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Gitarre & Laute XXX/2008, Nº 1

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GITARRE & LAUTE – ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>, <strong>Nº</strong> 1<br />

Wolfgang Amadeus Mozart – Mauro Giuliani<br />

Helmut Lachenmann – Rolf Rihm<br />

Neue Platten – Neue Bücher


PRIM-Musikverlag:EditionENTilmanHoppstock<br />

Transkriptionen<br />

für <strong>Gitarre</strong> solo<br />

transcriptions for solo guitar<br />

Transkriptionen<br />

für <strong>Gitarre</strong> solo<br />

transcriptions for solo guitar<br />

Johann Seb. Bach<br />

FRANZÖSISCHE SUITE<br />

NR.2 D-MOLL BWV 813<br />

V<br />

French Suite No. 2<br />

d minor BWV 813<br />

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orig. für Cembalo in c-moll<br />

orig. for harpsichord in c minor<br />

Bearbeitung und Fingersätze von/<br />

transcription and fingerings by<br />

Tilman Hoppstock<br />

Bearbeitung und Fingersätze von/<br />

transcription and fingerings by<br />

Tilman Hoppstock<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 062<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 077<br />

Transkriptionen<br />

für <strong>Gitarre</strong> solo<br />

Isaac Albéniz<br />

transcriptions for solo guitar<br />

TANGO<br />

EL POLO<br />

Bearbeitung und Fingersätze von/<br />

transcription and fingerings by<br />

Tilman<br />

orig. für<br />

Hoppstock<br />

Klavier<br />

orig. for piano<br />

2 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Johann Seb. Bach<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 079<br />

Neuerscheinungen2006-2007<br />

Cellosuite Nr.2<br />

a-moll BWV 1008<br />

2 Fassungen<br />

Cello suite no.2<br />

a minor BWV 1008<br />

2 versions<br />

Schubert:110LiederfürGesangund<strong>Gitarre</strong><br />

Für<strong>Gitarre</strong>solo:<br />

Band3:<br />

12Liederaus“Winterreise” PRIM99703Preis:16,90<br />

Band4:<br />

17Liedernachversch.Dichtern PRIM99704Preis:15,50<br />

Band5:<br />

6Liederaus“Schwanengesang” PRIM99705Preis:13,90<br />

Band6:<br />

12LiedernachSchiller/Klopstock PRIM99706Preis:14,50<br />

AusderbekanntenSerie“Große<br />

KomponistenfürjungeGitarristen”<br />

GasparSanz:<br />

3Suitenfür2<strong>Gitarre</strong>n<br />

PRIM99074Preis:10,50<br />

EnriqueGranados:<br />

ValsesPoeticosf.<strong>Gitarre</strong>solo<br />

PRIM22100Preis:8,50<br />

IsaacAlbéniz:<br />

Asturias+Malagueñaf.Git.solo<br />

PRIM99039Preis:8,50<br />

PRIM-Musikverlag<br />

Postfach101120. 64211Darmstadt<br />

InfosundBestellung:www.prim-verlag.de<br />

Joh.Seb.Bach:CellosuiteNr.2a-moll(2Fassungen)<br />

PRIM99079Preis:11,90<br />

Joh.Seb.Bach:Franz.SuiteNr.2(orig.fürCembalo)<br />

PRIM99062Preis:10,50<br />

Dietr.Buxtehude:SuiteNr.10BuxWV236(orig.fürCemb.)<br />

PRIM99061Preis:8,50<br />

IsaacAlbéniz:Tango+ElPolo(orig.fürKlavier)<br />

PRIM99077Preis:9,95<br />

GroeKomponistenfrjungeGitarristen<br />

GasparSanz<br />

3Suiten<br />

GroeKomponistenfrjungeGitarristen<br />

EnriqueGranados<br />

ValsesPoeticos<br />

bearbeitetfr<strong>Gitarre</strong>solovon/<br />

arrangedforguitarsoloby<br />

TilmanHoppstock<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 22 100<br />

bearbeitetfr2<strong>Gitarre</strong>n/<br />

arrangedfor2guitarsby<br />

TilmanHoppstock<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 065<br />

Franz Schubert<br />

LIEDER MIT GITARRE - Vol. 3<br />

für hohe/mittlere Stimme<br />

for high/medium voice<br />

Bearbeitung und Fingersätze von/<br />

transcription and fingerings by<br />

Tilman Hoppstock<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 703<br />

Franz Schubert<br />

LIEDER MIT GITARRE - Vol. 5<br />

12 Lieder aus<br />

„Winterreise”<br />

für Tenorstimme<br />

12 songs from<br />

for tenor voice<br />

“Winterreise”<br />

Bearbeitung und Fingersätze von/<br />

transcription and fingerings by<br />

TilmanHoppstock<br />

<strong>Gitarre</strong>nkammermusik<br />

2 <strong>Gitarre</strong>n<br />

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für 2 <strong>Gitarre</strong>n<br />

for 2 guitars<br />

Bearbeitung von/<br />

transcription by<br />

Tilman Hoppstock<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 705<br />

Dietrich Buxtehude<br />

PRim-MusikverlagDarmstadt<br />

Nr. 99 074<br />

6 Lieder aus<br />

„Schwanengesang”<br />

6 songs from<br />

“Schwanengesang”<br />

Für2<strong>Gitarre</strong>n:<br />

DietrichBuxtehude:Passacaglia<br />

PRIM99074Preis:10,50<br />

PASSACAGLIA<br />

BUXWV 161<br />

orig. für Orgel<br />

original for organ<br />

Vertriebweltweit/distributionworldwide:<br />

Chanterelle. Postf.103909. 69029Heidelberg<br />

Tel:++49-6221-784105/Fax:++49-6221-784106<br />

onlineordering:http://www.chanterelle.com


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

der „Guitarrefreund“ steht Ihnen, wie schon<br />

im letzten Heft beschrieben, in der Boije-<br />

Sammlung in Stockholm zur Verfügung – es<br />

macht also keinen Sinn, die Hefte hier in <strong>Gitarre</strong><br />

& <strong>Laute</strong>-ONLINE auch noch anzubieten …<br />

bis auf die Ausgaben natürlich, die die Schwedische<br />

„Statens Musikbibliotek“ nicht hat. Hier<br />

ist noch einmal die URL der Sammlung mit ihrer<br />

englischsprachigen Inhaltsseite:<br />

http://www.muslib.se/ebibliotek/boije/indexeng.htm<br />

Sie finden dort nicht nur die ersten achtzehn<br />

Jahrgänge des „Guitarrefreund“ – oder „<strong>Gitarre</strong>freund“,<br />

wie die Zeitschrift später hieß –,<br />

sondern auch eine enorme Menge originaler<br />

Ausgaben mit <strong>Gitarre</strong>nmusik als PDF. Alles kostenlos!<br />

Allerdings sind ein paar Ausgaben des Jahrgangs<br />

I/1900 in Stockholm nicht vorhanden<br />

und die Jahrgänge nach 1919 – die können Sie<br />

dann hier lesen und sammeln. In der vorliegenden<br />

Ausgabe finden Sie die Ausgabe<br />

I/1900/<strong>Nº</strong> 1 (Seiten 47--58) als Faksimile und in<br />

Neusatz.<br />

Auf den Seiten 19 bis 34 steht ein Beitrag, der<br />

eine „Nachlese“ auf das Mozartjahr 2006 darstellt:<br />

Einige Buchbesprechungen und eine<br />

neue Ausgabe der Ouvertüre zu Mozarts „La<br />

Clemenza di Tito“, für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet<br />

von Mauro Giuliani. Hier, in der Ausgabe von<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE finden Sie die Ausgabe<br />

in Form einer Partitur, eine gedruckte Ausgabe<br />

mit zusätzlichen Einzelstimmen wird aber auch<br />

herauskommen.<br />

Die Seiten der Dates und der Kleinanzeigen bei<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> sind jetzt online gestellt. Unter<br />

C:\dates\MusiCologne.eu finden Sie die Kursankündigungen<br />

und Konzerttermine wie Sie es<br />

seit dreißig Jahren kennen, jetzt aber nur noch<br />

online, weil das aktueller ist und weil Sie auf<br />

diese Weise unmittelbaren Zugriff auf die Webseiten<br />

der Veranstalter haben. Aber bitte: Wenn<br />

Sie Wettbewerbe, Kurse oder Seminare veran-<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser<br />

stalten oder wenn Sie Konzerte geben, schicken<br />

Sie uns die Termine möglichst frühzeitig. Ihre<br />

Meldungen werden nach Möglichkeit sofort<br />

eingearbeitet – aber wir brauchen dafür Ihre<br />

Angaben! Je früher wir die Kursdaten veröffentlichen<br />

können, desto mehr Interessenten<br />

haben die Chance, sie zu sehen und ihnen zu<br />

folgen. Bitte benutzen Sie diese Email-Adresse:<br />

dates@MusiCologne.eu.<br />

Das Gleiche gilt für Kleinanzeigen. Auch hier<br />

werden neu eingehende Anzeigen nach Möglichkeit<br />

sofort ins Netz gestellt. Die Adresse:<br />

Kleinanzeigen@MusiCologne.eu!<br />

Und eine Bitte habe ich noch an Sie, als Leser<br />

und Benutzer unseres Online-Angebots. Bitte<br />

teilen Sie uns mit, wenn Ihre Email-Adresse<br />

sich ändert! Die Newsletter von <strong>Gitarre</strong> und<br />

<strong>Laute</strong>-ONLINE sind kein Spam und um das weiter<br />

so zu betreiben, ist es für uns wichtig, dass<br />

wir den Adressbestand auf dem neuesten<br />

Stand halten und pflegen können … übrigens<br />

auch, wenn Sie umziehen, denn am Ende dieses<br />

Jahres gibt es das <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE-<br />

Jahrbuch zum ersten Mal … und das kommt<br />

natürlich per Snail-Mail!<br />

Ansonsten gibt es in diesem Jahr noch fünf<br />

weitere Ausgaben online – tragen Sie sich in<br />

unsere Newsletter-Liste ein und wir werden Sie<br />

informieren (www.MusiCologne.eu)! Und geben<br />

Sie unsere URL an Freunde weiter, die sich<br />

für die <strong>Gitarre</strong> interessieren oder für <strong>Laute</strong> und<br />

<strong>Laute</strong>nmusik. Je mehr Bezieher unsere Online-<br />

Zeitschrift lesen, desto besser wird unser Service<br />

ausgestattet!<br />

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser<br />

Ausgabe von <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE<br />

Ihr<br />

Dr. Peter Päffgen<br />

Chefredakteur, Herausgeber<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 3


was ich noch sagen wollte …<br />

hier gebe ich Ihnen in lockerer Form<br />

Bemerkungen mit auf den Weg,<br />

von denen ich glaube, sie wären von<br />

allgemeinem Interesse. Es wird sich dabei<br />

wie heute um Bemerkungen über neu erschienene<br />

CDs drehen, die vielleicht auch<br />

mit der <strong>Gitarre</strong> oder der <strong>Laute</strong> überhaupt<br />

nichts zu tun haben. Oder vielleicht gilt es<br />

auch, einen Geburtstag zu feiern oder aus<br />

anderem Grund an einen Großen unserer<br />

Zunft zu erinnern. Sollte ich Sie langweilen<br />

oder sollten Sie Vorschläge machen<br />

wollen, schreiben Sie doch einfach an:<br />

mailto:peter.paeffen@MusiCologne.eu<br />

Peter Päffgen<br />

moderntimes 1800: Sinfonias from the<br />

Enlightenment<br />

Werke von Johann Adolf Hasse, Johann<br />

Gottlieb Graun, Carl Philipp Emanuel<br />

Bach, Wilhem Friedemann Bach, Joseph<br />

Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart<br />

„Moderntimes_1800 Chamber Orchestra“<br />

on Authentic Instruments, Ltg. Ilia Korol<br />

und Julia Moretti<br />

Aufgenommen im Oktober 2007<br />

2 CD Challenge Records [challengerecords.com]<br />

CC72193<br />

4 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Natürlich ist es eine Binsenweisheit zu behaupten,<br />

Kunst, sei es nun bildende Kunst<br />

oder Musik, aus Zeiten großer gesellschaftlicher<br />

und kultureller Umbrüche sei besonders<br />

spannend und aufregend. Das trifft auf die<br />

beginnende Neuzeit zu, als Schreiben und<br />

Lesen plötzlich von jedermann gelernt werden<br />

konnte und Bücher zur Verfügung standen,<br />

als die großen Entdecker, unter ihnen<br />

Cristoforo Colombo, auf Reisen waren, um<br />

neue Welten zu entdecken … und es trifft in<br />

mindestens gleichem Maß zu auf die zweite<br />

Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Gedankengut<br />

der Aufklärung bestimmte diese Zeit. Es<br />

wurde an die Vernunft appelliert und daran,<br />

altes Obrigkeitsdenken über Bord zu werfen<br />

und selbstbestimmt die Zukunft zu gestalten.<br />

All das kulminierte in den Geschehnissen<br />

rund um die Französische Revolution.<br />

Musikalisch war die Barockzeit längst überlebt<br />

und überholt. Schon das Spätschaffen<br />

Johann Sebastian Bachs, mit dessen Tod<br />

1750 gerne das Ende der Barockzeit definiert<br />

wird, galt als das „Werk eines Esoterikers, der<br />

sich bewusst vor der Welt verschloss und daraus<br />

die kompositorischen Konsequenzen zog“<br />

(Dahlhaus). Viele neue Gedanken und Ideen<br />

wurden erprobt, so viele, dass man von einem<br />

einheitlichen Stil für das 18. Jahrhunderts<br />

nicht sprechen, ja, dass man sich nicht<br />

einmal für alle Phasen auf einheitliche Bezeichnungen<br />

enigen kann. Von einem „galanten<br />

Stil“ ist da die Rede, von Sturm und<br />

Drang oder vom „Empfindsamen Stil“ oder<br />

„Vorklassik“. Am Ende dieser Phase der<br />

Bemühungen um neue Ausdrucksmittel und<br />

Formen haben wir es wieder mit einem „gemeinsamen<br />

Stil“zu tun. Ein gewisser Vorrat<br />

an Formen (zum Beispiel klassische Sonatenform,<br />

Konzert, Sinfonie) und ein stilistischer<br />

Rahmen waren von Komponisten des 18.<br />

Jahrhunderts geschaffen worden und deren<br />

Essenz wurde nun eine gewisse (kurze) Zeit<br />

benutzt. Die einen hielten sich lange und unbeirrbar<br />

an das einmal Erreichte, andere nur<br />

kurz oder überhaupt nicht, weil sie schon unterwegs<br />

zu neuen Ufern waren. Man bedenke,<br />

dass Ludwig van Beethoven, der gemeinhin<br />

ohne Zögern in die Schublade („Wiener“)<br />

Klassik sortiert wird, in seinen späteren Werken<br />

den klassischen Wiener Stil ernsthaft in<br />

Frage gestellt hat und eigentlich schon Künder<br />

neuer musikalischer Ideen war.<br />

Die Kompositionen, die auf diesen beiden<br />

CD vereinigt sind, enthalten Material aller<br />

musikalischer Strömungen denen wir im 18.<br />

Jahrhundert begegnet sind. Hier hört man<br />

spätbarocke Anklänge, dort revolutionär ausgelassene<br />

und durchaus mutige, völlig unerhörte<br />

Sätze, die ganz offenbar bewusst verwundern,<br />

empören und schockieren sollten –<br />

und manchmal passiert das auch innerhalb<br />

einer Komposition wie in CPE Bachs Sinfonia<br />

B-Dur.<br />

Das Kammerorchester, das sich der Werke an-<br />

genommen hat, benutzt Instrumente der<br />

Zeit, und zwar „in der Überzeugung, dass die<br />

Musiksprache einer Epoche mit ihren eigenen<br />

Klangmitteln am lebendigsten zum Ausdruck<br />

gebracht werden kann“. Der Hinweis auf die<br />

Verwendung authentischer Instrumente<br />

wirkt anachronistisch. Er erinnert an den<br />

Harnoncourt der frühen Jahre oder an das<br />

Collegium Aureum. Damals war dieser Hinweis<br />

Empfehlung für die einen … und Warnung<br />

für die anderen, denn allgemein hatte<br />

es sich nicht durchgesetzt, dass Interpretationen<br />

älterer Musik gewinnen, wenn die Musiker<br />

versuchen, sich an die Aufführungsgewohnheiten<br />

der Entstehungszeit halten. Viel<br />

mehr, als sich alter Instrumente zu bedienen!<br />

Wenn es nur die Wahl des Instruments<br />

wäre, müsste man heute Narciso Yepes neben<br />

Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt<br />

als Pionier der Alten Musik nennen,<br />

denn er hat ja das Bach’sche <strong>Laute</strong>nwerk auf<br />

einer Barocklaute aufgenommen … eine<br />

mehr als peinliche Aufnahme bei der Archiv-<br />

Produktion (2708030) übrigens, die nie wieder<br />

neu aufgelegt worden ist, weil man sich<br />

ihrer offenbar schämte. Diese Produktion auf<br />

zwei Vinyl-Schallplatten ist auch noch gut<br />

besprochen worden, weil Yepes als Gitarrist<br />

ein bekannter Mann war und seine Meriten<br />

hatte und weil die Deutsche Grammophon<br />

mit ihrer Archiv-Produktion Garant für Qualität<br />

war. Aber sie beweist, dass die Benutzung<br />

eines historischen Instruments aus Musik<br />

noch keine Alte Musik macht.<br />

Seitdem das Thema „Aufführungspraxis“<br />

ernstgenommen wird, gehen Musiker mit<br />

Hemiolen um, man weiß, was inegales Spiel<br />

ist, wie schnell ein Andante zu nehmen und<br />

wie ein Menuett getanzt worden ist – das alles<br />

aus musikpraktischer Sicht.<br />

Die, wie gesagt, anachronistische Bemerkung<br />

„on authentic intruments“ auf dieser CD darf<br />

aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es<br />

die Musiker vom Ensemble „moderntimes_1800“<br />

keineswegs nötig haben, sich<br />

hinter Etiketten zu verstecken. Nicht nur nehmen<br />

sie sich einer Musik an, die ansonsten<br />

nicht oft auf CD oder in Konzerten zu hören<br />

ist, sie tun das auch mit höchster Delikatesse<br />

und Eleganz. Angst vor Virtuosität, sprich<br />

avancierten Tempi haben sie nicht, auch<br />

nicht vor neobarocker klanglicher Pracht wie<br />

in Hasses eröffnender Sinfonia für „Alcide al<br />

Bivio“, die mit vollem Bläsereinsatz einlädt.<br />

Aber auch Hasse schwebte zu dieser Zeit,<br />

1760, schon auf anderen musikalischen Wolken,<br />

war der Oprnkomponist seiner Zeit und<br />

gehörte der Avantgarde seiner Zeit an.<br />

Diese CD kann ich Ihnen nur empfehlen! Sie<br />

gewährt Ihnen Zugang zu einer bislang<br />

weitgehend unzugänglichen Schatzkammer<br />

der Musikgeschichte. Und ich kann Ihnen die<br />

ebenso kompetenten wie wortgewaltigen<br />

Führer durch diese Kammer nur empfehlen!<br />

Bravi!


Öffne deine Augen<br />

für meine Welt.<br />

Werde Pate!<br />

Nähere Infos:<br />

040-611 400<br />

www.plan-deutschland.de<br />

Plan International Deutschland e.V.<br />

Bramfelder Str. 70 · 22305 Hamburg<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 5


6 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1


<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong><br />

ONLINE<br />

<strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>, Heft 1<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

3<br />

… was ich noch sagen wollte …<br />

4<br />

Uli Aumüller<br />

10 Jahre später …<br />

Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm im Gespräch<br />

8<br />

Peter Päffgen<br />

Das klinget so herrlich … Nachträge zum Mozart-Jahr 2006<br />

19<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Ouvertüre zur Oper „La Clemenza di Tito“<br />

für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet von Mauro Giuliani, revidiert von Peter Päffgen<br />

21<br />

… Gelesen …<br />

Neue Bücher<br />

35<br />

Neue Platten<br />

39<br />

Kleinanzeigen<br />

45<br />

Mitteilungen des Internationalen Guitarristen-Verbandes<br />

<strong>XXX</strong>/1900/<strong>Nº</strong><br />

46<br />

Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; Niederlassung<br />

Deutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion <strong>Gitarre</strong> &<br />

<strong>Laute</strong>, Postfach 410 411, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Aufbereitung<br />

des ePaper: CANTAT GmbH, Wien, www.cantat.com. Internet: www.MusiCologne.eu, Kleinanzeigen:<br />

www.Verkaufe<strong>Gitarre</strong>.de und www.gitarre-und-laute.de. Email: info@MusiCologne.eu (weitere<br />

Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht).<br />

Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Erscheinungsweise<br />

im Jahr 2007: 1. Juli 2007, danach jeweils am Anfang jedes Monats bis Dezember 2007. Kündigungsfrist:<br />

sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für ein<br />

Jahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer<br />

(19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeichneten<br />

Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbesondere<br />

in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allen<br />

Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Niederlassung<br />

Köln. [Abo@gitarre-und-laute.de], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: S. 1: Caterino Mazzolà,<br />

La Clemenza di Tito (nach Pietro Metastasio), Titel des Librettos, Prag 1791, Tschechischens Museum<br />

für Musik, Prag; S. 8-18: inpetto Filmproduktion, Berlin; S. 19-28: © auf Ausgabe und Stichbild Peter<br />

Päffgen, Köln; S. 43: Gunnar Letzbor, Ars Antiqua Austria; S. 47-58: Bayerische Staatsbibliothek, München.<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 7


8 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

10 Jahre später …<br />

Helmut Lachenmann im Gespräch mit Wolfgang Rihm


Das folgende Gespräch zwischen den<br />

Komponisten Helmut Lachenmann und<br />

Wolfgang Rihm hat der Musikjournalist<br />

und Filmemacher Uli Aumüller am 2. August<br />

2007 in Hitzacker aufgezeichnet –<br />

eine DVD (Audio und Video) ist bei der<br />

Produktionsfirma inpetto-Filmproduktion<br />

in Berlin erhältlich (www.inpetto-<br />

Filmproduktion.de).<br />

Anlass für das Gespräch war ein Film,<br />

der 1998 (also vor zehn Jahren) bei der<br />

gleichen Produktionsgesellschaft entstanden<br />

ist und bei dem sich alles um<br />

die Komposition „Die zwei Gefühle“ für<br />

Instrumentalensemble und Sprecher von<br />

Helmut Lachenmann dreht. Auch dieser<br />

Film ist bei Inpetto in Berlin als DVD<br />

erhältlich.<br />

Die Produktionen wurden gefördert<br />

durch das SIEMENS-artsprogram.<br />

WOLFGANG RIHM: Du warst es doch, der gesagt<br />

hat …<br />

HELMUT LACHENMANN: Nein, ich rede dann<br />

ganz leise. Wer leiser redet, ist bedeutender.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, klar.<br />

HELMUT LACHENMANN: Naja, also so etwa.<br />

ULI AUMÜLLER: Eine Frage möchte ich Helmut<br />

als erstes stellen, zum Anfang. Hat dieser Film<br />

dich in irgendeiner Weise verändert?<br />

HELMUT LACHENMANN: Bewusst kann ich<br />

das nicht sagen, ob es mich verändert hat.<br />

Hat mich beschäftigt, ganz bestimmt. Vor<br />

allem, weil ich mit meinem eigenen Vokabular<br />

konfrontiert worden bin, so wie ich damals<br />

das versucht habe, so ein bis´l das<br />

Komponieren aus meiner Perspektive zu beschreiben.<br />

Und das war schon richtig irgendwie<br />

oder treffend, meinte ich. Aber es war<br />

eigentlich zugleich, wenn man´s einmal gesagt<br />

hat, kann man so nicht mehr weiter.<br />

Dann stimmt´s schon nicht mehr für die Zukunft,<br />

sozusagen.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade fragen.<br />

Ist es net immer eine Festschreibung? Wenn<br />

so was dann auch noch mit filmischen Mitteln<br />

festgehalten wird, das ragt ja dann so<br />

übers Entwickeln oder übers Momentane<br />

auch sich weiter Formen hinaus – dass alle<br />

Welt dann dich immer damit vergleichen<br />

wird. Ich finde das ein furchtbare Festschrei-<br />

bung. Ich leid immer, wenn ich mich im<br />

Fernsehen irgendwas sagen höre. Das ist<br />

dann schon längst irgendwann …<br />

HELMUT LACHENMANN: Vorbei …<br />

WOLFGANG RIHM: … vorbei gewesen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber ja gut, wenn<br />

man das vorher mit in Betracht zieht, kann<br />

sein, dass man auf irgendeinen Abstand<br />

kommt, wo es möglich ist. Also bei mir war<br />

das damals so. Du hast ihn wahrscheinlich<br />

nicht gesehen …<br />

WOLFGANG RIHM: Ich habe ihn gesehen,<br />

aber ich erinner nur noch, dass du mit Musikern<br />

sehr gut geprobt hast und dass die<br />

dann bestimmte Dinge hervorgebracht haben,<br />

die genau deinem Ohr entsprachen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist klar, ok.<br />

WOLFGANG RIHM: An das kann ich mich erinnern,<br />

und dass ihr irgendwo gegangen<br />

seid in Berlin.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das war … ich<br />

musste im Gehen reflektieren.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist ungewohnt<br />

gewesen.<br />

WOLFGANG RIHM: Eine sagen wir mal fast<br />

griechische Vorgehensweise.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ohne die – wie<br />

heißt das Ding? – die Kordel, die man da dabei<br />

so leise vor sich hin …<br />

WOLFGANG RIHM: Macht man das?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, beim Philosophieren<br />

muss man so ein Ding glaube ich –<br />

wenn man durch die Piniengärten geht und<br />

so – verändert weiß ich nicht. Aber im<br />

Grund jedes mal wenn ich etwas versuche<br />

genauer zu bestimmen mit Hilfe meiner animalisch<br />

gesteuerten Analysebedürfnisse,<br />

dann ist es eigentlich, so wie der Wolfgang<br />

das eben gesagt hat: Gesagt, und jetzt<br />

muss man eigentlich drüber hinaus gehen.<br />

Das ist halt so. Und bei mir ist es halt so,<br />

das ist auch wieder ein Unterschied, dass ich<br />

immer noch über das Material nachdenke.<br />

Ich kann mir vorstellen, bei dir denkt das<br />

Material über dich nach. Ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, du kennst ja das Material<br />

besser – musst es mal fragen, was sie<br />

von mir halten da, die ganzen …<br />

HELMUT LACHENMANN: Beim Material –<br />

WOLFGANG RIHM: Beim Material – was die<br />

da so … Nein, aber jetzt mal im Ernst. Es<br />

wird ja, wenn man so etwas zum Beispiel<br />

jetzt in die Medien hinein äußert. Das wird<br />

ja ungeheuer verabsolutiert, und irgendwann<br />

bist du dann eben derjenige, der<br />

übers Material nachdenkt, egal was du tust.<br />

Vielleicht denkst du gerad nicht übers Material<br />

nach, aber du bist in dem Moment,<br />

musst ja der sein, der übers Material nachdenkt.<br />

Und wenn du dann ein Stück<br />

schreibst, wo all das gar keine Rolle spielt,<br />

was ich natürlich nicht glaube, aber es geht<br />

ja auch gar net – wird das aber trotzdem an<br />

dich heran gelegt. Ich nehme zum Beispiel<br />

das Programmheft, wo wir jetzt diese Hitzacker-Begegnung,<br />

die wir jetzt hier mit voll-<br />

ziehen. Da bist – da werden auch solche Portale<br />

wieder errichtet. Der strenge Schwabe –<br />

HELMUT LACHENMANN: Steht das da?<br />

WOLFGANG RIHM: Der strenge Schwabe<br />

und der überbordende Badener. Verstehst<br />

du – egal was du tust.<br />

HELMUT LACHENMANN: Moment – noch<br />

mal der gestrenge Schwabe und was war<br />

das Andere.<br />

WOLFGANG RIHM: Und ich bin der überbordende<br />

Badener.<br />

HELMUT LACHENMANN: Überbordende Badener.<br />

WOLFGANG RIHM: Verstehst du, egal, was<br />

ich mache – es wird dann überbordend sein,<br />

selbst wenn es streng ist. Und wenn du<br />

überbordest, ist es streng. Weil du – das<br />

weiß man ja dann. Ich wollte damit nur sagen,<br />

diese Funktion, die die Medien einnehmen,<br />

ist net die Dinge im Fluss zu zeigen,<br />

sondern sie zu justieren und in einer Weise<br />

festzuschreiben, wie es römische Meißel-Inschriften<br />

nicht kräftiger könnten. Und das<br />

wundert mich eigentlich. Also die ganze<br />

Durchlässigkeit, die durch Medien möglich<br />

wäre, hm. Vielleicht übe ich jetzt zu sehr<br />

Medienkritik und müsste eigentlich eher die<br />

Nutzer der Medien an den Ohren ziehen:<br />

Warum stürzt ihr euch so auf das, was euch<br />

da mitgeteilt wird. Ich meine, wenn ihr das<br />

en passant gesagt bekommt, dann wäre es<br />

ja auch an euch zu sagen, ja, da entwickelt<br />

sich was. Aber warum wird das immer wie<br />

ein Grabstein auf uns gestellt. Hm.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das sind dann<br />

die Schubladen, aus denen du dann wieder<br />

vergeblich versuchst rauszukommen.<br />

WOLFGANG RIHM: Mit dem Material ist eigentlich<br />

viel interessanter …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich denke schon,<br />

also ich insistiere aber ein bis´l drauf, weil<br />

es nämlich auch eine Mode gibt jetzt - also<br />

ein nicht ganz unbekannter Jung-Star hat<br />

mich neulich mal gestellt. In der Berliner<br />

Philharmonie im Foyer. Und hat gesagt: Du<br />

mit deinem Material. Mir hängt der schon<br />

so zum Hals raus. Und damals habe ich<br />

dann gesagt, mir hängt er nicht zum Hals<br />

raus. Ich habe ihn im Kopf. (Lachen) D.h.<br />

das ist ein Teil, wo … bei mir ist es halt so,<br />

dass ich wirklich manchmal schon diese – also<br />

sagen wir nicht Material – sagen wir die<br />

Mittel, mit denen ich arbeite, die auch ihre<br />

Geschichte haben, dass ich schon die so ein<br />

bis´l anschaue, auch ein bis´l technisch anschaue.<br />

Dadurch brauche ich auch manchmal<br />

viel Zeit, weil ich erst die Mittel irgendwie<br />

definiere, und dann wandle ich ab –<br />

und so was Ähnliches habe ich mal früher in<br />

Gesprächen mit dem Ulrich Aumüller beschrieben.<br />

Wie das passiert, also ein – oder<br />

ich sage es mal anders: Als ich in Köln studiert<br />

habe, Kurse besucht habe, bei Stockhausen<br />

und bei anderen, da war einer, da<br />

war der Henri Pousseur. Damals absolut serialistizistisch<br />

– alles – das war ja – und der<br />

hat – da saßen wir so zu zwanzig im Saal –<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 9


in einem Zimmer, so einem Schulzimmer.<br />

Und hat gesagt, sagt mir irgendeinen Klang.<br />

So einen – und dann sagte der – Pferdegetrappel.<br />

Gut – und dann sagst du mal irgendeinen<br />

Klang: Und dann sagte der, Anfang<br />

der Eroica. Also gut. So – und jetzt ist<br />

erst mal eine Stunde hier Ruhe im Saal oder<br />

in der Bude. Jeder von euch macht jetzt eine<br />

Reihe. Verwandelt schrittweise die musikalischen<br />

Mittel – die klanglichen Mittel des<br />

Pferdegetrappels in den Anfang der Eroica.<br />

Das war so eine Art brain storming. So eine<br />

Art Klangerfindungsgymnastik. Und ich fand<br />

das lustig. Hat mir Spaß gemacht. Natürlich<br />

nicht nur, dass man sagt, hier Pferdetrappel,<br />

hier so und so – sondern, wie geht´s drüber<br />

hinaus, sozusagen. Und außerdem – war natürlich<br />

interessant, dass jeder von zwanzig<br />

Komponistinnen und Komponisten eine andere,<br />

völlig andere Verbindung hergestellt<br />

hat. Der eine hat wirklich gemeint, akustisch<br />

muss das Pferdegetrappel rhythmisiert<br />

werden, und dann wird der Rhythmus abgewandelt<br />

und dann wird aus dem Pferd vielleicht<br />

ein anderes Tier oder ein …<br />

WOLFGANG RIHM: Napoleon!<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja ..<br />

WOLFGANG RIHM: Zum Beispiel.<br />

HELMUT LACHENMANN: Irgend sowas, ja.<br />

Also was Militärisches, natürlich. Und dann<br />

kommen wir schon der Sache näher. Da<br />

kommen wir schon an die französische Revolution.<br />

Also da gibt´s – der eine macht es<br />

assoziativ, der andere macht es klangtechnisch<br />

und so weiter. Und dieses Spiel, das<br />

gefällt mir. So. Und wenn man über das<br />

spricht, sollte man eigentlich nicht automatisch<br />

in eine Schublade gesteckt werden,<br />

sondern warum – nicht so … Aber die Gefahr<br />

ist natürlich … ich meine überbordender<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, und so weiter …<br />

