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Nachbarschutz gegen Blendwirkung durch glasierte Dachziegel ...

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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-<br />

Württemberg 3. Senat<br />

Entscheidungsdatum: 19.07.2007<br />

Aktenzeichen: 3 S 1654/06<br />

Dokumenttyp: Urteil<br />

Leitsatz<br />

- 1 -<br />

Quelle:<br />

Normen: § 65 Abs 1<br />

BauO BW,<br />

§ 47 Abs 1<br />

BauO BW, §<br />

15 Abs 1 S 2<br />

BauNVO<br />

Nachbarrechtsschutz; <strong>Blendwirkung</strong> <strong>durch</strong> <strong>glasierte</strong> <strong>Dachziegel</strong>;<br />

Lichtimmission; sozialadäquate Abwendungsmöglichkeit<br />

1. Die <strong>Blendwirkung</strong> eines das Sonnenlicht reflektierenden Ziegeldachs auf den<br />

Außenwohnbereich eines Nachbarn kann im Einzelfall rücksichtslos sein und einen<br />

auf Umdeckung des Dachs gerichteten Anspruch auf baubehördliches Einschreiten<br />

begründen.(Rn.25)<br />

Langtext<br />

2. Bei Abwägung der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit von Bauherr und Nachbarn<br />

ist außer der Intensität der <strong>Blendwirkung</strong> zu berücksichtigen, ob der Nachbar die Möglichkeit<br />

sozialadäquaten und ortsüblichen Eigenschutzes hat, welche Nutzungseinschränkungen seines<br />

Wohngrundstücks ihm dafür abverlangt werden und ob die die <strong>Blendwirkung</strong> auslösenden<br />

Maßnahmen vom materiellen Baurecht, insbesondere den örtlichen Bauvorschriften gedeckt<br />

sind.(Rn.26)<br />

Fundstellen<br />

ESVGH 58, 62 (Leitsatz)<br />

BWGZ 2007, 661-662 (Leitsatz und Gründe)<br />

BauR 2007, 1865-1867 (Leitsatz und Gründe)<br />

KommJur 2008, 71-73 (Leitsatz und Gründe)<br />

NVwZ-RR 2008, 162-164 (Leitsatz und Gründe)<br />

VBlBW 2008, 184-185 (Leitsatz und Gründe)<br />

BRS 71 Nr 170 (2007) (Leitsatz und Gründe)<br />

weitere Fundstellen<br />

ZUR 2007, 608 (Leitsatz)<br />

ZfBR 2008, 195 (Leitsatz)<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend VG Stuttgart, 16. November 2005, Az: 2 K 3548/03, Urteil<br />

Tenor<br />

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.<br />

November 2005 - 2 K 3548/03 - geändert.<br />

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Landratsamts Ludwigsburg<br />

vom 20.1.2003 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom<br />

29.7.2003 verpflichtet, <strong>gegen</strong>über den Beigeladenen die Neueindeckung der nördlichen<br />

Dachseite des auf dem Flurstück-Nr. 4518/19 der Gemeinde ... gelegenen Gebäudes mit nicht<br />

blendenden <strong>Dachziegel</strong>n anzuordnen.


Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beklagte und die<br />

Beigeladenen (gesamtschuldnerisch) jeweils die Hälfte der Gerichtskosten und der<br />

außergerichtlichen Kosten der Klägerin; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte und<br />

die Beigeladenen jeweils selbst.<br />

Die Revision wird nicht zugelassen.<br />

Tatbestand<br />

1 Die Klägerin begehrt ein bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten <strong>gegen</strong> die Beigeladenen.<br />

2 Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. 7004 der Gemarkung der Beklagten<br />

(... ...). Südöstlich dieses Grundstücks befindet sich auf Flst.-Nr. 4581/19 (... ...) das Grundstück<br />

der Beigeladenen. Das von den Beigeladenen abgegrabene Gelände steigt zum Grundstück der<br />

