Manuskript Rücknahme+Widerruf - haakh-online.de
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Richard U. Haakh<br />
Richter am Verwaltungsgericht<br />
Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
von<br />
Verwaltungsakten<br />
<strong>Manuskript</strong><br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Seminarreihe<br />
"Update Verwaltungsrecht" - Baustein IV<br />
<strong>de</strong>r<br />
Württembergische Verwaltungs- und Wirtschaftsaka<strong>de</strong>mie e.V.
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
A. Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten<br />
1. Allgemeine Überlegungen zur Einführung<br />
1.1 Aufhebung<br />
1.2 Funktion <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
1.3 Rechtsgrundlagen für Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
1.4 Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Unanfechtbarkeit für Rücknahme und<br />
Wi<strong>de</strong>rruf<br />
1.5 Verfassungsrechtliche Funktionen <strong>de</strong>r §§ 48 und 49<br />
LVwVfG<br />
1.5.1 Rechtssicherheit<br />
1.5.2 Vertrauensschutzgrundsätze<br />
1.5.2.1 Rechtswidrige Verwaltungsakte<br />
1.5.2.2 Rechtmäßige Verwaltungsakte<br />
1.5.3 Kein Anspruch auf Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf<br />
1.6 Ermessen<br />
1.6.1 Allgemeines<br />
1.6.2 Exkurs: Intendiertes Ermessen<br />
1.6.2.1 Begriff<br />
1.6.2.2 Beispiele<br />
1.7 Folgewirkungen<br />
1.7.1 Rückfor<strong>de</strong>rung/Erstattung von Leistungen nach § 49a<br />
Abs. 1 bis 3 LVwVfG<br />
1.7.2 Zinsanspruch<br />
1.7.3 Erstattungsverfahren<br />
1.7.4 Rückgabe von Urkun<strong>de</strong>n<br />
2. Gemeinsame Grundsätze von §§ 48, 49 LVwVfG<br />
2.1 Überblick über die Regelungen<br />
2.2 Gemeinsame bzw. abgrenzen<strong>de</strong> Tatbestandsmerkmale<br />
2.3 Rechtswidrigkeit - Rechtmäßigkeit<br />
2.3.1 Maßgeblicher Zeitpunkt<br />
2.3.2 Rechtswidrigkeit im Sinne von § 48 LVwVfG<br />
2.3.2.1 Allgemeines zur Rechtswidrigkeit<br />
2.3.2.2 Vorläufige Verwaltungsakte<br />
2.4 Belasten<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakte<br />
2.4.1 Allgemeines<br />
2.4.2 Unterschiedliche Begünstigungen in §§ 48, 49<br />
LVwVfG<br />
2.5. Zuständigkeit für Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
2.5.1 Örtliche Zuständigkeit<br />
2.5.2 Sachliche Zuständigkeit<br />
2.6 Aufhebungsfrist<br />
3. Rücknahme<br />
3.1 Rücknahme rechtswidriger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
2<br />
3.2. Rücknahme (rechtswidriger) begünstigen<strong>de</strong>r Geldund<br />
Sachleistungs-Verwaltungsakte<br />
3.2.1 Allgemeines<br />
3.2.2 Ermessen<br />
3.2.2.1 Eröffnung <strong>de</strong>s Ermessens<br />
3.2.2.2 Schranken <strong>de</strong>s Ermessens<br />
3.2.2.3 Schutzwürdigkeit <strong>de</strong>s Vertrauens<br />
3.2.3 Zeitliche Auswirkung <strong>de</strong>r Rücknahme<br />
3.2.4 Rücknahmefrist<br />
3.2.5 Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme eines Geld- o<strong>de</strong>r<br />
Sachleistungs-Verwaltungsaktes<br />
3.2.5.1 Rückfor<strong>de</strong>rung erbrachter Leistungen<br />
3.3 Rücknahme (rechtswidriger) ”sonstiger begünstigen<strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakte"<br />
3.3.1 Inhalt und Gegenstand <strong>de</strong>r Regelung<br />
3.3.2 Ermessen<br />
3.3.3 Rücknahmefrist<br />
3.3.4 Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme<br />
3.3.4.1 Der Ausgleichsanspruch <strong>de</strong>s Begünstigten<br />
3.3.4.2 Das Ausgleichsverfahren<br />
3.3.4.3 Praxisprobleme<br />
3.4 Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte mit<br />
Doppel- bzw. Drittwirkung<br />
3.4.1 Verwaltungsakt mit Doppelwirkung<br />
3.4.2 Verwaltungsakt mit Drittwirkung<br />
3.4.3 Verwaltungsakt mit Drittwirkung im Rechtsbehelfsverfahren<br />
3.4.3.1 § 50 LVwVfG<br />
3.4.3.2 Aufhebungsanspruch <strong>de</strong>s Dritten<br />
3.4.3.3 Rücknahme- o<strong>de</strong>r Abhilfebescheid<br />
4. Wi<strong>de</strong>rruf<br />
4.1 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
4.2 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
4.2.1 Unterscheidung von "sonstigen" Begünstigungen<br />
und Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen<br />
4.2.2 § 49 Abs. 2 LVwVfG<br />
4.2.2.1 Der Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt nach § 49 Abs. 2 Nr.1<br />
LVwVfG<br />
4.2.2.2 Bei Nichterfüllung einer Auflage nach § 49 Abs. 2 Nr.<br />
2 LVwVfG<br />
4.2.2.3 Überblick über die gemeinwohlbezogenen Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong><br />
4.2.2.4 Nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r maßgeblichen Tatsachen,<br />
Nr. 3<br />
4.2.2.5 Nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage, Nr. 4<br />
4.2.2.6 Schwere Nachteile für das Gemeinwohl, Nr. 5<br />
4.2.3 Schranken <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufsermessens<br />
4.2.4 Wi<strong>de</strong>rrufsfrist<br />
4.2.5 Folgewirkungen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs nach § 49 Abs. 2<br />
LVwVfG<br />
4.2.6 Problemstellung in <strong>de</strong>r Praxis<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
4.3 Wi<strong>de</strong>rruf (rechtmäßiger) Geld- und Sachleistungs-<br />
Verwaltungsakt<br />
4.3.1 Allgemeines<br />
4.3.2 Ermessen<br />
4.3.3 Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong><br />
4.3.3.1 Fälle <strong>de</strong>r Zweckverfehlung nach § 49 Abs. 3 S. 1 Nr.<br />
1 LVwVfG<br />
4.3.3.2 Fälle <strong>de</strong>s Auflagenungehorsams, § 49 Abs. 3 S. 1<br />
Nr. 2 LVwVfG<br />
4.3.4 Wi<strong>de</strong>rrufsfrist<br />
4.3.5 Folgewirkungen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs<br />
4.3.5.1 Allgemeines<br />
4.3.5.2 Erstattungsverfahren<br />
5. Vollstreckungsrechtliche Fragen<br />
B. Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf nach SGB X<br />
1. Grundsätzliches<br />
2. Rücknahme<br />
2.1 Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte<br />
2.1.1 Rücknahme (rechtswidriger) belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
2.1.1.1. Rücknahme von VA im Leistungs- und Beitragsbereich<br />
2.1.1.2 Rücknahme von sonstigen rechtswidrigen belasten<strong>de</strong>n<br />
Verwaltungsakte<br />
2.1.1.3 Verhältnis § 44 SGB X zu § 48 Abs. 2 SGB X<br />
2.1.1.4 Rückwirken<strong>de</strong> Erbringung <strong>de</strong>r Leistung nach Aufhebung<br />
2.2 Rücknahme (rechtswidriger) begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
2<br />
2.2.1 Rücknahmevoraussetzungen<br />
2.2.2 Rücknahme für die Vergangenheit und Fristen<br />
2.2.3 Rücknahme für die Zukunft und Fristen<br />
2.2.4 Bestandsschutz nicht rücknehmbarer Verwaltungsakte<br />
3. Wi<strong>de</strong>rruf<br />
3.1 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
3.2 Wi<strong>de</strong>rruf (rechtmäßiger) begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
4. Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung,<br />
§ 48 SGB X<br />
4.1. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - Begriff<br />
4.2 Voraussetzungen<br />
4.3 Wirkung <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
4.4 Bestandsschutz und nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Verhältnisse<br />
4.5 Fristen<br />
5. Rechtsfolgen <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
5.1 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen Allgemeines<br />
5.2 Rückgabe von Urkun<strong>de</strong>n und Sachen<br />
Anhänge<br />
Rechtsprechung (in <strong>de</strong>r Reihenfolge <strong>de</strong>r Entscheidungsdaten)<br />
Anlage I Schaubild Rücknahme<br />
Anlage II Schaubild Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
Vorwort<br />
2<br />
Das vorliegen<strong>de</strong> <strong>Manuskript</strong> ist in <strong>de</strong>r Vorbereitung <strong>de</strong>r mir übertragenen Seminarveranstaltung <strong>de</strong>r Württembergischen Ver-<br />
waltungs- und Wirtschaftsaka<strong>de</strong>mie e.V. entstan<strong>de</strong>n und wird Grundlage meines Vortrages sein.<br />
Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten sind Instrumente zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes. Sie dienen <strong>de</strong>r<br />
Korrektur von Verwaltungshan<strong>de</strong>ln und spielen vor allem eine Rolle im Bereich <strong>de</strong>r begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltung. Dabei liegt <strong>de</strong>r<br />
Schwerpunkt in <strong>de</strong>r Praxis ein<strong>de</strong>utig in <strong>de</strong>r Leistungsverwaltung, insbeson<strong>de</strong>re also in <strong>de</strong>n Bereichen, in welchen <strong>de</strong>n Bürgern<br />
Geldleistungen erbracht wer<strong>de</strong>n. Aber auch dort, wo es um an<strong>de</strong>re Arten von Begünstigungen geht, also vor allem um Ge-<br />
nehmigungen, Erlaubnisse usw. kann sich aus unterschiedlichsten Grün<strong>de</strong>n die Korrekturbedürftigkeit herausstellen, sei es<br />
aus Grün<strong>de</strong>n im Verhalten <strong>de</strong>s Begünstigten, sei es aus überwiegen<strong>de</strong>n öffentlichen Interessen.<br />
Der Aufhebung eines belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes wird niemand entgegen treten. An<strong>de</strong>rs ist die Situation bei <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
eines begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes. Hier spielen neben <strong>de</strong>r Rechtssicherheit vor allem <strong>de</strong>r Vertrauensschutz <strong>de</strong>s Betrof-<br />
fenen eine große Rolle. Demgemäß enthalten die gesetzlichen Regelungen zur Rücknahme und zum Wi<strong>de</strong>rruf ein fein diffe-<br />
renziertes Instrumentarium, um schutzwürdigem Vertrauen gerecht zu wer<strong>de</strong>n. Das macht die Anwendung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />
Vorschriften nicht gera<strong>de</strong> einfach. Vielmehr muss man schon genau hinschauen, welcher Fall dort wie geregelt wird.<br />
Also wird <strong>de</strong>r Schwerpunkt dieses Seminars darauf liegen, diese unterschiedlichen Varianten kennen und unterschei<strong>de</strong>n zu<br />
lernen. Mir ist dabei wichtig, das Verständnis für die Normen und die jeweiligen Regelungsunterschie<strong>de</strong> zu wecken, <strong>de</strong>nn sie<br />
folgen einem rationalem und sinnvollen System, unterschei<strong>de</strong>n sich allerdings nochmals, soweit es um die Anwendung <strong>de</strong>s<br />
LVwVfG einerseits und <strong>de</strong>s SGB X an<strong>de</strong>rerseits geht. Außer<strong>de</strong>m wird es um die Folgen <strong>de</strong>r Aufhebung von (begünstigen<strong>de</strong>n)<br />
Verwaltungsakten gehen, insbeson<strong>de</strong>re also die Pflicht zur Rückerstattung von Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen.<br />
Die nationalen Regelungen über Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf sind mehr und mehr <strong>de</strong>m Verän<strong>de</strong>rungsdruck durch europarechtli-<br />
che Regelungen ausgesetzt, insbeson<strong>de</strong>re im Bereich <strong>de</strong>r europarechtlichen Subventionen. Zwar enthält das Europarecht<br />
selbst kaum bzw. keine Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten, jedoch müssen die nationalen Regelungen<br />
unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r EG-Verordnungen angewandt wer<strong>de</strong>n, so dass beispielsweise im Bereich <strong>de</strong>r Agrarsubventionen<br />
kaum mehr Ermessensspielräume verblieben sind. Auf diese beson<strong>de</strong>re Problematik wer<strong>de</strong> ich im Rahmen <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Seminars allerdings nicht näher eingehen (vgl. dazu aber BVerwG, Urteil vom 29.03.2005, - 3 B 117/04 -, ).<br />
Abschließend wen<strong>de</strong> ich mich noch mit einer Bitte an Sie: Sollten Sie beim Gebrauch <strong>de</strong>s <strong>Manuskript</strong>es auf inhaltliche o<strong>de</strong>r<br />
formale Fehler stoßen, bitte ich im Interesse <strong>de</strong>r Qualitätssicherung um eine kurze Nachricht an meine eMail-Adresse.<br />
Allen Teilnehmern an <strong>de</strong>r Seminarveranstaltung und allen Benutzern <strong>de</strong>s <strong>Manuskript</strong>es wünsche ich viel Erfolg!<br />
Stuttgart, <strong>de</strong>n 09.09.2010<br />
Für <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>rholungskurs wer<strong>de</strong> ich das <strong>Manuskript</strong> <strong>de</strong>n Seminar-Teilnehmern nicht mehr über die Württembergische Ver-<br />
waltungs- und Wirtschaftsaka<strong>de</strong>mie e.V. zur Verfügung stellen. Ich möchte damit <strong>de</strong>m Umstand Rechnung tragen, dass meine<br />
Praxis, das <strong>Manuskript</strong> erst zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Seminars auszugeben, häufig kritisiert wur<strong>de</strong>. Da es aber nun einmal das Manu-<br />
skript, also die Grundlage meines Vortrages ist, müssen sich die Teilnehmer mit <strong>de</strong>m Ausdruck <strong>de</strong>r begleiten<strong>de</strong>n Präsentation<br />
begnügen. Wer Interesse an meinem <strong>Manuskript</strong> hat, möge es sich auf meiner privaten Homepage www.Haakh-<strong>online</strong>.<strong>de</strong><br />
herunterla<strong>de</strong>n.<br />
Stuttgart, <strong>de</strong>n 25.05.2011 Richard U. Haakh<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten<br />
1. Allgemeine Überlegungen zur Einführung<br />
1.1 Aufhebung<br />
3<br />
vgl. dazu Anhang II Schemat. Darstellung<br />
Nach § 43 Abs. 2 LVwVfG (§ 39 Abs. 2 SGB X) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solan-<br />
ge und soweit er nicht zurückgenommen, wi<strong>de</strong>rrufen, an<strong>de</strong>rweitig aufgehoben o<strong>de</strong>r durch<br />
Zeitablauf o<strong>de</strong>r auf an<strong>de</strong>re Weise erledigt ist.<br />
