaltet sich die Umsetzung von programmatischen Äußerungen in tatsächliches<br />

politisches Handeln.<br />

So findet Daniel Rölle zwar einen starken Zusammenhang zwischen den Aussagen in den<br />

Wahlprogrammen und dem parlamentarischen Handeln einer Fraktion, die Untersuchungen<br />

(vgl. Hofferbert/Klingemann/Volkens 1992:387) ergaben aber, dass das Wahlprogramm der<br />

FDP während ihrer Regierungsbeteiligungen ein ebenso gutes – wenn nicht besseres – Vorhersageinstrument<br />

für den Policy-Output der Regierung war, als das Programm der Kanzlerpartei<br />

selbst. Gemessen an der Wählerschaft, die beide zu vertreten haben, eine demokratische<br />

Schieflage. Denn Aussagen in den Wahlprogrammen scheinen sich zwar relativ deutlich im<br />

parlamentarischen Handeln niederzuschlagen, nicht aber in den Haushaltsausgaben. Demgegenüber<br />

steht in Deutschland ein politisches System mit mehrfachen Hindernissen für einen<br />

eindeutigen Policy-Output: keine klaren Mehrheiten, Koalitionsregierungen, der Einfluss des<br />

Bundesrates und ein starkes Parlament.<br />

Das Beispiel Frankreichs mit seinen komplizierten Strukturen zeigt durch die widersprüchlichen<br />

Ergebnisse in François Petrys Untersuchung wenigstens eines: der policy-output scheint<br />

hier dermaßen verzerrt zu werden, dass <strong>sie</strong> Petry zu fast schon widersinnigen Ergebnissen<br />

führt.<br />

Die Untersuchungen von Pomper und Rallings beziehen sich auf politische Systeme, die<br />

durch das Mehrheitswahlrecht keine Koalitionsregierungen aufweisen. Dadurch ergeben sich<br />

hohe Durchschnittswerte an erfüllten Wahl<strong>versprechen</strong> von 63,7 bis 71,5 Prozent in Großbritannien<br />

und Kanada und ca. 50 Prozent in den USA. Es gibt hier also einen starken Zusammenhang<br />

zwischen Wahl<strong>versprechen</strong> und politischem Handeln – verbunden mit relativ einfachen<br />

politischen Strukturen und klaren Mehrheiten.<br />

Methodisch zeigen die behandelten Untersuchungen Schwierigkeiten in der Operationali<strong>sie</strong>rung<br />

des Policy-Outputs auf. Wie kann diese gleichzeitig die Richtung des politischen Handelns<br />

erfassen (eher grob beim CMP, genauer bei Pomper), das Handeln der Opposition und<br />

das parlamentarische Engagement erfassen? Pomper kann durch seine Kategori<strong>sie</strong>rung der<br />

17


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Wahl<strong>versprechen</strong> einen direkten Vergleich zu deren politischer Umsetzung machen. Fraglich<br />

aber bleibt, inwieweit diese Kategori<strong>sie</strong>rung konkret von den jeweiligen Analytikern der Programme<br />

wirklich objektiv beurteilt werden kann. Wie beurteilt man die Gewichtung eines<br />

Wahl<strong>versprechen</strong>s?<br />

Bei Rallings findet eine Operationali<strong>sie</strong>rung des Policy-Outputs auf mehreren Dimensionen<br />

statt, denn er wertet sowohl parlamentarisches Handeln, Regierungserklärungen als auch<br />

Haushaltsausgaben als probate Mittel zur Umsetzung von Wahl<strong>versprechen</strong>.<br />

Petry letztlich behandelt einen Zeitraum von 29 Jahren ohne eine Scheidung der Wahlperioden<br />

und der Zusammensetzung der Regierungen und misst den Policy-Output auch der Opposition<br />

an den Haushaltsausgaben der Regierung.<br />

Wie eingangs erwähnt, besteht ein großer Vorteil des CMP in der Vergleichbarkeit der Ergebnisse.<br />

Die vorliegenden Untersuchungen aber bedienen sich anderer Kategori<strong>sie</strong>rungen bei<br />

der Inhaltsanalyse und operationali<strong>sie</strong>ren den Policy-Output auf verschiedene Weise. Es sind<br />

also hinsichtlich des Vergleichs höchstens vage Vermutungen möglich. Politische Systeme<br />

mit klaren Mehrheiten scheinen also eine klarere Umsetzung der programmatischem Äußerungen<br />

zu erlauben: <strong>sie</strong> sind effizienter. Ob dies aber die Güte einer Demokratie ausmacht,<br />

darf bezweifelt werden - effizient nämlich sind Diktaturen auch. Die deutsche Variante der<br />

Kombination von Verhältniswahlrecht und Mehrheitswahlrecht schafft komplizierte Verhältnisse.<br />

Aber <strong>sie</strong> ist zugleich auch eher in der Lage, den Willen nahezu aller Wähler abzubilden<br />

und <strong>sie</strong> schafft es auch Minderheiten zu berücksichtigen. Dies aber kommt dem demokratischen<br />

Grundgedanken näher, als ein reines Mehrheitswahlrecht, welches nicht die Verhältnisse<br />

erfasst, sondern nur die stärkste Fraktion berücksichtigt.<br />

L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S<br />

Hofferbert, Richard I./Klingemann, Hans-Dieter 1990: The Policy Impact of Party<br />

Programmes and Government Declarations in the Federal Republic of Germany, in:<br />

European Journal of Political Research 18<br />

Hofferbert, Richard I./Klingemann, Hans-Dieter/Volkens, Andrea 1992: Wahlprogramme,<br />

Regierungserklärungen und Politisches Handeln. Zur "Programmatik politischer<br />

<strong>Parteien</strong>", in: Andreß, Hans-Jürgen/Huinink, Johannes, et al.: Theorie, Daten, Methoden.<br />

Neue Modelle und Verfahrensweisen in den Sozialwissenschaften, München<br />

Kirchheimer, Otto 1976: Der Wandel des westeuropäischen <strong>Parteien</strong>systems, in: Stammen,<br />

Theo (Hrsg): Vergleichende Regierungslehre, Darmstadt 1976, S. 253–287<br />

Klingemann, Hans-Dieter 1989: Die programmatischen Profile der politischen <strong>Parteien</strong> in<br />

der Bundesrepublik Deutschland. Eine quantitative Inhaltsanalyse der Wahlprogramme<br />

von SPD, FDP und CDU von 1949 bis 1987, in: Herzog, Dietrich/Wessels, Bernhard<br />

(Hrsg.): Konfliktpotentiale und Konsensstrategien. Beiträge zur politischen Soziologie<br />

der Bundesrepublik, Opladen.<br />

Klingemann, Hans-Dieter/Hofferbert, Richard I./Budge, Ian (Hrsg.), 1994: Parties, Policies,<br />

and Democracy, Boulder: Westview<br />

18


Andrea Urselmann/Oliver Manden – <strong>Halten</strong> <strong>Parteien</strong>, <strong>was</strong> <strong>sie</strong> <strong>versprechen</strong>?<br />

Petry, Francois, 1991: Fragile Mandate: Party Programmes and Public Expenditures in the<br />

French Fifth Republic. In: European Journal of Political Research 20, 149–171<br />

Pomper, Gerald M., 1980: Control and Influence in Democratic Politics. In: Democratic<br />

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