Klägerin deutlich an. Die Beigeladenen haben auf ihrem Grundstück ein Wohnhaus aufgrund<br />

einer Baugenehmigung vom 04.04.2002/27.06.2002 des Landratsamts Ludwigsburg errichtet.<br />

Das Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Halden<br />

V“ vom 19.02.1998. Unter Teilziffer 1.6 der örtlichen Bauvorschriften („Dacheindeckung<br />

- Hauptgebäude“) wird vorgeschrieben: „Zulässig sind Eindeckungen mit Ziegeln oder<br />

Betondachsteinen in naturroten und rotbraunen Farbtönen … Reflektierende Materialien sind<br />

nicht zulässig …“<br />

3 Schon kurz nach Fertigstellung des Daches beanstandete die Klägerin, dass von den<br />

verwendeten <strong>Dachziegel</strong>n des Typs Tegalit mit der „STAR“ Oberflächenbeschichtung der<br />

Firma ... ... bzw. der Firma ... eine erhebliche <strong>Blendwirkung</strong> ausgehe, und beantragte<br />

am 16.12.2002 beim Landratsamt Ludwigsburg ein förmliches Einschreiten <strong>gegen</strong> die<br />

Dacheindeckung der Beigeladenen.<br />

4 Mit Bescheid vom 20.01.2003 lehnte das Landratsamt Ludwigsburg den Antrag der Klägerin<br />

mit der Begründung ab, es seien keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften verletzt, welche eine<br />

Schutzwirkung für Dritte entfalteten. Bei der möglicherweise verletzten örtlichen Bauvorschrift<br />

handle es sich gerade nicht um eine nachbarschützende Vorschrift, diese diene vielmehr<br />

alleine dem Zweck, die optische Einheitlichkeit des Baugebiets zu gewährleisten. Überdies<br />

sei ein Einschreiten <strong>gegen</strong> die Dacheindeckung der Beigeladenen nach dem Grundsatz der<br />

Verhältnismäßigkeit unzulässig, so dass sich für die Klägerin auch kein Anspruch aus dem<br />

Rücksichtnahmegebot nach § 15 BauNVO ergebe. Die Beeinträchtigung sei von der Klägerin<br />

hinzunehmen bzw. ihr könne <strong>durch</strong> geeignete Abwehrmaßnahmen ent<strong>gegen</strong>gewirkt werden.<br />

Außerdem werde die <strong>Blendwirkung</strong> mit zunehmender Verwitterung der verwendeten <strong>Dachziegel</strong><br />

abnehmen.<br />

5 Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, den das Regierungspräsidium<br />

Stuttgart mit Bescheid vom 29.07.2003 als unbegründet zurückwies: Die Klägerin könne<br />

ihrerseits für einen geeigneten Schutz in Form von Vorhängen, Jalousien, Markisen oder<br />

Sonnenschirmen sorgen. Zudem seien die von den Beigeladenen verwendeten <strong>Dachziegel</strong><br />

handelsüblich, so dass sich die hieraus ergebenden Nachteile für die Nachbarn hinzunehmen<br />

seien.<br />

6 Am 29.08.2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen,<br />

dass ausreichende Abwehrmaßnahmen nicht realisierbar seien. Die <strong>Blendwirkung</strong> trete<br />

bereits während des Frühjahrs auf und halte bei höherem Sonnenstand bis in den Herbst<br />

hinein an. Sie sei je nach Jahreszeit zwischen 11.00 Uhr und 15.00 Uhr für jeweils mehrere<br />

Stunden festzustellen. Sie könne sich innerhalb ihres Gebäudes der <strong>Blendwirkung</strong> nur<br />

<strong>durch</strong> das vollständige Herunterlassen der Rollläden entziehen. Im Freien müsse man<br />

sich permanent mit dem Rücken zu dem Gebäude aufhalten. Das Dach des Gebäudes der<br />

Beigeladenen liege auf Augenhöhe mit der Terrasse der Klägerin. Die Klägerin habe bereits<br />

alles Zumutbare unternommen, um selbst eine Verringerung der <strong>Blendwirkung</strong> zu erzielen.<br />