Aus <strong>de</strong>r Formulierung "an<strong>de</strong>rweitig aufgehoben" folgt, dass die Aufhebung <strong>de</strong>n Oberbegriff<br />
darstellt und die Begriffe Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf zwei Unterbegriffe darstellen.<br />
Aufhebung<br />
Rücknahme Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Dabei betrifft nach <strong>de</strong>r einheitlichen Terminologie<br />
• die Rücknahme die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes<br />
• <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf die Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes<br />
1.2 Funktion <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
Ein Verwaltungsakt kann sich nach seinem Erlass als korrektur- o<strong>de</strong>r aufhebungsbedürftig<br />
herausstellen, insbeson<strong>de</strong>re weil er <strong>de</strong>r Rechtslage nicht o<strong>de</strong>r nicht mehr entspricht. Z.B.<br />
• nachträglich stellt sich die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakt heraus<br />
- <strong>de</strong>r Verwaltungsakt war Grundlage einer Geldleistung<br />
- <strong>de</strong>r Verwaltungsakt beinhaltete die Ablehnung einer Sozialleistung<br />
• nachträglich wird <strong>de</strong>utlich, dass die Ermessensausübung unzweckmäßig war<br />
• die <strong>de</strong>m rechtmäßigen Verwaltungsakt beigefügten Auflagen wer<strong>de</strong>n nicht erfüllt<br />
• die Sach- o<strong>de</strong>r Rechtslage hat sich seit Erlaß <strong>de</strong>s Verwaltungsakts geän<strong>de</strong>rt<br />
• <strong>de</strong>r Verwaltungsakt wur<strong>de</strong> durch falsche o<strong>de</strong>r unvollständige Angaben veranlaßt<br />
• das Bestehen eines Rechtsanspruchs wird erst nach <strong>de</strong>r Ablehnung beweisbar<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
4<br />
In solchen Fällen verlangt das Rechtsstaatsprinzip nach einer Möglichkeit, <strong>de</strong>n Verwal-<br />
tungsakt wie<strong>de</strong>r aufheben zu können und zwar u. U. auch dann, wenn er schon bestands-<br />
kräftig ist.<br />
Die Rechtsinstitute <strong>de</strong>r Rücknahme und <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs von Verwaltungsakten (Verwal-<br />
tungsakt) ermächtigen materiell-rechtlich zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes und zwar<br />
unabhängig davon, ob ein Rechtsbehelfsverfahren (Wi<strong>de</strong>rspruchs- o<strong>de</strong>r Klageverfahren)<br />
anhängig ist o<strong>de</strong>r nicht.<br />
Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf eines Verwaltungsaktes ähneln <strong>de</strong>r Anfechtung eines Rechtsge-<br />
schäfts im Zivilrecht nach §§ 119 ff. BGB<br />
• § 119 BGB: Anfechtung wegen Irrtums<br />
• § 123 BGB: Anfechtung wegen Täuschung o<strong>de</strong>r Drohung<br />
Durch die wirksame Anfechtung eines Rechtsgeschäfts wird dieses nichtig bzw. unwirk-<br />
sam. Es stellt dann auch keine Rechtsgrundlage für bereits erbrachte Leistungen mehr<br />
dar, vielmehr sind diese nach <strong>de</strong>n Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung<br />
nach §§ 812 ff. jeweils zurück zu erstatten<br />
Bsp: nach <strong>de</strong>r wirksamen Anfechtung eines Kaufvertrages muss <strong>de</strong>r Käufer <strong>de</strong>n Kaufge-<br />
genstand und <strong>de</strong>r Verkäufer grds. auch <strong>de</strong>n Kaufpreis zurück geben.<br />
Ebenso führt die wirksame Rücknahme o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r wirksame Wi<strong>de</strong>rruf eines Verwaltungs-<br />
aktes zur Unwirksamkeit <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes je nach<strong>de</strong>m, in welchem<br />
Umfange die Aufhebung verfügt wird. War <strong>de</strong>r Verwaltungsakt Grundlage für eine Geld-<br />
o<strong>de</strong>r Sach-Leistung, so muss <strong>de</strong>r Leistungsempfänger die empfangenen Leistungen<br />
ebenfalls nach <strong>de</strong>n Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung zurück geben.<br />
Bei an<strong>de</strong>ren Arten von Verwaltungsakten (Erlaubnissen, Genehmigungen, Anerkennung<br />
als Schwerbehin<strong>de</strong>rter etc.) ist dies naturgemäß nicht möglich.<br />
1.3 Rechtsgrundlagen für Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Für viele Verwaltungsbereiche sind spezialgesetzliche Regelungen über Rücknahme und<br />
Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakt vorhan<strong>de</strong>n<br />
Bsp:<br />
• zur Rücknahme <strong>de</strong>r Schornsteinfegererlaubnis § 11 SchfG, <strong>de</strong>r Glücksspielerlaubnis §<br />
33d Abs. 4 GewO, <strong>de</strong>r Asylberechtigung und <strong>de</strong>s Status als Flüchtling § 73 AsylVfG, §<br />
47 Abs. 1 WaffG (Rücknahme von Genehmigungen);<br />
• zum Wi<strong>de</strong>rruf einer Gaststättenerlaubnis § 15 Abs. 2 GastG, <strong>de</strong>r Asylanerkennung: § 73<br />
Abs. 1 und 3 AsylVfG ; einer Aufenthaltserlaubnis § 52 AufenthG; bei Wi<strong>de</strong>rruf von im-<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
5<br />
missionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungen § 21 BImSchG; bei Wi<strong>de</strong>rruf einer<br />
wasserrechtlichen Bewilligung § 12 Abs. 2 WHG; zum Wi<strong>de</strong>rruf einer Gaststättenge-<br />
nehmigung § 15 Abs. 2, 3 GastG, zur Löschung von Eintragungen in <strong>de</strong>r Handwerks-<br />
rolle § 15 HO, zum Wi<strong>de</strong>rruf einer Reisegewerbekarte § 55 GewO<br />
Solche spezialgesetzlichen Vorschriften gehen <strong>de</strong>n allgemeinen Vorschriften <strong>de</strong>s (stets)<br />
subsidiären LVwVfG vor. Das LVwVfG ist ein subsidiäres Auffanggesetz, das nur Geltung<br />
beansprucht, soweit keine speziellen Regelungen vorhan<strong>de</strong>n sind.<br />
Deshalb sind die Regelungen nach §§ 44 ff. SGB X und nach § 130 AO ebenfalls speziel-<br />
lere Regelungen. Die Rücknahme- und Wi<strong>de</strong>rrufsvorschriften <strong>de</strong>s SGB X weichen teilwei-<br />
se <strong>de</strong>utlich von §§ 48, 49 LVwVfG ab und sollen zumin<strong>de</strong>st kursorisch angesprochen wer-<br />
<strong>de</strong>n (vgl. dazu auch Verwaltungsgerichtshof München, Urteil vom 31.05.2010, im Anhang).<br />
Fehlt eine spezialgesetzliche Vorschrift zur Rücknahme o<strong>de</strong>r zum Wi<strong>de</strong>rruf von Verwal-<br />
tungsakten, richtet sich diese grundsätzlich nach <strong>de</strong>n §§ 48, 49 ff. LVwVfG.<br />
Schwierig wird es, wenn spezielle Gesetze Teilregelungen bzw. keine abschließen<strong>de</strong>n<br />
Regelungen enthalten (dies kann idR relativ einfach <strong>de</strong>n speziellen Kommentaren o<strong>de</strong>r<br />
aber <strong>de</strong>n Kommentaren zum VwVfG entnommen wer<strong>de</strong>n).<br />
So beurteilt sich z.B. die Rücknahme bzw. <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf einer Baugenehmigung nach <strong>de</strong>n<br />
§§ 48, 49 ff. LVwVfG, da in <strong>de</strong>r - speziellen LBO zwar die Erteilung <strong>de</strong>r Baugenehmigung<br />
geregelt ist (§ 58 LBO), aber nicht <strong>de</strong>ren Aufhebung.<br />
Ebenso beurteilt sich die Rücknahme bzw. <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf einer tierschutzrechtlichen Er-<br />
laubnis nach § 11 TierSchG nach <strong>de</strong>n §§ 48, 49 ff. LVwVfG, da das TierSchG keine Be-<br />
stimmungen über die Aufhebung einer tierschutzrechtlichen Erlaubnis enthält.<br />
In manchen Fällen kommt eine Aufhebung, insbeson<strong>de</strong>re ein Wi<strong>de</strong>rruf, überhaupt nicht in<br />
Betracht<br />
z.B. kein Wi<strong>de</strong>rruf einer Einbürgerung (aber Rücknahme nach § 35 StAG)<br />
1.4 Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Unanfechtbarkeit für Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Die Wi<strong>de</strong>rrufs- bzw. Rücknahmevorschriften gelten ab <strong>de</strong>m Augenblick <strong>de</strong>s Eintritts <strong>de</strong>r<br />
äußeren Wirksamkeit, d.h. ab <strong>de</strong>m Zeitpunkt <strong>de</strong>r Bekanntgabe <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes, auch<br />
wenn die innere Wirksamkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakt etwa infolge <strong>de</strong>r Beifügung einer auf-<br />
schieben<strong>de</strong>n Befristung o<strong>de</strong>r einer aufschieben<strong>de</strong>n Bedingung erst später eintritt.<br />
Bsp: Bekanntgabe einer Erlaubnis am 26.3.2009 unter <strong>de</strong>r aufschieben<strong>de</strong>n Befristung,<br />
dass von <strong>de</strong>r Erlaubnis erst ab 1.6.2009 Gebrauch gemacht wer<strong>de</strong>n darf: Äußere Wirksam-<br />
keit am 26.3.; innere Wirksamkeit am 1.6. Eine Rücknahme bzw. ein Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s Verwal-<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
6<br />
tungsakt kann auch schon im Zeitraum zwischen <strong>de</strong>m 26.3. (äußere Wirksamkeit) und<br />
<strong>de</strong>m 1.6. (innere Wirksamkeit) erfolgen.<br />
Dennoch liegt die hauptsächliche Be<strong>de</strong>utung von Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf in <strong>de</strong>r Mög-<br />
lichkeit, <strong>de</strong>n Verwaltungsakt trotz Unanfechtbarkeit (formelle Bestandskraft) aufheben und<br />
nötigenfalls eine neue Sachentscheidung treffen zu können (sog. Zweitbescheid). Dazu ist<br />
die Behör<strong>de</strong> unabhängig von <strong>de</strong>n verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nach Maßgabe <strong>de</strong>r<br />
Voraussetzungen von §§ 48, 49 LVwVfG und nach pflichtgemäßem Ermessen (auch von<br />
Amts wegen) befugt. Bei <strong>de</strong>r Aufhebung von begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakten erfolgen<br />
Rücknahme bzw. Wi<strong>de</strong>rruf eines Verwaltungsaktes in <strong>de</strong>r Regel nicht auf Antrag, son<strong>de</strong>rn<br />
von Amts wegen.<br />
1.5 Verfassungsrechtliche Funktionen <strong>de</strong>r §§ 48 und 49 LVwVfG<br />
Mit <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>r §§ 48 und 49 LVwVfG soll ein Ausgleich zwischen <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m<br />
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgen<strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r materiellen Gesetzmä-<br />
ßigkeit einerseits und <strong>de</strong>r Rechtssicherheit auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
1.5.1 Rechtssicherheit<br />
Rechtssicherheit be<strong>de</strong>utet<br />
• aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Verwaltung:<br />
die strenge Bindung an <strong>de</strong>n Regelungsinhalt eines unanfechtbaren Verwaltungsakt bei<br />
Entscheidungen, die für <strong>de</strong>n Bürger negativ sind<br />
Verfassungsrechtliche Grundlagen sind insbeson<strong>de</strong>re<br />
- das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG<br />
- die Bindung <strong>de</strong>r Exekutive an Gesetz und Recht, Art. 20 Abs. 3 GG, also <strong>de</strong>r Ge-<br />
setzesvorrang und <strong>de</strong>r Gesetzesvorbehalt sowie die Grundrechte<br />
• aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Bürgers:<br />
die Berufung auf Vertrauensschutz bei Entscheidungen, die für ihn positiv sind.<br />
- aufgrund <strong>de</strong>s Rechtsstaatsprinzips und <strong>de</strong>r Grundrechte<br />
Dabei beinhaltet <strong>de</strong>r Vertrauensschutz die Frage, ob <strong>de</strong>r Bürger auf <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r Begün-<br />
stigung vertrauen durfte. Ein solches Vertrauen ist sogar dann möglich und schützenswert,<br />
wenn <strong>de</strong>r Verwaltungsakt rechtswidrig ist, erst recht natürlich beim rechtmäßigen Verwal-<br />
tungsakt.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
7<br />
Dieser Wi<strong>de</strong>rstreit <strong>de</strong>r verfassungsrechtlichen Prinzipien <strong>de</strong>r materiellen Gerechtigkeit und <strong>de</strong>r<br />
Rechtssicherheit konkretisiert sich für die Verwaltung in <strong>de</strong>r Frage, ob sie befugt ist, (auch)<br />
einen (unanfechtbaren) Verwaltungsakt aufzuheben.<br />
Das LVwVfG löst die Frage in <strong>de</strong>r Weise, dass es die Entscheidung, ob die Behör<strong>de</strong> einen<br />
(sogar bestandskräftigen) Verwaltungsakt außerhalb <strong>de</strong>s Rechtsbehelfsverfahrens aufhebt, in<br />
ihr pflichtgemäßes Ermessen stellt. Je nach<strong>de</strong>m, um welche Art von Verwaltungsakt (recht-<br />
mäßig o<strong>de</strong>r rechtswidrig, begünstigend o<strong>de</strong>r belastend) es sich han<strong>de</strong>lt, sind die gesetzlichen<br />
Schranken <strong>de</strong>s Ermessens jedoch unterschiedlich <strong>de</strong>finiert. Soweit es um gutgläubig erwor-<br />
bene Rechte o<strong>de</strong>r Vorteile geht, muss dabei auch <strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Rechtsstaatsprinzip abgelei-<br />
teten Grundsatz <strong>de</strong>s Vertrauensschutzes Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n. Das geht u.U. soweit,<br />
dass das Aufhebungsermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> völlig eingeschränkt ist, wenn schutzwürdiges<br />
Vertrauen besteht.<br />
Räumt <strong>de</strong>r Gesetzgeber <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>r Aufhebung eines Verwaltungsaktes gegenüber <strong>de</strong>m<br />
Vertrauensschutz <strong>de</strong>n Vorrang ein, so gibt er <strong>de</strong>m Bürger als Ausgleich für ein sein<br />
schutzwürdiges Vertrauen einen Entschädigungsanspruch.<br />
1.5.2 Vertrauensschutzgrundsätze<br />
Die Beachtung <strong>de</strong>r Grundsätze von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz ergeben für die<br />
Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten folgen<strong>de</strong>s:<br />