HELMUT LACHENMANN: Und so weiter ist<br />

genauso eigentlich das Denken eher lähmend<br />

als … oder das Fühlen auch …<br />

WOLFGANG RIHM Gleich, ja. Natürlich –<br />

und selbst das Überbordende wird dadurch<br />

gelähmt.<br />

HELMUT LACHENMANN: Genau – ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber um dieses Material<br />

überhaupt mal so fremd zu haben, dass<br />

man es angucken kann, außerhalb des musikalischen<br />

Geschehens, das ist nun ein Problem,<br />

was ich habe. Ich könnte das – ich betrachte<br />

das Komponieren ständig als Umgang<br />

mit Material. Und nicht einen eigenen<br />

– ich kenne keinen eigenen Materialprüfraum,<br />

in dem ich Material prüfe und dann<br />

gehe ich zum Komponieren. Du ja auch<br />

nicht. Aber für mich ist es ein Teil der kompositorischen<br />

Praxis, des Umgehens mit<br />

Klang und seinen Voraussetzungen. Wenn<br />

das aber so hervor gestellt wird, dann glaube<br />

ich verstellt es, dass – ich möchte mal sagen<br />

– du ja eigentlich auch richtig komponierst<br />

(lachen), nämlich von großer Dringlichkeit,<br />

wie man gestern wieder am Streich-<br />

10 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

quartett hören konnte. Da geht es eben net<br />

um Materialerkundung, sondern da ist die –<br />

wird zur Sache selber geredet. So ist mein<br />

Gefühl.<br />

HELMUT LACHENMANN: Genau. Ich meine –<br />

das gehört auch – ich würde halt sehr gerne<br />

manchmal auch Hörer interessieren für den<br />

Kompositionsprozess. Der was anderes ist,<br />

als die Komposition selber. Also der … hat<br />

mich immer beschäftigt, vor allem also es<br />

gab einmal einen Begriff – andere Schublade,<br />

die ich mir ja selber gezimmert hab vielleicht,<br />

leichtsinniger Weise, es gibt mehrere<br />

Schubladen, die ich mir selber gezimmert<br />

habe, aber ich komme noch<br />

aus dieser Generation, nach Stockhausen,<br />

wo wir meinten, wir müssten auch so wie er<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Ordnung im Haus …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ordnung und Verkünden.<br />

Oder Ordnungsprinzipien verkünden.<br />

Ja, und am besten dem noch ein Etikett,<br />

dann kann man darüber schneller reden.<br />

Ich dachte eigentlich nur im Sinne Etikett.<br />

WOLFGANG RIHM: Und es ist natürlich auch<br />

eine Verkürzung deines … denn so ist es bei<br />

ihm ja auch net. Da geht es ja auch ständig<br />

um Inspiration.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und wie!<br />

WOLFGANG RIHM: Da geht’s ja auch nicht<br />

nur um Etikettierung, sondern der Heilige<br />

Geist muss auch wehen. Ich meine, der<br />

muss auch in uns fahren.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber er hat auch<br />

den Heiligen Geist schon ein biss´l etikettiert,<br />

ja – da muss man aufpassen. Also –<br />

mit Superformel und so – aber das ist ein<br />

anderes Thema. Nur also nur ich wollte<br />

schon, das auf Begriffe bringen, auch ein<br />

biss´l für mich, weil ich muss gestehen,<br />

denn manchmal weiß ich gar nicht mehr wie<br />

Komponieren geht. Vergesse das total …<br />

WOLFGANG RIHM: Wollte gerade sagen,<br />

wem sagst du das? Aber gut …<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber da gibt´s halt<br />

Momente, wo man dich an irgendeinen Begriff<br />

erinnert, und dann ganz langsam öffnet<br />

sich wieder der kreative Apparat.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber jetzt frage ich – ich<br />

bleibe einen Moment draußen, wie geht es<br />

denn eigentlich. Ich meine nicht, wie geht<br />

es dir, sondern wie geht das Komponieren?<br />

Wie geht´s denn eigentlich?<br />

HELMUT LACHENMANN: Pfff …. Das ist eine<br />

gute Frage.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich habe mir in dem Moment<br />

– ich sitze da und nicke, und denk, komisch,<br />

wenn du mich jetzt fragen würdest,<br />

wie geht´s komponieren? Wird man ja oft<br />

gefragt, ne. Wo man sich dann wwwwwhhh<br />

– zack und da sagt man irgendwas – aber<br />

jetzt so zwischen uns: Wie geht´s denn?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich glaube, bei dir<br />

geht es anders als bei mir. Sagen wir mal<br />

so. Das sowieso. Ok. Das ist auch keine interessante<br />

Erkenntnis, aber ich sehe einen Un-<br />

terschied schon. Ich glaube, dass du viel näher<br />

immer dran bist.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich möchte es sein.<br />

HELMUT LACHENMANN: Du hast doch mal<br />

irgendwann gesagt, du hast die ganze Tradition<br />

und wünscht es eigentlich– das ist<br />

auch wieder so ein Etikett – und wünscht es<br />

anderen nicht, ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, gut – das war in einer<br />

Situation, wo diese Traditionsdiskussion<br />

ziemlich beherrschend war, wo offensichtlich<br />

jeder, der nur einen Ton geschrieben<br />

hat, sich schon dem Verdacht ausgesetzt<br />

hat, ein Tradio – lllbblb – ein Traditionalist<br />

zu sein. Ne. Aber ich glaub, wenn du sagst,<br />

näher, kann das ja auch heißen, dass ich bestimmte<br />

Wege bestimmte Möglichkeiten<br />

auch vielleicht übersehe. Kann doch sein.<br />

Deswegen frage ich dich ja. Will auch was<br />

lernen. Ne. Also etwas mitbekommen. Was –<br />

wie geht’s denn –wie geht’s denn? Also<br />

wenn du mich jetzt schilderst, oder wenn<br />

du sagst, du glaubst, dass ich näher dran<br />

bin, meinst du ja, ich fang an und will dann<br />

schon Musik schreiben. Das stimmt auch.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ne, das habe ich<br />

nicht gemeint. Ich meine, dass du sagen wir<br />

mal von dem Materialbegriff her … es gibt<br />

eine Menge von Elementen, die erkenne ich<br />

wieder in deinen letzten Stücken, noch<br />

mehr als in früheren – zum Beispiel gestern,<br />

das war Chiffre und war Vormittag dieses<br />

Hölderlin …<br />

WOLFGANG RIHM: Das Lied, ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und dann noch<br />

Fremde Szenen drei. Du hast es selber so genannt,<br />

Fremde Szenen drei. D.h. du kannst<br />

relativ – ich weiß nicht, jetzt musst du mich<br />

korrigieren - schneller oder vertrauensvoller<br />

Elemente abrufen, die du schon kanntest.<br />

Weil sie nämlich wahrscheinlich Teil eines<br />

vielleicht von dir nicht sooo buchhalterisch<br />

betriebenen Materialdenkens sind wie bei<br />

mir. Ich bin ein biss´le schon manchmal ein<br />

Laborant.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber ich höre ja net nur<br />

das Element, sondern ich hör auch den Zusammenhang<br />

und das Platz – den Ort, den<br />

das Element hat. Also, ich hab den Begriff<br />

des placements, der, den hat mir mal jemand<br />

erklärt, aus dem Ballett stammt, wo<br />

ist was platziert, spielt offensichtlich da eine<br />

ganz große Rolle, das hat mich unheimlich<br />

fasziniert, weil ich da eine Ähnlichkeit<br />

zu meinem Vorgehen gespürt habe. Dass ich<br />

hier etwas habe, was seine Selbstverständlichkeit<br />

und seine Bekanntheit schon offeriert<br />

durch die Art, wie es ist. Aber dass ich<br />

es dann in einen Zusammenhang stelle, in<br />

dem es sich verändert. Und das ist ein Komponieren,<br />

was ich auch bei Komponisten der<br />

Vergangenheit zum Beispiel bei Mozart oft<br />

erlebe. Mit dem ich eine ganz ganz starke ja<br />

Beziehung hab. Zumindestens sage ich das.<br />

Aber es ist so. Also es ist wirklich so. Da<br />

sind Dinge, die du aus allen anderen Zusammenhängen<br />

bereits kennst. In einer Weise


stehen die beieinander, wie sie so noch nie<br />

standen. Und das ist ein heißer Wunsch, das<br />

ist ein heißer Wunsch bei mir.<br />

HELMUT LACHENMANN: Klar. Im Grunde ist<br />

alles fast – nicht alles, aber sehr viel total<br />

bekannt, bei ihm, und wird durch einen Kontext<br />

veredelt, der …<br />

WOLFGANG RIHM: Oder verunklart – oder<br />

ver – wie soll man sagen – oder verfremdet<br />

auch manchmal, oder verdichtet oder …<br />

HELMUT LACHENMANN: Oder auch gar nix.<br />

Einfach stehen gelassen.<br />

WOLFGANG RIHM: Oder verhindert. Auch –<br />

HELMUT LACHENMANN: Oder einfach stehen<br />

gelassen.<br />

WOLFGANG RIHM: Oder einfach so gelassen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist eine ganz<br />

perfide Form einen zu verunsichern: NICHT<br />

ZU VERUNSICHERN! – Da ist eigentlich gar<br />

nichts los. Es ist – also wenn du so ein Menuett<br />

von der Jupitersymphonie nimmst.<br />

Mit der chromatischen (singt) – zwischendurch<br />

sind diese Klauseln, total vertraut.<br />

Und jetzt klingen sie total anders.<br />

WOLFGANG RIHM: Und dieses verrückte<br />

Stück da aus der Bläser – der achtstimmigen<br />

Bläsermusik, auch in c-moll. Wo auch so<br />

chromatische Führungen sind. Du traust deinen<br />

Ohren nicht. Aber das …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ok. Ein Thema für<br />

sich.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, das ist ein Thema für<br />

sich – gut machen wir ein andermal.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber jetzt ist eine<br />

andere Situation. Ich meine heute haben<br />

wir viel ein viel weit greifenderes Repertoire<br />

von Möglichkeiten. Es gibt einen riesen Supermarkt<br />

sowohl in Sachen Neuer wie Historischer<br />

Musik, und exotischer Musik und<br />

weiß der Kuckuck was und so. Im Grunde,<br />

ich bin in dem Sinn total einverstanden,<br />

dass die Dinge durch einen Kontext verändert,<br />

d.h. geladen werden – oder manchmal<br />

auch entleert werden. Eigentlich ist das fast<br />

das Gleiche. Also ich denke immer, sie werden<br />

auch entleert. Dieses Entleeren war so<br />

ein biss´l das Prinzip der Seriellen glaube<br />

ich. Weil der Ton war ja an sich schon etwas<br />

Ausdrucksvolles, ja. Und wenn man den<br />

aber jetzt in einen Zusammenhang packt,<br />

indem man so durch irgendeine Reihe oder<br />

was auch so eingespannt wird, geht einmal<br />

diese a priori Magie erst einmal verloren.<br />

WOLFGANG RIHM: Das muss man aber wissen,<br />

dass dem so sei.<br />

HELMUT LACHENMANN: Eine Information.<br />

WOLFGANG RIHM: Das muss man ja wissen.<br />

Ich meine, wenn man als Hörer nicht weiß,<br />

dass der Ton in einen Zusammenhang tonsetzerischer<br />

Art eingebunden ist, sondern<br />

wenn man ihn nur nimmt als das, was er ist,<br />

nämlich ein Ton, dann ist man natürlich<br />

wieder auf sein´n pathetischen Ort zurückgeworfen.<br />

Ne.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, aber wenn der<br />

nächste Ton dem ersten Ton sozusagen<br />

schon wieder in die – wie sagt man da …<br />

WOLFGANG RIHM: In die Quere kommt …<br />

HELMUT LACHENMANN: In die Quere<br />

kommt und dass die sich gegenseitig eher –<br />

ja also – Beispiel, klassisches Beispiel und<br />

auch nie wiederholbar ist Strukture 1a von<br />

Boulez. Klingt für manche wie ein totes<br />

Spiel von angeschlagenen Klaviertasten. Ja.<br />

Und das Gesetz, was drin herrscht, ist ganz<br />

deutlich zu spüren, aber es ist zunächst mal<br />

für viele Hörer ein negatives Gesetz. Also<br />

manche Leute – der Komponist schafft eine<br />

Ordnung. Und die Hörer hören eine Unordnung.<br />

Zumindest ein nicht einsehbares<br />

Spiel.<br />

WOLFGANG RIHM: Das hat aber in der Geschichte<br />

Vorbilder. Denn alle Komponisten<br />

haben, ob sie wollten oder nicht, eine Ordnung<br />

geschaffen. Selbst derjenige, der keine<br />

Ordnung schaffen will, schafft natürlich eine<br />

Ordnung, nämlich dieser Art, und die Hörer<br />

sind entweder fähig, diese Ordnung wahrzunehmen,<br />

oder an ihr vorbeizuhören. Aber<br />

das sollte man dem Hörer auch überlassen.<br />

Ich mein, wenn ein Hörer die Unordnung,<br />

die er mit den Dingen verbindet, wieder zurückbekommt,<br />

das ist ja auch – das ist seine<br />

Leistung. Er kann auch nicht mehr jetzt gewähren.<br />

Es geht nur das. Und das ist seine<br />

Arbeit. Hören ist ja auch Arbeit. Ne.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, aber das stimmt<br />

schon. Nur – also ich denke, …<br />

WOLFGANG RIHM: Guck mal, Boulez hat ja<br />

nach Strukture 1 eben Structure 2 geschrieben.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich weiß, klar.<br />

WOLFGANG RIHM: Und da wollte er ganz<br />

andere Dinge. Nicht. Da gings um die …<br />

HELMUT LACHENMANN: Nein, das war ein<br />

Exorzismus. Einmal – und hinüber.<br />

WOLFGANG RIHM: Man kann ja nicht sagen,<br />

so jetzt schreibe ich – das wäre dann, ich sage<br />

jetzt mal – Johann Nepomuk David auf<br />

andere Art. Ein Leben lang solche Stücke<br />

schreiben.<br />

HELMUT LACHENMANN: Eine Handwerkslehre<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Irgendwann wird das zu<br />

einem gedrechselten Gartenzwerg.<br />

HELMUT LACHENMANN: Oder aber auch das<br />

andere selbst wenn es vielleicht virtuoses –<br />

virtuoser wirkte, war – ich nehm das einfach<br />

zur Kenntnis. Das ist mir nicht ganz<br />

egal, …<br />

WOLFGANG RIHM: Nein, auf keinen Fall.<br />

HELMUT LACHENMANN: Weil du sagst, der<br />

Hörer muss das irgendwie spüren, oder so<br />

ähnlich. Ich weiß nicht, ob ich es richtig<br />

wiedergebe. Ich würde viel weiter ansetzen.<br />

Ich denke, ganz egal, ob es nun Hörer sind,<br />

oder ob es einfach Staatsbürger sind. Sie<br />

müssen sensibilisiert werden, erstens, dass<br />

es Gesetze gibt, die sie nicht kennen. Aber<br />

die sie spüren können, wenn sie wachsame<br />

Antennen haben. Und zweitens, dass es so<br />

etwas wie ein Abenteuer gibt.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber wenn wir arbeiten,<br />

folgen wir auch Gesetzen, die wir zum einen<br />

Teil nicht kennen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist klar.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich meine, wir sind das<br />

– wir sind ja nicht diejenigen, die einen<br />

Text herstellen, der nur auf Grund unseres<br />

besseren Wissens entsteht, sondern da entsteht<br />

auch sehr viel ohne unser Zutun, und<br />

das ist mit manchmal das, was nach Jahren,<br />

wenn wir es wieder hören, eigentlich das<br />

ist, was am längsten immer noch frisch geblieben<br />

ist, und was weiterlebt, und wo<br />

man spürt, dass da ein Lebenspuls ist. Also<br />

ich mein das ganz konkret, wenn dir nach<br />

Jahren ein eigenes Stück wieder begegnet,<br />

dann sind es selten die Dinge, die dir damals<br />

wichtig waren, also mir geht das so,<br />

die einem damals wichtig waren, als man es<br />

geschrieben. Sondern da sind ganz andre<br />

Dinge spürbar. Von denen man gar net gemerkt<br />

hat, dass man ihnen auch gestalterisch<br />

entsprochen hat, dass man die auch<br />

geformt hat, aber eben nicht mit der Bewusstheit<br />

einer gesetzgeberischen Instanz,<br />

sondern mit der Fähigkeit eines - ja mit der<br />

Aufnahmefähigkeit einer – wie heißt, was –<br />

eines Seismographen. Das möchte schon<br />

auch sein, aber das kannst du nicht erzwingen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich meine, ich würde<br />

sogar noch weitergehen. Ich sage, wehe<br />

wenn nur das entsteht was du gewollt hast.<br />

Also das, was man macht. Ich denke immer,<br />

das ist der Treibsatz, mit dem du rauskommst.<br />

Und irgendwo in eine Situation<br />

kommst. Und der Treibsatz muss irgendwann<br />

wie bei jeder Rakete hoffentlich mal<br />

runterfallen. Kannst ja nicht mitschleppen.<br />

Und dann – also ich denke nicht nur nach<br />

10 Jahren, sondern eigentlich schon während<br />

des Komponierens, dass ganz andere<br />

Gesetze auftauchen. Ich denke am Ende<br />

weiß ich eher was ich – vielmehr ich meine<br />

gewußt zu wissen, was ich gemacht habe.<br />

Es gibt immer noch Überraschungen. Ich<br />

glaube, es gibt dauernd andere Gesetze. Vor<br />

allem weil wir auch uns verändern. Das, was<br />

uns wichtig ist an der Historischen Musik,<br />

ist auch nicht unbedingt das, was die Komponisten<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Eben – aber das ist doch<br />

für Hörer, die zunächst mal davon ausgehen,<br />

dass das, was sie da von einem Komponisten<br />

Komponiertes wahrnehmen, dass das<br />

genau dessen Vorstellungen entspricht, ein<br />

Schlag ins Kontor, sage ich jetzt mal, die<br />

müssen doch entsetzt sein von Komponisten<br />

zu hören, was da entstand, wird auch von<br />

andern Kräften gespeist, als von denen, über<br />

die wir verfügen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Warum müssen die<br />

deshalb davon schockiert sein? Die sollen<br />

doch froh sein.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja natürlich. Ich meinte<br />

das ja rhetorisch. Da ist doch immer die Vorstellung,<br />

dass der Komponist das alles voraussieht,<br />

vorausplant, voraushört, vorausweiß<br />

und letztlich danach versteht auch. Al-<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 11


so dieses integrale Beherrschen, das ist tief<br />

in die Hörer gesenkt, als Ideal. Es ist nicht<br />

mein Ideal.<br />

HELMUT LACHENMANN: Also wie gesagt,<br />

ich bin der Meinung, das ist eine Aufgabe,<br />

die geht über das bloße Bewußtmachen von<br />

Hören hinaus. Sondern dass wir – also wenn<br />

mir jemand etwas sagt, dann glaube ich<br />

ihm schon mehr oder weniger, was er sagt,<br />

aber ich schaue ihm zu. Ich schaue, was mit<br />

ihm passiert, wenn er es sagt. Also ich<br />

schließe zurück. Aber es gibt eine ganze<br />

Menge von Prozessen, es gibt eine ganze<br />

Menge von sogenannten Strukturen, die bei<br />

mir berührt werden, und die bei ihm aktiv<br />

sind. Das was er weiß, was er macht, das ist<br />

vielleicht – das ist ein anderes Thema vielleicht.<br />

Aber das ist bei mir manchmal schon<br />

eine relativ bewusste Konstruktion. Ich<br />

schaffe schon mal so eine Art Gerüst, und<br />

dann weiß ich scheinbar, was ich machen<br />

will. In der Erwartung, dass Dinge passieren,<br />

die das irgendwie sogar zerbrechen.<br />

Oder die darüber hinaus gehen. Und dann<br />

manchmal entdecke ich sogar noch Gesetze,<br />

die dahinter kommen, die ich vorher nicht<br />

beachtet hatte. Die aber jetzt das Ganze dominieren.<br />

Also bei den „Zwei Gefühlen“ zum<br />

Beispiel, diesem Stück mit der Stimme und<br />

… war so wie so bei allen Stücken – am Ende<br />

weiß ich erst, was ich eigentlich gemacht<br />

habe. In der Mitte gibt´s einen Teil mit –<br />

wo sozusagen ich sehr bewusst die <strong>Gitarre</strong><br />

als Thema genommen habe.<br />

WOLFGANG RIHM: Die <strong>Gitarre</strong> als Thema –<br />

als Objekt sozusagen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Wobei ich natürlich<br />

in Gedanken - der Text heißt: Doch ich irre<br />

umher, getrieben von meiner – das ist eine<br />

Wanderung durch eine erkaltete Vulkanlandschaft.<br />

Und die <strong>Gitarre</strong> ist ein schlechtes Gerät,<br />

aber irgendetwas hat sie von Freiluftklang<br />

vielleicht. Jetzt habe ich sozusagen<br />

die <strong>Gitarre</strong> abgewandelt, habe Pseudogitarren.<br />

Ein Klavier kann eine – und wenn´s nur<br />

die Stimmungs – also nur die leeren Saiten<br />

von der <strong>Gitarre</strong> spielt, ist es eine Piano-<strong>Gitarre</strong>.<br />

Es kann auch eine verstimmte <strong>Gitarre</strong><br />

spielen, dann ist es eben vielleicht in der –<br />

die beiden E´s – ist dann kein E oder so irgendwas.<br />

Oder die Streicher können sogar<br />

eine gezupfte <strong>Gitarre</strong> oder auch eine Arco<br />

gespielte – dann wird der Begriff <strong>Gitarre</strong><br />

verschwommen. Oder wenn ich vier Pauken<br />

in Quarten stimme, dann tut es auch so –<br />

das ist für mich ein bewusstes Spiel. Dann<br />

passiert etwas – erstens, ich habe es am Anfang<br />

noch nicht gewusst, dass ich das machen<br />

werde. Und zweitens, was da alles an<br />

Klängen passiert, das sagt ja nicht einfach<br />

so, als wenn man nicht da ist (?), sondern<br />

was machst du jetzt mir? Also dann kommen<br />

Gesetze heraus, die schon während des<br />

Komponierens kenne. Ob das dann die gleichen<br />

sind, die wenn ich das später höre,<br />

noch einmal mich berühren, weiß ich nicht.<br />

Aber in dem Sinn meine ich, bin ich ein La-<br />

12 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

borant manchmal, dass ich so ein Topos<br />

nehme und nicht einfach – also wie es noch<br />

meine Altvorderen Seriellen gemacht haben,<br />

irgendwie mathematisch, oder messtechnisch<br />

behandelt. …<br />

WOLFGANG RIHM: Sondern inhaltlich.<br />

HELMUT LACHENMANN: Inhaltlich? … irgendeine<br />

Eigenschaft nehme, zum Beispiel,<br />

wenn ich sage, einfach <strong>Gitarre</strong> – das sind in<br />

diesem Fall, damit ich es erkenne, das sind<br />

leere Saiten.<br />

WOLFGANG RIHM: Das kann aber auch ein<br />

Körper sein. Ein weiblicher zum Beispiel.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist schon ziemlich<br />

weit. Da muss ein Pousseur ein Übergang<br />

darüber finden.<br />

WOLFGANG RIHM: Ein Übergang (lachen)<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber stimmt …<br />

WOLFGANG RIHM: Vom Pferdegetrappel …<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber dann noch<br />

ein Cello –<br />

WOLFGANG RIHM: Ein Kontrabaß<br />

HELMUT LACHENMANN: Wenn es mager<br />

wär, und dann vielleicht und so weiter …<br />

Ne, ich hab zum Beispiel Klavier als eine Ungitarre.<br />

Nicht mehr <strong>Gitarre</strong>. Oder einfach nur<br />

die leeren Saiten – und dann: so gut ich die<br />

leeren Saiten der <strong>Gitarre</strong> bemühe, kann ich<br />

die leeren Saiten des ganzen Streichapparats.<br />

Da habe ich irgendwie einen Grund, etwas,<br />

was im Grund vorher schon bekannt<br />

war, nämlich wie die leeren Saiten von einem<br />

Streichapparat klingen, die sind jetzt<br />

Schwestern oder Brüder oder irgendetwas<br />

von diesem <strong>Gitarre</strong>nkind ...<br />

WOLFGANG RIHM: Aber wie du da hinkommst,<br />

ist ja fast eine ich möchte mal sagen<br />

fast eine eulenspiegelhafte Wörtlichnehmung<br />

von Situationen. Also du sagst: Freiluft<br />

– ich irre umher. Bin also in der freien<br />

Luft. In der freien Luft erklingt die <strong>Gitarre</strong>.<br />

(lacht) Nicht … oder ich meine …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ein Spiel ja ja …<br />

WOLFGANG RIHM: Natürlich – das ist ja im<br />

schönsten Sinn ist es ein romantisches Spiel<br />

im Grunde. Also wirk ich dagegen ja wie ein<br />

einskalter Pragmatiker, der knallhart Töne<br />

setzt. Und du spielst da viel romantischer<br />

mit den Dingen umher.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das kann schon<br />

sein.<br />

WOLFGANG RIHM: Eben.<br />

HELMUT LACHENMANN: Nur dass ich eben<br />

sozusagen wie ein also romantisch nichts<br />

dagegen.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber dann stufe<br />

ich ab.<br />

WOLFGANG RIHM: (deutsch?)<br />

HELMUT LACHENMANN: Dann mache ich<br />

Abstufungen und so. Das hat schon so etwas<br />

mit also - ich bin jetzt nicht irgendwie<br />

seelisch erhitzt, ich bin vielleicht kreativ,<br />

grad begeistert, aber ich beobachte das eher<br />

so wie ein Chirurg, diese Eigenschaft und<br />

ich verwandle es und möglichst in Eigenschaften,<br />

die weit weg von der Sache sind –<br />

nochmal Pousseur. Dinge die – was hat das<br />

Pferdegetrappel mit der Eroica zu tun.<br />

Nichts! Jetzt plötzlich kommen die unter einem<br />

Dach und jetzt plötzlich sind sie beieinander<br />

und dann gibt es plötzlich irgendeine<br />

Beziehung, von der ich gar nichts wusste.<br />

Ja. Also in dem Sinn, bei mir umgekehrt, ich<br />

– in diesem Fall – nahm so ein Element und<br />

dann verwandle - verändere ich es, bis es<br />

zur Unkenntlichkeit verwandelt ist. Und da<br />

aber, jetzt habe wenigstens zum ersten Mal<br />

kann ich diese leeren Saiten benutzen und<br />

zugleich sagen, das ist nicht einfach unsere<br />

bekannte Leeren-Saiten-Klang. Das sind jetzt<br />

Surrogate von dem Anfangsbegriff, mit dem<br />

ich angefangen habe, der <strong>Gitarre</strong>. Die <strong>Gitarre</strong><br />

kann man einfach wegschmeißen. Aber<br />

dann habe ich die … das ist so ein biss´l der<br />

rationale – Apparat.<br />

WOLFGANG RIHM: Da ist aber sehr viel Hermeneutik<br />

auch drin.<br />

HELMUT LACHENMANN: In dem Fall ja.<br />

Wenn ich so darüber spreche.<br />

WOLFGANG RIHM: Sehr viel.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber zum Beispiel,<br />

die Anregung dazu, es gibt ein Stück –<br />

nicht nur eins, aber eines sehr deutlich, bei<br />

Nono. Canto suspeso IV. Das ist das einzige<br />

– nein nicht das einzige – eines von zwei a<br />

capella – also nur Instru – nicht a capella –<br />

wie sagt man da – ohne Sänger. Nur instrumental.<br />

WOLFGANG RIHM: Orchesterstücke.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Das in As-Dur ist.<br />

HELMUT LACHENMANN: Nein, der Canto suspeso<br />

– das ist nur in dem kleinen Oktavbereich<br />

zwischen dem eingestrichenen E unten<br />

und dem zweigestrichenen ES oben, diese<br />

Oktav. Und fängt an mit einem A in der Mitte,<br />

und es gibt eine Zickzack-Reihe …<br />

WOLFGANG RIHM: Eine Allton-Reihe.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, und die Dauern<br />

sind richtig, wie es damals sich gehörte, …<br />

WOLFGANG RIHM: Zwölf, elf,<br />

HELMUT LACHENMANN: In diesem Fall<br />

ganz arithmetisch zwölf elf zehn und so in<br />

Zickzackform – und das fängt an mit einem<br />

gewirbeltem Vibraphon, also immerhin ein<br />

perforierter Klang, und dann kommt einen<br />

Flatterzunge von Flöte – dann kommt eine<br />

Flatterzunge – und dann kommt eine Röhrenglocke<br />

– also ich kanns jetzt nicht genau<br />

alles sagen …<br />

WOLFGANG RIHM: Aber ich erinnere mich …<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber romantisch –<br />

das Text davor hieß: Dein Sohn wird die<br />

Glocken der Freiheit nicht mehr hören. Und<br />

was der Gigi da gemacht hat, ist er hat Glocken<br />

läuten lassen. Das Vibraphon läutet in<br />

Form von repetierten Schlägen gegen Metall.<br />

WOLFGANG RIHM: Schwingungen eben, ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, aber dann auch,<br />

obwohl das schon keine richtige echte Glocke<br />

mehr – eine Flatterzunge von einer Posaune.<br />

Oder nachher – es sind immer Flat


Helmut Lachenmann<br />

terzungen die nächsten oder gehaltene Sachen.<br />

Eine nach der anderen. Die eine hört<br />

auf, und die andere beginnt. Die eine beginnt,<br />

wenn die andere aufhört. Das geht<br />

sogar so weit, dass er irgendwo einmal einen<br />

kleinen Trommelwirbel einsetzt. Also<br />

auch wieder sowas wie Ruf. Würdest du vielleicht.<br />

Den Begriff Ruf habe ich von dir gelernt.<br />

Musik ruft manchmal. Also, ich unterstelle<br />

mal, er hat so einen Begriff, wie weit<br />

der jetzt bewusst ist, weiß ich auch nicht,<br />

Begriff: Die Glocken der Freiheit. Und wird<br />

dann so nicht mehr hören, dieser Abschiedbrief<br />

des Ermordeteten Partisanen. Und jetzt<br />

gibt es ein großes Geläute. Nacheinander.<br />

Und das Geläute erfasst jetzt irgendwann<br />

auch die Röhrenglocken. Die auch schon Surrogate<br />

sind von einer echten Glocke, natürlich.<br />

Glocken der Freiheit sind nicht Röhrenglocken.<br />

Aber die auch ein Vibraphon und<br />

Xylophon und Flatterzungen also irgendwie<br />

unter einem technischen Aspekt, nämlich<br />

des Fulato oder des Tremolo oder wie auch<br />

immer, fasst er jetzt plötzlich Klänge, die<br />

man schon kannte, den Vibraphonwirbel habe<br />

ich schon 1000 mal gehört, aber der ist<br />

jetzt eine Metaglocke.<br />

WOLFGANG RIHM: Gibt es überhaupt profane<br />

Glocken? Glocken sind doch immer im<br />

kirchlichen Zusammenhang.<br />

HELMUT LACHENMANN: Weiß Gott. Und Luigi<br />

Nono, der eigentlich nicht so arg kirchlich<br />

gesinnt war, ja, der hatte auch in den canti<br />

di vita et amore – am Ende kommen Glocken,<br />

aber dann eben gleich zwölf Stäbe, die<br />

werden gleichzeitig – d.h. aus den Glocken<br />

sind Metallstangen geworden. Also dieses<br />

Verfremdungsspiel finde ich halt von meinem<br />

Kopf her unheimlich anregend. Dann<br />

habe ich das Gefühl, jetzt bin ich in einem<br />

Bereich, den gab´s vorher noch nicht. Also<br />

bei ihm ist man jetzt in einem Bereich, den<br />

gab´s bei Nono so noch nicht. Also von<br />

dem habe ich mein <strong>Gitarre</strong>n zum Beispiel ge-<br />

lernt, über dieses Spiel. Aber ich streite<br />

überhaupt nicht ab, was dann passiert, ist ja<br />

nicht einfach, dass da jetzt einen Ausstellung<br />

von abgewandelten Gitarroiden daherschleicht<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Sondern es geht so und<br />

so um die Abstufung. Es geht nicht um das<br />

Wiedererkennen eines irgendwann mal hermeneutisch<br />

besetzten Zeichens, sondern um<br />

die Abstufungen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja und dann passieren<br />

Dinge, zum Beispiel sind dann Töne, die<br />

wir bilden. Also da gibt es Reibungen, plötzlich<br />

gibt es eine intervallische Anregunge.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade lachen,<br />

wir hören die Glocken der Freiheit da hinten<br />

(Bierkisten).<br />

HELMUT LACHENMANN: Das sind die Glocken<br />

des Mittagessens, die gibt es auch.<br />

WOLFGANG RIHM: Knastert da hinten –<br />

aber gut. Ne das ist schon.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich würde mir zutrauen<br />

manche – ich hab´s ja mal versuchen,<br />

manche Sachen von dir zu analysieren<br />

und du wusstest es nicht. Es können eine<br />

Menge Dinge passieren, die man nicht …<br />

WOLFGANG RIHM: Ich wollte darauf raus,<br />

dass diese Abstufungen auch mir sehr wichtig<br />

ist. Dieses den einen Klang als ja, noch<br />

mit Bestandteilen des anderen zu kontaminieren,<br />

und davon sukzessiv wegzugehen<br />

beziehungsweise hinzukommen. Also, das<br />

ist etwas, was ich ganz egal wie die Stücke<br />

jetzt klingen. Es gibt ja solche und solche,<br />

es ja Stücke mit starken Tonalitätsbezug<br />

und solche ohne. Das hat damit gar nichts<br />

zu tun. Ich gehe wirklich so beim Komponieren<br />

oft vor, dass mir die Bestandteile einer<br />

klanglichen Erscheinung in Abstufungen<br />

in anderen klanglichen Erscheinungen wichtig<br />

sind als Wiederkehrende. Aber nicht jetzt<br />

so als eins zu eins, sondern als Veränderte.<br />

Und das entspricht ja im Grunde diesem<br />

Vorgehen – es ist eben nur ein Vorgehen im<br />

Moment selber, an der Sache selber.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist deine<br />