Eine Markise für die Räume im Obergeschoss sei nicht realisierbar. Im Erdgeschoss würde<br />

eine Markise die <strong>Blendwirkung</strong> nur dann verhindern, wenn der Betroffene stehe. Beim Sitzen<br />

reiche ein Markisenausfall von 2,00 m nicht aus. Auch könne diese Markise bei stärkerem<br />

Wind nicht ausgefahren werden. Die vom Landratsamt ermittelten Kosten von 25.000,-<br />

- EUR für eine Umdeckung des Daches seien zu hoch angesetzt. Für das gesamte Dach<br />

entstünden allenfalls Kosten von ca. 5.900,-- EUR. Im Übrigen gingen von der Strahlenbelastung<br />

- 2 -


Gesundheitsgefährdungen aus, weshalb das Ermessen der zuständigen Behörde auf Null<br />

reduziert und sie zum Eingreifen verpflichtet sei.<br />

7 Die Beigeladenen haben hierauf erwidert, dass nach Angaben des Herstellers eine Umarbeitung<br />

der Dachsteine aus technischer Sicht nicht möglich sei. Die verwendeten ...-...-Dachsteine seien<br />

ausschließlich in der zur Ausführung gekommenen Oberfläche lieferbar. Eine Umdeckung sei<br />

daher nur mit anderen Dachsteinformen möglich. Diese würden in die vorhandene Dachlattung<br />

passen. Da aber sowohl die Form als auch die Oberfläche und der Firstanschluss sich vom<br />

bisherigen Dachstein unterschieden, müsste das gesamte Dach umgedeckt werden. Die<br />

Kosten hierfür betrügen laut Angebot der Firma ... ... vom 20.06.2005 7.830,-- EUR. Dieser<br />

Kostenaufwand sei ihnen nicht zumutbar. Sie seien allerdings bereit, zwei kugelförmige<br />

Laubbäume mit einer Stammhöhe von 2,50 m und einem Stammumfang von 12 bis 14 cm<br />

auf dem Grundstück der Klägerin zu pflanzen. Den dafür erforderlichen Kostenaufwand von<br />

1.299,20 EUR würden sie übernehmen.<br />

8 Mit Urteil vom 16.11.2005 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit der Begründung<br />

abgewiesen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Einschreiten der Behörde auf der<br />

Grundlage des § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1 LBO. Ein Anspruch eines Angrenzers auf<br />

Einschreiten der Baurechtsbehörde bestehe nur, wenn das Vorhaben des Bauherrn <strong>gegen</strong><br />

eine dem Schutz des Nachbarn dienende Vorschrift verstoße und das der Behörde eröffnete<br />

Ermessen auf Null reduziert sei. Wie bereits die Widerspruchsbehörde festgestellt habe,<br />

verstoße das Dach auf dem Gebäude der Beigeladenen nicht <strong>gegen</strong> öffentlich-rechtliche<br />

Vorschriften, die auch dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt seien. Die vom Dach<br />

ausgehende <strong>Blendwirkung</strong> sei auch nicht zu Lasten der Klägerin unzumutbar, wobei das Gericht<br />

davon ausgehe, dass die <strong>Blendwirkung</strong> bereits während des Frühjahrs auftrete, bei höherem<br />

Sonnenstand bis in den Herbst hinein anhalte und je nach Jahreszeit zwischen 11.00 Uhr und<br />

15.00 Uhr bei Sonnenschein für jeweils mehrere Stunden festzustellen sei. Es könne auch<br />

als wahr unterstellt werden, dass die von der Dacheindeckung ausgehende <strong>Blendwirkung</strong><br />

für Personen, die sich auf dem Grundstück und in dem Haus der Klägerin der <strong>Blendwirkung</strong><br />

unmittelbar und schutzlos aussetzten, gesundheitsschädigend sein könne. Für die Frage,<br />

ob die Lichteinwirkung für die Klägerin unzumutbar und deshalb wohngebietsunverträglich<br />

sei, sei von maßgeblicher Bedeutung, dass die Klägerin ohne größeren Aufwand im Rahmen<br />

des Ortsüblichen und Sozialadäquaten auch unter Kostengesichtspunkten zumutbare<br />