1.5.2.1 Rechtswidrige Verwaltungsakte<br />
• belasten<strong>de</strong> rechtswidrige Verwaltungsakte sind stets rücknehmbar (§ 48 Abs. 1 LVwVfG).<br />
• begünstigen<strong>de</strong> rechtswidrige Verwaltungsakte, die auf eine Geld- o<strong>de</strong>r teilbare Sachlei-<br />
stung gerichtet sind, sind grundsätzlich rücknehmbar. Dies gilt nur dann nicht, wenn sich<br />
<strong>de</strong>r Betroffene auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann (§ 48 Abs. 2 LVwVfG).<br />
• begünstigen<strong>de</strong> rechtswidrige Verwaltungsakte, die sonstige Begünstigungen (also nicht<br />
eine Geld- o<strong>de</strong>r teilbare Sachleistung) betreffen (”sonstige rechtswidrige begünstigen<strong>de</strong><br />
Verwaltungsakte"), sind stets rücknehmbar. Der Betroffene hat aber unter Umstän<strong>de</strong>n ei-<br />
nen Anspruch auf Entschädigung (§ 48 Abs. 3 LVwVfG, "Dul<strong>de</strong> und liquidiere!").<br />
1.5.2.2 Rechtmäßige Verwaltungsakte<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
8<br />
• belasten<strong>de</strong> rechtmäßige Verwaltungsakte sind grundsätzlich stets wi<strong>de</strong>rrufbar, mit Aus-<br />
nahme <strong>de</strong>r in § 49 Abs. 1 LVwVfG genannten Fälle<br />
- ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts müsste erneut erlassen wer<strong>de</strong>n<br />
Bsp: Infolge von Ermessensreduzierung auf Null käme bei einer Maßnahme <strong>de</strong>r Gefahrenab-<br />
wehr wie<strong>de</strong>rum nur <strong>de</strong>r Erlass eines gleichen Verwaltungsaktes in Betracht<br />
Die Baugenehmigung stellt für <strong>de</strong>n Nachbarn einen belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt dar. Der Wi-<br />
<strong>de</strong>rruf ihm gegenüber wür<strong>de</strong> schon an § 49 Abs. 1 LVwVfG scheitern, wenn <strong>de</strong>r Bauherr ei-<br />
nen Rechtsanspruch auf die Baugenehmigung hat.<br />
• begünstigen<strong>de</strong> rechtmäßige Verwaltungsakte, die auf eine Geld- o<strong>de</strong>r teilbare Sachlei-<br />
stung gerichtet sind, sind bei Zweckverfehlung o<strong>de</strong>r Auflagenungehorsam wi<strong>de</strong>rrufbar (§<br />
49 Abs. 3 LVwVfG).<br />
• im übrigen (also außerhalb <strong>de</strong>s Abs. 3) sind begünstigen<strong>de</strong> rechtmäßige Verwaltungsakt<br />
wi<strong>de</strong>rrufbar, wenn ein sog. Wi<strong>de</strong>rrufsgrund vorliegt, <strong>de</strong>r<br />
- darauf aufbaut, dass von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen konnte<br />
(§ 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LVwVfG)<br />
- sich aufgrund von öffentlichem Interesse rechtfertigt, das <strong>de</strong>r Gesetzgeber von vorn-<br />
herein stärker gewichtet hat (dann allerdings ggfs. Ersatz <strong>de</strong>s Vertrauensscha<strong>de</strong>ns)<br />
1.5.3 Kein Anspruch auf Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Aus <strong>de</strong>n §§ 48 und 49 LVwVfG lässt sich für <strong>de</strong>n Bürger insbeson<strong>de</strong>re kein Anspruch auf die<br />
Rücknahme bzw. <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf von ihn belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt ableiten. Der Betroffene<br />
hat allenfalls einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung <strong>de</strong>s Rücknahme- bzw. Wi<strong>de</strong>rrufser-<br />
messens. Nur unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>r Ermessensreduzierung auf Null kann sich <strong>de</strong>r<br />
Anspruch zu einem vollen Anspruch auf Rücknahme bzw. Wi<strong>de</strong>rruf verdichten (vgl. SG Kas-<br />
sel, Urteil vom 11.06.2010 und Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 21.10.2009, bei<strong>de</strong> im<br />
Anhang)<br />
Abweichend davon vermittelt § 51 LVwVfG <strong>de</strong>m Bürger einen Rechtsanspruch auf das Wie-<br />
<strong>de</strong>raufgreifen <strong>de</strong>s Verfahrens mit <strong>de</strong>m Ziel einer Prüfung, ob die Behör<strong>de</strong> einen formell be-<br />
standskräftigen (unanfechtbaren) Verwaltungsakt nach Maßgabe von §§ 48, 49 LVwVfG auf-<br />
heben und ggfs. durch einen neuen Verwaltungsakt (Zweitbescheid) ersetzen möchte.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
1.6 Ermessen<br />
1.6.1 Allgemeines<br />
9<br />
Wie schon (in Ziff. 1.5 dargelegt), besteht bei <strong>de</strong>r Aufhebung von begünstigen<strong>de</strong>n Verwal-<br />
tungsakten die beson<strong>de</strong>re Schwierigkeit darin, dass dabei erhebliche öffentliche und be-<br />
achtliche private Interessen aufeinan<strong>de</strong>r treffen können, die jeweils von Verfassungs we-<br />
gen geschützt sein können. Das Gesetz räumt <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> zur Lösung solcher Konflikte<br />
Ermessen ein, dass im Einzelfall zu einer gerechten und billigen Lösung verhelfen soll.<br />
Dabei muss die Behör<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Ermessen in einer <strong>de</strong>m Zweck <strong>de</strong>r Ermächtigung ent-<br />
sprechen<strong>de</strong>n Weise Gebrauch machen, darf aber nicht die Grenzen <strong>de</strong>r gesetzlichen Er-<br />
messensermächtigung überschreiten (vgl. § 40 LVwVfG).<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r §§ 48, 49 LVwVfG ist <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> ein weiter Ermessens-<br />
spielraum eröffnet, <strong>de</strong>n sie ausschöpfen muss. Es geht dabei um sog.<br />
• Entschließungsermessen<br />
- "ob" o<strong>de</strong>r "ob nicht" von <strong>de</strong>r Ermächtigung Gebrauch gemacht wer<strong>de</strong>n soll<br />
- insbeson<strong>de</strong>re auch im Hinblick auf die zwingen<strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r Aufhebung nach §<br />
49a LVwVfG (dort wird kein Ermessen mehr eingeräumt)<br />
• Auswahlermessen:<br />
- in welchem sachlichen (“ganz o<strong>de</strong>r teilweise”) Umfang soll aufgehoben wer<strong>de</strong>n<br />
- in welchem zeitlichen Umfang (“mit Wirkung für die Vergangenheit”, ab jetzt, erst in<br />
Zukunft) soll aufgehoben wer<strong>de</strong>n<br />
Die Grenzen <strong>de</strong>s Ermessens wer<strong>de</strong>n bestimmt durch<br />
• die Ermessensermächtigung selbst (welche Rechtsfolge ist zugelassen? Abwägungs-<br />
vorgaben wie z.B. kein Vertrauensschutz?)<br />
• die Gesetze im übrigen (insbeson<strong>de</strong>re die Grundrechte)<br />
• das Verfassungsrecht (insbeson<strong>de</strong>re: Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit)<br />
Der Zweck <strong>de</strong>s Ermessens wird bestimmt durch<br />
• die Ermessensermächtigung selbst (welchem Zweck dient das Ermessen?)<br />
• die ermessensbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Verwaltungsvorschriften (z.B. VwV LHO)<br />
• die Ermessenspraxis <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> (Art. 3 GG)<br />
Wie noch dargelegt wer<strong>de</strong>n wird, besteht im Rahmen von § 48 Abs. 2 LVwVfG (vgl. auch §<br />
45 Abs. 2 SGB X) Streit darüber,<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
10<br />
• ob es sich beim dort geregelten (Ausschluss von) Vertrauensschutz um eine (weitere)<br />
Tatbestandsvoraussetzung han<strong>de</strong>lt, bei <strong>de</strong>ssen Vorliegen (also: kein schutzwürdiges<br />
Vertrauen) das Ermessen erst eröffnet wird,<br />
• o<strong>de</strong>r um eine Ermessensschranke (-grenze), <strong>de</strong>ren Vorliegen (also die Annahme von<br />
schutzwürdigem Vertrauen) das Ermessen dahin bin<strong>de</strong>t, dass keine Aufhebung in Be-<br />
tracht kommt.<br />
1.6.2 Exkurs: Intendiertes Ermessen<br />
Neben <strong>de</strong>n vom Gesetzgeber vorgegebenen Soll-Vorschriften hat die Rechtsprechung<br />
(<strong>de</strong>s BVerwG) außer<strong>de</strong>m die Rechtsfigur <strong>de</strong>s "intendierten Ermessens" erfun<strong>de</strong>n.<br />
1.6.2.1 Begriff<br />
Vorschriften, die das Ermessen intendieren, ähneln <strong>de</strong>n Soll-Vorschriften. Wie normale<br />
Ermessensnormen ermächtigen sie die Verwaltung zu einer Ermessensentscheidung. An-<br />
<strong>de</strong>rs als diese geben sie aber gleichzeitig ausdrücklich o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st nach Sinn und<br />
Zweck hinreichend <strong>de</strong>utlich zu erkennen, dass die Entscheidung im Regelfall in einem be-<br />
stimmten Sinne erfolgen soll, d.h. sie geben für <strong>de</strong>n Regelfall eine Rechtsfolge vor ("inten-<br />
dierte Entscheidung"). Dann soll auch eine beson<strong>de</strong>re Begründung nicht geboten sein.<br />
Bsp.: (BVerwG, Urteil vom 16.06.1997, - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55, im Anhang) LS:<br />
"Wird <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Gewährung von Subventionen verfolgte Zweck verfehlt und steht <strong>de</strong>r Wi-<br />
<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Bewilligung im behördlichen Ermessen, so ist im Regelfall nur die Entscheidung<br />
f ü r <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf ermessensfehlerfrei. In Fällen dieser Art bedarf es einer Darlegung <strong>de</strong>r<br />
Ermessenserwägungen nur bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten; liegen solche vor, so<br />
kann die Behör<strong>de</strong> ihre Ermessensentscheidung auch noch im Verwaltungsstreitverfahren<br />
entsprechend ergänzen."<br />
(vgl. auch VGH München, U. v. 15.03.2001, und VG Gelsenkirchen, U. v. 15.03.2010, bei-<br />
<strong>de</strong> im Anhang).<br />
Die Annahme von intendiertem Ermessen hat zur Folge, dass die Ermessensbetätigung in<br />
die vorgegebene Richtung materiell rechtmäßig ist und eine unterbliebene Darstellung <strong>de</strong>r<br />
Ermessenserwägungen in <strong>de</strong>r Begründung (vgl. dazu § 39 I S. 2 LVwVfG) keinen formel-<br />
len Fehler darstellt. Sie macht eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung durch die<br />
Behör<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r Rechtsprechung entbehrlich, soweit sie <strong>de</strong>utlich macht, dass sie <strong>de</strong>r<br />
Intention folgt und kein Anhaltspunkt für einen atypischen Fall vorliegt.<br />
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1.6.2.2 Beispiele<br />
1) Aufhebungs-Fälle, in <strong>de</strong>nen die Rechtsprechung ein intendiertes Ermessen bejaht<br />
hat:<br />
11<br />
• Wi<strong>de</strong>rruf einer Zustimmung (zur Verpflichtung) zur Mitarbeit im Wachdienst (BVerwG,<br />
Urteil vom 29.06.1990, - 8 C 69/88 -, DöV 1991, 76)<br />
• Rücknahme eines rechtswidrigen Musterungsbescheids bzw. Wi<strong>de</strong>rruf eines rechtmä-<br />
ßigen Ausmusterungsbescheids (BVerwG, Urteil vom 25.09.1987, - 8 C 61/85 -, Aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wehrgerechtigkeit)<br />
• Wi<strong>de</strong>rruf von Ermessensentscheidungen wegen Zweckverfehlung im Subventionsrecht<br />
(BVerwG, Urteil vom 16.06.1997, - 3 C 22/96 -, Anhang)<br />
2) Aufhebungs-Fälle, in <strong>de</strong>nen die Annahme von intendiertem Ermessen abgelehnt wur-<br />
<strong>de</strong>:<br />
• Rücknahme einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (BVerwG, Urteil vom 05.09.2006,<br />
- 1 C 20/05 -, DöV 2007, 255)<br />
• Rückfor<strong>de</strong>rung von Leistungen für die Vergangenheit (soweit nicht von <strong>de</strong>r Aus-<br />
schlussfrist erfaßt) nach § 45 SGB X (LSG RP, Urteil vom 11.09.2002, - L 6 RJ 2/02 -,<br />
, zu § 45 SGB I)<br />
1.7 Folgewirkungen<br />
Als Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme bzw. <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs eines Verwaltungsaktes sind insbe-<br />
son<strong>de</strong>re auch - vorbehaltlich spezieller Regelungen § 49a und § 52 LVwVfG zu beachten<br />
1.7.1 Rückfor<strong>de</strong>rung/Erstattung von Leistungen nach § 49a Abs. 1 bis 3 LVwVfG<br />
Die Aufhebung <strong>de</strong>s Leistungsbeschei<strong>de</strong>s durch Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf beseitigt die<br />
Rechtsgrundlage für die erbrachte Leistung. Sie wird hierdurch rechtsgrundlos.<br />
§ 49a LVwVfG verpflichtet die Behör<strong>de</strong>n, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben wor<strong>de</strong>n<br />
ist, erbrachte Geldleistungen zurück zu for<strong>de</strong>rn, sofern nicht speziellere Regelungen gelten<br />
z.B. § 15 Abs. 2 LBesG, § 5 Abs. 2 LBeamtVG (spezielle Rückfor<strong>de</strong>rungsregelungen)<br />
§ 49a Abs. 2 LVwVfG nimmt insoweit auf die §§ 812 ff. BGB (s. Anhang) Bezug, wo die<br />
“Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung” für das Zivilrecht geregelt wird. Nach §<br />
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12<br />
818 Abs. 3 BGB schei<strong>de</strong>t ein Rückerstattungsanspruch aus, wenn <strong>de</strong>r Leistungsempfänger<br />
nicht mehr bereichert ist (Entreicherung).<br />
z.B.: das Geld wur<strong>de</strong> ausgegeben. Allerdings dürfen dabei nicht Aufwendungen erspart<br />
wor<strong>de</strong>n sein, die ohnehin entstan<strong>de</strong>n wären (allgemeiner Lebensunterhalt)<br />
Diese Entreicherungseinre<strong>de</strong> ist allerdings ausgeschlossen, wenn <strong>de</strong>r Bereicherte bös-<br />
gläubig war, wenn er also die Entreicherung in Kenntnis <strong>de</strong>r Rechtsgrundlosigkeit bzw. sei-<br />
ner Erstattungspflicht herbei geführt hat (vgl. §§ 818 IV und 819 BGB). Dies wird in § 49a<br />
Abs. 2 LVwVfG noch enger gefaßt: Die Entreicherungseinre<strong>de</strong> läuft <strong>de</strong>shalb im Rahmen<br />
von § 49a Abs. 2 LVwVfG immer dann leer, wenn sich <strong>de</strong>r Bereicherte nicht auf schutzwür-<br />
diges Vertrauen berufen kann<br />