Art …<br />

WOLFGANG RIHM: Das ist meine Art, damit<br />

umzugehen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich denke, es kann<br />

sein, dass du eher unmittelbar mit diesen<br />

Gedanken im Hinter- oder im Vorderkopf<br />

reagierst und weiterschreibst oder irgend so<br />

was. Und vielleicht auf viel überraschendere<br />

Resultate kommst, als einer, so der ganz bewusst<br />

sagt, das ist jetzt sozusagen der –<br />

das Thema, das Thema <strong>Gitarre</strong>, oder das<br />

Thema Glocke – und jetzt schaffe ich die<br />

Unglocken. Die Nicht-mehr-Glocken. Möglichst<br />

bis hin, dass das Pferdegetrappel ein<br />

Geglocke wird. Ich meine, der Gedanke ist<br />

spannend, ja. Aber es kann sein, dass bestimmte<br />

Dinge in meinem Temperament liegen<br />

würden oder in deinem liegen, dann<br />

gar nicht vorkommen. Und bei dir könnte<br />

ich eher dann …<br />

WOLFGANG RIHM: Ach, die setzen sich<br />

schon durch.<br />

HELMUT LACHENMANN: Du kannst dir dann<br />

hinterher deine Stücke angucken und sagen,<br />

was ist mir denn da passiert, was habe ich<br />

jetzt da für eine Versammlung von Zusammenhängen<br />

geschaffen, die du beim Schreiben<br />

selber gar nicht so genau …<br />

WOLFGANG RIHM: Ich merk das bei Stücken,<br />

die – ich hab ja solche Stückfamilien,<br />

weißt du – die durch Jahre hin immer weiter<br />

gehen. Ich hab jetzt grad wieder an einem<br />

der sehr Seraphin-Stück weitergeschrieben,<br />

das ist ein Ensemblestück von über einer<br />

Stunde geworden. Seraphin´s Sphäre<br />

nenne ich das. Da kommt es manchmal so,<br />

dass das Schichten von vor 15 Jahren plötzlich,<br />

indem sie mit ganz anderen Sachen<br />

konfrontiert sind, eben diese Abstufung von<br />

selbst leisten.<br />

HELMUT LACHENMANN: Von was?<br />

WOLFGANG RIHM: Von selbst leisten die die<br />

Abstufungen, von denen wir vorhin gesprochen<br />

haben, ohne dass ich das in irgendeiner<br />

Weise geplant hätte. Es ist – es kommt<br />

zu einer ganz starken ja Verwandtschaft der<br />

Ereignisse, nur auf Grund der Grundierung,<br />

die da ist. Es könnte Slaps von der Kontrabassklarinette<br />

sein, die sich durchziehen,<br />

aber es geschieht etwas völlig anderes und<br />

unter jedem<br />

Klang liegt so ein Impuls, und die bekommt<br />

dann eine gestufte Verwandtschaft. Das ist<br />

eigentümlich. Ich habe das gar nicht beabsichtigt,<br />

in der Weise. Man wird aber als<br />

Komponist oft gefragt: Haben sie das alles<br />

genauso gehört, wirst du ja auch gefragt.<br />

Was antwortest du denn dann?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ne, wenn ich es gehört<br />

hätte, würde ich es nicht aufschreiben.<br />

Ich will es erst mal hören.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, es geht mir genauso.<br />

HELMUT LACHENMANN: Klar, also das ist<br />

natürlich eine der oft gestellten Fragen: Haben<br />

sie das vorher gehört.<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 13


WOLFGANG RIHM: Das wird natürlich durch<br />

Vorstellungen –<br />

HELMUT LACHENMANN: Wie gehört – innerlich.<br />

Natürlich es gibt ein inneres Ohr, das<br />

gibt es schon.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, aber das ist ein Vorstellungsohr.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist eine Erinnerungsmaschine.<br />

Ich weiß schon, wie eine<br />

Almglocke klingt, oder ich weiß schon wie<br />

die und die Dissonanz klingt, und ich weiß<br />

schon, wie ein Streichertremolo klingt.<br />

WOLFGANG RIHM: Das ist eine Erfahrung,<br />

die du hast.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und dann kommt –<br />

was passiert wenn? Was passiert, wenn ich<br />

jetzt eine Kuhglocke in die Mitte von einem<br />

Streichertremolo setze und das abbreche,<br />

dieses ganze Spiel.<br />

WOLFGANG RIHM: Das ist Gruppen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Zum Beispiel, kann<br />

sein – ja – wie du willst. Es kommt drauf<br />

an. Das ist jetzt gemein.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich gehör genau den<br />

gleichen Schluss.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ahja, der Schluss,<br />

ja das stimmt. Ah, das war Zufall. Ja, ok.–<br />

Gut. Stimmt, der hat das gemacht. Ich träume<br />

noch von dem Stockhausen …<br />

WOLFGANG RIHM: Wo der Impuls den<br />

Klang bricht.<br />

HELMUT LACHENMANN: Was auch immer,<br />

eigentlich. Jede Begegnung von Dingen, die<br />

scheinbar so inkommensurabel zu sein scheinen,<br />

werden plötzlich verbindbar, weil man<br />

auf andere Ebene kommt, von wo aus sie<br />

miteinander etwas zu tun haben. Und das<br />

ist eigentlich, dort fängst du an zu komponieren,<br />

wie man so schön sagt, auf einem<br />

jungfräulichen Bereich. Weil die Klänge, die<br />

du zwar schon so kennst, jetzt in dem Zusammenhang<br />

andere sind. Das ist das alte<br />

Spiel. Also das ist halt – was man ja auch in<br />

meinem Fall inzwischen registriert hat, ich<br />

kratze zwar immer noch manchmal auf der<br />

Geige rum, aber so eine zum Beispiel die Bewegung<br />

oder ein konsonanter Klang, die ich<br />

eigentlich liebe, weil sie auch ein biss´l Heimat<br />

natürlich bedeuten. Ich weiß nicht, ob<br />

ich je Berührungsängste hatte. Das habe ich<br />

eigentlich nicht. Aber ich habe es jetzt ganz<br />

bewusst integriert und das Moment, was<br />

bei mir immer so auch als so als Etikett vorn<br />

weg weggeschleppt wird, die Energie des<br />

Komponierens –<br />

WOLFGANG RIHM: Was ist damit gemeint?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, die haben früher<br />

diesen Begriff musique concrète instrumentale,<br />

also Klänge, die oft durch ihre Verfremdung<br />

darauf hinweisen, dass da irgendein<br />

Material strapaziert oder geschmeichelt<br />

oder wie immer wird. Also Flageolett ist<br />

nicht einfach der Ton C. sondern Flageolett<br />

ist eine Form eine Saite anzuregen, die einerseits<br />

obertonärmer ist, als der zentrale,<br />

andererseits unheimlich einen sphärischen<br />

Klang hat. Und dann hört man nicht nur,<br />

14 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

was man hört, sondern man schließt, was<br />

passiert.<br />

Damit habe ich diese ganze Welt der Verfremdungen<br />

– ich mag nicht so gern sagen<br />

Geräusche, weil das klingt – das ist ein falsches<br />

Wort.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber der Verfremdungen<br />

einschließlich von auch Geräuschen<br />

oder auch so was – und inzwischen denke<br />

ich, ein Arpeggio oder eine gespielte Figur,<br />

fast eine musikantische Figur hat auch etwas<br />

– oder gerade die – haben etwas von<br />

Energie.<br />

WOLFGANG RIHM: Natürlich.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das habe ich<br />

manchmal ein biss´l ausgesperrt, eigentlich<br />

um mal erst von dem – von diesem a priori<br />

musikantischen Denken abzulenken – aber<br />

natürlich, es hat mich eingeholt. Das ist ja<br />

ganz klar.<br />

WOLFGANG RIHM: Es geht um Energieweitergabe<br />

– und das, was wir jetzt in Anführungszeichen<br />

musikantisch nennen, ist ja die<br />

Weitergabe im Vollzug des Weitergebens.<br />

Wir vollziehen als (?) sozusagen mit aha –<br />

da wird etwas weitergegeben. Aber weil es<br />

eben nicht nur die Tonpunkte sind, sondern<br />

das, was dazwischen – was dazwischen abläuft.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber trotzdem, ich<br />

meine – Jagden und Formen, und es gibt<br />

diese besessenen Rhythmen – ja. Die sind ja<br />

auch bewusst oder unbewusst irgendwo abgerufene<br />

Elemente aus einer wie auch immer<br />

motorischen Musik. Ich – bei mir auch,<br />

in diesem Streichquartett gestern, ich würde<br />

am liebsten reinschreiben: Gigue – das ist<br />

eine Gigue.<br />

WOLFGANG RIHM: Dom da da dom da da<br />

dom …<br />

HELMUT LACHENMANN: Nö, das ist keine<br />

Gigue.<br />

WOLFGANG RIHM: Dada dada dada dada ..<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist die 7te von<br />

Beethoven. Nein. Digigi Digigi Digigi – jaa –<br />

ja baba bam bada da badada … bobo …t t t<br />

- es ist eigentlich total musikantisch ja …<br />

WOLFGANG RIHM: Aber was meinst du mit<br />

ab… - du verwendest den Begriff des Abrufens<br />

oft.<br />

HELMUT LACHENMANN: Weil sie irgendwo<br />

in der Erinnerung da ist. Aus irgendeinem<br />

Bereich von Musik, den wir kennen. Und ich<br />

gehe jetzt nicht zurück an die alten – oder<br />

an die von mir unterstellten bloßen Ausgangsmaterialien<br />

des Klingens, sondern an<br />

fertige – von dem was wir Musik nennen.<br />

WOLFGANG RIHM: Gestaltete …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, fertige Gestalten.<br />

WOLFGANG RIHM: Gestaltete Partikel, ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Irgendwie vorgeformte<br />

Dinge. Die nicht selbstverständlich<br />

sind. Also das – die haben ja alle eine Eigenschaft,<br />

über die – ich weiß, ob wir da jetzt<br />

so viel darüber reden können, aber die mich<br />

sehr beschäftigt. Das Moment des Magischen.<br />

WOLFGANG RIHM: Darauf wollte ich nämlich<br />

raus. Das ist ja nicht nur, dass du etwas<br />

abrufst, sondern dass du dem in dem Moment<br />

den richtigen Platz gibst, weißt du. Einer<br />

der nur abruft, der ist dann umgeben<br />

von den Dingen, die er jetzt bestellt hat.<br />

Und dass die Stimme (ist bestimmt?) wie<br />

bestellt und nicht abgeholt – aber komponieren<br />

heißt eigentlich …<br />

HELMUT LACHENMANN: Er kann ruhig bestellen,<br />

aber muss auch abholen.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja. Komponieren heißt eigentlich,<br />

das Abholen auch beherrschen,<br />

nicht. Die Dinge zu nehmen, ffft – aber<br />

dann irgendwie auch weiterzugeben.<br />

HELMUT LACHENMANN: Genau. Aber dort –<br />

ich rede trotzdem vom Abrufen. Weil der<br />

erste Schritt ist der – und manchmal sind<br />

auch – also ich kanns – ich könnte es auch<br />

bei deiner Musik beschreiben. Und das kann<br />

man kritisch beschreiben oder unkritisch,<br />

kanns bei meiner Musik auch beschreiben.<br />

Sagen wir mal so. Mein drittes Quartett<br />

wird viel lieber gespielt und viel lieber gehört,<br />

als etwa der Gran Torso, das erste.<br />

WOLFGANG RIHM: Weil es abwechslungsreicher<br />

auf der ersten Ebene ist.<br />

HELMUT LACHENMANN: Nö.<br />

WOLFGANG RIHM: Helmut – doch. Es passiert<br />

mehr. Das ist doch ganz klar. Und der<br />

Hörer kann sich auf dieser ersten Ebene an<br />

Dinge anschließen und …<br />

HELMUT LACHENMANN: Und er kann sich<br />

identifizieren, wenn mit einem Rhythmus,<br />

mit – jetzt sage ich es noch mal: Mit abgerufenen<br />

magischen Objekten. Wobei der Begriff<br />

des Magischen, der ist noch nicht definiert<br />

jetzt. Aber ich sage es jetzt trotzdem<br />

mal schnell so. Mit Objekten, von denen ich<br />

unterstelle, dass sie einen kollektive Wirkung<br />

– oder deutliche Faszination fast. Das hat eigentlich<br />

jeder Ostinato-Rhythmus schon. Du<br />

brauchst irgendein Ding nur ostinat zu benutzen,<br />

dann hat es schon, ob man es will<br />

oder nicht, so eine Präsenz, …<br />

WOLFGANG RIHM: Richtig, ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: … die es gibt auf<br />

billigster Ebene … also meine Tochter Joko,<br />

als sie noch klein war, die will ich jetzt nicht<br />

weiter ins Spiel bringen, außer dass sie eben<br />

mir Angst gemacht hat, weil sie eben – hey.<br />

Weil sie im Techno quasi aufgegangen ist.<br />

Das waren Ostinati – zum Teil geistvoll gemacht,<br />

oder auch zum Teil geistlos gemacht,<br />

aber die haben funktioniert. Einfach weil sie<br />

eine gemeinsame Art von Glück für diese<br />

Generation oder von Trance und alle haben<br />

sich lieb, und alle sind miteinander in Bewegung<br />

und sind außerhalb des Alltag mit den<br />

Lehrern und den Eltern …<br />

WOLFGANG RIHM: Das ist ein nervliches<br />

Glück, nicht wahr.<br />

HELMUT LACHENMANN: Natürlich. Aber das<br />

hat alles andere verdrängt. Das wäre eine<br />

Form vielleicht billiger, aber zugleich von


Wolfgang Rihm<br />

mir immer noch respektierter Form, obwohl<br />

sie auch verhängnisvoll ist. Und es gibt – es<br />

gibt den Moment des Magischen auf allen<br />

Ebenen. Es gibt einen riesen Dienstleistungsbetrieb<br />

von magischen Elementen. Die<br />

einen gehen in den Techno, die anderen gehen<br />

zum Volksmusikantenstadl, die dritten<br />

gehen nach Salzburger Festspiele, die vierten<br />

gehen nach Bayreuth – vielleicht sogar<br />

nach Donaueschingen, weiß ich nicht.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: Da werden sie vielleicht<br />

schlechter bedient, aber vielleicht<br />

auch doch irgendwie, ja. Oder ja – bei bestimmten<br />

Komponisten wird Magie und mit<br />

allem Respekt, oder mit aller Vorsicht auch.<br />

WOLFGANG RIHM: Die Fliege (lacht)<br />

HELMUT LACHENMANN: Diese Fliege hat etwas<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Magisches (Lacht)<br />

HELMUT LACHENMANN: Magisches – ich<br />

mag isch überhaupt nicht. Soll ich sie fangen?<br />

WOLFGANG RIHM: Ja.<br />

HELMUT LACHENMANN: (Fängt sie!)<br />

WOLFGANG RIHM: Hast du sie.<br />

HELMUT LACHENMANN: Wer will sie haben?<br />

WOLFGANG RIHM: Entlasse sie.<br />

HELMUT LACHENMANN: Soll ich sie entlassen?<br />

WOLFGANG RIHM: Vielleicht kommt sie zu<br />

mir.<br />

HELMUT LACHENMANN: Jetzt kommt sie zu<br />

dir. – Gut. Ok. Als Fliegenfänger …<br />

WOLFGANG RIHM: Geeignet.<br />

HELMUT LACHENMANN: Nicht als Rattenfänger,<br />

aber als Fliegenfänger … hey, Mädle<br />

(wieder zur Fliege) … also die stört jetzt ein<br />

bisschen ja. Nein aber noch mal zu dem Begriff<br />

des Magischen zurück. Und als Komponist<br />

ich glaube wir können nicht – ich glaube,<br />

das muss man wissen – wir rufen eigentlich<br />

in irgendeiner Form Elemente des Magischen<br />

auf. Selbst wenn es nur ein Ton ist,<br />

den wir aushalten. In diesem dritten Quartett<br />

ist das Thema in Anführungszeichen<br />

nichts anderes als die Magie des gehaltenen<br />

Tons, den ich wieder zerbreche. Der sich<br />

dann auflöst in Bewegungen oder in Schwebungen<br />

oder auch in ein riesen C-Dur – d.h.<br />

das ganze Streichquartett ist ein Supercello,<br />

dessen Obertöne ich jetzt verstärke und so.<br />

Aber eigentlich diese Ausgangselemente<br />

sind ja – vertraut und als Vertraute haben<br />

sie dieses Element des unmittelbar Ansprechenden.<br />

Magischen. Das haben sie nicht,<br />

wenn ich drrrrrrr mache. Bei der Verfremdung.<br />

Jedenfalls nicht so schnell. Und dann<br />

kann das auch so weit kommen.<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, das ist eine andere<br />

Art von Magie, natürlich.<br />

HELMUT LACHENMANN: Erst einmal ist eine<br />

Befremdung, ist es eine Störung von Magie.<br />

Also es ist eine Irritation.<br />

WOLFGANG RIHM: Ne, finde ich nicht. Ich<br />

find´s schon eine andere Form von Magie.<br />

HELMUT LACHENMANN: Du vielleicht. – Zunächst<br />

nicht. Also jetzt mir der – meine Erfahrung<br />

ist einfach die – ich will das jetzt<br />

nicht weiter treiben. Kunst hat etwas mit<br />

Magie zu tun, weil sie diese Situation in irgendeiner<br />

Form beschwört. Aber ich würde<br />

nicht sagen, Techno ist Kunst. Da ist ein Moment<br />

des – der Dienstleistung für eine verfügbare<br />

Wahrheit drin und ersetzbar. Das ist<br />

mir egal, was da im Techno passiert. Irgendetwas<br />

anderes …<br />

WOLFGANG RIHM: Ich glaube eben noch etwas<br />

spricht dafür, dass man das übersieht.<br />

Es erlaubt nicht das momentane Spiel mit<br />

dem Medium. Es erlaubt nicht das momentane<br />

Spiel der Veränderung ins Gegenteil.<br />

Also in einem wild zum Technocharakter<br />

entschlossenen Musikstück kann´s nichts<br />

anderes geben, als dieses. Das kann nicht<br />

plötzlich umkippen in eine ganz andere<br />

Welt. Und dieses Umkippen in andere Welten,<br />

das ist etwas, was für mich Kunst ausmacht.<br />

HELMUT LACHENMANN: Genau, ich danke<br />

dir für diesen Hinweis. Das wollte ich nämlich<br />

genau sagen. Also Kunst (im Hintergrund<br />

Orchesterklänge) – wenn man den Begriff,<br />

der Begriff ist eigentlich vielleicht<br />

langweilig, aber ich finde, er wird langsam<br />

wichtig, weil er eingeebnet wird in alle<br />

möglichen Formen von Undertainement (Entertainment):<br />

Kunst wäre Magie, die in irgendeiner<br />

Form irritiert wird. Nono hat mir<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 15


damals im allerersten Brief geschrieben:<br />

Schauen sie, wie der Geist alles beherrscht.<br />

Also Magie beherrscht – d.h. in dem Moment<br />

bist du nicht einfach in Trance oder<br />

verzaubert, oder sowas, sondern du erinnerst<br />

daran, dass es einen menschlichen Willen,<br />

einen Geist gibt, der eingegriffen hat.<br />

Und das hat – was immer du abrufst, kann<br />

die erste Querfeldeinfaszination sagen, ah,<br />

wunderbar, Schumann. Oder ahh – wunderbar,<br />

archaische Rhythmen oder so etwas.<br />

Oder Gigue oder C-Dur. All diese Sachen –<br />

und das andere kann eigentlich nicht gezielt<br />

inszeniert werden, aber muss geschehen.<br />

Es muss – ich habe neulich im Wissenschaftskolleg<br />

darüber gesprochen. Und da<br />

habe ich auf Deutsch gesagt, gebrochene<br />

Magie. Und da war die Frage, wie übersetzt<br />

man das auf Englisch. Weil im Englischen<br />

klingt das nicht so aggressiv wie gebrochen<br />

– sondern ich hab gesagt, ich hab´s – suspended<br />

genannt – also unterbrochene Magie.<br />

Und zwar durch irgendeinen kreativen<br />

Ansatz. Und der ist bei mir manchmal so<br />

ein biss´l gesteuert. Also ich brauche irgendwelche<br />

Vorordnungen. Und deshalb sage<br />

ich, um zurückzugreifen auf das, was wir<br />

vorhin kurz gesprochen hatten, du bist näher<br />

dran nach meinem Eindruck. Du hast<br />

ein Vertrauen in ein kreatives – nicht Mechanismus.<br />

Ein kreatives Spiel, welches selbst<br />

diese ganze Brechung veranstaltet.<br />

WOLFGANG RIHM: Schön, dass du das so<br />

siehst. Ich nehme das mal so an.<br />

HELMUT LACHENMANN: Wenn das so nicht<br />

wäre, wäre es eigentlich …<br />

WOLFGANG RIHM: Was jetzt störend durch<br />

die Wand dringt, ist die Probe von meinen<br />

Jagden und Formen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Aus der Entfernung<br />

ist es dann magisch.<br />

WOLFGANG RIHM: Aus der Entfernung<br />

könnte es ein –<br />

HELMUT LACHENMANN: Irgendwas sein …<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, ein Ritual sein. Nur –<br />

mit Knochen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Na gut. Das interessiert<br />

mich halt. Erstens interessiert mich<br />

komischer Weise nicht bloß als Komponist<br />

sondern auch als Bundesbürger. Ich würde<br />

gern – ich kann nicht einfach – ich habe<br />

kein totales Vertrauen in unser Hören.<br />

WOLFGANG RIHM: Ins Hören?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, ich meine indirekt<br />

schon. Also jeder spürt schon hier ist<br />

so nach Shakespeare – ist es schon Wahnsinn,<br />

hat es doch Methode. Also man spürt<br />

es schon. Aber es gibt – es gibt irgendwie<br />

eine Bequemlichkeit beim Hören, die nicht<br />

Lust hat, so weit zu hören. Dann denke ich<br />

mir manchmal gut, viele Stücke von dir sind<br />

total unvorhersehbar. Man weiß nicht, was<br />

passiert.<br />

WOLFGANG RIHM: Selbst bei vertrautem<br />

Material.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, gerade eben.<br />

Bei der Fremden Szene III, die ich vorher<br />

16 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

nicht so bewusst gehört habe – eigentlich<br />

alles, finde ich auch o.k. – ich kann das vielleicht<br />

irgendwo zuordnen zu irgendeiner Erinnerung.<br />

Jetzt aber steht es da, wie bestellt<br />

oder wie nicht bestellt, aber von jemand<br />

ganz anderem abgeholt, als der, der<br />

das bestellt hat, ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Jaja. Weißt du …<br />

HELMUT LACHENMANN: Das ist auch der<br />

Grund, wieso ich mich auch nicht so auseinander<br />

dividieren lasse, weil ich natürlich –<br />

bei mir gibt es Begriffe, die in deiner Musik<br />

kein Mensch so schnell - mit der Verweigerung<br />

– ja – der mir jetzt anhaftet wie diese<br />

Fliege, ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich glaube, bei mir sitzt<br />

(?)<br />

HELMUT LACHENMANN: Schrecklich.<br />

WOLFGANG RIHM: Die Verweigerungsfliege.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, die Verweigerungsfliege.<br />

WOLFGANG RIHM: Sie guckt, auf wem sie<br />

ihre Eier ablegt.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, aber klar, solche<br />

diesen momentan Irritationen oder den unbewusst<br />

polemischen Kontakt, mit dem ich<br />

halt ein biss´l rumlaufe, oder gelaufen bin –<br />

inzwischen ist das alles – ich bin am Ende<br />

mir selber in den Rücken gefallen. Das<br />

Streichquartett ist ja …<br />

WOLFGANG RIHM: Wer sagt, dass du dir in<br />

den Rücken gefallen bist?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich. Ich sag das<br />

eher kokett.<br />

WOLFGANG RIHM: Du bist der einzige, der<br />

es darf.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, es sagen schon<br />

einige. Also die ganz frommen Lachenmann-<br />

Freunde – die sagen das schon, ja. Der Verräter.<br />

Ich bin nicht mehr so schön hässlich<br />

wie es sein … (lachen) Also meine Musik ist<br />

nicht mehr so schön hässlich, wie es einmal<br />

war.<br />

WOLFGANG RIHM: Das ist ja fast rührend.<br />

HELMUT LACHENMANN: Der gute schlechte<br />

Ruf geht hin, ja. Allmählich. Geht kaputt.<br />

Aber weil es – ja genau – weil das auch wieder<br />

schon zum Magischen – d.h. zum Medium<br />

von irgendeiner Form Undertainmentwerden<br />

kann. Solange die Hörer irgendwie<br />

beim Hören ein biss´l selber kreativ mitwirken<br />

müssen, ist es gut.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich mein, gestern,<br />

dieses – wie lange dauert die Fremde Szene<br />

III?<br />

WOLFGANG RIHM: 15 – 16 Minuten.<br />

HELMUT LACHENMANN: 15 – das ist doch<br />

absolut puhhh – ja - aber sag mir bloß nicht<br />

was über Form dadrüber.<br />

WOLFGANG RIHM: Es hat seine Form. Ich<br />

müsste noch erzählen, das habe 1982 in Paris<br />

geschrieben. Da war ich fast jeden Tag irgendwie<br />

in einem IRCAM-Konzert – und<br />

auch immer im Centre Pompidou, da hatte<br />

ich so ein Stipendium Cité des Arts und da<br />

hatte ich dieses Atelier im Beethoven (?) –<br />

und da stand ein völlig abgespieltes Klavier<br />

drin. Und in dieser Cité des Arts und da<br />

stank es immer, das war fürchterlich. Und<br />

ich wohnte aber in dieser kleinen Wohnung,<br />

die der Wilhelm – der Wilhelm hat in der<br />

rue Mormoraucie (?) eine kleine Wohnung.<br />

HELMUT LACHENMANN: Welcher Wilhelm?<br />

WOLFGANG RIHM: Killmayr.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ach so – in Paris?<br />

WOLFGANG RIHM: Ja. Eine ganz kleine Wohnung.<br />

Und da wohnte ich – und dann habe<br />

ich – bin ich immer in das Studio gegangen<br />

und hab dann auf dem Klavier gespielt und<br />

geschrieben und da ist das entstanden.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja – und es ist total<br />

formlos dieses Stück. Wenn du irgendwie<br />

meinst, es gibt so irgendwie eine Form<br />

von artikulierter Bestimmung dessen dazu<br />

(?). Die Form könnte man hinterher versuchen<br />

zu beschreiben.<br />

WOLFGANG RIHM: Wie man die Morphologie<br />

von einer Landschaft beschreibt. Oder …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das kannst du<br />

schon beschreiben. Vielleicht. Ich denke –<br />

und plötzlich gibt es auch irgendwelche in<br />

Anführungszeichen architektonischen Prinzipien,<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Natürlich …<br />

HELMUT LACHENMANN: Die man mit der<br />

Zeit rausholt – aber wenn man mit denen<br />

anfangen würde, müsste man sie wieder<br />

aufbrechen. Also – die Form ist nie das, was<br />

der Komponist formt. Sondern die Musik<br />

formt sich.<br />

WOLFGANG RIHM: Kaum reden wir wieder,<br />

ist die Fliege wieder da.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja gut, das ist meine<br />

Verweigerungsfliege. Nächstes Mal bringe<br />

ich dich um. Vor allen Leuten.<br />

WOLFGANG RIHM: Jetzt hat sie es gemerkt.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ne …<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, ich habe vorhin, als<br />

du so elegant die Fliege gefangen hast, habe<br />

ich gedacht, das wäre natürlich jetzt<br />

fürchterlich, wenn sie sich zu mir hinsetzt,<br />

und ich haue drauf und sie ist kaputt.<br />

HELMUT LACHENMANN: Er gab der Fliege<br />

einen Hieb, worauf sie starb und sitzen<br />

blieb.<br />

WOLFGANG RIHM: … und sitzen blieb.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, genau. Aber<br />

zum Beispiel – ich meine – von mir gibt es<br />

ein Stück, Kinderspiel erstes Stück. Ja. Na<br />

klar, das fängt rechts an und hört links auf.<br />

WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke.<br />

HELMUT LACHENMANN: Was?<br />

WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, manche fangen<br />

auch links an und hören rechts an – also<br />

meins fängt rechts an und hört links – das<br />

sind alle Tasten durch. Und dann ist das<br />

Stück zu Ende. Also die Form ist eigentlich<br />

bestimmt.<br />

WOLFGANG RIHM: Funktion und Form fallen<br />

zusammen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich find sowieso –<br />

also noch einmal, weil ich … ich hab ein<br />

biss´l eine nostalgische Liebe zum Seriellen


– Denken. Wenn man das Serielle nicht<br />

meint, jetzt geht es um irgendwelche messbare<br />

Abstufungen innerhalb irgendeiner Eigenschaft.<br />

Sondern um Abstufungen, die<br />

unter dem Begriff der Familie, von Dingen,<br />

die zusammengehören, wenn man das so<br />

sieht, dann wäre Form das, dass ich eigentlich<br />

– also wenn ich die Familie vorstellen<br />

will, dann stelle ich vielleicht nicht zuerst<br />

unbedingt den Vater vor, aber den ältesten<br />

Sohn und dann vielleicht die Hausgehilfin<br />

und dann kommt die Mutter und dann<br />

kommt der Hund und dann stelle ich vielleicht<br />

noch den älteren Bruder vor …<br />

WOLFGANG RIHM: Nach dem Hund?<br />

HELMUT LACHENMANN: Der Hund gehört<br />

auch dazu.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber der ältere Bruder<br />

nach dem Hund?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ist egal. Ja. Also<br />

das sind diejenigen, die zusammen einen<br />

Schicksalsgemeinschaft bilden.<br />

WOLFGANG RIHM: Die Simpsons.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und vielleicht sogar<br />

– ja, kann sein – und ein Bruder, der ist<br />

zurzeit leider im Studium in Australien, den<br />

kann ich jetzt nicht zeigen, aber ist egal.<br />

Und dann habe ich die Familie eigentlich<br />

vorgestellt. Und in dem Moment, wo ich ein<br />

Bild von der Familie habe, ist die Vorstellung<br />

perfekt. Also die Form ist in dem Fall<br />

das Abtasten eines Ganzen nach einem<br />

Spiel, was nicht ganz klar ist. Das hängt davon<br />

ab. Und manchmal – wie im Kinderspiel<br />

– taste ich das Klavier ab.<br />

WOLFGANG RIHM: Dann ist die Familie aber<br />

schon vorher da?<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist Arpeggio<br />

– Arpeggio heißt: C-Dur ist schon von<br />

Anfang an da, aber erst höre ich mal ein E,<br />

weiß noch nicht, was passiert – und höre<br />

vielleicht später ein G, weiß nicht, ob es<br />

nicht vielleicht e-moll draus wird. Und dann<br />

kommt das C.<br />

WOLFGANG RIHM: Könnte immer noch<br />

dann ein B folgen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und dann wird die<br />