Abschirmmaßnahmen ergreifen könne. Sie könne sich im Innenwohnbereich <strong>durch</strong> Jalousien,<br />

im Außenwohnbereich <strong>durch</strong> eine Markise, <strong>durch</strong> Einsatz eines Sonnenschirms und <strong>durch</strong><br />

Bepflanzung mit geeigneten Bäumen schützen.<br />

9 Mit ihrer vom Senat wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassenen<br />

Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr bisherigen Vorbringen.<br />

10 Die Klägerin beantragt,<br />

11 das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.11.2005 - 2 K 3548/03 - zu ändern<br />

und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Ludwigsburg vom<br />

20.01.2003 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom<br />

29.07.2003 zu verpflichten, den Beigeladenen die Neueindeckung der nördlichen Dachseite<br />

des auf dem Flurstück-Nr. 4518/19 der Gemeinde ... gelegenen Gebäudes mit nicht<br />

blendenden <strong>Dachziegel</strong>n aufzugeben,<br />

12 hilfsweise über ein Einschreiten <strong>gegen</strong> die Beigeladenen unter Berücksichtigung der<br />

Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.<br />

13 Die Beklagte beantragt,<br />

14 die Berufung zurückzuweisen.<br />

15 Sie hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend. Es fehle schon am Merkmal der<br />

materiellen Rechtswidrigkeit, denn die verwendeten Betondachsteine Typ Tegalit mit „STAR“<br />

Oberflächenbeschichtung der Firma ... ... seien keine reflektierenden Materialien. Zudem sei<br />

die Festsetzung, die reflektierende Dachflächen verbiete, jedenfalls nicht nachbarschützend.<br />

<strong>Nachbarschutz</strong> könne daher nur in Betracht kommen, wenn das Rücksichtnahmegebot<br />

verletzt sei oder wenn die allgemeine Gefahrenabwehrklausel des § 3 LBO greife. Mit dem<br />

Verwaltungsgericht könnten diese Voraussetzungen indessen nicht bejaht werden.<br />

- 3 -


16 Die Beigeladenen beantragen,<br />

17 die Berufung zurückzuweisen.<br />

18 Der Senat hat die Grundstücke der Klägerin, der Beigeladenen und die nähere Umgebung<br />

in Augenschein genommen. Hinsichtlich der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die<br />

Niederschrift Bezug genommen.<br />

19 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorliegenden<br />

Akten verwiesen. Dem Gericht liegen die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 2<br />

K 3548/03 -, die Akten des Parallelverfahrens - 3 S 1655/06 -, die Behördenakten des<br />

Landratsamts Ludwigsburg und des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie die das Baugesuch<br />

der Beigeladenen betreffenden Bauakten und die Akten des Bebauungsplans „Halden V“ der<br />

Beklagten vor.<br />

Entscheidungsgründe<br />

20 Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der<br />

mit dem Hauptantrag verfolgten Verpflichtungsklage stattgeben müssen. Denn die Klägerin<br />

hat einen Anspruch <strong>gegen</strong> die Beklagte auf baupolizeiliches Einschreiten <strong>gegen</strong>über den<br />

Beigeladenen.<br />

21 Wie das Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, richtet sich die Klage aufgrund der<br />

Bekanntmachung des Regierungspräsidiums Stuttgart über die Zuständigkeit der Gemeinde<br />

Remseck am Neckar, Landkreis Ludwigsburg, als untere Baurechtsbehörde (vgl. GBl. 2003,<br />

S. 267) <strong>gegen</strong> die Beklagte im Wege gesetzlichen Parteiwechsels (vgl. dazu BVerwG, Urteil<br />

vom 02.11.1973 - IV C 55.70 - BVerwGE 44, 148, 150). Dieser Parteiwechsel kraft Gesetzes<br />

auf Beklagtenseite ist von Amts wegen zu berücksichtigen und stellt keine Klageänderung dar.<br />

