Gitarre & Laute XXX/2008, Nº 1
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GITARRE & LAUTE – ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>, <strong>Nº</strong> 1<br />
Wolfgang Amadeus Mozart – Mauro Giuliani<br />
Helmut Lachenmann – Rolf Rihm<br />
Neue Platten – Neue Bücher
PRIM-Musikverlag:EditionENTilmanHoppstock<br />
Transkriptionen<br />
für <strong>Gitarre</strong> solo<br />
transcriptions for solo guitar<br />
Transkriptionen<br />
für <strong>Gitarre</strong> solo<br />
transcriptions for solo guitar<br />
Johann Seb. Bach<br />
FRANZÖSISCHE SUITE<br />
NR.2 D-MOLL BWV 813<br />
V<br />
French Suite No. 2<br />
d minor BWV 813<br />
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orig. für Cembalo in c-moll<br />
orig. for harpsichord in c minor<br />
Bearbeitung und Fingersätze von/<br />
transcription and fingerings by<br />
Tilman Hoppstock<br />
Bearbeitung und Fingersätze von/<br />
transcription and fingerings by<br />
Tilman Hoppstock<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 062<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 077<br />
Transkriptionen<br />
für <strong>Gitarre</strong> solo<br />
Isaac Albéniz<br />
transcriptions for solo guitar<br />
TANGO<br />
EL POLO<br />
Bearbeitung und Fingersätze von/<br />
transcription and fingerings by<br />
Tilman<br />
orig. für<br />
Hoppstock<br />
Klavier<br />
orig. for piano<br />
2 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Johann Seb. Bach<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 079<br />
Neuerscheinungen2006-2007<br />
Cellosuite Nr.2<br />
a-moll BWV 1008<br />
2 Fassungen<br />
Cello suite no.2<br />
a minor BWV 1008<br />
2 versions<br />
Schubert:110LiederfürGesangund<strong>Gitarre</strong><br />
Für<strong>Gitarre</strong>solo:<br />
Band3:<br />
12Liederaus“Winterreise” PRIM99703Preis:16,90<br />
Band4:<br />
17Liedernachversch.Dichtern PRIM99704Preis:15,50<br />
Band5:<br />
6Liederaus“Schwanengesang” PRIM99705Preis:13,90<br />
Band6:<br />
12LiedernachSchiller/Klopstock PRIM99706Preis:14,50<br />
AusderbekanntenSerie“Große<br />
KomponistenfürjungeGitarristen”<br />
GasparSanz:<br />
3Suitenfür2<strong>Gitarre</strong>n<br />
PRIM99074Preis:10,50<br />
EnriqueGranados:<br />
ValsesPoeticosf.<strong>Gitarre</strong>solo<br />
PRIM22100Preis:8,50<br />
IsaacAlbéniz:<br />
Asturias+Malagueñaf.Git.solo<br />
PRIM99039Preis:8,50<br />
PRIM-Musikverlag<br />
Postfach101120. 64211Darmstadt<br />
InfosundBestellung:www.prim-verlag.de<br />
Joh.Seb.Bach:CellosuiteNr.2a-moll(2Fassungen)<br />
PRIM99079Preis:11,90<br />
Joh.Seb.Bach:Franz.SuiteNr.2(orig.fürCembalo)<br />
PRIM99062Preis:10,50<br />
Dietr.Buxtehude:SuiteNr.10BuxWV236(orig.fürCemb.)<br />
PRIM99061Preis:8,50<br />
IsaacAlbéniz:Tango+ElPolo(orig.fürKlavier)<br />
PRIM99077Preis:9,95<br />
GroeKomponistenfrjungeGitarristen<br />
GasparSanz<br />
3Suiten<br />
GroeKomponistenfrjungeGitarristen<br />
EnriqueGranados<br />
ValsesPoeticos<br />
bearbeitetfr<strong>Gitarre</strong>solovon/<br />
arrangedforguitarsoloby<br />
TilmanHoppstock<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 22 100<br />
bearbeitetfr2<strong>Gitarre</strong>n/<br />
arrangedfor2guitarsby<br />
TilmanHoppstock<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 065<br />
Franz Schubert<br />
LIEDER MIT GITARRE - Vol. 3<br />
für hohe/mittlere Stimme<br />
for high/medium voice<br />
Bearbeitung und Fingersätze von/<br />
transcription and fingerings by<br />
Tilman Hoppstock<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 703<br />
Franz Schubert<br />
LIEDER MIT GITARRE - Vol. 5<br />
12 Lieder aus<br />
„Winterreise”<br />
für Tenorstimme<br />
12 songs from<br />
for tenor voice<br />
“Winterreise”<br />
Bearbeitung und Fingersätze von/<br />
transcription and fingerings by<br />
TilmanHoppstock<br />
<strong>Gitarre</strong>nkammermusik<br />
2 <strong>Gitarre</strong>n<br />
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für 2 <strong>Gitarre</strong>n<br />
for 2 guitars<br />
Bearbeitung von/<br />
transcription by<br />
Tilman Hoppstock<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 705<br />
Dietrich Buxtehude<br />
PRim-MusikverlagDarmstadt<br />
Nr. 99 074<br />
6 Lieder aus<br />
„Schwanengesang”<br />
6 songs from<br />
“Schwanengesang”<br />
Für2<strong>Gitarre</strong>n:<br />
DietrichBuxtehude:Passacaglia<br />
PRIM99074Preis:10,50<br />
PASSACAGLIA<br />
BUXWV 161<br />
orig. für Orgel<br />
original for organ<br />
Vertriebweltweit/distributionworldwide:<br />
Chanterelle. Postf.103909. 69029Heidelberg<br />
Tel:++49-6221-784105/Fax:++49-6221-784106<br />
onlineordering:http://www.chanterelle.com
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
der „Guitarrefreund“ steht Ihnen, wie schon<br />
im letzten Heft beschrieben, in der Boije-<br />
Sammlung in Stockholm zur Verfügung – es<br />
macht also keinen Sinn, die Hefte hier in <strong>Gitarre</strong><br />
& <strong>Laute</strong>-ONLINE auch noch anzubieten …<br />
bis auf die Ausgaben natürlich, die die Schwedische<br />
„Statens Musikbibliotek“ nicht hat. Hier<br />
ist noch einmal die URL der Sammlung mit ihrer<br />
englischsprachigen Inhaltsseite:<br />
http://www.muslib.se/ebibliotek/boije/indexeng.htm<br />
Sie finden dort nicht nur die ersten achtzehn<br />
Jahrgänge des „Guitarrefreund“ – oder „<strong>Gitarre</strong>freund“,<br />
wie die Zeitschrift später hieß –,<br />
sondern auch eine enorme Menge originaler<br />
Ausgaben mit <strong>Gitarre</strong>nmusik als PDF. Alles kostenlos!<br />
Allerdings sind ein paar Ausgaben des Jahrgangs<br />
I/1900 in Stockholm nicht vorhanden<br />
und die Jahrgänge nach 1919 – die können Sie<br />
dann hier lesen und sammeln. In der vorliegenden<br />
Ausgabe finden Sie die Ausgabe<br />
I/1900/<strong>Nº</strong> 1 (Seiten 47--58) als Faksimile und in<br />
Neusatz.<br />
Auf den Seiten 19 bis 34 steht ein Beitrag, der<br />
eine „Nachlese“ auf das Mozartjahr 2006 darstellt:<br />
Einige Buchbesprechungen und eine<br />
neue Ausgabe der Ouvertüre zu Mozarts „La<br />
Clemenza di Tito“, für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet<br />
von Mauro Giuliani. Hier, in der Ausgabe von<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE finden Sie die Ausgabe<br />
in Form einer Partitur, eine gedruckte Ausgabe<br />
mit zusätzlichen Einzelstimmen wird aber auch<br />
herauskommen.<br />
Die Seiten der Dates und der Kleinanzeigen bei<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> sind jetzt online gestellt. Unter<br />
C:\dates\MusiCologne.eu finden Sie die Kursankündigungen<br />
und Konzerttermine wie Sie es<br />
seit dreißig Jahren kennen, jetzt aber nur noch<br />
online, weil das aktueller ist und weil Sie auf<br />
diese Weise unmittelbaren Zugriff auf die Webseiten<br />
der Veranstalter haben. Aber bitte: Wenn<br />
Sie Wettbewerbe, Kurse oder Seminare veran-<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser<br />
stalten oder wenn Sie Konzerte geben, schicken<br />
Sie uns die Termine möglichst frühzeitig. Ihre<br />
Meldungen werden nach Möglichkeit sofort<br />
eingearbeitet – aber wir brauchen dafür Ihre<br />
Angaben! Je früher wir die Kursdaten veröffentlichen<br />
können, desto mehr Interessenten<br />
haben die Chance, sie zu sehen und ihnen zu<br />
folgen. Bitte benutzen Sie diese Email-Adresse:<br />
dates@MusiCologne.eu.<br />
Das Gleiche gilt für Kleinanzeigen. Auch hier<br />
werden neu eingehende Anzeigen nach Möglichkeit<br />
sofort ins Netz gestellt. Die Adresse:<br />
Kleinanzeigen@MusiCologne.eu!<br />
Und eine Bitte habe ich noch an Sie, als Leser<br />
und Benutzer unseres Online-Angebots. Bitte<br />
teilen Sie uns mit, wenn Ihre Email-Adresse<br />
sich ändert! Die Newsletter von <strong>Gitarre</strong> und<br />
<strong>Laute</strong>-ONLINE sind kein Spam und um das weiter<br />
so zu betreiben, ist es für uns wichtig, dass<br />
wir den Adressbestand auf dem neuesten<br />
Stand halten und pflegen können … übrigens<br />
auch, wenn Sie umziehen, denn am Ende dieses<br />
Jahres gibt es das <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE-<br />
Jahrbuch zum ersten Mal … und das kommt<br />
natürlich per Snail-Mail!<br />
Ansonsten gibt es in diesem Jahr noch fünf<br />
weitere Ausgaben online – tragen Sie sich in<br />
unsere Newsletter-Liste ein und wir werden Sie<br />
informieren (www.MusiCologne.eu)! Und geben<br />
Sie unsere URL an Freunde weiter, die sich<br />
für die <strong>Gitarre</strong> interessieren oder für <strong>Laute</strong> und<br />
<strong>Laute</strong>nmusik. Je mehr Bezieher unsere Online-<br />
Zeitschrift lesen, desto besser wird unser Service<br />
ausgestattet!<br />
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser<br />
Ausgabe von <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE<br />
Ihr<br />
Dr. Peter Päffgen<br />
Chefredakteur, Herausgeber<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 3
was ich noch sagen wollte …<br />
hier gebe ich Ihnen in lockerer Form<br />
Bemerkungen mit auf den Weg,<br />
von denen ich glaube, sie wären von<br />
allgemeinem Interesse. Es wird sich dabei<br />
wie heute um Bemerkungen über neu erschienene<br />
CDs drehen, die vielleicht auch<br />
mit der <strong>Gitarre</strong> oder der <strong>Laute</strong> überhaupt<br />
nichts zu tun haben. Oder vielleicht gilt es<br />
auch, einen Geburtstag zu feiern oder aus<br />
anderem Grund an einen Großen unserer<br />
Zunft zu erinnern. Sollte ich Sie langweilen<br />
oder sollten Sie Vorschläge machen<br />
wollen, schreiben Sie doch einfach an:<br />
mailto:peter.paeffen@MusiCologne.eu<br />
Peter Päffgen<br />
moderntimes 1800: Sinfonias from the<br />
Enlightenment<br />
Werke von Johann Adolf Hasse, Johann<br />
Gottlieb Graun, Carl Philipp Emanuel<br />
Bach, Wilhem Friedemann Bach, Joseph<br />
Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart<br />
„Moderntimes_1800 Chamber Orchestra“<br />
on Authentic Instruments, Ltg. Ilia Korol<br />
und Julia Moretti<br />
Aufgenommen im Oktober 2007<br />
2 CD Challenge Records [challengerecords.com]<br />
CC72193<br />
4 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Natürlich ist es eine Binsenweisheit zu behaupten,<br />
Kunst, sei es nun bildende Kunst<br />
oder Musik, aus Zeiten großer gesellschaftlicher<br />
und kultureller Umbrüche sei besonders<br />
spannend und aufregend. Das trifft auf die<br />
beginnende Neuzeit zu, als Schreiben und<br />
Lesen plötzlich von jedermann gelernt werden<br />
konnte und Bücher zur Verfügung standen,<br />
als die großen Entdecker, unter ihnen<br />
Cristoforo Colombo, auf Reisen waren, um<br />
neue Welten zu entdecken … und es trifft in<br />
mindestens gleichem Maß zu auf die zweite<br />
Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Gedankengut<br />
der Aufklärung bestimmte diese Zeit. Es<br />
wurde an die Vernunft appelliert und daran,<br />
altes Obrigkeitsdenken über Bord zu werfen<br />
und selbstbestimmt die Zukunft zu gestalten.<br />
All das kulminierte in den Geschehnissen<br />
rund um die Französische Revolution.<br />
Musikalisch war die Barockzeit längst überlebt<br />
und überholt. Schon das Spätschaffen<br />
Johann Sebastian Bachs, mit dessen Tod<br />
1750 gerne das Ende der Barockzeit definiert<br />
wird, galt als das „Werk eines Esoterikers, der<br />
sich bewusst vor der Welt verschloss und daraus<br />
die kompositorischen Konsequenzen zog“<br />
(Dahlhaus). Viele neue Gedanken und Ideen<br />
wurden erprobt, so viele, dass man von einem<br />
einheitlichen Stil für das 18. Jahrhunderts<br />
nicht sprechen, ja, dass man sich nicht<br />
einmal für alle Phasen auf einheitliche Bezeichnungen<br />
enigen kann. Von einem „galanten<br />
Stil“ ist da die Rede, von Sturm und<br />
Drang oder vom „Empfindsamen Stil“ oder<br />
„Vorklassik“. Am Ende dieser Phase der<br />
Bemühungen um neue Ausdrucksmittel und<br />
Formen haben wir es wieder mit einem „gemeinsamen<br />
Stil“zu tun. Ein gewisser Vorrat<br />
an Formen (zum Beispiel klassische Sonatenform,<br />
Konzert, Sinfonie) und ein stilistischer<br />
Rahmen waren von Komponisten des 18.<br />
Jahrhunderts geschaffen worden und deren<br />
Essenz wurde nun eine gewisse (kurze) Zeit<br />
benutzt. Die einen hielten sich lange und unbeirrbar<br />
an das einmal Erreichte, andere nur<br />
kurz oder überhaupt nicht, weil sie schon unterwegs<br />
zu neuen Ufern waren. Man bedenke,<br />
dass Ludwig van Beethoven, der gemeinhin<br />
ohne Zögern in die Schublade („Wiener“)<br />
Klassik sortiert wird, in seinen späteren Werken<br />
den klassischen Wiener Stil ernsthaft in<br />
Frage gestellt hat und eigentlich schon Künder<br />
neuer musikalischer Ideen war.<br />
Die Kompositionen, die auf diesen beiden<br />
CD vereinigt sind, enthalten Material aller<br />
musikalischer Strömungen denen wir im 18.<br />
Jahrhundert begegnet sind. Hier hört man<br />
spätbarocke Anklänge, dort revolutionär ausgelassene<br />
und durchaus mutige, völlig unerhörte<br />
Sätze, die ganz offenbar bewusst verwundern,<br />
empören und schockieren sollten –<br />
und manchmal passiert das auch innerhalb<br />
einer Komposition wie in CPE Bachs Sinfonia<br />
B-Dur.<br />
Das Kammerorchester, das sich der Werke an-<br />
genommen hat, benutzt Instrumente der<br />
Zeit, und zwar „in der Überzeugung, dass die<br />
Musiksprache einer Epoche mit ihren eigenen<br />
Klangmitteln am lebendigsten zum Ausdruck<br />
gebracht werden kann“. Der Hinweis auf die<br />
Verwendung authentischer Instrumente<br />
wirkt anachronistisch. Er erinnert an den<br />
Harnoncourt der frühen Jahre oder an das<br />
Collegium Aureum. Damals war dieser Hinweis<br />
Empfehlung für die einen … und Warnung<br />
für die anderen, denn allgemein hatte<br />
es sich nicht durchgesetzt, dass Interpretationen<br />
älterer Musik gewinnen, wenn die Musiker<br />
versuchen, sich an die Aufführungsgewohnheiten<br />
der Entstehungszeit halten. Viel<br />
mehr, als sich alter Instrumente zu bedienen!<br />
Wenn es nur die Wahl des Instruments<br />
wäre, müsste man heute Narciso Yepes neben<br />
Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt<br />
als Pionier der Alten Musik nennen,<br />
denn er hat ja das Bach’sche <strong>Laute</strong>nwerk auf<br />
einer Barocklaute aufgenommen … eine<br />
mehr als peinliche Aufnahme bei der Archiv-<br />
Produktion (2708030) übrigens, die nie wieder<br />
neu aufgelegt worden ist, weil man sich<br />
ihrer offenbar schämte. Diese Produktion auf<br />
zwei Vinyl-Schallplatten ist auch noch gut<br />
besprochen worden, weil Yepes als Gitarrist<br />
ein bekannter Mann war und seine Meriten<br />
hatte und weil die Deutsche Grammophon<br />
mit ihrer Archiv-Produktion Garant für Qualität<br />
war. Aber sie beweist, dass die Benutzung<br />
eines historischen Instruments aus Musik<br />
noch keine Alte Musik macht.<br />
Seitdem das Thema „Aufführungspraxis“<br />
ernstgenommen wird, gehen Musiker mit<br />
Hemiolen um, man weiß, was inegales Spiel<br />
ist, wie schnell ein Andante zu nehmen und<br />
wie ein Menuett getanzt worden ist – das alles<br />
aus musikpraktischer Sicht.<br />
Die, wie gesagt, anachronistische Bemerkung<br />
„on authentic intruments“ auf dieser CD darf<br />
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es<br />
die Musiker vom Ensemble „moderntimes_1800“<br />
keineswegs nötig haben, sich<br />
hinter Etiketten zu verstecken. Nicht nur nehmen<br />
sie sich einer Musik an, die ansonsten<br />
nicht oft auf CD oder in Konzerten zu hören<br />
ist, sie tun das auch mit höchster Delikatesse<br />
und Eleganz. Angst vor Virtuosität, sprich<br />
avancierten Tempi haben sie nicht, auch<br />
nicht vor neobarocker klanglicher Pracht wie<br />
in Hasses eröffnender Sinfonia für „Alcide al<br />
Bivio“, die mit vollem Bläsereinsatz einlädt.<br />
Aber auch Hasse schwebte zu dieser Zeit,<br />
1760, schon auf anderen musikalischen Wolken,<br />
war der Oprnkomponist seiner Zeit und<br />
gehörte der Avantgarde seiner Zeit an.<br />
Diese CD kann ich Ihnen nur empfehlen! Sie<br />
gewährt Ihnen Zugang zu einer bislang<br />
weitgehend unzugänglichen Schatzkammer<br />
der Musikgeschichte. Und ich kann Ihnen die<br />
ebenso kompetenten wie wortgewaltigen<br />
Führer durch diese Kammer nur empfehlen!<br />
Bravi!
Öffne deine Augen<br />
für meine Welt.<br />
Werde Pate!<br />
Nähere Infos:<br />
040-611 400<br />
www.plan-deutschland.de<br />
Plan International Deutschland e.V.<br />
Bramfelder Str. 70 · 22305 Hamburg<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 5
6 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong><br />
ONLINE<br />
<strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>, Heft 1<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
3<br />
… was ich noch sagen wollte …<br />
4<br />
Uli Aumüller<br />
10 Jahre später …<br />
Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm im Gespräch<br />
8<br />
Peter Päffgen<br />
Das klinget so herrlich … Nachträge zum Mozart-Jahr 2006<br />
19<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Ouvertüre zur Oper „La Clemenza di Tito“<br />
für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet von Mauro Giuliani, revidiert von Peter Päffgen<br />
21<br />
… Gelesen …<br />
Neue Bücher<br />
35<br />
Neue Platten<br />
39<br />
Kleinanzeigen<br />
45<br />
Mitteilungen des Internationalen Guitarristen-Verbandes<br />
<strong>XXX</strong>/1900/<strong>Nº</strong><br />
46<br />
Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; Niederlassung<br />
Deutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion <strong>Gitarre</strong> &<br />
<strong>Laute</strong>, Postfach 410 411, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Aufbereitung<br />
des ePaper: CANTAT GmbH, Wien, www.cantat.com. Internet: www.MusiCologne.eu, Kleinanzeigen:<br />
www.Verkaufe<strong>Gitarre</strong>.de und www.gitarre-und-laute.de. Email: info@MusiCologne.eu (weitere<br />
Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht).<br />
Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Erscheinungsweise<br />
im Jahr 2007: 1. Juli 2007, danach jeweils am Anfang jedes Monats bis Dezember 2007. Kündigungsfrist:<br />
sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für ein<br />
Jahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer<br />
(19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeichneten<br />
Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unverlangt<br />
eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbesondere<br />
in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allen<br />
Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Niederlassung<br />
Köln. [Abo@gitarre-und-laute.de], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: S. 1: Caterino Mazzolà,<br />
La Clemenza di Tito (nach Pietro Metastasio), Titel des Librettos, Prag 1791, Tschechischens Museum<br />
für Musik, Prag; S. 8-18: inpetto Filmproduktion, Berlin; S. 19-28: © auf Ausgabe und Stichbild Peter<br />
Päffgen, Köln; S. 43: Gunnar Letzbor, Ars Antiqua Austria; S. 47-58: Bayerische Staatsbibliothek, München.<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 7
8 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
10 Jahre später …<br />
Helmut Lachenmann im Gespräch mit Wolfgang Rihm
Das folgende Gespräch zwischen den<br />
Komponisten Helmut Lachenmann und<br />
Wolfgang Rihm hat der Musikjournalist<br />
und Filmemacher Uli Aumüller am 2. August<br />
2007 in Hitzacker aufgezeichnet –<br />
eine DVD (Audio und Video) ist bei der<br />
Produktionsfirma inpetto-Filmproduktion<br />
in Berlin erhältlich (www.inpetto-<br />
Filmproduktion.de).<br />
Anlass für das Gespräch war ein Film,<br />
der 1998 (also vor zehn Jahren) bei der<br />
gleichen Produktionsgesellschaft entstanden<br />
ist und bei dem sich alles um<br />
die Komposition „Die zwei Gefühle“ für<br />
Instrumentalensemble und Sprecher von<br />
Helmut Lachenmann dreht. Auch dieser<br />
Film ist bei Inpetto in Berlin als DVD<br />
erhältlich.<br />
Die Produktionen wurden gefördert<br />
durch das SIEMENS-artsprogram.<br />
WOLFGANG RIHM: Du warst es doch, der gesagt<br />
hat …<br />
HELMUT LACHENMANN: Nein, ich rede dann<br />
ganz leise. Wer leiser redet, ist bedeutender.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, klar.<br />
HELMUT LACHENMANN: Naja, also so etwa.<br />
ULI AUMÜLLER: Eine Frage möchte ich Helmut<br />
als erstes stellen, zum Anfang. Hat dieser Film<br />
dich in irgendeiner Weise verändert?<br />
HELMUT LACHENMANN: Bewusst kann ich<br />
das nicht sagen, ob es mich verändert hat.<br />
Hat mich beschäftigt, ganz bestimmt. Vor<br />
allem, weil ich mit meinem eigenen Vokabular<br />
konfrontiert worden bin, so wie ich damals<br />
das versucht habe, so ein bis´l das<br />
Komponieren aus meiner Perspektive zu beschreiben.<br />
Und das war schon richtig irgendwie<br />
oder treffend, meinte ich. Aber es war<br />
eigentlich zugleich, wenn man´s einmal gesagt<br />
hat, kann man so nicht mehr weiter.<br />
Dann stimmt´s schon nicht mehr für die Zukunft,<br />
sozusagen.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade fragen.<br />
Ist es net immer eine Festschreibung? Wenn<br />
so was dann auch noch mit filmischen Mitteln<br />
festgehalten wird, das ragt ja dann so<br />
übers Entwickeln oder übers Momentane<br />
auch sich weiter Formen hinaus – dass alle<br />
Welt dann dich immer damit vergleichen<br />
wird. Ich finde das ein furchtbare Festschrei-<br />
bung. Ich leid immer, wenn ich mich im<br />
Fernsehen irgendwas sagen höre. Das ist<br />
dann schon längst irgendwann …<br />
HELMUT LACHENMANN: Vorbei …<br />
WOLFGANG RIHM: … vorbei gewesen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber ja gut, wenn<br />
man das vorher mit in Betracht zieht, kann<br />
sein, dass man auf irgendeinen Abstand<br />
kommt, wo es möglich ist. Also bei mir war<br />
das damals so. Du hast ihn wahrscheinlich<br />
nicht gesehen …<br />
WOLFGANG RIHM: Ich habe ihn gesehen,<br />
aber ich erinner nur noch, dass du mit Musikern<br />
sehr gut geprobt hast und dass die<br />
dann bestimmte Dinge hervorgebracht haben,<br />
die genau deinem Ohr entsprachen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist klar, ok.<br />
WOLFGANG RIHM: An das kann ich mich erinnern,<br />
und dass ihr irgendwo gegangen<br />
seid in Berlin.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das war … ich<br />
musste im Gehen reflektieren.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist ungewohnt<br />
gewesen.<br />
WOLFGANG RIHM: Eine sagen wir mal fast<br />
griechische Vorgehensweise.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ohne die – wie<br />
heißt das Ding? – die Kordel, die man da dabei<br />
so leise vor sich hin …<br />
WOLFGANG RIHM: Macht man das?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, beim Philosophieren<br />
muss man so ein Ding glaube ich –<br />
wenn man durch die Piniengärten geht und<br />
so – verändert weiß ich nicht. Aber im<br />
Grund jedes mal wenn ich etwas versuche<br />
genauer zu bestimmen mit Hilfe meiner animalisch<br />
gesteuerten Analysebedürfnisse,<br />
dann ist es eigentlich, so wie der Wolfgang<br />
das eben gesagt hat: Gesagt, und jetzt<br />
muss man eigentlich drüber hinaus gehen.<br />
Das ist halt so. Und bei mir ist es halt so,<br />
das ist auch wieder ein Unterschied, dass ich<br />
immer noch über das Material nachdenke.<br />
Ich kann mir vorstellen, bei dir denkt das<br />
Material über dich nach. Ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, du kennst ja das Material<br />
besser – musst es mal fragen, was sie<br />
von mir halten da, die ganzen …<br />
HELMUT LACHENMANN: Beim Material –<br />
WOLFGANG RIHM: Beim Material – was die<br />
da so … Nein, aber jetzt mal im Ernst. Es<br />
wird ja, wenn man so etwas zum Beispiel<br />
jetzt in die Medien hinein äußert. Das wird<br />
ja ungeheuer verabsolutiert, und irgendwann<br />
bist du dann eben derjenige, der<br />
übers Material nachdenkt, egal was du tust.<br />
Vielleicht denkst du gerad nicht übers Material<br />
nach, aber du bist in dem Moment,<br />
musst ja der sein, der übers Material nachdenkt.<br />
Und wenn du dann ein Stück<br />
schreibst, wo all das gar keine Rolle spielt,<br />
was ich natürlich nicht glaube, aber es geht<br />
ja auch gar net – wird das aber trotzdem an<br />
dich heran gelegt. Ich nehme zum Beispiel<br />
das Programmheft, wo wir jetzt diese Hitzacker-Begegnung,<br />
die wir jetzt hier mit voll-<br />
ziehen. Da bist – da werden auch solche Portale<br />
wieder errichtet. Der strenge Schwabe –<br />
HELMUT LACHENMANN: Steht das da?<br />
WOLFGANG RIHM: Der strenge Schwabe<br />
und der überbordende Badener. Verstehst<br />
du – egal was du tust.<br />
HELMUT LACHENMANN: Moment – noch<br />
mal der gestrenge Schwabe und was war<br />
das Andere.<br />
WOLFGANG RIHM: Und ich bin der überbordende<br />
Badener.<br />
HELMUT LACHENMANN: Überbordende Badener.<br />
WOLFGANG RIHM: Verstehst du, egal, was<br />
ich mache – es wird dann überbordend sein,<br />
selbst wenn es streng ist. Und wenn du<br />
überbordest, ist es streng. Weil du – das<br />
weiß man ja dann. Ich wollte damit nur sagen,<br />
diese Funktion, die die Medien einnehmen,<br />
ist net die Dinge im Fluss zu zeigen,<br />
sondern sie zu justieren und in einer Weise<br />
festzuschreiben, wie es römische Meißel-Inschriften<br />
nicht kräftiger könnten. Und das<br />
wundert mich eigentlich. Also die ganze<br />
Durchlässigkeit, die durch Medien möglich<br />
wäre, hm. Vielleicht übe ich jetzt zu sehr<br />
Medienkritik und müsste eigentlich eher die<br />
Nutzer der Medien an den Ohren ziehen:<br />
Warum stürzt ihr euch so auf das, was euch<br />
da mitgeteilt wird. Ich meine, wenn ihr das<br />
en passant gesagt bekommt, dann wäre es<br />
ja auch an euch zu sagen, ja, da entwickelt<br />
sich was. Aber warum wird das immer wie<br />
ein Grabstein auf uns gestellt. Hm.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das sind dann<br />
die Schubladen, aus denen du dann wieder<br />
vergeblich versuchst rauszukommen.<br />
WOLFGANG RIHM: Mit dem Material ist eigentlich<br />
viel interessanter …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich denke schon,<br />
also ich insistiere aber ein bis´l drauf, weil<br />
es nämlich auch eine Mode gibt jetzt - also<br />
ein nicht ganz unbekannter Jung-Star hat<br />
mich neulich mal gestellt. In der Berliner<br />
Philharmonie im Foyer. Und hat gesagt: Du<br />
mit deinem Material. Mir hängt der schon<br />
so zum Hals raus. Und damals habe ich<br />
dann gesagt, mir hängt er nicht zum Hals<br />
raus. Ich habe ihn im Kopf. (Lachen) D.h.<br />
das ist ein Teil, wo … bei mir ist es halt so,<br />
dass ich wirklich manchmal schon diese – also<br />
sagen wir nicht Material – sagen wir die<br />
Mittel, mit denen ich arbeite, die auch ihre<br />
Geschichte haben, dass ich schon die so ein<br />
bis´l anschaue, auch ein bis´l technisch anschaue.<br />
Dadurch brauche ich auch manchmal<br />
viel Zeit, weil ich erst die Mittel irgendwie<br />
definiere, und dann wandle ich ab –<br />
und so was Ähnliches habe ich mal früher in<br />
Gesprächen mit dem Ulrich Aumüller beschrieben.<br />