z.B. weil er bei <strong>de</strong>r Beantragung einer Subvention falsche Angaben gemacht hatte (§ 48<br />
Abs. 2 S. 3 Nr. 2 LVwVfG) o<strong>de</strong>r weil er <strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Subvention verfolgten Zweck nicht erfüllt<br />
hat (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 LVwVfG)<br />
1.7.2 Zinsanspruch<br />
Der zu erstatten<strong>de</strong> Betrag ist gemäß § 49a Abs. 3 Satz 1 LVwVfG zu verzinsen. Der Zins-<br />
satz beträgt fünf Prozentpunkte über <strong>de</strong>m jeweiligen Basiszinssatz (vgl. dazu<br />
www.Basiszinssatz.<strong>de</strong>) jährlich. Die Zinspflicht beginnt mit Eintritt <strong>de</strong>r Unwirksamkeit <strong>de</strong>s<br />
Verwaltungsakt, bei Aufhebung <strong>de</strong>s Verwaltungsakt ex tunc also ebenfalls rückwirkend.<br />
Nach § 49a Abs. 3 Satz 2 LVwVfG kann die Behör<strong>de</strong> nach ihrem Ermessen von <strong>de</strong>r Gel-<br />
tendmachung <strong>de</strong>s Zinsanspruchs ganz o<strong>de</strong>r teilweise absehen, wenn <strong>de</strong>r Zuwendungs-<br />
empfänger die Umstän<strong>de</strong>, die zur Entstehung <strong>de</strong>s Erstattungsanspruchs geführt haben,<br />
nicht zu vertreten hat und die Erstattung innerhalb <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> gesetzten Frist er-<br />
folgt. Für das Vertretenmüssen ist auf die Maßstäbe <strong>de</strong>r §§ 276, 278 BGB abzustellen, wo-<br />
nach bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht und <strong>de</strong>r Betroffene auch für das Verschul<strong>de</strong>n<br />
von Erfüllungsgehilfen einzustehen hat.<br />
Nicht zu vertreten hätte es <strong>de</strong>r Erstattungspflichtige z.B., wenn ihm die zweckentsprechen-<br />
<strong>de</strong> Verwendung eines gewährten Bauzuschusses <strong>de</strong>shalb nicht möglich war, weil das vor-<br />
gesehene Baugrundstück infolge einer Naturkatastrophe unbebaubar wur<strong>de</strong>.<br />
1.7.3 Erstattungsverfahren<br />
Das Verfahren zur Geltendmachung <strong>de</strong>s Erstattungsanspruchs durch die Behör<strong>de</strong> ist in §<br />
49a Abs. 1 Satz 2 LVwVfG geregelt. Danach ist <strong>de</strong>r Erstattungsanspruch durch Verwal-<br />
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13<br />
tungsakt (Leistungsbescheid) festzusetzen. Der Erstattungsanspruch muss also nicht bei<br />
Gericht eingeklagt wer<strong>de</strong>n.<br />
Gegen <strong>de</strong>n Leistungsbescheid kann <strong>de</strong>r Erstattungspflichtige mit Wi<strong>de</strong>rspruch und an-<br />
schließen<strong>de</strong>r Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht vorgehen.<br />
Sind spezialgesetzliche Erstattungsregelungen vorhan<strong>de</strong>n, so gehen diese <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Regelung <strong>de</strong>s § 49a LVwVfG vor.<br />
Solange und soweit <strong>de</strong>r rechtswirksame begünstigen<strong>de</strong> Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungs-<br />
Verwaltungsakt (Bewilligungsbescheid) nicht zurückgenommen wur<strong>de</strong>, können die in<br />
rechtswidriger Weise gewährten Leistungen nicht zurückgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>r zwar<br />
rechtswidrige, aber gleichwohl rechtswirksame Bewilligungsbescheid bis zu seiner Rück-<br />
nahme <strong>de</strong>n Rechtsgrund dafür darstellt, dass <strong>de</strong>r Begünstigte die erhaltenen Leistungen<br />
behalten darf. Deshalb muss <strong>de</strong>r Rücknahmebescheid <strong>de</strong>r Rückfor<strong>de</strong>rung - zumin<strong>de</strong>st um<br />
eine juristische Sekun<strong>de</strong> - voraus gehen.<br />
In <strong>de</strong>r Praxis hat daher ein zweistufiges Vorgehen zu erfolgen:<br />
• Rücknahme <strong>de</strong>s (rechtswidrigen) Bewilligungsbeschei<strong>de</strong>s mit Wirkung für die Vergan-<br />
genheit.<br />
• Rückfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r zu Unrecht gewährten Leistungen<br />
Die bei<strong>de</strong>n Regelungen (Rücknahme und Rückfor<strong>de</strong>rung-)Bescheid können in einem Be-<br />
scheid ergehen.<br />
1.7.4 Rückgabe von Urkun<strong>de</strong>n<br />
Nach § 52 LVwVfG kann die Behör<strong>de</strong> die aufgrund <strong>de</strong>s zurückgenommenen o<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rru-<br />
fenen Verwaltungsaktes erteilten Urkun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Sachen, die zum Nachweis <strong>de</strong>r Rechte<br />
aus <strong>de</strong>m Verwaltungsakt bestimmt waren, zurückfor<strong>de</strong>rn. Der Inhaber <strong>de</strong>r Urkun<strong>de</strong>n ist zur<br />
Herausgabe verpflichtet. Damit soll sichergestellt wer<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Betreffen<strong>de</strong> die Urkun-<br />
<strong>de</strong> nicht mißbrauchen kann.<br />
Bsp.: Wird eine Reisegewerbeerlaubnis zurückgenommen o<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rrufen, so kann die<br />
Behör<strong>de</strong> die zum Nachweis <strong>de</strong>r Reisegewerbeerlaubnis ausgestellte Reisegewerbekarte<br />
zurückfor<strong>de</strong>rn. Der Inhaber <strong>de</strong>r Reisegewerbekarte ist zu <strong>de</strong>ren Herausgabe verpflichtet.<br />
Urkun<strong>de</strong>n: Ausweise, Erlaubnisscheine aller Art, Staatsangehörigkeitsur-<br />
kun<strong>de</strong>n, Schifffahrtspatente, Ernennungsurkun<strong>de</strong>n<br />
Sachen: Polizeimarken, Siegel, Kfz-Plaketten etc<br />
Spezielle Vorschriften: § 47 I FEV (Herausgabe <strong>de</strong>s Führerscheins nach Entziehung<br />
<strong>de</strong>r Fahrerlaubnis)<br />
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2. Gemeinsame Grundsätze von §§ 48, 49 LVwVfG<br />
2.1 Überblick über die Regelungen<br />
Man unterschei<strong>de</strong>t Verwaltungsakte nach<br />
14<br />
Rückname<br />
Rechtswidrigkeit<br />
Wi<strong>de</strong>rruf<br />
Rechtmäßigkeit<br />
Belastung § 48 I § 49 I<br />
Begünstigung, nämlich<br />
Geld- und/o<strong>de</strong>r Sachleistung § 48 II § 49 II, III<br />
sonstige Leistungen § 48 III § 49 II<br />
und im Hinblick auf die zeitliche Wirkung <strong>de</strong>r Aufhebung zwischen solcher mit Wirkung für<br />
die Vergangenheit und mit Wirkung für die Zukunft.<br />
belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
Rücknahme von rechtswidrigen<br />
VA, § 48 LVwVfG<br />
stets rücknehmbar, auch für<br />
die Vergangenheit, § 48<br />
Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung auch für die Vergangenheit,<br />
soweit kein schutzwürdiges<br />
Vertrauen dagegen steht, §<br />
48 II<br />
sonstige Leistung stets auch für die Vergangenheit,<br />
jedoch bei<br />
schutzwürdiges Vertrauen<br />
nur gg Entschädigung, § 48<br />
III<br />
Erstattungsanspruch <strong>de</strong>r<br />
Behör<strong>de</strong>, § 49 a<br />
Wi<strong>de</strong>rruf von rechtmäßigen<br />
VA, § 49 LVwVfG<br />
nur für die Zukunft, aber gar<br />
nicht, wenn (§ 49 I)<br />
• ein VA gleichen Inhalts<br />
ergehen müsste<br />
• sonst unzulässig<br />
auch für die Vergangenheit,<br />
wenn § 49 III<br />
• Auflage nicht erfüllt<br />
• Leistungszweck verfehlt<br />
nur für die Zukunft, soweit<br />
Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> vorliegen, in<br />
bestimmten Fällen auch nur<br />
gg Entschädigung, §§ 49 II, VI<br />
Soweit für die Vergangenheit zurückgenommen/wi<strong>de</strong>rrufen<br />
o<strong>de</strong>r bei aufschieben<strong>de</strong>r Bedingung unwirksam gewor<strong>de</strong>n<br />
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2.2 Gemeinsame bzw. abgrenzen<strong>de</strong> Tatbestandsmerkmale<br />
15<br />
Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf sind spezielle Begriffe, die bei<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Oberbegriff Aufhe-<br />
bung (eines Verwaltungsaktes) fallen (vgl. dazu schon Ziff. 1.1).<br />
Die Tatbestandsvoraussetzungen von §§ 48 und 49 LVwVfG unterschei<strong>de</strong>n sich positiv<br />
o<strong>de</strong>r negativ durch die Begriffe<br />
• Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
• Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit<br />
• belasten<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
Erst wenn feststeht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist das Ermessen<br />
eröffnet und auch auszuüben.<br />
2.3 Rechtswidrigkeit - Rechtmäßigkeit<br />
Der Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er gegen formelles o<strong>de</strong>r materielles Recht ver-<br />
stößt (Vorrang <strong>de</strong>s Gesetzes).<br />
2.3.1 Maßgeblicher Zeitpunkt<br />
Maßgeben<strong>de</strong>s Kriterium für die Unterscheidung zwischen Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf ist die<br />
Frage, ob <strong>de</strong>r Verwaltungsakt rechtswidrig (dann Rücknahme nach § 48 LVwVfG) o<strong>de</strong>r<br />
aber rechtmäßig ist (dann Wi<strong>de</strong>rruf nach § 49 LVwVfG).<br />
Dabei kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt <strong>de</strong>s Erlasses <strong>de</strong>s Verwal-<br />
tungsaktes an.<br />
Abweichend davon richtet sich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung,<br />
<strong>de</strong>r infolge einer Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Sachlage rechtswidrig gewor<strong>de</strong>n ist, nach § 48 Abs 1<br />
LVwVfG und nicht nach <strong>de</strong>n Regeln über <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger Verwaltungsakte in §<br />
49 LVwVfG" (vgl. Verwaltungsgerichtshof Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Urteil vom 24.09.2001, - 8<br />
S 641/01 - im Anhang; a.A.: Büchner in Schweickhardt/Vondung, Allg. Verwaltungsrecht,<br />
Rn. 565 mit weiteren Nachweisen und mit <strong>de</strong>r Begründung, dies än<strong>de</strong>re nichts an <strong>de</strong>r<br />
Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakts im maßgeblichen Zeitpunkt, außer<strong>de</strong>m sei § 49 viel<br />
enger und erlaube nach Abs. 2 nur die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft).<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
2.3.2 Rechtswidrigkeit im Sinne von § 48 LVwVfG<br />
2.3.2.1 Allgemeines zur Rechtswidrigkeit<br />
16<br />
Zunächst muss die Rechtswidrigkeit von <strong>de</strong>r Nichtigkeit unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Ein gemäß<br />
§ 44 Abs. 1 o<strong>de</strong>r Abs. 2 LVwVfG nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (vgl. § 43 Abs. 3<br />
LVwVfG) und braucht <strong>de</strong>shalb nicht zurück genommen zu wer<strong>de</strong>n. Das hin<strong>de</strong>rt die Behör-<br />
<strong>de</strong> aber nicht, <strong>de</strong>n nichtigen Verwaltungsakt - aus Klarstellungsgrün<strong>de</strong>n - zurückzunehmen<br />
(vgl. dazu § 44 Abs. 5 LVwVfG).<br />
Bei <strong>de</strong>r Frage, ob ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe schlicht rechtswid-<br />
rig ist, müssen weiterhin die §§ 45 ff. LVwVfG beachtet wer<strong>de</strong>n (vgl. Thürig. OVG, U.v.<br />
27.04.2004 im Anhang)<br />
• Die Rechtswidrigkeit kann in <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>s § 45 LVwVfG geheilt wer<strong>de</strong>n. Erfolgt<br />
eine Heilung <strong>de</strong>s Fehlers, so wird <strong>de</strong>r Verwaltungsakt nachträglich mit Wirkung auf<br />
<strong>de</strong>n Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Der Verwaltungsakt kann dann nicht nach<br />
§ 48 LVwVfG zurückgenommen, son<strong>de</strong>rn allenfalls nach § 49 LVwVfG wi<strong>de</strong>rrufen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
• In Fällen, in <strong>de</strong>nen Verfahrens- o<strong>de</strong>r Formfehler iSd § 46 LVwVfG vorliegen, die sich<br />
auf die materielle Regelung nicht auswirken konnten, ist ebenfalls von einem rechtmä-<br />
ßigen Verwaltungsakt auszugehen ("außer wenn...", vgl. § 49 Abs. 1 LVwVfG). Das<br />
Gleiche gilt für die Fälle <strong>de</strong>r Um<strong>de</strong>utung nach § 47 LVwVfG.<br />
2.3.2.2 Vorläufige Verwaltungsakte<br />
Schwierig ist die Frage <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit bei sog. Vorläufigen Verwal-<br />
tungsakten. Vor allem im Subventionsrecht wer<strong>de</strong>n vorab vorläufige Zuwendungsbeschei-<br />
<strong>de</strong> erlassen, bevor über die Bewilligung endgültig entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann, damit schon<br />
vorab Geldleistungen erbracht wer<strong>de</strong>n können. Solche vorläufige Verwaltungsakte stehen<br />
aber unter <strong>de</strong>m ausdrücklichen o<strong>de</strong>r stillschweigen<strong>de</strong>n Vorbehalt <strong>de</strong>r endgültigen Rege-<br />
lung und sie vermitteln <strong>de</strong>shalb auch keinen Vertrauensschutz. Die endgültige Ableh-<br />
nungsentscheidung stellt zugleich eine konklu<strong>de</strong>nte Aufhebung <strong>de</strong>s vorläufigen Verwal-<br />
tungsaktes dar. Diese Aufhebung ist schon <strong>de</strong>shalb notwendig, damit die erbrachten Lei-<br />
stungen nach § 49a LVwVfG wie<strong>de</strong>r zurück gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können (vgl. dazu ausführ-<br />
lich: Kopp/Ramsauer, Kommentar zur VwGO, 9.A., Anm. 17 zu § 48).<br />
Verwaltungsakte, die danach nicht rechtswidrig sind, fallen unter § 49 LVwVfG.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
2.4 Belasten<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakte<br />
2.4.1 Allgemeines<br />
17<br />
Ein Verwaltungsakt ist begünstigend, wenn er ein Recht o<strong>de</strong>r einen rechtlich erheblichen<br />
Vorteil begrün<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r bestätigt (vgl. die Legal<strong>de</strong>finition in § 48 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG).<br />