Folgerichtig hat sich die Beklagte im Klage- und Berufungsverfahren auch <strong>durch</strong> Abgabe von<br />

Schriftsätzen und Antragstellung geäußert.<br />

22 Rechtsgrundlage für das von der Klägerin begehrte Einschreiten der Beklagten <strong>gegen</strong> die<br />

Beigeladenen ist § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1 LBO. Danach kann die Baurechtsbehörde<br />

den teilweisen oder vollständigen Abbruch einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen<br />

Vorschriften errichtet wurde, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige<br />

Zustände hergestellt werden können. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.<br />

Ein Nachbar hat grundsätzlich lediglich einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung<br />

der Behörde. Ein Anspruch auf Einschreiten besteht nur, wenn das Vorhaben des Bauherrn<br />

<strong>gegen</strong> eine dem Schutz des Nachbar dienende Vorschrift verstößt und das der Behörde<br />

eröffnete Ermessen auf Null reduziert ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 01.02.1993 - 8 S<br />

1594/92 -, VBlBW 1993, 431, ). Zu diesen öffentlich-rechtlichen nachbarschützenden<br />

Vorschriften gehört auch das Gebot der Rücksichtnahme in seiner drittschützenden Funktion.<br />

Ein derartiger Verstoß ist aus den nachfolgenden Erwägungen vorliegend zu bejahen.<br />

23 Das Vorhaben der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dacheindeckung sowohl formell<br />

als auch materiell rechtswidrig. Die formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich daraus, dass<br />

mit der Baugenehmigung die von den Beigeladenen konkret gewählte Art der <strong>Dachziegel</strong><br />

nicht genehmigt wurde. Die Baugenehmigung enthält vielmehr die Auflage, dass das Dach<br />

„entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans mit Ziegeln oder Betondachsteinen in<br />

naturroten oder rotbraunen Farbtönen“ auszuführen ist. Daraus folgt, dass diese Eindeckung<br />

auch im Übrigen mit den Vorgaben des Bebauungsplans übereinstimmen muss, mithin<br />

die Eindeckung nicht aus „reflektierenden Materialien“ bestehen darf. Materiell-rechtlich<br />

verstößt die gewählte Dacheindeckung dem-entsprechend <strong>gegen</strong> die örtliche Bauvorschrift<br />

Teilziff. 1.6, wonach für die Dacheindeckung reflektierende Materialien nicht zulässig sind.<br />

Bei den im vorliegenden Fall verwendeten <strong>Dachziegel</strong>n des Typs Tegalit „STAR“ handelt es<br />

sich aufgrund ihrer Oberflächenbeschichtung der Firma ... ... bzw. der Firma ... um ein solch<br />

reflektierendes Material, wovon sich der Senat bei der Einnahme des Augenscheins trotz<br />

größtenteils bedeckten Himmels überzeugen konnte. Dabei ist nicht entscheidend, dass die<br />

Ziegel an sich nicht glänzen, vielmehr nur bei Sonneneinwirkung die Strahlung zurückwerfen,<br />

denn das „Zurückstrahlen von Licht“ ist definitionsgemäß gleichbedeutend mit „Reflexion“.<br />

24 Schon bei der Baukontrolle <strong>durch</strong> das Landratsamt Ludwigsburg wurde festgestellt und in<br />

einem Aktenvermerk festgehalten, dass das Dach der Beigeladenen mit lasierten <strong>Dachziegel</strong>n<br />

- 4 -


eingedeckt ist und die Klägerin <strong>durch</strong> die verwendeten <strong>Dachziegel</strong>n sehr geblendet wird.<br />

Auch das Regierungspräsidium Stuttgart und gleichfalls das Verwaltungsgericht Stuttgart<br />

haben jeweils bei ihrer Inaugenscheinnahme der Dacheindeckung die <strong>Blendwirkung</strong> bestätigt.<br />