Familie wieder erweitert und ich muss wieder<br />

mich neu wieder mit einem anderen Gebilde<br />

befassen. Aber eigentlich ist Form die<br />

Projektion von einer Gleichzeitigkeit – die<br />

mit in Rechnung stellen muss, dass die Zeit<br />

vergänglich ist. Also es ist nicht wie in der<br />

Architektur, wo ich sage, diesen Raum kann<br />

ich mit verbundenen Augen allmählich erschließen,<br />

indem ich da herumspaziere, sondern<br />

der Raum bleibt da stehen. Die Zeit<br />

geht weg. Also ich brauche Gedächtnis, ich<br />

muss wissen, auch ein unbewusstes Gedäch…<br />

ich weiß schon – oder meine – mein<br />

Bildschirm, oder wie nennt man das – so –<br />

der hat schon die und die Information gespeichert,<br />

vielleicht habe ich es im Gedächtnis<br />

nicht bewusst, aber wenn dann wieder<br />

etwas kommt, das dem entspricht, dann erinnert<br />

man sich.<br />

WOLFGANG RIHM: Schön, dass du vorhin<br />

gesagt hast, der Raum bleibt stehen. Es<br />

bleibt natürlich nicht der Raum stehen, aber<br />

genauso erfahren wir es ja. Der Raum bleibt<br />

stehen. Es bleibt die den Raum schaffende<br />

Vorrichtung, die die Umhüllung, die Architektur<br />

ist, die bleibt stehen. Das Bemessene<br />

darin, in dem wir uns bewegen, das ist immer<br />

schon da gewesen. Aber nur durch die<br />

Architektur …<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich kann das eben<br />

wiederholen. Ich kann das nur noch mal<br />

machen. Deshalb finde ich auch, zum Beispiel,<br />

also ich bin froh, dass wir die Fremde<br />

Szene III ein zweites Mal gehört haben.<br />

WOLFGANG RIHM Gestern.<br />

HELMUT LACHENMANN: Total anders. Mein<br />

letztes Gedächtnis hatte einige Dinge gespeichert<br />

– also es gibt ein unbewusstes Gedächtnis.<br />

Und wenn dann das kommt, oder<br />

wenn dann eine Analogie kommt, dann<br />

springt das an und sagt: Das ist eine andere<br />

Form von …<br />

WOLFGANG RIHM: Aber das entspricht ja<br />

genau dem, dass es – wenn Interpreten ein<br />

Stück oft gespielt haben, zu diesen Darstellungsweisen<br />

überhaupt erst kommt. Guck<br />

mal, die drei jungen Frauen, die gestern das<br />

Trio gespielt haben, die haben das schon<br />

sehr lange an dem gearbeitet und oft gespielt.<br />

Die spielen das jetzt mit einer großen<br />

Selbstverständlichkeit, so wie sie eigentlich<br />

ein klassisches Stück auch spielen.<br />

Und das ist was ganz anderes.<br />

HELMUT LACHENMANN: Weil sie am Anfang<br />

schon wissen, was passiert.<br />

WOLFGANG RIHM: Was sie bringen werden.<br />

Was sie zeigen werden. Und genau das teilt<br />

sich dem Hörer mit. Und da ist diese ganze<br />

Anfangsungewissheit weg. Das was die –<br />

was die klassische Musik so robust macht,<br />

wenn sie im Konzert ist, die wirkt ja unzerstörbar,<br />

aber eben weil sie durch Jahrhunderte<br />

und durch ganz viel Hören dem einzelnen<br />

individuellen Hören vertraut geworden<br />

ist.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das schwimmt<br />

da drinnen. Es wird nur erinnert. Déjâ entendu.<br />

WOLFGANG RIHM: Und deswegen wird eine<br />

Musik, die jetzt neu entsteht, immer auch<br />

eine – ja, wie ein Neophyt eben, eine<br />

Schwäche haben, schutzbedürftig sein. Wie<br />

ein Neugeborenes. Das ist noch – hat noch<br />

keine harte Haut.<br />

HELMUT LACHENMANN: Und da gibt es eine<br />

vorauseilende Angst des Komponisten,<br />

dem entgegenzuwirken, indem er eine Form<br />

schafft.<br />

WOLFGANG RIHM: Und den Stücken ein<br />

Schildkrötenpanzer mitgibt.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das Stück war zwar<br />

ziemlich beschissen, aber es hatte eine gute<br />

Form.<br />

WOLFGANG RIHM: Die Form war klasse,<br />

gell. Das Stück ist net gut – aber die Form.<br />

HELMUT LACHENMANN: So reden manchmal<br />

…<br />

WOLFGANG RIHM: Kenner. – Aber so haben<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 17


Die<br />

Bach-Gesamtausgabe<br />

für <strong>Gitarre</strong><br />

Sämtliche <strong>Laute</strong>nwerke von<br />

Johann Sebastian Bach für <strong>Gitarre</strong><br />

eingerichtet von Ansgar Krause<br />

Ansgar Krause hat in den letzten Jahren alle<br />

<strong>Laute</strong>nwerke Bachs kompetent für sein Instrument<br />

eingerichtet und dabei vielfach<br />

neue Wege beschritten, nicht zuletzt in der<br />

Wahl der Tonarten. Die Bearbeitungen Krauses<br />

klingen überzeugend und unverbraucht<br />

– sie sind im Konzert erprobt und auf CD<br />

dokumentiert. Durch die Erwähnung der<br />

Abweichungen vom <strong>Laute</strong>n-Original liegen<br />

textkritische Editionen vor.<br />

■ Suite g-moll BWV 995<br />

EB 8232 € 8,90<br />

In seinem Vorwort begründet Krause die<br />

Wahl der Tonart g-moll, mit der sich seine<br />

Version von den gängigen a-moll-Einrichtungen<br />

unterscheidet. Die Bearbeitung<br />

nähert sich so Bachs Violoncello-Satz, der der<br />

<strong>Laute</strong>nfassung eigentlich zu Grunde liegt.<br />

■ Suite e-moll BWV 996<br />

EB 8233 € 7,90<br />

■ Partita c-moll BWV 997<br />

EB 8234 € 9,50<br />

Krause lehnt bei BWV 997 den üblichen Titel<br />

„Suite“ als stilistisch und das gängige a-moll<br />

als satztechnisch problematisch ab, lässt das<br />

überzeugendere h-moll greifen bzw. (mit<br />

Kapodaster) das originale c-moll erklingen.<br />

■ Prelude, Fuga und Allegro BWV 998<br />

5771002 € 9,50<br />

■ Prelude BWV 999 & Fuga NEU<br />

nach BWV 1000, 1001 und 539<br />

EB 8235 € 7,90<br />

Die bei J. S. Bach oft mehrschichtige Überlieferung<br />

wird überzeugend genutzt: für die<br />

Fuge BWV 1000 liefert stellenweise Bachs<br />

eigene Bearbeitungstechnik für Orgel (in<br />

BWV 539) gitarrengerechte Lösungen.<br />

Weitere Bach-Bearbeitungen von Ansgar<br />

Krause im Katalog «Edition Breitkopf».<br />

www.breitkopf.de<br />

NEU<br />

Breitkopf Härtel<br />

18 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

sie schon zu Zeiten von Brahms – zu Zeiten<br />

von Debussy – zu Zeiten von X Y Z geredet.<br />

Immer. Die Kenner, die wussten immer Bescheid.<br />

Leider hat der Komponist noch Musik<br />

reingetan. Aber …<br />

HELMUT LACHENMANN: Deswegen haben<br />

sie den Bruckner nicht so gemocht. Oder?<br />

WOLFGANG RIHM: Ja, zum Beispiel.<br />

HELMUT LACHENMANN: Formlos.<br />

WOLFGANG RIHM: Formlosigkeit ist immer<br />

der Vorwurf sagen wir mal eines eingehörten<br />

Hörens, eines bereits etablierten und<br />

wissenden Hörens gegenüber einer Erscheinung,<br />

die eben nicht vertraut ist. Es gibt<br />

auch ein wissendes Avantgarde-Hören.<br />

Weißt du, ein ein – das ist uns ja oft begegnet.<br />

Ein – so eines von oben herab in die<br />

Musik Reinhörens.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das meinte ich ja,<br />

die vorauseilende Vorsorge des Komponisten.<br />

Das ist doch …<br />

WOLFGANG RIHM: Dass man dem entspricht.<br />

HELMUT LACHENMANN: Dass man dem …<br />

ja ja. Oder eigentlich. Ich wundere mich.<br />

Manchmal die Leute machen bungi-jumping,<br />

die machen Wildwasserfahrten, die machen<br />

durch die Sahara …<br />

WOLFGANG RIHM: Ich nicht.<br />

HELMUT LACHENMANN: … und so. Und im<br />

Konzertsaal?<br />

WOLFGANG RIHM: Darf sich nichts bewegen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Feige oder faul.<br />

Oder ich weiß nicht. Da mal einfach sich –<br />

also es gibt ein Stück, das ich immer noch<br />

liebe, das ist Tombeau von Boulez. Das eigentlich<br />

– natürlich kann ich sehen, wie er<br />

es organisiert hat. Das kann man dann<br />

Form nennen. Aber diese Organisation, die<br />

erblickst du nicht. Sondern du bist praktisch<br />

einem einer Landschaft ausgesetzt, von der<br />

man nicht weiß, was im nächsten Moment<br />

passiert. Das finde ich sein anarchischstes<br />

Stück formal gesehen, obwohl es - du<br />

kannst es wie ein Sextett untersuchen. Es<br />

sind sechs Gruppen, und er kombiniert einmal<br />

eins und sechs, oder alle sechs, oder<br />

nur … es gibt also schon ein Generierungspiel,<br />

wo alle Spielvarianten einmal vorkommen.<br />

Das ist sozusagen der Schutz, hat aber<br />

mit der Form nichts zu tun. Weil das erkennst<br />

du natürlich beim Hören so nicht.<br />

Da bist du in einem Dschungel und entweder<br />

fühlst du dich wohl in dem Dschungel,<br />

und sagt, Mensch, endlich mal im Dschungel.<br />

Oder du sagst: Um Gottes willen, ich<br />

will raus, ja.<br />

WOLFGANG RIHM: Endlich mal im Dschungel.<br />

HELMUT LACHENMANN: Das meine ich mit<br />

den Wildwasserfahrten oder so, warum trauen<br />

die Leute sich nicht endlich mal in den<br />

Dschungel. Da muss man etwas vorher erklären,<br />

damit sie sich irgendwas zum Anklammern<br />

haben. So ein Kompass oder irgend<br />

sowas. Und ich finde viel wichtiger,<br />

dass ein Hörer lernt in Anführungszeichen<br />

(Probenklänge im Hintergrund), dass es ein<br />

Abenteuer gibt. Als eine Wünschbarkeit und<br />

nicht als … Abenteuer hat immer etwas mit<br />

dem sogenannten Risiko zu tun, das man<br />

hinterher nicht mehr der gleiche ist wie vorher.<br />

Das – also einmal – ich habe es noch<br />

nie gemacht, wirklich, dass man von weiß<br />

nicht wie viel hundert Meter rausspringt.<br />

WOLFGANG RIHM: Ich will´s auch nicht.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ne.<br />

WOLFGANG RIHM: Das würde meiner Physis<br />

nicht bekommen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja gut. Es ist frivol.<br />

WOLFGANG RIHM: Dafür muss man gebaut<br />

sein.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ich meine, das<br />

sind ja schon alles Spiele mit den Grenzerfahrungen<br />

des Lebens. Also mit Tod und<br />

mit Leben.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele …<br />

HELMUT LACHENMANN: Aber das kann ich<br />

in Kunst je auch, diese Grenze.<br />

WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele, die<br />

das von außen inszenieren, würde ich sagen.<br />

HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist ja wieder<br />

Dienstleistung. Das ist wieder Undertainment,<br />

an der äußersten Grenze. Aber ich<br />

denke …<br />

WOLFGANG RIHM (lacht): … da kommst sie<br />

wieder (die Fliege).<br />

HELMUT LACHENMANN: Was machen wir<br />

denn mit der Fliege.<br />

WOLFGANG RIHM: Die beziehen wir ein,<br />

das ist vielleicht – die ist vielleicht Pfarrer.<br />

Pfarrer Fliege.<br />

HELMUT LACHENMANN: Zwei Gefühle, eine<br />

Fliege.<br />

WOLFGANG RIHM: Zwei Klappen – eine Fliege.<br />

HELMUT LACHENMANN: Wir schlagen eine<br />

Fliege mit zwei Klappen. – Also …<br />

© inpetto filmproduktion berlin 2007


Das klinget so<br />

herrlich ...<br />

Nachträge zum Mozartjahr 2006<br />

Von Peter Päffgen<br />

Die Oper, die zur Prager Krönung<br />

von Kaiser Leopold II. aufgeführt<br />

werden sollte, musste eine<br />

„opera seria“ sein, eine seriöse Oper.<br />

Und neu sollte sie sein, neu, was Libretto<br />

und die Musik anging! Domenico Guardasoni,<br />

Impressario des böhmischen<br />

Nationaltheaters, führte die Verhandlungen,<br />

und zwar zuerst mit Antonio Salieri.<br />

Der konnte nicht, war überlastet.<br />

Schließlich fragte er Mozart. Haken an<br />

Guardasonis Angebot war, dass die Krönung<br />

schon am 6. September 1791 stattfinden<br />

sollte – die Verhandlungen begannen<br />

am 14. Juli des gleichen Jahres,<br />

weniger als drei Monate vorher.<br />

Ein weiser Oberstburggraf des Königreichs<br />

Böhmen, Heinrich Franz von Rottenhan,<br />

hatte schon gleich zu Beginn<br />

der Aktion Bedenken angemeldet: Sollte<br />

die Zeit zu knapp bemessen sein, meinte<br />

er, sollte der „Tito“ von Pietro Metastasio<br />

(1698-1782) genommen werden,<br />

ein bewährter Stoff, den schon Antonio<br />

Caldara 1734 vertont hatte und vierzig<br />

Komponisten nach ihm, unter ihnen<br />

Christoph Willibald Gluck. Caterino<br />

Tommaso Mazzolà, sächsischer Hofdichter,<br />

zu der Zeit in Diensten der Habsburger<br />

in Wien, überarbeitete den Text –<br />

Mozart schrieb die Musik. Das Angebot,<br />

das Gardasoni Mozart machte, war lukrativ<br />

genug, die Arbeit an der Zauberflöte<br />

für kurze Zeit ruhen zu lassen. Man<br />

munkelt, er solle das Doppelte von<br />

dem, was er normalerweise für eine<br />

Oper forderte, bekommen haben!<br />

Erst in Prag, wo Mozart und Mazzolà am<br />

28. August 1791 ankamen, entstanden<br />

die letzten Stücke der Partitur – gut eine<br />

Woche später war die erste Aufführung.<br />

Ludwig Finscher hält zwar die<br />

Behauptung, die Partitur zu La Clemenza<br />

sei in 18 Tagen entstanden für „eine<br />

Legende der Mozart-Literatur“ weist<br />

aber darauf hin, „dass Mozart die Seccos<br />

[...] von einem Helfer, wahrscheinlich<br />

Franz Xaver Süßmayr, komponieren ließ“<br />

– so sehr drückte die Zeit. 1<br />

La Clemenza wurde bis zum 30. September<br />

in Prag gegeben, und dies war der<br />

Tag, an dem in Wien die Zauberflöte<br />

uraufgeführt wurde. Der Erfolg (von La<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 19


Clemenza) war mäßig, steigerte sich in den<br />

späteren Aufführungen aber sogar so weit,<br />

dass sie „bis ins 19. Jahrhundert hinein die<br />

erfolgreichste Mozart-Oper nach Don Giovanni<br />

und Zauberflöte“ 2 werden sollte. Ins Deutsche<br />

wurde ihr Libretto übersetzt, ins Russische,<br />

Dänische, Schwedische und in andere<br />

Sprachen, in denen sie auch aufgeführt wurde.<br />

Aber wenig später, schon nach 1820, geriet<br />

sie beinahe völlig in Vergessenheit.<br />

Die Einspielung unter der Leitung von Charles<br />

Mackerras mit Rainer Trost (als Tito), Magdalena<br />

Kozená (als Sesto), Hillevi Martinpelto<br />

(als Vitellia) und Lisa Milne (als Servilia) ist<br />

im Sommer 2005 entstanden und im Mozart-<br />

Jahr herausgekommen. 3 Als erste Gesamtaufnahme<br />

nach mehr als zehn Jahren hat sie<br />

nicht viele Konkurrenten auf dem internationalen<br />

Markt, eine davon hat Nikolaus Harnoncourt<br />

dirigiert, und sie geht auf eine Zürcher<br />

Aufführung aus dem Jahr 1993 zurück.<br />

Es gibt Parallelen zwischen Mackerras und<br />

Harnoncourt, besonders, was ihre Einspielungen<br />

der Clemenza angeht. Das Überbetonen<br />

von Affekten, das Beschweren kleinster Fügungen<br />

und die damit einhergehende Dramatisierung<br />

des gesamten Werks, das ist beiden<br />

gemeinsam, aber sie gehen anders vor. Harnoncourt<br />

sucht die Bedeutung in jeder Phrase<br />

eines musikalischen Werks und nimmt<br />

nichts leichtfüßig als so und nicht anders –<br />

der „grimmige Grübler“ eben! Und Charles<br />

Mackerras schöpft aus dem Vollen, malt in Öl<br />

und nicht mit Pastellfarben, sucht nach Leidenschaft<br />

und großen Gefühlen.<br />

Diese Einspielung beschert dem Hörer sehr<br />

viele Entdeckungen. Das Scottish Chamber<br />

Orchestra zum Beispiel geizt überhaupt nicht<br />

mit Klang und kokettiert gern mit Virtuosem,<br />

der Chor unter Mark Hindley wirkt geschlossen,<br />

homogen, manchmal suggestiv mahnend<br />

und klagend und für Magdalena Kozená<br />

als Sesto möchte ich das große Wort „Idealbesetzung“<br />

bemühen! Bravi!<br />

Harnoncourt übrigens hat im Mozartjahr eine<br />

Neuinszenierung von La Clemenza anlässlich<br />

der Salzburger Festspiele dirigiert und auch<br />

an anderen Häusern ist die Oper (wieder) im<br />

Programm.<br />

20 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

La clemenza di Tito erlebte schon 1805, so<br />

Finscher 4 mehr Klavierauszüge mit Texten in<br />

deutscher Sprache als Mozarts Figaro, die<br />

Oper erfreute sich also großer Popularität.<br />

Kein Wunder also, dass sich auch die Gitarristen<br />

für sie interessierten. 1806, als Mauro Giuliani<br />

(1781-1820) sich in Wien niederließ,<br />

war Mozart schon fast fünfzehn Jahre tot,<br />

und doch bestand Nachfrage nach seinen<br />

Werken, zum Beispiel der Clemenza-Ouvertüre,<br />

sonst hätte weder Giuliani sie für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />

bearbeitet noch hätte sein Wiener Verlag<br />

Artaria & Comp. die Bearbeitung im<br />

Druck herausgebracht. Beworben wurde die<br />

Ausgabe am 22. April 1812, sie wird also zu<br />

dieser Zeit erschienen sein 5 . Später kam das<br />

Stück auch bei Richault in Paris heraus. Brian<br />

Jeffery, der Herausgeber einer Ausgabe sämtlicher<br />

Werke von Mauro Giuliani in Form von<br />

Reprints der Originalausgaben 6 , hat die Richault-Ausgabe<br />

für seine Edition verwendet,<br />

weil das einzige nachgewiesene Exemplar der<br />

Artaria-Ausgabe von 1812 in der Österreichischen<br />

Nationalbibliothek in Wien (Signatur<br />

Mc 13936) tatsächlich schlecht lesbar ist. Sie<br />

ist, so schreibt Jeffery, „almost certainly copied<br />

from the Artaria edition and identical<br />

with it in most notational details” 7<br />

Bemerkenswert an der Bearbeitung ist die<br />

Tatsache, dass Giuliani zwei <strong>Gitarre</strong>n besetzt<br />

hat, wobei für eine „Con capotasto alla terza<br />

posizione o tasto“ vorgegeben ist: „mit Kapodaster<br />

im dritten Bund.“ Was er damit vorweggenommen<br />

hat, wurde später Terzgitarre 8<br />

genannt oder chitarra terzina oder chitarra<br />

terza. 9 Zu dieser Zeit wurde die Terzgitarre –<br />

bzw. hier ist es expressis verbis eine „Normalgitarre“<br />

mit Kapodaster – in Giulianis gedruckten<br />

Werken erstmalig verwendet.<br />

Einen kritischen Bericht zu dieser Ausgabe<br />

finden Sie im Internet unter www.peter-paeffgen.eu.<br />

Einige Fehler sind korrigiert worden,<br />

einige Auslassungen ergänzt – dort finden<br />

Sie präzise Angaben.<br />

Wenn im Zusammenhang mit Wolfgang Amadeus<br />

Mozart von Libretti die Rede ist, fallen<br />

zwei Namen sofort: Emanuel Schikaneder<br />

(1751–1812) und Lorenzo da Ponte. Der eine<br />

war ein mit allen Wassern gewaschener Theatermann,<br />

der sein Leben lang von einer Bühne<br />

zur anderen zog und ein Gespür dafür hatte,<br />

was beim Publikum ankam und was nicht.<br />

Für Mozart schrieb er 1791 das Libretto zur<br />

„Zauberflöte“. Sein Name lebt weiter, unter<br />

anderem in einer Wiener Bar mit Programmkino,<br />

einem „Ort der Kommunikation, Projektion,<br />

Audition, Vision, Kunstpräsentation und Getränkekonsumation“.<br />

10<br />

Der andere, Lorenzo da Ponte, schrieb die<br />

Operntexte für „Le nozze di Figaro“, „Don<br />

Giovanni“ und „Così fan tutte“, „drei der<br />

größten Opern aller Zeiten.“ 11 Nach ihm ist in<br />

Wien ein „Institut für Librettologie“ benannt,<br />

in Berlin ein Unternehmen, das sich mit Unternehmenskommunikation<br />

befasst und ein<br />

zeitgenössischer österreichischer Dichter hat<br />

Wolfgang Amadeus Mozart: Overtura<br />

dell’Opera La Clemenza di Tito di<br />

Mozart ridotta per due Chitarre da<br />

Mauro Giuliani, revidiert und herausgegeben<br />

von Peter Päffgen<br />

1791, in Mozarts Sterbejahr, wurde La<br />

Clemenza di Tito zum ersten mal gegeben,<br />

und zwar in Prag anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten<br />

von Kaiser Leopold II. 1812.<br />

21 Jahre später kam sie in Wien bei Artaria<br />

& Comp. in Bearbeitung für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />

heraus – für <strong>Gitarre</strong> und Terzgitarre, gesetzt<br />

von Mauro Giuliani. „Con capotasto alla<br />

terza posizione o tasto“ steht über dieser<br />

und der Ausgabe, die ein paar Jahre später<br />

bei dem Pariser Musikverleger Richault herauskam.<br />

Die Berabeitung der Ouvertüre steht in C-<br />

Dur, obwohl die erste <strong>Gitarre</strong> scheinbar in<br />

A-Dur geschrieben ist, dies, weil sie einen<br />

Kapodaster im dritten Bund hat, also<br />

quasi G-c-f-b-d-g’ gestimmt ist.<br />

Verschiedene Duos haben die Ouvertüre zu<br />

La Clemenza de Tito von Mozart/Giuliani<br />

aufgenommen, unter ihnen Leif Christensen<br />

und Maria Kämmerling (Paula 54) und das<br />

Duo Sonare mit Jens Wagner und Thomas<br />

Offermann (MDG 630 0629-2). Diese beiden<br />

Duos bedienen sich historischer Instrumente<br />

bzw. Kopien. Eine moderne Ausgabe der<br />

Ouvertüre liegt bisher nicht vor – außer<br />

dem Reprint der Ausgabe bei Richault in<br />

Band XXIII der Reihe „Mauro Giuliani: The<br />

Complete Works in Facsimile of the Original<br />

Editions, Edited by Brian Jeffery“ bei TECLA.<br />

Einen kritischen Bericht über die hier vorliegende<br />

Ausgabe finden Sie im Internet<br />

unter<br />

www.peter-paeffgen.eu. Dort wird es auch<br />

eine Errata-Liste geben, die nach Leser- und<br />

Benutzerzuschriften ergänzt wird, um eine<br />

nicht nur fehlerlose, sondern optimale Ausgabe<br />

zu erzielen.<br />

Die oben abgebildete Titelseite ist die der<br />

Richault-Ausgabe.


Chitarra 1ma<br />

Con capotasto<br />

alla terza<br />

posizione o tasto.<br />

Chitarra 2a<br />

6<br />

8<br />

8<br />

10<br />

8<br />

8<br />

13<br />

8<br />

8<br />

16<br />

8<br />

8<br />

Overtura dell’Opera »La Clemenza di Tito«<br />

8<br />

8<br />

Allegro<br />

3<br />

3<br />

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)<br />

für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet von Mauro Giuliani (1781–1829)<br />

3 3<br />

3 3<br />

Revidiert und herausgegeben von Peter Päffgen, Kritischer Bericht im Internet unter www.Peter-Paeffgen.eu.<br />

© <strong>2008</strong> (für Ausgabe und Stichbild) by Peter Päffgen<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 21


20<br />

8<br />

8<br />

23<br />

8<br />

8<br />

26<br />

8<br />

8<br />

30<br />

8<br />

8<br />

34<br />

8<br />

8<br />

38<br />

8<br />

8<br />

Cres.<br />

22 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Dol.


42<br />

8<br />

8<br />

46<br />

8<br />

8<br />

49<br />

8<br />

8<br />

52<br />

8<br />

8<br />

56<br />

8<br />

8<br />

60<br />

8<br />

8<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 23


63<br />

8<br />

8<br />

67<br />

8<br />

8<br />

70<br />

8<br />

8<br />

73<br />

8<br />

8<br />

76<br />

8<br />

8<br />

79<br />

8<br />

8<br />

24 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1


82<br />

8<br />

8<br />

85<br />

8<br />

8<br />

88<br />

8<br />

8<br />

90<br />

8<br />

8<br />

93<br />

8<br />

8<br />

96<br />

8<br />

8<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 25


100<br />

8<br />

8<br />

104<br />

8<br />

8<br />

108<br />

8<br />

8<br />

111<br />

8<br />

8<br />

116<br />

8<br />

8<br />

121<br />

8<br />

8<br />

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8<br />

8<br />

130<br />

8<br />

8<br />

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8<br />

8<br />

139<br />

8<br />

8<br />

142<br />

8<br />

8<br />

145<br />

8<br />

8<br />

3<br />

3<br />

3 3<br />

3 3<br />

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149<br />

8<br />

8<br />

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8<br />

8<br />

156<br />

8<br />

8<br />

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8<br />

8<br />

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8<br />

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165<br />

8<br />

8<br />

28 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

3<br />

3 3<br />

3 3<br />

3<br />

3<br />

3<br />

FINE<br />

FINE


„da Ponte“ als sein Pseudonym gewählt –<br />

dies nur Beispiele dafür, wofür sein Name<br />

steht und wie aktuell er noch ist.<br />

Betrachtet man die Buch-Neuerscheinungen,<br />

die das Mozartjahr 2006 zum Thema da Ponte<br />

hervorgebracht hat, sind es weniger Betrachtungen<br />

zu dessen Werk, als vielmehr<br />

solche zu seiner Lebensgeschichte: „Aufbruch<br />

in die neue Welt“ 12 ist das eine untertitelt,<br />

„ein abenteuerliches Leben“ ein anderes<br />

– letzteres hieß übrigens im englischen Original<br />

noch dezenter „The Life and Times of<br />

Mozart’s Librettist“. 13 Und eine Ausgabe seiner<br />

Autobiographie ist seit 1993 unter dem<br />

Titel „Mein abenteuerliches Leben“ im Angebot.<br />

14<br />

Schon Lorenzo da Ponte selbst scheint seine<br />

Lebensgeschichte für so interessant gehalten<br />

zu haben, dass er sie in autobiographischen<br />

Artikeln und Büchern ausgebreitet hat. 1807<br />

erschien in New York „Storia compendiosa<br />

della vita di Lorenzo da Ponte“ in italienischer<br />

und englischer Sprache, zwölf Jahre<br />

später, 1819, „An Extract from the Life of Lorenzo<br />

da Ponte, with the History of Several<br />

Dramas written by him, and among others,<br />

Il Figaro, Il Don Giovanni, & la scuola degli<br />

amanti, set to music by Mozart“ auf Englisch.<br />

Schon zwischen 1823 und 1827 wurden<br />

dann die Memoiren in vier Bänden in italienischer<br />

Sprache gedruckt: „Memorie di Lorenzo<br />

da Ponte da Ceneda, Scritte Da Esso …<br />

Nova Jorca […] 1823“.<br />

Im Einflussgebiet der Habsburger und damit<br />

auch in Oberitalien war letzteres Werk verboten,<br />

weil da Ponte zu kritisch mit Kaiser Leopold<br />

II., dem Bruder seines Gönners Joseph<br />

II., umgegangen war. 1829 erschien eine<br />

zweite Auflage, ein Jahr später noch einmal<br />

und zwar korrigiert und um einen Band erweitert,<br />

15 aber trotz aller Glättungen und<br />

Streichungen blieb das Buch auf dem Kaiserlichen<br />

Index.<br />

Da Pontes Curriculum Vitae war, auch oder<br />

vielleicht besonders für seine Zeit, ungewöhnlich.<br />

Er wurde 1749 als Emanuele Conegliano<br />

in Ceneda (heute Vittorio Veneto)<br />

geboren. Bei seiner Familie ist er dort im jüdischen<br />

Ghetto groß geworden. Sein Vater<br />

war der Gerber und Lederhändler Geremia<br />

Conegliano, der 1763 zum Christentum konvertierte.<br />

Die ganze Familie, Geremia und seine<br />

drei Söhne, erhielt bei der Taufe den Familienamen<br />

ihres Taufpaten, des Bischofs<br />

von Ceneda, Lorenzo da Ponte. Der Vater<br />

hieß ab sofort Gasparo und die Söhne Lorenzo,<br />

Girolamo und Luigi da Ponte.<br />

Die beiden ältesten Brüder, Lorenzo und Girolamo,<br />

traten im gleichen Jahr in das Priesterseminar<br />

von Ceneda ein. Hier wurden sie<br />

nicht nur im Lateinischen unterrichten, sondern<br />

lernten auch die Klassiker der italienische<br />

Literatur kennen. Nachdem Bischof da<br />

Ponte, der die Brüder gefördert hatte, 1768<br />

gestorben war, gingen sie, jetzt auch mit<br />

ihrem jüngsten Bruder Luigi, ins Priesterseminar<br />

von Portogruaro, wo Lorenzo bald Lehrer<br />

für Literatur werden konnte, dann auch stellvertretender<br />

Direktor. 1773 wurde er zum Abbé<br />

geweiht. Noch im gleichen Jahr ging er<br />

zusammen mit Girolamo nach Venedig. „Unglücklicherweise,<br />

möchte ich sagen, ging ich<br />

nach Venedig. Denn ich war jung und feurig,<br />

besaß ein lebhaftes Temperament und nach<br />

dem Urteil aller gute Manieren, war also wie geschaffen<br />

für Abenteuer. Sie ließen auch nicht<br />

lange auf sich warten. Bald steckte ich mitten in<br />

den Vergnügungen und Unterhaltungen dieser<br />

Stadt des Sinnes und galanten Lebens und vergaß<br />

oder vernachlässigte Studien und Literatur.<br />

Hinzu kam die allerheftigste Leidenschaft für eine<br />

der schönsten Damen von Venedig; ihr Eigensinn,<br />

ihre wunderlichen Launen haben mich einige<br />

Jahre in Atem gehalten.“ 16<br />

Ein Jahr später begann die Lehrtätigkeit von<br />

Lorenzo und Girolamo da Ponte am Seminar<br />

in Treviso. 1776 veranstaltete Lorenzo dort eine<br />

„Academia poetica“, wo seine zu aufklärerischen<br />

Ideen aneckten. Nach Ansicht kirchlicher<br />

Kreise waren sie mit den christlichen<br />

Lehren nicht zu vereinbaren und Lorenzo<br />

musste sich in Venedig dafür verantworten.<br />

Ihm wurde darauf die Lehrerlaubnis für die<br />

Republik Venedig entzogen. Drei Jahre später<br />

wurde er wegen öffentlichen Konkubinats sogar<br />

für fünfzehn Jahre aus Venedig verbannt.<br />

Im gleichen Jahr, 1779, zog Lorenzo da Ponte<br />

in das Habsburgische Görz (heute Gorizia)<br />

und war damit vor den Verfolgungen der Inquisition<br />

in Sicherheit.<br />

Es folgten folgende Stationen: 1780 Dresden,<br />

dort traf er mit Caterino Mazzolà<br />

zusammen, 1981 Wien. Joseph<br />

II. ernannte ihn 1783 zum<br />

Dichter der italienischen Oper,<br />

im gleichen Jahr traf da Ponte<br />

erstmalig mit Mozart zusammen.<br />

Da Ponte schrieb Libretti<br />

für Salieri, Vicente Martín y Soler<br />

und, 1785, „Le nozze di<br />

Figaro“ für Mozart, die am 1.<br />

Mai 1786 uraufgeführt wurde.<br />

Die Vorlage für dieses Libretto<br />

war das Theaterstück „La folle<br />

journée, ou le mariage de Figaro“<br />

von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais<br />

(1732-1799), das im<br />

vorrevolutionären Frankreich Furore<br />

gemacht hatte und dort wie<br />

auch in Wien zunächst verboten<br />

war. Es geht in dem Stück um einen<br />

jungen Bürgerlichen, der<br />

den Grafen Almaviva, davon abzuhalten<br />

versucht, an seiner Verlobten<br />

Susanna das „ius primae<br />

noctis“ oder das „droit de Seigneur“,<br />

wie es in Frankreich hieß,<br />

auszuüben, das er, Almaviva,<br />

vorher selbst abgeschafft hatte.<br />

Revolutionär war die antiaristokratische<br />

Haltung, die aus dem<br />

Stück spricht, und die bei den Regenten von<br />

Frankreich und Österreich, die dazu auch<br />

noch miteinander verschwägert waren, nicht<br />

gut ankam. Man bedenke, dass Marie Antoinette,<br />

die Ehefrau Von Ludwig XVI. von<br />

Frankreich eine Habsburgerin war – die<br />

Schwester von Kaiser Joseph II. von Österreich!<br />

Aber da Ponte und Mozart konnten<br />

sich durchsetzen und „Le nozze di Figaro“<br />

wurde ein Riesenerfolg.<br />

Lorenzo da Ponte wurde ein viel beschäftigter<br />

Librettist. Es entstanden weitere Operntexte<br />

für Martín y Soler (1754-1806), für Stephen<br />

Storace (1762-1792) („Gli equivove“ [UA<br />

1786] nach Shakespeare) und andere. Aber<br />

Wien musste finanziell den „Türkenkrieg“<br />

schultern, in dem der russische Zar und Kaiser<br />

Joseph II. das osmanische Reich untereinander<br />

aufteilen wollten. Und schon damals<br />

war es so, dass in schlechteren Zeiten an der<br />

Kultur als erstes gespart wurde. Dem italienischen<br />

Theater drohte die Schließung, sie<br />

konnte mit Salieris Hilfe aber noch verhindert<br />

werden.<br />

1790 wurde „Cosí fan tutte“ uraufgeführt, im<br />

gleichen Jahr starb Joseph II. Mit seinem<br />

Tod sollte sich die Situation um da Ponte dramatisch<br />

ändern. Josephs Nachfolger war sein<br />

Bruder Leopold, der schließlich 1791 da Pontes<br />

Entlassung erwirkte. Mehr noch: Der Dichter<br />

musste Wien verlassen. Intrigen, Kollegenneid,<br />

Boshaftigkeit! Die Verbannung wurde<br />

zwar wieder aufgehoben aber da Ponte sollte<br />

nur noch kurz nach Wien zurückkommen.<br />

Im gleichen Jahr starb Mozart. Leopold II.<br />

war keine lange Regentschaft vergönnt – er<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 29


