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Diagnostik – Bariatrische Evaluation<br />
Renward S. Hauser, Zürich<br />
Zusammenfassung<br />
Die Blickdiagnose „Adipositas“ ist für ein differenziertes, den individuellen Ursachen und Bedürfnissen angepasstes<br />
Therapiekonzept nicht ausreichend. Die gezielte Informationsbeschaffung durch eine bariatrische Evaluation ist für<br />
eine nachhaltige Behandlung der chronischen Erkrankung mit vielfältigen Ursachen und Auswirkungen unerlässlich.<br />
Zielsetzungen<br />
• Festlegung des Adipositas-Schweregrades.<br />
• Klärung des Adipositas-Typs.<br />
• Eruieren der wesentlichsten Adipositas-Ursachen.<br />
• Erkennen der Art und Schweregrade der adipositas-assoziierten Co-Morbiditäten.<br />
• Beschaffung der Entscheidungsgrundlagen für ein bariatrisches Therapiekonzept.<br />
• Erlangen der Entscheidungsfaktoren für eine angepasste chirurgische Verfahrenswahl.<br />
• Erstprüfung versicherungsrechtlich geforderter Voraussetzungen (KLV Anhang 1.1., etc.).<br />
Ablauf der Evaluation<br />
1. Anamneseerhebung<br />
durch: Bariater, Chirurg, Psychiater, oder Psychologen, Fachleute für Ernährungsberatung.<br />
Mittel: Freies Gespräch, strukturiertes Interview, validierte Fragebogen, schriftliche Selbstreports<br />
(Ernährungs-Tagebuch).<br />
Inhalte:<br />
• Aktuelle Probleme<br />
Wesentliche subjektive Beschwerden, aktuelle Motive, eigene Interpretationen, Wünsche und Erwartungen.<br />
Somatische Co-Morbidität, psycho-soziale Co-Morbidität.<br />
• Krankheitsentwicklung<br />
Beginn und Verlauf der chronischen Erkrankung bis zum aktuellen Zeitpunkt.<br />
• Diätkarriere<br />
Bisherige Bemühungen um Gegenmassnahmen, Beginn, Zeitdauer und Erfolg, Rebound.<br />
• Ernährungs- und Essgewohnheiten<br />
Tagesablauf, Einkaufs-, Zubereitungs- und tageszeitliche Essgewohnheiten, Hinweise für Ess-Störungen bzw.<br />
spezifische Essverhaltensmuster.<br />
• Aktivitätsgewohnheiten<br />
Art und Häufigkeit körperlicher Aktivitäten im Alltag und Sport, früher bis heute.<br />
• Familienanamnese<br />
Familiäre Übergewichts- und allgemeine Krankheitsbelastungen<br />
• Allgemeine Anamnese<br />
Soziale Anamnese (Familiäres System, Beruf, Hobbies), organsystembezogene Anamnese (inkl.<br />
gynäkologische/andrologische Details) , Allergien, Intoleranzen, Infekte, Vorerkrankungen und<br />
Voroperationen, Medikation.<br />
2. Allgemeine bariatrische Untersuchungen<br />
Die objektive, klinische Befunderhebung des Schweregrades und Typs der Adipositas sowie der Folgeerkrankungen,<br />
losgelöst von den subjektiven Wunschvorstellungen der Klienten, ist massgeblich für die spätere Definition der<br />
Behandlungsziele und beeinflusst die medizinischen Indikationen zur Therapie der Grunderkrankung wie der Co-<br />
Morbidität.<br />
durch: Bariater oder Chirurg.<br />
Mittel: Physikalische Untersuchung, geeichte Waage, Massband, Kaliper, Impedanzio-meter oder DEXA,
indirektes Kalorimeter, Labortechnik für Blut, Serum, Urin und Stuhl.<br />
Inhalte:<br />
• Allgemeiner klinischer Status<br />
Inspektion, Blutdruckmessung mit breiter Manschette, kardiale und pulmonale Auskultation,<br />