Mittlerweile ist zwar aufgrund von Witterungseinflüssen eine gewisse Verschmutzung der<br />

<strong>Dachziegel</strong> festzustellen, indessen wird da<strong>durch</strong> die <strong>Blendwirkung</strong> bei Sonneneinstrahlung<br />

kaum verringert. Diese ist nach wie vor erheblich. Der Senat hat sich beim Augenschein davon<br />

überzeugen können, dass bei starker Sonneneinstrahlung die <strong>Blendwirkung</strong> „gewissermaßen<br />

gleißend“ auftritt.<br />

25 Verstößt danach die Eindeckung des Daches mit reflektierenden <strong>Dachziegel</strong>n <strong>gegen</strong> die<br />

örtliche Bauvorschrift, so begründet dies zwar nur dann einen Anspruch der Klägerin auf<br />

baupolizeiliches Einschreiten, wenn diese Vorschrift auch dem Schutze des Nachbarn zu<br />

dienen bestimmt ist, wofür vorliegend indessen keine Anhaltspunkte bestehen. Jedoch<br />

verstößt die Eindeckung des Daches wegen der Beschichtung der Ziegel und den besonderen<br />

Umständen des Falles darüber hinaus <strong>gegen</strong> das Rücksichtnahmegebot in seiner zugunsten<br />

der Klägerin bestehenden nachbarschützenden Ausprägung. Ob eine bestimmte Nutzung<br />

dem - sich vorliegend aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebenden Rücksichtnahmegebot -<br />

widerspricht, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Je empfindlicher<br />

und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen<br />

Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je<br />

verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso<br />

weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.<br />

Abzuwägen ist, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem<br />

Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.1993<br />

- 4 C 5.93 -, DVBl 1994, 697, ).<br />

26 Die Zumutbarkeit von Lichtimmissionen beurteilt sich nach dem Grad der tatsächlichen<br />

und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Innen- und<br />

Außenwohnbereiche des Nachbarn. Das Maß der Schutzbedürftigkeit in tatsächlicher Hinsicht<br />

kann im Einzelfall davon abhängen, ob und inwieweit der Nachbar ohne größeren Aufwand im<br />

Rahmen des Ortsüblichen und Sozialadäquaten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen<br />

kann (zumutbarer Eigenschutz). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Eigenschutz <strong>gegen</strong><br />

Lichtimmissionen, anders als der Schutz vor Lärm oder Gerüchen, ohne Einbußen für die<br />

Wohnqualität häufig <strong>durch</strong> herkömmliche Maßnahmen wie Vorhänge oder Jalousien innerhalb<br />

der Gebäude und Hecken oder Rankgerüsten in den Außenwohnbereichen bewerkstelligt<br />

werden kann. Dies folgt auch daraus, dass Lichtimmissionen oft gleichsam zwangsläufige<br />

Folge typischer Wohnformen sind und von daher auch akzeptiert werden (vgl. hierzu<br />

BVerwG, Beschluss vom 17.03.1999 - 4 B 14.99 - ). Andererseits ist die Intensität<br />

der <strong>Blendwirkung</strong> und sind die dem Nachbarn <strong>durch</strong> die Schutzmaßnahmen abverlangten<br />

Nutzungseinschränkungen seines Wohngrundstücks - im Innen- wie im Außenwohnbereich<br />

- in Rechnung zu stellen. Schließlich ist im Rahmen der rechtlichen Schutzwürdigkeit der<br />

Beteiligten darauf abzustellen, ob die die <strong>Blendwirkung</strong> auslösenden baulichen Maßnahmen<br />

vom materiellen Baurecht gedeckt sind oder nicht. Ob und in welchem Umfang innerhalb dieses<br />

Rahmens Abschirmmaßnahmen möglich und im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn<br />

zumutbar sind, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.<br />

27 Gemessen daran ist es vorliegend der Klägerin nicht zuzumuten, sich im Außenbereich <strong>durch</strong><br />

geeignete Abschirmmaßnahmen, insbesondere mittels einer Bepflanzung ihres Grundstücks,<br />