starb am 1. März 1792. Im gleichen Jahr finden<br />

wir da Ponte in London wieder, wo er<br />

mit seiner Ehefrau Nancy Grahl Zuflucht gesucht<br />

hatte. Aber das berufliche Glück war<br />

nicht auf seiner Seite. Er versuchte es von<br />

London aus an Theatern in Amsterdam, Den<br />

Haag, Brüssel, Rotterdam … ohne Erfolg. Die<br />

Zeiten waren schwierig. Schließlich bot ihm<br />

William Taylor, Leiter des King’s Theatre at<br />

Haymarket, die Stelle des Dichters für italienische<br />

Opern an. Da Ponte nahm an und<br />

überarbeitete nun Werke für das Londoner<br />

Publikum: Paisiello, Cimarosa, Gluck, Piccinni.<br />

Ein paar Jahre später kaufte der Dichter eine<br />

Druckerpresse, um sein Einkommen durch<br />

gedruckte Operlibretti, die im Theater verkauft<br />

wurden, aufzustocken. Seine Frau betrieb<br />

bereits die „Cafeteria“ des Theaters –<br />

auch, um das Familieneinkommen zu sichern.<br />

Aber durch geplatzte Wechsel, die er<br />

für William Taylor gegengezeichnet hatte, geriet<br />

da Ponte in arge finanzielle Schieflage.<br />

Ein paar Libretti entstanden und schließlich<br />

beauftragte ihn Taylor 1798, in Italien neue<br />

Sänger zu engagieren. Im März 1799 kam er<br />

zurück nach London und die Ereignisse überschlugen<br />

sich. Lorenzo da Ponte verlor seine<br />

Stellung am Theater und wurde schließlich<br />

selbständiger Buchhändler für klassische italienische<br />

Literatur. Wechselschulden, Bankrott<br />

Gefängnisstrafen … da Ponte hatte kein<br />

Fortune. Zusammen mit seinem Halbbruder<br />

Paolo eröffnete er in London eine Druckerei.<br />

Gelegentlich entstanden Libretti, drei davon<br />

für Peter von Winter, aber schließlich nahmen<br />

die Schulden derartig überhand, dass<br />

da Ponte sein gesamtes Büchersortiment verkaufen<br />

musste, um an Bargeld zu kommen.<br />

Am 20. September 1804 reiste Nancy mit<br />

den Kindern in die USA – vermutlich, um Er-<br />

30 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

sparnisse vor Gläubigern zu sichern. Lorenzo<br />

folgte ihr ein halbes Jahr später, nachdem<br />

auch sein Bruder Paolo Konkurs anmelden<br />

musste.<br />

Aber auch in der Neuen Welt gingen die Geschäfte<br />

schlecht. 1807 war da Ponte erneut<br />

bankrott. Er ging nach New York, gab Italienischunterricht<br />

und schrieb seine ersten autobiographischen<br />

Texte. Und immer wieder versuchte<br />

er sich in Geschäften, die alle mindestens<br />

wechselhaft, wenn nicht schlecht liefen.<br />

In New York kaufte er 1819 eine Buchhandlung<br />

für teure italienische Bücher und gab<br />

Italienischunterricht. Neue autobiographische<br />

Schriften entstanden. Schließlich wurde<br />

Lorenzo da Ponte 1825 (ehrenamtlicher) Professor<br />

für Italienisch und italienische Literatur<br />

am Columbia College. Er bemühte sich<br />

um Aufführungen von Mozart-Opern in New<br />

York, stiftete der New York Society Library eine<br />

ganze Bibliothek italienischer Klassiker<br />

und am 18. November 1833 eröffnete er das<br />

New Yorker Italian Opera House, das erste<br />

feste Opernhaus in New York. Es war auf sein<br />

Betreiben gebaut worden und mit La gazza<br />

ladra (Die diebische Elster) von Gioacchino<br />

Rossini eröffnet. Noch im selben Jahr war das<br />

Unternehmen bankrott, ein Jahr später brannte<br />

das Haus ab und wurde nicht wieder aufgebaut.<br />

Am 17. August 1838 starb Lorenzo<br />

da Ponte 89jährig in New York.<br />

Zwei Versionen der Autobiographie da Pontes<br />

sind im Taschenbuch auf dem deutschen<br />

Markt, eine davon ist 2005, also zum Mozartjahr<br />

erschienen.<br />

Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:<br />

Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten,<br />

Zürich, Diogenes, 1991, € 9,90<br />

Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:<br />

Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.,<br />

Insel, 2005, € 1 2,00<br />

Die Insel-Ausgabe – ich sage es gleich vorweg:<br />

Sie ist die, die ich anschaffen würde,<br />

stünde ich vor der Wahl – liefert nicht nur da<br />

Pontes Memoiren, sondern auch einen sehr<br />

informativen Begleittext des Münchner Germanisten<br />

Jörg Krämer, der unter anderem folgendes<br />

offen legt: „… Bis heute gibt es keine<br />

vollständige Übersetzung [der Memorie] ins<br />

Deutsche. Die erste Übersetzung wurde 1847<br />

[…] publiziert. […] Sie ist philologisch weitgehend<br />

getreu nach der zweiten Fassung von<br />

1829/30 gearbeitet, kürzt diese allerdings und<br />

verzichtet auf den letzten Teil. […] Diese (anonyme)<br />

Übersetzung liegt auch den späteren<br />

deutschen Ausgaben von 1924 […], 1960 […],<br />

und 1970 […] zugrunde. Eine weitere Übertragung<br />

von Eduard Burckhardt, erschienen 1861<br />

im Opetz-Verlag Gotha, kürzt den Text noch wesentlich<br />

stärker und scheint nicht vom italienischen<br />

Original, sondern von einer französischen<br />

Übertragung auszugehen. Sie wurde 1991 noch<br />

einmal vom Diogenes-Verlag Zürich nachgedruckt.<br />

Die einzige neue Übersetzung stammt von Charlotte<br />

Birnbaum und wurde 1969 für den Wunderlich-Verlag<br />

H. Leins angefertigt. Auf ihr beruht<br />

diese Ausgabe, obwohl auch Birnbaums<br />

Übertragung nicht vollständig ist. “ (S. 476)<br />

Die Übersetzung der Diogenes-Ausgabe<br />

stammt also aus dem Jahr 1861, was man<br />

verschmerzen könnte, aber auch die Kürzungen<br />

sind 150 Jahre alt und begründet durch<br />

moralische, weltanschauliche oder sonstige<br />

Bedenken der damaligen Zeit. Und schließlich:<br />

Eine Übersetzung nach einer Übersetzung<br />

anzufertigen und das nicht einmal<br />

kenntlich zu machen, ist natürlich philologisch<br />

unhaltbar. Dass diese Übersetzung nun,<br />

das heißt in den Jahren vor 1991, noch einmal<br />

„durchgesehen und dem heutigen Sprachgebrauch<br />

behutsam angepasst“ worden ist 17 ,<br />

konnte den Schaden kaum noch vergrößern,<br />

denn vermutlich ist das bei allen Auflage geschehen,<br />

die seit 1861 in diversen Verlagen<br />

herausgekommen sind. „Stille Post“!?<br />

Welche Bedeutung haben denn Lorenzo da<br />

Pontes Autobiographien überhaupt? Waren<br />

es Versuche des Autors, sich selbst in besserem<br />

Licht darzustellen? Es ist offenkundig,<br />

dass er über Dinge und Zusammenhänge<br />

nicht berichtet, andere geschönt hat. Zum<br />

Beispiel ist von seiner jüdischen Herkunft<br />

kein Wort zu lesen und daher auch nicht über<br />

seinen Namenswechsel von Conegliano zu da<br />

Ponte. Dass er als katholischer Priester einige


Frauenaffären hatte und schließlich auch heiratete,<br />

war ihm offenbar keinen Kommentar<br />

wert … mindestens keinen schuldbewussten.<br />

Die zahllosen kaufmännischen, finanziellen<br />

Misserfolge sind in seiner eigenen Darstellung<br />

grundsätzlich von anderen initiiert worden.<br />

Lorenzo da Ponte war der Prototyp des<br />

Versagers „aufgrund schlechten Umgangs“ –<br />

so jedenfalls stellt er es dar. Damit wären wir<br />

bei den kommentierenden Neuerscheinungen<br />

zum Thema Lorenzo da Ponte im Mozart-Jahr<br />

2006, bei der Sekundärliteratur sozusagen:<br />

Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteuerliches<br />

Leben, Kassel u.a., Bärenreiter, 2005, €<br />

29,95<br />

Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Aufbruch<br />

in die Neue Welt, Ostfildern, Hatje<br />

Cantz Verlag, 2006, € 35,00 [mit T extbeiträgen<br />

von Karl Albrecht-Weinberger, Otto Biba,<br />

Leon Botstein, Reinhard Eisendle, Wolfgang<br />

Gasser, Miriam Grau Tanner, Werner Hanak,<br />

Wiebke Krohn, Herbert Lachmayer, Erik Levi,<br />

Wolfgang Nedobity und Giampaolo Zagonel]<br />

Sheila Hodges ist Lorenzo da Ponte – das<br />

empfindet man leicht beim ersten Lesen –<br />

auf den Leim gegangen. Wenn er sich über<br />

das Verhalten von William Taylor beklagt –<br />

Sheila Hodges bedauert ihn. Wenn er in<br />

rechtliche Bedrängnis kommt, weil er Wechsel<br />

von Taylor akzeptiert hat – Sheila Hodges<br />

hat Verständnis. Wenn er in London im Gefängnis<br />

sitzt, weil er an krummen Geschäften<br />

beteiligt war – Sheila Hodges holt ihn raus.<br />

Helfersyndrom? „Da Ponte hat nicht wenig unter<br />

dem Bild eines üblen Wüstlings zu leiden,<br />

das die Nachwelt ihm zugedacht hat, mit einer<br />

Reihe von verlassenen Frauen in jeder Stadt.<br />

Tatsächlich war sein Leben – abgesehen von einer<br />

kurzen und ziemlich bewegten Phase in Venedig,<br />

als er noch ein junger Mann war, und<br />

abermals gegen Ende seiner Wiener Zeit – nicht<br />

das Leben eines Abenteurers, wenn damit jemand<br />

gemeint ist, der Abenteuer sucht. Nach<br />

Temperament und Begabung war er eher ein<br />

Lehrer mit einer großen Liebe zur Dichtkunst,<br />

und die führt ihn, wie er selbst sagt, »plötzlich<br />

und immer wieder in die Welt des Dramas«.<br />

Durch bestimmte Seiten seines Charakters –<br />

Leichtgläubigkeit, Eitelkeit, das Bedürfnis, geliebt<br />

zu werden, jedermann gefällig zu sein und<br />

(nicht zuletzt) sein permanenter Hang, sich zu<br />

verlieben — war er während seines gesamten<br />

89-jährigen Lebens weniger Meister seines<br />

Schicksals, vielmehr dessen Opfer, oft genug<br />

hilflos hin und her gebeutelt zwischen Ungemach<br />

und Ungemach.“ 18<br />

Fausto Nicolini, Mitherausgeber der italienischen<br />

Werkausgabe der Erinnerungen, sieht<br />

das ganz anders. Er hält die „Memorie“ für<br />

„einen Lügendschungel, eine einzige Selbstrechtfertigung,<br />

grobkörnig, schlecht strukturiert, salbadernd,<br />

heuchlerisch, moralisierend.“ 19<br />

Jörg Krämer gar sieht in den Erinnerungen<br />

pikarische Elemente, was eine Bewertung als<br />

literarischen Text und weniger als dokumentarische<br />

Schilderung nahe legt. Wenn die Lebenserinnerungen<br />

von Lorenzo da Ponte so<br />

etwas wie ein Schelmenroman sind, mindestens<br />

aber eine „dramatische Autobiographie“,<br />

wie vergleichbare Texte in der Literaturwissenschaft<br />

genannt werden, 20 muss die<br />

Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt nicht<br />

mehr gestellt werden, ja, sie verbietet sich regelrecht.<br />

Die literarische Nähe zu den Memoiren<br />

von Giacomo Casanova (1725-1798), mit<br />

dem da Ponte gut bekannt war, bestätigt<br />

diese Einschätzung.<br />

Und Sheila Hodges weiß um die Glaubwürdigkeit<br />

von da Pontes Texten und sie weiß<br />

auch um seine Positionierung in der Geschichte<br />

der Literatur. Wenn man Bemerkungen<br />

liest wie „Das Bändchen wird mit einer<br />

kurzen Darstellung seines eigenen Lebens eingeleitet<br />

– stark zurecht geschminkt, wie üblich“<br />

(S. 250) oder Worte wie „seinem zurechtgestutzten<br />

Bericht zufolge …“ (S. 185), dann ahnt<br />

man, wie sie seine „Memorie“ gelesen hat<br />

und lesen musste.<br />

Dass Lorenzo da Ponte „einer der kümmerlichsten<br />

Geschäftsleute der Welt“ (S. 214) gewesen<br />

ist, entgeht niemandem, der von den unzähligen<br />

Gerichtsverhandlungen, Pleiten und<br />

Pannen liest … aber was bleibt? War Lorenzo<br />

da Ponte ein begnadeter Dichter?<br />

Thomas James Mathias (1754-1835), ein Kenner<br />

italienischer Literatur und Kultur, nannte<br />

da Ponte „einen Mann von Schöpferkraft, Bildung<br />

und Geschmack […] einen Mann von Genie,<br />

einen wahren Poeten“ (S. 194) und die Autorin<br />

meint dazu: „So übertrieben die Bewertung<br />

von da Pontes Dichtkunst durch Mathias<br />

auch gewesen sein mag, sie zeigt immerhin,<br />

dass sie von jemandem, der selbst ein glänzender<br />

und weithin verbreiteter Fachmann für italienische<br />

Literatur war, hoch geschätzt wurde.“<br />

(S. 194) Ihre eigene Einschätzung war da<br />

ganz anders: „Er war kein großer Dichter, und<br />

schon gar kein besonders origineller; aber er<br />

hatte ein untrügliches Gespür für die besonderen<br />

Bedürfnisse des jeweiligen Komponisten ...“<br />

(S. 83) Und als Librettist? Über da Pontes<br />

Operntexte liest man in der modernen Literatur<br />

Kommentare wie: „Da Pontes Textbuch<br />

zeigt eine gewisse Dürftigkeit der Handlung.“ 21<br />

Eduard Hanslick schrieb 1858: „Die grenzenlose<br />

Plattheit des Textbuches ist es, was Mozarts<br />

lieblicher Musik zu Cosi fan tutte überall den<br />

Garaus machte.“ 22<br />

Anna Amalie Abert geht besonders harsch<br />

mit da Ponte ins Gericht, sie demontiert das<br />

Bild, das von ihm selbst und seinen Apologeten<br />

gern gezeichnet worden ist: „Er ist als Librettist<br />

Mozarts in die Geschichte eingegangen<br />

und kann in der Tat den Ruhm für sich in Anspruch<br />

nehmen, die Größe des Dramatikers Mozart<br />

als einer der ersten erkannt zu haben. Was<br />

er darüber hinaus behauptet, zeugt von einer<br />

Selbstüberschätzung, die zu seinen herausste-<br />

chendsten Eigenschaften gehörte. […] aus Treviso<br />

wurde er entlassen, aus Venedig ausgewiesen,<br />

aus Wien entfernt, aus London musste er<br />

fliehen, überall war er, den Memoiren zufolge,<br />

der Märtyrer, der von Engstirnigkeit, Verleumdung,<br />

Neid und Missgunst verfolgt wurde und<br />

allen Intrigen wehrlos zum Opfer fiel.“ 23 Was<br />

sein Schaffen als Librettist angeht, urteilt<br />

Abert so: „Charakteristisch für da Pontes Libretti<br />

ist das Zurücktreten selbst erfundener<br />

Stoffe hinter Bearbeitungen fremder Vorbilder,<br />

wiederum ein Zeichen für seine mehr nachschöpferisch-formale<br />

als schöpferische Begabung.“<br />

24 Fünfzig Jahre später bestätigt Daniela<br />

Goldin Folena in der zweiten Auflage der<br />

gleichen Musik-Enzyklopädie diese Einschätzung,<br />

wertet aber die „handwerkliche“ Leistung<br />

des Dichters höher: „Seit den ersten<br />

Wiener Versuchen, Texte für Musik zu schreiben,<br />

zeigte Da Ponte ein Niveau allerhöchster<br />

»handwerklicher« Qualität, auch wenn der<br />

größte Teil seiner Libretti von gelegentlichen<br />

Quellen d.h. von existierenden Libretti oder<br />

schon bekannten dramatischen Texten<br />

ausging.“ 25<br />

Spätestens als Lorenzo da Ponte in dem von<br />

Theo Stengel und Herbert Gerigk herausgegebenen<br />

„Lexikon der Juden in der Musik“<br />

namentlich erschienen ist 26 , hat sich die Einschätzung,<br />

die man ihm und seinem Werk<br />

entgegenbrachte, radikal geändert – zumindest<br />

ist die Missachtung weniger verblümt<br />

geäußert worden. Entweder unterschlug man<br />

seinen Namen in Büchern über Mozart und<br />

seine Opern 27 oder man bewertete ihn mit<br />

damals üblichen Klischees: „eine wenig zuverlässige<br />

Halbpoetennatur, eine in Ursprung und<br />

Ende dunkle Persönlichkeit“ 28 oder „Sohn eines<br />

jüdischen Lederhändlers […], keine dichterische<br />

Begabung […] ehrgeiziger und skrupelloser<br />

Charakter.“ 29<br />

Nach 1945 war eine andere Haltung gegenüber<br />

da Ponte angesagt und angeordnet, viele<br />

Formulierungen lassen aber immer noch harsche<br />

antisemitische Herabwürdigung ahnen,<br />

die auf die Schnelle nicht übertüncht werden<br />

konnte.<br />

Um Lorenzo da Ponte als „tolerierter und getaufter<br />

Jude“, dreht es sich in dem prachtvollen<br />

Buch von Werner Hanak, das er als Ausstellungskatalog<br />

im Auftrag des Jüdischen<br />

Museums Wien herausgegeben hat. Es ist<br />

viel mehr als ein Ausstellungskatalog. Es ist<br />

eine Art Kongressbericht oder Festschrift<br />

zum Thema da Ponte mit vielen höchst kompetenten<br />

Beiträgen und natürlich einer Vielzahl<br />

hervorragender Abbildungen. Und hier,<br />

neben vielen Dokumenten und Anekdoten,<br />

neben Aufklärung über die österreichische<br />

Aufklärung bemüht sich eine Autorin um eine<br />

Antwort auf die hier schon schüchtern gestellte<br />

Frage: War Lorenzo da Ponte ein begnadeter<br />

Dichter? Und wenn ja: Worin wird<br />

das deutlich? Und: War Da Ponte musikalisch?<br />

30<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 31


Wiebke Krohn geht diesen Fragen nach und<br />

kommt schließlich zu diesem Schluss: „Er<br />

war sicher nicht unmusikalisch. Diese Affäre<br />

mit einer Donna concertante [gemeint ist hier<br />

die Liebesaffaire mit der Sängerin „La Ferrarese“<br />

– d. Rezensent] und die Missionierung z.<br />

B. seiner New Yorker Schüler zeigen aber auch,<br />

dass er die Attitüde des musikalischen Menschen<br />

zur Selbstinszenierung nutzte.“ 31 Vorher<br />

hat die Autorin untersucht, wie weit Textvorlagen<br />

da Pontes von dem jeweiligen Komponisten<br />

umgesetzt worden sind, das heißt,<br />

wie weit er durch seinen Text die Komponisten<br />

beeinflusst, quasi mitkomponiert hat.<br />

Am Schluss, na ja, ist es wieder eine menschliche<br />

Schwäche, die das Bild, das die Autorin<br />

von da Ponte hat, bestimmt.<br />

Und doch lernt man sehr viel bei der Lektüre<br />

des Katalogs. Zum Beispiel über die ungeheure<br />

Toleranz des Herren Joseph von Gottes<br />

Gnaden, der 1782 den Juden einiges erlaubte<br />

– anderes nicht (Wolfgang Gasser, Neues aus<br />

der »Stadt der Toleranz«: Tolerierte und getaufte<br />

Juden, da Ponte und Mozart, S. 63-79), und<br />

einiges erfahren wir auch mehrmals. Jeder<br />

Autor des Katalogs beginnt nämlich erst einmal<br />

mit dem Teil Geschichte, der zu erzählen<br />

ist … natürlich ohne in Betracht zu ziehen,<br />

dass die Kollegen das auch schon getan haben!<br />

Das muss nicht sein, aber auch Otto Biba<br />

erzählt in seinem Beitrag über Lorenzo da<br />

Ponte in Amerika noch einmal, dass dieser am<br />

10. März 1749 im Ghetto von Ceneda geboren<br />

wurde usw., usw. … das hätten Redakteure<br />

besser koordinieren können! Aber später,<br />

wo es um die Jahre in Amerika geht, weiß<br />

Otto Biba viel beizusteuern, viele neue Informationen,<br />

viele Details, die einem bisher entgehen<br />

mussten und viele Schlüsse, die einem<br />

bisher versagt waren.<br />

Das Gleiche gilt für den Beitrag von Giampaolo<br />

Zagonel (Lorenzo da Ponte: Jüdische<br />

Kindheit und italienische Rezeption, S. 125-<br />

143). Er liefert Materialien, die in der Literatur<br />

entweder nicht oder falsch bewertet<br />

worden sind. Er korrigiert Fehler, die seit fast<br />

hundertfünfzig Jahren kritiklos wiederholt<br />

werden und er weist nach, warum die Meinungen<br />

über da Ponte so auseinanderklaffen.<br />

Einer der seit Jahrzehnten repetierten Fehler<br />

ist, Geremia Conegliano, Lorenzos Vater,<br />

habe sich 1763 als Witwer aus Opportunismus<br />

scheiden lassen, weil er eine Christin<br />

heiraten wollte. Das ist, so Zagonel, widerlegt,<br />

obwohl auch Sheila Hodges noch so argumentiert:<br />

„Da aber Juden keine Christen<br />

heiraten durften, musste er sich erst taufen<br />

lassen …“ 32 Und es gibt mehr.<br />

Was die Rezeptionsgeschichte angeht, sind<br />

verschiedene vernichtende Urteile über da<br />

Ponte bereits zitiert worden. Das von Fausto<br />

Nicolini ist dabei das deutlichste. Bemerkenswert<br />

ist, dass die durchweg negativen<br />

Einschätzungen vornehmlich aus Italien<br />

stammen bzw. auf italienische Literatur<br />

32 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

zurückgehen. Spät, im XX. Jahrhundert, „begann<br />

man auch in Italien bisherige Einstellungen<br />

zu kippen und das Werk Da Pontes<br />

ganzheitlich zu überprüfen“ 33 Und auch hier<br />

hat es Rückfälle in alte Zeiten gegeben. Giampaolo<br />

Zagonel zitiert einen Artikel in der<br />

renommierten Tageszeitung La Repubblica<br />

vom 2. November 1999, wo da Ponte als<br />

boshaft, dreist wehleidig, verlogen, derb,<br />

gefühlsduselig, knechtisch, äußerst eitel<br />

beschrieben wird ... „Wie hat es der große<br />

Amadeus bloß vermocht, so lange jenen<br />

schändlichen italienischen Scharlatan neben<br />

sich zu dulden?“ 34<br />

Da Lorenzo da Ponte, auch wenn er nichts<br />

davon wissen wollte, als Kind jüdischer Eltern<br />

und somit als Jude auf die Welt gekommen<br />

ist und da das Jüdische Museum, Wien, die<br />

Ausstellung, die in diesem höchst informativen<br />

Buch dokumentiert wird, realisiert hat,<br />

stehen die Themen Judentum und Musik,<br />

(auch) in den beiden letzten Beiträgen im<br />

Vordergrund: Leon Botstein, Unter Wunderkindern:<br />

Das Mozart-Bild der Juden in Europa (S.<br />

145-160) und Eric Levi, Mozart wird deutsch<br />

und da Ponte »arisiert« (S. 161-176).<br />

Wolfgang Amadeus Mozart als das Wunderkind<br />

par excellence hatte vor allem unterprivilegierten<br />

Bürgern wie den Juden<br />

gezeigt, dass Musiker-Karrieren Möglichkeiten<br />

bereithielten „dass sogar ein unschuldiges<br />

Kind durch den neutralen Weg der Leistung den<br />

Anpassungsprozess forcieren könne. Das 18.<br />

Jahrhundert war richtungweisend für die Konstruktion<br />

von Kindheit als Entwicklungsstufe, in<br />

der sich mehr als im Erwachsenendasein eine<br />

der Menschheit innewohnende Dimension an<br />

Gleichheit widerspiegelt […] Als Ergebnis davon<br />

wurde das musikalische Wunderkind (besonders<br />

im Bereich instrumentaler Virtuosität) zum<br />

Vorkämpfer und Wegbereiter im Streben der Juden<br />

nach Gleichberechtigung in Europa stilisiert.“<br />

35 Tatsächlich gab es im 19. und<br />

früheren 20. Jahrhundert eine „Wunderkindschwemme“.<br />

Musikwissenschaftler der Nazi-<br />

Ära verzeichneten jüdischen Musiker auch<br />

durchaus bestimmte Fertigkeiten im reproduktiven<br />

Bereich, wie folgendes Beispiel belegen<br />

mag: „Wie überall, so hat sich das Judentum<br />

ganz besonders auch auf dem Gebiet der<br />

Musik in Europa und USA vorgedrängt; Verleger,<br />

Agenten und Presse haben ihre<br />

Artgenossen auf fast alle entscheidenden Posten<br />

zu bringen verstanden und so ihren Geschmack<br />

den Wirtsvölker aufzuzwingen gesucht. Daß<br />

einzelne von Ihnen durch Anpassung Bemerkenswertes<br />

zumal als Reproduzierende<br />

geleistet haben, brauchen wir nicht zu<br />

leugnen.“ 36 Erinnert die Einschätzung der interpretatorischen<br />

Leistungen nicht auch an<br />

Anna Amalie Albert, die, was da Ponte angeht,<br />

zwischen „nachschöpferisch-formaler und<br />

schöpferischer Begabung“ differenzierte?<br />

Damit wären wir beim letzten Beitrag des<br />

Ausstellungskatalogs und der Frage: Wie gin-<br />

gen die Nazis mit Mozart um oder besser:<br />

Wie versuchten sie, Mozart vor ihren Karren<br />

zu spannen? Immerhin hatten sie das<br />

Mozart-Jahr 1941 zur Selbstdarstellung zur<br />

Verfügung.<br />

Mozart hat sich nie als Antisemit geoutet.<br />

Und er war Freimaurer! Der Librettist seiner<br />

erfolgreichsten Opern war, auch wenn er sich<br />

nie dazu bekannte, konvertierter Jude! Und<br />

die am häufigsten aufgeführte, beinahe als<br />

Standard eingeführte Übersetzung der italienischen<br />

Opern stammte von Hermann Levi.<br />

Jude. Natürlich waren rasch ein paar schlaue<br />

arische Literaten und Wissenschaftler bereit,<br />

diesen Missständen abzuhelfen. Neue Übersetzungen<br />

wurden angefertigt und die Namen<br />

da Ponte oder gar Levi aus den Programmen<br />

und Partituren gestrichen.<br />

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Lorenzo<br />

da Ponte“ anlässlich des Mozart-Jahres<br />

2006 hat viele interessante Themen und offene<br />

Fragen ans Tageslicht gebracht. Neben allen<br />

historisch relevanten Erkenntnissen sind<br />

die Ergebnisse der Rezeptionsforschung von<br />

besonderem Interesse. Da Pontes Leben war<br />

bestimmt von dem mehr oder wenig offen<br />

ausgetragenen Antisemitismus seiner Zeitgenossen.<br />

Und noch lange nach seinem Tod bestimmte<br />

seine jüdische Herkunft die allgemeine<br />

Einschätzung seines Schaffens und seiner<br />

Lebensumstände.<br />

Mit dem Libretto zu Le Nozze di Figaro von<br />

Mozart befasst sich auch Ragni Maria<br />

Gschwind in ihrem äußerst amüsanten, lesenswerten<br />

Buch.<br />

Ragni Maria Gschwind, figaros flehn & flattern<br />

– Mozart in den Fängen seiner Übersetzer,<br />

Straelen 2006, Straelener Manuskripte,<br />

€ 26,40<br />

Um genau zu sein, befasst sie sich mit den<br />

Übersetzungen des Librettos ins Deutsche:<br />

„Faszinierend finde ich [...], wie viele Möglichkeiten<br />

es gibt, ein und denselben Text zu übersetzen<br />

[...], und wie fast jeder Übersetzer fest<br />

davon überzeugt ist, als erster und einziger die<br />

Mozart-/Da-Ponte-Texte absolut „kongenial“ ins<br />

Deutsche gebracht zu haben.“<br />

Mozart und Da Ponte waren, wir haben es<br />

eben gehört, 1781 in Wien angekommen.<br />

Dort erschien ein paar Jahre später, 1785, eine<br />

deutsche Übersetzung des Lustspiels „Le<br />

Mariage de Figaro“ von Pierre Augustin Caron<br />

de Beaumarchais unter dem Titel „Der<br />

närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro.<br />

Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen<br />

des Herrn Caron de Beaumarchais“.<br />

Das Stück war in aller Munde. Joseph II. hatte<br />

seine Aufführung verboten (nicht aber den<br />

Druck und die Verbreitung des Textes), in Paris<br />

durfte es nach 1784 gegeben werden.<br />

Aber auch hier hatte es Kämpfe gegeben.<br />

Das Stück wandte sich gegen Obrigkeiten,<br />

gegen den Adel und seine gesellschaftliche


Position ... man bedenke: Fünf Jahre später<br />

wurde in Paris die Bastille gestürmt. Revolution!<br />

Und was Wien angeht: Kaiser Joseph II.<br />

war der Bruder von Marie Antoinette, der<br />

Ehefrau von König Ludwig XVI. von Frankreich.<br />

Beide, Antoinette und Ludwig wurden<br />

1793 guillotiniert. Welch Wunder also, dass<br />

man Carons Werk nicht schätzte!<br />

Also: Die Hochzeit des Figaro war „in aller<br />

Munde“, auch in Mozarts. Ihm gefiel das<br />

Stück und seine Wirkung. Also schlug er es<br />

Lorenzo da Ponte vor. Er, der Geistliche und<br />

Kaiserliche Theaterdichter, erhielt die Erlaubnis<br />

des Hofes, das Stück unter bestimmten<br />

Auflagen zu verwerten. Die Pläne für Mozarts<br />

Erfolgsoper wurden umgesetzt! Am 1. Mai<br />

1786 wurde Le Nozze di Figaro von Mozart/<br />

da Ponte/Beaumarchais in Wien uraufgeführt!<br />

Ein leicht entschärftes Skandalstück, dessen<br />

Brisanz man heute, über zweihundert Jahre<br />

später, nicht mehr wirklich erahnt.<br />

Also noch einmal: Das Libretto der Oper Le<br />

Nozze di Figaro ist die italienische Adaption<br />

des französischen Theaterstücks „Le Mariage<br />

de Figaro“. Um die zahlreichen deutschen<br />

Übersetzungen dieses Librettos geht es in<br />

dem Buch „Figaros Flehn und Flattern“ und<br />

zwar wird das exemplarisch anhand der Arie<br />

des Cherubino „Non più andrai farfallone<br />

amoroso“ dargestellt.<br />

Erste Übersetzungen gab es schon ein paar<br />

Monate nach der Erstaufführung. Vor allem<br />

die Prager Aufführungen waren außerordentlich<br />

erfolgreich und die Oper machte rasch<br />

die Runde. Schon 1787 wird sie in Donaueschingen<br />

aufgeführt — übersetzt ins Deutsche.<br />

Ein Jahr später wird sie in Lübeck gegeben<br />

und hier stammte die Übersetzung von<br />

Adolph Freiherr von Knigge. Viele weitere folgen<br />

– vom Original-Text da Pontes mal weiter,<br />

mal weniger weit entfernt … ganz zu<br />

schweigen von Beaumarchais, dessen politische<br />

Aussagen oft kaum noch erahnt werden<br />

können.<br />

Als im Mozart-Jahr 1906 Gustav Mahler, damals<br />

Kapellmeister in Wien, die fünf großen<br />

Mozart-Opern aufführen wollte und sich dabei<br />

unter anderem um die Übersetzungen<br />

der im Original italienischen Werke kümmerte,<br />

entstand eine neue, auch in musikalischer<br />

Hinsicht reformierte Version des Figaro. Mahler<br />

ging, wie er selbst in einem Brief an die<br />

Sängerin Lilli Lehmann schrieb, in den Secco-<br />

Rezitativen zum Beispiel, auf das Original<br />

von Beaumarchais zurück und weniger auf da<br />

Ponte. Mahler „befreite Mozart von der Lüge<br />

der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer<br />

Trockenheit, gab ihm seinen dramatischen<br />