Dagegen ist ein Verwaltungsakt belastend, wenn er <strong>de</strong>m Bürger eine Handlungs-, Dul-<br />
dungs- o<strong>de</strong>r Unterlassungspflicht auferlegt o<strong>de</strong>r ein bislang inne gehabtes Recht entzieht.<br />
Denn damit wird in seine Rechtssphäre bzw. seine Grundrechte eingegriffen (beson<strong>de</strong>re<br />
Grundrechte o<strong>de</strong>r allgemeines Freiheits- und Persönlichkeitsrecht).<br />
Allerdings wird auch die Ablehnung eines begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes als belasten-<br />
<strong>de</strong>r Verwaltungsakt angesehen, obwohl <strong>de</strong>m Adressaten hierdurch kein Recht genommen,<br />
son<strong>de</strong>rn allenfalls ein Anspruch verweigert wird.<br />
Ob ein Verwaltungsakt danach belastend o<strong>de</strong>r begünstigend ist, entschei<strong>de</strong>t sich aus <strong>de</strong>r<br />
Sicht <strong>de</strong>s jeweils betroffenen Bürgers. Beachte in diesem Zusammenhang (und nachfol-<br />
gend in Ziff. 3.4) insbeson<strong>de</strong>re<br />
• Verwaltungsakte mit Doppelwirkung<br />
• Verwaltungsakte mit Drittwirkung<br />
2.4.2 Unterschiedliche Begünstigungen in §§ 48, 49 LVwVfG<br />
Die Vorschriften unterschei<strong>de</strong>n grundsätzlich zwischen Verwaltungsakten, die eine einma-<br />
lige o<strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong> Geldleistung o<strong>de</strong>r teilbare Sachleistung gewähren, und “sonstigen Ver-<br />
waltungsakten.<br />
• Geldleistungen<br />
Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um in Geld bezifferte o<strong>de</strong>r bezifferbare Leistungen (also regelmäßig<br />
um Leistungsbeschei<strong>de</strong>, die die Behör<strong>de</strong> zur Zahlung einer Geldleistung verpflichten)<br />
Beschei<strong>de</strong> über Bewilligung von Subventionen, Ausbildungsför<strong>de</strong>rung, Wohngeld, wirt-<br />
schaftlicher Jugendhilfe o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re öffentliche Leistungen, Beschei<strong>de</strong> über <strong>de</strong>n Verzicht<br />
auf eine öffentliche Geldfor<strong>de</strong>rung (Gebührenfestsetzung), Steuerbefreiung<br />
• teilbare Sachleistungen:<br />
Lieferung von geldwerten Gütern<br />
Gewährung von Heizmaterial, Bekleidung<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
an<strong>de</strong>re geldwerte Leistungen<br />
Überlassung von Wohnraum, Bewilligung eines Krankenhausaufenthaltes<br />
die sachlich o<strong>de</strong>r in zeitlicher Hinsicht teilbar sind<br />
• sonstige Begünstigungen<br />
18<br />
Darunter fallen alle Arten von Begünstigungen, die nicht zu <strong>de</strong>n Geld- o<strong>de</strong>r teilbaren<br />
Sachleistungen gehören.<br />
Darunter fallen alle gestalten<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r feststellen<strong>de</strong>n Verwaltungsakte, soweit sich <strong>de</strong>n<br />
Betroffenen begünstigen.<br />
Genehmigungen, Erlaubnisse, Bescheinigungen mit Regelungscharakter, Feststellungen<br />
wie Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, als Deutscher im Sinne <strong>de</strong>s Grundgesetzes<br />
usw.<br />
2.5. Zuständigkeit für Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf<br />
2.5.1 Örtliche Zuständigkeit<br />
§ 48 Abs. 5 LVwVfG und § 49 Abs. 5 LVwVfG regeln nur die örtliche, nicht aber die sachli-<br />
che Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rücknahme bzw. über <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf.<br />
Danach ist für die Rücknahmeentscheidung bzw. für die Wi<strong>de</strong>rrufsentscheidung bis zur<br />
Unanfechtbarkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakt die Behör<strong>de</strong> örtlich zuständig, die <strong>de</strong>n ursprüngli-<br />
chen Verwaltungsakt erlassen hat, und zwar auch dann, wenn sich die örtliche Zuständig-<br />
keit geän<strong>de</strong>rt hat.<br />
Nach Eintritt <strong>de</strong>r Unanfechtbarkeit ist nur die im Rücknahmezeitpunkt bzw. im Wi<strong>de</strong>rrufs-<br />
zeitpunkt (aktuell) örtlich zuständige Behör<strong>de</strong> zur Rücknahme bzw. zum Wi<strong>de</strong>rruf berech-<br />
tigt, auch wenn sie <strong>de</strong>n fraglichen Verwaltungsakt nicht erlassen hat. Dies gilt sowohl in<br />
<strong>de</strong>n Fällen, in <strong>de</strong>nen von vornherein eine örtlich unzuständige Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Verwaltungs-<br />
akt erlassen hat, als auch bei Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r örtlichen Zuständigkeit nach Unanfechtbarkeit<br />
(Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 52).<br />
2.5.2 Sachliche Zuständigkeit<br />
Die sachliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rücknahme bzw. über <strong>de</strong>n Wi-<br />
<strong>de</strong>rruf richtet sich dagegen nach <strong>de</strong>n Zuständigkeitsregelungen <strong>de</strong>s jeweils anzuwen<strong>de</strong>n-<br />
<strong>de</strong>n Fachrechts.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
19<br />
Fehlen <strong>de</strong>rartige Regelungen, sind die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen<br />
Grundsätze heranzuziehen. Aus diesen Grundsätzen folgt für die sachliche Zuständigkeit,<br />
dass die Behör<strong>de</strong> zuständig ist, die zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Rücknahme- bzw. Wi<strong>de</strong>rrufsent-<br />
scheidung für <strong>de</strong>n Erlass <strong>de</strong>s aufzuheben<strong>de</strong>n Verwaltungsakt zuständig wäre (BVerwG,<br />
Urteil vom 20.12.1999, im Anhang).<br />
Wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fragliche Verwaltungsakt von einer sachlich unzuständigen Behör<strong>de</strong> erlassen,<br />
so ist für <strong>de</strong>ssen Rücknahme (ein Wi<strong>de</strong>rruf kommt hier nicht in Betracht, weil die Verlet-<br />
zung <strong>de</strong>r sachlichen Zuständigkeit <strong>de</strong>n Verwaltungsakt formell rechtswidrig macht) die Be-<br />
hör<strong>de</strong> sachlich zuständig, die aktuell zum Rücknahme- bzw. Wi<strong>de</strong>rrufszeitpunkt für <strong>de</strong>n<br />
Erlass <strong>de</strong>s Verwaltungsakt zuständig wäre. Es besteht kein vernünftiger Grund, einen et-<br />
waigen Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeitsordnung fortwirken zu lassen.<br />
Im Verhältnis von Ausgangsbehör<strong>de</strong> zu Wi<strong>de</strong>rspruchsbehör<strong>de</strong> ist für die Dauer <strong>de</strong>s Vor-<br />
verfahrens (Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrens) auch die Wi<strong>de</strong>rspruchsbehör<strong>de</strong> zur Rücknahme<br />
bzw. zum Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s Ausgangsbeschei<strong>de</strong>s befugt. Danach ist nur noch die Ausgangs-<br />
behör<strong>de</strong> zuständig (Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 54).<br />
2.6 Aufhebungsfrist<br />
§ 48 Abs. 4 LVwVfG, auf welchen § 49 Abs. 3 S. 2 LVwVfG verweist, lässt die Rücknahme<br />
- außer bei Ausschluss <strong>de</strong>s Vertrauens nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 - nur zu innerhalb ei-<br />
nes Jahres, seit<strong>de</strong>m die Behör<strong>de</strong> positive Kenntnis von Tatsachen erlangt hat, die die<br />
Rücknahme rechtfertigen (§ 48 Abs. 4 LVwVfG). Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um eine Aus-<br />
schlussfrist, die we<strong>de</strong>r verlängert wer<strong>de</strong>n kann noch eine Wie<strong>de</strong>reinsetzung in <strong>de</strong>n vorigen<br />
Stand zulässt.<br />
Die Bestimmung <strong>de</strong>r Jahresfrist bereitet in <strong>de</strong>r Praxis erhebliche Probleme. Die Frist be-<br />
ginnt erst zu laufen, wenn die Behör<strong>de</strong> Kenntnis von Tatsachen hat, die die Rücknahme<br />
rechtfertigen. Es ist positive Kenntnis notwendig, Kennenmüssen, d.h. eine schuldhafte<br />
Unkenntnis <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> genügt nicht.<br />
Nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>r Regelung ist als Behör<strong>de</strong> die Stelle <strong>de</strong>r Verwaltungsorganisation zu<br />
verstehen, die über die Rücknahme <strong>de</strong>s Verwaltungsakt zu entschei<strong>de</strong>n hat. Nicht ausrei-<br />
chend ist, dass ein behör<strong>de</strong>nintern unzuständiger Beamter Kenntnis erlangt hat, selbst<br />
wenn er zu einer Entscheidung wie <strong>de</strong>r Rücknahme berechtigt wäre. Ebenfalls nicht aus-<br />
reichend ist die Kenntnis <strong>de</strong>r Aufsichtsbehör<strong>de</strong>.<br />
Nach <strong>de</strong>r ständigen Rechtsprechung <strong>de</strong>s BVerwG han<strong>de</strong>lt es sich um eine reine Überle-<br />
gungsfrist. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Behör<strong>de</strong> die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s<br />
Verwaltungsaktes erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheb-<br />
lichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Die Jahresfrist beginnt <strong>de</strong>mgemäß erst zu lau-<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
20<br />
fen, wenn diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind<br />
(Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 211; BayVGH, U.v. 15.03.2001, im Anhang, mit<br />
weiteren Nachweisen). Dazu zählen die Voraussetzungen, die im Rahmen <strong>de</strong>s § 48 Abs. 2<br />
LVwVfG <strong>de</strong>n Vertrauensschutz begrün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ausschließen, sowie ferner die für die Er-<br />
messensausübung wesentlichen Umstän<strong>de</strong>. Diese Kenntnis liegt regelmäßig erst nach<br />
Gewährung von rechtlichem Gehör vor.<br />
Somit aber kommt <strong>de</strong>r Frist <strong>de</strong>s § 48 Abs. 4 LVwVfG kaum noch praktische Be<strong>de</strong>utung zu,<br />
weil die Behör<strong>de</strong> durch immer neue Ermittlungen die Frist immer neu beginnen lassen<br />
kann (vgl. Peine a.a.O.).<br />
Für die Berechnung <strong>de</strong>r Frist gelten § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. §§ 187 ff. BGB.<br />
Die Rücknahmefrist von einem Jahr gilt nicht, sofern <strong>de</strong>r Verwaltungsakt durch arglistige<br />
Täuschung, Drohung o<strong>de</strong>r Bestechung erwirkt wur<strong>de</strong>.<br />
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3. Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte<br />
21<br />
Im folgen<strong>de</strong>n sollen die Voraussetzungen nach § 48 LVwVfG für die unterschiedlichen<br />
Anwendungsfälle erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />
Überblick<br />
Tatbestandsmerkmale<br />
§ 48 I § 48 II § 48 III<br />
belastend<br />
Rechtsfolge Aufhebung nach<br />
pflichtgemäßem Ermessen,<br />
Rücknahmefrist<br />
aber durch belasten<strong>de</strong>n<br />
Charakter<br />
stark eingeschränkt<br />
begünstigend<br />
rechtswidriger Verwaltungsakt<br />
s. Anhang II<br />
(Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung) (sonstige Leistung, z.B. Genehmigung)<br />
eröffnet Ermessen<br />
Aufhebung (Rücknahme <strong>de</strong>s rechtswidrigen Verwaltungsaktes) steht im pflichtgemäßen<br />
Ermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>;<br />
Entschließungsermessen<br />
Auswahlermessen:<br />
• Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft<br />
• ganz o<strong>de</strong>r teilweise<br />
• Ermessen hinsichtlich <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
Ermessensschranken:<br />
• Allgemeine Ermessensschranken, insbeson<strong>de</strong>re Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit,<br />
Grundrechte<br />
schutzwürdiges Vertrauen<br />
• gebil<strong>de</strong>t<br />
• und nicht ausgeschlossen (Abwägungsgebot)<br />
Beson<strong>de</strong>re Ermessensschranken:<br />
(keine: ”dul<strong>de</strong> [die Aufhebung] und<br />
liquidiere [<strong>de</strong>n Ausgleichsanspruch<br />
für Vermögensnachteile]”<br />
§ 48 IV LVwVfG: außer bei Täuschung (S. 2) innerhalb eines Jahres vom Zeitpunkt <strong>de</strong>r Kenntnisnahme<br />
<strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> an, die die Rücknahme ermöglichen (echte Überlegungsfrist beim zuständigen Amt<br />
innerhalb <strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong>!) (vgl. BVerwG, Großer Senat, BVerwGE 70, 35 6)<br />
Folgen keine § 49 a LVwVfG: Erstattungsanspruch für<br />
bereits gewährte Leistungen, Festsetzung<br />
durch Leistungsbescheid<br />
Ausgleichsanspruch für Vermögensnachteile,<br />
soweit<br />
schutzwürdiges Vertrauen gebil<strong>de</strong>t<br />
und nicht ausgeschlossen<br />
Begrenzung keine nach Bereicherungsrecht, § 812 f BGB Vertrauensinteresse, nicht über<br />
das positive Interesse<br />
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3.1 Rücknahme rechtswidriger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
22<br />
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen belasten<strong>de</strong>n<br />
Verwaltungsakt von keinen beson<strong>de</strong>ren Voraussetzungen abhängig. Insbeson<strong>de</strong>re besteht<br />
kein schutzwürdiges Vertrauen auf <strong>de</strong>n Fortbestand <strong>de</strong>s belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes.<br />
Die Rücknahme ist nach pflichtgemäßem Ermessen stets zulässig. Es liegt auch im Er-<br />
messen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>, ob sie die Rechtsfolgen <strong>de</strong>r Rücknahme zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Be-<br />
kanntgabe <strong>de</strong>s Rücknahmebescheids o<strong>de</strong>r zu einem späteren Zeitpunkt (Rücknahme ex<br />
nunc) o<strong>de</strong>r aber rückwirkend für die Vergangenheit (Rücknahme ex tunc) bewirken will.<br />