<strong>gegen</strong> die vom Dach der Beigeladenen ausgehenden Lichtimmissionen zu schützen.<br />

28 Die konkreten Umstände des Einzelfalles weisen aufgrund der kleinräumigen Verhältnisse<br />

vorliegend Besonderheiten auf, die dazu führen, dass zumutbare Abschirmmaßnahmen nicht<br />

in Betracht kommen. Der Abstand zwischen der südlichen Hauswand der Klägerin und der<br />

Grenze zum Nachbargrundstück der Beigeladenen beträgt lediglich etwa 7 m. In diesem<br />

engen Bereich befindet sich zudem die nach Süden ausgerichtete Terrasse der Klägerin. Als<br />

weitere Besonderheit kommt vorliegend hinzu, dass das Wohnhaus der Beigeladenen und damit<br />

auch die reflektierende Dachfläche aufgrund der vorgenommenen Abgrabungen ca. 2,10 m<br />

tiefer liegt, so dass die <strong>Blendwirkung</strong> des Daches auf Augenhöhe auf den Terrassenbereich<br />

der Klägerin einwirkt. Wollte sich die Klägerin <strong>gegen</strong> das seitlich einfallende blendende Licht<br />

wirksam abschirmen, müsste sie <strong>durch</strong>gehend eine Hecke von 4 bis 5 m Höhe pflanzen. Damit<br />

wäre aber jegliche Aussicht nach Süden in die Ebene genommen. Überdies würde der schon<br />

an sich sehr kleine südliche Freibereich nochmals verkleinert und erheblich verschattet. Dies<br />

- 5 -


kann von der Klägerin nicht als „ortsüblich“ und „sozialadäquat“ verlangt werden, auch wenn<br />

das Nachbargrundstück mit einer ähnlich hohen Hecke versehen ist und die Klägerin selbst ihr<br />

eigenes Grundstück seitlich auf der Westseite, von wo sie keine <strong>Blendwirkung</strong> zu erwarten hat,<br />

gleichfalls mit einem Strauch bepflanzt hat, der eine Höhe von 4 bis 5 m aufweist. Auch eine<br />

Markise ist nicht geeignet, die einwirkenden Lichtimmissionen wirksam abzuschirmen. Wie der<br />

Senat beim Augenschein festgestellt hat, bleibt die <strong>Blendwirkung</strong> überwiegend beim Sitzen<br />

auf der Terrasse auch dann bestehen, wenn die Markise voll ausgefahren und bis auf minimale<br />

Durchgangshöhe abgesenkt wird. Das Aufstellen eines zusätzlichen Sonnenschirms <strong>gegen</strong><br />

diese seitlichen Lichteinwirkungen ist indessen der Klägerin nicht zuzumuten, käme es doch<br />

einem völligen „Einmauern“ gleich. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen<br />

dem<strong>gegen</strong>über weniger schutzwürdig sind, denn sie haben ihr Dach baurechtswidrig mit<br />

reflektierendem Material eingedeckt. Auch wenn sie dies nicht vorsätzlich veranlasst haben,<br />

weil ihnen zum Einen das von der Baufirma verwendete Material nicht bekannt war und<br />

sie zum Anderen den <strong>Dachziegel</strong>n die <strong>Blendwirkung</strong> nach dem ersten äußeren Anschein<br />

nicht ansehen konnten, mindert dieser Umstand deutlich ihre Schutzwürdigkeit, denn sie<br />

haben die Ursache für die Beeinträchtigungen der Nachbarn gesetzt und sind mit anderen<br />

Worten die baupolizeilichen Verhaltens- und Zustandsstörer. Hin<strong>gegen</strong> kann von der Klägerin<br />

billigerweise nicht verlangt werden, ihr Grundstück nach Süden hin vollständig mit einer<br />

Hecke in entsprechender Höhe abzuschirmen oder anderweitig zu schützen, es da<strong>durch</strong> weiter<br />

zu verkleinern und sich zudem noch die letzte Aussicht nach Süden zu verbauen sowie den<br />