Wie das passiert, also ein – oder<br />
ich sage es mal anders: Als ich in Köln studiert<br />
habe, Kurse besucht habe, bei Stockhausen<br />
und bei anderen, da war einer, da<br />
war der Henri Pousseur. Damals absolut serialistizistisch<br />
– alles – das war ja – und der<br />
hat – da saßen wir so zu zwanzig im Saal –<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 9
in einem Zimmer, so einem Schulzimmer.<br />
Und hat gesagt, sagt mir irgendeinen Klang.<br />
So einen – und dann sagte der – Pferdegetrappel.<br />
Gut – und dann sagst du mal irgendeinen<br />
Klang: Und dann sagte der, Anfang<br />
der Eroica. Also gut. So – und jetzt ist<br />
erst mal eine Stunde hier Ruhe im Saal oder<br />
in der Bude. Jeder von euch macht jetzt eine<br />
Reihe. Verwandelt schrittweise die musikalischen<br />
Mittel – die klanglichen Mittel des<br />
Pferdegetrappels in den Anfang der Eroica.<br />
Das war so eine Art brain storming. So eine<br />
Art Klangerfindungsgymnastik. Und ich fand<br />
das lustig. Hat mir Spaß gemacht. Natürlich<br />
nicht nur, dass man sagt, hier Pferdetrappel,<br />
hier so und so – sondern, wie geht´s drüber<br />
hinaus, sozusagen. Und außerdem – war natürlich<br />
interessant, dass jeder von zwanzig<br />
Komponistinnen und Komponisten eine andere,<br />
völlig andere Verbindung hergestellt<br />
hat. Der eine hat wirklich gemeint, akustisch<br />
muss das Pferdegetrappel rhythmisiert<br />
werden, und dann wird der Rhythmus abgewandelt<br />
und dann wird aus dem Pferd vielleicht<br />
ein anderes Tier oder ein …<br />
WOLFGANG RIHM: Napoleon!<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja ..<br />
WOLFGANG RIHM: Zum Beispiel.<br />
HELMUT LACHENMANN: Irgend sowas, ja.<br />
Also was Militärisches, natürlich. Und dann<br />
kommen wir schon der Sache näher. Da<br />
kommen wir schon an die französische Revolution.<br />
Also da gibt´s – der eine macht es<br />
assoziativ, der andere macht es klangtechnisch<br />
und so weiter. Und dieses Spiel, das<br />
gefällt mir. So. Und wenn man über das<br />
spricht, sollte man eigentlich nicht automatisch<br />
in eine Schublade gesteckt werden,<br />
sondern warum – nicht so … Aber die Gefahr<br />
ist natürlich … ich meine überbordender<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, und so weiter …<br />
HELMUT LACHENMANN: Und so weiter ist<br />
genauso eigentlich das Denken eher lähmend<br />
als … oder das Fühlen auch …<br />
WOLFGANG RIHM Gleich, ja. Natürlich –<br />
und selbst das Überbordende wird dadurch<br />
gelähmt.<br />
HELMUT LACHENMANN: Genau – ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber um dieses Material<br />
überhaupt mal so fremd zu haben, dass<br />
man es angucken kann, außerhalb des musikalischen<br />
Geschehens, das ist nun ein Problem,<br />
was ich habe. Ich könnte das – ich betrachte<br />
das Komponieren ständig als Umgang<br />
mit Material. Und nicht einen eigenen<br />
– ich kenne keinen eigenen Materialprüfraum,<br />
in dem ich Material prüfe und dann<br />
gehe ich zum Komponieren. Du ja auch<br />
nicht. Aber für mich ist es ein Teil der kompositorischen<br />
Praxis, des Umgehens mit<br />
Klang und seinen Voraussetzungen. Wenn<br />
das aber so hervor gestellt wird, dann glaube<br />
ich verstellt es, dass – ich möchte mal sagen<br />
– du ja eigentlich auch richtig komponierst<br />
(lachen), nämlich von großer Dringlichkeit,<br />
wie man gestern wieder am Streich-<br />
10 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
quartett hören konnte. Da geht es eben net<br />
um Materialerkundung, sondern da ist die –<br />
wird zur Sache selber geredet. So ist mein<br />
Gefühl.<br />
HELMUT LACHENMANN: Genau. Ich meine –<br />
das gehört auch – ich würde halt sehr gerne<br />
manchmal auch Hörer interessieren für den<br />
Kompositionsprozess. Der was anderes ist,<br />
als die Komposition selber. Also der … hat<br />
mich immer beschäftigt, vor allem also es<br />
gab einmal einen Begriff – andere Schublade,<br />
die ich mir ja selber gezimmert hab vielleicht,<br />
leichtsinniger Weise, es gibt mehrere<br />
Schubladen, die ich mir selber gezimmert<br />
habe, aber ich komme noch<br />
aus dieser Generation, nach Stockhausen,<br />
wo wir meinten, wir müssten auch so wie er<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Ordnung im Haus …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ordnung und Verkünden.<br />
Oder Ordnungsprinzipien verkünden.<br />
Ja, und am besten dem noch ein Etikett,<br />
dann kann man darüber schneller reden.<br />
Ich dachte eigentlich nur im Sinne Etikett.<br />
WOLFGANG RIHM: Und es ist natürlich auch<br />
eine Verkürzung deines … denn so ist es bei<br />
ihm ja auch net. Da geht es ja auch ständig<br />
um Inspiration.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und wie!<br />
WOLFGANG RIHM: Da geht’s ja auch nicht<br />
nur um Etikettierung, sondern der Heilige<br />
Geist muss auch wehen. Ich meine, der<br />
muss auch in uns fahren.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber er hat auch<br />
den Heiligen Geist schon ein biss´l etikettiert,<br />
ja – da muss man aufpassen. Also –<br />
mit Superformel und so – aber das ist ein<br />
anderes Thema. Nur also nur ich wollte<br />
schon, das auf Begriffe bringen, auch ein<br />
biss´l für mich, weil ich muss gestehen,<br />
denn manchmal weiß ich gar nicht mehr wie<br />
Komponieren geht. Vergesse das total …<br />
WOLFGANG RIHM: Wollte gerade sagen,<br />
wem sagst du das? Aber gut …<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber da gibt´s halt<br />
Momente, wo man dich an irgendeinen Begriff<br />
erinnert, und dann ganz langsam öffnet<br />
sich wieder der kreative Apparat.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber jetzt frage ich – ich<br />
bleibe einen Moment draußen, wie geht es<br />
denn eigentlich. Ich meine nicht, wie geht<br />
es dir, sondern wie geht das Komponieren?<br />
Wie geht´s denn eigentlich?<br />
HELMUT LACHENMANN: Pfff …. Das ist eine<br />
gute Frage.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich habe mir in dem Moment<br />
– ich sitze da und nicke, und denk, komisch,<br />
wenn du mich jetzt fragen würdest,<br />
wie geht´s komponieren? Wird man ja oft<br />
gefragt, ne. Wo man sich dann wwwwwhhh<br />
– zack und da sagt man irgendwas – aber<br />
jetzt so zwischen uns: Wie geht´s denn?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich glaube, bei dir<br />
geht es anders als bei mir. Sagen wir mal<br />
so. Das sowieso. Ok. Das ist auch keine interessante<br />
Erkenntnis, aber ich sehe einen Un-<br />
terschied schon. Ich glaube, dass du viel näher<br />
immer dran bist.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich möchte es sein.<br />
HELMUT LACHENMANN: Du hast doch mal<br />
irgendwann gesagt, du hast die ganze Tradition<br />
und wünscht es eigentlich– das ist<br />
auch wieder so ein Etikett – und wünscht es<br />
anderen nicht, ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, gut – das war in einer<br />
Situation, wo diese Traditionsdiskussion<br />
ziemlich beherrschend war, wo offensichtlich<br />
jeder, der nur einen Ton geschrieben<br />
hat, sich schon dem Verdacht ausgesetzt<br />
hat, ein Tradio – lllbblb – ein Traditionalist<br />
zu sein. Ne. Aber ich glaub, wenn du sagst,<br />
näher, kann das ja auch heißen, dass ich bestimmte<br />
Wege bestimmte Möglichkeiten<br />
auch vielleicht übersehe. Kann doch sein.<br />
Deswegen frage ich dich ja. Will auch was<br />
lernen. Ne. Also etwas mitbekommen. Was –<br />
wie geht’s denn –wie geht’s denn? Also<br />
wenn du mich jetzt schilderst, oder wenn<br />
du sagst, du glaubst, dass ich näher dran<br />
bin, meinst du ja, ich fang an und will dann<br />
schon Musik schreiben. Das stimmt auch.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ne, das habe ich<br />
nicht gemeint. Ich meine, dass du sagen wir<br />
mal von dem Materialbegriff her … es gibt<br />
eine Menge von Elementen, die erkenne ich<br />
wieder in deinen letzten Stücken, noch<br />
mehr als in früheren – zum Beispiel gestern,<br />
das war Chiffre und war Vormittag dieses<br />
Hölderlin …<br />
WOLFGANG RIHM: Das Lied, ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und dann noch<br />
Fremde Szenen drei. Du hast es selber so genannt,<br />
Fremde Szenen drei. D.h. du kannst<br />
relativ – ich weiß nicht, jetzt musst du mich<br />
korrigieren - schneller oder vertrauensvoller<br />
Elemente abrufen, die du schon kanntest.<br />
Weil sie nämlich wahrscheinlich Teil eines<br />
vielleicht von dir nicht sooo buchhalterisch<br />
betriebenen Materialdenkens sind wie bei<br />
mir. Ich bin ein biss´le schon manchmal ein<br />
Laborant.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber ich höre ja net nur<br />
das Element, sondern ich hör auch den Zusammenhang<br />
und das Platz – den Ort, den<br />
das Element hat. Also, ich hab den Begriff<br />
des placements, der, den hat mir mal jemand<br />
erklärt, aus dem Ballett stammt, wo<br />
ist was platziert, spielt offensichtlich da eine<br />
ganz große Rolle, das hat mich unheimlich<br />
fasziniert, weil ich da eine Ähnlichkeit<br />
zu meinem Vorgehen gespürt habe. Dass ich<br />
hier etwas habe, was seine Selbstverständlichkeit<br />
und seine Bekanntheit schon offeriert<br />
durch die Art, wie es ist. Aber dass ich<br />
es dann in einen Zusammenhang stelle, in<br />
dem es sich verändert. Und das ist ein Komponieren,<br />
was ich auch bei Komponisten der<br />
Vergangenheit zum Beispiel bei Mozart oft<br />
erlebe. Mit dem ich eine ganz ganz starke ja<br />
Beziehung hab. Zumindestens sage ich das.<br />
Aber es ist so. Also es ist wirklich so. Da<br />
sind Dinge, die du aus allen anderen Zusammenhängen<br />
bereits kennst. In einer Weise
stehen die beieinander, wie sie so noch nie<br />
standen. Und das ist ein heißer Wunsch, das<br />
ist ein heißer Wunsch bei mir.<br />
HELMUT LACHENMANN: Klar. Im Grunde ist<br />
alles fast – nicht alles, aber sehr viel total<br />
bekannt, bei ihm, und wird durch einen Kontext<br />
veredelt, der …<br />
WOLFGANG RIHM: Oder verunklart – oder<br />
ver – wie soll man sagen – oder verfremdet<br />
auch manchmal, oder verdichtet oder …<br />
HELMUT LACHENMANN: Oder auch gar nix.<br />
Einfach stehen gelassen.<br />
WOLFGANG RIHM: Oder verhindert. Auch –<br />
HELMUT LACHENMANN: Oder einfach stehen<br />
gelassen.<br />
WOLFGANG RIHM: Oder einfach so gelassen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist eine ganz<br />
perfide Form einen zu verunsichern: NICHT<br />
ZU VERUNSICHERN! – Da ist eigentlich gar<br />
nichts los. Es ist – also wenn du so ein Menuett<br />
von der Jupitersymphonie nimmst.<br />
Mit der chromatischen (singt) – zwischendurch<br />
sind diese Klauseln, total vertraut.<br />
Und jetzt klingen sie total anders.<br />
WOLFGANG RIHM: Und dieses verrückte<br />
Stück da aus der Bläser – der achtstimmigen<br />
Bläsermusik, auch in c-moll. Wo auch so<br />
chromatische Führungen sind. Du traust deinen<br />
Ohren nicht. Aber das …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ok. Ein Thema für<br />
sich.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, das ist ein Thema für<br />
sich – gut machen wir ein andermal.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber jetzt ist eine<br />
andere Situation. Ich meine heute haben<br />
wir viel ein viel weit greifenderes Repertoire<br />
von Möglichkeiten. Es gibt einen riesen Supermarkt<br />
sowohl in Sachen Neuer wie Historischer<br />
Musik, und exotischer Musik und<br />
weiß der Kuckuck was und so. Im Grunde,<br />
ich bin in dem Sinn total einverstanden,<br />
dass die Dinge durch einen Kontext verändert,<br />
d.h. geladen werden – oder manchmal<br />
auch entleert werden. Eigentlich ist das fast<br />
das Gleiche. Also ich denke immer, sie werden<br />
auch entleert. Dieses Entleeren war so<br />
ein biss´l das Prinzip der Seriellen glaube<br />
ich. Weil der Ton war ja an sich schon etwas<br />
Ausdrucksvolles, ja. Und wenn man den<br />
aber jetzt in einen Zusammenhang packt,<br />
indem man so durch irgendeine Reihe oder<br />
was auch so eingespannt wird, geht einmal<br />
diese a priori Magie erst einmal verloren.<br />
WOLFGANG RIHM: Das muss man aber wissen,<br />
dass dem so sei.<br />
HELMUT LACHENMANN: Eine Information.<br />
WOLFGANG RIHM: Das muss man ja wissen.<br />
Ich meine, wenn man als Hörer nicht weiß,<br />
dass der Ton in einen Zusammenhang tonsetzerischer<br />
Art eingebunden ist, sondern<br />
wenn man ihn nur nimmt als das, was er ist,<br />
nämlich ein Ton, dann ist man natürlich<br />
wieder auf sein´n pathetischen Ort zurückgeworfen.<br />
Ne.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, aber wenn der<br />
nächste Ton dem ersten Ton sozusagen<br />
schon wieder in die – wie sagt man da …<br />
WOLFGANG RIHM: In die Quere kommt …<br />
HELMUT LACHENMANN: In die Quere<br />
kommt und dass die sich gegenseitig eher –<br />
ja also – Beispiel, klassisches Beispiel und<br />
auch nie wiederholbar ist Strukture 1a von<br />
Boulez. Klingt für manche wie ein totes<br />
Spiel von angeschlagenen Klaviertasten. Ja.<br />
Und das Gesetz, was drin herrscht, ist ganz<br />
deutlich zu spüren, aber es ist zunächst mal<br />
für viele Hörer ein negatives Gesetz. Also<br />
manche Leute – der Komponist schafft eine<br />
Ordnung. Und die Hörer hören eine Unordnung.<br />
Zumindest ein nicht einsehbares<br />
Spiel.<br />
WOLFGANG RIHM: Das hat aber in der Geschichte<br />
Vorbilder. Denn alle Komponisten<br />
haben, ob sie wollten oder nicht, eine Ordnung<br />
geschaffen. Selbst derjenige, der keine<br />
Ordnung schaffen will, schafft natürlich eine<br />
Ordnung, nämlich dieser Art, und die Hörer<br />
sind entweder fähig, diese Ordnung wahrzunehmen,<br />
oder an ihr vorbeizuhören. Aber<br />
das sollte man dem Hörer auch überlassen.<br />
Ich mein, wenn ein Hörer die Unordnung,<br />
die er mit den Dingen verbindet, wieder zurückbekommt,<br />
das ist ja auch – das ist seine<br />
Leistung. Er kann auch nicht mehr jetzt gewähren.<br />
Es geht nur das. Und das ist seine<br />
Arbeit. Hören ist ja auch Arbeit. Ne.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, aber das stimmt<br />
schon. Nur – also ich denke, …<br />
WOLFGANG RIHM: Guck mal, Boulez hat ja<br />
nach Strukture 1 eben Structure 2 geschrieben.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich weiß, klar.<br />
WOLFGANG RIHM: Und da wollte er ganz<br />
andere Dinge. Nicht. Da gings um die …<br />
HELMUT LACHENMANN: Nein, das war ein<br />
Exorzismus. Einmal – und hinüber.<br />
WOLFGANG RIHM: Man kann ja nicht sagen,<br />
so jetzt schreibe ich – das wäre dann, ich sage<br />
jetzt mal – Johann Nepomuk David auf<br />
andere Art. Ein Leben lang solche Stücke<br />
schreiben.<br />
HELMUT LACHENMANN: Eine Handwerkslehre<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Irgendwann wird das zu<br />
einem gedrechselten Gartenzwerg.<br />
HELMUT LACHENMANN: Oder aber auch das<br />
andere selbst wenn es vielleicht virtuoses –<br />
virtuoser wirkte, war – ich nehm das einfach<br />
zur Kenntnis. Das ist mir nicht ganz<br />
egal, …<br />
WOLFGANG RIHM: Nein, auf keinen Fall.<br />
HELMUT LACHENMANN: Weil du sagst, der<br />
Hörer muss das irgendwie spüren, oder so<br />
ähnlich. Ich weiß nicht, ob ich es richtig<br />
wiedergebe. Ich würde viel weiter ansetzen.<br />
Ich denke, ganz egal, ob es nun Hörer sind,<br />
oder ob es einfach Staatsbürger sind. Sie<br />
müssen sensibilisiert werden, erstens, dass<br />
es Gesetze gibt, die sie nicht kennen. Aber<br />
die sie spüren können, wenn sie wachsame<br />
Antennen haben. Und zweitens, dass es so<br />
etwas wie ein Abenteuer gibt.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber wenn wir arbeiten,<br />
folgen wir auch Gesetzen, die wir zum einen<br />
Teil nicht kennen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist klar.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich meine, wir sind das<br />
– wir sind ja nicht diejenigen, die einen<br />
Text herstellen, der nur auf Grund unseres<br />
besseren Wissens entsteht, sondern da entsteht<br />
auch sehr viel ohne unser Zutun, und<br />
das ist mit manchmal das, was nach Jahren,<br />
wenn wir es wieder hören, eigentlich das<br />
ist, was am längsten immer noch frisch geblieben<br />
ist, und was weiterlebt, und wo<br />
man spürt, dass da ein Lebenspuls ist. Also<br />
ich mein das ganz konkret, wenn dir nach<br />
Jahren ein eigenes Stück wieder begegnet,<br />
dann sind es selten die Dinge, die dir damals<br />
wichtig waren, also mir geht das so,<br />
die einem damals wichtig waren, als man es<br />
geschrieben. Sondern da sind ganz andre<br />
Dinge spürbar. Von denen man gar net gemerkt<br />
hat, dass man ihnen auch gestalterisch<br />
entsprochen hat, dass man die auch<br />
geformt hat, aber eben nicht mit der Bewusstheit<br />
einer gesetzgeberischen Instanz,<br />
sondern mit der Fähigkeit eines - ja mit der<br />
Aufnahmefähigkeit einer – wie heißt, was –<br />
eines Seismographen. Das möchte schon<br />
auch sein, aber das kannst du nicht erzwingen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich meine, ich würde<br />
sogar noch weitergehen. Ich sage, wehe<br />
wenn nur das entsteht was du gewollt hast.<br />
Also das, was man macht. Ich denke immer,<br />
das ist der Treibsatz, mit dem du rauskommst.<br />
Und irgendwo in eine Situation<br />
kommst. Und der Treibsatz muss irgendwann<br />
wie bei jeder Rakete hoffentlich mal<br />
runterfallen. Kannst ja nicht mitschleppen.<br />
Und dann – also ich denke nicht nur nach<br />
10 Jahren, sondern eigentlich schon während<br />
des Komponierens, dass ganz andere<br />
Gesetze auftauchen. Ich denke am Ende<br />
weiß ich eher was ich – vielmehr ich meine<br />
gewußt zu wissen, was ich gemacht habe.<br />
Es gibt immer noch Überraschungen. Ich<br />
glaube, es gibt dauernd andere Gesetze. Vor<br />
allem weil wir auch uns verändern. Das, was<br />
uns wichtig ist an der Historischen Musik,<br />
ist auch nicht unbedingt das, was die Komponisten<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Eben – aber das ist doch<br />
für Hörer, die zunächst mal davon ausgehen,<br />
dass das, was sie da von einem Komponisten<br />
Komponiertes wahrnehmen, dass das<br />
genau dessen Vorstellungen entspricht, ein<br />
Schlag ins Kontor, sage ich jetzt mal, die<br />
müssen doch entsetzt sein von Komponisten<br />
zu hören, was da entstand, wird auch von<br />
andern Kräften gespeist, als von denen, über<br />
die wir verfügen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Warum müssen die<br />
deshalb davon schockiert sein? Die sollen<br />
doch froh sein.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja natürlich. Ich meinte<br />
das ja rhetorisch. Da ist doch immer die Vorstellung,<br />
dass der Komponist das alles voraussieht,<br />
vorausplant, voraushört, vorausweiß<br />
und letztlich danach versteht auch. Al-<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 11
so dieses integrale Beherrschen, das ist tief<br />
in die Hörer gesenkt, als Ideal. Es ist nicht<br />
mein Ideal.<br />
HELMUT LACHENMANN: Also wie gesagt,<br />
ich bin der Meinung, das ist eine Aufgabe,<br />
die geht über das bloße Bewußtmachen von<br />
Hören hinaus. Sondern dass wir – also wenn<br />
mir jemand etwas sagt, dann glaube ich<br />
ihm schon mehr oder weniger, was er sagt,<br />
aber ich schaue ihm zu. Ich schaue, was mit<br />
ihm passiert, wenn er es sagt. Also ich<br />
schließe zurück. Aber es gibt eine ganze<br />
Menge von Prozessen, es gibt eine ganze<br />
Menge von sogenannten Strukturen, die bei<br />
mir berührt werden, und die bei ihm aktiv<br />
sind. Das was er weiß, was er macht, das ist<br />
vielleicht – das ist ein anderes Thema vielleicht.<br />
Aber das ist bei mir manchmal schon<br />
eine relativ bewusste Konstruktion. Ich<br />
schaffe schon mal so eine Art Gerüst, und<br />
dann weiß ich scheinbar, was ich machen<br />
will. In der Erwartung, dass Dinge passieren,<br />
die das irgendwie sogar zerbrechen.<br />
Oder die darüber hinaus gehen. Und dann<br />
manchmal entdecke ich sogar noch Gesetze,<br />
die dahinter kommen, die ich vorher nicht<br />
beachtet hatte. Die aber jetzt das Ganze dominieren.<br />
Also bei den „Zwei Gefühlen“ zum<br />
Beispiel, diesem Stück mit der Stimme und<br />
… war so wie so bei allen Stücken – am Ende<br />
weiß ich erst, was ich eigentlich gemacht<br />
habe. In der Mitte gibt´s einen Teil mit –<br />
wo sozusagen ich sehr bewusst die <strong>Gitarre</strong><br />
als Thema genommen habe.<br />
WOLFGANG RIHM: Die <strong>Gitarre</strong> als Thema –<br />
als Objekt sozusagen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Wobei ich natürlich<br />
in Gedanken - der Text heißt: Doch ich irre<br />
umher, getrieben von meiner – das ist eine<br />
Wanderung durch eine erkaltete Vulkanlandschaft.<br />
Und die <strong>Gitarre</strong> ist ein schlechtes Gerät,<br />
aber irgendetwas hat sie von Freiluftklang<br />
vielleicht. Jetzt habe ich sozusagen<br />
die <strong>Gitarre</strong> abgewandelt, habe Pseudogitarren.<br />
Ein Klavier kann eine – und wenn´s nur<br />
die Stimmungs – also nur die leeren Saiten<br />
von der <strong>Gitarre</strong> spielt, ist es eine Piano-<strong>Gitarre</strong>.<br />
Es kann auch eine verstimmte <strong>Gitarre</strong><br />
spielen, dann ist es eben vielleicht in der –<br />
die beiden E´s – ist dann kein E oder so irgendwas.<br />
Oder die Streicher können sogar<br />
eine gezupfte <strong>Gitarre</strong> oder auch eine Arco<br />
gespielte – dann wird der Begriff <strong>Gitarre</strong><br />
verschwommen. Oder wenn ich vier Pauken<br />
in Quarten stimme, dann tut es auch so –<br />
das ist für mich ein bewusstes Spiel. Dann<br />
passiert etwas – erstens, ich habe es am Anfang<br />
noch nicht gewusst, dass ich das machen<br />
werde. Und zweitens, was da alles an<br />
Klängen passiert, das sagt ja nicht einfach<br />
so, als wenn man nicht da ist (?), sondern<br />
was machst du jetzt mir? Also dann kommen<br />
Gesetze heraus, die schon während des<br />
Komponierens kenne. Ob das dann die gleichen<br />
sind, die wenn ich das später höre,<br />
noch einmal mich berühren, weiß ich nicht.<br />
Aber in dem Sinn meine ich, bin ich ein La-<br />
12 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
borant manchmal, dass ich so ein Topos<br />
nehme und nicht einfach – also wie es noch<br />
meine Altvorderen Seriellen gemacht haben,<br />
irgendwie mathematisch, oder messtechnisch<br />
behandelt. …<br />
WOLFGANG RIHM: Sondern inhaltlich.<br />
HELMUT LACHENMANN: Inhaltlich? … irgendeine<br />
Eigenschaft nehme, zum Beispiel,<br />
wenn ich sage, einfach <strong>Gitarre</strong> – das sind in<br />
diesem Fall, damit ich es erkenne, das sind<br />
leere Saiten.<br />
WOLFGANG RIHM: Das kann aber auch ein<br />
Körper sein. Ein weiblicher zum Beispiel.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist schon ziemlich<br />
weit. Da muss ein Pousseur ein Übergang<br />
darüber finden.<br />
WOLFGANG RIHM: Ein Übergang (lachen)<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber stimmt …<br />
WOLFGANG RIHM: Vom Pferdegetrappel …<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber dann noch<br />
ein Cello –<br />
WOLFGANG RIHM: Ein Kontrabaß<br />
HELMUT LACHENMANN: Wenn es mager<br />
wär, und dann vielleicht und so weiter …<br />
Ne, ich hab zum Beispiel Klavier als eine Ungitarre.<br />
Nicht mehr <strong>Gitarre</strong>. Oder einfach nur<br />
die leeren Saiten – und dann: so gut ich die<br />
leeren Saiten der <strong>Gitarre</strong> bemühe, kann ich<br />
die leeren Saiten des ganzen Streichapparats.<br />
Da habe ich irgendwie einen Grund, etwas,<br />
was im Grund vorher schon bekannt<br />
war, nämlich wie die leeren Saiten von einem<br />
Streichapparat klingen, die sind jetzt<br />
Schwestern oder Brüder oder irgendetwas<br />
von diesem <strong>Gitarre</strong>nkind ...<br />
WOLFGANG RIHM: Aber wie du da hinkommst,<br />
ist ja fast eine ich möchte mal sagen<br />
fast eine eulenspiegelhafte Wörtlichnehmung<br />
von Situationen. Also du sagst: Freiluft<br />
– ich irre umher. Bin also in der freien<br />
Luft. In der freien Luft erklingt die <strong>Gitarre</strong>.<br />
(lacht) Nicht … oder ich meine …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ein Spiel ja ja …<br />
WOLFGANG RIHM: Natürlich – das ist ja im<br />
schönsten Sinn ist es ein romantisches Spiel<br />
im Grunde. Also wirk ich dagegen ja wie ein<br />
einskalter Pragmatiker, der knallhart Töne<br />
setzt. Und du spielst da viel romantischer<br />
mit den Dingen umher.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das kann schon<br />
sein.<br />
WOLFGANG RIHM: Eben.<br />
HELMUT LACHENMANN: Nur dass ich eben<br />
sozusagen wie ein also romantisch nichts<br />
dagegen.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber dann stufe<br />
ich ab.<br />
WOLFGANG RIHM: (deutsch?)<br />
HELMUT LACHENMANN: Dann mache ich<br />
Abstufungen und so. Das hat schon so etwas<br />
mit also - ich bin jetzt nicht irgendwie<br />
seelisch erhitzt, ich bin vielleicht kreativ,<br />
grad begeistert, aber ich beobachte das eher<br />
so wie ein Chirurg, diese Eigenschaft und<br />
ich verwandle es und möglichst in Eigenschaften,<br />
die weit weg von der Sache sind –<br />
nochmal Pousseur. Dinge die – was hat das<br />
Pferdegetrappel mit der Eroica zu tun.<br />
Nichts! Jetzt plötzlich kommen die unter einem<br />
Dach und jetzt plötzlich sind sie beieinander<br />
und dann gibt es plötzlich irgendeine<br />
Beziehung, von der ich gar nichts wusste.<br />
Ja. Also in dem Sinn, bei mir umgekehrt, ich<br />
– in diesem Fall – nahm so ein Element und<br />
dann verwandle - verändere ich es, bis es<br />
zur Unkenntlichkeit verwandelt ist. Und da<br />
aber, jetzt habe wenigstens zum ersten Mal<br />
kann ich diese leeren Saiten benutzen und<br />
zugleich sagen, das ist nicht einfach unsere<br />
bekannte Leeren-Saiten-Klang. Das sind jetzt<br />
Surrogate von dem Anfangsbegriff, mit dem<br />
ich angefangen habe, der <strong>Gitarre</strong>. Die <strong>Gitarre</strong><br />
kann man einfach wegschmeißen. Aber<br />
dann habe ich die … das ist so ein biss´l der<br />
rationale – Apparat.<br />
WOLFGANG RIHM: Da ist aber sehr viel Hermeneutik<br />
auch drin.<br />
HELMUT LACHENMANN: In dem Fall ja.<br />
Wenn ich so darüber spreche.<br />
WOLFGANG RIHM: Sehr viel.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber zum Beispiel,<br />
die Anregung dazu, es gibt ein Stück –<br />
nicht nur eins, aber eines sehr deutlich, bei<br />
Nono. Canto suspeso IV. Das ist das einzige<br />
– nein nicht das einzige – eines von zwei a<br />
capella – also nur Instru – nicht a capella –<br />
wie sagt man da – ohne Sänger. Nur instrumental.<br />
WOLFGANG RIHM: Orchesterstücke.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Das in As-Dur ist.<br />
HELMUT LACHENMANN: Nein, der Canto suspeso<br />
– das ist nur in dem kleinen Oktavbereich<br />
zwischen dem eingestrichenen E unten<br />
und dem zweigestrichenen ES oben, diese<br />
Oktav. Und fängt an mit einem A in der Mitte,<br />