Ernst zurück, seine Wahrhaftigkeit und<br />

seine Lebendigkeit“ schrieb später Bruno Walter.<br />

Man ahnt, was nach 1933 geschehen ist:<br />

Mahler, Walter, der bisher maßgebende Übersetzer<br />

des Figaro Hermann Levi und viele andere<br />

Kulturschaffende waren Juden, also hat<br />

es sicher bald neue, „rassisch einwandfreie“<br />

Versionen der Mozart-Opern gegeben. Fatalerweise<br />

war auch da Ponte, wie wir eben gelesen<br />

haben, konvertierter Jude! Aber selbst<br />

die Nazis wollten nicht auf Mozarts Meisterwerke<br />

verzichten. Das korrupte System fand<br />

Lösungen. In einer vertraulichen Mitteilung<br />

der Reichspropagandaleitung hieß es 1938,<br />

dass „Lieder von Franz Schubert und Robert<br />

Schumann, die Texte von Heinrich Heine haben,<br />

nicht angegriffen werden“ durften. „Dichter<br />

unbekannt“ stand dann in den Programmheften.<br />

Ähnlich gingen die „braunen Kulturschaffenden“<br />

mit Mozart um. Verschiedene<br />

neue Übersetzungen wurden initiiert, dann<br />

aber wieder verworfen und man blieb<br />

schließlich bei der von Hermann Levi – allerdings,<br />

ohne seinen Namen zu erwähnen.<br />

Die mir selbst vorliegende Partitur des Figaro<br />

ist übersetzt von Georg Schünemann (Peters<br />

11462). Sie geht zurück auf die von Levi,<br />

aber genaue Angaben dazu wurden nicht gemacht:<br />

„So einfach war das also! Der Inhalt<br />

blieb, nur die Verpackung wurde gewechselt.“<br />

Am Schluss steht die eigene Figaro-Übersetzung<br />

der Autorin. Peter Zadek inszenierte<br />

1981/1982 in Stuttgart: „so nah am Original<br />

wie möglich, aber ohne Reim“ Auf die Bühne<br />

ist die Übersetzung nie gekommen.<br />

Das Buch ist, wie gesagt, höchst amsüsant<br />

und ist eine Art Geschichte der Rezeption<br />

von Mozart-Opern ... denn es waren nicht nur<br />

die Übersetzungen, die dem Zitgeist entsprechend<br />

angepasst wurden, es waren auch musikalische<br />

und aufführungspraktische Details.<br />

Dazu ist es ein „schönes Buch“, ein Buch,<br />

dem man handwerkliche Kunst und Sorgfalt<br />

anmerkt. Und es ist eine CD beigegeben, auf<br />

der man Beispiele hören kann und Musik um<br />

die Arie, um die es in dem Text geht.<br />

Es ist keine wissenschaftliche Arbeit, das<br />

schreibt die Autorin gleich im ersten Satz<br />

des Buches, und das sollten Sie als Empfehlung<br />

und nicht als Warnung werten! Unerhörter<br />

Lesespaß!<br />

© <strong>2008</strong> by Dr. Peter Päffgen, Köln |<br />

mail[at]peter-paeffgen.eu<br />

Anmerkungen<br />

3 Art, La clemenza di Tito in: Pipers Enzyklopädie<br />

des Musiktheaters, hrsg. v. Carl Dahlhaus u.a.,<br />

München u.a. 1991, Bd. VIII, S. 336<br />

2 ebda. S. 338—339<br />

3 Deutsche Grammophon (2 CD) 00289 477 5792<br />

mit Scottish Chamber Orchestra und Chorus<br />

[www.deutschegrammophon.com/mackerras-tito]<br />

4 op. cit. S. 339<br />

5 Thomas F. Heck, Mauro Giuliani: Virtuoso Guitarist<br />

and Composer, Columbus/Ohio 1995, S. 220<br />

6 Mauro Giuliani, The Complete Works in Facsimiles<br />

of the Original Editions edited by Brian Jeffery,<br />

London 1986 [TECLA]<br />

7 ebda. Bd. XXIII, S. [7]<br />

8 Terzgitarre, weil sie eine Terz höher klingt als<br />

die „Normalgitarre” in „E”.<br />

9 S. Thomas F. Heck, op. cit. S. 51<br />

10 s. www.schikaneder.at<br />

11 Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteuerliches<br />

Leben, Kassel u.a. 2005, S. 7<br />

12 Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Aufbruch<br />

in die Neue Welt, Ostfildern 2006<br />

13 Hodges, op. cit., englische Originalausgabe<br />

London 1985<br />

14 Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:<br />

Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten, Zürich<br />

1991<br />

15 Hodges S. 281<br />

16 Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:<br />

Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.<br />

2005, S. 19-20<br />

17 Mein abenteuerliches Leben, op. cit. S. 320<br />

18 Sheila Hodges, op. cit. 10<br />

10 zitiert nach Hodges S. 10<br />

20 s. Nachwort von Jörg Krämer zu Lorenzo da Ponte,<br />

Geschichte meines Lebens, S. 464. Krämer<br />

nimmt hier Bezug auf den Literaturwissenschaftler<br />

William Horwarth, der den Terminus<br />

technicus geprägt hat. „Dramatische Biographien“<br />

zeichnen sich demnach durch „Abenteuerfülle,<br />

die ausführliche Schilderung von Intrigen oder<br />

dramatischen Ereignissen, Aktionen, Dialogen und<br />

durch eine hohe Selbsteinschätzung des<br />

Verfassers“ aus.<br />

21 Silke Leopold, Art. Vicente Martin y Soler, in: Piper<br />

Exzyklopädie des Musiktheaters III/703<br />

22 in: Presse 22, 5. 1858, zitiert nach Werner<br />

Hanak, Zwischen Welt und Nachwelt, in: Werner<br />

Hanak, Hrsg.: Lorenzo da Ponte: Aufbruch in die<br />

Neue Welt, Ostfildern 2006, S. 48<br />

23 Anna Amalie Abert, Art.: Lorenzo da Ponte, in:<br />

MGG1, II/1918<br />

24 ebda.<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 33


25 Daniela Goldin Folena, Art. Lorenzo da Ponte in:<br />

MGG2, Personenteil V/416<br />

26 Berlin 1940, S. 52, Nachdruck, hrsg. von Eva<br />

Weissweiler in: Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden<br />

in der Musik und seine mörderischen Folgen,<br />

Köln 1999<br />

27 So Alfred Ohrel in seiner Schrift Mozart in<br />

Wien, wie Werner Hanak schreibt (op. cit. S. 57)<br />

28 Wilhelm Spohr, Mozart Leben und Werk, Berlin<br />

1943, zitiert nach Hanak op. cit. S. 57<br />

29 Leopold Conrad, Mozarts Dramaturgie der Oper,<br />

Würzburg 1943, zitiert nach Hanak op. cit. S.<br />

57<br />

30 Wiebke Krohn, Per Musica Scrivere, in: Hanak<br />

op. cit. S. 81-86<br />

31 ebda. S. 86<br />

32 op. cit. S. 19<br />

33 op. cit. S. 142<br />

34 ebda. S. 143<br />

35 ebda. S. 153<br />

36 Hans Joachim Moser, Art. Jüdische Musik in: Musiklexikon,<br />

1935, zitiert nach einem Faksimile-<br />

Nachdruck in: Dümling/Girth, Entartete Musik,<br />

Düsseldorf 1988, S. 88<br />

34 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Detlef Altenburg (Hrsg.), ARS MUSICA – MUSICA SCIENTIA,<br />

Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag<br />

am 2. März 1980, Köln 1980<br />

(474 S., zahlreiche Notenbeispiele und Abbildungen, Ganzleinen,<br />

Fadenheftung) G&L 125, ISBN 3-88583-002-7, € 75,–<br />

Detlef Altenburg, Vom poetisch Schönen. Franz Liszts Auseinandersetzung mit der Musikästhetik<br />

Eduard Hanslicks; Konrad Ameln, „Herzlich tut mich erfeuen“ … Wandlungen einer<br />

Melodie; Denis Arnold, Pasquale Anfossi’s Motets for the Ospedaletto in Venice; Maria Augusta<br />

Barbosa, Einführung in die Musikgeschichte Portugals bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts;<br />

Heinz Becker, Massenets „Werther“: Oper oder vertonter Roman?; Oswald Bill, J. S. Bachs<br />

Messe in A-Dur: Beobachtungen am Autograph; Wolfgang Boetticher, Zum Problem der ältesten<br />

handschriftlich überlieferten <strong>Laute</strong>ntabulaturen; Dimiter Christoff, Kompositionstechnische<br />

Analyse des bulgarischen Liedes „Swirtschiza Swiri“ auf der Grundlage einer verallgemeinernden<br />

Theorie der Melodik; Georg von Dadelsen, De confusione articulandi; Carl<br />

Dahlhaus, Über das System der muskitheoretischen Disziplinen im klassisch-romantischen<br />

Zeitalter; Joachim Dorfmüller, Orgelsonate zwischen Historismus und Avantgarde: Anmerkungen<br />

zu Kompositionen aus der Zeit zwischen 1960 und 1979; Ursula Eckert-Bäcker, Die<br />

Pariser Schola Cantorum in den Jahren um 1900: Eine Skizze unter besonderer Berücksichtigung<br />

historischer und pädagogischer Aspekte; Georg Feder, Über Haydns Skizzen zu nicht identifizierten<br />

Werken; Hellmut Federhofer, Stylus Antiquus und modernus im Verhältnis zum<br />

strengen und freien Satz; Renate Federhofer-Königs, „Der Merker“ (1909–1922) – ein Spiegel<br />

österreichischen Musiklebens; Karl Gustav Fellerer, Agostino Agazzaris „Musica ecclesiastica“<br />

1638; Kurt von Fischer, Die Musik des italienischen Trecento als Gegenstand historischer<br />

Überlieferung und musikwissenschaftlicher Forschung; Constantin Floros, Richard Strauss und<br />

die Programmusik; Arno Forchert, Zur Satztechnik von Beethovens Streichquartetten; Jobst<br />

Peter Fricke, Hindemiths theoretische Grundlegung der Kompositionstechnik in seiner „Unterweisung<br />

im Tonsatz“; Walter Gerstenberg, Das Allegretto in Beethovens VII. Symphonie;<br />

Walter Gieseler, Quid est Musica? – Quid sit Musica?: Anmerkungen zu Heinrich Hüschen,<br />

Artikel Musik. Begriffs- und geistesgeschichtlich, in: MGG IV, Sp. 970-1000; Theodor Göllner,<br />

Beethovens Ouvertüre „Die Weihe des Hauses“ und Händels Trauermarsch aus „Saul“; Kurt<br />

Gudewill, Vom Lobe Gottes oder der Musica: Zu Lorentz Schröders Kopenhagener Traktat von<br />

1639; Robert Günther, Abbild oder Zeichen: Bemerkungen zur Darstellung von Musikinstrumenten<br />

an indischen Skulpturen im Rautenstrauch-Joest Museum zu Köln; Dieter Gutknecht,<br />

Schleifer oder Vorschläge in der Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion von J. S. Bach;<br />

Willibrord Heckenbach, Responsoriale Communio-Antiphonen; Gerhard Heldt, … aus der<br />

Tradition gestaltet: Der „Rosenkavalier und seine Quellen; Siegmund Helms, Musikpädagogik<br />

und Musikgeschichte; Lothar Hoffmann-Erbrecht, Der <strong>Laute</strong>nist Silvius Leopold Weiss und<br />

Johann Sebastian Bach; Heinrich Husmann, Ein Missale von Assisi, Baltimore, Walters Gallery<br />

W.75; Hans-Josef Irmen, Engelbert Humperdinck und sein transzendental-ästhetisches System<br />

der Plastik; Roland Jackson, Mercadente’s Résumé of Opera Reform; Dietrich Kämper, La<br />

stangetta – eine Instrumentalkomposition Gaspars van Weerbeke?; Hans Klotz, Über den originalen<br />

Aufbau eines Scharf von 1637; Ernst Klusen, Singen als soziales Handeln: Einzelfallstudie:<br />

„Das Singen liegt mir im Sinn“; Siegfried Kross, von „roten“ und anderen Brahms-Festen;<br />

Josef Kuckertz, Der südindische Raga Kharmas; Harald Kümmerling, Ut a corporeis ad incorporea<br />

transeamus; Helmut Moog, Zum Stande der Erforschung des Musikerlebens zwischen<br />

dem sechsten und zehnten Lebensjahr; Klaus Wolfgang Niemöller, Zur Qualifizierung und<br />

Differenzierung der Intervalle in der deutschen Musiktheorie des 16. Jahrhunderts; Frits Noske,<br />

Verdi’s ’Macbeth’: Romanticism or Realism?; Walter Piel, Der Bau von Musikinstrumenten mit<br />

Schulkindern: Bemerkungen zur Quellenlage in Deutschland; Nancy B. Reich, Louise Reichardt;<br />

Rudolf Reuter, Zur Baugeschichte der Orgeln des Escorial; Martin Ruhnke, Musikalischrhetorische<br />

Figuren und ihre musikalische Qualität; Hans Schmidt, Gregorianik – Legende oder<br />

Wahrheit?; Udo Sirker, Joseph Sauveurs musikakustische Untersuchungen: Ein Beitrag zu experimentellen<br />

Forschungen um 1700; Joseph Smits van Waesberghe, „Wer so himmlisch mehrstimmig<br />

singen will …“; Martin Staehelin, Bemerkungen zum geistigen Umkreis und zu den<br />

Quellen des Sebastian Virdung; Günter Thomas, Haydn-Anekdoten; Hubert Unverricht, Die<br />

Dasia-Notation und ihre Interpretation; Horst Walter, Haydns Schüler am Esterházyschen Hof;<br />

Grete Wehmeyer, Die Kunst der Fingerfertigkeit und die kapitalistische Arbeitsideologie<br />

MusiCologne<br />

www.MusiCologne.eu


Michael Rensen und Vilim Stösser, guitar<br />

heroes – Die besten Gitarristen von<br />

A—Z, Bergkirchen <strong>2008</strong>, € 1 9,90<br />

Dass in einem Buch mit dem Titel „guitar heroes“<br />

die Namen Andrés Segovia, Julian Bream<br />

oder Francisco Tárrega nicht zu finden<br />

sind, verwundert nicht wirklich … selbst<br />

dann nicht, wenn man den vollmundigen<br />

Untertitel des knapp vierhundert Seiten starken<br />

Bändchens in seine Betrachtungen einbezieht:<br />

„Alles über die wichtigsten Gitarristen aller<br />

Zeiten“. Klassiker fehlen und ich hatte den<br />

Verdacht, dass schon das Benutzen von mit<br />

Nylon besaiteten <strong>Gitarre</strong>n als Grund ausgereicht<br />

hat, einen Musiker a priori als Persona<br />

non grata redaktionell zu ächten … stimmt<br />

natürlich nicht! Paco de Lucia ist drin, der es<br />

„zur Meisterschaft an der Nylongitarre gebracht“<br />

hat, und … na ja … sonst keiner? Wo<br />

ist der begnadete Jazz-Gitarrist Charlie Byrd<br />

(16.9.1925—30.11.1988)? Gut, er hat „Nylongitarre“<br />

gespielt und auch klassische Musik,<br />

und er hat sogar bei Maestro Segovia Unterricht<br />

genommen. Und wo ist Laurindo Almeida?<br />

Wie Charlie Byrd war er durch Django<br />

beeinflusst und auch er hat klassische<br />

Musik gespielt, aber haben solide musikalische<br />

Fundamente schon einmal geschadet?<br />

Gut, man hätte im Vorwort des Buches klären<br />

können, warum der eine drin ist und der<br />

andere nicht! Hat man nicht! Kein Vorwort!<br />

Gelesen!<br />

Also bleibt es erklärungsbedürftig, warum<br />

beispielsweise Bob Dylan zu den „wichtigsten<br />

Gitarristen aller Zeiten“ zählt. Über ihn steht<br />

gar zu lesen: „Robert Allen Zimmermann […]<br />

ist die personifizierte Antithese des <strong>Gitarre</strong>nhelden“.<br />

Viele andere haben sich als Komponisten<br />

oder Rock-Legenden einen Namen gemacht<br />

… aber als Gitarristen?<br />

Ein paar Musiker gibt es, bei denen keine<br />

Diskussion aufkommt. Bei Carlos Santana<br />

zum Beispiel oder Pat Matheny, bei Wes<br />

Montgomery oder Robert Fripp … obwohl …<br />

ob Fripp, der Schöpfer vom Crimson King,<br />

als Gitarrist in die Musikgeschichte eingeht<br />

oder als Komponist und Rock-Visionär, wer<br />

weiß?<br />

Teile des Buches sind übrigens fachspezifisch<br />

wertvoll und sprachlich ein Vergnügen, und<br />

das sind die Partien, in denen es um das<br />

technische Equipment geht. Beispiel: „Fripp<br />

begnügt sich nie lange mit einem bestimmten<br />

Sound und wechselt zwischen cleanen Compressor-,<br />

herb verzerrten, metallischen Fuzz-Sounds<br />

und diversen Effekten, sowie intensiven Synth-<br />

Passagen hin und her.“ Eine andere Welt!<br />

Aber so ist das mit der <strong>Gitarre</strong>. Peter Päffgen,<br />

der Herausgeber dieser Zeitschrift hat<br />

ein Standardwerk zum Thema „<strong>Gitarre</strong>“ geschrieben,<br />

in dem die Worte „elektrische <strong>Gitarre</strong>“<br />

oder „akustische <strong>Gitarre</strong>“ quasi nicht<br />

vorkommen und diese Neuerscheinung über<br />

die „wichtigsten Gitarristen aller Zeiten“ kennt<br />

Tárrega und Segovia nicht. C’est la vie!<br />

Markus Grohen<br />

Lochner-Code – da Vinci-Code?<br />

Dan Brown, The Da Vinci Code, New York<br />

2003; Roland Krischel, Die Muttergottes<br />

in der Rosenlaube, Leipzig 2006, Seemann-<br />

Verlag, € 9,90<br />

Lochner: Viele Gemälde, die in unseren Museen<br />

der Öffentlichkeit zugänglich sind, enthalten<br />

gemalte Rätsel, die seit Jahren benannt<br />

werden, aber niemals „geknackt“ worden<br />

sind. Und es gibt auf Gemälden Geheimnisse,<br />

die nicht als solche erkannt worden<br />

sind, weil Menschen unserer Zeit Details in<br />

gemalten Bildern leichtfertig als vom Zufall<br />

gegeben ansehen – ganz wie auf Fotos. Aber<br />

Gemälde sind keine Schnappschüsse. Maler<br />

haben jedes Detail ihrer Bilder geplant und<br />

bewusst eingesetzt – schließlich haben sie<br />

viel Zeit für jede Nuance und jeden Pinselstrich<br />

aufgewandt. Schier überall sind Informationen<br />

verborgen, viele davon nehmen<br />

wir als Menschen des 21. Jahrhunderts nicht<br />

mehr wahr, viele Metaphern wissen wir nicht<br />

mehr zu deuten.<br />

Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ zum<br />

Beispiel, früher „Maria im Rosenhag“ oder<br />

schlicht „Rosenhagmadonna“ genannt, gilt<br />

als das berühmteste Gemälde des Kölner<br />

Walraf-Richartz-Museums, sein Schöpfer, Stefan<br />

Lochner (ca. 1400/1410—1451) als der bedeutendste<br />

Vertreter der spätmittelalterli-<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 35


chen „Kölner Malerschule“ … dabei wissen<br />

wir nicht einmal mit Bestimmtheit, ob das<br />

Bild wirklich von Stefan Lochner gemalt worden<br />

ist. Das Bild eines „maister Steffan zu<br />

Cöln“ besuchte Albrecht Dürer 1520 und notierte<br />

das in seinem Ausgabenbuch, weil er<br />

für das Aufschließen des Bildes zweimal<br />

Trinkgeld gegeben hatte. Aus dieser Schilderung<br />

wurde geschlossen, es könne sich dabei<br />

nur um den „Altar der Stadtpatrone“ gehandelt<br />

haben, später auch „Dombild“ genannt.<br />

Einen (einzigen) Maler namens Stefan hatte<br />

es in Köln in der fraglichen Zeit gegeben:<br />

Stefan Lochner. Da Maler damals als Handwerker<br />

arbeiteten und nicht als Künstler, signierten<br />

sie ihre Erzeugnisse nicht – also erstellte<br />

man anhand stilistischer Parallelen einen<br />

Werkekatalog dieses Stefan Lochner, voraussetzend,<br />

dass zwei Hypothesen sich bewahrheiteten:<br />

1. Dürer hat sich tatsächlich<br />

auf das „Dombild“ bezogen, als er in sein<br />

Ausgabenbuch zwei Besuche bei einer<br />

„taffel“ von „maister Steffan“ eintrug und 2.<br />

Dürers „maister Steffan“ war tatsächlich Stefan<br />

Lochner.<br />

Was Roland Krischel zur „Muttergottes in der<br />

Rosenlaube“ in seinem Bändchen anbietet,<br />

ist zunächst eine detaillierte Interpretation<br />

vieler Details, deren Sinn und Bedeutung<br />

den meisten Betrachtern des Bildes verschlossen<br />

bleiben. Bildkomposition, Farben,<br />

Proportionen, Materialien – fast alle Aspekte<br />

bezieht er ein. Aber das Buch ist mehr als eine<br />

Interpretationshilfe für Besucher des Museums,<br />

dessen Abteilung „Mittelalterliche<br />

Malerei“ der Autor, nebenbei bemerkt, leitet.<br />

Das Buch präsentiert als Quintessenz Erkenntnisse,<br />

die gemeinhin nicht in derartig<br />

populär aufgemachten und wohlfeilen Büchern<br />

veröffentlicht werden, und auch nicht<br />

in einer Sprache, die sogar für Museumstouristen<br />

verständlich ist.<br />

Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ war<br />

und ist der linke Flügel eines Diptychons,<br />

auf dessen rechtem Pendant der Auftraggeber<br />

und Finanzier des Bildes dargestellt war<br />

… das ist eine der zentralen Erkenntnisse,<br />

die Krischel aus seinen Forschungsergebnissen<br />

zieht. „Zweifellos hatte der unbekannte<br />

Auftraggeber darauf gehofft, dass sein Portrait<br />

auch posthum mit dem Madonnenbild verbunden<br />

bleibe: Die Nachwelt hätte sich den frommen<br />

Spender dann umso besser im Angesicht<br />

des Paradieses vorstellen können.“ Inzwischen<br />

ist das Bild im Museum so aufgehängt, dass<br />

der Besucher um es herumgehen, also auch<br />

die Rückseite betrachten kann. Denn sie ist<br />

bemalt und belegt, wie das Bild ursprünglich<br />

benutzt worden ist.<br />

Die weltweite Popularität der „Muttergottes<br />

in der Rosenlaube“, ist, so Krischel, durch die<br />

Isolierung des linken Diptychon-Flügels ge-<br />

36 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Gelesen!<br />

fördert worden. Der rechte ist, als „das dynastische<br />

bzw. historisch-biographische Interesse<br />

am Portraitierten geschwunden war“, entfernt<br />

worden.<br />

Roland Krischel hat ein spannendes Buch geschrieben<br />

und seine Erkenntnisse sind vom<br />

Kölner Museum sofort umgesetzt worden –<br />

zum Beispiel in Form einer neuen Hängung<br />

der „Kölner“ Bilder. Auch wenn die Kölner<br />

Malerschule, die Lochner repräsentiert,<br />

„fälschlicherweise so genannt“ wird, er, Stefan<br />

Lochner, hat justament da gewohnt, wo sein<br />

Bild heute in neuer Umgebung (her-)ausgestellt<br />

wird. Ecke Quatermarkt/In der Höhle.<br />

Es wird als „Kölsche Mona Lisa“ weiterhin<br />

weltweit massenhaft reproduziert – hier auf<br />

Weihnachtskarten wegen der musizierenden<br />

Engel, dort als „Hauptwerk der spätmittelalterlichen<br />

deutschen Malerei“ … und weil es „Innigkeit,<br />

heitere Gelassenheit, Harmonie und<br />

Poesie“ ausstrahlt wie kein anderes.<br />

Noch eine Bemerkung am Rande: Robert<br />

Schumann hat 1840 in seinem Liederzyklus<br />

„Dichterliebe“ (op. 48) Gedichte von Heinrich<br />

Heine vertont. Als <strong>Nº</strong> 6 folgendes:<br />

Im Rhein, im heiligen Strome,<br />

Da spiegelt sich in den Wellen,<br />

Mit seinem großen Dome,<br />

Das große heilge Köln.<br />

Im Dom da steht ein Bildnis,<br />

Auf goldenem Leder gemalt;<br />

In meines Lebens Wildnis<br />

Hats freundlich hineingestrahlt.<br />

Es schweben Blumen und Englein<br />

Um unsre liebe Frau;<br />

Die Augen, die Lippen, die Wänglein,<br />

die gleichen der Liebsten genau.<br />

Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ ist<br />

nicht mit der Sammlung von Ferdinand<br />

Franz Wallraf (1748—1824) in den Besitz des<br />

heute nach ihm benannten Museums gelangt,<br />

sondern ist dem Museum von einem<br />

anderen Kölner Sammler, Franz Jakob Josef<br />

Melchior von Herwegh (1773—1848), vermacht<br />

worden. Im Dom hat es nie gehangen,<br />

sehr wohl aber (nach 1810) der „Altar<br />

der Stadtpatrone“. Ihn, so wird angenommen,<br />

hat Dürer 1520 in Köln – noch in der<br />

Ratskapelle vor dem Rathaus – besucht und<br />

ihn haben auch Heinrich Heine und Robert<br />

Schumann besungen. Er zeigt auf seiner Mitteltafel<br />

die Frau, die Schumann so an seine<br />

Liebste erinnert hat … an Clara Wieck, die<br />

spätere Clara Schumann … „die Augen, die<br />

Lippen, die Wängelein“, welche Ähnlichkeit!<br />

Mit Clara Wieck? Mit der „Muttergottes in<br />

der Rosenlaube“.<br />

Robert Schumann, Dichterliebe, Liederkreis<br />

op. 24<br />

Roman Trekel, Bariton, Oliver Pohl, Klavier<br />

Aufgenommen im November 2005<br />

OEHMS Classics [www.oehmsclassics.de]<br />

OC 571<br />

Auf diese (nicht mehr ganz neue) CD mit Roman<br />

Trekel und Oliver Pohl möchte ich in<br />

diesem Zusammenhang hinweisen. Sehr intensiv<br />

wird hier eine hoffnungsvolle Liebe<br />

dargestellt, die schon ein paar Verse später<br />

getrübt wird durch tiefe Enttäuschung und<br />

Weltschmerz.<br />

Die alle könnens nicht wissen,<br />

Nur Eine kennt meinen Schmerz;<br />

Sie hat ja selbst zerrissen,<br />

Zerrissen mir das Herz.<br />

„Durch Schumann werden Heines Dichtungen<br />

zur Chiffre des modernen Weltschmerzes<br />

schlechthin“ schreibt Richard Eckstein im<br />

Booklet. Sehr eindringlich ist das Auf und<br />

Ab der Gefühle in dieser Aufnahme dargestellt.<br />

Peter Päffgen


<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE …<br />

alle zwei Monate unter<br />

www.MusiCologne.eu<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 37


<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> - ONLINE<br />

www.<strong>Gitarre</strong>-und-<strong>Laute</strong>.de<br />

38 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1


Neue Platten<br />

Vorgestellt von Peter Päffgen<br />

Friedemann Wuttke beherrscht es, alle paar<br />

Jahre mit neuen CDs auf den Markt zu kommen<br />

und so das Interesse von Rezensenten<br />

und Interessenten auf sich zu lenken … die<br />

dann bald feststellen, dass es sich gar nicht<br />

um neue CDs handelt, sondern um Neuauflagen<br />

und Neuzusammenstellungen bereits<br />

bekannten Materials. Gut, werden Sie sagen,<br />

dass geschieht mit den Aufnahmen von<br />

Andrés Segovia oder denen von Julian Bream<br />

auch. Die sind schon Gott weiß wie oft<br />

in neuem Gewand gepresst und gepusht<br />

worden und erscheinen immer wieder neu<br />

in preiswerten oder auch teuren Neuauflagen<br />

und keiner beschwert sich. Schauen wir<br />

doch, was Friedemann Wuttke auf seiner<br />

neuesten Neuerscheinung anbietet.<br />

20th Century Guitar<br />

The Art of Modern Guitar: Wedlich,<br />

Brouwer, Domeniconi<br />

Friedemann Wuttke, Guitar<br />

Aufgenommen 1992, 1995 und 2006, erschienen<br />

<strong>2008</strong><br />

Profil/Hänssler PH 08039 [im Vertrieb<br />

von NAXOS-Deutschland, NAXOS.de]<br />

… schamlos umworben …<br />

✰✰✰<br />

1966 gab es schon einmal eine Platte, Vinyl<br />

natürlich, mit dem Titel „20th Century Guitar“,<br />

und auch diese Platte ist sehr oft neu<br />

herausgekommen. Sie gilt heute noch als legendär.<br />

Gut, der Titel „20th Century Guitar“,<br />

den beide, Bream, Wuttke und sicher<br />

noch etliche andere, gewählt haben, ist<br />

nicht so singulär, dass man von einem Plagiat<br />

reden dürfte oder gar müsste, aber erlauben<br />

Sie mir trotzdem, als einem, der alt genug<br />

ist, 1966 die Bream-Aufnahme wie einen<br />

Erdrutsch empfunden zu haben, wie eine<br />

Verheißung und übrigens auch als eine<br />

politische Äußerung, jetzt, bei einer Platte,<br />

die das gleiche Motto hat, Vergleiche anzustellen.<br />

Friedemann Wuttke schreibt, „<strong>Gitarre</strong>nmusik<br />

des 20. Jahrhunderts, das ist einerseits Avant-<br />

garde, Experiment und Erweiterung des Klangraums;<br />

andererseits entstehen Kompositionen,<br />

die im Umgang mit der <strong>Gitarre</strong> selbst höchst<br />

virtuos sind, ihrem Instrument den Raum der<br />

Tonalität neu erschließen und dabei ihre spezifischen<br />

Klangmöglichkeiten, gleichsam ihre<br />

Seele aufspüren.“ Dem „Andererseits“ hat er<br />

diese CD gewidmet, und das unterscheidet<br />

sie grundsätzlich von der namensgleichen<br />

Platte von 1966. Die Stücke, die Bream damals<br />

ausgesucht hat, waren weit entfernt<br />

von „gitarrenidiomatischer Virtuosität“. Sie<br />

haben der <strong>Gitarre</strong> den Weg auf die Bühnen<br />

der großen Konzertsäle geebnet – sie wurde<br />

zum Instrument, für das sich international<br />

renommierte Komponisten interessierten …<br />

Benjamin Britten, Frank Martin, Hans Werner<br />

Henze und viele andere. <strong>Gitarre</strong>nidiomatische<br />

Virtuositäten hatte es vorher genug gegeben,<br />

Alberti-Bässe, Arpeggien, Glissandi ,<br />

Skalen und Läufe. Jetzt hatten sich Komponisten<br />

des Instruments angenommen, die<br />

selbst nicht <strong>Gitarre</strong> spielten. Sie komponierten<br />

das, was sie im Kopf und nicht in den<br />

Händen hatten. Britten und Martin, das war<br />

noch vitale Musik mit viel Engagement und<br />

Sentiment, aber es entstand auch viel „verkopfte<br />

Musik“. Zu viel! Musik, die an den<br />

Leuten vorbeikomponiert war, Musik, die immer<br />

weniger Zuhörer fand. Wen wunderts,<br />

dass heute das Pendel wieder in die andere<br />

Richtung schlägt?<br />

Die späten 60er und die 70er Jahre waren<br />

keine Zeit zum Kuscheln! Man hatte den<br />

größten Teil der Trümmer zusammengekehrt<br />

und begann, die Wunden zu lecken, die die<br />

Weltkriege hinterlassen hatten und das Denken<br />

über Gott und Welt in neue Bahnen zu<br />

leiten. Neues musste geschaffen werden,<br />

weil das Alte Unsägliches heraufbeschworen<br />

hatte und aus dieser Perspektive ist Theodor<br />

W. Adornos viel zitiertes Diktum zu verstehen<br />

„nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben,<br />

ist barbarisch!“.<br />

Und jetzt, wo wir die Zeit ohne Gedichte<br />

hinter uns haben, gibt es noch das Grüppchen<br />

der Spät-68er, die jedes Anbiedern an<br />

den Publikumsgeschmack ablehnen … und<br />

es gibt die Fortschrittsmenschen, die dem<br />

grüblerischen Suchen nach dem Sinn des Lebens<br />

abgeschworen haben zugunsten des<br />

Auftrags, das Publikum zu unterhalten und<br />

bei Laune zu halten. „Dafür hat es schließlich<br />

bezahlt!“<br />

Die Sonata von Ulrich Wedlich ist eine<br />

„Hommage à Leo Brouwer“ und Diederich<br />

Lüken, der Autor des Booklet-Textes, hört in<br />

ihr eine „Gratwanderung zwischen populärer<br />

Beliebigkeit und elitärem Anspruch“. Dafür<br />

wirkt sie ziemlich fordernd … im Gegensatz<br />

zu „Koyunbaba“ am Schluss der CD, wo bekanntlich<br />

der Zuhörer schamlos umworben<br />

wird. Überhaupt: Die „Sonata“ von Ulrich<br />

Wedlich ist weit entfernt von jeglicher Belie-<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 39