Die Rücknahme ist an keine Fristen gebun<strong>de</strong>n. Die Rücknahmefrist <strong>de</strong>s § 48 Abs. 4<br />
LVwVfG von einem Jahr gilt für die Rücknahme von belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt, wie sich<br />
<strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>s § 48 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG entnehmen lässt, nicht.<br />
Die Rücknahme erfolgt durch einen Rücknahmebescheid.<br />
Bei <strong>de</strong>r Ausübung <strong>de</strong>s Rücknahmeermessens sind die allgemeinen Ermessensschranken,<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Gleichheitsgrundsatz und <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu be-<br />
achten.<br />
Eine Reduzierung <strong>de</strong>s Ermessens tritt ein, wenn <strong>de</strong>r ursprünglich zum Zeitpunkt seines<br />
Erlasses rechtswidrige Verwaltungsakt durch eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Sach- o<strong>de</strong>r Rechtslage<br />
inzwischen rechtmäßig wur<strong>de</strong> und es sich um eine gebun<strong>de</strong>ne Entscheidung ohne Ermes-<br />
sen han<strong>de</strong>lt. In diesem Fall greift <strong>de</strong>r Rechtsgedanke <strong>de</strong>s § 49 Abs. 1 LVwVfG ein. Eine<br />
Rücknahme wäre dann rechtsmissbräuchlich und ist daher ausgeschlossen (BVerwG,<br />
28.10.1983, - 8 C 65/81 -, NVwZ 1984, 715 und ).<br />
Bsp.: Einem Mühlenbetrieb wird eine wasserrechtliche Auflage erteilt, obwohl dafür die<br />
erfor<strong>de</strong>rliche Rechtsgrundlage fehlt. Wird später eine Rechtsverordnung erlassen, die <strong>de</strong>n<br />
Erlass einer <strong>de</strong>rartigen Auflage vorschreibt, so kann die Auflage nicht mehr zurückge-<br />
nommen wer<strong>de</strong>n, da sie ja sonst sofort wie<strong>de</strong>r neu erlassen wer<strong>de</strong>n müsste.<br />
Mit <strong>de</strong>r Bekanntgabe <strong>de</strong>r Rücknahme <strong>de</strong>s Verwaltungsakt en<strong>de</strong>t seine Wirksamkeit. Von<br />
welchem Zeitpunkt an diese Wirkung eintritt, kann im Rahmen <strong>de</strong>r Rücknahmeregelung<br />
auch für die Vergangenheit o<strong>de</strong>r erst in <strong>de</strong>r Zukunft (aufschieben<strong>de</strong> Befristung) geregelt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Beachte:<br />
Wirkt sich <strong>de</strong>r belasten<strong>de</strong> rechtswidrige Verwaltungsakt auf einen Dritten begünstigend<br />
aus, so muss die Behör<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Rücknahme ihm gegenüber die Maßstäbe von § 48 Abs.<br />
2 o<strong>de</strong>r Abs. 3 LVwVfG anlegen.<br />
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23<br />
3.2. Rücknahme (rechtswidriger) begünstigen<strong>de</strong>r Geld- und Sachleistungs-Verwaltungs-<br />
akte<br />
3.2.1 Allgemeines<br />
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 48 Abs. 2 LVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungs-<br />
akt, <strong>de</strong>r eine einmalige o<strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong> Geldleistung o<strong>de</strong>r teilbare Sachleistung gewährt<br />
o<strong>de</strong>r dafür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen wer<strong>de</strong>n, soweit <strong>de</strong>r Begünstigte auf<br />
<strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungsakt vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist.<br />
Be<strong>de</strong>utung hat § 48 Abs. 2 LVwVfG insbeson<strong>de</strong>re etwa bei <strong>de</strong>r Gewährung von Subven-<br />
tionen sowie bei <strong>de</strong>r Gewährung von Beihilfen nach <strong>de</strong>m Beamtenrecht.<br />
3.2.2 Ermessen<br />
Die Rücknahme steht im Ermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>. Auf die allgemeinen Ausführungen unter<br />
Ziff. 1.6 wird zunächst Bezug genommen.<br />
Das Ermessen wird allerdings in verschie<strong>de</strong>ner Hinsicht begrenzt.<br />
3.2.2.1 Eröffnung <strong>de</strong>s Ermessens<br />
Das Ermessen ist eröffnet, wenn die Tatbestandsmerkmale vorliegen:<br />
• rechtswidriger<br />
• begünstigen<strong>de</strong>r<br />
• Verwaltungsakt<br />
• <strong>de</strong>ssen Gegenstand eine Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung ist<br />
Die streitige Frage, ob auch die Regelungen über <strong>de</strong>n Vertrauensschutz noch zu <strong>de</strong>n Tat-<br />
bestandsvoraussetzungen gehören, die das Ermessen erst eröffnen, o<strong>de</strong>r ob es sich dabei<br />
um inneren Schranken <strong>de</strong>r Ermessensermächtigung han<strong>de</strong>lt, die bei Vorliegen <strong>de</strong>r Vor-<br />
aussetzungen eine Rücknahme ausschließen, hat keine rechtlichen Auswirkungen.<br />
Im folgen<strong>de</strong>n wird insoweit von einer Ermessensschranke ausgegangen.<br />
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3.2.2.2 Schranken <strong>de</strong>s Ermessens<br />
24<br />
§ 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG erklärt die Rücknahme für unzulässig, soweit <strong>de</strong>r Begünstigte<br />
auf <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungsakt vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit<br />
<strong>de</strong>m öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.<br />
Die Ermessensschranke wirkt sich bei <strong>de</strong>r Frage aus, ob die Rücknahme überhaupt erfol-<br />
gen kann (Entschließungsermessen).<br />
3.2.2.3 Schutzwürdigkeit <strong>de</strong>s Vertrauens<br />
Die Vorschrift enthält ein dreistufiges System zur Feststellung, ob schutzwürdiges Vertrau-<br />
en besteht o<strong>de</strong>r nicht:<br />
1. subjektiv: Vertrauen gebil<strong>de</strong>t?<br />
2. objektiv: Vertrauen schutzwürdig?<br />
a) positiv Vertrauen ist schutzwürdig, wenn § 48 II 2<br />
b) negativ Vertrauen ist nicht schutzwürdig, wenn § 48 II 3 Nr. 1 bis 3<br />
3. wenn <strong>de</strong>mnach das Vertrauen<br />
schutzwürdig ist Rücknahme <strong>de</strong>s Verwaltungsakt ausgeschlossen<br />
nicht schutzwürdig<br />
ist<br />
Rücknahmeermessen<br />
Subjektive Voraussetzung für <strong>de</strong>n Vertrauensschutz ist zunächst, dass <strong>de</strong>r Begünstigte<br />
überhaupt auf <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes vertraut hat.<br />
Dafür müssen nach § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG objektive Indizien sprechen. Beispielhaft<br />
wer<strong>de</strong>n dafür aufgezählt:<br />
• wenn <strong>de</strong>r Begünstigte die gewährten Leistungen verbraucht hat<br />
• wenn <strong>de</strong>r Begünstigte eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr o<strong>de</strong>r<br />
Bsp.:<br />
nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann<br />
Im Vertrauen auf einen Bewilligungsbescheid (Beihilfebescheid) hat <strong>de</strong>r Beamte die Kur<br />
durchgeführt und die bewilligte Beihilfe verbraucht.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
25<br />
Im Vertrauen auf einen Bewilligungsbescheid hat <strong>de</strong>r Beamte die Kur zwar noch nicht an-<br />
getreten, er hat aber mit <strong>de</strong>m Kurträger bereits einen Vertrag abgeschlossen, aus <strong>de</strong>m er<br />
gar nicht mehr o<strong>de</strong>r nur mit erheblichen Vertragsstrafen wie<strong>de</strong>r "herauskommt"<br />
Denkbar sind auch an<strong>de</strong>re objektive Indizien. § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG schließt einen<br />
Vertrauensschutz in an<strong>de</strong>ren als <strong>de</strong>n dort genannten Fällen nicht aus.<br />
Schließlich darf <strong>de</strong>r Vertrauensschutz nicht ausgeschlossen sein. § 48 Abs. 2 Satz 3<br />
LVwVfG umschreibt drei Fallgruppen, in <strong>de</strong>nen das Vertrauen nicht schutzwürdig ist, weil<br />
<strong>de</strong>r Begünstigte in vorwerfbarer Weise gehan<strong>de</strong>lt hat.<br />
Nr. 1 : Der Begünstigte hat <strong>de</strong>n Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung o<strong>de</strong>r<br />
Bestechung erwirkt.<br />
Nr. 2: Der Begünstigte hat <strong>de</strong>n Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher<br />
Beziehung unrichtig o<strong>de</strong>r unvollständig waren.<br />
Dabei kommt es auf ein subjektives Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Begünstigten bezüglich <strong>de</strong>r Unrich-<br />
tigkeit bzw. Unvollständigkeit <strong>de</strong>r Angaben nicht an. Maßgeblich ist vielmehr allein die ob-<br />
jektive Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit <strong>de</strong>r Angaben (BVerwG, Urteil vom 14.08.1986,<br />
- 3 C 9/85 -, im Anhang). Die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben fällt in <strong>de</strong>n<br />
Risikobereich <strong>de</strong>s Begünstigten. Der Ausschlussgrund greift allerdings nur, wenn die fal-<br />
schen o<strong>de</strong>r unvollständigen Angaben für <strong>de</strong>n Erlass <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes kausal waren<br />
("erwirkt").<br />
Nr. 3: Der Begünstigte hat die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakt gekannt o<strong>de</strong>r infolge<br />
grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.<br />
Grob fahrlässig be<strong>de</strong>utet, dass die im Verkehr erfor<strong>de</strong>rliche Sorgfalt in beson<strong>de</strong>rs schwe-<br />
rem Maße verletzt wur<strong>de</strong>, also das außer acht gelassen wur<strong>de</strong>, was sich je<strong>de</strong>m ohne<br />
Weiteres aufgedrängt hätte. Die bloße Kenntnis <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong>, die zur Rechtswidrigkeit<br />
führen, reicht nicht aus.<br />
Bsp.:<br />
Ein Beamter erhält einen Beihilfebescheid über einen Betrag, <strong>de</strong>r weit über <strong>de</strong>r beantrag-<br />
ten Beihilfe liegt, z.B. weil die Behör<strong>de</strong> sich um eine Dezimalstelle ”vertan" hat. Der Be-<br />
amte han<strong>de</strong>lt grob fahrlässig, wenn er es unterläßt, bei <strong>de</strong>r Beihilfestelle wegen <strong>de</strong>r auffäl-<br />
ligen Höhe <strong>de</strong>s Betrages nachzufragen.<br />
Der Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> hat ein Sparguthaben kurz vor <strong>de</strong>m Stichtag (Antragstellung) "ver-<br />
schoben" und bei <strong>de</strong>r Antragstellung nicht angegeben, weil er nicht wusste, dass er hierzu<br />
verpflichtet war. Aber er wusste, dass er die Einkünfte, die zu <strong>de</strong>m Sparguthaben geführt<br />
hatten, hätte angeben müssen, was zu einer Neuberechnung <strong>de</strong>s Anspruchs geführt hätte.<br />
Er musste nunmehr wissen, dass dieses Sparguthaben nicht anrechnungsfrei bleiben<br />
konnte.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
3.2.3 Zeitliche Auswirkung <strong>de</strong>r Rücknahme<br />
26<br />
Der Rücknahmebescheid wird mit seiner Bekanntgabe (äußerlich) wirksam (§ 43<br />
LVwVfG). Er kann die Wirkung <strong>de</strong>r Rücknahme (innere Wirksamkeit) aber grundsätzlich<br />
zurückverlegen.<br />
In <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>s § 48 Abs. 2 Satz 3 LVwVfG wird nach § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG <strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt in <strong>de</strong>r Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich dabei um einen Fall <strong>de</strong>s sog. ”intendierten Ermessens" (vgl. dazu Ziff. 1.6.2).<br />
Gleichwohl sollte die Behör<strong>de</strong> auch in <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>s § 48 Abs. 2 Satz 3 LVwVfG nicht<br />
einfach ausführen, dass somit <strong>de</strong>r Verwaltungsakt gemäß <strong>de</strong>r Regel <strong>de</strong>s § 48 Abs. 2 Satz<br />
4 LVwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sei. Auch im Falle <strong>de</strong>s in-<br />
tendierten Ermessens sind die wesentlichen Ermessenserwägungen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> bezüg-<br />
lich <strong>de</strong>r Rücknahme und <strong>de</strong>s Zeitpunkts <strong>de</strong>r Rücknahme kurz darzulegen. Insoweit kann<br />
auch dargelegt wer<strong>de</strong>n, dass keine außergewöhnlichen Umstän<strong>de</strong> ersichtlich sind, die ein<br />
an<strong>de</strong>res, von <strong>de</strong>r Regel <strong>de</strong>s § 48 Abs. 2 Satz 4 abweichen<strong>de</strong>s Ergebnis rechtfertigen wür-<br />
<strong>de</strong>n (vgl. Bay. VGH, U.v. 15.03.2001, im Anhang).<br />
3.2.4 Rücknahmefrist<br />
Die Rücknahme ist nur innerhalb <strong>de</strong>r Jahresfrist <strong>de</strong>s § 48 Abs. 4 LVwVfG möglich. Hierzu<br />
wird auf die Ausführungen unter Ziff. 2.6 Bezug genommen. Die Jahresfrist gilt nicht, wenn<br />
schutzwürdiges Vertrauen nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 LVwVfG ausgeschlossen ist (also in<br />
<strong>de</strong>n Fällen von Täuschung, Drohung o<strong>de</strong>r Bestechung).<br />
3.2.5 Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme eines Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungs-Verwaltungs-<br />
aktes<br />
3.2.5.1 Rückfor<strong>de</strong>rung erbrachter Leistungen<br />
Die Behör<strong>de</strong> erhält einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (§ 49a Abs. 1 bis 3<br />
LVwVfG).<br />
Die Rücknahme eines Verwaltungsakt ex tunc (mit Wirkung für die Vergangenheit) ent-<br />
zieht <strong>de</strong>n bisherigen Leistungen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Begünstigten die Rechtsgrundlage.<br />
Soweit die Rücknahme reicht, sind daher die bereits gewährten Leistungen zu erstatten<br />
und <strong>de</strong>r Erstattungsbetrag ist zu verzinsen (§ 49a LVwVfG, vgl. dazu Ziff. 1.7).<br />
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3.3 Rücknahme (rechtswidriger) ”sonstiger begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte"<br />