und es gibt eine Zickzack-Reihe …<br />
WOLFGANG RIHM: Eine Allton-Reihe.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, und die Dauern<br />
sind richtig, wie es damals sich gehörte, …<br />
WOLFGANG RIHM: Zwölf, elf,<br />
HELMUT LACHENMANN: In diesem Fall<br />
ganz arithmetisch zwölf elf zehn und so in<br />
Zickzackform – und das fängt an mit einem<br />
gewirbeltem Vibraphon, also immerhin ein<br />
perforierter Klang, und dann kommt einen<br />
Flatterzunge von Flöte – dann kommt eine<br />
Flatterzunge – und dann kommt eine Röhrenglocke<br />
– also ich kanns jetzt nicht genau<br />
alles sagen …<br />
WOLFGANG RIHM: Aber ich erinnere mich …<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber romantisch –<br />
das Text davor hieß: Dein Sohn wird die<br />
Glocken der Freiheit nicht mehr hören. Und<br />
was der Gigi da gemacht hat, ist er hat Glocken<br />
läuten lassen. Das Vibraphon läutet in<br />
Form von repetierten Schlägen gegen Metall.<br />
WOLFGANG RIHM: Schwingungen eben, ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, aber dann auch,<br />
obwohl das schon keine richtige echte Glocke<br />
mehr – eine Flatterzunge von einer Posaune.<br />
Oder nachher – es sind immer Flat
Helmut Lachenmann<br />
terzungen die nächsten oder gehaltene Sachen.<br />
Eine nach der anderen. Die eine hört<br />
auf, und die andere beginnt. Die eine beginnt,<br />
wenn die andere aufhört. Das geht<br />
sogar so weit, dass er irgendwo einmal einen<br />
kleinen Trommelwirbel einsetzt. Also<br />
auch wieder sowas wie Ruf. Würdest du vielleicht.<br />
Den Begriff Ruf habe ich von dir gelernt.<br />
Musik ruft manchmal. Also, ich unterstelle<br />
mal, er hat so einen Begriff, wie weit<br />
der jetzt bewusst ist, weiß ich auch nicht,<br />
Begriff: Die Glocken der Freiheit. Und wird<br />
dann so nicht mehr hören, dieser Abschiedbrief<br />
des Ermordeteten Partisanen. Und jetzt<br />
gibt es ein großes Geläute. Nacheinander.<br />
Und das Geläute erfasst jetzt irgendwann<br />
auch die Röhrenglocken. Die auch schon Surrogate<br />
sind von einer echten Glocke, natürlich.<br />
Glocken der Freiheit sind nicht Röhrenglocken.<br />
Aber die auch ein Vibraphon und<br />
Xylophon und Flatterzungen also irgendwie<br />
unter einem technischen Aspekt, nämlich<br />
des Fulato oder des Tremolo oder wie auch<br />
immer, fasst er jetzt plötzlich Klänge, die<br />
man schon kannte, den Vibraphonwirbel habe<br />
ich schon 1000 mal gehört, aber der ist<br />
jetzt eine Metaglocke.<br />
WOLFGANG RIHM: Gibt es überhaupt profane<br />
Glocken? Glocken sind doch immer im<br />
kirchlichen Zusammenhang.<br />
HELMUT LACHENMANN: Weiß Gott. Und Luigi<br />
Nono, der eigentlich nicht so arg kirchlich<br />
gesinnt war, ja, der hatte auch in den canti<br />
di vita et amore – am Ende kommen Glocken,<br />
aber dann eben gleich zwölf Stäbe, die<br />
werden gleichzeitig – d.h. aus den Glocken<br />
sind Metallstangen geworden. Also dieses<br />
Verfremdungsspiel finde ich halt von meinem<br />
Kopf her unheimlich anregend. Dann<br />
habe ich das Gefühl, jetzt bin ich in einem<br />
Bereich, den gab´s vorher noch nicht. Also<br />
bei ihm ist man jetzt in einem Bereich, den<br />
gab´s bei Nono so noch nicht. Also von<br />
dem habe ich mein <strong>Gitarre</strong>n zum Beispiel ge-<br />
lernt, über dieses Spiel. Aber ich streite<br />
überhaupt nicht ab, was dann passiert, ist ja<br />
nicht einfach, dass da jetzt einen Ausstellung<br />
von abgewandelten Gitarroiden daherschleicht<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Sondern es geht so und<br />
so um die Abstufung. Es geht nicht um das<br />
Wiedererkennen eines irgendwann mal hermeneutisch<br />
besetzten Zeichens, sondern um<br />
die Abstufungen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja und dann passieren<br />
Dinge, zum Beispiel sind dann Töne, die<br />
wir bilden. Also da gibt es Reibungen, plötzlich<br />
gibt es eine intervallische Anregunge.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich wollte gerade lachen,<br />
wir hören die Glocken der Freiheit da hinten<br />
(Bierkisten).<br />
HELMUT LACHENMANN: Das sind die Glocken<br />
des Mittagessens, die gibt es auch.<br />
WOLFGANG RIHM: Knastert da hinten –<br />
aber gut. Ne das ist schon.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich würde mir zutrauen<br />
manche – ich hab´s ja mal versuchen,<br />
manche Sachen von dir zu analysieren<br />
und du wusstest es nicht. Es können eine<br />
Menge Dinge passieren, die man nicht …<br />
WOLFGANG RIHM: Ich wollte darauf raus,<br />
dass diese Abstufungen auch mir sehr wichtig<br />
ist. Dieses den einen Klang als ja, noch<br />
mit Bestandteilen des anderen zu kontaminieren,<br />
und davon sukzessiv wegzugehen<br />
beziehungsweise hinzukommen. Also, das<br />
ist etwas, was ich ganz egal wie die Stücke<br />
jetzt klingen. Es gibt ja solche und solche,<br />
es ja Stücke mit starken Tonalitätsbezug<br />
und solche ohne. Das hat damit gar nichts<br />
zu tun. Ich gehe wirklich so beim Komponieren<br />
oft vor, dass mir die Bestandteile einer<br />
klanglichen Erscheinung in Abstufungen<br />
in anderen klanglichen Erscheinungen wichtig<br />
sind als Wiederkehrende. Aber nicht jetzt<br />
so als eins zu eins, sondern als Veränderte.<br />
Und das entspricht ja im Grunde diesem<br />
Vorgehen – es ist eben nur ein Vorgehen im<br />
Moment selber, an der Sache selber.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist deine<br />
Art …<br />
WOLFGANG RIHM: Das ist meine Art, damit<br />
umzugehen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich denke, es kann<br />
sein, dass du eher unmittelbar mit diesen<br />
Gedanken im Hinter- oder im Vorderkopf<br />
reagierst und weiterschreibst oder irgend so<br />
was. Und vielleicht auf viel überraschendere<br />
Resultate kommst, als einer, so der ganz bewusst<br />
sagt, das ist jetzt sozusagen der –<br />
das Thema, das Thema <strong>Gitarre</strong>, oder das<br />
Thema Glocke – und jetzt schaffe ich die<br />
Unglocken. Die Nicht-mehr-Glocken. Möglichst<br />
bis hin, dass das Pferdegetrappel ein<br />
Geglocke wird. Ich meine, der Gedanke ist<br />
spannend, ja. Aber es kann sein, dass bestimmte<br />
Dinge in meinem Temperament liegen<br />
würden oder in deinem liegen, dann<br />
gar nicht vorkommen. Und bei dir könnte<br />
ich eher dann …<br />
WOLFGANG RIHM: Ach, die setzen sich<br />
schon durch.<br />
HELMUT LACHENMANN: Du kannst dir dann<br />
hinterher deine Stücke angucken und sagen,<br />
was ist mir denn da passiert, was habe ich<br />
jetzt da für eine Versammlung von Zusammenhängen<br />
geschaffen, die du beim Schreiben<br />
selber gar nicht so genau …<br />
WOLFGANG RIHM: Ich merk das bei Stücken,<br />
die – ich hab ja solche Stückfamilien,<br />
weißt du – die durch Jahre hin immer weiter<br />
gehen. Ich hab jetzt grad wieder an einem<br />
der sehr Seraphin-Stück weitergeschrieben,<br />
das ist ein Ensemblestück von über einer<br />
Stunde geworden. Seraphin´s Sphäre<br />
nenne ich das. Da kommt es manchmal so,<br />
dass das Schichten von vor 15 Jahren plötzlich,<br />
indem sie mit ganz anderen Sachen<br />
konfrontiert sind, eben diese Abstufung von<br />
selbst leisten.<br />
HELMUT LACHENMANN: Von was?<br />
WOLFGANG RIHM: Von selbst leisten die die<br />
Abstufungen, von denen wir vorhin gesprochen<br />
haben, ohne dass ich das in irgendeiner<br />
Weise geplant hätte. Es ist – es kommt<br />
zu einer ganz starken ja Verwandtschaft der<br />
Ereignisse, nur auf Grund der Grundierung,<br />
die da ist. Es könnte Slaps von der Kontrabassklarinette<br />
sein, die sich durchziehen,<br />
aber es geschieht etwas völlig anderes und<br />
unter jedem<br />
Klang liegt so ein Impuls, und die bekommt<br />
dann eine gestufte Verwandtschaft. Das ist<br />
eigentümlich. Ich habe das gar nicht beabsichtigt,<br />
in der Weise. Man wird aber als<br />
Komponist oft gefragt: Haben sie das alles<br />
genauso gehört, wirst du ja auch gefragt.<br />
Was antwortest du denn dann?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ne, wenn ich es gehört<br />
hätte, würde ich es nicht aufschreiben.<br />
Ich will es erst mal hören.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, es geht mir genauso.<br />
HELMUT LACHENMANN: Klar, also das ist<br />
natürlich eine der oft gestellten Fragen: Haben<br />
sie das vorher gehört.<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 13
WOLFGANG RIHM: Das wird natürlich durch<br />
Vorstellungen –<br />
HELMUT LACHENMANN: Wie gehört – innerlich.<br />
Natürlich es gibt ein inneres Ohr, das<br />
gibt es schon.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, aber das ist ein Vorstellungsohr.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist eine Erinnerungsmaschine.<br />
Ich weiß schon, wie eine<br />
Almglocke klingt, oder ich weiß schon wie<br />
die und die Dissonanz klingt, und ich weiß<br />
schon, wie ein Streichertremolo klingt.<br />
WOLFGANG RIHM: Das ist eine Erfahrung,<br />
die du hast.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und dann kommt –<br />
was passiert wenn? Was passiert, wenn ich<br />
jetzt eine Kuhglocke in die Mitte von einem<br />
Streichertremolo setze und das abbreche,<br />
dieses ganze Spiel.<br />
WOLFGANG RIHM: Das ist Gruppen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Zum Beispiel, kann<br />
sein – ja – wie du willst. Es kommt drauf<br />
an. Das ist jetzt gemein.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich gehör genau den<br />
gleichen Schluss.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ahja, der Schluss,<br />
ja das stimmt. Ah, das war Zufall. Ja, ok.–<br />
Gut. Stimmt, der hat das gemacht. Ich träume<br />
noch von dem Stockhausen …<br />
WOLFGANG RIHM: Wo der Impuls den<br />
Klang bricht.<br />
HELMUT LACHENMANN: Was auch immer,<br />
eigentlich. Jede Begegnung von Dingen, die<br />
scheinbar so inkommensurabel zu sein scheinen,<br />
werden plötzlich verbindbar, weil man<br />
auf andere Ebene kommt, von wo aus sie<br />
miteinander etwas zu tun haben. Und das<br />
ist eigentlich, dort fängst du an zu komponieren,<br />
wie man so schön sagt, auf einem<br />
jungfräulichen Bereich. Weil die Klänge, die<br />
du zwar schon so kennst, jetzt in dem Zusammenhang<br />
andere sind. Das ist das alte<br />
Spiel. Also das ist halt – was man ja auch in<br />
meinem Fall inzwischen registriert hat, ich<br />
kratze zwar immer noch manchmal auf der<br />
Geige rum, aber so eine zum Beispiel die Bewegung<br />
oder ein konsonanter Klang, die ich<br />
eigentlich liebe, weil sie auch ein biss´l Heimat<br />
natürlich bedeuten. Ich weiß nicht, ob<br />
ich je Berührungsängste hatte. Das habe ich<br />
eigentlich nicht. Aber ich habe es jetzt ganz<br />
bewusst integriert und das Moment, was<br />
bei mir immer so auch als so als Etikett vorn<br />
weg weggeschleppt wird, die Energie des<br />
Komponierens –<br />
WOLFGANG RIHM: Was ist damit gemeint?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, die haben früher<br />
diesen Begriff musique concrète instrumentale,<br />
also Klänge, die oft durch ihre Verfremdung<br />
darauf hinweisen, dass da irgendein<br />
Material strapaziert oder geschmeichelt<br />
oder wie immer wird. Also Flageolett ist<br />
nicht einfach der Ton C. sondern Flageolett<br />
ist eine Form eine Saite anzuregen, die einerseits<br />
obertonärmer ist, als der zentrale,<br />
andererseits unheimlich einen sphärischen<br />
Klang hat. Und dann hört man nicht nur,<br />
14 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
was man hört, sondern man schließt, was<br />
passiert.<br />
Damit habe ich diese ganze Welt der Verfremdungen<br />
– ich mag nicht so gern sagen<br />
Geräusche, weil das klingt – das ist ein falsches<br />
Wort.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber der Verfremdungen<br />
einschließlich von auch Geräuschen<br />
oder auch so was – und inzwischen denke<br />
ich, ein Arpeggio oder eine gespielte Figur,<br />
fast eine musikantische Figur hat auch etwas<br />
– oder gerade die – haben etwas von<br />
Energie.<br />
WOLFGANG RIHM: Natürlich.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das habe ich<br />
manchmal ein biss´l ausgesperrt, eigentlich<br />
um mal erst von dem – von diesem a priori<br />
musikantischen Denken abzulenken – aber<br />
natürlich, es hat mich eingeholt. Das ist ja<br />
ganz klar.<br />
WOLFGANG RIHM: Es geht um Energieweitergabe<br />
– und das, was wir jetzt in Anführungszeichen<br />
musikantisch nennen, ist ja die<br />
Weitergabe im Vollzug des Weitergebens.<br />
Wir vollziehen als (?) sozusagen mit aha –<br />
da wird etwas weitergegeben. Aber weil es<br />
eben nicht nur die Tonpunkte sind, sondern<br />
das, was dazwischen – was dazwischen abläuft.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber trotzdem, ich<br />
meine – Jagden und Formen, und es gibt<br />
diese besessenen Rhythmen – ja. Die sind ja<br />
auch bewusst oder unbewusst irgendwo abgerufene<br />
Elemente aus einer wie auch immer<br />
motorischen Musik. Ich – bei mir auch,<br />
in diesem Streichquartett gestern, ich würde<br />
am liebsten reinschreiben: Gigue – das ist<br />
eine Gigue.<br />
WOLFGANG RIHM: Dom da da dom da da<br />
dom …<br />
HELMUT LACHENMANN: Nö, das ist keine<br />
Gigue.<br />
WOLFGANG RIHM: Dada dada dada dada ..<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist die 7te von<br />
Beethoven. Nein. Digigi Digigi Digigi – jaa –<br />
ja baba bam bada da badada … bobo …t t t<br />
- es ist eigentlich total musikantisch ja …<br />
WOLFGANG RIHM: Aber was meinst du mit<br />
ab… - du verwendest den Begriff des Abrufens<br />
oft.<br />
HELMUT LACHENMANN: Weil sie irgendwo<br />
in der Erinnerung da ist. Aus irgendeinem<br />
Bereich von Musik, den wir kennen. Und ich<br />
gehe jetzt nicht zurück an die alten – oder<br />
an die von mir unterstellten bloßen Ausgangsmaterialien<br />
des Klingens, sondern an<br />
fertige – von dem was wir Musik nennen.<br />
WOLFGANG RIHM: Gestaltete …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, fertige Gestalten.<br />
WOLFGANG RIHM: Gestaltete Partikel, ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Irgendwie vorgeformte<br />
Dinge. Die nicht selbstverständlich<br />
sind. Also das – die haben ja alle eine Eigenschaft,<br />
über die – ich weiß, ob wir da jetzt<br />
so viel darüber reden können, aber die mich<br />
sehr beschäftigt. Das Moment des Magischen.<br />
WOLFGANG RIHM: Darauf wollte ich nämlich<br />
raus. Das ist ja nicht nur, dass du etwas<br />
abrufst, sondern dass du dem in dem Moment<br />
den richtigen Platz gibst, weißt du. Einer<br />
der nur abruft, der ist dann umgeben<br />
von den Dingen, die er jetzt bestellt hat.<br />
Und dass die Stimme (ist bestimmt?) wie<br />
bestellt und nicht abgeholt – aber komponieren<br />
heißt eigentlich …<br />
HELMUT LACHENMANN: Er kann ruhig bestellen,<br />
aber muss auch abholen.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja. Komponieren heißt eigentlich,<br />
das Abholen auch beherrschen,<br />
nicht. Die Dinge zu nehmen, ffft – aber<br />
dann irgendwie auch weiterzugeben.<br />
HELMUT LACHENMANN: Genau. Aber dort –<br />
ich rede trotzdem vom Abrufen. Weil der<br />
erste Schritt ist der – und manchmal sind<br />
auch – also ich kanns – ich könnte es auch<br />
bei deiner Musik beschreiben. Und das kann<br />
man kritisch beschreiben oder unkritisch,<br />
kanns bei meiner Musik auch beschreiben.<br />
Sagen wir mal so. Mein drittes Quartett<br />
wird viel lieber gespielt und viel lieber gehört,<br />
als etwa der Gran Torso, das erste.<br />
WOLFGANG RIHM: Weil es abwechslungsreicher<br />
auf der ersten Ebene ist.<br />
HELMUT LACHENMANN: Nö.<br />
WOLFGANG RIHM: Helmut – doch. Es passiert<br />
mehr. Das ist doch ganz klar. Und der<br />
Hörer kann sich auf dieser ersten Ebene an<br />
Dinge anschließen und …<br />
HELMUT LACHENMANN: Und er kann sich<br />
identifizieren, wenn mit einem Rhythmus,<br />
mit – jetzt sage ich es noch mal: Mit abgerufenen<br />
magischen Objekten. Wobei der Begriff<br />
des Magischen, der ist noch nicht definiert<br />
jetzt. Aber ich sage es jetzt trotzdem<br />
mal schnell so. Mit Objekten, von denen ich<br />
unterstelle, dass sie einen kollektive Wirkung<br />
– oder deutliche Faszination fast. Das hat eigentlich<br />
jeder Ostinato-Rhythmus schon. Du<br />
brauchst irgendein Ding nur ostinat zu benutzen,<br />
dann hat es schon, ob man es will<br />
oder nicht, so eine Präsenz, …<br />
WOLFGANG RIHM: Richtig, ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: … die es gibt auf<br />
billigster Ebene … also meine Tochter Joko,<br />
als sie noch klein war, die will ich jetzt nicht<br />
weiter ins Spiel bringen, außer dass sie eben<br />
mir Angst gemacht hat, weil sie eben – hey.<br />
Weil sie im Techno quasi aufgegangen ist.<br />
Das waren Ostinati – zum Teil geistvoll gemacht,<br />
oder auch zum Teil geistlos gemacht,<br />
aber die haben funktioniert. Einfach weil sie<br />
eine gemeinsame Art von Glück für diese<br />
Generation oder von Trance und alle haben<br />
sich lieb, und alle sind miteinander in Bewegung<br />
und sind außerhalb des Alltag mit den<br />
Lehrern und den Eltern …<br />
WOLFGANG RIHM: Das ist ein nervliches<br />
Glück, nicht wahr.<br />
HELMUT LACHENMANN: Natürlich. Aber das<br />
hat alles andere verdrängt. Das wäre eine<br />
Form vielleicht billiger, aber zugleich von
Wolfgang Rihm<br />
mir immer noch respektierter Form, obwohl<br />
sie auch verhängnisvoll ist. Und es gibt – es<br />
gibt den Moment des Magischen auf allen<br />
Ebenen. Es gibt einen riesen Dienstleistungsbetrieb<br />
von magischen Elementen. Die<br />
einen gehen in den Techno, die anderen gehen<br />
zum Volksmusikantenstadl, die dritten<br />
gehen nach Salzburger Festspiele, die vierten<br />
gehen nach Bayreuth – vielleicht sogar<br />
nach Donaueschingen, weiß ich nicht.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: Da werden sie vielleicht<br />
schlechter bedient, aber vielleicht<br />
auch doch irgendwie, ja. Oder ja – bei bestimmten<br />
Komponisten wird Magie und mit<br />
allem Respekt, oder mit aller Vorsicht auch.<br />
WOLFGANG RIHM: Die Fliege (lacht)<br />
HELMUT LACHENMANN: Diese Fliege hat etwas<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Magisches (Lacht)<br />
HELMUT LACHENMANN: Magisches – ich<br />
mag isch überhaupt nicht. Soll ich sie fangen?<br />
WOLFGANG RIHM: Ja.<br />
HELMUT LACHENMANN: (Fängt sie!)<br />
WOLFGANG RIHM: Hast du sie.<br />
HELMUT LACHENMANN: Wer will sie haben?<br />
WOLFGANG RIHM: Entlasse sie.<br />
HELMUT LACHENMANN: Soll ich sie entlassen?<br />
WOLFGANG RIHM: Vielleicht kommt sie zu<br />
mir.<br />
HELMUT LACHENMANN: Jetzt kommt sie zu<br />
dir. – Gut. Ok. Als Fliegenfänger …<br />
WOLFGANG RIHM: Geeignet.<br />
HELMUT LACHENMANN: Nicht als Rattenfänger,<br />
aber als Fliegenfänger … hey, Mädle<br />
(wieder zur Fliege) … also die stört jetzt ein<br />
bisschen ja. Nein aber noch mal zu dem Begriff<br />
des Magischen zurück. Und als Komponist<br />
ich glaube wir können nicht – ich glaube,<br />
das muss man wissen – wir rufen eigentlich<br />
in irgendeiner Form Elemente des Magischen<br />
auf. Selbst wenn es nur ein Ton ist,<br />
den wir aushalten. In diesem dritten Quartett<br />
ist das Thema in Anführungszeichen<br />
nichts anderes als die Magie des gehaltenen<br />
Tons, den ich wieder zerbreche. Der sich<br />
dann auflöst in Bewegungen oder in Schwebungen<br />
oder auch in ein riesen C-Dur – d.h.<br />
das ganze Streichquartett ist ein Supercello,<br />
dessen Obertöne ich jetzt verstärke und so.<br />
Aber eigentlich diese Ausgangselemente<br />
sind ja – vertraut und als Vertraute haben<br />
sie dieses Element des unmittelbar Ansprechenden.<br />
Magischen. Das haben sie nicht,<br />
wenn ich drrrrrrr mache. Bei der Verfremdung.<br />
Jedenfalls nicht so schnell. Und dann<br />
kann das auch so weit kommen.<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, das ist eine andere<br />
Art von Magie, natürlich.<br />
HELMUT LACHENMANN: Erst einmal ist eine<br />
Befremdung, ist es eine Störung von Magie.<br />
Also es ist eine Irritation.<br />
WOLFGANG RIHM: Ne, finde ich nicht. Ich<br />
find´s schon eine andere Form von Magie.<br />
HELMUT LACHENMANN: Du vielleicht. – Zunächst<br />
nicht. Also jetzt mir der – meine Erfahrung<br />
ist einfach die – ich will das jetzt<br />
nicht weiter treiben. Kunst hat etwas mit<br />
Magie zu tun, weil sie diese Situation in irgendeiner<br />
Form beschwört. Aber ich würde<br />
nicht sagen, Techno ist Kunst. Da ist ein Moment<br />
des – der Dienstleistung für eine verfügbare<br />
Wahrheit drin und ersetzbar. Das ist<br />
mir egal, was da im Techno passiert. Irgendetwas<br />
anderes …<br />
WOLFGANG RIHM: Ich glaube eben noch etwas<br />
spricht dafür, dass man das übersieht.<br />
Es erlaubt nicht das momentane Spiel mit<br />
dem Medium. Es erlaubt nicht das momentane<br />
Spiel der Veränderung ins Gegenteil.<br />
Also in einem wild zum Technocharakter<br />
entschlossenen Musikstück kann´s nichts<br />
anderes geben, als dieses. Das kann nicht<br />
plötzlich umkippen in eine ganz andere<br />
Welt. Und dieses Umkippen in andere Welten,<br />
das ist etwas, was für mich Kunst ausmacht.<br />
HELMUT LACHENMANN: Genau, ich danke<br />
dir für diesen Hinweis. Das wollte ich nämlich<br />
genau sagen. Also Kunst (im Hintergrund<br />
Orchesterklänge) – wenn man den Begriff,<br />
der Begriff ist eigentlich vielleicht<br />
langweilig, aber ich finde, er wird langsam<br />
wichtig, weil er eingeebnet wird in alle<br />
möglichen Formen von Undertainement (Entertainment):<br />
Kunst wäre Magie, die in irgendeiner<br />
Form irritiert wird. Nono hat mir<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 15
damals im allerersten Brief geschrieben:<br />
Schauen sie, wie der Geist alles beherrscht.<br />
Also Magie beherrscht – d.h. in dem Moment<br />
bist du nicht einfach in Trance oder<br />
verzaubert, oder sowas, sondern du erinnerst<br />
daran, dass es einen menschlichen Willen,<br />
einen Geist gibt, der eingegriffen hat.<br />
Und das hat – was immer du abrufst, kann<br />
die erste Querfeldeinfaszination sagen, ah,<br />
wunderbar, Schumann. Oder ahh – wunderbar,<br />
archaische Rhythmen oder so etwas.<br />
Oder Gigue oder C-Dur. All diese Sachen –<br />
und das andere kann eigentlich nicht gezielt<br />
inszeniert werden, aber muss geschehen.<br />
Es muss – ich habe neulich im Wissenschaftskolleg<br />
darüber gesprochen. Und da<br />
habe ich auf Deutsch gesagt, gebrochene<br />
Magie. Und da war die Frage, wie übersetzt<br />
man das auf Englisch. Weil im Englischen<br />
klingt das nicht so aggressiv wie gebrochen<br />
– sondern ich hab gesagt, ich hab´s – suspended<br />
genannt – also unterbrochene Magie.<br />
Und zwar durch irgendeinen kreativen<br />
Ansatz. Und der ist bei mir manchmal so<br />
ein biss´l gesteuert. Also ich brauche irgendwelche<br />
Vorordnungen. Und deshalb sage<br />
ich, um zurückzugreifen auf das, was wir<br />
vorhin kurz gesprochen hatten, du bist näher<br />
dran nach meinem Eindruck. Du hast<br />
ein Vertrauen in ein kreatives – nicht Mechanismus.<br />
Ein kreatives Spiel, welches selbst<br />
diese ganze Brechung veranstaltet.<br />
WOLFGANG RIHM: Schön, dass du das so<br />
siehst. Ich nehme das mal so an.<br />
HELMUT LACHENMANN: Wenn das so nicht<br />
wäre, wäre es eigentlich …<br />
WOLFGANG RIHM: Was jetzt störend durch<br />
die Wand dringt, ist die Probe von meinen<br />
Jagden und Formen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Aus der Entfernung<br />
ist es dann magisch.<br />
WOLFGANG RIHM: Aus der Entfernung<br />
könnte es ein –<br />
HELMUT LACHENMANN: Irgendwas sein …<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, ein Ritual sein. Nur –<br />
mit Knochen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Na gut. Das interessiert<br />
mich halt. Erstens interessiert mich<br />
komischer Weise nicht bloß als Komponist<br />
sondern auch als Bundesbürger. Ich würde<br />
gern – ich kann nicht einfach – ich habe<br />
kein totales Vertrauen in unser Hören.<br />
WOLFGANG RIHM: Ins Hören?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, ich meine indirekt<br />
schon. Also jeder spürt schon hier ist<br />
so nach Shakespeare – ist es schon Wahnsinn,<br />
hat es doch Methode. Also man spürt<br />
es schon. Aber es gibt – es gibt irgendwie<br />
eine Bequemlichkeit beim Hören, die nicht<br />
Lust hat, so weit zu hören. Dann denke ich<br />
mir manchmal gut, viele Stücke von dir sind<br />
total unvorhersehbar. Man weiß nicht, was<br />
passiert.<br />
WOLFGANG RIHM: Selbst bei vertrautem<br />
Material.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, gerade eben.<br />
Bei der Fremden Szene III, die ich vorher<br />
16 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
nicht so bewusst gehört habe – eigentlich<br />
alles, finde ich auch o.k. – ich kann das vielleicht<br />
irgendwo zuordnen zu irgendeiner Erinnerung.<br />
Jetzt aber steht es da, wie bestellt<br />
oder wie nicht bestellt, aber von jemand<br />
ganz anderem abgeholt, als der, der<br />
das bestellt hat, ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Jaja. Weißt du …<br />
HELMUT LACHENMANN: Das ist auch der<br />
Grund, wieso ich mich auch nicht so auseinander<br />
dividieren lasse, weil ich natürlich –<br />
bei mir gibt es Begriffe, die in deiner Musik<br />
kein Mensch so schnell - mit der Verweigerung<br />
– ja – der mir jetzt anhaftet wie diese<br />
Fliege, ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich glaube, bei mir sitzt<br />
(?)<br />
HELMUT LACHENMANN: Schrecklich.<br />
WOLFGANG RIHM: Die Verweigerungsfliege.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, die Verweigerungsfliege.<br />
WOLFGANG RIHM: Sie guckt, auf wem sie<br />
ihre Eier ablegt.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, aber klar, solche<br />
diesen momentan Irritationen oder den unbewusst<br />
polemischen Kontakt, mit dem ich<br />
halt ein biss´l rumlaufe, oder gelaufen bin –<br />
inzwischen ist das alles – ich bin am Ende<br />
mir selber in den Rücken gefallen. Das<br />
Streichquartett ist ja …<br />
WOLFGANG RIHM: Wer sagt, dass du dir in<br />
den Rücken gefallen bist?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich. Ich sag das<br />
eher kokett.<br />
WOLFGANG RIHM: Du bist der einzige, der<br />
es darf.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, es sagen schon<br />
einige. Also die ganz frommen Lachenmann-<br />
Freunde – die sagen das schon, ja. Der Verräter.<br />
Ich bin nicht mehr so schön hässlich<br />
wie es sein … (lachen) Also meine Musik ist<br />
nicht mehr so schön hässlich, wie es einmal<br />
war.<br />
WOLFGANG RIHM: Das ist ja fast rührend.<br />
HELMUT LACHENMANN: Der gute schlechte<br />
Ruf geht hin, ja. Allmählich. Geht kaputt.<br />
Aber weil es – ja genau – weil das auch wieder<br />
schon zum Magischen – d.h. zum Medium<br />
von irgendeiner Form Undertainmentwerden<br />
kann. Solange die Hörer irgendwie<br />
beim Hören ein biss´l selber kreativ mitwirken<br />
müssen, ist es gut.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich mein, gestern,<br />