Fundusinspektion, Thyreoideapalpation, Gefäss- und dermatologischer Status.<br />
• Anthropometrie<br />
Gewicht, Körperlänge, (Body Mass Index)<br />
Spannweite, Handgelenksumfang, Oberarmumfang, Triceps-Hautfaltendicke, Halsumfang,<br />
Taillen- und Hüftumfang (Waist to Hip Ratio).<br />
• Labortechnische Diagnostik<br />
Haematologie-Parameter (Vollblut),<br />
organspezifisches Screening (Vollblut und Serum, Urin, Stuhl),<br />
endokrinologisches Screening (Serum),<br />
nutritionelles Screening (Serum, Urin, Stuhl).<br />
• Apparative Diagnostik<br />
Körperzusammensetzung (Impedanziometrie oder DEXA),<br />
Stoffwechsellage und Energiehaushalt (indirekte Kalorimetrie mit/ohne Standardmahlzeit)<br />
3. Spezifische Zusatzuntersuchungen<br />
Fachspezifische Zusatzuntersuchungen sind für die Einleitung adjuvanter Behandlungs-formen, wie für die<br />
Indikationsstellung eines angepassten bariatrisch-chirurgischen Verfahrens und für die anästhesiologische<br />
Risikoabschätzung unverzichtbar.<br />
durch: Psychiater oder Psychologe, Radiologe, Gastro-Enterologe, Kardiologe, Pulmonologe,<br />
Schlafmediziner.<br />
Mittel: Freie und strukturierte, investigative Gesprächsführung, physikalische Untersuchung, fachspezifische<br />
apparative Einrichtungen.<br />
Inhalte:<br />
• Psycho-soziale Evaluation<br />
strukturierte Suche nach Ess-Störungen.<br />
• Bildgebende Diagnostik<br />
Oesophagus-Magenpassage, Thoraxorgane, Sonographie des Abdomens, CT oder MRT nach Bedarf.<br />
• Gastro-enterologische Evaluation<br />
Panendoskopie, pH-Metrie und Manometrie, Helicobacter-Nachweis.<br />
• Cardio-respiratorische Evaluation<br />
Spiro-Ergometrie, Stress-Echokardiographie, oder Myocard-Szintigraphie, Koronar-Angiographie<br />
• Schlafmedizinische Evaluation<br />
Nächtliche Pulsoxymetrie, Polysomnographie<br />
4. Analyse und Synthese<br />
Die Erklärung des Ist-Zustandes, seiner Prognose und der wesentlichen Entwicklungs-faktoren der<br />
chronischen Erkrankung, sowie die gemeinsame Zieldefinitionen der zumeist multidiszipliären Therapie sind<br />
zukunftsentscheidende Grundlage für die Arzt-Patienten-Beziehung einerseits und die Motivation zur Erbringung der<br />
enormen Eigenarbeitsleistung andererseits. Die Definition realistischer Behandlungsziele ist aus professioneller Sicht<br />
unabdingbar und die Divergenz zu individuellen Erwartungshaltungen, sowie der notwendige Zeithorizont müssen klar<br />
und verständlich ausdiskutiert werden.<br />
mit: Klient, Partner, ev. Familie, Bariater oder Chirurg.<br />
Inhalte:<br />
• Status quo<br />
Adipositas-Schweregrad, Typ, Co-Morbiditäten, Prognose<br />
• Wesentlichste Ursachen<br />
Genetische, unbeeinflussbare Faktoren; erworbene, therapeutisch angehbare Faktoren.<br />
• Therapiekonzept
Konkrete Massnahmenvorschläge für Lifestyle-Anpassung (Aktivität, Ernährung und Essverhalten),<br />
pharmakologische Unterstützung, Verhaltens- oder psychotherapeutische Begleitung, chirurgische<br />
Hilfestellung<br />
• Weiteres Vorgehen<br />
Weitere Begleitung (Monitoring), Überweisungen, Absprache mit Kostenträgern, Operationsplanung