Lichteinfall erheblich einzuschränken. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nach § 12 Abs. 1<br />

des Nachbarrechtsgesetzes - NRG - mit einem Abstand von 50 cm zur Grenze der Beigeladenen<br />

hin lediglich eine Hecke mit einer Höhe von 1,80 m zulässig ist und die Klägerin deshalb mit<br />

Ansprüchen auf Rückschnitt dieser Hecke nach § 12 Abs. 2 und 3 NRG seitens der Beigeladenen<br />

bzw. evtl. Rechtsnachfolger rechnen muss.<br />

29 Liegt danach ein Verstoß <strong>gegen</strong> das Rücksichtnahmegebot in seiner drittschützenden<br />

Ausprägung vor, so ist die Beklagte auch verpflichtet, den Beigeladenen die begehrte<br />

Teilumdeckung aufzugeben. Denn das ihr nach § 47 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 65 Satz 1 LBO<br />

eingeräumte Ermessen ist im vorliegenden Fall auf Null reduziert, da es keine Möglichkeit<br />

anderweitiger Beseitigung der baurechtswidrigen <strong>Blendwirkung</strong> gibt. Ein Anstrich oder eine<br />

Neubeschichtung, wie zunächst erwogen, kommt nicht in Betracht, wie dem Schreiben<br />

der Firma ... ... vom 14.10.2002 zu entnehmen ist. Diese verweist auf eine Information des<br />

Herstellers der <strong>Dachziegel</strong>, der Firma ... ..., wonach eine nachträgliche Reduzierung der<br />

Glanzwirkung <strong>durch</strong> eine Nachbehandlung nicht möglich ist und sich eine Neubeschichtung<br />

nicht dauerhaft mit der Oberfläche verbinden wird. Dies ist zwischen den Beteiligten auch<br />

nicht im Streit. Eine Bepflanzung auf dem Grundstück der Beigeladenen selbst scheidet<br />

aus topografischen Gründen und dem geringen Grenzabstand ihres Hauses gleichfalls<br />

aus. Der Beigeladene hat hierzu in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt, auf der<br />

Nordseite seines Wohnhauses sei nicht genügend Erde vorhanden, sodass ausreichend<br />

hohe Heckenpflanzen dort nicht anwachsen und gedeihen könnten. Die Verpflichtung zur<br />

Teilumdeckung des Daches scheitert auch nicht daran, dass diese Teilumdeckung wohl nicht<br />

möglich ist, vielmehr nur eine vollkommene Neueindeckung in Betracht kommen dürfte,<br />

denn dies ist letztlich eine Frage der Umsetzung. Kann der Verpflichtung zur Teilumdeckung<br />

nur da<strong>durch</strong> nachgekommen werden, dass das Dach vollkommen neu eingedeckt wird,<br />

dann haben die Beigeladenen die komplette Neueindeckung zu veranlassen. Die dafür<br />

entstehenden Kosten von 7.830,-- EUR die nach dem Schreiben der Firma ... ... vom 20.06.2005<br />

voraussichtlich entstehen werden, bewegen sich in einem überschaubaren Rahmen. Sie<br />

berücksichtigen eine Umdeckung des gesamten Daches, weisen Zuschläge für First und<br />

Schneidearbeiten etc. aus und enthalten die Kosten für das Gerüst sowie für die Entsorgung der<br />

bisherigen Dachsteine. Angesichts dessen, dass die Beigeladenen als Störer die Ursache für die<br />

erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin gesetzt haben, sind ihnen diese Kosten - selbst wenn<br />

Kostensteigerungen mit einkalkuliert werden - noch zumutbar.<br />

30 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 und 2 VwGO i. V. m. § 100<br />

Abs. 1 ZPO.<br />

31 Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO<br />

gegeben ist.<br />

32 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR<br />

festgesetzt.<br />

- 6 -


33 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.<br />

© juris GmbH<br />

- 7 -

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