dieses – wie lange dauert die Fremde Szene<br />
III?<br />
WOLFGANG RIHM: 15 – 16 Minuten.<br />
HELMUT LACHENMANN: 15 – das ist doch<br />
absolut puhhh – ja - aber sag mir bloß nicht<br />
was über Form dadrüber.<br />
WOLFGANG RIHM: Es hat seine Form. Ich<br />
müsste noch erzählen, das habe 1982 in Paris<br />
geschrieben. Da war ich fast jeden Tag irgendwie<br />
in einem IRCAM-Konzert – und<br />
auch immer im Centre Pompidou, da hatte<br />
ich so ein Stipendium Cité des Arts und da<br />
hatte ich dieses Atelier im Beethoven (?) –<br />
und da stand ein völlig abgespieltes Klavier<br />
drin. Und in dieser Cité des Arts und da<br />
stank es immer, das war fürchterlich. Und<br />
ich wohnte aber in dieser kleinen Wohnung,<br />
die der Wilhelm – der Wilhelm hat in der<br />
rue Mormoraucie (?) eine kleine Wohnung.<br />
HELMUT LACHENMANN: Welcher Wilhelm?<br />
WOLFGANG RIHM: Killmayr.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ach so – in Paris?<br />
WOLFGANG RIHM: Ja. Eine ganz kleine Wohnung.<br />
Und da wohnte ich – und dann habe<br />
ich – bin ich immer in das Studio gegangen<br />
und hab dann auf dem Klavier gespielt und<br />
geschrieben und da ist das entstanden.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja – und es ist total<br />
formlos dieses Stück. Wenn du irgendwie<br />
meinst, es gibt so irgendwie eine Form<br />
von artikulierter Bestimmung dessen dazu<br />
(?). Die Form könnte man hinterher versuchen<br />
zu beschreiben.<br />
WOLFGANG RIHM: Wie man die Morphologie<br />
von einer Landschaft beschreibt. Oder …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das kannst du<br />
schon beschreiben. Vielleicht. Ich denke –<br />
und plötzlich gibt es auch irgendwelche in<br />
Anführungszeichen architektonischen Prinzipien,<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Natürlich …<br />
HELMUT LACHENMANN: Die man mit der<br />
Zeit rausholt – aber wenn man mit denen<br />
anfangen würde, müsste man sie wieder<br />
aufbrechen. Also – die Form ist nie das, was<br />
der Komponist formt. Sondern die Musik<br />
formt sich.<br />
WOLFGANG RIHM: Kaum reden wir wieder,<br />
ist die Fliege wieder da.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja gut, das ist meine<br />
Verweigerungsfliege. Nächstes Mal bringe<br />
ich dich um. Vor allen Leuten.<br />
WOLFGANG RIHM: Jetzt hat sie es gemerkt.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ne …<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, ich habe vorhin, als<br />
du so elegant die Fliege gefangen hast, habe<br />
ich gedacht, das wäre natürlich jetzt<br />
fürchterlich, wenn sie sich zu mir hinsetzt,<br />
und ich haue drauf und sie ist kaputt.<br />
HELMUT LACHENMANN: Er gab der Fliege<br />
einen Hieb, worauf sie starb und sitzen<br />
blieb.<br />
WOLFGANG RIHM: … und sitzen blieb.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, genau. Aber<br />
zum Beispiel – ich meine – von mir gibt es<br />
ein Stück, Kinderspiel erstes Stück. Ja. Na<br />
klar, das fängt rechts an und hört links auf.<br />
WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke.<br />
HELMUT LACHENMANN: Was?<br />
WOLFGANG RIHM: Das tun viele Stücke.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, manche fangen<br />
auch links an und hören rechts an – also<br />
meins fängt rechts an und hört links – das<br />
sind alle Tasten durch. Und dann ist das<br />
Stück zu Ende. Also die Form ist eigentlich<br />
bestimmt.<br />
WOLFGANG RIHM: Funktion und Form fallen<br />
zusammen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich find sowieso –<br />
also noch einmal, weil ich … ich hab ein<br />
biss´l eine nostalgische Liebe zum Seriellen
– Denken. Wenn man das Serielle nicht<br />
meint, jetzt geht es um irgendwelche messbare<br />
Abstufungen innerhalb irgendeiner Eigenschaft.<br />
Sondern um Abstufungen, die<br />
unter dem Begriff der Familie, von Dingen,<br />
die zusammengehören, wenn man das so<br />
sieht, dann wäre Form das, dass ich eigentlich<br />
– also wenn ich die Familie vorstellen<br />
will, dann stelle ich vielleicht nicht zuerst<br />
unbedingt den Vater vor, aber den ältesten<br />
Sohn und dann vielleicht die Hausgehilfin<br />
und dann kommt die Mutter und dann<br />
kommt der Hund und dann stelle ich vielleicht<br />
noch den älteren Bruder vor …<br />
WOLFGANG RIHM: Nach dem Hund?<br />
HELMUT LACHENMANN: Der Hund gehört<br />
auch dazu.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber der ältere Bruder<br />
nach dem Hund?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ist egal. Ja. Also<br />
das sind diejenigen, die zusammen einen<br />
Schicksalsgemeinschaft bilden.<br />
WOLFGANG RIHM: Die Simpsons.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und vielleicht sogar<br />
– ja, kann sein – und ein Bruder, der ist<br />
zurzeit leider im Studium in Australien, den<br />
kann ich jetzt nicht zeigen, aber ist egal.<br />
Und dann habe ich die Familie eigentlich<br />
vorgestellt. Und in dem Moment, wo ich ein<br />
Bild von der Familie habe, ist die Vorstellung<br />
perfekt. Also die Form ist in dem Fall<br />
das Abtasten eines Ganzen nach einem<br />
Spiel, was nicht ganz klar ist. Das hängt davon<br />
ab. Und manchmal – wie im Kinderspiel<br />
– taste ich das Klavier ab.<br />
WOLFGANG RIHM: Dann ist die Familie aber<br />
schon vorher da?<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist Arpeggio<br />
– Arpeggio heißt: C-Dur ist schon von<br />
Anfang an da, aber erst höre ich mal ein E,<br />
weiß noch nicht, was passiert – und höre<br />
vielleicht später ein G, weiß nicht, ob es<br />
nicht vielleicht e-moll draus wird. Und dann<br />
kommt das C.<br />
WOLFGANG RIHM: Könnte immer noch<br />
dann ein B folgen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und dann wird die<br />
Familie wieder erweitert und ich muss wieder<br />
mich neu wieder mit einem anderen Gebilde<br />
befassen. Aber eigentlich ist Form die<br />
Projektion von einer Gleichzeitigkeit – die<br />
mit in Rechnung stellen muss, dass die Zeit<br />
vergänglich ist. Also es ist nicht wie in der<br />
Architektur, wo ich sage, diesen Raum kann<br />
ich mit verbundenen Augen allmählich erschließen,<br />
indem ich da herumspaziere, sondern<br />
der Raum bleibt da stehen. Die Zeit<br />
geht weg. Also ich brauche Gedächtnis, ich<br />
muss wissen, auch ein unbewusstes Gedäch…<br />
ich weiß schon – oder meine – mein<br />
Bildschirm, oder wie nennt man das – so –<br />
der hat schon die und die Information gespeichert,<br />
vielleicht habe ich es im Gedächtnis<br />
nicht bewusst, aber wenn dann wieder<br />
etwas kommt, das dem entspricht, dann erinnert<br />
man sich.<br />
WOLFGANG RIHM: Schön, dass du vorhin<br />
gesagt hast, der Raum bleibt stehen. Es<br />
bleibt natürlich nicht der Raum stehen, aber<br />
genauso erfahren wir es ja. Der Raum bleibt<br />
stehen. Es bleibt die den Raum schaffende<br />
Vorrichtung, die die Umhüllung, die Architektur<br />
ist, die bleibt stehen. Das Bemessene<br />
darin, in dem wir uns bewegen, das ist immer<br />
schon da gewesen. Aber nur durch die<br />
Architektur …<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich kann das eben<br />
wiederholen. Ich kann das nur noch mal<br />
machen. Deshalb finde ich auch, zum Beispiel,<br />
also ich bin froh, dass wir die Fremde<br />
Szene III ein zweites Mal gehört haben.<br />
WOLFGANG RIHM Gestern.<br />
HELMUT LACHENMANN: Total anders. Mein<br />
letztes Gedächtnis hatte einige Dinge gespeichert<br />
– also es gibt ein unbewusstes Gedächtnis.<br />
Und wenn dann das kommt, oder<br />
wenn dann eine Analogie kommt, dann<br />
springt das an und sagt: Das ist eine andere<br />
Form von …<br />
WOLFGANG RIHM: Aber das entspricht ja<br />
genau dem, dass es – wenn Interpreten ein<br />
Stück oft gespielt haben, zu diesen Darstellungsweisen<br />
überhaupt erst kommt. Guck<br />
mal, die drei jungen Frauen, die gestern das<br />
Trio gespielt haben, die haben das schon<br />
sehr lange an dem gearbeitet und oft gespielt.<br />
Die spielen das jetzt mit einer großen<br />
Selbstverständlichkeit, so wie sie eigentlich<br />
ein klassisches Stück auch spielen.<br />
Und das ist was ganz anderes.<br />
HELMUT LACHENMANN: Weil sie am Anfang<br />
schon wissen, was passiert.<br />
WOLFGANG RIHM: Was sie bringen werden.<br />
Was sie zeigen werden. Und genau das teilt<br />
sich dem Hörer mit. Und da ist diese ganze<br />
Anfangsungewissheit weg. Das was die –<br />
was die klassische Musik so robust macht,<br />
wenn sie im Konzert ist, die wirkt ja unzerstörbar,<br />
aber eben weil sie durch Jahrhunderte<br />
und durch ganz viel Hören dem einzelnen<br />
individuellen Hören vertraut geworden<br />
ist.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das schwimmt<br />
da drinnen. Es wird nur erinnert. Déjâ entendu.<br />
WOLFGANG RIHM: Und deswegen wird eine<br />
Musik, die jetzt neu entsteht, immer auch<br />
eine – ja, wie ein Neophyt eben, eine<br />
Schwäche haben, schutzbedürftig sein. Wie<br />
ein Neugeborenes. Das ist noch – hat noch<br />
keine harte Haut.<br />
HELMUT LACHENMANN: Und da gibt es eine<br />
vorauseilende Angst des Komponisten,<br />
dem entgegenzuwirken, indem er eine Form<br />
schafft.<br />
WOLFGANG RIHM: Und den Stücken ein<br />
Schildkrötenpanzer mitgibt.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das Stück war zwar<br />
ziemlich beschissen, aber es hatte eine gute<br />
Form.<br />
WOLFGANG RIHM: Die Form war klasse,<br />
gell. Das Stück ist net gut – aber die Form.<br />
HELMUT LACHENMANN: So reden manchmal<br />
…<br />
WOLFGANG RIHM: Kenner. – Aber so haben<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 17
Die<br />
Bach-Gesamtausgabe<br />
für <strong>Gitarre</strong><br />
Sämtliche <strong>Laute</strong>nwerke von<br />
Johann Sebastian Bach für <strong>Gitarre</strong><br />
eingerichtet von Ansgar Krause<br />
Ansgar Krause hat in den letzten Jahren alle<br />
<strong>Laute</strong>nwerke Bachs kompetent für sein Instrument<br />
eingerichtet und dabei vielfach<br />
neue Wege beschritten, nicht zuletzt in der<br />
Wahl der Tonarten. Die Bearbeitungen Krauses<br />
klingen überzeugend und unverbraucht<br />
– sie sind im Konzert erprobt und auf CD<br />
dokumentiert. Durch die Erwähnung der<br />
Abweichungen vom <strong>Laute</strong>n-Original liegen<br />
textkritische Editionen vor.<br />
■ Suite g-moll BWV 995<br />
EB 8232 € 8,90<br />
In seinem Vorwort begründet Krause die<br />
Wahl der Tonart g-moll, mit der sich seine<br />
Version von den gängigen a-moll-Einrichtungen<br />
unterscheidet. Die Bearbeitung<br />
nähert sich so Bachs Violoncello-Satz, der der<br />
<strong>Laute</strong>nfassung eigentlich zu Grunde liegt.<br />
■ Suite e-moll BWV 996<br />
EB 8233 € 7,90<br />
■ Partita c-moll BWV 997<br />
EB 8234 € 9,50<br />
Krause lehnt bei BWV 997 den üblichen Titel<br />
„Suite“ als stilistisch und das gängige a-moll<br />
als satztechnisch problematisch ab, lässt das<br />
überzeugendere h-moll greifen bzw. (mit<br />
Kapodaster) das originale c-moll erklingen.<br />
■ Prelude, Fuga und Allegro BWV 998<br />
5771002 € 9,50<br />
■ Prelude BWV 999 & Fuga NEU<br />
nach BWV 1000, 1001 und 539<br />
EB 8235 € 7,90<br />
Die bei J. S. Bach oft mehrschichtige Überlieferung<br />
wird überzeugend genutzt: für die<br />
Fuge BWV 1000 liefert stellenweise Bachs<br />
eigene Bearbeitungstechnik für Orgel (in<br />
BWV 539) gitarrengerechte Lösungen.<br />
Weitere Bach-Bearbeitungen von Ansgar<br />
Krause im Katalog «Edition Breitkopf».<br />
www.breitkopf.de<br />
NEU<br />
Breitkopf Härtel<br />
18 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
sie schon zu Zeiten von Brahms – zu Zeiten<br />
von Debussy – zu Zeiten von X Y Z geredet.<br />
Immer. Die Kenner, die wussten immer Bescheid.<br />
Leider hat der Komponist noch Musik<br />
reingetan. Aber …<br />
HELMUT LACHENMANN: Deswegen haben<br />
sie den Bruckner nicht so gemocht. Oder?<br />
WOLFGANG RIHM: Ja, zum Beispiel.<br />
HELMUT LACHENMANN: Formlos.<br />
WOLFGANG RIHM: Formlosigkeit ist immer<br />
der Vorwurf sagen wir mal eines eingehörten<br />
Hörens, eines bereits etablierten und<br />
wissenden Hörens gegenüber einer Erscheinung,<br />
die eben nicht vertraut ist. Es gibt<br />
auch ein wissendes Avantgarde-Hören.<br />
Weißt du, ein ein – das ist uns ja oft begegnet.<br />
Ein – so eines von oben herab in die<br />
Musik Reinhörens.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das meinte ich ja,<br />
die vorauseilende Vorsorge des Komponisten.<br />
Das ist doch …<br />
WOLFGANG RIHM: Dass man dem entspricht.<br />
HELMUT LACHENMANN: Dass man dem …<br />
ja ja. Oder eigentlich. Ich wundere mich.<br />
Manchmal die Leute machen bungi-jumping,<br />
die machen Wildwasserfahrten, die machen<br />
durch die Sahara …<br />
WOLFGANG RIHM: Ich nicht.<br />
HELMUT LACHENMANN: … und so. Und im<br />
Konzertsaal?<br />
WOLFGANG RIHM: Darf sich nichts bewegen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Feige oder faul.<br />
Oder ich weiß nicht. Da mal einfach sich –<br />
also es gibt ein Stück, das ich immer noch<br />
liebe, das ist Tombeau von Boulez. Das eigentlich<br />
– natürlich kann ich sehen, wie er<br />
es organisiert hat. Das kann man dann<br />
Form nennen. Aber diese Organisation, die<br />
erblickst du nicht. Sondern du bist praktisch<br />
einem einer Landschaft ausgesetzt, von der<br />
man nicht weiß, was im nächsten Moment<br />
passiert. Das finde ich sein anarchischstes<br />
Stück formal gesehen, obwohl es - du<br />
kannst es wie ein Sextett untersuchen. Es<br />
sind sechs Gruppen, und er kombiniert einmal<br />
eins und sechs, oder alle sechs, oder<br />
nur … es gibt also schon ein Generierungspiel,<br />
wo alle Spielvarianten einmal vorkommen.<br />
Das ist sozusagen der Schutz, hat aber<br />
mit der Form nichts zu tun. Weil das erkennst<br />
du natürlich beim Hören so nicht.<br />
Da bist du in einem Dschungel und entweder<br />
fühlst du dich wohl in dem Dschungel,<br />
und sagt, Mensch, endlich mal im Dschungel.<br />
Oder du sagst: Um Gottes willen, ich<br />
will raus, ja.<br />
WOLFGANG RIHM: Endlich mal im Dschungel.<br />
HELMUT LACHENMANN: Das meine ich mit<br />
den Wildwasserfahrten oder so, warum trauen<br />
die Leute sich nicht endlich mal in den<br />
Dschungel. Da muss man etwas vorher erklären,<br />
damit sie sich irgendwas zum Anklammern<br />
haben. So ein Kompass oder irgend<br />
sowas. Und ich finde viel wichtiger,<br />
dass ein Hörer lernt in Anführungszeichen<br />
(Probenklänge im Hintergrund), dass es ein<br />
Abenteuer gibt. Als eine Wünschbarkeit und<br />
nicht als … Abenteuer hat immer etwas mit<br />
dem sogenannten Risiko zu tun, das man<br />
hinterher nicht mehr der gleiche ist wie vorher.<br />
Das – also einmal – ich habe es noch<br />
nie gemacht, wirklich, dass man von weiß<br />
nicht wie viel hundert Meter rausspringt.<br />
WOLFGANG RIHM: Ich will´s auch nicht.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ne.<br />
WOLFGANG RIHM: Das würde meiner Physis<br />
nicht bekommen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja gut. Es ist frivol.<br />
WOLFGANG RIHM: Dafür muss man gebaut<br />
sein.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ich meine, das<br />
sind ja schon alles Spiele mit den Grenzerfahrungen<br />
des Lebens. Also mit Tod und<br />
mit Leben.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele …<br />
HELMUT LACHENMANN: Aber das kann ich<br />
in Kunst je auch, diese Grenze.<br />
WOLFGANG RIHM: Aber das sind Spiele, die<br />
das von außen inszenieren, würde ich sagen.<br />
HELMUT LACHENMANN: Ja, das ist ja wieder<br />
Dienstleistung. Das ist wieder Undertainment,<br />
an der äußersten Grenze. Aber ich<br />
denke …<br />
WOLFGANG RIHM (lacht): … da kommst sie<br />
wieder (die Fliege).<br />
HELMUT LACHENMANN: Was machen wir<br />
denn mit der Fliege.<br />
WOLFGANG RIHM: Die beziehen wir ein,<br />
das ist vielleicht – die ist vielleicht Pfarrer.<br />
Pfarrer Fliege.<br />
HELMUT LACHENMANN: Zwei Gefühle, eine<br />
Fliege.<br />
WOLFGANG RIHM: Zwei Klappen – eine Fliege.<br />
HELMUT LACHENMANN: Wir schlagen eine<br />
Fliege mit zwei Klappen. – Also …<br />
© inpetto filmproduktion berlin 2007
Das klinget so<br />
herrlich ...<br />
Nachträge zum Mozartjahr 2006<br />
Von Peter Päffgen<br />
Die Oper, die zur Prager Krönung<br />
von Kaiser Leopold II. aufgeführt<br />
werden sollte, musste eine<br />
„opera seria“ sein, eine seriöse Oper.<br />
Und neu sollte sie sein, neu, was Libretto<br />
und die Musik anging! Domenico Guardasoni,<br />
Impressario des böhmischen<br />
Nationaltheaters, führte die Verhandlungen,<br />
und zwar zuerst mit Antonio Salieri.<br />
Der konnte nicht, war überlastet.<br />
Schließlich fragte er Mozart. Haken an<br />
Guardasonis Angebot war, dass die Krönung<br />
schon am 6. September 1791 stattfinden<br />
sollte – die Verhandlungen begannen<br />
am 14. Juli des gleichen Jahres,<br />
weniger als drei Monate vorher.<br />
Ein weiser Oberstburggraf des Königreichs<br />
Böhmen, Heinrich Franz von Rottenhan,<br />
hatte schon gleich zu Beginn<br />
der Aktion Bedenken angemeldet: Sollte<br />
die Zeit zu knapp bemessen sein, meinte<br />
er, sollte der „Tito“ von Pietro Metastasio<br />
(1698-1782) genommen werden,<br />
ein bewährter Stoff, den schon Antonio<br />
Caldara 1734 vertont hatte und vierzig<br />
Komponisten nach ihm, unter ihnen<br />
Christoph Willibald Gluck. Caterino<br />
Tommaso Mazzolà, sächsischer Hofdichter,<br />
zu der Zeit in Diensten der Habsburger<br />
in Wien, überarbeitete den Text –<br />
Mozart schrieb die Musik. Das Angebot,<br />
das Gardasoni Mozart machte, war lukrativ<br />
genug, die Arbeit an der Zauberflöte<br />
für kurze Zeit ruhen zu lassen. Man<br />
munkelt, er solle das Doppelte von<br />
dem, was er normalerweise für eine<br />
Oper forderte, bekommen haben!<br />
Erst in Prag, wo Mozart und Mazzolà am<br />
28. August 1791 ankamen, entstanden<br />
die letzten Stücke der Partitur – gut eine<br />
Woche später war die erste Aufführung.<br />
Ludwig Finscher hält zwar die<br />
Behauptung, die Partitur zu La Clemenza<br />
sei in 18 Tagen entstanden für „eine<br />
Legende der Mozart-Literatur“ weist<br />
aber darauf hin, „dass Mozart die Seccos<br />
[...] von einem Helfer, wahrscheinlich<br />
Franz Xaver Süßmayr, komponieren ließ“<br />
– so sehr drückte die Zeit. 1<br />
La Clemenza wurde bis zum 30. September<br />
in Prag gegeben, und dies war der<br />
Tag, an dem in Wien die Zauberflöte<br />
uraufgeführt wurde. Der Erfolg (von La<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 19
Clemenza) war mäßig, steigerte sich in den<br />
späteren Aufführungen aber sogar so weit,<br />
dass sie „bis ins 19. Jahrhundert hinein die<br />
erfolgreichste Mozart-Oper nach Don Giovanni<br />
und Zauberflöte“ 2 werden sollte. Ins Deutsche<br />
wurde ihr Libretto übersetzt, ins Russische,<br />
Dänische, Schwedische und in andere<br />
Sprachen, in denen sie auch aufgeführt wurde.<br />
Aber wenig später, schon nach 1820, geriet<br />
sie beinahe völlig in Vergessenheit.<br />
Die Einspielung unter der Leitung von Charles<br />
Mackerras mit Rainer Trost (als Tito), Magdalena<br />
Kozená (als Sesto), Hillevi Martinpelto<br />
(als Vitellia) und Lisa Milne (als Servilia) ist<br />
im Sommer 2005 entstanden und im Mozart-<br />
Jahr herausgekommen. 3 Als erste Gesamtaufnahme<br />
nach mehr als zehn Jahren hat sie<br />
nicht viele Konkurrenten auf dem internationalen<br />
Markt, eine davon hat Nikolaus Harnoncourt<br />
dirigiert, und sie geht auf eine Zürcher<br />
Aufführung aus dem Jahr 1993 zurück.<br />
Es gibt Parallelen zwischen Mackerras und<br />
Harnoncourt, besonders, was ihre Einspielungen<br />
der Clemenza angeht. Das Überbetonen<br />
von Affekten, das Beschweren kleinster Fügungen<br />
und die damit einhergehende Dramatisierung<br />
des gesamten Werks, das ist beiden<br />
gemeinsam, aber sie gehen anders vor. Harnoncourt<br />
sucht die Bedeutung in jeder Phrase<br />
eines musikalischen Werks und nimmt<br />
nichts leichtfüßig als so und nicht anders –<br />
der „grimmige Grübler“ eben! Und Charles<br />
Mackerras schöpft aus dem Vollen, malt in Öl<br />
und nicht mit Pastellfarben, sucht nach Leidenschaft<br />
und großen Gefühlen.<br />
Diese Einspielung beschert dem Hörer sehr<br />
viele Entdeckungen. Das Scottish Chamber<br />
Orchestra zum Beispiel geizt überhaupt nicht<br />
mit Klang und kokettiert gern mit Virtuosem,<br />
der Chor unter Mark Hindley wirkt geschlossen,<br />
homogen, manchmal suggestiv mahnend<br />
und klagend und für Magdalena Kozená<br />
als Sesto möchte ich das große Wort „Idealbesetzung“<br />
bemühen! Bravi!<br />
Harnoncourt übrigens hat im Mozartjahr eine<br />
Neuinszenierung von La Clemenza anlässlich<br />
der Salzburger Festspiele dirigiert und auch<br />
an anderen Häusern ist die Oper (wieder) im<br />
Programm.<br />
20 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
La clemenza di Tito erlebte schon 1805, so<br />
Finscher 4 mehr Klavierauszüge mit Texten in<br />
deutscher Sprache als Mozarts Figaro, die<br />
Oper erfreute sich also großer Popularität.<br />
Kein Wunder also, dass sich auch die Gitarristen<br />
für sie interessierten. 1806, als Mauro Giuliani<br />
(1781-1820) sich in Wien niederließ,<br />
war Mozart schon fast fünfzehn Jahre tot,<br />
und doch bestand Nachfrage nach seinen<br />
Werken, zum Beispiel der Clemenza-Ouvertüre,<br />
sonst hätte weder Giuliani sie für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />
bearbeitet noch hätte sein Wiener Verlag<br />
Artaria & Comp. die Bearbeitung im<br />
Druck herausgebracht. Beworben wurde die<br />
Ausgabe am 22. April 1812, sie wird also zu<br />
dieser Zeit erschienen sein 5 . Später kam das<br />
Stück auch bei Richault in Paris heraus. Brian<br />
Jeffery, der Herausgeber einer Ausgabe sämtlicher<br />
Werke von Mauro Giuliani in Form von<br />
Reprints der Originalausgaben 6 , hat die Richault-Ausgabe<br />
für seine Edition verwendet,<br />
weil das einzige nachgewiesene Exemplar der<br />
Artaria-Ausgabe von 1812 in der Österreichischen<br />
Nationalbibliothek in Wien (Signatur<br />
Mc 13936) tatsächlich schlecht lesbar ist. Sie<br />
ist, so schreibt Jeffery, „almost certainly copied<br />
from the Artaria edition and identical<br />
with it in most notational details” 7<br />
Bemerkenswert an der Bearbeitung ist die<br />
Tatsache, dass Giuliani zwei <strong>Gitarre</strong>n besetzt<br />
hat, wobei für eine „Con capotasto alla terza<br />
posizione o tasto“ vorgegeben ist: „mit Kapodaster<br />
im dritten Bund.“ Was er damit vorweggenommen<br />
hat, wurde später Terzgitarre 8<br />
genannt oder chitarra terzina oder chitarra<br />
terza. 9 Zu dieser Zeit wurde die Terzgitarre –<br />
bzw. hier ist es expressis verbis eine „Normalgitarre“<br />
mit Kapodaster – in Giulianis gedruckten<br />
Werken erstmalig verwendet.<br />
Einen kritischen Bericht zu dieser Ausgabe<br />
finden Sie im Internet unter www.peter-paeffgen.eu.<br />
Einige Fehler sind korrigiert worden,<br />
einige Auslassungen ergänzt – dort finden<br />
Sie präzise Angaben.<br />
Wenn im Zusammenhang mit Wolfgang Amadeus<br />
Mozart von Libretti die Rede ist, fallen<br />
zwei Namen sofort: Emanuel Schikaneder<br />
(1751–1812) und Lorenzo da Ponte. Der eine<br />
war ein mit allen Wassern gewaschener Theatermann,<br />
der sein Leben lang von einer Bühne<br />
zur anderen zog und ein Gespür dafür hatte,<br />
was beim Publikum ankam und was nicht.<br />
Für Mozart schrieb er 1791 das Libretto zur<br />
„Zauberflöte“. Sein Name lebt weiter, unter<br />
anderem in einer Wiener Bar mit Programmkino,<br />
einem „Ort der Kommunikation, Projektion,<br />
Audition, Vision, Kunstpräsentation und Getränkekonsumation“.<br />
10<br />
Der andere, Lorenzo da Ponte, schrieb die<br />
Operntexte für „Le nozze di Figaro“, „Don<br />
Giovanni“ und „Così fan tutte“, „drei der<br />
größten Opern aller Zeiten.“ 11 Nach ihm ist in<br />
Wien ein „Institut für Librettologie“ benannt,<br />
in Berlin ein Unternehmen, das sich mit Unternehmenskommunikation<br />
befasst und ein<br />
zeitgenössischer österreichischer Dichter hat<br />
Wolfgang Amadeus Mozart: Overtura<br />
dell’Opera La Clemenza di Tito di<br />
Mozart ridotta per due Chitarre da<br />
Mauro Giuliani, revidiert und herausgegeben<br />
von Peter Päffgen<br />
1791, in Mozarts Sterbejahr, wurde La<br />
Clemenza di Tito zum ersten mal gegeben,<br />
und zwar in Prag anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten<br />
von Kaiser Leopold II. 1812.<br />
21 Jahre später kam sie in Wien bei Artaria<br />
& Comp. in Bearbeitung für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />
heraus – für <strong>Gitarre</strong> und Terzgitarre, gesetzt<br />
von Mauro Giuliani. „Con capotasto alla<br />
terza posizione o tasto“ steht über dieser<br />
und der Ausgabe, die ein paar Jahre später<br />
bei dem Pariser Musikverleger Richault herauskam.<br />
Die Berabeitung der Ouvertüre steht in C-<br />
Dur, obwohl die erste <strong>Gitarre</strong> scheinbar in<br />
A-Dur geschrieben ist, dies, weil sie einen<br />
Kapodaster im dritten Bund hat, also<br />
quasi G-c-f-b-d-g’ gestimmt ist.<br />
Verschiedene Duos haben die Ouvertüre zu<br />
La Clemenza de Tito von Mozart/Giuliani<br />
aufgenommen, unter ihnen Leif Christensen<br />
und Maria Kämmerling (Paula 54) und das<br />
Duo Sonare mit Jens Wagner und Thomas<br />
Offermann (MDG 630 0629-2). Diese beiden<br />
Duos bedienen sich historischer Instrumente<br />
bzw. Kopien. Eine moderne Ausgabe der<br />
Ouvertüre liegt bisher nicht vor – außer<br />
dem Reprint der Ausgabe bei Richault in<br />
Band XXIII der Reihe „Mauro Giuliani: The<br />
Complete Works in Facsimile of the Original<br />
Editions, Edited by Brian Jeffery“ bei TECLA.<br />
Einen kritischen Bericht über die hier vorliegende<br />
Ausgabe finden Sie im Internet<br />
unter<br />
www.peter-paeffgen.eu. Dort wird es auch<br />
eine Errata-Liste geben, die nach Leser- und<br />
Benutzerzuschriften ergänzt wird, um eine<br />
nicht nur fehlerlose, sondern optimale Ausgabe<br />
zu erzielen.<br />
Die oben abgebildete Titelseite ist die der<br />
Richault-Ausgabe.
Chitarra 1ma<br />
Con capotasto<br />
alla terza<br />
posizione o tasto.<br />
Chitarra 2a<br />
6<br />
8<br />
8<br />
10<br />
8<br />
8<br />
13<br />
8<br />
8<br />
16<br />
8<br />
8<br />
Overtura dell’Opera »La Clemenza di Tito«<br />
8<br />
8<br />
Allegro<br />
3<br />
3<br />
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)<br />
für zwei <strong>Gitarre</strong>n bearbeitet von Mauro Giuliani (1781–1829)<br />
3 3<br />
3 3<br />
Revidiert und herausgegeben von Peter Päffgen, Kritischer Bericht im Internet unter www.Peter-Paeffgen.eu.<br />
© <strong>2008</strong> (für Ausgabe und Stichbild) by Peter Päffgen<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 21
20<br />
8<br />
8<br />
23<br />
8<br />
8<br />
26<br />
8<br />
8<br />
30<br />
8<br />
8<br />
34<br />
8<br />
8<br />
38<br />
8<br />
8<br />
Cres.<br />
22 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Dol.