3.3.1 Inhalt und Gegenstand <strong>de</strong>r Regelung<br />
27<br />
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, <strong>de</strong>r nicht auf eine Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung im Sinne<br />
<strong>de</strong>s § 48 Abs. 2 LVwVfG gerichtet o<strong>de</strong>r hierfür Voraussetzung ist, kann von <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong><br />
nach pflichtgemäßem Ermessen ex nunc o<strong>de</strong>r ex tunc zurückgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Bsp.: Rücknahme einer Erlaubnis o<strong>de</strong>r Genehmigung o<strong>de</strong>r eines statusrechtlichen Ver-<br />
waltungsakt (z.B. Einbürgerung, vgl. dazu aber die spezielle Regelung in § 35 StAG).<br />
3.3.2 Ermessen<br />
Das Ermessen wird durch das Vorliegen folgen<strong>de</strong>r Tatbestandsmerkmale eröffnet<br />
• Verwaltungsakt<br />
• rechtswidrig<br />
• begünstigen<strong>de</strong>r<br />
• <strong>de</strong>r eine sonstige (also keine Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung) betrifft<br />
An<strong>de</strong>rs als bei <strong>de</strong>n Geld- und Sachleistungs-Verwaltungsakt bil<strong>de</strong>t die Schutzwürdigkeit<br />
<strong>de</strong>s Vertrauens <strong>de</strong>s Begünstigten keine im Gesetz enthaltene Schranke <strong>de</strong>s Ermessens.<br />
Der Verwaltungsakt kann also auch zurückgenommen wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Begünstigte auf<br />
<strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungsakt vertraut hatte und dieses Vertrauen schutzwürdig war<br />
("dul<strong>de</strong> die Rücknahme und liquidiere <strong>de</strong>n Vertrauensscha<strong>de</strong>n").<br />
Das Vertrauen muss jedoch stets in <strong>de</strong>n Abwägungsvorgang eingestellt wer<strong>de</strong>n. Im übri-<br />
gen spielt <strong>de</strong>r Vertrauensschutz auf <strong>de</strong>r Rechtsfolgeseite eine wichtige Rolle. Denn <strong>de</strong>r<br />
Begünstigte kann unter dieser Voraussetzung <strong>de</strong>n Ersatz seines Vertrauensscha<strong>de</strong>ns<br />
verlangen.<br />
3.3.3 Rücknahmefrist<br />
Die Frist für die Rücknahme beträgt gemäß § 48 Abs. 4 LVwVfG ein Jahr, seit<strong>de</strong>m die Be-<br />
hör<strong>de</strong> positive Kenntnis von <strong>de</strong>n Tatsachen erlangt hat, die eine Rücknahme rechtfertigen.<br />
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28<br />
Auch bei <strong>de</strong>r Rücknahme sonstiger Begünstigungen gilt § 48 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG, wo-<br />
nach die Rücknahmefrist keine Geltung hat, wenn <strong>de</strong>r Verwaltungsakt durch arglistige<br />
Täuschung, Bestechung o<strong>de</strong>r Drohung erwirkt wur<strong>de</strong>.<br />
Im übrigen wird auf die o.g. Ausführungen zu Ziff. 2.6 verwiesen.<br />
3.3.4 Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme<br />
3.3.4.1 Der Ausgleichsanspruch <strong>de</strong>s Begünstigten<br />
Die Rücknahme <strong>de</strong>s Verwaltungsakt been<strong>de</strong>t die Wirksamkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsakt ex nunc<br />
o<strong>de</strong>r ex tunc. Als Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme sieht § 48 Abs. 3 LVwVfG einen Aus-<br />
gleichsanspruch für <strong>de</strong>n bislang Begünstigten vor. Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG<br />
setzt das Entstehen <strong>de</strong>s Anspruchs voraus:<br />
• einen Antrag <strong>de</strong>s Betroffenen<br />
Der Antrag ist bei <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> zu stellen, die <strong>de</strong>n Verwaltungsakt zurückgenommen hat.<br />
Er ist nur innerhalb eines Jahres zulässig. Die Frist beginnt allerdings nur, sobald die Be-<br />
hör<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Betroffenen ausdrücklich auf sie hingewiesen hat.<br />
• schutzwürdiges Vertrauen <strong>de</strong>s Betroffenen<br />
Das Vertrauen auf <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungsakt muss unter Abwägung <strong>de</strong>s öffentli-<br />
chen Interesses schutzwürdig sein.<br />
§ 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG verweist auf § 48 Abs. 2 Satz 3 LVwVfG und regelt damit Fäl-<br />
le, in <strong>de</strong>nen das Vertrauen nicht schutzwürdig ist. Dagegen umfaßt die Verweisung nicht §<br />
48 Abs. 3 S. 1 und 2 LVwVfG. Daraus ist zu schließen, dass die Anfor<strong>de</strong>rungen an die<br />
Schutzwürdigkeit <strong>de</strong>s Vertrauens niedriger anzusetzen sein dürften als in § 48 Abs. 2 Satz<br />
2 LVwVfG.<br />
• einen erlittenen Vermögensnachteil <strong>de</strong>s Betroffenen<br />
Dem Betroffenen muss ein Vermögensnachteil entstan<strong>de</strong>n sein, <strong>de</strong>r ursächlich auf die<br />
Rücknahme <strong>de</strong>s Verwaltungsakt zurückzuführen ist.<br />
Bsp: Einem Transportunternehmer wird eine rechtswidrige tierschutzrechtliche Erlaubnis<br />
zur Durchführung von Tiertransporten erteilt. Der Unternehmer rüstet daraufhin seine<br />
LKWs entsprechend um. Dann wird die Erlaubnis zurückgenommen. Die Kosten für die<br />
nutzlose Umrüstung <strong>de</strong>r LKWs stellen einen auf die Rücknahme zurückzuführen<strong>de</strong>n Ver-<br />
mögensnachteil dar.<br />
Der Umfang <strong>de</strong>s Ausgleichsanspruchs <strong>de</strong>s bisher Begünstigten ist gesetzlich begrenzt. Zu<br />
ersetzen ist das Vertrauensinteresse (§ 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG), nicht das positive In-<br />
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29<br />
teresse o<strong>de</strong>r Erfüllungsinteresse, insbeson<strong>de</strong>re nicht <strong>de</strong>r entgangene Gewinn. Allerdings<br />
bil<strong>de</strong>t das Erfüllungsinteresse die Obergrenze (§ 48 Abs. 3 Satz 3 LVwVfG); das Vertrau-<br />
ensinteresse darf nicht über das Erfüllungsinteresse hinaus ausgeglichen wer<strong>de</strong>n.<br />
Bsp: Die Umrüstung <strong>de</strong>r LKWs im obigen Beispiel gehört zum (zu ersetzen<strong>de</strong>n) Vertrau-<br />
ensinteresse. Der Gewinn, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Unternehmer in <strong>de</strong>r Zukunft mit <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>r<br />
Tiertransporte gemacht hätte, gehört zum (nicht zu ersetzen<strong>de</strong>n) Erfüllungsinteresse (po-<br />
sitives Interesse).<br />
Wären die Umrüstungskosten für die LKWs höher als <strong>de</strong>r zu erreichen<strong>de</strong> Gewinn, so ist<br />
<strong>de</strong>r Ausgleichsanspruch auf das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) begrenzt.<br />
3.3.4.2 Das Ausgleichsverfahren<br />
Das Verfahren zur Durchsetzung <strong>de</strong>s Ausgleichsanspruchs richtet sich nach § 48 Abs. 3<br />
Satz 1 und Satz 4 LVwVfG sowie nach §§ 40 und 42 Abs. 1 VwGO. Nach einem zulässi-<br />
gen fristgerechten Antrag setzt die Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Ausgleichsanspruch nach Grund und Hö-<br />
he fest. Dies kann auch gleichzeitig mit <strong>de</strong>r Rücknahmeentscheidung erfolgen.<br />
Für Streitigkeiten über Grund und Höhe <strong>de</strong>s Ausgleichsanspruchs sind die Verwaltungsge-<br />
richte zuständig. Der Anspruch ist mit einem Verpflichtungswi<strong>de</strong>rspruch und anschließen-<br />
<strong>de</strong>r Verpflichtungsklage zu verfolgen.<br />
3.3.4.3 Praxisprobleme: Rücknahme =/= Untersagung<br />
Bei rechtswidrigen ”sonstigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt" ist zu beachten, dass das<br />
durch <strong>de</strong>n begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt erlaubte bzw. genehmigte Han<strong>de</strong>ln erst dann<br />
untersagt wer<strong>de</strong>n darf, nach<strong>de</strong>m zuvor <strong>de</strong>r zwar rechtswidrige, aber gleichwohl rechtswirk-<br />
same begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakt (die Erlaubnis bzw. Genehmigung) mit rechtsgestal-<br />
ten<strong>de</strong>r Wirkung zurückgenommen wer<strong>de</strong>n ("juristische Sekun<strong>de</strong>"). Solange und soweit die<br />
Erlaubnis bzw. die Genehmigung rechtswirksam sind, kann das genehmigte Verhalten<br />
nicht untersagt wer<strong>de</strong>n.<br />
Bsp.: Die weiteren Bauarbeiten können erst und nur dann untersagt wer<strong>de</strong>n (Baueinstel-<br />
lung), soweit zuvor die für diese Arbeiten erteilte (zwar rechtswidrige, aber gültige) Bauge-<br />
nehmigung und sowie die entsprechen<strong>de</strong> Baufreigabe zurückgenommen wur<strong>de</strong>n.<br />
Dabei können die Rücknahme- und die Untersagungsverfügung in einem Bescheid erge-<br />
hen.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
30<br />
Erscheint die Aufhebung beson<strong>de</strong>rs eilbedürftig, liegt also ein beson<strong>de</strong>res Vollziehungsin-<br />
teresse vor, so empfiehlt es sich, die sofortige Vollziehung von Rücknahme- und Untersa-<br />
gungsverfügung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anzuordnen; dabei muss das beson<strong>de</strong>re<br />
Vollziehungsinteresse gemäß § 80 Abs. 3 VwGO begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Im Anschluss an die Anordnung <strong>de</strong>r sofortigen Vollziehung kann dann ggf. noch die An-<br />
drohung eines Zwangsmittels (vgl. §§ 2, 20 LVwVG) erfolgen. Ein entsprechen<strong>de</strong>r Be-<br />
scheid könnte daher etwa wie folgt lauten:<br />
1. Die Ihnen erteilte Baugenehmigung, Az.: 1234, vom 12.1.2009 und die Baufreigabe<br />
für das Vorhaben .... wird hiermit zurückgenommen.<br />
2. Die Durchführung <strong>de</strong>r mit Baubescheid, Az.: 1234, vom 12.1.2009 genehmigten Ar-<br />
beiten wird Ihnen untersagt.<br />
3. Die sofortige Vollziehung von Ziff. 1 und 2 wird angeordnet.<br />
4. Für <strong>de</strong>n Fall, dass Sie Ziff. 2 zuwi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>ln sollten, wird Ihnen hiermit ein Zwangs-<br />
geld von 2.000,-- EUR angedroht.<br />
3.4 Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte mit Doppel- bzw. Drittwirkung<br />
3.4.1 Verwaltungsakt mit Doppelwirkung<br />
Ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung liegt vor, wenn die Regelung teils begünstigend<br />
und teils belastend ist. In solchen Fällen ist fraglich, ob <strong>de</strong>r Verwaltungsakt nach <strong>de</strong>n<br />
Grundsätzen <strong>de</strong>s begünstigen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt zurückgenom-<br />
men wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Betreffen Begünstigung und Belastung dieselbe Person, so ist <strong>de</strong>r Verwaltungsakt insge-<br />
samt als begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt zu behan<strong>de</strong>ln.<br />
Bsp.: Baugenehmigung mit belasten<strong>de</strong>n Nebenbestimmungen (insbeson<strong>de</strong>re Auflagen)<br />
3.4.2 Verwaltungsakt mit Drittwirkung<br />
Betreffen Begünstigung und Belastung verschie<strong>de</strong>ne Personen (Verwaltungsakt mit Dritt-<br />
wirkung), so ist <strong>de</strong>r Verwaltungsakt als begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt im Sinne <strong>de</strong>s § 48<br />
Abs. 1 Satz 2 LVwVfG zu behan<strong>de</strong>ln, soweit eine Person davon begünstigt wird<br />
Bsp. Ablehnung <strong>de</strong>r Baugenenehmigung aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Nachbarschutzes.<br />
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3.4.3 Verwaltungsakt mit Drittwirkung im Rechtsbehelfsverfahren<br />
3.4.3.1 § 50 LVwVfG<br />
31<br />
Soweit ein zulässiges Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahren o<strong>de</strong>r ein zulässiges verwaltungsgerichtliches<br />
Verfahren anhängig ist, unterliegt die Rücknahme <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rvorschrift <strong>de</strong>s § 50 LVwVfG.<br />
Danach entfällt <strong>de</strong>r Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 - 4 LVwVfG be-<br />
schränkt, soweit dadurch <strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rspruch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Klage abgeholfen wird. Ebenso ist in<br />
diesem Falle die Möglichkeit zum Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger Verwaltungsakt nicht durch die<br />
Regelungen <strong>de</strong>s § 49 Abs. 2 - 4 und Abs. 6 LVwVfG beschränkt. Der Begünstigte muss<br />
nämlich, solange ein zulässiger (insbeson<strong>de</strong>re fristgerechter) Rechtsbehelf eines Dritten<br />
gegen <strong>de</strong>n Verwaltungsakt anhängig ist, ohnehin mit <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>s Verwaltungsakt<br />
rechnen und kann daher schutzwürdiges Vertrauen nicht begrün<strong>de</strong>n. Daher besteht auch<br />
kein Ausgleichsanspruch nach § 48 III LVwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1996, - 4 C<br />
6/95 -. ).<br />
3.4.3.2 Aufhebungsanspruch <strong>de</strong>s Dritten<br />
Ist <strong>de</strong>r Rechtsbehelf zulässig und je<strong>de</strong>nfalls erkennbar begrün<strong>de</strong>t, so verletzt er <strong>de</strong>n Wi-<br />
<strong>de</strong>rspruchsführer in seinen Rechten. Er hat dann einen Anspruch auf Aufhebung <strong>de</strong>s Ver-<br />
waltungsaktes. Dieser reduziert das Ermessen auf Null (BVerwG, Urteil vom 08.11.2001, -<br />
4 C 18/00 -, , NVwZ 2002, 730, 732).<br />
3.4.3.3 Rücknahme- o<strong>de</strong>r Abhilfebescheid<br />
Auch bei zulässigem und begrün<strong>de</strong>tem Wi<strong>de</strong>rspruch hat die Behör<strong>de</strong> grundsätzlich die<br />
Wahl, <strong>de</strong>n angefochtenen Verwaltungsakt durch einen Rücknahmebescheid statt durch<br />
eine Abhilfeentscheidung (§ 72 VwGO) aufzuheben.<br />