igkeit, sondern klar strukturiert. Und sie<br />

wartet mit schönen Bildern auf, mit Impressionen,<br />

die der Komponist geschickt eingefangen<br />

hat.<br />

Danach kommt das „Concerto Elegiaco“ von<br />

Leo Brouwer, bei dem das sehr gut eingestellte<br />

New Moscow Chamber Orchestra und<br />

der Dirigent Igor Zhukov mit von der Partie<br />

sind. Leo Brouwer ist dabei das Beispiel für<br />

einen Komponisten, in dessen Œuvre man<br />

den Wandel vom Avantgardistischen in den<br />

siebziger Jahren hin zu einer späteren<br />

Neoromantik beobachten kann. Vergleicht<br />

man beispielweise „Espiral Eterna“ oder<br />

„Canticum“ mit seinen späteren Stücken,<br />

dann hat man den eben beschriebenen<br />

Schwenk vor sich, den das Komponieren gemacht<br />

hat. Und auch dieses Konzert „Hommage<br />

à César Franck“ ist durchaus dem Bedürfnis<br />

nach Harmonie und Ausgleich näher<br />

als dem nach Diskussion und Revolution.<br />

Schließlich Koyunbaba! Wenn dieses Stück<br />

nicht buchstäblich jeder spielte, wenn es<br />

nicht der Gassenhauer professioneller und<br />

vor allem weniger professioneller Gitarristen<br />

wäre wie seinerzeit die „Spanische Romanze“,<br />

dann ließe sich ja gegen „Koyunbaba“<br />

überhaupt nichts sagen. Das Stück ist gut<br />

geschrieben und, ja, es ist sehr wirkungsvoll<br />

… und das bei sehr überschaubaren technischen<br />

Anforderungen! Jeder setzt auf dieses<br />

Pferd. Sogar John Williams!<br />

Friedemann Wuttke weiß, was er seinem Publikum<br />

anbietet. Das ist keineswegs zu<br />

bemängeln. Aber nicht jeder Zuhörer ist<br />

gleich und hat die gleichen Präferenzen!<br />

Aber wenn wir schon von „Klassik für Jedermann“<br />

reden. Wie wärs damit?<br />

Melodie d’Amore<br />

Giovanni De Chiaro, guitar<br />

Werke von Liszt, Debussy, Albéniz, Offenbach,<br />

Ponchielli, Satie, Schubert, Gounod,<br />

Waldteufel, Rachmaninoff, Massenet,<br />

Faure u. a.<br />

Aufgenommen im Januar und Februar<br />

2007<br />

CENTAUR CRC 2906 [in Deutschland bei<br />

40 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

Klassik-Center, Kassel – klassikcenter-<br />

Kassel.de, centaurrecords.com]<br />

… keine glückliche Hand …<br />

✰<br />

Klassik quer durch den Garten! Jacques Offenbachs<br />

„Cancan“ hat mich interessiert,<br />

weil ich vor ein paar Tagen noch vor seinem<br />

Geburtshaus am Großen Griechenmarkt hier<br />

in Köln gestanden habe. Die Musik ist quicklebendig<br />

und vital … aber für <strong>Gitarre</strong> denkbar<br />

ungeeignet. Oder vielleicht hätte man<br />

bei der Transkription anders verfahren müssen?<br />

„La fille aux cheveux de lin“ von Claude<br />

Debussy lässt sich recht gut transkribieren.<br />

Gemeint ist die Musik und nicht der Titel,<br />

der hier als „The Girl with the Flaxen<br />

Hair“ alle Poesie eingebüßt hat. Gelungen<br />

ist auch der „Tanz der Stunden“ von Amilcare<br />

Ponchielli (1834—1886), ein „unbekanntes<br />

Stück“ von unglaublicher Popularität, was<br />

übrigens auch für „Les Patineurs“ von Emile<br />

Waldteufel (1837—1915) gilt, bekannt geworden<br />

als „Schlittschuhläufer-Walzer“.<br />

Man sieht also, dass Giovanni de Chiaro<br />

durchaus originell bei der Auswahl seiner<br />

Stücke war, aber leider hatte er, was Transkriptionen<br />

und Interpretation angeht, keine<br />

glückliche Hand. Das schöne „Moment Musical“<br />

von Franz Schubert hat er durchrast,<br />

auch die monumentale „Ungarische Rhapsodie<br />

<strong>Nº</strong> 2“ von Franz Liszt, mit 11:20 Minuten<br />

das längste Stück der CD. Hier hat die <strong>Gitarre</strong>nfassung<br />

mit ihren Akkordreihungen<br />

manchmal groteske Züge – vor allem, wenn<br />

noch lautes Quietschen bei Lagenwechseln<br />

dazukommt.<br />

Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />

Vol. 2<br />

Werke von Sor, Giuliani, Schubert,<br />

Ponce, Mendelssohn-Bartholdy, Chopin<br />

NAXOS 8.111090<br />

Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />

Vol. 3<br />

Werke von Tárrega, Albéniz, Aguirre,<br />

Ponce, Malats, Esplá<br />

NAXOS 8.111091<br />

Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />

Vol. 4<br />

Werke von Milan, Narváez, Mudarra,<br />

Dowland, Frescobaldi, Couperin, de<br />

Visée, Rameau, Scarlatti, Ponce<br />

NAXOS 8.111092<br />

Segovia: 1950s American Recordings<br />

Vol. 5<br />

Werke von Castelnuovo-Tedesco, Cassadó,<br />

Lauro, Tansman, Rodrigo, Gómez<br />

Crespo, Haug<br />

NAXOS 8.111313<br />

Naxos führt die Segovia-Reihe weiter (Volume<br />

1 der amerikanischen Aufnahmen ist in<br />

Ausgabe XXIX/2007/<strong>Nº</strong> 3, S. 30 bespro-<br />

chen). Unter den Aufnahmen aus den fünfziger<br />

Jahren, gemacht in New York für DEC-<br />

CA, findet man Raritäten und natürlich einige<br />

der Highlights des Schaffens Segovias.<br />

Anfang der fünfziger Jahre war Segovias<br />

ganz große Zeit. Die Aufnahmen Vol. 2 sind<br />

zwischen 1952 und 1955 entstanden. Segovia,<br />

geboren 1893, war um die sechzig und<br />

auf dem Zenith seiner Karriere. Seine Saat<br />

war aufgegangen. Die Komponisten, die er<br />

beauftragt hatte, für ihn und für die <strong>Gitarre</strong><br />

zu schreiben, hatten ihre Werke abgeliefert<br />

und sie waren Welterfolge. Seine Transkriptionen<br />

hatten ihre Weg ins international anerkannte<br />

Repertoire gefunden und Andrés<br />

Segovia feierte eine Karriere, die kein (klassischer)<br />

Gitarrist vor und nach ihm mehr erleben<br />

sollte.<br />

Vol. 5 der hier vorzustellenden CDs enthält<br />

Stücke einiger Komponisten, die für den Maestro<br />

geschrieben haben, darunter Mario Castelnuovo-Tedescos<br />

(1895—1968): Quintett<br />

für <strong>Gitarre</strong> und Streicher, „Capriccio Diabolico“<br />

und „Tonadilla on the name of Andrés<br />

Segovia“. Das Quintett gehört zu den Höhepunkten<br />

des Ensemble-Repertoires mit <strong>Gitarre</strong>,<br />

ist aber leider selten zu hören, weil solche<br />

Besetzungen nicht oft zustande kommen.<br />

Die <strong>Gitarre</strong> ist kammermusikalisch besetzt,<br />

es handelt sich also nicht um ein Solokonzert<br />

in Reduktion für <strong>Gitarre</strong> und Streichquartett,<br />

sondern tatsächlich um ein Quintett.<br />

Mir gefällt das Scherzo immer wieder<br />

aufs neue (Allegro con spirito alla marcia)<br />

und die darin enthaltenen Zwiegespräche<br />

zwischen Erster Violine und <strong>Gitarre</strong>. Und mir<br />

gefällt auch, dass Maestro Segovia sich ganz<br />

offenbar einem Ensemble unterordnen konnte.<br />

Seine agogischen Eigenwilligkeiten hätten<br />

durchaus zu Problemen führen können –<br />

hätte er auf ihnen bestanden.<br />

Dann kommt „Sardana ghigiana“ von Gaspar<br />

Cassadó (1897—1966), auch ein Stück,<br />

das man nicht oft aufgetischt bekommt, die<br />

„Cavatina“ von Tansman, „Zarabanda lejana“,<br />

„Norteña“, eine venezolanischer Walzer<br />

von Antonio Lauro und schließlich „Alba“<br />

und „Postlude“ von Hans Haug (1900—


1967), Stücke, die ich tatsächlich jetzt, auf<br />

dieser Wiederveröffentlichung, zum ersten<br />

Mal gehört habe. Hans Haug war Pianist<br />

und Komponist und hat 1950 mit einem<br />

Konzert für <strong>Gitarre</strong> und Kammerorchester einen<br />

ersten Preis beim Kompositionswettbewerb<br />

der Accademia Chigiana in Siena gewonnen.<br />

Danach schrieb er gelegentlich für<br />

<strong>Gitarre</strong> – ein paar seiner Stücke stehen noch<br />

in den Verlags-Katalogen, aber gespielt werden<br />

sie nicht mehr. Dabei wären sie es wert!<br />

Als Nicht-Gitarrist hat Haug sehr gut die<br />

klanglichen Möglichkeiten der <strong>Gitarre</strong> verstanden<br />

und genutzt, hat mit offenen Klängen<br />

gearbeitet, mit raffinierten Vorhalten<br />

und komplexen harmonischen Strukturen,<br />

zu komplex für Segovias Geschmack, möchte<br />

man meinen, aber er hat die Musik offenbar<br />

gemocht.<br />

Vol. 3 der Reihe mit Segovia-Aufnahmen<br />

aus den Fünfzigern beginnt mit einer Überraschung!<br />

„Recuerdos de la Alhambra“ von<br />

Tárrega kennen wir von Segovia ja durchaus<br />

… aber nicht mit der zusätzlichen Achtel e’<br />

im zweiten Takt!<br />

Was lernen wir daraus? Nicht, dass „Recuerdos<br />

de la Alhambra“ auch mit einem Achtelchen<br />

mehr gut zu spielen ist, sondern dass<br />

beim Digitalisieren älterer Klangaufnahmen<br />

durchaus editorisch eingegriffen wird. Vielleicht<br />

nicht überall und immer, aber hier ist<br />

geschnitten worden, und das bei Aufnahmen,<br />

die über fünfzig Jahre alt sind. Dass<br />

Maestro Segovia seinen Tárrega gekannt<br />

und das „e“ nicht selbst eingeschmuggelt<br />

hat, dafür müssen sicher keine Beweise vorgelegt<br />

werden, aber natürlich ist diese NA-<br />

XOS-Produktion nicht der einzige Segovia-<br />

Sampler mit eben diesem Stück. Auf keinem<br />

anderen hört man das hinzugedichtete „e“<br />

… das mir im Übrigen den Spaß an dieser<br />

CD keineswegs verdorben hat. Highlights:<br />

„Serenata Española“ von Malats, „Sonata<br />

III“ von Ponce und am Schluss die seltenen<br />

„Impresiones levantinas“ von Oscar Esplá<br />

(1886—1976).<br />

Vol. 4 enthält Repertoire der Renaissance<br />

und des Barock – mit Luis Milan und Mudarra<br />

am Anfang und Manuel Ponce am<br />

Schluss.<br />

Ponce?! Natürlich war der kein Kind der Barockzeit,<br />

aber er hat eine Suite geschrieben,<br />

die bis vor ein paar Jahren als Werk von Silvius<br />

Leopold Weiss ausgegeben worden ist.<br />

Wenn man heute diese Geschichte erwachsenen<br />

<strong>Gitarre</strong>nfans erzählt, behauptet jeder, er<br />

habe immer schon an Weiss als Urheber gezweifelt.<br />

Damals aber, als Segovia die Suite<br />

öffentlich und auf Platte gespielt hat, ist<br />

niemand auf den Gedanken gekommen, öffentlich<br />

Fragen zu stellen oder gar Zweifel<br />

anzumelden. José de Azpiazu hat sogar eine<br />

Ausgabe der Suite auf den Markt gebracht<br />

und geschrieben, er habe keinen originalen<br />

Druck oder keine Handschrift finden können<br />

und daher die Suite nach der Plattenaufnahme<br />

von Maestro Segovia aufgeschrieben.<br />

Noch zwei Stücke, die unter falschem Namen<br />

gespielt worden sind, findet man auf<br />

dieser CD: „Prámbulo“ und „Tempo di Gavotta“<br />

von Alessandro Scarlatti (1660—<br />

1725). Auch sie hat Ponce für Segovia geschrieben.<br />

Segovia ist mit historischen Vorlagen wie<br />

Tabulaturen und alten Ausgaben rigide umgegangen.<br />

Urtext war nicht sein Ding! John<br />

W. Duarte hat in seinem Buch „Andrés Segovia<br />

as I Knew Him“ (Pacific/MO 1998) Segovias<br />

Umgang mit Quellen und Originalen<br />

beschrieben (und den seiner Zeitgenossen<br />

natürlich – Segovia war kein Einzelfall): „In<br />

the case of early music, not least that originally<br />

written in tablature, one might expect the<br />

arranger to translate it as accurately as possible,<br />

without the exercise of his/her own imagination<br />

or taste. Such was not the case; even<br />

the scholarly Emilio Pujol was not above making<br />

his own, unannounced contribution, e.g.,<br />

in the well-known Pavanas of Gaspar Sanz.”<br />

(S. 39)<br />

Ich habe den Eindruck, das Segovia beim<br />

Spielen der Stücke von Narváez und Mudarra<br />

keine große Freude empfunden hat.<br />

„Guárdame las vacas“ hat ihn als Variationssatz<br />

noch am meisten gereizt und zu interpretatorischen<br />

Eigenwilligkeiten Raum gegeben<br />

… aber die einleitende „Fantasia<br />

XVI“ von Luis Milan? Sie scheint ihn nicht<br />

wirklich herausgefordert zu haben. Aber die<br />

d-Moll-Suite von Robert de Visée haben ihm<br />

nach 1957, in diesem Jahr ist die Aufnahme<br />

entstanden, alle Gitarristen nachgespielt,<br />

nicht aus einer eigenen Ausgabe freilich,<br />

aber die von Karl Scheit war schon seit<br />

1944 auf dem Markt und die von José de<br />

Azpiazu, in die Segovias Verzierungen und<br />

Ergänzungen eingeflossen sind, seit 1954.<br />

Für mich ist das Highlight dieser CD die<br />

Weiss/Ponce-Suite, die ich vor vielen Jahren<br />

aus der Azpiazu-Ausgabe zu spielen versucht<br />

habe … übrigens ohne den Verdacht<br />

zu hegen, das Stück könne nicht von Weiss<br />

stammen.<br />

Vol. 2: Die Klassiker. Ganz am Schluss steht<br />

mein Favorit, die „Canzonetta“ aus dem<br />

Streichquartett Es- Dur op. 12 von Felix<br />

Mendelssohn-Bartholdy. Dieses Stück hat<br />

immer einen ganz besonderen Reiz auf<br />

mich ausgeübt, und das tut es immer noch.<br />

Aber auch eine ganze Reihe anderer auf dieser<br />

CD: Die C-Dur-Sonate von Mauro Giuliani<br />

zum Beispiel, bzw. der erste Satz aus dieser<br />

Sonate, denn mehr hat Segovia nie eingespielt.<br />

Und natürlich die Mozart-Variationen<br />

op, 9, die ich auch damals gespielt habe,<br />

und zwar aus der Schott-Ausgabe von<br />

Maestro Segovia höchstpersönlich. Erst Jah-<br />

re später hörte ich sie von einem anderen<br />

Gitarristen und war bass erstaunt, dass der<br />

eine Art Ouvertüre dazukomponiert hatte.<br />

So kann man sich irren! Aber natürlich<br />

spielte niemand die Mozart-Variationen so<br />

wie Segovia: so klangvoll, so virtuos, so<br />

gut! Segovia hat Generationen von Gitarristen<br />

und <strong>Gitarre</strong>freunden geprägt und für<br />

sich einnehmen können, weil er konkurrenzlos<br />

war. Und weil er ein großer Musiker war.<br />

Und er war ein Kind seiner Zeit, und das<br />

war das 19. Jahrhundert. Seine interpretatorischen<br />

Eigenarten darf man nur aus dieser<br />

Sicht bewerten. Wenn heute ein Musiker so<br />

spielte wie Segovia, er würde für verrückt<br />

erklärt. Aber Segovia war ein Künstler, dem<br />

sein Instrument, die <strong>Gitarre</strong>, am Herzen<br />

lag. Und er hat mit seiner Kunst, was die <strong>Gitarre</strong><br />

angeht, das zwanzigste Jahrhundert<br />

geprägt wie kein anderer. Und, das sollte<br />

man nie vergessen: Er gehörte einer anderen<br />

Zeit an, einer Zeit, als man von Aufführungspraxis<br />

und Authentizität weder<br />

viel wusste noch viel Aufhebens machte.<br />

Und vergleichen Sie sein Spiel mit dem von<br />

zeitgenossischen Vertretern anderer Instrumente.<br />

Es finden sich Parallelen, was Agogik<br />

und andere Eigenwilligkeiten angeht!<br />

Diese CDs gehören in die Plattensammlung<br />

jedes <strong>Gitarre</strong>nfreunds. Es sind einzigartige<br />

Dokumente einer einzigartigen Karriere.<br />

Carl Philipp Emanuel Bach: Transcriptions<br />

for Guitar<br />

Petri Kumela, Guitar<br />

Aufgenommen im November und Dezember<br />

2006<br />

ALBA-Records (in Deutschland bei Klassik<br />

Center Kassel, ClassicDisk.de) 244<br />

… Petri Kumela hat dem „Empfindsamen<br />

Stil“ nachgeforscht …<br />

✰✰✰✰<br />

Carl Philipp Emanuel Bach (1714—1788), der<br />

Berliner oder Hamburger Bach, hat 19 Sinfonien<br />

geschrieben, 200 Sonaten, 50 Klavier-<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 41


konzerte, 20 Passionsmusiken, 2 Oratorien,<br />

ein Buch mit dem Titel „Versuch über die<br />

wahre Art, das Clavier zu spielen“ (Berlin<br />

1758) und vieles mehr, er war also ähnlich<br />

fleißig wie sein Vater Johann Sebastian.<br />

Aber eines hat er nie geschrieben: Musik für<br />

<strong>Gitarre</strong> (auch wie sein Vater). Und er ist<br />

auch bisher selten von Gitarristen als Lieferant<br />

von Transkriptions-Vorlagen eingesetzt<br />

worden. Lediglich eine „Siciliana Fis-Moll“<br />

ist mir bisher aufgefallen, übertragen und<br />

gespielt von Andrés Segovia (s. NAXOS<br />

8.111089: 1950s American Recordings Vol.<br />

1).<br />

Johann Sebastian Bach war ein großer Komponist,<br />

einer der größten der Musikgeschichte.<br />

Aber er war auch ein „Esoteriker, der sich<br />

bewusst vor der Welt verschloss und daraus die<br />

kompositorischen Konsequenzen zog“ (so Carl<br />

Dahlhaus). Dass seine Söhne, die bei ihm in<br />

die Lehre gegangen sind, musikalisch andere<br />

Wege gehen würden, als ihr übermächtiger<br />

Vater, versteht sich von selbst. Schließlich<br />

stand eine Revolution unmittelbar bevor,<br />

eine Revolution politisch-gesellschaftlicher<br />

Art und auch eine, was das das kulturelle<br />

Leben also auch das Komponieren angeht.<br />

Carl Philipp Emanuel war Hofmusikus bei<br />

Friedrich II. von Preußen (daher Berliner<br />

Bach) und später Nachfolger seines verstorbenen<br />

Paten Georg Philipp Telemann als<br />

Städtischer Musikdirektor in Hamburg (daher<br />

Hamburger Bach). Das Ideengut der<br />

Aufklärung beherrschte den Preußischen Hof<br />

aber auch Bachs Umgebung in Hamburg.<br />

Musik in einer aufgeklärten Welt sollte für<br />

jeden verfügbar und sie sollte allgemein verständlich<br />

sein – schon dieses letzte Postulat<br />

bereitete der harmonisch komplexen, kontrapunktischen<br />

Musik des Spätbarock, wie Vater<br />

Bach sie vertreten hat, ein Ende. Ungezwungen<br />

und natürlich sollte die Musik für<br />

einen galant-homme sein, weit entfernt von<br />

barockem Pathos. Galant nennen wir den<br />

Stil, der diesem Ideal entsprach, später,<br />

hauptsächlich in Norddeutschland, heißt er<br />

„Empfindsamer Stil“.<br />

Die Klaviermusik Carl Philipp Emanuel Bachs<br />

kann als beispielhaft für diesen Stil, der damals<br />

als avantgardistisch galt, angesehen<br />

werden. Seine meist dreisätzigen Sonaten<br />

nehmen oft das Prinzip des klassischen Sonatenhauptsatzes<br />

vorweg – drei davon hat<br />

Petri Kumela für sein Programm ausgesucht.<br />

Dazu gibt es „6 Petite Pièces“ aus einer insgesamt<br />

großen Anzahl kurzer, oft tanzartiger<br />

Stücke, die, wie auch Lotta Emanuelsson,<br />

die Autorin des Booklet-Textes, meint,<br />

an die kleinen Cembalo-Stücke von François<br />

Couperin und seiner Zeitgenossen erinnern<br />

und tatsächlich haben auch die „Petites Pièces“<br />

von Bach französische Namen wie<br />

„L’Irrésolue“ oder „La Journalière“ und sind<br />

42 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

so etwas, was man später, ab dem 19. Jahrhundert,<br />

als Charakterstücke bezeichnet hätte.<br />

Carl Philipp Emanuel Bach schätzte das Clavichord,<br />

ein Instrument das irgendwie mit<br />

dem „Empfindsamen Stil“ verbunden zu sein<br />

scheint und dessen Repertoire sich wegen<br />

seiner zarten Fragilität zum Transkribieren<br />

für <strong>Gitarre</strong> geradezu anbietet. So ist auch<br />

die Aufnahme von Petri Kumela eher introvertiert<br />

als laut herausposaunt, eher kontemplativ<br />

als dezidiert. Von der durchaus<br />

brillanten Virtuosität einiger der „Charakterstücke“<br />

– „L’Irrésolue“ oder „La Capricieuse“<br />

zum Beispiel – macht er nicht viel Aufhebens,<br />

macht keine Kraftakte daraus, sondern<br />

verspielte musikalische Miniaturen,<br />

mehr für den Interpreten als für großes Publikum.<br />

Petri Kumela hat dem „Empfindsamen Stil“<br />

nachgeforscht und lässt uns an seinen Erkenntnissen<br />

teilhaben. Völlig unaufdringlich<br />

berichtet er uns von einer musikalischen<br />

Entdeckung, die mehr als bemerkenswert<br />

ist. Ob die Werke von Carl Philipp Emanuel<br />

Bach nun ihren Weg ins <strong>Gitarre</strong>nrepertoire<br />

weiter beschreiten werden, wage ich zu bezweifeln.<br />

Für Exhibitionisten, das gleich vorweg,<br />

sind sie jedenfalls nicht das Richtige.<br />

Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—<br />

1716)<br />

Viennese Lute Concertos<br />

Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor<br />

Hubert Hoffmann, <strong>Laute</strong><br />

Challenge Classics<br />

(Challengerecords.com, in Deutschland<br />

bei Sunny-Moon.com) CC72291<br />

Erschienen <strong>2008</strong><br />

… das künstlerische Ergebnis ist sensationell!<br />

…<br />

✰✰✰✰✰<br />

Wenzel Ludwig Edler (oder Freiherr) von Radolt?<br />

Ein 1701 in Wien gedrucktes Buch enthält<br />

die einzigen Werke, die mit diesem<br />

Komponisten in Verbindung gebracht werden:<br />

„Die Aller Treüeste / Verschwiegenste und<br />

nach so wohl / fröhlichen als Traurigen Humor<br />

sich richtente / freindin / Vergesellschafft sich<br />

mit anderen getreü / en Fasalen Unserer Inersten<br />

Gemuets / Regungen“. „Es gehören zu<br />

dißen Meinen Ersten Opus 5. Büecher. 1. Die<br />

Erste Lautten. 2. Die Lautten, So die Mittel-Stimen<br />

führet. 3. Die Erste Geigen oder Flautten.<br />

4. Die Mittel-Stimmen in der Geigen oder Gamba.<br />

5. Der Baß.“ 1918 hat Adolf Koczirz Teile<br />

dieser Sammlung in seinem Band „Österreichische<br />

<strong>Laute</strong>nmusik zwischen 1650 und<br />

1720“ der „Denkmäler der Tonkunst in<br />

Österreich“ (DTÖ) Jahrgang XXV/2, Band 50<br />

herausgegeben und dabei schon die bedauerliche<br />

Tatsache erwähnt, dass sie nicht vollständig<br />

erhalten ist: „Das vollständigste Exemplar<br />

dieses Werkes besitzt, soweit bekannt, die<br />

Musikalienbibliothek des Stiftes Raigern – es<br />

fehlt hier bloß das 4. Buch“.<br />

Zwölf „Concerti“ enthält das Buch in der Besetzung<br />

Violine, <strong>Laute</strong> und Bass, zu der Zeit<br />

sehr beliebt als „Wiener <strong>Laute</strong>nkonzert“. „Bemerkenswert<br />

an dieser umfangreichen […]<br />

Sammlung […] ist mancherlei: Ihre Besetzungsvielfalt<br />

vom 4 stimmigen Streicher-Ensemble<br />

mit 3 obligaten <strong>Laute</strong>n in ebenso vielen<br />

Größen, bis zur relativ intimen Variante von<br />

nur einer Violine, obligater Viola da Gamba<br />

und Bass“ (Hubert Hoffmann im Booklet).<br />

Gunar Letzbor, der Leiter des Ensembles Musica<br />

Antiqua Austria und der <strong>Laute</strong>nist Hubert<br />

Hoffmann haben nach den fehlenden<br />

Stimmen gesucht und schließlich begonnen,<br />

sie zu rekonstruieren, weil sie nicht auffindbar<br />

schienen. Schließlich ist die letzte noch<br />

fehlende Violinstimme noch gefunden worden<br />

… und hier ist die erste Aufnahme!<br />

Hören wir, ob die Suche sich gelohnt hat!<br />

Vier der Wiener <strong>Laute</strong>nkonzerte sind auf dieser<br />

CD vereint, zusammen mit einigen Einzelsätzen.<br />

Wie Hubert Hoffmann schon angedeutet<br />

hat: Die Concerti sind keine Konzerte<br />

für <strong>Laute</strong> und Streicher, wie man vielleicht<br />

erwartet, sondern kammermusikalische<br />

Werke unterschiedlichster Besetzungen.<br />

Gleich das erste (e-Moll) ist mit drei obligaten<br />

<strong>Laute</strong>n besetzt, 2 Violinen, Diskantgambe<br />

und Bass, andere mit Traversflöte oder<br />

auch Colascione als Bassinstrument.<br />

Und es wird eine Vielzahl musikalischer Formen<br />

präsentiert – eine Auswahl dessen, was<br />

damals aus dem Habsburgischen Reich in<br />

Wien zusammenkam und was in Mode war.<br />

Im Concerto F-Dur hat der Komponist dabei<br />

zusätzlich präzise aufführungspraktische Anweisungen<br />

mitgeliefert. Bei dem hinreißend<br />

schönen Satz „Querelle des Amantes“ steht:<br />

„Wenn man dieses Stuckh allein spillet, So mueß<br />

man es nich gleich, Sondern bald Starkh,<br />

bald Still spillen, damit es scheinet, gleich einen<br />

bittenden und erzürnten, So Sich, alß es in<br />

Unisono gehet, wiederumb vergleichen.“ Wie<br />

passt diese Spielanweisung doch zu dem Titel<br />

des Stücks! Dass man das Stück auch „al


Hubert Hoffmann und seine Kollegen bei der Aufnahme<br />

der Wiener <strong>Laute</strong>nkonzerte von Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—1716).<br />