42<br />
8<br />
8<br />
46<br />
8<br />
8<br />
49<br />
8<br />
8<br />
52<br />
8<br />
8<br />
56<br />
8<br />
8<br />
60<br />
8<br />
8<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 23
63<br />
8<br />
8<br />
67<br />
8<br />
8<br />
70<br />
8<br />
8<br />
73<br />
8<br />
8<br />
76<br />
8<br />
8<br />
79<br />
8<br />
8<br />
24 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1
82<br />
8<br />
8<br />
85<br />
8<br />
8<br />
88<br />
8<br />
8<br />
90<br />
8<br />
8<br />
93<br />
8<br />
8<br />
96<br />
8<br />
8<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 25
100<br />
8<br />
8<br />
104<br />
8<br />
8<br />
108<br />
8<br />
8<br />
111<br />
8<br />
8<br />
116<br />
8<br />
8<br />
121<br />
8<br />
8<br />
26 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1
125<br />
8<br />
8<br />
130<br />
8<br />
8<br />
135<br />
8<br />
8<br />
139<br />
8<br />
8<br />
142<br />
8<br />
8<br />
145<br />
8<br />
8<br />
3<br />
3<br />
3 3<br />
3 3<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 27
149<br />
8<br />
8<br />
153<br />
8<br />
8<br />
156<br />
8<br />
8<br />
159<br />
8<br />
8<br />
162<br />
8<br />
8<br />
165<br />
8<br />
8<br />
28 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
3<br />
3 3<br />
3 3<br />
3<br />
3<br />
3<br />
FINE<br />
FINE
„da Ponte“ als sein Pseudonym gewählt –<br />
dies nur Beispiele dafür, wofür sein Name<br />
steht und wie aktuell er noch ist.<br />
Betrachtet man die Buch-Neuerscheinungen,<br />
die das Mozartjahr 2006 zum Thema da Ponte<br />
hervorgebracht hat, sind es weniger Betrachtungen<br />
zu dessen Werk, als vielmehr<br />
solche zu seiner Lebensgeschichte: „Aufbruch<br />
in die neue Welt“ 12 ist das eine untertitelt,<br />
„ein abenteuerliches Leben“ ein anderes<br />
– letzteres hieß übrigens im englischen Original<br />
noch dezenter „The Life and Times of<br />
Mozart’s Librettist“. 13 Und eine Ausgabe seiner<br />
Autobiographie ist seit 1993 unter dem<br />
Titel „Mein abenteuerliches Leben“ im Angebot.<br />
14<br />
Schon Lorenzo da Ponte selbst scheint seine<br />
Lebensgeschichte für so interessant gehalten<br />
zu haben, dass er sie in autobiographischen<br />
Artikeln und Büchern ausgebreitet hat. 1807<br />
erschien in New York „Storia compendiosa<br />
della vita di Lorenzo da Ponte“ in italienischer<br />
und englischer Sprache, zwölf Jahre<br />
später, 1819, „An Extract from the Life of Lorenzo<br />
da Ponte, with the History of Several<br />
Dramas written by him, and among others,<br />
Il Figaro, Il Don Giovanni, & la scuola degli<br />
amanti, set to music by Mozart“ auf Englisch.<br />
Schon zwischen 1823 und 1827 wurden<br />
dann die Memoiren in vier Bänden in italienischer<br />
Sprache gedruckt: „Memorie di Lorenzo<br />
da Ponte da Ceneda, Scritte Da Esso …<br />
Nova Jorca […] 1823“.<br />
Im Einflussgebiet der Habsburger und damit<br />
auch in Oberitalien war letzteres Werk verboten,<br />
weil da Ponte zu kritisch mit Kaiser Leopold<br />
II., dem Bruder seines Gönners Joseph<br />
II., umgegangen war. 1829 erschien eine<br />
zweite Auflage, ein Jahr später noch einmal<br />
und zwar korrigiert und um einen Band erweitert,<br />
15 aber trotz aller Glättungen und<br />
Streichungen blieb das Buch auf dem Kaiserlichen<br />
Index.<br />
Da Pontes Curriculum Vitae war, auch oder<br />
vielleicht besonders für seine Zeit, ungewöhnlich.<br />
Er wurde 1749 als Emanuele Conegliano<br />
in Ceneda (heute Vittorio Veneto)<br />
geboren. Bei seiner Familie ist er dort im jüdischen<br />
Ghetto groß geworden. Sein Vater<br />
war der Gerber und Lederhändler Geremia<br />
Conegliano, der 1763 zum Christentum konvertierte.<br />
Die ganze Familie, Geremia und seine<br />
drei Söhne, erhielt bei der Taufe den Familienamen<br />
ihres Taufpaten, des Bischofs<br />
von Ceneda, Lorenzo da Ponte. Der Vater<br />
hieß ab sofort Gasparo und die Söhne Lorenzo,<br />
Girolamo und Luigi da Ponte.<br />
Die beiden ältesten Brüder, Lorenzo und Girolamo,<br />
traten im gleichen Jahr in das Priesterseminar<br />
von Ceneda ein. Hier wurden sie<br />
nicht nur im Lateinischen unterrichten, sondern<br />
lernten auch die Klassiker der italienische<br />
Literatur kennen. Nachdem Bischof da<br />
Ponte, der die Brüder gefördert hatte, 1768<br />
gestorben war, gingen sie, jetzt auch mit<br />
ihrem jüngsten Bruder Luigi, ins Priesterseminar<br />
von Portogruaro, wo Lorenzo bald Lehrer<br />
für Literatur werden konnte, dann auch stellvertretender<br />
Direktor. 1773 wurde er zum Abbé<br />
geweiht. Noch im gleichen Jahr ging er<br />
zusammen mit Girolamo nach Venedig. „Unglücklicherweise,<br />
möchte ich sagen, ging ich<br />
nach Venedig. Denn ich war jung und feurig,<br />
besaß ein lebhaftes Temperament und nach<br />
dem Urteil aller gute Manieren, war also wie geschaffen<br />
für Abenteuer. Sie ließen auch nicht<br />
lange auf sich warten. Bald steckte ich mitten in<br />
den Vergnügungen und Unterhaltungen dieser<br />
Stadt des Sinnes und galanten Lebens und vergaß<br />
oder vernachlässigte Studien und Literatur.<br />
Hinzu kam die allerheftigste Leidenschaft für eine<br />
der schönsten Damen von Venedig; ihr Eigensinn,<br />
ihre wunderlichen Launen haben mich einige<br />
Jahre in Atem gehalten.“ 16<br />
Ein Jahr später begann die Lehrtätigkeit von<br />
Lorenzo und Girolamo da Ponte am Seminar<br />
in Treviso. 1776 veranstaltete Lorenzo dort eine<br />
„Academia poetica“, wo seine zu aufklärerischen<br />
Ideen aneckten. Nach Ansicht kirchlicher<br />
Kreise waren sie mit den christlichen<br />
Lehren nicht zu vereinbaren und Lorenzo<br />
musste sich in Venedig dafür verantworten.<br />
Ihm wurde darauf die Lehrerlaubnis für die<br />
Republik Venedig entzogen. Drei Jahre später<br />
wurde er wegen öffentlichen Konkubinats sogar<br />
für fünfzehn Jahre aus Venedig verbannt.<br />
Im gleichen Jahr, 1779, zog Lorenzo da Ponte<br />
in das Habsburgische Görz (heute Gorizia)<br />
und war damit vor den Verfolgungen der Inquisition<br />
in Sicherheit.<br />
Es folgten folgende Stationen: 1780 Dresden,<br />
dort traf er mit Caterino Mazzolà<br />
zusammen, 1981 Wien. Joseph<br />
II. ernannte ihn 1783 zum<br />
Dichter der italienischen Oper,<br />
im gleichen Jahr traf da Ponte<br />
erstmalig mit Mozart zusammen.<br />
Da Ponte schrieb Libretti<br />
für Salieri, Vicente Martín y Soler<br />
und, 1785, „Le nozze di<br />
Figaro“ für Mozart, die am 1.<br />
Mai 1786 uraufgeführt wurde.<br />
Die Vorlage für dieses Libretto<br />
war das Theaterstück „La folle<br />
journée, ou le mariage de Figaro“<br />
von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais<br />
(1732-1799), das im<br />
vorrevolutionären Frankreich Furore<br />
gemacht hatte und dort wie<br />
auch in Wien zunächst verboten<br />
war. Es geht in dem Stück um einen<br />
jungen Bürgerlichen, der<br />
den Grafen Almaviva, davon abzuhalten<br />
versucht, an seiner Verlobten<br />
Susanna das „ius primae<br />
noctis“ oder das „droit de Seigneur“,<br />
wie es in Frankreich hieß,<br />
auszuüben, das er, Almaviva,<br />
vorher selbst abgeschafft hatte.<br />
Revolutionär war die antiaristokratische<br />
Haltung, die aus dem<br />
Stück spricht, und die bei den Regenten von<br />
Frankreich und Österreich, die dazu auch<br />
noch miteinander verschwägert waren, nicht<br />
gut ankam. Man bedenke, dass Marie Antoinette,<br />
die Ehefrau Von Ludwig XVI. von<br />
Frankreich eine Habsburgerin war – die<br />
Schwester von Kaiser Joseph II. von Österreich!<br />
Aber da Ponte und Mozart konnten<br />
sich durchsetzen und „Le nozze di Figaro“<br />
wurde ein Riesenerfolg.<br />
Lorenzo da Ponte wurde ein viel beschäftigter<br />
Librettist. Es entstanden weitere Operntexte<br />
für Martín y Soler (1754-1806), für Stephen<br />
Storace (1762-1792) („Gli equivove“ [UA<br />
1786] nach Shakespeare) und andere. Aber<br />
Wien musste finanziell den „Türkenkrieg“<br />
schultern, in dem der russische Zar und Kaiser<br />
Joseph II. das osmanische Reich untereinander<br />
aufteilen wollten. Und schon damals<br />
war es so, dass in schlechteren Zeiten an der<br />
Kultur als erstes gespart wurde. Dem italienischen<br />
Theater drohte die Schließung, sie<br />
konnte mit Salieris Hilfe aber noch verhindert<br />
werden.<br />
1790 wurde „Cosí fan tutte“ uraufgeführt, im<br />
gleichen Jahr starb Joseph II. Mit seinem<br />
Tod sollte sich die Situation um da Ponte dramatisch<br />
ändern. Josephs Nachfolger war sein<br />
Bruder Leopold, der schließlich 1791 da Pontes<br />
Entlassung erwirkte. Mehr noch: Der Dichter<br />
musste Wien verlassen. Intrigen, Kollegenneid,<br />
Boshaftigkeit! Die Verbannung wurde<br />
zwar wieder aufgehoben aber da Ponte sollte<br />
nur noch kurz nach Wien zurückkommen.<br />
Im gleichen Jahr starb Mozart. Leopold II.<br />
war keine lange Regentschaft vergönnt – er<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 29
starb am 1. März 1792. Im gleichen Jahr finden<br />
wir da Ponte in London wieder, wo er<br />
mit seiner Ehefrau Nancy Grahl Zuflucht gesucht<br />
hatte. Aber das berufliche Glück war<br />
nicht auf seiner Seite. Er versuchte es von<br />
London aus an Theatern in Amsterdam, Den<br />
Haag, Brüssel, Rotterdam … ohne Erfolg. Die<br />
Zeiten waren schwierig. Schließlich bot ihm<br />
William Taylor, Leiter des King’s Theatre at<br />
Haymarket, die Stelle des Dichters für italienische<br />
Opern an. Da Ponte nahm an und<br />
überarbeitete nun Werke für das Londoner<br />
Publikum: Paisiello, Cimarosa, Gluck, Piccinni.<br />
Ein paar Jahre später kaufte der Dichter eine<br />
Druckerpresse, um sein Einkommen durch<br />
gedruckte Operlibretti, die im Theater verkauft<br />
wurden, aufzustocken. Seine Frau betrieb<br />
bereits die „Cafeteria“ des Theaters –<br />
auch, um das Familieneinkommen zu sichern.<br />
Aber durch geplatzte Wechsel, die er<br />
für William Taylor gegengezeichnet hatte, geriet<br />
da Ponte in arge finanzielle Schieflage.<br />
Ein paar Libretti entstanden und schließlich<br />
beauftragte ihn Taylor 1798, in Italien neue<br />
Sänger zu engagieren. Im März 1799 kam er<br />
zurück nach London und die Ereignisse überschlugen<br />
sich. Lorenzo da Ponte verlor seine<br />
Stellung am Theater und wurde schließlich<br />
selbständiger Buchhändler für klassische italienische<br />
Literatur. Wechselschulden, Bankrott<br />
Gefängnisstrafen … da Ponte hatte kein<br />
Fortune. Zusammen mit seinem Halbbruder<br />
Paolo eröffnete er in London eine Druckerei.<br />
Gelegentlich entstanden Libretti, drei davon<br />
für Peter von Winter, aber schließlich nahmen<br />
die Schulden derartig überhand, dass<br />
da Ponte sein gesamtes Büchersortiment verkaufen<br />
musste, um an Bargeld zu kommen.<br />
Am 20. September 1804 reiste Nancy mit<br />
den Kindern in die USA – vermutlich, um Er-<br />
30 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
sparnisse vor Gläubigern zu sichern. Lorenzo<br />
folgte ihr ein halbes Jahr später, nachdem<br />
auch sein Bruder Paolo Konkurs anmelden<br />
musste.<br />
Aber auch in der Neuen Welt gingen die Geschäfte<br />
schlecht. 1807 war da Ponte erneut<br />
bankrott. Er ging nach New York, gab Italienischunterricht<br />
und schrieb seine ersten autobiographischen<br />
Texte. Und immer wieder versuchte<br />
er sich in Geschäften, die alle mindestens<br />
wechselhaft, wenn nicht schlecht liefen.<br />
In New York kaufte er 1819 eine Buchhandlung<br />
für teure italienische Bücher und gab<br />
Italienischunterricht. Neue autobiographische<br />
Schriften entstanden. Schließlich wurde<br />
Lorenzo da Ponte 1825 (ehrenamtlicher) Professor<br />
für Italienisch und italienische Literatur<br />
am Columbia College. Er bemühte sich<br />
um Aufführungen von Mozart-Opern in New<br />
York, stiftete der New York Society Library eine<br />
ganze Bibliothek italienischer Klassiker<br />
und am 18. November 1833 eröffnete er das<br />
New Yorker Italian Opera House, das erste<br />
feste Opernhaus in New York. Es war auf sein<br />
Betreiben gebaut worden und mit La gazza<br />
ladra (Die diebische Elster) von Gioacchino<br />
Rossini eröffnet. Noch im selben Jahr war das<br />
Unternehmen bankrott, ein Jahr später brannte<br />
das Haus ab und wurde nicht wieder aufgebaut.<br />
Am 17. August 1838 starb Lorenzo<br />
da Ponte 89jährig in New York.<br />
Zwei Versionen der Autobiographie da Pontes<br />
sind im Taschenbuch auf dem deutschen<br />
Markt, eine davon ist 2005, also zum Mozartjahr<br />
erschienen.<br />
Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:<br />
Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten,<br />
Zürich, Diogenes, 1991, € 9,90<br />
Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:<br />
Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.,<br />
Insel, 2005, € 1 2,00<br />
Die Insel-Ausgabe – ich sage es gleich vorweg:<br />
Sie ist die, die ich anschaffen würde,<br />
stünde ich vor der Wahl – liefert nicht nur da<br />
Pontes Memoiren, sondern auch einen sehr<br />
informativen Begleittext des Münchner Germanisten<br />
Jörg Krämer, der unter anderem folgendes<br />
offen legt: „… Bis heute gibt es keine<br />
vollständige Übersetzung [der Memorie] ins<br />
Deutsche. Die erste Übersetzung wurde 1847<br />
[…] publiziert. […] Sie ist philologisch weitgehend<br />
getreu nach der zweiten Fassung von<br />
1829/30 gearbeitet, kürzt diese allerdings und<br />
verzichtet auf den letzten Teil. […] Diese (anonyme)<br />
Übersetzung liegt auch den späteren<br />
deutschen Ausgaben von 1924 […], 1960 […],<br />
und 1970 […] zugrunde. Eine weitere Übertragung<br />
von Eduard Burckhardt, erschienen 1861<br />
im Opetz-Verlag Gotha, kürzt den Text noch wesentlich<br />
stärker und scheint nicht vom italienischen<br />
Original, sondern von einer französischen<br />
Übertragung auszugehen. Sie wurde 1991 noch<br />
einmal vom Diogenes-Verlag Zürich nachgedruckt.<br />
Die einzige neue Übersetzung stammt von Charlotte<br />
Birnbaum und wurde 1969 für den Wunderlich-Verlag<br />
H. Leins angefertigt. Auf ihr beruht<br />
diese Ausgabe, obwohl auch Birnbaums<br />
Übertragung nicht vollständig ist. “ (S. 476)<br />
Die Übersetzung der Diogenes-Ausgabe<br />
stammt also aus dem Jahr 1861, was man<br />
verschmerzen könnte, aber auch die Kürzungen<br />
sind 150 Jahre alt und begründet durch<br />
moralische, weltanschauliche oder sonstige<br />
Bedenken der damaligen Zeit. Und schließlich:<br />
Eine Übersetzung nach einer Übersetzung<br />
anzufertigen und das nicht einmal<br />
kenntlich zu machen, ist natürlich philologisch<br />
unhaltbar. Dass diese Übersetzung nun,<br />
das heißt in den Jahren vor 1991, noch einmal<br />
„durchgesehen und dem heutigen Sprachgebrauch<br />
behutsam angepasst“ worden ist 17 ,<br />
konnte den Schaden kaum noch vergrößern,<br />
denn vermutlich ist das bei allen Auflage geschehen,<br />
die seit 1861 in diversen Verlagen<br />
herausgekommen sind. „Stille Post“!?<br />
Welche Bedeutung haben denn Lorenzo da<br />
Pontes Autobiographien überhaupt? Waren<br />
es Versuche des Autors, sich selbst in besserem<br />
Licht darzustellen? Es ist offenkundig,<br />
dass er über Dinge und Zusammenhänge<br />
nicht berichtet, andere geschönt hat. Zum<br />
Beispiel ist von seiner jüdischen Herkunft<br />
kein Wort zu lesen und daher auch nicht über<br />
seinen Namenswechsel von Conegliano zu da<br />
Ponte. Dass er als katholischer Priester einige
Frauenaffären hatte und schließlich auch heiratete,<br />
war ihm offenbar keinen Kommentar<br />
wert … mindestens keinen schuldbewussten.<br />
Die zahllosen kaufmännischen, finanziellen<br />
Misserfolge sind in seiner eigenen Darstellung<br />
grundsätzlich von anderen initiiert worden.<br />
Lorenzo da Ponte war der Prototyp des<br />
Versagers „aufgrund schlechten Umgangs“ –<br />
so jedenfalls stellt er es dar. Damit wären wir<br />
bei den kommentierenden Neuerscheinungen<br />
zum Thema Lorenzo da Ponte im Mozart-Jahr<br />
2006, bei der Sekundärliteratur sozusagen:<br />
Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteuerliches<br />
Leben, Kassel u.a., Bärenreiter, 2005, €<br />
29,95<br />
Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Aufbruch<br />
in die Neue Welt, Ostfildern, Hatje<br />
Cantz Verlag, 2006, € 35,00 [mit T extbeiträgen<br />
von Karl Albrecht-Weinberger, Otto Biba,<br />
Leon Botstein, Reinhard Eisendle, Wolfgang<br />
Gasser, Miriam Grau Tanner, Werner Hanak,<br />
Wiebke Krohn, Herbert Lachmayer, Erik Levi,<br />
Wolfgang Nedobity und Giampaolo Zagonel]<br />
Sheila Hodges ist Lorenzo da Ponte – das<br />
empfindet man leicht beim ersten Lesen –<br />
auf den Leim gegangen. Wenn er sich über<br />
das Verhalten von William Taylor beklagt –<br />
Sheila Hodges bedauert ihn. Wenn er in<br />
rechtliche Bedrängnis kommt, weil er Wechsel<br />
von Taylor akzeptiert hat – Sheila Hodges<br />
hat Verständnis. Wenn er in London im Gefängnis<br />
sitzt, weil er an krummen Geschäften<br />
beteiligt war – Sheila Hodges holt ihn raus.<br />
Helfersyndrom? „Da Ponte hat nicht wenig unter<br />
dem Bild eines üblen Wüstlings zu leiden,<br />
das die Nachwelt ihm zugedacht hat, mit einer<br />
Reihe von verlassenen Frauen in jeder Stadt.<br />
Tatsächlich war sein Leben – abgesehen von einer<br />
kurzen und ziemlich bewegten Phase in Venedig,<br />
als er noch ein junger Mann war, und<br />
abermals gegen Ende seiner Wiener Zeit – nicht<br />
das Leben eines Abenteurers, wenn damit jemand<br />
gemeint ist, der Abenteuer sucht. Nach<br />
Temperament und Begabung war er eher ein<br />
Lehrer mit einer großen Liebe zur Dichtkunst,<br />
und die führt ihn, wie er selbst sagt, »plötzlich<br />
und immer wieder in die Welt des Dramas«.<br />
Durch bestimmte Seiten seines Charakters –<br />
Leichtgläubigkeit, Eitelkeit, das Bedürfnis, geliebt<br />
zu werden, jedermann gefällig zu sein und<br />
(nicht zuletzt) sein permanenter Hang, sich zu<br />
verlieben — war er während seines gesamten<br />
89-jährigen Lebens weniger Meister seines<br />
Schicksals, vielmehr dessen Opfer, oft genug<br />
hilflos hin und her gebeutelt zwischen Ungemach<br />
und Ungemach.“ 18<br />
Fausto Nicolini, Mitherausgeber der italienischen<br />
Werkausgabe der Erinnerungen, sieht<br />
das ganz anders. Er hält die „Memorie“ für<br />
„einen Lügendschungel, eine einzige Selbstrechtfertigung,<br />
grobkörnig, schlecht strukturiert, salbadernd,<br />
heuchlerisch, moralisierend.“ 19<br />
Jörg Krämer gar sieht in den Erinnerungen<br />
pikarische Elemente, was eine Bewertung als<br />
literarischen Text und weniger als dokumentarische<br />
Schilderung nahe legt. Wenn die Lebenserinnerungen<br />
von Lorenzo da Ponte so<br />
etwas wie ein Schelmenroman sind, mindestens<br />
aber eine „dramatische Autobiographie“,<br />
wie vergleichbare Texte in der Literaturwissenschaft<br />
genannt werden, 20 muss die<br />
Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt nicht<br />
mehr gestellt werden, ja, sie verbietet sich regelrecht.<br />
Die literarische Nähe zu den Memoiren<br />
von Giacomo Casanova (1725-1798), mit<br />
dem da Ponte gut bekannt war, bestätigt<br />
diese Einschätzung.<br />
Und Sheila Hodges weiß um die Glaubwürdigkeit<br />
von da Pontes Texten und sie weiß<br />
auch um seine Positionierung in der Geschichte<br />
der Literatur. Wenn man Bemerkungen<br />
liest wie „Das Bändchen wird mit einer<br />
kurzen Darstellung seines eigenen Lebens eingeleitet<br />
– stark zurecht geschminkt, wie üblich“<br />
(S. 250) oder Worte wie „seinem zurechtgestutzten<br />
Bericht zufolge …“ (S. 185), dann ahnt<br />
man, wie sie seine „Memorie“ gelesen hat<br />
und lesen musste.<br />
Dass Lorenzo da Ponte „einer der kümmerlichsten<br />
Geschäftsleute der Welt“ (S. 214) gewesen<br />
ist, entgeht niemandem, der von den unzähligen<br />
Gerichtsverhandlungen, Pleiten und<br />
Pannen liest … aber was bleibt? War Lorenzo<br />
da Ponte ein begnadeter Dichter?<br />
Thomas James Mathias (1754-1835), ein Kenner<br />
italienischer Literatur und Kultur, nannte<br />
da Ponte „einen Mann von Schöpferkraft, Bildung<br />
und Geschmack […] einen Mann von Genie,<br />
einen wahren Poeten“ (S. 194) und die Autorin<br />
meint dazu: „So übertrieben die Bewertung<br />
von da Pontes Dichtkunst durch Mathias<br />
auch gewesen sein mag, sie zeigt immerhin,<br />
dass sie von jemandem, der selbst ein glänzender<br />
und weithin verbreiteter Fachmann für italienische<br />
Literatur war, hoch geschätzt wurde.“<br />
(S. 194) Ihre eigene Einschätzung war da<br />
ganz anders: „Er war kein großer Dichter, und<br />
schon gar kein besonders origineller; aber er<br />
hatte ein untrügliches Gespür für die besonderen<br />
Bedürfnisse des jeweiligen Komponisten ...“<br />
(S. 83) Und als Librettist? Über da Pontes<br />
Operntexte liest man in der modernen Literatur<br />
Kommentare wie: „Da Pontes Textbuch<br />
zeigt eine gewisse Dürftigkeit der Handlung.“ 21<br />
Eduard Hanslick schrieb 1858: „Die grenzenlose<br />
Plattheit des Textbuches ist es, was Mozarts<br />
lieblicher Musik zu Cosi fan tutte überall den<br />
Garaus machte.“ 22<br />
Anna Amalie Abert geht besonders harsch<br />
mit da Ponte ins Gericht, sie demontiert das<br />
Bild, das von ihm selbst und seinen Apologeten<br />
gern gezeichnet worden ist: „Er ist als Librettist<br />
Mozarts in die Geschichte eingegangen<br />
und kann in der Tat den Ruhm für sich in Anspruch<br />
nehmen, die Größe des Dramatikers Mozart<br />
als einer der ersten erkannt zu haben. Was<br />
er darüber hinaus behauptet, zeugt von einer<br />
Selbstüberschätzung, die zu seinen herausste-<br />
chendsten Eigenschaften gehörte. […] aus Treviso<br />
wurde er entlassen, aus Venedig ausgewiesen,<br />
aus Wien entfernt, aus London musste er<br />
fliehen, überall war er, den Memoiren zufolge,<br />
der Märtyrer, der von Engstirnigkeit, Verleumdung,<br />
Neid und Missgunst verfolgt wurde und<br />
allen Intrigen wehrlos zum Opfer fiel.“ 23 Was<br />
sein Schaffen als Librettist angeht, urteilt<br />
Abert so: „Charakteristisch für da Pontes Libretti<br />
ist das Zurücktreten selbst erfundener<br />
Stoffe hinter Bearbeitungen fremder Vorbilder,<br />
wiederum ein Zeichen für seine mehr nachschöpferisch-formale<br />
als schöpferische Begabung.“<br />
24 Fünfzig Jahre später bestätigt Daniela<br />
Goldin Folena in der zweiten Auflage der<br />
gleichen Musik-Enzyklopädie diese Einschätzung,<br />
wertet aber die „handwerkliche“ Leistung<br />
des Dichters höher: „Seit den ersten<br />
Wiener Versuchen, Texte für Musik zu schreiben,<br />
zeigte Da Ponte ein Niveau allerhöchster<br />
»handwerklicher« Qualität, auch wenn der<br />
größte Teil seiner Libretti von gelegentlichen<br />
Quellen d.h. von existierenden Libretti oder<br />
schon bekannten dramatischen Texten<br />
ausging.“ 25<br />
Spätestens als Lorenzo da Ponte in dem von<br />
Theo Stengel und Herbert Gerigk herausgegebenen<br />
„Lexikon der Juden in der Musik“<br />
namentlich erschienen ist 26 , hat sich die Einschätzung,<br />
die man ihm und seinem Werk<br />
entgegenbrachte, radikal geändert – zumindest<br />
ist die Missachtung weniger verblümt<br />
geäußert worden. Entweder unterschlug man<br />
seinen Namen in Büchern über Mozart und<br />
seine Opern 27 oder man bewertete ihn mit<br />
damals üblichen Klischees: „eine wenig zuverlässige<br />
Halbpoetennatur, eine in Ursprung und<br />
Ende dunkle Persönlichkeit“ 28 oder „Sohn eines<br />
jüdischen Lederhändlers […], keine dichterische<br />
Begabung […] ehrgeiziger und skrupelloser<br />
Charakter.“ 29<br />
Nach 1945 war eine andere Haltung gegenüber<br />
da Ponte angesagt und angeordnet, viele<br />
Formulierungen lassen aber immer noch harsche<br />
antisemitische Herabwürdigung ahnen,<br />
die auf die Schnelle nicht übertüncht werden<br />
konnte.<br />
Um Lorenzo da Ponte als „tolerierter und getaufter<br />
Jude“, dreht es sich in dem prachtvollen<br />
Buch von Werner Hanak, das er als Ausstellungskatalog<br />
im Auftrag des Jüdischen<br />
Museums Wien herausgegeben hat. Es ist<br />
viel mehr als ein Ausstellungskatalog. Es ist<br />
eine Art Kongressbericht oder Festschrift<br />
zum Thema da Ponte mit vielen höchst kompetenten<br />
Beiträgen und natürlich einer Vielzahl<br />
hervorragender Abbildungen. Und hier,<br />
neben vielen Dokumenten und Anekdoten,<br />
neben Aufklärung über die österreichische<br />
Aufklärung bemüht sich eine Autorin um eine<br />
Antwort auf die hier schon schüchtern gestellte<br />
Frage: War Lorenzo da Ponte ein begnadeter<br />
Dichter? Und wenn ja: Worin wird<br />
das deutlich? Und: War Da Ponte musikalisch?<br />
30<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 31
Wiebke Krohn geht diesen Fragen nach und<br />
kommt schließlich zu diesem Schluss: „Er<br />
war sicher nicht unmusikalisch. Diese Affäre<br />
mit einer Donna concertante [gemeint ist hier<br />
die Liebesaffaire mit der Sängerin „La Ferrarese“<br />
– d. Rezensent] und die Missionierung z.<br />
B. seiner New Yorker Schüler zeigen aber auch,<br />
dass er die Attitüde des musikalischen Menschen<br />
zur Selbstinszenierung nutzte.“ 31 Vorher<br />
hat die Autorin untersucht, wie weit Textvorlagen<br />
da Pontes von dem jeweiligen Komponisten<br />
umgesetzt worden sind, das heißt,<br />
wie weit er durch seinen Text die Komponisten<br />
beeinflusst, quasi mitkomponiert hat.<br />
Am Schluss, na ja, ist es wieder eine menschliche<br />
Schwäche, die das Bild, das die Autorin<br />
von da Ponte hat, bestimmt.<br />
Und doch lernt man sehr viel bei der Lektüre<br />
des Katalogs. Zum Beispiel über die ungeheure<br />
Toleranz des Herren Joseph von Gottes<br />
Gnaden, der 1782 den Juden einiges erlaubte<br />
– anderes nicht (Wolfgang Gasser, Neues aus<br />
der »Stadt der Toleranz«: Tolerierte und getaufte<br />
Juden, da Ponte und Mozart, S. 63-79), und<br />
einiges erfahren wir auch mehrmals. Jeder<br />
Autor des Katalogs beginnt nämlich erst einmal<br />
mit dem Teil Geschichte, der zu erzählen<br />
ist … natürlich ohne in Betracht zu ziehen,<br />
dass die Kollegen das auch schon getan haben!<br />
Das muss nicht sein, aber auch Otto Biba<br />
erzählt in seinem Beitrag über Lorenzo da<br />
Ponte in Amerika noch einmal, dass dieser am<br />
10. März 1749 im Ghetto von Ceneda geboren<br />
wurde usw., usw. … das hätten Redakteure<br />
besser koordinieren können! Aber später,<br />
wo es um die Jahre in Amerika geht, weiß<br />
Otto Biba viel beizusteuern, viele neue Informationen,<br />
viele Details, die einem bisher entgehen<br />
mussten und viele Schlüsse, die einem<br />
bisher versagt waren.<br />
Das Gleiche gilt für den Beitrag von Giampaolo<br />
Zagonel (Lorenzo da Ponte: Jüdische<br />
Kindheit und italienische Rezeption, S. 125-<br />
143). Er liefert Materialien, die in der Literatur<br />
entweder nicht oder falsch bewertet<br />
worden sind. Er korrigiert Fehler, die seit fast<br />
hundertfünfzig Jahren kritiklos wiederholt<br />
werden und er weist nach, warum die Meinungen<br />
über da Ponte so auseinanderklaffen.<br />
Einer der seit Jahrzehnten repetierten Fehler<br />
ist, Geremia Conegliano, Lorenzos Vater,<br />
habe sich 1763 als Witwer aus Opportunismus<br />
scheiden lassen, weil er eine Christin<br />
heiraten wollte. Das ist, so Zagonel, widerlegt,<br />
obwohl auch Sheila Hodges noch so argumentiert:<br />
„Da aber Juden keine Christen<br />
heiraten durften, musste er sich erst taufen<br />
lassen …“ 32 Und es gibt mehr.<br />
Was die Rezeptionsgeschichte angeht, sind<br />
verschiedene vernichtende Urteile über da<br />
Ponte bereits zitiert worden. Das von Fausto<br />
Nicolini ist dabei das deutlichste. Bemerkenswert<br />
ist, dass die durchweg negativen<br />
Einschätzungen vornehmlich aus Italien<br />
stammen bzw. auf italienische Literatur<br />
32 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
zurückgehen. Spät, im XX. Jahrhundert, „begann<br />
man auch in Italien bisherige Einstellungen<br />
zu kippen und das Werk Da Pontes<br />
ganzheitlich zu überprüfen“ 33 Und auch hier<br />
hat es Rückfälle in alte Zeiten gegeben. Giampaolo<br />
Zagonel zitiert einen Artikel in der<br />
renommierten Tageszeitung La Repubblica<br />
vom 2. November 1999, wo da Ponte als<br />
boshaft, dreist wehleidig, verlogen, derb,<br />
gefühlsduselig, knechtisch, äußerst eitel<br />
beschrieben wird ... „Wie hat es der große<br />
Amadeus bloß vermocht, so lange jenen<br />
schändlichen italienischen Scharlatan neben<br />
sich zu dulden?“ 34<br />
Da Lorenzo da Ponte, auch wenn er nichts<br />
davon wissen wollte, als Kind jüdischer Eltern<br />
und somit als Jude auf die Welt gekommen<br />
ist und da das Jüdische Museum, Wien, die<br />
Ausstellung, die in diesem höchst informativen<br />
Buch dokumentiert wird, realisiert hat,<br />
stehen die Themen Judentum und Musik,<br />
(auch) in den beiden letzten Beiträgen im<br />
Vordergrund: Leon Botstein, Unter Wunderkindern:<br />
Das Mozart-Bild der Juden in Europa (S.<br />
145-160) und Eric Levi, Mozart wird deutsch<br />
und da Ponte »arisiert« (S. 161-176).<br />
Wolfgang Amadeus Mozart als das Wunderkind<br />
par excellence hatte vor allem unterprivilegierten<br />
Bürgern wie den Juden<br />
gezeigt, dass Musiker-Karrieren Möglichkeiten<br />
bereithielten „dass sogar ein unschuldiges<br />
Kind durch den neutralen Weg der Leistung den<br />
Anpassungsprozess forcieren könne. Das 18.<br />
Jahrhundert war richtungweisend für die Konstruktion<br />
von Kindheit als Entwicklungsstufe, in<br />
der sich mehr als im Erwachsenendasein eine<br />
der Menschheit innewohnende Dimension an<br />
Gleichheit widerspiegelt […] Als Ergebnis davon<br />
wurde das musikalische Wunderkind (besonders<br />
im Bereich instrumentaler Virtuosität) zum<br />
Vorkämpfer und Wegbereiter im Streben der Juden<br />
nach Gleichberechtigung in Europa stilisiert.“<br />
35 Tatsächlich gab es im 19. und<br />
früheren 20. Jahrhundert eine „Wunderkindschwemme“.<br />
Musikwissenschaftler der Nazi-<br />
Ära verzeichneten jüdischen Musiker auch<br />
durchaus bestimmte Fertigkeiten im reproduktiven<br />
Bereich, wie folgendes Beispiel belegen<br />
mag: „Wie überall, so hat sich das Judentum<br />
ganz besonders auch auf dem Gebiet der<br />
Musik in Europa und USA vorgedrängt; Verleger,<br />
Agenten und Presse haben ihre<br />
Artgenossen auf fast alle entscheidenden Posten<br />
zu bringen verstanden und so ihren Geschmack<br />
den Wirtsvölker aufzuzwingen gesucht. Daß<br />
einzelne von Ihnen durch Anpassung Bemerkenswertes<br />
zumal als Reproduzierende<br />
geleistet haben, brauchen wir nicht zu<br />
leugnen.“ 36 Erinnert die Einschätzung der interpretatorischen<br />
Leistungen nicht auch an<br />
Anna Amalie Albert, die, was da Ponte angeht,<br />
zwischen „nachschöpferisch-formaler und<br />
schöpferischer Begabung“ differenzierte?<br />
Damit wären wir beim letzten Beitrag des<br />
Ausstellungskatalogs und der Frage: Wie gin-<br />
gen die Nazis mit Mozart um oder besser:<br />
Wie versuchten sie, Mozart vor ihren Karren<br />
zu spannen? Immerhin hatten sie das<br />
Mozart-Jahr 1941 zur Selbstdarstellung zur<br />
Verfügung.<br />
Mozart hat sich nie als Antisemit geoutet.<br />
Und er war Freimaurer! Der Librettist seiner<br />
erfolgreichsten Opern war, auch wenn er sich<br />
nie dazu bekannte, konvertierter Jude! Und<br />
die am häufigsten aufgeführte, beinahe als<br />
Standard eingeführte Übersetzung der italienischen<br />
Opern stammte von Hermann Levi.<br />
Jude. Natürlich waren rasch ein paar schlaue<br />
arische Literaten und Wissenschaftler bereit,<br />
diesen Missständen abzuhelfen. Neue Übersetzungen<br />
wurden angefertigt und die Namen<br />
da Ponte oder gar Levi aus den Programmen<br />
und Partituren gestrichen.<br />
Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Lorenzo<br />
da Ponte“ anlässlich des Mozart-Jahres<br />
2006 hat viele interessante Themen und offene<br />
Fragen ans Tageslicht gebracht. Neben allen<br />
historisch relevanten Erkenntnissen sind<br />
die Ergebnisse der Rezeptionsforschung von<br />
besonderem Interesse. Da Pontes Leben war<br />
bestimmt von dem mehr oder wenig offen<br />
ausgetragenen Antisemitismus seiner Zeitgenossen.<br />
Und noch lange nach seinem Tod bestimmte<br />
seine jüdische Herkunft die allgemeine<br />
Einschätzung seines Schaffens und seiner<br />
Lebensumstände.<br />
Mit dem Libretto zu Le Nozze di Figaro von<br />
Mozart befasst sich auch Ragni Maria<br />
Gschwind in ihrem äußerst amüsanten, lesenswerten<br />
Buch.<br />
Ragni Maria Gschwind, figaros flehn & flattern<br />
– Mozart in den Fängen seiner Übersetzer,<br />
Straelen 2006, Straelener Manuskripte,<br />
€ 26,40<br />
Um genau zu sein, befasst sie sich mit den<br />
Übersetzungen des Librettos ins Deutsche:<br />
„Faszinierend finde ich [...], wie viele Möglichkeiten<br />
es gibt, ein und denselben Text zu übersetzen<br />
[...], und wie fast jeder Übersetzer fest<br />
davon überzeugt ist, als erster und einziger die<br />
Mozart-/Da-Ponte-Texte absolut „kongenial“ ins<br />
Deutsche gebracht zu haben.“<br />
Mozart und Da Ponte waren, wir haben es<br />
eben gehört, 1781 in Wien angekommen.<br />
Dort erschien ein paar Jahre später, 1785, eine<br />
deutsche Übersetzung des Lustspiels „Le<br />
Mariage de Figaro“ von Pierre Augustin Caron<br />
de Beaumarchais unter dem Titel „Der<br />
närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro.<br />
Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen<br />
des Herrn Caron de Beaumarchais“.<br />
Das Stück war in aller Munde. Joseph II. hatte<br />
seine Aufführung verboten (nicht aber den<br />
Druck und die Verbreitung des Textes), in Paris<br />
durfte es nach 1784 gegeben werden.<br />
Aber auch hier hatte es Kämpfe gegeben.<br />
Das Stück wandte sich gegen Obrigkeiten,<br />
gegen den Adel und seine gesellschaftliche
Position ... man bedenke: Fünf Jahre später<br />
wurde in Paris die Bastille gestürmt. Revolution!<br />
Und was Wien angeht: Kaiser Joseph II.<br />
war der Bruder von Marie Antoinette, der<br />
Ehefrau von König Ludwig XVI. von Frankreich.<br />
Beide, Antoinette und Ludwig wurden<br />
1793 guillotiniert. Welch Wunder also, dass<br />
man Carons Werk nicht schätzte!<br />
Also: Die Hochzeit des Figaro war „in aller<br />
Munde“, auch in Mozarts. Ihm gefiel das<br />
Stück und seine Wirkung. Also schlug er es<br />
Lorenzo da Ponte vor. Er, der Geistliche und<br />
Kaiserliche Theaterdichter, erhielt die Erlaubnis<br />
des Hofes, das Stück unter bestimmten<br />
Auflagen zu verwerten. Die Pläne für Mozarts<br />
Erfolgsoper wurden umgesetzt! Am 1. Mai<br />
1786 wurde Le Nozze di Figaro von Mozart/<br />
da Ponte/Beaumarchais in Wien uraufgeführt!<br />
Ein leicht entschärftes Skandalstück, dessen<br />
Brisanz man heute, über zweihundert Jahre<br />
später, nicht mehr wirklich erahnt.<br />
Also noch einmal: Das Libretto der Oper Le<br />
Nozze di Figaro ist die italienische Adaption<br />
des französischen Theaterstücks „Le Mariage<br />
de Figaro“. Um die zahlreichen deutschen<br />
Übersetzungen dieses Librettos geht es in<br />
dem Buch „Figaros Flehn und Flattern“ und<br />
zwar wird das exemplarisch anhand der Arie<br />
des Cherubino „Non più andrai farfallone<br />
amoroso“ dargestellt.<br />
Erste Übersetzungen gab es schon ein paar<br />
Monate nach der Erstaufführung. Vor allem<br />
die Prager Aufführungen waren außerordentlich<br />
erfolgreich und die Oper machte rasch<br />
die Runde. Schon 1787 wird sie in Donaueschingen<br />
aufgeführt — übersetzt ins Deutsche.<br />
Ein Jahr später wird sie in Lübeck gegeben<br />
und hier stammte die Übersetzung von<br />
Adolph Freiherr von Knigge. Viele weitere folgen<br />
– vom Original-Text da Pontes mal weiter,<br />
mal weniger weit entfernt … ganz zu<br />
schweigen von Beaumarchais, dessen politische<br />
Aussagen oft kaum noch erahnt werden<br />
können.<br />
Als im Mozart-Jahr 1906 Gustav Mahler, damals<br />
Kapellmeister in Wien, die fünf großen<br />
Mozart-Opern aufführen wollte und sich dabei<br />
unter anderem um die Übersetzungen<br />
der im Original italienischen Werke kümmerte,<br />
entstand eine neue, auch in musikalischer<br />
Hinsicht reformierte Version des Figaro. Mahler<br />
ging, wie er selbst in einem Brief an die<br />
Sängerin Lilli Lehmann schrieb, in den Secco-<br />
Rezitativen zum Beispiel, auf das Original<br />
von Beaumarchais zurück und weniger auf da<br />
Ponte. Mahler „befreite Mozart von der Lüge<br />
der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer<br />
Trockenheit, gab ihm seinen dramatischen<br />
Ernst zurück, seine Wahrhaftigkeit und<br />
seine Lebendigkeit“ schrieb später Bruno Walter.<br />
Man ahnt, was nach 1933 geschehen ist:<br />
Mahler, Walter, der bisher maßgebende Übersetzer<br />
des Figaro Hermann Levi und viele andere<br />
Kulturschaffende waren Juden, also hat<br />
es sicher bald neue, „rassisch einwandfreie“<br />
Versionen der Mozart-Opern gegeben. Fatalerweise<br />
war auch da Ponte, wie wir eben gelesen<br />
haben, konvertierter Jude! Aber selbst<br />
die Nazis wollten nicht auf Mozarts Meisterwerke<br />
verzichten. Das korrupte System fand<br />
Lösungen. In einer vertraulichen Mitteilung<br />
der Reichspropagandaleitung hieß es 1938,<br />
dass „Lieder von Franz Schubert und Robert<br />
Schumann, die Texte von Heinrich Heine haben,<br />
nicht angegriffen werden“ durften. „Dichter<br />
unbekannt“ stand dann in den Programmheften.<br />
Ähnlich gingen die „braunen Kulturschaffenden“<br />
mit Mozart um. Verschiedene<br />
neue Übersetzungen wurden initiiert, dann<br />
aber wieder verworfen und man blieb<br />
schließlich bei der von Hermann Levi – allerdings,<br />
ohne seinen Namen zu erwähnen.<br />
Die mir selbst vorliegende Partitur des Figaro<br />
ist übersetzt von Georg Schünemann (Peters<br />
11462). Sie geht zurück auf die von Levi,<br />
aber genaue Angaben dazu wurden nicht gemacht:<br />
„So einfach war das also! Der Inhalt<br />
blieb, nur die Verpackung wurde gewechselt.“<br />
Am Schluss steht die eigene Figaro-Übersetzung<br />
der Autorin. Peter Zadek inszenierte<br />
1981/1982 in Stuttgart: „so nah am Original<br />
wie möglich, aber ohne Reim“ Auf die Bühne<br />
ist die Übersetzung nie gekommen.<br />
Das Buch ist, wie gesagt, höchst amsüsant<br />
und ist eine Art Geschichte der Rezeption<br />
von Mozart-Opern ... denn es waren nicht nur<br />
die Übersetzungen, die dem Zitgeist entsprechend<br />
angepasst wurden, es waren auch musikalische<br />
und aufführungspraktische Details.<br />
Dazu ist es ein „schönes Buch“, ein Buch,<br />
dem man handwerkliche Kunst und Sorgfalt<br />
anmerkt. Und es ist eine CD beigegeben, auf<br />
der man Beispiele hören kann und Musik um<br />
die Arie, um die es in dem Text geht.<br />
Es ist keine wissenschaftliche Arbeit, das<br />
schreibt die Autorin gleich im ersten Satz<br />
des Buches, und das sollten Sie als Empfehlung<br />
und nicht als Warnung werten! Unerhörter<br />
Lesespaß!<br />
© <strong>2008</strong> by Dr. Peter Päffgen, Köln |<br />
mail[at]peter-paeffgen.eu<br />
Anmerkungen<br />
3 Art, La clemenza di Tito in: Pipers Enzyklopädie<br />
des Musiktheaters, hrsg. v. Carl Dahlhaus u.a.,<br />
München u.a. 1991, Bd. VIII, S. 336<br />
2 ebda. S. 338—339<br />
3 Deutsche Grammophon (2 CD) 00289 477 5792<br />
mit Scottish Chamber Orchestra und Chorus<br />
[www.deutschegrammophon.com/mackerras-tito]<br />
4 op. cit. S. 339<br />
5 Thomas F. Heck, Mauro Giuliani: Virtuoso Guitarist<br />
and Composer, Columbus/Ohio 1995, S. 220<br />
6 Mauro Giuliani, The Complete Works in Facsimiles<br />
of the Original Editions edited by Brian Jeffery,<br />
London 1986 [TECLA]<br />
7 ebda. Bd. XXIII, S. [7]<br />
8 Terzgitarre, weil sie eine Terz höher klingt als<br />
die „Normalgitarre” in „E”.<br />
9 S. Thomas F. Heck, op. cit. S. 51<br />
10 s. www.schikaneder.at<br />
11 Sheila Hodges, Lorenzo da Ponte: Ein abenteuerliches<br />
Leben, Kassel u.a. 2005, S. 7<br />
12 Werner Hanak (Hrsg.), Lorenzo da Ponte: Aufbruch<br />
in die Neue Welt, Ostfildern 2006<br />
13 Hodges, op. cit., englische Originalausgabe<br />
London 1985<br />
14 Lorenzo da Ponte, Mein abenteuerliches Leben:<br />
Die Erinnerungen des Mozart-Librettisten, Zürich<br />
1991<br />
15 Hodges S. 281<br />
16 Lorenzo da Ponte, Geschichte meines Lebens:<br />
Mozarts Librettist erinnert sich, Frankfurt u.a.<br />
2005, S. 19-20<br />
17 Mein abenteuerliches Leben, op. cit. S. 320<br />
18 Sheila Hodges, op. cit. 10<br />
10 zitiert nach Hodges S. 10<br />
20 s. Nachwort von Jörg Krämer zu Lorenzo da Ponte,<br />
Geschichte meines Lebens, S. 464. Krämer<br />
nimmt hier Bezug auf den Literaturwissenschaftler<br />
William Horwarth, der den Terminus<br />
technicus geprägt hat. „Dramatische Biographien“<br />
zeichnen sich demnach durch „Abenteuerfülle,<br />
die ausführliche Schilderung von Intrigen oder<br />
dramatischen Ereignissen, Aktionen, Dialogen und<br />
durch eine hohe Selbsteinschätzung des<br />
Verfassers“ aus.<br />
21 Silke Leopold, Art. Vicente Martin y Soler, in: Piper<br />
Exzyklopädie des Musiktheaters III/703<br />
22 in: Presse 22, 5. 1858, zitiert nach Werner<br />
Hanak, Zwischen Welt und Nachwelt, in: Werner<br />
Hanak, Hrsg.: Lorenzo da Ponte: Aufbruch in die<br />
Neue Welt, Ostfildern 2006, S. 48<br />
23 Anna Amalie Abert, Art.: Lorenzo da Ponte, in:<br />
MGG1, II/1918<br />
24 ebda.<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 33
25 Daniela Goldin Folena, Art. Lorenzo da Ponte in:<br />
MGG2, Personenteil V/416<br />
26 Berlin 1940, S. 52, Nachdruck, hrsg. von Eva<br />
Weissweiler in: Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden<br />
in der Musik und seine mörderischen Folgen,<br />
Köln 1999<br />
27 So Alfred Ohrel in seiner Schrift Mozart in<br />
Wien, wie Werner Hanak schreibt (op. cit. S. 57)<br />
28 Wilhelm Spohr, Mozart Leben und Werk, Berlin<br />
1943, zitiert nach Hanak op. cit. S. 57<br />
29 Leopold Conrad, Mozarts Dramaturgie der Oper,<br />
Würzburg 1943, zitiert nach Hanak op. cit. S.<br />
57<br />
30 Wiebke Krohn, Per Musica Scrivere, in: Hanak<br />
op. cit. S. 81-86<br />
31 ebda. S. 86<br />
32 op. cit. S. 19<br />
33 op. cit. S. 142<br />
34 ebda. S. 143<br />
35 ebda. S. 153<br />
36 Hans Joachim Moser, Art. Jüdische Musik in: Musiklexikon,<br />
1935, zitiert nach einem Faksimile-<br />
Nachdruck in: Dümling/Girth, Entartete Musik,<br />
Düsseldorf 1988, S. 88<br />
34 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Detlef Altenburg (Hrsg.), ARS MUSICA – MUSICA SCIENTIA,<br />
Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag<br />
am 2. März 1980, Köln 1980<br />
(474 S., zahlreiche Notenbeispiele und Abbildungen, Ganzleinen,<br />
Fadenheftung) G&L 125, ISBN 3-88583-002-7, € 75,–<br />
Detlef Altenburg, Vom poetisch Schönen. Franz Liszts Auseinandersetzung mit der Musikästhetik<br />
Eduard Hanslicks; Konrad Ameln, „Herzlich tut mich erfeuen“ … Wandlungen einer<br />
Melodie; Denis Arnold, Pasquale Anfossi’s Motets for the Ospedaletto in Venice; Maria Augusta<br />
Barbosa, Einführung in die Musikgeschichte Portugals bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts;<br />
Heinz Becker, Massenets „Werther“: Oper oder vertonter Roman?; Oswald Bill, J. S. Bachs<br />
Messe in A-Dur: Beobachtungen am Autograph; Wolfgang Boetticher, Zum Problem der ältesten<br />
handschriftlich überlieferten <strong>Laute</strong>ntabulaturen; Dimiter Christoff, Kompositionstechnische<br />
Analyse des bulgarischen Liedes „Swirtschiza Swiri“ auf der Grundlage einer verallgemeinernden<br />
Theorie der Melodik; Georg von Dadelsen, De confusione articulandi; Carl<br />
Dahlhaus, Über das System der muskitheoretischen Disziplinen im klassisch-romantischen<br />
Zeitalter; Joachim Dorfmüller, Orgelsonate zwischen Historismus und Avantgarde: Anmerkungen<br />
zu Kompositionen aus der Zeit zwischen 1960 und 1979; Ursula Eckert-Bäcker, Die<br />
Pariser Schola Cantorum in den Jahren um 1900: Eine Skizze unter besonderer Berücksichtigung<br />
historischer und pädagogischer Aspekte; Georg Feder, Über Haydns Skizzen zu nicht identifizierten<br />
Werken; Hellmut Federhofer, Stylus Antiquus und modernus im Verhältnis zum<br />
strengen und freien Satz; Renate Federhofer-Königs, „Der Merker“ (1909–1922) – ein Spiegel<br />
österreichischen Musiklebens; Karl Gustav Fellerer, Agostino Agazzaris „Musica ecclesiastica“<br />
1638; Kurt von Fischer, Die Musik des italienischen Trecento als Gegenstand historischer<br />
Überlieferung und musikwissenschaftlicher Forschung; Constantin Floros, Richard Strauss und<br />
die Programmusik; Arno Forchert, Zur Satztechnik von Beethovens Streichquartetten; Jobst<br />
Peter Fricke, Hindemiths theoretische Grundlegung der Kompositionstechnik in seiner „Unterweisung<br />
im Tonsatz“; Walter Gerstenberg, Das Allegretto in Beethovens VII. Symphonie;<br />
Walter Gieseler, Quid est Musica? – Quid sit Musica?: Anmerkungen zu Heinrich Hüschen,<br />
Artikel Musik. Begriffs- und geistesgeschichtlich, in: MGG IV, Sp. 970-1000; Theodor Göllner,<br />
Beethovens Ouvertüre „Die Weihe des Hauses“ und Händels Trauermarsch aus „Saul“; Kurt<br />
Gudewill, Vom Lobe Gottes oder der Musica: Zu Lorentz Schröders Kopenhagener Traktat von<br />
1639; Robert Günther, Abbild oder Zeichen: Bemerkungen zur Darstellung von Musikinstrumenten<br />
an indischen Skulpturen im Rautenstrauch-Joest Museum zu Köln; Dieter Gutknecht,<br />
Schleifer oder Vorschläge in der Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion von J. S. Bach;<br />
Willibrord Heckenbach, Responsoriale Communio-Antiphonen; Gerhard Heldt, … aus der<br />
Tradition gestaltet: Der „Rosenkavalier und seine Quellen; Siegmund Helms, Musikpädagogik<br />
und Musikgeschichte; Lothar Hoffmann-Erbrecht, Der <strong>Laute</strong>nist Silvius Leopold Weiss und<br />
Johann Sebastian Bach; Heinrich Husmann, Ein Missale von Assisi, Baltimore, Walters Gallery<br />
W.75; Hans-Josef Irmen, Engelbert Humperdinck und sein transzendental-ästhetisches System<br />
der Plastik; Roland Jackson, Mercadente’s Résumé of Opera Reform; Dietrich Kämper, La<br />
stangetta – eine Instrumentalkomposition Gaspars van Weerbeke?; Hans Klotz, Über den originalen<br />
Aufbau eines Scharf von 1637; Ernst Klusen, Singen als soziales Handeln: Einzelfallstudie:<br />
„Das Singen liegt mir im Sinn“; Siegfried Kross, von „roten“ und anderen Brahms-Festen;<br />
Josef Kuckertz, Der südindische Raga Kharmas; Harald Kümmerling, Ut a corporeis ad incorporea<br />
transeamus; Helmut Moog, Zum Stande der Erforschung des Musikerlebens zwischen<br />
dem sechsten und zehnten Lebensjahr; Klaus Wolfgang Niemöller, Zur Qualifizierung und<br />
Differenzierung der Intervalle in der deutschen Musiktheorie des 16. Jahrhunderts; Frits Noske,<br />
Verdi’s ’Macbeth’: Romanticism or Realism?; Walter Piel, Der Bau von Musikinstrumenten mit<br />
Schulkindern: Bemerkungen zur Quellenlage in Deutschland; Nancy B. Reich, Louise Reichardt;<br />
Rudolf Reuter, Zur Baugeschichte der Orgeln des Escorial; Martin Ruhnke, Musikalischrhetorische<br />
Figuren und ihre musikalische Qualität; Hans Schmidt, Gregorianik – Legende oder<br />
Wahrheit?; Udo Sirker, Joseph Sauveurs musikakustische Untersuchungen: Ein Beitrag zu experimentellen<br />
Forschungen um 1700; Joseph Smits van Waesberghe, „Wer so himmlisch mehrstimmig<br />
singen will …“; Martin Staehelin, Bemerkungen zum geistigen Umkreis und zu den<br />
Quellen des Sebastian Virdung; Günter Thomas, Haydn-Anekdoten; Hubert Unverricht, Die<br />
Dasia-Notation und ihre Interpretation; Horst Walter, Haydns Schüler am Esterházyschen Hof;<br />
Grete Wehmeyer, Die Kunst der Fingerfertigkeit und die kapitalistische Arbeitsideologie<br />
MusiCologne<br />
www.MusiCologne.eu
Michael Rensen und Vilim Stösser, guitar<br />
heroes – Die besten Gitarristen von<br />
A—Z, Bergkirchen <strong>2008</strong>, € 1 9,90<br />
Dass in einem Buch mit dem Titel „guitar heroes“<br />
die Namen Andrés Segovia, Julian Bream<br />
oder Francisco Tárrega nicht zu finden<br />
sind, verwundert nicht wirklich … selbst<br />
dann nicht, wenn man den vollmundigen<br />
Untertitel des knapp vierhundert Seiten starken<br />
Bändchens in seine Betrachtungen einbezieht:<br />
„Alles über die wichtigsten Gitarristen aller<br />
Zeiten“. Klassiker fehlen und ich hatte den<br />
Verdacht, dass schon das Benutzen von mit<br />
Nylon besaiteten <strong>Gitarre</strong>n als Grund ausgereicht<br />
hat, einen Musiker a priori als Persona<br />
non grata redaktionell zu ächten … stimmt<br />
natürlich nicht! Paco de Lucia ist drin, der es<br />
„zur Meisterschaft an der Nylongitarre gebracht“<br />
hat, und … na ja … sonst keiner? Wo<br />
ist der begnadete Jazz-Gitarrist Charlie Byrd<br />
(16.9.1925—30.11.1988)? Gut, er hat „Nylongitarre“<br />
gespielt und auch klassische Musik,<br />
und er hat sogar bei Maestro Segovia Unterricht<br />
genommen. Und wo ist Laurindo Almeida?<br />
Wie Charlie Byrd war er durch Django<br />
beeinflusst und auch er hat klassische<br />
Musik gespielt, aber haben solide musikalische<br />
Fundamente schon einmal geschadet?<br />
Gut, man hätte im Vorwort des Buches klären<br />
können, warum der eine drin ist und der<br />
andere nicht! Hat man nicht! Kein Vorwort!<br />
Gelesen!<br />
Also bleibt es erklärungsbedürftig, warum<br />
beispielsweise Bob Dylan zu den „wichtigsten<br />
Gitarristen aller Zeiten“ zählt. Über ihn steht<br />
gar zu lesen: „Robert Allen Zimmermann […]<br />
ist die personifizierte Antithese des <strong>Gitarre</strong>nhelden“.<br />
Viele andere haben sich als Komponisten<br />
oder Rock-Legenden einen Namen gemacht<br />
… aber als Gitarristen?<br />
Ein paar Musiker gibt es, bei denen keine<br />
Diskussion aufkommt. Bei Carlos Santana<br />
zum Beispiel oder Pat Matheny, bei Wes<br />
Montgomery oder Robert Fripp … obwohl …<br />
ob Fripp, der Schöpfer vom Crimson King,<br />
als Gitarrist in die Musikgeschichte eingeht<br />
oder als Komponist und Rock-Visionär, wer<br />
weiß?<br />
Teile des Buches sind übrigens fachspezifisch<br />
wertvoll und sprachlich ein Vergnügen, und<br />
das sind die Partien, in denen es um das<br />
technische Equipment geht. Beispiel: „Fripp<br />
begnügt sich nie lange mit einem bestimmten<br />
Sound und wechselt zwischen cleanen Compressor-,<br />
herb verzerrten, metallischen Fuzz-Sounds<br />
und diversen Effekten, sowie intensiven Synth-<br />
Passagen hin und her.“ Eine andere Welt!<br />
Aber so ist das mit der <strong>Gitarre</strong>. Peter Päffgen,<br />
der Herausgeber dieser Zeitschrift hat<br />
ein Standardwerk zum Thema „<strong>Gitarre</strong>“ geschrieben,<br />
in dem die Worte „elektrische <strong>Gitarre</strong>“<br />
oder „akustische <strong>Gitarre</strong>“ quasi nicht<br />
vorkommen und diese Neuerscheinung über<br />
die „wichtigsten Gitarristen aller Zeiten“ kennt<br />
Tárrega und Segovia nicht. C’est la vie!<br />
Markus Grohen<br />
Lochner-Code – da Vinci-Code?<br />
Dan Brown, The Da Vinci Code, New York<br />
2003; Roland Krischel, Die Muttergottes<br />
in der Rosenlaube, Leipzig 2006, Seemann-<br />
Verlag, € 9,90<br />
Lochner: Viele Gemälde, die in unseren Museen<br />
der Öffentlichkeit zugänglich sind, enthalten<br />
gemalte Rätsel, die seit Jahren benannt<br />
werden, aber niemals „geknackt“ worden<br />
sind. Und es gibt auf Gemälden Geheimnisse,<br />
die nicht als solche erkannt worden<br />
sind, weil Menschen unserer Zeit Details in<br />
gemalten Bildern leichtfertig als vom Zufall<br />
gegeben ansehen – ganz wie auf Fotos. Aber<br />
Gemälde sind keine Schnappschüsse. Maler<br />
haben jedes Detail ihrer Bilder geplant und<br />
bewusst eingesetzt – schließlich haben sie<br />
viel Zeit für jede Nuance und jeden Pinselstrich<br />
aufgewandt. Schier überall sind Informationen<br />
verborgen, viele davon nehmen<br />
wir als Menschen des 21. Jahrhunderts nicht<br />
mehr wahr, viele Metaphern wissen wir nicht<br />
mehr zu deuten.<br />
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ zum<br />
Beispiel, früher „Maria im Rosenhag“ oder<br />
schlicht „Rosenhagmadonna“ genannt, gilt<br />
als das berühmteste Gemälde des Kölner<br />
Walraf-Richartz-Museums, sein Schöpfer, Stefan<br />
Lochner (ca. 1400/1410—1451) als der bedeutendste<br />
Vertreter der spätmittelalterli-<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 35
chen „Kölner Malerschule“ … dabei wissen<br />
wir nicht einmal mit Bestimmtheit, ob das<br />
Bild wirklich von Stefan Lochner gemalt worden<br />
ist. Das Bild eines „maister Steffan zu<br />
Cöln“ besuchte Albrecht Dürer 1520 und notierte<br />
das in seinem Ausgabenbuch, weil er<br />
für das Aufschließen des Bildes zweimal<br />
Trinkgeld gegeben hatte. Aus dieser Schilderung<br />
wurde geschlossen, es könne sich dabei<br />
nur um den „Altar der Stadtpatrone“ gehandelt<br />
haben, später auch „Dombild“ genannt.<br />
Einen (einzigen) Maler namens Stefan hatte<br />
es in Köln in der fraglichen Zeit gegeben:<br />
Stefan Lochner. Da Maler damals als Handwerker<br />
arbeiteten und nicht als Künstler, signierten<br />
sie ihre Erzeugnisse nicht – also erstellte<br />
man anhand stilistischer Parallelen einen<br />
Werkekatalog dieses Stefan Lochner, voraussetzend,<br />
dass zwei Hypothesen sich bewahrheiteten:<br />
1. Dürer hat sich tatsächlich<br />
auf das „Dombild“ bezogen, als er in sein<br />
Ausgabenbuch zwei Besuche bei einer<br />
„taffel“ von „maister Steffan“ eintrug und 2.<br />
Dürers „maister Steffan“ war tatsächlich Stefan<br />
Lochner.<br />
Was Roland Krischel zur „Muttergottes in der<br />
Rosenlaube“ in seinem Bändchen anbietet,<br />
ist zunächst eine detaillierte Interpretation<br />
vieler Details, deren Sinn und Bedeutung<br />
den meisten Betrachtern des Bildes verschlossen<br />
bleiben. Bildkomposition, Farben,<br />
Proportionen, Materialien – fast alle Aspekte<br />
bezieht er ein. Aber das Buch ist mehr als eine<br />
Interpretationshilfe für Besucher des Museums,<br />
dessen Abteilung „Mittelalterliche<br />
Malerei“ der Autor, nebenbei bemerkt, leitet.<br />
Das Buch präsentiert als Quintessenz Erkenntnisse,<br />
die gemeinhin nicht in derartig<br />
populär aufgemachten und wohlfeilen Büchern<br />
veröffentlicht werden, und auch nicht<br />
in einer Sprache, die sogar für Museumstouristen<br />
verständlich ist.<br />
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ war<br />
und ist der linke Flügel eines Diptychons,<br />
auf dessen rechtem Pendant der Auftraggeber<br />
und Finanzier des Bildes dargestellt war<br />
… das ist eine der zentralen Erkenntnisse,<br />
die Krischel aus seinen Forschungsergebnissen<br />
zieht. „Zweifellos hatte der unbekannte<br />
Auftraggeber darauf gehofft, dass sein Portrait<br />
auch posthum mit dem Madonnenbild verbunden<br />
bleibe: Die Nachwelt hätte sich den frommen<br />
Spender dann umso besser im Angesicht<br />
des Paradieses vorstellen können.“ Inzwischen<br />
ist das Bild im Museum so aufgehängt, dass<br />
der Besucher um es herumgehen, also auch<br />
die Rückseite betrachten kann. Denn sie ist<br />
bemalt und belegt, wie das Bild ursprünglich<br />
benutzt worden ist.<br />
Die weltweite Popularität der „Muttergottes<br />
in der Rosenlaube“, ist, so Krischel, durch die<br />
Isolierung des linken Diptychon-Flügels ge-<br />
36 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Gelesen!<br />
fördert worden. Der rechte ist, als „das dynastische<br />
bzw. historisch-biographische Interesse<br />
am Portraitierten geschwunden war“, entfernt<br />
worden.<br />
Roland Krischel hat ein spannendes Buch geschrieben<br />
und seine Erkenntnisse sind vom<br />
Kölner Museum sofort umgesetzt worden –<br />
zum Beispiel in Form einer neuen Hängung<br />
der „Kölner“ Bilder. Auch wenn die Kölner<br />
Malerschule, die Lochner repräsentiert,<br />
„fälschlicherweise so genannt“ wird, er, Stefan<br />
Lochner, hat justament da gewohnt, wo sein<br />
Bild heute in neuer Umgebung (her-)ausgestellt<br />
wird. Ecke Quatermarkt/In der Höhle.<br />
Es wird als „Kölsche Mona Lisa“ weiterhin<br />
weltweit massenhaft reproduziert – hier auf<br />
Weihnachtskarten wegen der musizierenden<br />
Engel, dort als „Hauptwerk der spätmittelalterlichen<br />
deutschen Malerei“ … und weil es „Innigkeit,<br />
heitere Gelassenheit, Harmonie und<br />
Poesie“ ausstrahlt wie kein anderes.<br />
Noch eine Bemerkung am Rande: Robert<br />
Schumann hat 1840 in seinem Liederzyklus<br />
„Dichterliebe“ (op. 48) Gedichte von Heinrich<br />
Heine vertont. Als <strong>Nº</strong> 6 folgendes:<br />
Im Rhein, im heiligen Strome,<br />
Da spiegelt sich in den Wellen,<br />
Mit seinem großen Dome,<br />
Das große heilge Köln.<br />
Im Dom da steht ein Bildnis,<br />
Auf goldenem Leder gemalt;<br />
In meines Lebens Wildnis<br />
Hats freundlich hineingestrahlt.<br />
Es schweben Blumen und Englein<br />
Um unsre liebe Frau;<br />
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,<br />
die gleichen der Liebsten genau.<br />
Die „Muttergottes in der Rosenlaube“ ist<br />
nicht mit der Sammlung von Ferdinand<br />
Franz Wallraf (1748—1824) in den Besitz des<br />
heute nach ihm benannten Museums gelangt,<br />
sondern ist dem Museum von einem<br />
anderen Kölner Sammler, Franz Jakob Josef<br />
Melchior von Herwegh (1773—1848), vermacht<br />
worden. Im Dom hat es nie gehangen,<br />
sehr wohl aber (nach 1810) der „Altar<br />
der Stadtpatrone“. Ihn, so wird angenommen,<br />
hat Dürer 1520 in Köln – noch in der<br />
Ratskapelle vor dem Rathaus – besucht und<br />
ihn haben auch Heinrich Heine und Robert<br />
Schumann besungen. Er zeigt auf seiner Mitteltafel<br />
die Frau, die Schumann so an seine<br />
Liebste erinnert hat … an Clara Wieck, die<br />
spätere Clara Schumann … „die Augen, die<br />
Lippen, die Wängelein“, welche Ähnlichkeit!<br />
Mit Clara Wieck? Mit der „Muttergottes in<br />
der Rosenlaube“.<br />
Robert Schumann, Dichterliebe, Liederkreis<br />
op. 24<br />
Roman Trekel, Bariton, Oliver Pohl, Klavier<br />
Aufgenommen im November 2005<br />
OEHMS Classics [www.oehmsclassics.de]<br />
OC 571<br />
Auf diese (nicht mehr ganz neue) CD mit Roman<br />
Trekel und Oliver Pohl möchte ich in<br />
diesem Zusammenhang hinweisen. Sehr intensiv<br />
wird hier eine hoffnungsvolle Liebe<br />
dargestellt, die schon ein paar Verse später<br />
getrübt wird durch tiefe Enttäuschung und<br />
Weltschmerz.<br />
Die alle könnens nicht wissen,<br />
Nur Eine kennt meinen Schmerz;<br />
Sie hat ja selbst zerrissen,<br />
Zerrissen mir das Herz.<br />
„Durch Schumann werden Heines Dichtungen<br />
zur Chiffre des modernen Weltschmerzes<br />
schlechthin“ schreibt Richard Eckstein im<br />
Booklet. Sehr eindringlich ist das Auf und<br />
Ab der Gefühle in dieser Aufnahme dargestellt.<br />
Peter Päffgen
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE …<br />
alle zwei Monate unter<br />
www.MusiCologne.eu<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 37
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> - ONLINE<br />
www.<strong>Gitarre</strong>-und-<strong>Laute</strong>.de<br />
38 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1
Neue Platten<br />
Vorgestellt von Peter Päffgen<br />
Friedemann Wuttke beherrscht es, alle paar<br />
Jahre mit neuen CDs auf den Markt zu kommen<br />
und so das Interesse von Rezensenten<br />
und Interessenten auf sich zu lenken … die<br />
dann bald feststellen, dass es sich gar nicht<br />
um neue CDs handelt, sondern um Neuauflagen<br />
und Neuzusammenstellungen bereits<br />
bekannten Materials. Gut, werden Sie sagen,<br />
dass geschieht mit den Aufnahmen von<br />
Andrés Segovia oder denen von Julian Bream<br />
auch. Die sind schon Gott weiß wie oft<br />
in neuem Gewand gepresst und gepusht<br />
worden und erscheinen immer wieder neu<br />
in preiswerten oder auch teuren Neuauflagen<br />
und keiner beschwert sich. Schauen wir<br />
doch, was Friedemann Wuttke auf seiner<br />
neuesten Neuerscheinung anbietet.<br />
20th Century Guitar<br />
The Art of Modern Guitar: Wedlich,<br />
Brouwer, Domeniconi<br />
Friedemann Wuttke, Guitar<br />
Aufgenommen 1992, 1995 und 2006, erschienen<br />
<strong>2008</strong><br />
Profil/Hänssler PH 08039 [im Vertrieb<br />
von NAXOS-Deutschland, NAXOS.de]<br />
… schamlos umworben …<br />
✰✰✰<br />
1966 gab es schon einmal eine Platte, Vinyl<br />
natürlich, mit dem Titel „20th Century Guitar“,<br />
und auch diese Platte ist sehr oft neu<br />
herausgekommen. Sie gilt heute noch als legendär.<br />
Gut, der Titel „20th Century Guitar“,<br />
den beide, Bream, Wuttke und sicher<br />
noch etliche andere, gewählt haben, ist<br />
nicht so singulär, dass man von einem Plagiat<br />
reden dürfte oder gar müsste, aber erlauben<br />
Sie mir trotzdem, als einem, der alt genug<br />
ist, 1966 die Bream-Aufnahme wie einen<br />
Erdrutsch empfunden zu haben, wie eine<br />
Verheißung und übrigens auch als eine<br />
politische Äußerung, jetzt, bei einer Platte,<br />
die das gleiche Motto hat, Vergleiche anzustellen.<br />
Friedemann Wuttke schreibt, „<strong>Gitarre</strong>nmusik<br />
des 20. Jahrhunderts, das ist einerseits Avant-<br />
garde, Experiment und Erweiterung des Klangraums;<br />
andererseits entstehen Kompositionen,<br />
die im Umgang mit der <strong>Gitarre</strong> selbst höchst<br />
virtuos sind, ihrem Instrument den Raum der<br />
Tonalität neu erschließen und dabei ihre spezifischen<br />
Klangmöglichkeiten, gleichsam ihre<br />
Seele aufspüren.“ Dem „Andererseits“ hat er<br />
diese CD gewidmet, und das unterscheidet<br />
sie grundsätzlich von der namensgleichen<br />
Platte von 1966. Die Stücke, die Bream damals<br />
ausgesucht hat, waren weit entfernt<br />
von „gitarrenidiomatischer Virtuosität“. Sie<br />
haben der <strong>Gitarre</strong> den Weg auf die Bühnen<br />
der großen Konzertsäle geebnet – sie wurde<br />
zum Instrument, für das sich international<br />
renommierte Komponisten interessierten …<br />
Benjamin Britten, Frank Martin, Hans Werner<br />
Henze und viele andere. <strong>Gitarre</strong>nidiomatische<br />
Virtuositäten hatte es vorher genug gegeben,<br />
Alberti-Bässe, Arpeggien, Glissandi ,<br />
Skalen und Läufe. Jetzt hatten sich Komponisten<br />
des Instruments angenommen, die<br />
selbst nicht <strong>Gitarre</strong> spielten. Sie komponierten<br />
das, was sie im Kopf und nicht in den<br />
Händen hatten. Britten und Martin, das war<br />
noch vitale Musik mit viel Engagement und<br />
Sentiment, aber es entstand auch viel „verkopfte<br />
Musik“. Zu viel! Musik, die an den<br />
Leuten vorbeikomponiert war, Musik, die immer<br />
weniger Zuhörer fand. Wen wunderts,<br />
dass heute das Pendel wieder in die andere<br />
Richtung schlägt?<br />
Die späten 60er und die 70er Jahre waren<br />
keine Zeit zum Kuscheln! Man hatte den<br />
größten Teil der Trümmer zusammengekehrt<br />
und begann, die Wunden zu lecken, die die<br />
Weltkriege hinterlassen hatten und das Denken<br />
über Gott und Welt in neue Bahnen zu<br />
leiten. Neues musste geschaffen werden,<br />
weil das Alte Unsägliches heraufbeschworen<br />
hatte und aus dieser Perspektive ist Theodor<br />
W. Adornos viel zitiertes Diktum zu verstehen<br />
„nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben,<br />
ist barbarisch!“.<br />
Und jetzt, wo wir die Zeit ohne Gedichte<br />
hinter uns haben, gibt es noch das Grüppchen<br />
der Spät-68er, die jedes Anbiedern an<br />
den Publikumsgeschmack ablehnen … und<br />
es gibt die Fortschrittsmenschen, die dem<br />
grüblerischen Suchen nach dem Sinn des Lebens<br />
abgeschworen haben zugunsten des<br />
Auftrags, das Publikum zu unterhalten und<br />
bei Laune zu halten. „Dafür hat es schließlich<br />
bezahlt!“<br />
Die Sonata von Ulrich Wedlich ist eine<br />
„Hommage à Leo Brouwer“ und Diederich<br />
Lüken, der Autor des Booklet-Textes, hört in<br />
ihr eine „Gratwanderung zwischen populärer<br />
Beliebigkeit und elitärem Anspruch“. Dafür<br />
wirkt sie ziemlich fordernd … im Gegensatz<br />
zu „Koyunbaba“ am Schluss der CD, wo bekanntlich<br />
der Zuhörer schamlos umworben<br />
wird. Überhaupt: Die „Sonata“ von Ulrich<br />
Wedlich ist weit entfernt von jeglicher Belie-<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 39
igkeit, sondern klar strukturiert. Und sie<br />
wartet mit schönen Bildern auf, mit Impressionen,<br />
die der Komponist geschickt eingefangen<br />
hat.<br />
Danach kommt das „Concerto Elegiaco“ von<br />
Leo Brouwer, bei dem das sehr gut eingestellte<br />
New Moscow Chamber Orchestra und<br />
der Dirigent Igor Zhukov mit von der Partie<br />
sind. Leo Brouwer ist dabei das Beispiel für<br />
einen Komponisten, in dessen Œuvre man<br />
den Wandel vom Avantgardistischen in den<br />
siebziger Jahren hin zu einer späteren<br />
Neoromantik beobachten kann. Vergleicht<br />
man beispielweise „Espiral Eterna“ oder<br />
„Canticum“ mit seinen späteren Stücken,<br />
dann hat man den eben beschriebenen<br />
Schwenk vor sich, den das Komponieren gemacht<br />
hat. Und auch dieses Konzert „Hommage<br />
à César Franck“ ist durchaus dem Bedürfnis<br />
nach Harmonie und Ausgleich näher<br />
als dem nach Diskussion und Revolution.<br />
Schließlich Koyunbaba! Wenn dieses Stück<br />
nicht buchstäblich jeder spielte, wenn es<br />
nicht der Gassenhauer professioneller und<br />
vor allem weniger professioneller Gitarristen<br />
wäre wie seinerzeit die „Spanische Romanze“,<br />
dann ließe sich ja gegen „Koyunbaba“<br />
überhaupt nichts sagen. Das Stück ist gut<br />
geschrieben und, ja, es ist sehr wirkungsvoll<br />