Foto: © Gunar Letzbor. Ars Antiqua Austria<br />

lein spillen“ kann, also auf der <strong>Laute</strong>, gilt<br />

gleichzeitig für andere Sätze des gleichen<br />

Concerto. Über das „Capriccio en Canon“<br />

heißt es lapidar: „Wenn man es allein Schlagen<br />

will, So lasst man die Pausen auß.“<br />

Dass Gunar Letzbor mit Reinhard Goebel in<br />

Köln gearbeitet hat, ist kaum überhörbar …<br />

und natürlich für einen Geiger auch keineswegs<br />

verwunderlich. Sein Urteil aber, er sei<br />

von den „gluckernden und unglaublich resonanten<br />

Klängen dieser dickbäuchigen Gesellen<br />

begeistert“, würde sein Kollege Goebel kaum<br />

teilen. Von ihm konnte man am 9. Juni 2006<br />

im Kölner Stadtanzeiger lesen: „Das <strong>Laute</strong>ngeklimper<br />

und –gebimmel! Das ist das Allerletzte.<br />

Diese Instrumente werden in einem grotesken<br />

Maß aufgewertet! Es gibt von Brockes<br />

ein Gedicht darüber, dass die Hamburger<br />

Jungfern so gerne in die Oper gehen, weil sie<br />

da die Giraffen sehen. Die Giraffen sind die<br />

Chitarronen, die wie erigierte Glieder aus dem<br />

Orchestergraben ragen. Das interessiert die<br />

Leute immer noch am allermeisten. Wie früher.<br />

Die unwichtigsten Instrumente! Spätestens<br />

1720 wurde in Venedig eine <strong>Laute</strong>nposition<br />

nicht mehr neu besetzt, sondern in eine Geigenstelle<br />

umgewidmet. Heute haben wir Bach-<br />

Kantaten mit <strong>Gitarre</strong>. Lächerlich!“ Gut, Bach-<br />

Kantaten mit <strong>Gitarre</strong> als Continuo-Instru-<br />

ment sind lächerlich! Aber sonst?<br />

Die wissenschaftliche Leistung, die hinter<br />

dieser „Entdeckung“ steht, ist bemerkenswert,<br />

das künstlerische Ergebnis ist sensationell!<br />

Barocke Kammermusik mit <strong>Laute</strong>(n)<br />

wird, seitdem alte Musik „Alte Musik“ ist,<br />

gespielt, aber Kammermusik mit obligaten<br />

<strong>Laute</strong>n, deren Stimmen in Tabulatur überliefert<br />

sind, nicht. Und es ist ein Segen, dass<br />

hier kompetente Musiker diese „Erstaufführung“<br />

einspielen konnten. Das Spiel der<br />

<strong>Laute</strong>nisten kann man, zugegeben, nur als<br />

Teil des Ganzen beurteilen. Primus inter pares<br />

ist natürlich die Erste Geige … ohne sich<br />

zu arg aus dem Fenster zu lehnen. Und das<br />

kammermusikalische Gesamtbild ist geschlossen.<br />

Es ist entschärft, ohne „brav“ zu<br />

sein. Maestro Goebel – wenn wir schon einmal<br />

bei diesem Vergleich sind – hätte vermutlich<br />

schärfere Punktierungen, pointiertere<br />

Auftakte, auf die Spitze getriebene Betonungs-Muster<br />

und überhaupt avanciertere<br />

Tempi spielen lassen. Aber das wäre „eigentlich“<br />

nicht im Sinn des kammermusikalischen<br />

Ideals. Kammermusik ist Konversation<br />

zwischen Musikern – nicht unbedingt<br />

Streit!<br />

Zum Schluss noch eine CD mit Kammermusik.<br />

Kammermusik mit Thomas Müller-Pe-<br />

ring. Und auf der CD steht der Name Piazzolla!<br />

Tangos y Historias<br />

Friedemann Eichhorn, Violine, Thomas<br />

Müller-Pering, <strong>Gitarre</strong><br />

Werke von Piazzolla, Gismonti, Ibert,<br />

Albéniz, de Falla<br />

Aufgenommen im September 2006, erschienen<br />

<strong>2008</strong><br />

Hänssler Classic (in Deutschland bei<br />

NAXOS-Deutschland, naxos.de) 98.508)<br />

… Violine vs. Flöte? …<br />

✰✰✰✰✰<br />

Tja, „Histoire du Tango“ ist von Piazzolla<br />

dabei aber auch die „Milonga del Angel“<br />

und „Decarísimo“, „Agua e Vinho“ von Gismonti,<br />

„Entr’acte“ von Ibert, „Mallorca“<br />

von Albéniz und schließlich „Suite Popular<br />

Española“ und „Pantomime“ von de Falla.<br />

Diesmal mit Violine und nicht mit Flöte! (s.<br />

hierzu <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> ONLINE<br />

XXIX/2007/<strong>Nº</strong>3, S. 42 mit der Besprechung<br />

der CD Círculo Mágico von Wally Hase, Flöte<br />

und Thomas Müller-Pering!)<br />

Zunächst, das gleich vorweg: Die Violine<br />

gewinnt, wenn das tatsächlich ein Wettbewerb<br />

sein soll … (soll’s natürlich nicht)! Ich<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 43


höre Astor Piazzollas Geiger Fernando Suarez<br />

Paz und seh’ ihn förmlich vor mir beim<br />

Hören dieser CD. Er hat noch lasziver gespielt,<br />

Glissandi und andere klangliche Effekte<br />

eher in den Vordergrund gestellt, aber<br />

hier, auf dieser CD von Friedemann Eichhorn<br />

und Thomas M-P, höre ich das perfekte<br />

Zusammenspiel zweier Musiker, eines<br />

Geigers, der auf seinem Instrument singen<br />

und Geschichten erzählen kann, denen man<br />

gebannt lauscht, weil sie einen zum Lachen<br />

und Weinen bringen – und eines ebenso<br />

sensiblen wie manchmal auch bestimmenden,<br />

den Weg weisenden Partners (nicht Begleiters),<br />

der, wie in Piazzollas „Decarísimo“,<br />

die Gratwanderung zwischen Jazz,<br />

Tango, „klassischer Kammermusik“ und was<br />

auch immer traumwandlerisch mitmacht.<br />

Die „Suite Popular Española“, entstanden<br />

aus den „Siete canciones populares Españolas“<br />

von Manuel de Falla, ist, zusammen mit<br />

desselben „Pantomine“ aus „El Amor Brujo“,<br />

Schluss- und Höhepunkt der CD. Die<br />

Lieder bewahren, wie der ungenannte Autor<br />

des Booklet-Textes richtig meint, „sogar in<br />

einer rein instrumentalen Darreichungsform<br />

die erzählerischen Qualitäten“. Jedes dieser<br />

Lieder ist ein vollständiges kleines Kunstwerk,<br />

eine Geschichte und ein Stimmungsbild<br />

von enormer Dichte. Und die Geschichten<br />

werden verstanden – sogar von Nicht-<br />

Spaniern, wenn sie so dargeboten werden!<br />

Das ist eigentlich alles, was ich zu dieser<br />

Produktion anmerken möchte … und doch<br />

wäre es beinahe sträflich hier zu schließen<br />

ohne etwas über eine andere auch noch<br />

fast neue CD von Friedemann Eichhorn zu<br />

sagen, die ganz Piazzolla gewidmet ist …<br />

auf der die <strong>Gitarre</strong> allerdings keine Rolle<br />

spielt.<br />

Astor Piazzolla: Le Grand Tango<br />

Friedemann Eichhorn, Violine, Julius<br />

Berger, Cello, José Gallardo, Klavier<br />

Aufgenommen im März 2005, erschienen<br />

2007<br />

Hänssler Classic (in Deutschland bei<br />

NAXOS-Deutschland, naxos.de) 93.205<br />

44 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />

… Musik, die Gitarristen keineswegs unbekannt<br />

ist …<br />

✰✰✰✰✰<br />

Aber es wird Musik gespielt, die Gitarristen<br />

keineswegs unbekannt ist. Die „Vier Jahreszeiten“<br />

zum Beispiel, mit ihnen beginnt das<br />

Programm: „Cuatro Estaciones Porteños“.<br />

Tiefe Melancholie umfängt einen beim<br />

Hören, und die Geschichten die Piazzolla da<br />

über die Porteños erzählt, über die Hafenarbeiter<br />

oder Bewohner der Hafenviertel (porteño<br />

von porto = Hafen), handeln von Armut,<br />

harter Arbeit und von Verzweiflung,<br />

aber auch von Hoffnungen, Illusionen vielleicht.<br />

Aus dieser Umgebung kommt der<br />

Tango, seine Texte haben selten von Fröhlichkeit<br />

und Glück gehandelt. Es war meist<br />

Trauer und Enttäuschung, wovon die Tangueros<br />

gesungen haben und das hat Piazzolla<br />

in Musik gefasst.<br />

Neben den „Cuatro Estaciones Porteñas“<br />

geben die Musiker „Four Tangos“ für Violine<br />

und Klavier („Revirado“, „Adios Nonino“,<br />

„Milonga del Angel“ und „Fracanapa“), die<br />

zum Teil auch in Transkription für <strong>Gitarre</strong><br />

vorliegen und gespielt werden und schließlich<br />

das „Mottolied“ dieser CD: „Le Grand<br />

Tango“. Er ist 1982 entstanden und dem<br />

Cellisten Mstislav Rostropovitch gewidmet,<br />

der tatsächlich 1990 auch in der Uraufführung<br />

den Cellopart gespielt hat.<br />

Tango-CDs sind in den letzten Jahren viele<br />

entstanden und auf den Markt gekommen.<br />

Nachdem Astor Piazzolla am 4. Juli 1992<br />

gestorben ist, wurden seine Werke immer<br />

populärer und immer „klassischer“ – aus<br />

der großen Auswahl möchte Ihnen diese<br />

neue CD besonders empfehlen!<br />

Wer spielt wann wo? Welche<br />

Pflichtstücke in Alessandria? Was<br />

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sind. Die Redaktion behält sich<br />

vor, Anzeigen, die aus dem reaktionellen<br />

Rahmen fallen, ebenso natürlich<br />

solche, die anstössig oder sittenwirdrig<br />

sind, ohne weitere Erklärungen<br />

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<strong>Gitarre</strong> <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE & <strong>Laute</strong>-ONLINE XXIX/2007 <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong>4 <strong>Nº</strong> 45 1 45


Vor hundert<br />

Jahren …<br />

GVL (Guitarra – Vihuela – Laude) hieß eine Zitschrift der Agupación Guitarrística Galega,<br />

der <strong>Gitarre</strong>nvereinigung von Galicien. Die Hefte erschienen nur ein paar Jahre, beginnend<br />

1982. Wir werden hier einzeln Artikel<br />

und eventuell komplette Hefte als Faksmimiles „nachdrucken“.<br />

46 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1<br />

Der Guitarrefreund wird uns hier noch ein<br />

paar Ausgaben begleiten, denn die Hefte<br />

werden noch nachgedruckt, die man in der<br />

Staatlichen Musikbibliothek in Stockholm<br />

nicht im Internet einsehen oder oder herunterladen<br />

kann.<br />

Aber es gibt noch eine Menge anderer <strong>Gitarre</strong>nzeitschriften,<br />

die die meisten von Ihnn<br />

dem Namen nach kennen, die Ihnen aber<br />

nicht zur Verfügung stehen. <strong>Gitarre</strong>nzeitschriften<br />

sind von den großen Bibliotheken<br />

selten gesammelt worden, also ist es<br />

schwierig an Ausgaben oder auch nur einzelne<br />

Artikel heranzukommen. Wir werden<br />

versuchen, Ihnen besonders wichtige und<br />

selten auffindbare Zeitschriften als Faksimiles<br />

zur Verfügung zu stellen. Darunter werden<br />

Periodika in fremden Sprachen (Spanisch<br />

zum Beispiel) sein, bei denen wir aber<br />

davon ausgehen, dass Sie so an ihnen interessiert<br />

seind, dass Sie sich selbst um eventuell<br />

notwendige Übersetzungen kümmern.<br />

Hier nun sehen Sie die allererste Ausgabe<br />

der Zeitschrift „Der Guitarrefreund“ aus<br />

dem Jahr 1900. Carl Oscar Boije af Gannäs<br />

war zu dieser Zeit noch nicht Mitglied der<br />

Internationalen Guitarristen Verbands<br />

(IGV), also fehlen diese ersten Ausgaben<br />

der Zeitschrift auch in seiner Sammlung in<br />

der Stockholmer Bibliothek. Die von Josef<br />

Brandl, Königlich Bayerischem Hoflieferanten,<br />

autographierte Ausgabe wird der besseren<br />

Lesbarkeit halber noch einmal in Neusatz<br />

mitgeliefert – Sie wissen selbst, dass<br />

der „Guitarrefreund“ nur in den ersten paar<br />

Ausgaben so hergestellt worden ist, für spätere<br />

Hefte ist Neusatz nicht mehr nötig, wie<br />

Sie in den letzten Ausgaben von <strong>Gitarre</strong> &<br />

<strong>Laute</strong>-ONLINE selbst sehen konnten.<br />

Wir werden die älteren Zeitschriften, die Sie<br />

hier in Zukunft finden werden, nach der Veröffentlichung<br />

in <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE<br />

auch als PDF im Internet zur Verfügung<br />

stellen, und wir werden sie als Texte aufbereiten,<br />

damit man beispielsweise nach Komponisten-<br />

oder Instrumentenmachernamen<br />

suchen kann. Das wird eine wertvolle Hilfe<br />

für Ihre Recherchen sein!


Mitteilungen<br />

des<br />

Internationalen Guitarristen Verbands e.V.<br />

<strong>Nº</strong> 1 – München 1. Mai 1900.<br />

Inhalt: Vorwort. – Die Entstehung deas Internationalen Guitarristen-<br />

Verbands. – Guitarristische Plauderei. – Nachruf an J. Decker.<br />

Amtliches. – Mitgliederverzeichnis. – Mitteilung der Ortsvertretung<br />

München. – Chronik des Ortsverbands München. – Briefkasten<br />

Bei der Gründung des InternationalenGuitarristen-Verbands,gelegentlich<br />

des 1. Guitarretages<br />

in München am 17. September<br />

1899 wurde auch die<br />

Herausgabe eines Verbandsorgans<br />

ins Auge gefaßt. Über die<br />

Art und Weise, wie dieses Organ<br />

zu erscheinen habe, gingen<br />

die verschiedenen Ansichten<br />

jedoch auseinander, denn<br />

während die Einen dafür eintraten,<br />

diese Zeitschrift als<br />

selbständiges Blatt herauszugeben,<br />

äußerte sich die<br />

Mehrzahl der Herren Redner<br />

dahin, die Verbandszeitschrift<br />

vorerst einem bereits bestehenden<br />

Musikblatte beizulegen<br />

und erst später unabhängig<br />

vorzugehen.<br />

Die Generalversammlung vom<br />

29. Januar 1900, die zur<br />

Genehmigung der Statuten einberufen<br />

worden war und in der<br />

wegen Erlangung der Rechtsfähigkeit<br />

für den Verband<br />

Beschluß gefaßt wurde,<br />

beschäftigte sich auch mit der<br />

Frage des Verbandsorgans. Der<br />

ursprüngliche Plan, die officiellen<br />

Mitteilung[en] einer<br />

Musikzeitung beizulegen,<br />

wurde endgültig fallen<br />

gelassen und man beschloß,<br />

die Mitglieder über die Entwicklung<br />

des I.G.V., über<br />

dessen Bestrebungen und Ziele<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 47


durch von Zeit zu Zeit erscheinende<br />

Blätter zu unterrichten.<br />

Auf energisches Betreiben der<br />

Herren Sprenzinger und Kühles<br />

wurde es schließlich ermöglicht,<br />

den Grundstein für ein periodisch<br />

erscheinendes Verbandsorgan<br />

zu legen und so präsentiert<br />

sich schon heute die erste<br />

Nummer der „Mitteilungen des<br />

Internationalen Guitarristen-Verbands<br />

(e.V.)“ wenn auch in einer<br />

sehr bescheidenen Form.<br />

Nichtsdestoweniger hat unsere<br />

junge Vereinigung Ursache genug,<br />

stolz zu sein auf die Errungenschaft,<br />

denn frei und unabhängig,<br />

nicht als Anhängsel einer<br />

Zither- Mandolinen- oder<br />

sonstigen Musikzeitung treten<br />

diese Blätter hinaus in die Welt,<br />

und ebenso soll und wird auch<br />

unser Lieblingsinstrument die<br />

Guitarre sich wieder unabhängig<br />

machen und inmitten der anderen<br />

Instrumente den ihr gebührenden<br />

Platz sich zurückerobern.<br />

E[duard].K[ühles].<br />

Die Entstehung des InternationalenGuitarristen-Verbands<br />

Als eifriger Jünger des viel verachteten<br />

Guitarrespiels beschäftigte<br />

ich mich schon seit Mitte<br />

der 1890er Jahre mit dem Gedanken,<br />

die wenigen allerorts<br />

zerstreut lebenden und vereinsamten<br />

Freunde dieses Instruments<br />

aufzuspüren. Nach und<br />

nach gelang es mir mit den<br />

Herrn Otto Hammerer – Augsburg,<br />

Eduard Bayer – Hamburg,<br />

J. Decker Schenk – St. Petersburg,<br />

A. Götz – Innsbruck, J.<br />

Stockmann – Kursk, Dr. Sajaitzky<br />

und P. Solovieff – Moskau, Dr.<br />

Polupaenko Jusovka, Dr. Gebhardt<br />

– Sondermoning, C. O.<br />

Boije af Gännas – Stockholm, J.<br />

Adler, Zürich, Jul. Schramm –<br />

Dresden, u. A., worunter die hervorragendsten<br />

Guitarresolisten<br />

der alten Schule, persönlich oder<br />

auf schriftlichem Wege bekannt<br />

zu werden.<br />

Von jüngeren Musikfreunden,<br />

welche sich in unserer<br />

48 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


Zeit des Pianos und der Zither<br />

mit dem Guitarrespiel noch<br />

abgaben, konnte ich nur die<br />

Herren A. Mehlhart, L. Resch,<br />

H. Halbing, J. Baudreal in<br />

München, Professor Feder –<br />

Linz, M. Schwerdhöfer, E. Schlicker<br />

und F. Schwab – Augsburg<br />

ausfindig machen.<br />

Der Plan, einmal eine Zusammenkunft<br />

dieser wenigen,<br />

aber umso eifrigeren und leistungsfähigeren<br />

Freunde der<br />

Guitarre ins Werk zu setzen,<br />

nahm erst greifbare Gestalt<br />

an, als mich die Münchner<br />

Freunde im Januar 1899 mit<br />

einem Besuche erfreuten und<br />

die Augsburger ihren Gegenbesuch<br />

in Aussicht stellten. Eine<br />

mit Herrn Mehlhart, München,<br />

im Frühjahr und Sommer<br />

1899 intensiv betriebene<br />

Korrespondenz, die nach vielen<br />

Bemühungen erlangte Zusage<br />

erster Kräfte wie Hammerer,<br />

Mehlhart, Decker Schenk,<br />

Götz, Schwerdhöfer, Kullmann<br />

(Zither) und Wachters’ Mandolinen-Ensemble,<br />

bei einem öffentlichen<br />

Konzerte in München<br />

mitwirken zu wollen, sowie<br />

aufmunternde Zuschriften<br />

erfahrener Guitarristen aus<br />

den verschiedensten Ländern,<br />

führten zu dem kaum erhofften<br />

Resultate, mit einem Aufrufe<br />

zum I. Guitarretag nach<br />

München – 16. und 17. Sept.<br />

1899 – einladen zu können.<br />

Bei dieser Gelegenheit sollte<br />

eine internationale Guitarristen-Vereinigung<br />

gegründet<br />

und druch ein öffentliches Guitarren-Concert<br />

der Beweis geliefert<br />

werden, daß auch die<br />

Guitarre wohl befähigt sei, in<br />

kunstgeübter Hand auch Concertsale<br />

Erfolge zu erzielen. Einige<br />

100 Exemplare dieses<br />

Aufrufs flogen hinaus in alle<br />

Himmelsrichtungen.<br />

Die zahlreiche Teilnahme von<br />

Guitarrefreunden aus allen Gegenden<br />

Bayerns, aus Sachsen,<br />

aus Oesterreich und der<br />

Schweiz, insbesondere aus<br />

München und Augsburg, die<br />

begeisterte Aufnahme, welche<br />

die Gründung des I.G.V., die<br />

musikalischen gelungenen Veranstaltungen<br />

am Samstag<br />

16.9. und Sonntag 17. Sept. 99<br />

fanden, illustrierten prächtig,<br />

wie sehnlich allerseits ein Wiederaufblühen<br />

der<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 49


altehrwürdigen Kunst des<br />

<strong>Laute</strong>nspiels gewünscht<br />

wurde.<br />

Das schnelle Wachstum des<br />

I.G.V. von anfänglich 40 auf<br />

zur Zeit mehr als 100 Mitglieder<br />

innerhalb einiger<br />

Monate, zeigt deutlich die<br />

Lebensfährigkeit dieser Vereinigung.<br />

Ein grosses Verdienst um den<br />

gelungenen Verlauf des I. Guitarristentages<br />

und um die<br />

Sammlung neuer Mitglieder<br />

haben sich unsere für die<br />

Sache begeisterten Freunde in<br />

München, Augsburg, Innsbruck<br />

ud Moskau erworben,<br />

wofür denselben noch besonderer<br />

Dank gesagt sei.<br />

Möchten diese eifrigen Bemühungen<br />

alle Freunde des<br />

Guitarrespiels anspornen,<br />

auch ihrerseits ein Scherflein<br />

beizutragen, sei es durch Einsendung<br />

interessanter, litterarischer<br />

[sic] Beiträge für<br />

unser Verbandsorgan, sei es<br />

durch Gewinnung neuer Mitglieder,<br />

sei es sonst auf irgend<br />

welche Weise, dann wird<br />

der Internationale Guitarristen<br />

Verband einer herrlichen<br />

Zulunft entgegen gehen und<br />

stets blühen, wachsen und<br />

gedeihen.<br />

F[ranz]. Sprenzinger, Schriftführer<br />

Guitarristische<br />

Plauderei<br />

J. Adler, Zürich<br />

1. „Tocamos una buena tocata;<br />

vamos a lo que Mega tu<br />

habilidat“ sagen die Piraten<br />

zu dem gefangenene Don<br />

Rafaël (Gil Blas), und nach<br />

dessen Spiel flüstert ihm einer<br />

in’s Ohr: „Du wirst ein glücklicher<br />

Sklave sein“.<br />

Corina ließ sich ihre Lyra bringen,<br />

das Indtrument ihrer<br />

Wahl, der Harfe ähnlich, jedoch<br />

von älterer Form und<br />

einfacher in den Tönen.<br />

Dass die gelehrte und geistereiche<br />

Frau von Stael, die<br />

nur ungewöhnliche Leute um<br />

sich mochte, und in manchen<br />

Punkten mit der Heldin ihres<br />

Romans identisch scheint,<br />

diese mit einer<br />

50 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


Guitarre auftreten läßt (denn<br />

die Lyra unterscheidet sich nur<br />

der äußeren Form nach von<br />

der Guitarre) ist ncht ohne Bedeutung<br />

und macht unserem<br />

Instrumente große Ehre.<br />

Corinna, die gefeierte Dichterin<br />

und Sängerin, soll auf<br />

dem Kapitol in Rom vor allem<br />

Volke gekrönt werden, und sie<br />

will ihre enthusiastische Improvisation<br />

mit den weichen,<br />

feierlichen Akkorden jener Lyra<br />

begleiten, welche heute noch<br />

hier und da zu sehen ist, so<br />

wie auch Kompositionen „Pour<br />

la guitare ou lyre“.<br />

Die ebenfalls in ihrer Art<br />

berühmte Mad. de Gentis,<br />

welche sich rühmt, in<br />

Frabnkreich zuerst öffentlich<br />

Harfe gespielt und zwei Eleven<br />

„gemacht“ zu haben, gedenkt<br />

in ihrer Harfenschule der Guitarre<br />

mit diesen Worten:<br />

2. „Pourquoi bannir la guitare<br />

des concerts? Nul instrument<br />

n’accompagne mieux une romance<br />

–“ Eine deutsche Dichterin,<br />

Friederika Brun, spricht<br />

in „Wahrheit aus Morgenträumen“<br />

von bezauberndem Guitarrespiel<br />

und Gustav Freytag<br />

braucht in einem seiner Romane<br />

eine Guitarre, um uns<br />

die selige Häuslichkeit zweier<br />

glücklichen Neuvermählten zu<br />

veranschaulichen.<br />

Herzerquickend mußte es sein,<br />

im Salon der Poetin Mrs. Hemans<br />

in London den Perlenregen<br />

des braunlockigen Regtondi<br />

zu belauschen, der unter<br />

einer Fülle ergreifender Akkorde<br />

seiner Guitarre entströmte<br />

– Oder den unermüdlichen jugendliuchen<br />

Giuliani in Wien,<br />

welcher in der Vorrede zu<br />

seinen Arpeggien so reizend<br />

bekannt: „Lo studio della chitarra<br />

è sempre stata la mia<br />

ocupazione prèdilletata“ –<br />

Und die melancholischen<br />

Weisen eines Wysocki in<br />

Moskau, wenn er so recht in<br />

der Laune war und eine Guitarre<br />

probirte stundenlang,<br />

daß sie Funken sprühte, daß<br />

ein Sermontoff ihn in Versen<br />

besigen mußte – Und wie sie<br />

alle<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 51


heißen, jene Heroen der Guitarre,<br />

deren bloße Namen<br />

schon prächtig klingen – Wie<br />

imponierten einem Jüngling,<br />

der erst ein paar Akkorde<br />

klimpern gelernt, jene Titel in<br />

kühn geschwungener Schrift,<br />

jene Grand Rondos, Capriccios,<br />

Notturnos, Fürsten, Damen<br />

und edeln Damen gewidmet<br />

von Legnani, Ferranti, Carulli<br />

u.s.w.<br />

Ein Märchen aus alten Zeiten –<br />

denn jetzt gilt der umgekehrte<br />

Tanz (Minuetto al rovescio)<br />

(nach Papa Haydn) – Guitarre<br />

spielen? – Wer wird das<br />

heutzutage bekennen, ohne<br />

sich errötend ein Armutszeugnis<br />

auszustellen? Greifen doch<br />

zur Guitarre nur noch Stallknechte,<br />

Zofen, junge Herrchen,<br />

um bei einem Anlaß etwas<br />

Possen zu treiben,<br />

Jungfern, die auf der Zither<br />

nichts erreichten, dichtet ja die<br />

Guitarre ganz allein, gleich der<br />

deutschen Sprache (Klopstock)<br />

– brauht da weder Lehrer noch<br />

besonderes Studium. Sie aber,<br />

„wie der Stein auf der<br />

Straßen“ unsere Guitarre, hat<br />

sich in die Dienste der Zither<br />

und Mandoline begeben, und<br />

aus Gram und Kummerder<br />

Aheilsarmee in die Arme<br />

geworfen. Soll es uns wundern,<br />

wenn das Guitarrespiel<br />

heutzutage als ein wildes,<br />

häßliches Musizieren angesehen<br />

wird? Es kommt jedoch<br />

bei allem darauf an, wie man<br />

es betreibt – Hätten sich wohl<br />

so tüchtige Musiker wie Sor,<br />

Giuliani, Carulli u. so viele andere<br />

es waren, zur Zeit<br />

Beethovens, Mendelssohns,<br />

Schuberts und Schumanns, als<br />

alle klassischen Instrumente<br />

schon längst existierten, ihr<br />

Lebtag so eifrig mit der Guitarre<br />

beschäftigt, wenn so gar<br />

nichts dahinter steckte? Wäre<br />

die Ursache dieser Erscheinung<br />

wirklich nur in einer dummen<br />

Mode zu suchen? Mir scheint<br />

sie eher in dem edeln Bestreben<br />

zu liegen, mit den<br />

geiringen Mitteln das höchstmögliche<br />

zu erreichen – Welch<br />

miserables<br />

52 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


Ding wäre die Geige ohne den<br />

Bogen, womit alles bequem<br />

und kaltblütig überstrichen<br />

wird? Das Zupfen ist auch<br />

nicht so leicht, die weichen<br />

und kräftigen Töne der Guitarre<br />

wollen auch gesucht,<br />

studiert, entlockt sein, der Guitarre<br />

wie der Geige; mit schaben,<br />

kratzen und kneifen, wie<br />

die Franzosen das Anschlagen<br />

nennen (rader, gratter, pincer)<br />

ist’s nicht gethan, das ist<br />

Kar4ikatur. – Das Klavier<br />

brüste sich immerhin mit<br />

seinen zehnfachen Leistungen,<br />

es hat dieser kollossale<br />

Lärmapparat die Mittel dazu<br />

und kostet darnach – Allein<br />

war nützen ihm die vielen<br />

grellen Töne, was nützen der<br />

Harfe und Zither ihr Saitenheer<br />

unter ungeschickten Händen<br />

und dummen Fingern? Es<br />

scheint mir eines gebildeten<br />

Menschen würdiger, ein sehr<br />

einfaches Instrument allen<br />

Ernstes zu pflegen, als ein reicheres<br />

ohne Geschick und<br />

Geschmack zu behandeln.<br />

Und so ist dann die „Harfe des<br />

Armen“ doch nicht untergegangen<br />

und wird nicht untergehen,<br />

wenn sie auch nur<br />

hier und da mit Liebe und<br />

Ernst gepflegt wird. – Sie ist<br />

und bleibt das zugänglichste<br />

Instrument der von Liebe und<br />

Glück träumenden und singenden<br />

Jugend, des schlichten<br />

häuslichen Herdes – Sie<br />

verkürzt des Einsamen trübe<br />

Stunden; sie ergötzt, von<br />

tüchtiger Hand bemeistert, in<br />

der Gesellschaft, u. das<br />

geräuschvolle und bis zum<br />

Überdruß gehörte, mittelmäßige<br />

Klavierspiel eine Abwechslung<br />

ersehen läßt – Sie<br />

kommt mit dir in’s stille<br />

Dachkammerlein, in die<br />

Gartenlaube, in den Kahn, das<br />

braucht’s keine Zurüstung wie<br />

bei der Zither – du hebst sie<br />

vom Nagel herunter, sie ist augenblicklich<br />

gestimmt. Und<br />

hast du erst das Glück, einem<br />

gleich eifrigen Mitspieler zu<br />

gewinnen, so werden die Reize<br />

der Guitarre in aller Fülle zur<br />

Geltung gelangen und es<br />

bleibt nur noch die<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 53


Klage über die Flüchtigkeit<br />

dieser wonnevollen Stunden.<br />

Übersetzung der Zitate:<br />

1. Spiele uns was Schönes auf,<br />

wollen sehen, wie viel du<br />

kannst<br />

(Lesage, Gil Blas)<br />

2. Warum wird die Guitarre<br />

aus den Konzerten verbannt?<br />

Kein Instrument begleitet<br />

besser eine Romanze. (Mad. de<br />

Genlis)<br />

3. SDas Studium der Guitarre<br />

ist immer meine Lieblingsbeschäftigung<br />

gewesen. (Giuliani)<br />

J. Decker-Schenk ✝<br />

Im Oktober 1899 starb der<br />

durch seine vorzüglichen Guitarre-Compositionen<br />

in weiten<br />

Kreisen bekannte Guitarre- und<br />

Mandolinen-Virtuose J. Decker-<br />

Schenk – St. Petersburg – geborener<br />

Wiener – im Alter von<br />

74 Jahren. Sein Vater war<br />

Werkmeister der berühmten<br />

Guitarrefirma Stauffer, Wien.<br />

Der junge Decker-Schenk<br />

spielte in den 60er Jahren<br />

schon vor dem die Guitarre<br />

und Zither hochschätzenden<br />

Herzog Max in München und<br />

vielen Fürstlichkeiten, wurde<br />

später Opernsänger und Theaterdirektor<br />

und bereiste mit<br />

einer Theatergesellschaft ganz<br />

Russland. Nach dem Tode seiner<br />

ersten Gattin entsagte er<br />

ganz der Theaterlaufbahn und<br />

ließ sich, nachdem er eine<br />

Russin geheiratet hatte, dauern<br />

als Musiklehrer, spec. für Guitarre<br />

und Mandoline, in Petersburg<br />

nieder.<br />

Decker-Schenk war in den<br />

feuinsten Kreisen Petersburgs<br />

mit seiner Guitarre ein gern<br />

gesehener Gast und genoß<br />

dort den Ruf des bedeutendsten<br />

Virtuosen. Zum I. Guitarretag<br />

hatte sich der<br />

liebenswürdige, alte Herr mit<br />

Familie und mehreren Freunden<br />

zur Mitwirkung beim Concerte<br />

an-<br />

54 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


gemeldet, doch kurz vor der<br />

Abreise warf ihn ein tückisches<br />

Leiden aufs Krankenlager, dem<br />

er leider erliegen mußte. In<br />

seinem letzten Briefe bedauerte<br />

er wehmütig, dem mit<br />

so großer Freude entgegengesehenen<br />

I. Guitarretag nicht<br />

beiwohnen zu können. Decker-<br />

Schenk war ein eifriger Förderer<br />

des Guitarrespiels und hätte<br />

unserem Verbande in Petersburg<br />

viel nutzen können.<br />

Eine Anzahl seiner gediegenen<br />

Werke für 1, 2, und 4 Guitarren<br />

hat Schreiber dieses von dem<br />

Componisten seinerzeit erworben.<br />

Dieselben sind in<br />

vorzüglichem Guitarresatze<br />

sehr effektvoll geschrieben<br />

uind lassen den vollendeten<br />

Guitarremeister erkennen.<br />

Möchte dem bedeutenden Guitarremeister,<br />

der so viele durch<br />

sein virtuoses Spiel und seine<br />

reizenden Melodien entzückt,<br />

die Erde leicht sein!<br />

F. [franz] Spr. [enzinger]<br />

Bekanntmachungen der<br />

Centralleitung<br />

Um eine möglichst rasche und<br />

einheitliche Erledigung aller<br />

die Verwaltung des. I. G. V.<br />

betreffenden Arbeiten zu erzielen,<br />

hat der geschäftsführende<br />

Ausschuß ein Secretariat<br />

errichtet, dessen Leitung sich<br />

in den Händen des Herren Eduard<br />

Kühles, München VIII,<br />

Pütrichstraße 5/II befindet.<br />

Sämtliche Zuschriften beliebe<br />

man an die vorbezeichnete<br />

Adresse zu richten.<br />

Die Bekanntmachungen werden<br />

in dem monatlich erscheinenden<br />

Verbandsorgan,<br />

dessen erste Nummer heute<br />

vorliegt, veröffentlicht.<br />

Die Zustellung dieser Blätter<br />

erfolgt an die einzelnen Mitglieder<br />

unter Kreuzband, den<br />

Mitgliedern der Ortsverbände<br />

sind die Exemplare durch die<br />

Ortsvertretung zuzustellen. –<br />

Die verehrklchen Ortsvertreter<br />

belieben vonm Zeit zu Zeit<br />

Bericht über die Thatigkeit der<br />

Ortsgruppen an das Secretariat<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 55


zu übermiteln, dese Berichte<br />

werden im Verbandsorgan<br />

eine ständige Rubrik: Chronik<br />

der Ortsverbände bilden. Desgleichen<br />

finden auch alle<br />

Bekanntmachungen der Ortsgruppen<br />

Aufnahme im Verbndsorgan.<br />

–<br />

München 17. April 1900<br />

Die Centralleitung<br />

A. [nton] Mehlhart. Ed. [uard<br />

Kühles]<br />

Die Liste der Mitglieder kann<br />

bei Bedarf dem Faksimile entnommen<br />

werden. Man<br />

beachte, dass Personen Mitglieder<br />

der ersten Stunde<br />

waren, die in der <strong>Gitarre</strong>nszene<br />

bereits eine Rolle spielten oder<br />

eine Rolle spielen sollten,<br />

darunter unter anderen der<br />

Arzt und <strong>Gitarre</strong>nliebhaber<br />

Sergei Spiridonowitsch Sajaitzky,<br />

Julius Stockmann und<br />

auch Carl Oscar Boije af Gannäs,<br />

dem die Sammlunng <strong>Gitarre</strong>nmusik<br />

in Stockholm zu<br />

verdanken ist.<br />

56 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 57


58 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1


Notenausgaben von <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong><br />

John W. Duarte<br />

Danserie No. 2 für <strong>Gitarre</strong> solo<br />

€ 7,50 G&L 142<br />

Eduardo Falú<br />

Gavota para Guitarra, Mit Fingersätzen versehen von Hubert Käppel, 2-3<br />

€ 5,00 G&L 112<br />

Eduardo Falú<br />

Preludio del pastor<br />

€ 6,50 G&L 111<br />

Santino Garsi da Parma<br />

Sämtliche <strong>Laute</strong>nwerke, Gesamtausgabe der handschriftlichen Quellen,<br />

Faksimile mit Übertragungen und<br />

Kommentar von Dieter Kirsch<br />

€ 30,00 G&L 148<br />

Jana Obrovská<br />

Hommage à Choral Gothique f. <strong>Gitarre</strong> Solo, Revidiert von Milan Zelenka<br />

€ 8,50 G&L 122<br />

Jana Obrovská<br />

Due Musici für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />

€ 8,50 G&L 123<br />

John W. Duarte<br />

Danserie No. 2 für <strong>Gitarre</strong> solo<br />

€ 8,50 G&L 142<br />

Adrian Patino<br />

Nevando Está, Für <strong>Gitarre</strong> bearbeitet von Eduardo Falú<br />

€ 6,50 G&L 120<br />

A. Robles und Jorge Milchberg<br />

El Condor pasa, Für <strong>Gitarre</strong> bearbeitet von Eduardo Falú<br />

€ 6,50 G&L 116<br />

Ignace Strasfogel<br />

Prélude, Elegie und Rondo für <strong>Gitarre</strong>, Herausgegeben von Volker Höh<br />

€ 13,00 G&L 168<br />

Heinrich Marschner<br />

Lieder mit Begleitung der <strong>Gitarre</strong> (Zwölf Lieder op. 5, Zwei Lieder von<br />

Goethe), Herausgegeben von Oliver Huck<br />

€ 15,00 G&L 169<br />

Der gesamte Katalog bei:<br />

www.MusiCologe.eu<br />

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