… und das bei sehr überschaubaren technischen<br />
Anforderungen! Jeder setzt auf dieses<br />
Pferd. Sogar John Williams!<br />
Friedemann Wuttke weiß, was er seinem Publikum<br />
anbietet. Das ist keineswegs zu<br />
bemängeln. Aber nicht jeder Zuhörer ist<br />
gleich und hat die gleichen Präferenzen!<br />
Aber wenn wir schon von „Klassik für Jedermann“<br />
reden. Wie wärs damit?<br />
Melodie d’Amore<br />
Giovanni De Chiaro, guitar<br />
Werke von Liszt, Debussy, Albéniz, Offenbach,<br />
Ponchielli, Satie, Schubert, Gounod,<br />
Waldteufel, Rachmaninoff, Massenet,<br />
Faure u. a.<br />
Aufgenommen im Januar und Februar<br />
2007<br />
CENTAUR CRC 2906 [in Deutschland bei<br />
40 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
Klassik-Center, Kassel – klassikcenter-<br />
Kassel.de, centaurrecords.com]<br />
… keine glückliche Hand …<br />
✰<br />
Klassik quer durch den Garten! Jacques Offenbachs<br />
„Cancan“ hat mich interessiert,<br />
weil ich vor ein paar Tagen noch vor seinem<br />
Geburtshaus am Großen Griechenmarkt hier<br />
in Köln gestanden habe. Die Musik ist quicklebendig<br />
und vital … aber für <strong>Gitarre</strong> denkbar<br />
ungeeignet. Oder vielleicht hätte man<br />
bei der Transkription anders verfahren müssen?<br />
„La fille aux cheveux de lin“ von Claude<br />
Debussy lässt sich recht gut transkribieren.<br />
Gemeint ist die Musik und nicht der Titel,<br />
der hier als „The Girl with the Flaxen<br />
Hair“ alle Poesie eingebüßt hat. Gelungen<br />
ist auch der „Tanz der Stunden“ von Amilcare<br />
Ponchielli (1834—1886), ein „unbekanntes<br />
Stück“ von unglaublicher Popularität, was<br />
übrigens auch für „Les Patineurs“ von Emile<br />
Waldteufel (1837—1915) gilt, bekannt geworden<br />
als „Schlittschuhläufer-Walzer“.<br />
Man sieht also, dass Giovanni de Chiaro<br />
durchaus originell bei der Auswahl seiner<br />
Stücke war, aber leider hatte er, was Transkriptionen<br />
und Interpretation angeht, keine<br />
glückliche Hand. Das schöne „Moment Musical“<br />
von Franz Schubert hat er durchrast,<br />
auch die monumentale „Ungarische Rhapsodie<br />
<strong>Nº</strong> 2“ von Franz Liszt, mit 11:20 Minuten<br />
das längste Stück der CD. Hier hat die <strong>Gitarre</strong>nfassung<br />
mit ihren Akkordreihungen<br />
manchmal groteske Züge – vor allem, wenn<br />
noch lautes Quietschen bei Lagenwechseln<br />
dazukommt.<br />
Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />
Vol. 2<br />
Werke von Sor, Giuliani, Schubert,<br />
Ponce, Mendelssohn-Bartholdy, Chopin<br />
NAXOS 8.111090<br />
Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />
Vol. 3<br />
Werke von Tárrega, Albéniz, Aguirre,<br />
Ponce, Malats, Esplá<br />
NAXOS 8.111091<br />
Andrés Segovia: 1950s American Recordings<br />
Vol. 4<br />
Werke von Milan, Narváez, Mudarra,<br />
Dowland, Frescobaldi, Couperin, de<br />
Visée, Rameau, Scarlatti, Ponce<br />
NAXOS 8.111092<br />
Segovia: 1950s American Recordings<br />
Vol. 5<br />
Werke von Castelnuovo-Tedesco, Cassadó,<br />
Lauro, Tansman, Rodrigo, Gómez<br />
Crespo, Haug<br />
NAXOS 8.111313<br />
Naxos führt die Segovia-Reihe weiter (Volume<br />
1 der amerikanischen Aufnahmen ist in<br />
Ausgabe XXIX/2007/<strong>Nº</strong> 3, S. 30 bespro-<br />
chen). Unter den Aufnahmen aus den fünfziger<br />
Jahren, gemacht in New York für DEC-<br />
CA, findet man Raritäten und natürlich einige<br />
der Highlights des Schaffens Segovias.<br />
Anfang der fünfziger Jahre war Segovias<br />
ganz große Zeit. Die Aufnahmen Vol. 2 sind<br />
zwischen 1952 und 1955 entstanden. Segovia,<br />
geboren 1893, war um die sechzig und<br />
auf dem Zenith seiner Karriere. Seine Saat<br />
war aufgegangen. Die Komponisten, die er<br />
beauftragt hatte, für ihn und für die <strong>Gitarre</strong><br />
zu schreiben, hatten ihre Werke abgeliefert<br />
und sie waren Welterfolge. Seine Transkriptionen<br />
hatten ihre Weg ins international anerkannte<br />
Repertoire gefunden und Andrés<br />
Segovia feierte eine Karriere, die kein (klassischer)<br />
Gitarrist vor und nach ihm mehr erleben<br />
sollte.<br />
Vol. 5 der hier vorzustellenden CDs enthält<br />
Stücke einiger Komponisten, die für den Maestro<br />
geschrieben haben, darunter Mario Castelnuovo-Tedescos<br />
(1895—1968): Quintett<br />
für <strong>Gitarre</strong> und Streicher, „Capriccio Diabolico“<br />
und „Tonadilla on the name of Andrés<br />
Segovia“. Das Quintett gehört zu den Höhepunkten<br />
des Ensemble-Repertoires mit <strong>Gitarre</strong>,<br />
ist aber leider selten zu hören, weil solche<br />
Besetzungen nicht oft zustande kommen.<br />
Die <strong>Gitarre</strong> ist kammermusikalisch besetzt,<br />
es handelt sich also nicht um ein Solokonzert<br />
in Reduktion für <strong>Gitarre</strong> und Streichquartett,<br />
sondern tatsächlich um ein Quintett.<br />
Mir gefällt das Scherzo immer wieder<br />
aufs neue (Allegro con spirito alla marcia)<br />
und die darin enthaltenen Zwiegespräche<br />
zwischen Erster Violine und <strong>Gitarre</strong>. Und mir<br />
gefällt auch, dass Maestro Segovia sich ganz<br />
offenbar einem Ensemble unterordnen konnte.<br />
Seine agogischen Eigenwilligkeiten hätten<br />
durchaus zu Problemen führen können –<br />
hätte er auf ihnen bestanden.<br />
Dann kommt „Sardana ghigiana“ von Gaspar<br />
Cassadó (1897—1966), auch ein Stück,<br />
das man nicht oft aufgetischt bekommt, die<br />
„Cavatina“ von Tansman, „Zarabanda lejana“,<br />
„Norteña“, eine venezolanischer Walzer<br />
von Antonio Lauro und schließlich „Alba“<br />
und „Postlude“ von Hans Haug (1900—
1967), Stücke, die ich tatsächlich jetzt, auf<br />
dieser Wiederveröffentlichung, zum ersten<br />
Mal gehört habe. Hans Haug war Pianist<br />
und Komponist und hat 1950 mit einem<br />
Konzert für <strong>Gitarre</strong> und Kammerorchester einen<br />
ersten Preis beim Kompositionswettbewerb<br />
der Accademia Chigiana in Siena gewonnen.<br />
Danach schrieb er gelegentlich für<br />
<strong>Gitarre</strong> – ein paar seiner Stücke stehen noch<br />
in den Verlags-Katalogen, aber gespielt werden<br />
sie nicht mehr. Dabei wären sie es wert!<br />
Als Nicht-Gitarrist hat Haug sehr gut die<br />
klanglichen Möglichkeiten der <strong>Gitarre</strong> verstanden<br />
und genutzt, hat mit offenen Klängen<br />
gearbeitet, mit raffinierten Vorhalten<br />
und komplexen harmonischen Strukturen,<br />
zu komplex für Segovias Geschmack, möchte<br />
man meinen, aber er hat die Musik offenbar<br />
gemocht.<br />
Vol. 3 der Reihe mit Segovia-Aufnahmen<br />
aus den Fünfzigern beginnt mit einer Überraschung!<br />
„Recuerdos de la Alhambra“ von<br />
Tárrega kennen wir von Segovia ja durchaus<br />
… aber nicht mit der zusätzlichen Achtel e’<br />
im zweiten Takt!<br />
Was lernen wir daraus? Nicht, dass „Recuerdos<br />
de la Alhambra“ auch mit einem Achtelchen<br />
mehr gut zu spielen ist, sondern dass<br />
beim Digitalisieren älterer Klangaufnahmen<br />
durchaus editorisch eingegriffen wird. Vielleicht<br />
nicht überall und immer, aber hier ist<br />
geschnitten worden, und das bei Aufnahmen,<br />
die über fünfzig Jahre alt sind. Dass<br />
Maestro Segovia seinen Tárrega gekannt<br />
und das „e“ nicht selbst eingeschmuggelt<br />
hat, dafür müssen sicher keine Beweise vorgelegt<br />
werden, aber natürlich ist diese NA-<br />
XOS-Produktion nicht der einzige Segovia-<br />
Sampler mit eben diesem Stück. Auf keinem<br />
anderen hört man das hinzugedichtete „e“<br />
… das mir im Übrigen den Spaß an dieser<br />
CD keineswegs verdorben hat. Highlights:<br />
„Serenata Española“ von Malats, „Sonata<br />
III“ von Ponce und am Schluss die seltenen<br />
„Impresiones levantinas“ von Oscar Esplá<br />
(1886—1976).<br />
Vol. 4 enthält Repertoire der Renaissance<br />
und des Barock – mit Luis Milan und Mudarra<br />
am Anfang und Manuel Ponce am<br />
Schluss.<br />
Ponce?! Natürlich war der kein Kind der Barockzeit,<br />
aber er hat eine Suite geschrieben,<br />
die bis vor ein paar Jahren als Werk von Silvius<br />
Leopold Weiss ausgegeben worden ist.<br />
Wenn man heute diese Geschichte erwachsenen<br />
<strong>Gitarre</strong>nfans erzählt, behauptet jeder, er<br />
habe immer schon an Weiss als Urheber gezweifelt.<br />
Damals aber, als Segovia die Suite<br />
öffentlich und auf Platte gespielt hat, ist<br />
niemand auf den Gedanken gekommen, öffentlich<br />
Fragen zu stellen oder gar Zweifel<br />
anzumelden. José de Azpiazu hat sogar eine<br />
Ausgabe der Suite auf den Markt gebracht<br />
und geschrieben, er habe keinen originalen<br />
Druck oder keine Handschrift finden können<br />
und daher die Suite nach der Plattenaufnahme<br />
von Maestro Segovia aufgeschrieben.<br />
Noch zwei Stücke, die unter falschem Namen<br />
gespielt worden sind, findet man auf<br />
dieser CD: „Prámbulo“ und „Tempo di Gavotta“<br />
von Alessandro Scarlatti (1660—<br />
1725). Auch sie hat Ponce für Segovia geschrieben.<br />
Segovia ist mit historischen Vorlagen wie<br />
Tabulaturen und alten Ausgaben rigide umgegangen.<br />
Urtext war nicht sein Ding! John<br />
W. Duarte hat in seinem Buch „Andrés Segovia<br />
as I Knew Him“ (Pacific/MO 1998) Segovias<br />
Umgang mit Quellen und Originalen<br />
beschrieben (und den seiner Zeitgenossen<br />
natürlich – Segovia war kein Einzelfall): „In<br />
the case of early music, not least that originally<br />
written in tablature, one might expect the<br />
arranger to translate it as accurately as possible,<br />
without the exercise of his/her own imagination<br />
or taste. Such was not the case; even<br />
the scholarly Emilio Pujol was not above making<br />
his own, unannounced contribution, e.g.,<br />
in the well-known Pavanas of Gaspar Sanz.”<br />
(S. 39)<br />
Ich habe den Eindruck, das Segovia beim<br />
Spielen der Stücke von Narváez und Mudarra<br />
keine große Freude empfunden hat.<br />
„Guárdame las vacas“ hat ihn als Variationssatz<br />
noch am meisten gereizt und zu interpretatorischen<br />
Eigenwilligkeiten Raum gegeben<br />
… aber die einleitende „Fantasia<br />
XVI“ von Luis Milan? Sie scheint ihn nicht<br />
wirklich herausgefordert zu haben. Aber die<br />
d-Moll-Suite von Robert de Visée haben ihm<br />
nach 1957, in diesem Jahr ist die Aufnahme<br />
entstanden, alle Gitarristen nachgespielt,<br />
nicht aus einer eigenen Ausgabe freilich,<br />
aber die von Karl Scheit war schon seit<br />
1944 auf dem Markt und die von José de<br />
Azpiazu, in die Segovias Verzierungen und<br />
Ergänzungen eingeflossen sind, seit 1954.<br />
Für mich ist das Highlight dieser CD die<br />
Weiss/Ponce-Suite, die ich vor vielen Jahren<br />
aus der Azpiazu-Ausgabe zu spielen versucht<br />
habe … übrigens ohne den Verdacht<br />
zu hegen, das Stück könne nicht von Weiss<br />
stammen.<br />
Vol. 2: Die Klassiker. Ganz am Schluss steht<br />
mein Favorit, die „Canzonetta“ aus dem<br />
Streichquartett Es- Dur op. 12 von Felix<br />
Mendelssohn-Bartholdy. Dieses Stück hat<br />
immer einen ganz besonderen Reiz auf<br />
mich ausgeübt, und das tut es immer noch.<br />
Aber auch eine ganze Reihe anderer auf dieser<br />
CD: Die C-Dur-Sonate von Mauro Giuliani<br />
zum Beispiel, bzw. der erste Satz aus dieser<br />
Sonate, denn mehr hat Segovia nie eingespielt.<br />
Und natürlich die Mozart-Variationen<br />
op, 9, die ich auch damals gespielt habe,<br />
und zwar aus der Schott-Ausgabe von<br />
Maestro Segovia höchstpersönlich. Erst Jah-<br />
re später hörte ich sie von einem anderen<br />
Gitarristen und war bass erstaunt, dass der<br />
eine Art Ouvertüre dazukomponiert hatte.<br />
So kann man sich irren! Aber natürlich<br />
spielte niemand die Mozart-Variationen so<br />
wie Segovia: so klangvoll, so virtuos, so<br />
gut! Segovia hat Generationen von Gitarristen<br />
und <strong>Gitarre</strong>freunden geprägt und für<br />
sich einnehmen können, weil er konkurrenzlos<br />
war. Und weil er ein großer Musiker war.<br />
Und er war ein Kind seiner Zeit, und das<br />
war das 19. Jahrhundert. Seine interpretatorischen<br />
Eigenarten darf man nur aus dieser<br />
Sicht bewerten. Wenn heute ein Musiker so<br />
spielte wie Segovia, er würde für verrückt<br />
erklärt. Aber Segovia war ein Künstler, dem<br />
sein Instrument, die <strong>Gitarre</strong>, am Herzen<br />
lag. Und er hat mit seiner Kunst, was die <strong>Gitarre</strong><br />
angeht, das zwanzigste Jahrhundert<br />
geprägt wie kein anderer. Und, das sollte<br />
man nie vergessen: Er gehörte einer anderen<br />
Zeit an, einer Zeit, als man von Aufführungspraxis<br />
und Authentizität weder<br />
viel wusste noch viel Aufhebens machte.<br />
Und vergleichen Sie sein Spiel mit dem von<br />
zeitgenossischen Vertretern anderer Instrumente.<br />
Es finden sich Parallelen, was Agogik<br />
und andere Eigenwilligkeiten angeht!<br />
Diese CDs gehören in die Plattensammlung<br />
jedes <strong>Gitarre</strong>nfreunds. Es sind einzigartige<br />
Dokumente einer einzigartigen Karriere.<br />
Carl Philipp Emanuel Bach: Transcriptions<br />
for Guitar<br />
Petri Kumela, Guitar<br />
Aufgenommen im November und Dezember<br />
2006<br />
ALBA-Records (in Deutschland bei Klassik<br />
Center Kassel, ClassicDisk.de) 244<br />
… Petri Kumela hat dem „Empfindsamen<br />
Stil“ nachgeforscht …<br />
✰✰✰✰<br />
Carl Philipp Emanuel Bach (1714—1788), der<br />
Berliner oder Hamburger Bach, hat 19 Sinfonien<br />
geschrieben, 200 Sonaten, 50 Klavier-<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 41
konzerte, 20 Passionsmusiken, 2 Oratorien,<br />
ein Buch mit dem Titel „Versuch über die<br />
wahre Art, das Clavier zu spielen“ (Berlin<br />
1758) und vieles mehr, er war also ähnlich<br />
fleißig wie sein Vater Johann Sebastian.<br />
Aber eines hat er nie geschrieben: Musik für<br />
<strong>Gitarre</strong> (auch wie sein Vater). Und er ist<br />
auch bisher selten von Gitarristen als Lieferant<br />
von Transkriptions-Vorlagen eingesetzt<br />
worden. Lediglich eine „Siciliana Fis-Moll“<br />
ist mir bisher aufgefallen, übertragen und<br />
gespielt von Andrés Segovia (s. NAXOS<br />
8.111089: 1950s American Recordings Vol.<br />
1).<br />
Johann Sebastian Bach war ein großer Komponist,<br />
einer der größten der Musikgeschichte.<br />
Aber er war auch ein „Esoteriker, der sich<br />
bewusst vor der Welt verschloss und daraus die<br />
kompositorischen Konsequenzen zog“ (so Carl<br />
Dahlhaus). Dass seine Söhne, die bei ihm in<br />
die Lehre gegangen sind, musikalisch andere<br />
Wege gehen würden, als ihr übermächtiger<br />
Vater, versteht sich von selbst. Schließlich<br />
stand eine Revolution unmittelbar bevor,<br />
eine Revolution politisch-gesellschaftlicher<br />
Art und auch eine, was das das kulturelle<br />
Leben also auch das Komponieren angeht.<br />
Carl Philipp Emanuel war Hofmusikus bei<br />
Friedrich II. von Preußen (daher Berliner<br />
Bach) und später Nachfolger seines verstorbenen<br />
Paten Georg Philipp Telemann als<br />
Städtischer Musikdirektor in Hamburg (daher<br />
Hamburger Bach). Das Ideengut der<br />
Aufklärung beherrschte den Preußischen Hof<br />
aber auch Bachs Umgebung in Hamburg.<br />
Musik in einer aufgeklärten Welt sollte für<br />
jeden verfügbar und sie sollte allgemein verständlich<br />
sein – schon dieses letzte Postulat<br />
bereitete der harmonisch komplexen, kontrapunktischen<br />
Musik des Spätbarock, wie Vater<br />
Bach sie vertreten hat, ein Ende. Ungezwungen<br />
und natürlich sollte die Musik für<br />
einen galant-homme sein, weit entfernt von<br />
barockem Pathos. Galant nennen wir den<br />
Stil, der diesem Ideal entsprach, später,<br />
hauptsächlich in Norddeutschland, heißt er<br />
„Empfindsamer Stil“.<br />
Die Klaviermusik Carl Philipp Emanuel Bachs<br />
kann als beispielhaft für diesen Stil, der damals<br />
als avantgardistisch galt, angesehen<br />
werden. Seine meist dreisätzigen Sonaten<br />
nehmen oft das Prinzip des klassischen Sonatenhauptsatzes<br />
vorweg – drei davon hat<br />
Petri Kumela für sein Programm ausgesucht.<br />
Dazu gibt es „6 Petite Pièces“ aus einer insgesamt<br />
großen Anzahl kurzer, oft tanzartiger<br />
Stücke, die, wie auch Lotta Emanuelsson,<br />
die Autorin des Booklet-Textes, meint,<br />
an die kleinen Cembalo-Stücke von François<br />
Couperin und seiner Zeitgenossen erinnern<br />
und tatsächlich haben auch die „Petites Pièces“<br />
von Bach französische Namen wie<br />
„L’Irrésolue“ oder „La Journalière“ und sind<br />
42 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
so etwas, was man später, ab dem 19. Jahrhundert,<br />
als Charakterstücke bezeichnet hätte.<br />
Carl Philipp Emanuel Bach schätzte das Clavichord,<br />
ein Instrument das irgendwie mit<br />
dem „Empfindsamen Stil“ verbunden zu sein<br />
scheint und dessen Repertoire sich wegen<br />
seiner zarten Fragilität zum Transkribieren<br />
für <strong>Gitarre</strong> geradezu anbietet. So ist auch<br />
die Aufnahme von Petri Kumela eher introvertiert<br />
als laut herausposaunt, eher kontemplativ<br />
als dezidiert. Von der durchaus<br />
brillanten Virtuosität einiger der „Charakterstücke“<br />
– „L’Irrésolue“ oder „La Capricieuse“<br />
zum Beispiel – macht er nicht viel Aufhebens,<br />
macht keine Kraftakte daraus, sondern<br />
verspielte musikalische Miniaturen,<br />
mehr für den Interpreten als für großes Publikum.<br />
Petri Kumela hat dem „Empfindsamen Stil“<br />
nachgeforscht und lässt uns an seinen Erkenntnissen<br />
teilhaben. Völlig unaufdringlich<br />
berichtet er uns von einer musikalischen<br />
Entdeckung, die mehr als bemerkenswert<br />
ist. Ob die Werke von Carl Philipp Emanuel<br />
Bach nun ihren Weg ins <strong>Gitarre</strong>nrepertoire<br />
weiter beschreiten werden, wage ich zu bezweifeln.<br />
Für Exhibitionisten, das gleich vorweg,<br />
sind sie jedenfalls nicht das Richtige.<br />
Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—<br />
1716)<br />
Viennese Lute Concertos<br />
Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor<br />
Hubert Hoffmann, <strong>Laute</strong><br />
Challenge Classics<br />
(Challengerecords.com, in Deutschland<br />
bei Sunny-Moon.com) CC72291<br />
Erschienen <strong>2008</strong><br />
… das künstlerische Ergebnis ist sensationell!<br />
…<br />
✰✰✰✰✰<br />
Wenzel Ludwig Edler (oder Freiherr) von Radolt?<br />
Ein 1701 in Wien gedrucktes Buch enthält<br />
die einzigen Werke, die mit diesem<br />
Komponisten in Verbindung gebracht werden:<br />
„Die Aller Treüeste / Verschwiegenste und<br />
nach so wohl / fröhlichen als Traurigen Humor<br />
sich richtente / freindin / Vergesellschafft sich<br />
mit anderen getreü / en Fasalen Unserer Inersten<br />
Gemuets / Regungen“. „Es gehören zu<br />
dißen Meinen Ersten Opus 5. Büecher. 1. Die<br />
Erste Lautten. 2. Die Lautten, So die Mittel-Stimen<br />
führet. 3. Die Erste Geigen oder Flautten.<br />
4. Die Mittel-Stimmen in der Geigen oder Gamba.<br />
5. Der Baß.“ 1918 hat Adolf Koczirz Teile<br />
dieser Sammlung in seinem Band „Österreichische<br />
<strong>Laute</strong>nmusik zwischen 1650 und<br />
1720“ der „Denkmäler der Tonkunst in<br />
Österreich“ (DTÖ) Jahrgang XXV/2, Band 50<br />
herausgegeben und dabei schon die bedauerliche<br />
Tatsache erwähnt, dass sie nicht vollständig<br />
erhalten ist: „Das vollständigste Exemplar<br />
dieses Werkes besitzt, soweit bekannt, die<br />
Musikalienbibliothek des Stiftes Raigern – es<br />
fehlt hier bloß das 4. Buch“.<br />
Zwölf „Concerti“ enthält das Buch in der Besetzung<br />
Violine, <strong>Laute</strong> und Bass, zu der Zeit<br />
sehr beliebt als „Wiener <strong>Laute</strong>nkonzert“. „Bemerkenswert<br />
an dieser umfangreichen […]<br />
Sammlung […] ist mancherlei: Ihre Besetzungsvielfalt<br />
vom 4 stimmigen Streicher-Ensemble<br />
mit 3 obligaten <strong>Laute</strong>n in ebenso vielen<br />
Größen, bis zur relativ intimen Variante von<br />
nur einer Violine, obligater Viola da Gamba<br />
und Bass“ (Hubert Hoffmann im Booklet).<br />
Gunar Letzbor, der Leiter des Ensembles Musica<br />
Antiqua Austria und der <strong>Laute</strong>nist Hubert<br />
Hoffmann haben nach den fehlenden<br />
Stimmen gesucht und schließlich begonnen,<br />
sie zu rekonstruieren, weil sie nicht auffindbar<br />
schienen. Schließlich ist die letzte noch<br />
fehlende Violinstimme noch gefunden worden<br />
… und hier ist die erste Aufnahme!<br />
Hören wir, ob die Suche sich gelohnt hat!<br />
Vier der Wiener <strong>Laute</strong>nkonzerte sind auf dieser<br />
CD vereint, zusammen mit einigen Einzelsätzen.<br />
Wie Hubert Hoffmann schon angedeutet<br />
hat: Die Concerti sind keine Konzerte<br />
für <strong>Laute</strong> und Streicher, wie man vielleicht<br />
erwartet, sondern kammermusikalische<br />
Werke unterschiedlichster Besetzungen.<br />
Gleich das erste (e-Moll) ist mit drei obligaten<br />
<strong>Laute</strong>n besetzt, 2 Violinen, Diskantgambe<br />
und Bass, andere mit Traversflöte oder<br />
auch Colascione als Bassinstrument.<br />
Und es wird eine Vielzahl musikalischer Formen<br />
präsentiert – eine Auswahl dessen, was<br />
damals aus dem Habsburgischen Reich in<br />
Wien zusammenkam und was in Mode war.<br />
Im Concerto F-Dur hat der Komponist dabei<br />
zusätzlich präzise aufführungspraktische Anweisungen<br />
mitgeliefert. Bei dem hinreißend<br />
schönen Satz „Querelle des Amantes“ steht:<br />
„Wenn man dieses Stuckh allein spillet, So mueß<br />
man es nich gleich, Sondern bald Starkh,<br />
bald Still spillen, damit es scheinet, gleich einen<br />
bittenden und erzürnten, So Sich, alß es in<br />
Unisono gehet, wiederumb vergleichen.“ Wie<br />
passt diese Spielanweisung doch zu dem Titel<br />
des Stücks! Dass man das Stück auch „al
Hubert Hoffmann und seine Kollegen bei der Aufnahme<br />
der Wiener <strong>Laute</strong>nkonzerte von Wenzel Ludwig Edler von Radolt (1667—1716).<br />
Foto: © Gunar Letzbor. Ars Antiqua Austria<br />
lein spillen“ kann, also auf der <strong>Laute</strong>, gilt<br />
gleichzeitig für andere Sätze des gleichen<br />
Concerto. Über das „Capriccio en Canon“<br />
heißt es lapidar: „Wenn man es allein Schlagen<br />
will, So lasst man die Pausen auß.“<br />
Dass Gunar Letzbor mit Reinhard Goebel in<br />
Köln gearbeitet hat, ist kaum überhörbar …<br />
und natürlich für einen Geiger auch keineswegs<br />
verwunderlich. Sein Urteil aber, er sei<br />
von den „gluckernden und unglaublich resonanten<br />
Klängen dieser dickbäuchigen Gesellen<br />
begeistert“, würde sein Kollege Goebel kaum<br />
teilen. Von ihm konnte man am 9. Juni 2006<br />
im Kölner Stadtanzeiger lesen: „Das <strong>Laute</strong>ngeklimper<br />
und –gebimmel! Das ist das Allerletzte.<br />
Diese Instrumente werden in einem grotesken<br />
Maß aufgewertet! Es gibt von Brockes<br />
ein Gedicht darüber, dass die Hamburger<br />
Jungfern so gerne in die Oper gehen, weil sie<br />
da die Giraffen sehen. Die Giraffen sind die<br />
Chitarronen, die wie erigierte Glieder aus dem<br />
Orchestergraben ragen. Das interessiert die<br />
Leute immer noch am allermeisten. Wie früher.<br />
Die unwichtigsten Instrumente! Spätestens<br />
1720 wurde in Venedig eine <strong>Laute</strong>nposition<br />
nicht mehr neu besetzt, sondern in eine Geigenstelle<br />
umgewidmet. Heute haben wir Bach-<br />
Kantaten mit <strong>Gitarre</strong>. Lächerlich!“ Gut, Bach-<br />
Kantaten mit <strong>Gitarre</strong> als Continuo-Instru-<br />
ment sind lächerlich! Aber sonst?<br />
Die wissenschaftliche Leistung, die hinter<br />
dieser „Entdeckung“ steht, ist bemerkenswert,<br />
das künstlerische Ergebnis ist sensationell!<br />
Barocke Kammermusik mit <strong>Laute</strong>(n)<br />
wird, seitdem alte Musik „Alte Musik“ ist,<br />
gespielt, aber Kammermusik mit obligaten<br />
<strong>Laute</strong>n, deren Stimmen in Tabulatur überliefert<br />
sind, nicht. Und es ist ein Segen, dass<br />
hier kompetente Musiker diese „Erstaufführung“<br />
einspielen konnten. Das Spiel der<br />
<strong>Laute</strong>nisten kann man, zugegeben, nur als<br />
Teil des Ganzen beurteilen. Primus inter pares<br />
ist natürlich die Erste Geige … ohne sich<br />
zu arg aus dem Fenster zu lehnen. Und das<br />
kammermusikalische Gesamtbild ist geschlossen.<br />
Es ist entschärft, ohne „brav“ zu<br />
sein. Maestro Goebel – wenn wir schon einmal<br />
bei diesem Vergleich sind – hätte vermutlich<br />
schärfere Punktierungen, pointiertere<br />
Auftakte, auf die Spitze getriebene Betonungs-Muster<br />
und überhaupt avanciertere<br />
Tempi spielen lassen. Aber das wäre „eigentlich“<br />
nicht im Sinn des kammermusikalischen<br />
Ideals. Kammermusik ist Konversation<br />
zwischen Musikern – nicht unbedingt<br />
Streit!<br />
Zum Schluss noch eine CD mit Kammermusik.<br />
Kammermusik mit Thomas Müller-Pe-<br />
ring. Und auf der CD steht der Name Piazzolla!<br />
Tangos y Historias<br />
Friedemann Eichhorn, Violine, Thomas<br />
Müller-Pering, <strong>Gitarre</strong><br />
Werke von Piazzolla, Gismonti, Ibert,<br />
Albéniz, de Falla<br />
Aufgenommen im September 2006, erschienen<br />
<strong>2008</strong><br />
Hänssler Classic (in Deutschland bei<br />
NAXOS-Deutschland, naxos.de) 98.508)<br />
… Violine vs. Flöte? …<br />
✰✰✰✰✰<br />
Tja, „Histoire du Tango“ ist von Piazzolla<br />
dabei aber auch die „Milonga del Angel“<br />
und „Decarísimo“, „Agua e Vinho“ von Gismonti,<br />
„Entr’acte“ von Ibert, „Mallorca“<br />
von Albéniz und schließlich „Suite Popular<br />
Española“ und „Pantomime“ von de Falla.<br />
Diesmal mit Violine und nicht mit Flöte! (s.<br />
hierzu <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong> ONLINE<br />
XXIX/2007/<strong>Nº</strong>3, S. 42 mit der Besprechung<br />
der CD Círculo Mágico von Wally Hase, Flöte<br />
und Thomas Müller-Pering!)<br />
Zunächst, das gleich vorweg: Die Violine<br />
gewinnt, wenn das tatsächlich ein Wettbewerb<br />
sein soll … (soll’s natürlich nicht)! Ich<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1 43
höre Astor Piazzollas Geiger Fernando Suarez<br />
Paz und seh’ ihn förmlich vor mir beim<br />
Hören dieser CD. Er hat noch lasziver gespielt,<br />
Glissandi und andere klangliche Effekte<br />
eher in den Vordergrund gestellt, aber<br />
hier, auf dieser CD von Friedemann Eichhorn<br />
und Thomas M-P, höre ich das perfekte<br />
Zusammenspiel zweier Musiker, eines<br />
Geigers, der auf seinem Instrument singen<br />
und Geschichten erzählen kann, denen man<br />
gebannt lauscht, weil sie einen zum Lachen<br />
und Weinen bringen – und eines ebenso<br />
sensiblen wie manchmal auch bestimmenden,<br />
den Weg weisenden Partners (nicht Begleiters),<br />
der, wie in Piazzollas „Decarísimo“,<br />
die Gratwanderung zwischen Jazz,<br />
Tango, „klassischer Kammermusik“ und was<br />
auch immer traumwandlerisch mitmacht.<br />
Die „Suite Popular Española“, entstanden<br />
aus den „Siete canciones populares Españolas“<br />
von Manuel de Falla, ist, zusammen mit<br />
desselben „Pantomine“ aus „El Amor Brujo“,<br />
Schluss- und Höhepunkt der CD. Die<br />
Lieder bewahren, wie der ungenannte Autor<br />
des Booklet-Textes richtig meint, „sogar in<br />
einer rein instrumentalen Darreichungsform<br />
die erzählerischen Qualitäten“. Jedes dieser<br />
Lieder ist ein vollständiges kleines Kunstwerk,<br />
eine Geschichte und ein Stimmungsbild<br />
von enormer Dichte. Und die Geschichten<br />
werden verstanden – sogar von Nicht-<br />
Spaniern, wenn sie so dargeboten werden!<br />
Das ist eigentlich alles, was ich zu dieser<br />
Produktion anmerken möchte … und doch<br />
wäre es beinahe sträflich hier zu schließen<br />
ohne etwas über eine andere auch noch<br />
fast neue CD von Friedemann Eichhorn zu<br />
sagen, die ganz Piazzolla gewidmet ist …<br />
auf der die <strong>Gitarre</strong> allerdings keine Rolle<br />
spielt.<br />
Astor Piazzolla: Le Grand Tango<br />
Friedemann Eichhorn, Violine, Julius<br />
Berger, Cello, José Gallardo, Klavier<br />
Aufgenommen im März 2005, erschienen<br />
2007<br />
Hänssler Classic (in Deutschland bei<br />
NAXOS-Deutschland, naxos.de) 93.205<br />
44 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong> 1<br />
… Musik, die Gitarristen keineswegs unbekannt<br />
ist …<br />
✰✰✰✰✰<br />
Aber es wird Musik gespielt, die Gitarristen<br />
keineswegs unbekannt ist. Die „Vier Jahreszeiten“<br />
zum Beispiel, mit ihnen beginnt das<br />
Programm: „Cuatro Estaciones Porteños“.<br />
Tiefe Melancholie umfängt einen beim<br />
Hören, und die Geschichten die Piazzolla da<br />
über die Porteños erzählt, über die Hafenarbeiter<br />
oder Bewohner der Hafenviertel (porteño<br />
von porto = Hafen), handeln von Armut,<br />
harter Arbeit und von Verzweiflung,<br />
aber auch von Hoffnungen, Illusionen vielleicht.<br />
Aus dieser Umgebung kommt der<br />
Tango, seine Texte haben selten von Fröhlichkeit<br />
und Glück gehandelt. Es war meist<br />
Trauer und Enttäuschung, wovon die Tangueros<br />
gesungen haben und das hat Piazzolla<br />
in Musik gefasst.<br />
Neben den „Cuatro Estaciones Porteñas“<br />
geben die Musiker „Four Tangos“ für Violine<br />
und Klavier („Revirado“, „Adios Nonino“,<br />
„Milonga del Angel“ und „Fracanapa“), die<br />
zum Teil auch in Transkription für <strong>Gitarre</strong><br />
vorliegen und gespielt werden und schließlich<br />
das „Mottolied“ dieser CD: „Le Grand<br />
Tango“. Er ist 1982 entstanden und dem<br />
Cellisten Mstislav Rostropovitch gewidmet,<br />
der tatsächlich 1990 auch in der Uraufführung<br />
den Cellopart gespielt hat.<br />
Tango-CDs sind in den letzten Jahren viele<br />
entstanden und auf den Markt gekommen.<br />
Nachdem Astor Piazzolla am 4. Juli 1992<br />
gestorben ist, wurden seine Werke immer<br />
populärer und immer „klassischer“ – aus<br />
der großen Auswahl möchte Ihnen diese<br />
neue CD besonders empfehlen!<br />
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<strong>Gitarre</strong> <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE & <strong>Laute</strong>-ONLINE XXIX/2007 <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong> <strong>Nº</strong>4 <strong>Nº</strong> 45 1 45
Vor hundert<br />
Jahren …<br />
GVL (Guitarra – Vihuela – Laude) hieß eine Zitschrift der Agupación Guitarrística Galega,<br />
der <strong>Gitarre</strong>nvereinigung von Galicien. Die Hefte erschienen nur ein paar Jahre, beginnend<br />
1982. Wir werden hier einzeln Artikel<br />
und eventuell komplette Hefte als Faksmimiles „nachdrucken“.<br />
46 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1<br />
Der Guitarrefreund wird uns hier noch ein<br />
paar Ausgaben begleiten, denn die Hefte<br />
werden noch nachgedruckt, die man in der<br />
Staatlichen Musikbibliothek in Stockholm<br />
nicht im Internet einsehen oder oder herunterladen<br />
kann.<br />
Aber es gibt noch eine Menge anderer <strong>Gitarre</strong>nzeitschriften,<br />
die die meisten von Ihnn<br />
dem Namen nach kennen, die Ihnen aber<br />
nicht zur Verfügung stehen. <strong>Gitarre</strong>nzeitschriften<br />
sind von den großen Bibliotheken<br />
selten gesammelt worden, also ist es<br />
schwierig an Ausgaben oder auch nur einzelne<br />
Artikel heranzukommen. Wir werden<br />
versuchen, Ihnen besonders wichtige und<br />
selten auffindbare Zeitschriften als Faksimiles<br />
zur Verfügung zu stellen. Darunter werden<br />
Periodika in fremden Sprachen (Spanisch<br />
zum Beispiel) sein, bei denen wir aber<br />
davon ausgehen, dass Sie so an ihnen interessiert<br />
seind, dass Sie sich selbst um eventuell<br />
notwendige Übersetzungen kümmern.<br />
Hier nun sehen Sie die allererste Ausgabe<br />
der Zeitschrift „Der Guitarrefreund“ aus<br />
dem Jahr 1900. Carl Oscar Boije af Gannäs<br />
war zu dieser Zeit noch nicht Mitglied der<br />
Internationalen Guitarristen Verbands<br />
(IGV), also fehlen diese ersten Ausgaben<br />
der Zeitschrift auch in seiner Sammlung in<br />
der Stockholmer Bibliothek. Die von Josef<br />
Brandl, Königlich Bayerischem Hoflieferanten,<br />
autographierte Ausgabe wird der besseren<br />
Lesbarkeit halber noch einmal in Neusatz<br />
mitgeliefert – Sie wissen selbst, dass<br />
der „Guitarrefreund“ nur in den ersten paar<br />
Ausgaben so hergestellt worden ist, für spätere<br />
Hefte ist Neusatz nicht mehr nötig, wie<br />
Sie in den letzten Ausgaben von <strong>Gitarre</strong> &<br />
<strong>Laute</strong>-ONLINE selbst sehen konnten.<br />
Wir werden die älteren Zeitschriften, die Sie<br />
hier in Zukunft finden werden, nach der Veröffentlichung<br />
in <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE<br />
auch als PDF im Internet zur Verfügung<br />
stellen, und wir werden sie als Texte aufbereiten,<br />
damit man beispielsweise nach Komponisten-<br />
oder Instrumentenmachernamen<br />
suchen kann. Das wird eine wertvolle Hilfe<br />
für Ihre Recherchen sein!
Mitteilungen<br />
des<br />
Internationalen Guitarristen Verbands e.V.<br />
<strong>Nº</strong> 1 – München 1. Mai 1900.<br />
Inhalt: Vorwort. – Die Entstehung deas Internationalen Guitarristen-<br />
Verbands. – Guitarristische Plauderei. – Nachruf an J. Decker.<br />
Amtliches. – Mitgliederverzeichnis. – Mitteilung der Ortsvertretung<br />
München. – Chronik des Ortsverbands München. – Briefkasten<br />
Bei der Gründung des InternationalenGuitarristen-Verbands,gelegentlich<br />
des 1. Guitarretages<br />
in München am 17. September<br />
1899 wurde auch die<br />
Herausgabe eines Verbandsorgans<br />
ins Auge gefaßt. Über die<br />
Art und Weise, wie dieses Organ<br />
zu erscheinen habe, gingen<br />
die verschiedenen Ansichten<br />
jedoch auseinander, denn<br />
während die Einen dafür eintraten,<br />
diese Zeitschrift als<br />
selbständiges Blatt herauszugeben,<br />
äußerte sich die<br />
Mehrzahl der Herren Redner<br />
dahin, die Verbandszeitschrift<br />
vorerst einem bereits bestehenden<br />
Musikblatte beizulegen<br />
und erst später unabhängig<br />
vorzugehen.<br />
Die Generalversammlung vom<br />
29. Januar 1900, die zur<br />
Genehmigung der Statuten einberufen<br />
worden war und in der<br />
wegen Erlangung der Rechtsfähigkeit<br />
für den Verband<br />
Beschluß gefaßt wurde,<br />
beschäftigte sich auch mit der<br />
Frage des Verbandsorgans. Der<br />
ursprüngliche Plan, die officiellen<br />
Mitteilung[en] einer<br />
Musikzeitung beizulegen,<br />
wurde endgültig fallen<br />
gelassen und man beschloß,<br />
die Mitglieder über die Entwicklung<br />
des I.G.V., über<br />
dessen Bestrebungen und Ziele<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 47
durch von Zeit zu Zeit erscheinende<br />
Blätter zu unterrichten.<br />
Auf energisches Betreiben der<br />
Herren Sprenzinger und Kühles<br />
wurde es schließlich ermöglicht,<br />
den Grundstein für ein periodisch<br />
erscheinendes Verbandsorgan<br />
zu legen und so präsentiert<br />
sich schon heute die erste<br />
Nummer der „Mitteilungen des<br />
Internationalen Guitarristen-Verbands<br />
(e.V.)“ wenn auch in einer<br />
sehr bescheidenen Form.<br />
Nichtsdestoweniger hat unsere<br />
junge Vereinigung Ursache genug,<br />
stolz zu sein auf die Errungenschaft,<br />
denn frei und unabhängig,<br />
nicht als Anhängsel einer<br />
Zither- Mandolinen- oder<br />
sonstigen Musikzeitung treten<br />
diese Blätter hinaus in die Welt,<br />
und ebenso soll und wird auch<br />
unser Lieblingsinstrument die<br />
Guitarre sich wieder unabhängig<br />
machen und inmitten der anderen<br />
Instrumente den ihr gebührenden<br />
Platz sich zurückerobern.<br />
E[duard].K[ühles].<br />
Die Entstehung des InternationalenGuitarristen-Verbands<br />
Als eifriger Jünger des viel verachteten<br />
Guitarrespiels beschäftigte<br />
ich mich schon seit Mitte<br />
der 1890er Jahre mit dem Gedanken,<br />
die wenigen allerorts<br />
zerstreut lebenden und vereinsamten<br />
Freunde dieses Instruments<br />
aufzuspüren. Nach und<br />
nach gelang es mir mit den<br />
Herrn Otto Hammerer – Augsburg,<br />
Eduard Bayer – Hamburg,<br />
J. Decker Schenk – St. Petersburg,<br />
A. Götz – Innsbruck, J.<br />
Stockmann – Kursk, Dr. Sajaitzky<br />
und P. Solovieff – Moskau, Dr.<br />
Polupaenko Jusovka, Dr. Gebhardt<br />
– Sondermoning, C. O.<br />
Boije af Gännas – Stockholm, J.<br />
Adler, Zürich, Jul. Schramm –<br />
Dresden, u. A., worunter die hervorragendsten<br />
Guitarresolisten<br />
der alten Schule, persönlich oder<br />
auf schriftlichem Wege bekannt<br />
zu werden.<br />
Von jüngeren Musikfreunden,<br />
welche sich in unserer<br />
48 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
Zeit des Pianos und der Zither<br />
mit dem Guitarrespiel noch<br />
abgaben, konnte ich nur die<br />
Herren A. Mehlhart, L. Resch,<br />
H. Halbing, J. Baudreal in<br />
München, Professor Feder –<br />
Linz, M. Schwerdhöfer, E. Schlicker<br />
und F. Schwab – Augsburg<br />
ausfindig machen.<br />
Der Plan, einmal eine Zusammenkunft<br />
dieser wenigen,<br />
aber umso eifrigeren und leistungsfähigeren<br />
Freunde der<br />
Guitarre ins Werk zu setzen,<br />
nahm erst greifbare Gestalt<br />
an, als mich die Münchner<br />
Freunde im Januar 1899 mit<br />
einem Besuche erfreuten und<br />
die Augsburger ihren Gegenbesuch<br />
in Aussicht stellten. Eine<br />
mit Herrn Mehlhart, München,<br />
im Frühjahr und Sommer<br />
1899 intensiv betriebene<br />
Korrespondenz, die nach vielen<br />
Bemühungen erlangte Zusage<br />
erster Kräfte wie Hammerer,<br />
Mehlhart, Decker Schenk,<br />
Götz, Schwerdhöfer, Kullmann<br />
(Zither) und Wachters’ Mandolinen-Ensemble,<br />
bei einem öffentlichen<br />
Konzerte in München<br />
mitwirken zu wollen, sowie<br />
aufmunternde Zuschriften<br />
erfahrener Guitarristen aus<br />
den verschiedensten Ländern,<br />
führten zu dem kaum erhofften<br />
Resultate, mit einem Aufrufe<br />
zum I. Guitarretag nach<br />
München – 16. und 17. Sept.<br />
1899 – einladen zu können.<br />
Bei dieser Gelegenheit sollte<br />
eine internationale Guitarristen-Vereinigung<br />
gegründet<br />
und druch ein öffentliches Guitarren-Concert<br />
der Beweis geliefert<br />
werden, daß auch die<br />
Guitarre wohl befähigt sei, in<br />
kunstgeübter Hand auch Concertsale<br />
Erfolge zu erzielen. Einige<br />
100 Exemplare dieses<br />
Aufrufs flogen hinaus in alle<br />
Himmelsrichtungen.<br />
Die zahlreiche Teilnahme von<br />
Guitarrefreunden aus allen Gegenden<br />
Bayerns, aus Sachsen,<br />
aus Oesterreich und der<br />
Schweiz, insbesondere aus<br />
München und Augsburg, die<br />
begeisterte Aufnahme, welche<br />
die Gründung des I.G.V., die<br />
musikalischen gelungenen Veranstaltungen<br />
am Samstag<br />
16.9. und Sonntag 17. Sept. 99<br />
fanden, illustrierten prächtig,<br />
wie sehnlich allerseits ein Wiederaufblühen<br />
der<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 49
altehrwürdigen Kunst des<br />
<strong>Laute</strong>nspiels gewünscht<br />
wurde.<br />
Das schnelle Wachstum des<br />
I.G.V. von anfänglich 40 auf<br />
zur Zeit mehr als 100 Mitglieder<br />
innerhalb einiger<br />
Monate, zeigt deutlich die<br />
Lebensfährigkeit dieser Vereinigung.<br />
Ein grosses Verdienst um den<br />
gelungenen Verlauf des I. Guitarristentages<br />
und um die<br />
Sammlung neuer Mitglieder<br />
haben sich unsere für die<br />
Sache begeisterten Freunde in<br />
München, Augsburg, Innsbruck<br />
ud Moskau erworben,<br />
wofür denselben noch besonderer<br />
Dank gesagt sei.<br />
Möchten diese eifrigen Bemühungen<br />
alle Freunde des<br />
Guitarrespiels anspornen,<br />
auch ihrerseits ein Scherflein<br />
beizutragen, sei es durch Einsendung<br />
interessanter, litterarischer<br />
[sic] Beiträge für<br />
unser Verbandsorgan, sei es<br />
durch Gewinnung neuer Mitglieder,<br />
sei es sonst auf irgend<br />
welche Weise, dann wird<br />
der Internationale Guitarristen<br />
Verband einer herrlichen<br />
Zulunft entgegen gehen und<br />
stets blühen, wachsen und<br />
gedeihen.<br />
F[ranz]. Sprenzinger, Schriftführer<br />
Guitarristische<br />
Plauderei<br />
J. Adler, Zürich<br />
1. „Tocamos una buena tocata;<br />
vamos a lo que Mega tu<br />
habilidat“ sagen die Piraten<br />
zu dem gefangenene Don<br />
Rafaël (Gil Blas), und nach<br />
dessen Spiel flüstert ihm einer<br />
in’s Ohr: „Du wirst ein glücklicher<br />
Sklave sein“.<br />
Corina ließ sich ihre Lyra bringen,<br />
das Indtrument ihrer<br />
Wahl, der Harfe ähnlich, jedoch<br />
von älterer Form und<br />
einfacher in den Tönen.<br />
Dass die gelehrte und geistereiche<br />
Frau von Stael, die<br />
nur ungewöhnliche Leute um<br />
sich mochte, und in manchen<br />
Punkten mit der Heldin ihres<br />
Romans identisch scheint,<br />
diese mit einer<br />
50 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
Guitarre auftreten läßt (denn<br />
die Lyra unterscheidet sich nur<br />
der äußeren Form nach von<br />
der Guitarre) ist ncht ohne Bedeutung<br />
und macht unserem<br />
Instrumente große Ehre.<br />
Corinna, die gefeierte Dichterin<br />
und Sängerin, soll auf<br />
dem Kapitol in Rom vor allem<br />
Volke gekrönt werden, und sie<br />
will ihre enthusiastische Improvisation<br />
mit den weichen,<br />
feierlichen Akkorden jener Lyra<br />
begleiten, welche heute noch<br />
hier und da zu sehen ist, so<br />
wie auch Kompositionen „Pour<br />
la guitare ou lyre“.<br />
Die ebenfalls in ihrer Art<br />
berühmte Mad. de Gentis,<br />
welche sich rühmt, in<br />
Frabnkreich zuerst öffentlich<br />
Harfe gespielt und zwei Eleven<br />
„gemacht“ zu haben, gedenkt<br />
in ihrer Harfenschule der Guitarre<br />
mit diesen Worten:<br />
2. „Pourquoi bannir la guitare<br />
des concerts? Nul instrument<br />
n’accompagne mieux une romance<br />
–“ Eine deutsche Dichterin,<br />
Friederika Brun, spricht<br />
in „Wahrheit aus Morgenträumen“<br />
von bezauberndem Guitarrespiel<br />
und Gustav Freytag<br />
braucht in einem seiner Romane<br />
eine Guitarre, um uns<br />
die selige Häuslichkeit zweier<br />
glücklichen Neuvermählten zu<br />
veranschaulichen.<br />
Herzerquickend mußte es sein,<br />
im Salon der Poetin Mrs. Hemans<br />
in London den Perlenregen<br />
des braunlockigen Regtondi<br />
zu belauschen, der unter<br />
einer Fülle ergreifender Akkorde<br />
seiner Guitarre entströmte<br />
– Oder den unermüdlichen jugendliuchen<br />
Giuliani in Wien,<br />
welcher in der Vorrede zu<br />
seinen Arpeggien so reizend<br />
bekannt: „Lo studio della chitarra<br />
è sempre stata la mia<br />
ocupazione prèdilletata“ –<br />
Und die melancholischen<br />
Weisen eines Wysocki in<br />
Moskau, wenn er so recht in<br />
der Laune war und eine Guitarre<br />
probirte stundenlang,<br />
daß sie Funken sprühte, daß<br />
ein Sermontoff ihn in Versen<br />
besigen mußte – Und wie sie<br />
alle<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 51
heißen, jene Heroen der Guitarre,<br />
deren bloße Namen<br />
schon prächtig klingen – Wie<br />
imponierten einem Jüngling,<br />
der erst ein paar Akkorde<br />
klimpern gelernt, jene Titel in<br />
kühn geschwungener Schrift,<br />
jene Grand Rondos, Capriccios,<br />
Notturnos, Fürsten, Damen<br />
und edeln Damen gewidmet<br />
von Legnani, Ferranti, Carulli<br />
u.s.w.<br />
Ein Märchen aus alten Zeiten –<br />
denn jetzt gilt der umgekehrte<br />
Tanz (Minuetto al rovescio)<br />
(nach Papa Haydn) – Guitarre<br />
spielen? – Wer wird das<br />
heutzutage bekennen, ohne<br />
sich errötend ein Armutszeugnis<br />
auszustellen? Greifen doch<br />
zur Guitarre nur noch Stallknechte,<br />
Zofen, junge Herrchen,<br />
um bei einem Anlaß etwas<br />
Possen zu treiben,<br />
Jungfern, die auf der Zither<br />
nichts erreichten, dichtet ja die<br />
Guitarre ganz allein, gleich der<br />
deutschen Sprache (Klopstock)<br />
– brauht da weder Lehrer noch<br />
besonderes Studium. Sie aber,<br />
„wie der Stein auf der<br />
Straßen“ unsere Guitarre, hat<br />
sich in die Dienste der Zither<br />
und Mandoline begeben, und<br />
aus Gram und Kummerder<br />
Aheilsarmee in die Arme<br />
geworfen. Soll es uns wundern,<br />
wenn das Guitarrespiel<br />
heutzutage als ein wildes,<br />
häßliches Musizieren angesehen<br />
wird? Es kommt jedoch<br />
bei allem darauf an, wie man<br />
es betreibt – Hätten sich wohl<br />
so tüchtige Musiker wie Sor,<br />
Giuliani, Carulli u. so viele andere<br />
es waren, zur Zeit<br />
Beethovens, Mendelssohns,<br />
Schuberts und Schumanns, als<br />
alle klassischen Instrumente<br />
schon längst existierten, ihr<br />
Lebtag so eifrig mit der Guitarre<br />
beschäftigt, wenn so gar<br />
nichts dahinter steckte? Wäre<br />
die Ursache dieser Erscheinung<br />
wirklich nur in einer dummen<br />
Mode zu suchen? Mir scheint<br />
sie eher in dem edeln Bestreben<br />
zu liegen, mit den<br />
geiringen Mitteln das höchstmögliche<br />
zu erreichen – Welch<br />
miserables<br />
52 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
Ding wäre die Geige ohne den<br />
Bogen, womit alles bequem<br />
und kaltblütig überstrichen<br />
wird? Das Zupfen ist auch<br />
nicht so leicht, die weichen<br />
und kräftigen Töne der Guitarre<br />
wollen auch gesucht,<br />
studiert, entlockt sein, der Guitarre<br />
wie der Geige; mit schaben,<br />
kratzen und kneifen, wie<br />
die Franzosen das Anschlagen<br />
nennen (rader, gratter, pincer)<br />
ist’s nicht gethan, das ist<br />
Kar4ikatur. – Das Klavier<br />
brüste sich immerhin mit<br />
seinen zehnfachen Leistungen,<br />
es hat dieser kollossale<br />
Lärmapparat die Mittel dazu<br />
und kostet darnach – Allein<br />
war nützen ihm die vielen<br />
grellen Töne, was nützen der<br />
Harfe und Zither ihr Saitenheer<br />
unter ungeschickten Händen<br />
und dummen Fingern? Es<br />
scheint mir eines gebildeten<br />
Menschen würdiger, ein sehr<br />
einfaches Instrument allen<br />
Ernstes zu pflegen, als ein reicheres<br />
ohne Geschick und<br />
Geschmack zu behandeln.<br />
Und so ist dann die „Harfe des<br />
Armen“ doch nicht untergegangen<br />
und wird nicht untergehen,<br />
wenn sie auch nur<br />
hier und da mit Liebe und<br />
Ernst gepflegt wird. – Sie ist<br />
und bleibt das zugänglichste<br />
Instrument der von Liebe und<br />
Glück träumenden und singenden<br />
Jugend, des schlichten<br />
häuslichen Herdes – Sie<br />
verkürzt des Einsamen trübe<br />
Stunden; sie ergötzt, von<br />
tüchtiger Hand bemeistert, in<br />
der Gesellschaft, u. das<br />
geräuschvolle und bis zum<br />
Überdruß gehörte, mittelmäßige<br />
Klavierspiel eine Abwechslung<br />
ersehen läßt – Sie<br />
kommt mit dir in’s stille<br />
Dachkammerlein, in die<br />
Gartenlaube, in den Kahn, das<br />
braucht’s keine Zurüstung wie<br />
bei der Zither – du hebst sie<br />
vom Nagel herunter, sie ist augenblicklich<br />
gestimmt. Und<br />
hast du erst das Glück, einem<br />
gleich eifrigen Mitspieler zu<br />
gewinnen, so werden die Reize<br />
der Guitarre in aller Fülle zur<br />
Geltung gelangen und es<br />
bleibt nur noch die<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 53
Klage über die Flüchtigkeit<br />
dieser wonnevollen Stunden.<br />
Übersetzung der Zitate:<br />
1. Spiele uns was Schönes auf,<br />
wollen sehen, wie viel du<br />
kannst<br />
(Lesage, Gil Blas)<br />
2. Warum wird die Guitarre<br />
aus den Konzerten verbannt?<br />
Kein Instrument begleitet<br />
besser eine Romanze. (Mad. de<br />
Genlis)<br />
3. SDas Studium der Guitarre<br />
ist immer meine Lieblingsbeschäftigung<br />
gewesen. (Giuliani)<br />
J. Decker-Schenk ✝<br />
Im Oktober 1899 starb der<br />
durch seine vorzüglichen Guitarre-Compositionen<br />
in weiten<br />
Kreisen bekannte Guitarre- und<br />
Mandolinen-Virtuose J. Decker-<br />
Schenk – St. Petersburg – geborener<br />
Wiener – im Alter von<br />
74 Jahren. Sein Vater war<br />
Werkmeister der berühmten<br />
Guitarrefirma Stauffer, Wien.<br />
Der junge Decker-Schenk<br />
spielte in den 60er Jahren<br />
schon vor dem die Guitarre<br />
und Zither hochschätzenden<br />
Herzog Max in München und<br />
vielen Fürstlichkeiten, wurde<br />
später Opernsänger und Theaterdirektor<br />
und bereiste mit<br />
einer Theatergesellschaft ganz<br />
Russland. Nach dem Tode seiner<br />
ersten Gattin entsagte er<br />
ganz der Theaterlaufbahn und<br />
ließ sich, nachdem er eine<br />
Russin geheiratet hatte, dauern<br />
als Musiklehrer, spec. für Guitarre<br />
und Mandoline, in Petersburg<br />
nieder.<br />
Decker-Schenk war in den<br />
feuinsten Kreisen Petersburgs<br />
mit seiner Guitarre ein gern<br />
gesehener Gast und genoß<br />
dort den Ruf des bedeutendsten<br />
Virtuosen. Zum I. Guitarretag<br />
hatte sich der<br />
liebenswürdige, alte Herr mit<br />
Familie und mehreren Freunden<br />
zur Mitwirkung beim Concerte<br />
an-<br />
54 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
gemeldet, doch kurz vor der<br />
Abreise warf ihn ein tückisches<br />
Leiden aufs Krankenlager, dem<br />
er leider erliegen mußte. In<br />
seinem letzten Briefe bedauerte<br />
er wehmütig, dem mit<br />
so großer Freude entgegengesehenen<br />
I. Guitarretag nicht<br />
beiwohnen zu können. Decker-<br />
Schenk war ein eifriger Förderer<br />
des Guitarrespiels und hätte<br />
unserem Verbande in Petersburg<br />
viel nutzen können.<br />
Eine Anzahl seiner gediegenen<br />
Werke für 1, 2, und 4 Guitarren<br />
hat Schreiber dieses von dem<br />
Componisten seinerzeit erworben.<br />
Dieselben sind in<br />
vorzüglichem Guitarresatze<br />
sehr effektvoll geschrieben<br />
uind lassen den vollendeten<br />
Guitarremeister erkennen.<br />
Möchte dem bedeutenden Guitarremeister,<br />
der so viele durch<br />
sein virtuoses Spiel und seine<br />
reizenden Melodien entzückt,<br />
die Erde leicht sein!<br />
F. [franz] Spr. [enzinger]<br />
Bekanntmachungen der<br />
Centralleitung<br />
Um eine möglichst rasche und<br />
einheitliche Erledigung aller<br />
die Verwaltung des. I. G. V.<br />
betreffenden Arbeiten zu erzielen,<br />
hat der geschäftsführende<br />
Ausschuß ein Secretariat<br />
errichtet, dessen Leitung sich<br />
in den Händen des Herren Eduard<br />
Kühles, München VIII,<br />
Pütrichstraße 5/II befindet.<br />
Sämtliche Zuschriften beliebe<br />
man an die vorbezeichnete<br />
Adresse zu richten.<br />
Die Bekanntmachungen werden<br />
in dem monatlich erscheinenden<br />
Verbandsorgan,<br />
dessen erste Nummer heute<br />
vorliegt, veröffentlicht.<br />
Die Zustellung dieser Blätter<br />
erfolgt an die einzelnen Mitglieder<br />
unter Kreuzband, den<br />
Mitgliedern der Ortsverbände<br />
sind die Exemplare durch die<br />
Ortsvertretung zuzustellen. –<br />
Die verehrklchen Ortsvertreter<br />
belieben vonm Zeit zu Zeit<br />
Bericht über die Thatigkeit der<br />
Ortsgruppen an das Secretariat<br />
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 55
zu übermiteln, dese Berichte<br />
werden im Verbandsorgan<br />
eine ständige Rubrik: Chronik<br />
der Ortsverbände bilden. Desgleichen<br />
finden auch alle<br />
Bekanntmachungen der Ortsgruppen<br />
Aufnahme im Verbndsorgan.<br />
–<br />
München 17. April 1900<br />
Die Centralleitung<br />
A. [nton] Mehlhart. Ed. [uard<br />
Kühles]<br />
Die Liste der Mitglieder kann<br />
bei Bedarf dem Faksimile entnommen<br />
werden. Man<br />
beachte, dass Personen Mitglieder<br />
der ersten Stunde<br />
waren, die in der <strong>Gitarre</strong>nszene<br />
bereits eine Rolle spielten oder<br />
eine Rolle spielen sollten,<br />
darunter unter anderen der<br />
Arzt und <strong>Gitarre</strong>nliebhaber<br />
Sergei Spiridonowitsch Sajaitzky,<br />
Julius Stockmann und<br />
auch Carl Oscar Boije af Gannäs,<br />
dem die Sammlunng <strong>Gitarre</strong>nmusik<br />
in Stockholm zu<br />
verdanken ist.<br />
56 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1 57
58 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE, <strong>XXX</strong>/<strong>2008</strong>/<strong>Nº</strong> 1
Notenausgaben von <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong><br />
John W. Duarte<br />
Danserie No. 2 für <strong>Gitarre</strong> solo<br />
€ 7,50 G&L 142<br />
Eduardo Falú<br />
Gavota para Guitarra, Mit Fingersätzen versehen von Hubert Käppel, 2-3<br />
€ 5,00 G&L 112<br />
Eduardo Falú<br />
Preludio del pastor<br />
€ 6,50 G&L 111<br />
Santino Garsi da Parma<br />
Sämtliche <strong>Laute</strong>nwerke, Gesamtausgabe der handschriftlichen Quellen,<br />
Faksimile mit Übertragungen und<br />
Kommentar von Dieter Kirsch<br />
€ 30,00 G&L 148<br />
Jana Obrovská<br />
Hommage à Choral Gothique f. <strong>Gitarre</strong> Solo, Revidiert von Milan Zelenka<br />
€ 8,50 G&L 122<br />
Jana Obrovská<br />
Due Musici für zwei <strong>Gitarre</strong>n<br />
€ 8,50 G&L 123<br />
John W. Duarte<br />
Danserie No. 2 für <strong>Gitarre</strong> solo<br />
€ 8,50 G&L 142<br />
Adrian Patino<br />
Nevando Está, Für <strong>Gitarre</strong> bearbeitet von Eduardo Falú<br />
€ 6,50 G&L 120<br />
A. Robles und Jorge Milchberg<br />
El Condor pasa, Für <strong>Gitarre</strong> bearbeitet von Eduardo Falú<br />
€ 6,50 G&L 116<br />
Ignace Strasfogel<br />
Prélude, Elegie und Rondo für <strong>Gitarre</strong>, Herausgegeben von Volker Höh<br />
€ 13,00 G&L 168<br />
Heinrich Marschner<br />
Lieder mit Begleitung der <strong>Gitarre</strong> (Zwölf Lieder op. 5, Zwei Lieder von<br />
Goethe), Herausgegeben von Oliver Huck<br />
€ 15,00 G&L 169<br />
Der gesamte Katalog bei:<br />
www.MusiCologe.eu<br />
<strong>Gitarre</strong>-und-laute.de