Ein Rücknahmebescheid - anstelle einer Abhilfeentscheidung bzw. stattgeben<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>r-<br />
spruchsentscheidung - ist aber unzulässig, wenn er nur <strong>de</strong>n Zweck hat, die sich aus einer<br />
Abhilfeentscheidung (§ 72 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) o<strong>de</strong>r aus einer statt-<br />
geben<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruchsentscheidung (§ 73 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1<br />
LVwVfG) ergeben<strong>de</strong> Kostenfolge <strong>de</strong>s § 80 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG zu umgehen, wonach<br />
die Behör<strong>de</strong> bei einem erfolgreichen Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rspruchsführer <strong>de</strong>ssen not-<br />
wendige Aufwendungen zu erstatten hat.<br />
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32<br />
Ist ein eingelegter Wi<strong>de</strong>rspruch zulässig und begrün<strong>de</strong>t, hat die Behör<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs zu<br />
prüfen, ob es sachgerecht ist, von einer Abhilfeentscheidung o<strong>de</strong>r einer stattgeben<strong>de</strong>n<br />
Wi<strong>de</strong>rspruchsentscheidung abzusehen und statt <strong>de</strong>ssen eine Rücknahme auszusprechen.<br />
Sie hat dazu die Grün<strong>de</strong> anzugeben, um sich <strong>de</strong>m Verdacht zu entziehen, sie wolle mit<br />
ihrer Verfahrensweise <strong>de</strong>r Rücknahme nur eine Kostenentlastung zum Nachteil <strong>de</strong>s (er-<br />
folgreich) wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>n Bürgers erreichen (BVerwG NVwZ 1997, 272, 273).<br />
Gibt die Behör<strong>de</strong> das Junktim zwischen Abhilfeentscheidung bzw. stattgeben<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>r-<br />
spruchsentscheidung (§ 72 VwGO bzw. § 73 Abs. 3 VwGO) und <strong>de</strong>r Kostenfolge <strong>de</strong>s § 80<br />
Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auf, in<strong>de</strong>m sie statt <strong>de</strong>ssen - bei zulässigem und begrün<strong>de</strong>tem Wi-<br />
<strong>de</strong>rspruch - einen Rücknahmebescheid herbeiführt, so entsteht kostenrechtlich eine Re-<br />
gelungslücke. Diese besteht jedoch nur äußerlich. Tatsächlich wird die Behör<strong>de</strong> so ge-<br />
stellt, wie sie stün<strong>de</strong>, wenn sie sich nicht sachwidrig verhalten hätte und auf <strong>de</strong>n zulässi-<br />
gen und begrün<strong>de</strong>ten Wi<strong>de</strong>rspruch hin eine Abhilfeentscheidung mit <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Kostenfolge (§ 72 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) getroffen hätte (BVerwG, Ur-<br />
teil vom 18.04.1996, - 4 C 6/95 -, = NVwZ 1997, 272, 274).<br />
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4. Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger Verwaltungsakte vgl. Anlage<br />
Tatbestand<br />
§ 49 I § 49 II § 49 III<br />
33<br />
belastend begünstigend<br />
kein Verwaltungsakt gleichen<br />
Inhalts müsste erneut erlassen<br />
wer<strong>de</strong>n<br />
rechtmäßiger Verwaltungsakt<br />
alle Arten von Begünstigungen<br />
einschl. Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen<br />
Vorliegen eines Wi<strong>de</strong>rrufsgrun<strong>de</strong>s<br />
(vgl. § 49 II LVwVfG):<br />
Wi<strong>de</strong>rruf vorbehalten<br />
• Auflage nicht erfüllt<br />
• im öffentlichen Interesse bei<br />
- Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Sach- o<strong>de</strong>r<br />
Rechtslage<br />
- Gefährdung <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />
Ermessen eröffnet<br />
Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistung zur<br />
Erfüllung eines bestimmten<br />
Zwecks (insb. Subventionen)<br />
• Zweckverfehlung<br />
• Auflagenungehorsam<br />
Rechtsfolge Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft Aufhebung auch für die Vergangenheit<br />
Ermessen keine Einschränkungen Entschließungsermessen<br />
Auswahlermessen:<br />
• Aufhebung in zeitlicher Hinsicht<br />
• ganz o<strong>de</strong>r teilweise<br />
• Ermessen hinsichtlich <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
Ermessensschranken:<br />
Allgemeine Ermessensschranken, insbeson<strong>de</strong>re<br />
• Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />
• Grundrechte<br />
beachte: beson<strong>de</strong>re Bindungen aus EU-Recht!!!<br />
Folgewirkungen Entschädigung für Vermögensnachteile<br />
bei Wi<strong>de</strong>rruf im öffentlichen<br />
Interesse, vgl. §§ 49 IV, 48<br />
III<br />
§ 49 a LVwVfG: Erstattungsanspruch<br />
für bereits gewährte Leistungen,<br />
Festsetzung durch Leistungsbescheid<br />
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4.1 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
34<br />
§ 49 Abs. 1 LVwVfG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>, ob sie einen<br />
rechtmäßigen belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt wi<strong>de</strong>rruft. An<strong>de</strong>rs als bei <strong>de</strong>r Rücknahme ist<br />
jedoch ein Wi<strong>de</strong>rruf nur für die Zukunft möglich (§ 49 Abs. 4 LVwVfG).<br />
Neben <strong>de</strong>n allgemeinen Schranken <strong>de</strong>s Ermessens ist vor allem die Schranke in § 49 Abs.<br />
1 LVwVfG zu beachten. Danach ist ein Wi<strong>de</strong>rruf dann nicht zulässig, wenn ein Verwal-<br />
tungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen wer<strong>de</strong>n müsste. Dieser Fall kann eintreten, wenn<br />
es sich bei <strong>de</strong>m fraglichen Verwaltungsakt um eine gebun<strong>de</strong>ne Entscheidung han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r<br />
wenn bei einer Ermessensentscheidung eine Ermessensreduzierung auf Null stattgefun-<br />
<strong>de</strong>n hat. Außer<strong>de</strong>m muss die Entscheidung beim Erlass rechtmäßig gewesen und recht-<br />
mäßig geblieben sein.<br />
Mit Bekanntgabe <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufsbescheids wird die Wirksamkeit <strong>de</strong>s (wi<strong>de</strong>rrufenen) Ver-<br />
waltungsakts been<strong>de</strong>t, falls nicht ein späterer Zeitpunkt festgelegt wor<strong>de</strong>n ist (vgl. § 49<br />
Abs. 4 LVwVfG).<br />
Aus § 49 LVwVfG ergeben sich keine Folgewirkungen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs belasten<strong>de</strong>r recht-<br />
mäßiger Verwaltungsakte. § 49 Abs. 6 LVwVfG ist auf hierauf nicht (entsprechend) an-<br />
wendbar.<br />
4.2 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
Der Wi<strong>de</strong>rruf von rechtmäßigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakten ist im Hinblick auf <strong>de</strong>n<br />
Vertrauensschutz hoch problematisch. § 49 Abs. 2 und 3 LVwVfG lässt ihn <strong>de</strong>shalb nur in<br />
zwei Fällen zu:<br />
• wenn kein schutzwürdiges Vertrauen besteht (§ 49 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 sowie Abs. 3)<br />
• wenn das öffentliche Interesse am Wi<strong>de</strong>rruf das Interesse am Vertrauensschutz erheb-<br />
lich überwiegt (§ 49 Abs. 2 Nrn. 3 bis 5); dann allerdings muss <strong>de</strong>m Betroffenen <strong>de</strong>r<br />
Vertrauensscha<strong>de</strong>n ersetzt wer<strong>de</strong>n<br />
4.2.1 Unterscheidung von "sonstigen" Begünstigungen und Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen<br />
Die Ermächtigung zum Wi<strong>de</strong>rruf von rechtmäßigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakten er-<br />
gibt sich aus § 49 Abs. 2 und 3 LVwVfG. Dabei betrifft Abs. 3 <strong>de</strong>n spezielleren Fall von<br />
begünstigen<strong>de</strong>n, eine Sach- o<strong>de</strong>r Geldleistung betreffen<strong>de</strong> Verwaltungsakte, während<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
35<br />
Abs. 2 diese Unterscheidung nicht macht. Daraus ergibt sich die etwas verwirren<strong>de</strong> Folge-<br />
rung, dass für<br />
alle rechtmäßigen "sonstigen" begünstigen-<br />
<strong>de</strong>n Verwaltungsakte<br />
rechtmäßige, eine Sach- o<strong>de</strong>r Geldleistung<br />
betreffen<strong>de</strong> Verwaltungsakte<br />
• alle Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> nach Abs. 2 • die Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> nach § 49 Abs. 2<br />
gelten<br />
4.2.2 § 49 Abs. 2 LVwVfG<br />
Nr. 1 und 3 bis 5 LVwVfG sowie<br />
• die Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> nach Abs. 3<br />
Nach <strong>de</strong>r abschließen<strong>de</strong>n Regelung in § 49 Abs. 2 LVwVfG kann ein (rechtmäßiger) be-<br />
günstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt ganz o<strong>de</strong>r teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur wi<strong>de</strong>rru-<br />
fen wer<strong>de</strong>n, wenn ein dort genannter Wi<strong>de</strong>rrufsgrund vorliegt, nämlich:<br />
4.2.2.1 Der Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt nach § 49 Abs. 2 Nr.1 LVwVfG<br />
Dieser Wi<strong>de</strong>rrufsgrund setzt einen rechtmäßigen Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt voraus (vgl. dazu VG<br />
Fraiburg, U.v. 11.11.2009, im Anhang)<br />
Die Zulässigkeit eines Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalts ergibt sich aus § 36 LVwVfG. Danach kommen<br />
zwei unterschiedliche Arten von Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalten in Betracht:<br />
• in einer beson<strong>de</strong>ren Rechtsvorschrift ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf zugelassen,<br />
z.B. § 25 PBefG, § 12 WHG<br />
• in <strong>de</strong>m zu wi<strong>de</strong>rrufen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt muss ein Wi<strong>de</strong>rruf vorbehalten wor<strong>de</strong>n sein.<br />
Nach § 36 LVwVfG ist ein Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt als Nebenbestimmung zum Haupt-<br />
Verwaltungsakt nur in folgen<strong>de</strong>n Fällen zulässig:<br />
bei gebun<strong>de</strong>nem Verwaltungshan<strong>de</strong>ln bei Ermessens-Verwaltungsakten<br />
• nur aufgrund einer beson<strong>de</strong>ren Rechts-<br />
vorschrift (Gesetzesvorbehalt!)<br />
(dann müssen die entsprechen<strong>de</strong>n Tatbe-<br />
standsvoraussetzungen vorgelegen haben)<br />
• sonst: nur, wenn durch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rrufs-<br />
vorbehalt die Voraussetzungen für <strong>de</strong>n<br />
• nach pflichtgemäßem Ermessen (insbe-<br />
son<strong>de</strong>re Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßig-<br />
keit) immer<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
Erlass <strong>de</strong>s Haupt-Verwaltungsaktes erst<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n<br />
36<br />
z.B.: gesetzlicher Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt nach § 16 Abs. 1 S. 2 LStrG. Danach darf die stra-<br />
ßenrechtliche Son<strong>de</strong>rnutzungserlaubnis zur Aufstellung eines Kioskes im öffentlichen<br />
Straßenraum nur wi<strong>de</strong>rruflich erteilt wer<strong>de</strong>n.<br />
Allein das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalts verhin<strong>de</strong>rt zwar die Bildung von<br />
schutzwürdigem Vertrauen, rechtfertigt für sich jedoch keinen Wi<strong>de</strong>rruf. Der Wi<strong>de</strong>rrufsvor-<br />
behalt eröffnet nur die Möglichkeit <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes nach § 49 Abs. 2<br />
Nr. 1 LVwVfG. Die Behör<strong>de</strong> muss also prüfen:<br />
• liegen die (im zu wi<strong>de</strong>rrufen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt näher zu regeln<strong>de</strong>n und hinreichend<br />
bestimmten) Voraussetzungen für <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf vor?<br />
Bsp.: Wird <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf einer Subventionsbewilligung über einen Zeitraum von mehreren<br />
Jahren davon abhängig gemacht, dass in je<strong>de</strong>m Haushaltsjahr die entsprechen<strong>de</strong>n Mittel<br />
bereit gestellt wer<strong>de</strong>n, so kann <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf auch nur erfolgen, wenn die Mittel nicht mehr<br />
bereit stehen.<br />
• ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf bei pflichtgemäßer Ermessensbetätigung gerechtfertigt?<br />
4.2.2.2 Bei Nichterfüllung einer Auflage nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG<br />
Wie ausgeführt, kann dieser Wi<strong>de</strong>rrufsgrund nur für "sonstige Begünstigungen" gelten,<br />
weil für Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen eine speziellere Regelung in Abs. 3 enthalten ist.<br />
Der Wi<strong>de</strong>rrufsgrund setzt eine rechtmäßige Auflage voraus. Bei <strong>de</strong>r Auflage han<strong>de</strong>lt es<br />
sich - ähnlich wie beim Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt - um eine Nebenbestimmung zum (Haupt-<br />
)Verwaltungsakt, <strong>de</strong>ren Zulässigkeit sich ebenfalls nach § 36 LVwVfG richtet:<br />
• bei gebun<strong>de</strong>nem Verwaltungshan<strong>de</strong>ln<br />
- Die Auflage ist gesetzlich zugelassen o<strong>de</strong>r<br />
- Ermächtigungsgrundlage ist eine Rechtsvorschrift<br />
- die Auflage soll die Voraussetzungen für <strong>de</strong>n Erlass <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes (Erlaub-<br />
nis, Genehmigung etc.) herbeiführen<br />
• bei Ermessenshan<strong>de</strong>ln ist eine Auflage im Rahmen <strong>de</strong>r pflichtgemäßen Betätigung <strong>de</strong>s<br />
Ermessens stets zulässig<br />
Der Wi<strong>de</strong>rrufsgrund "Nichterfüllen einer Auflage" stellt somit eine Sanktion wegen <strong>de</strong>ren<br />
Nichterfüllung dar. Der Adressat hat kein schutzwürdiges Vertrauen, weil er von Anfang<br />
an wusste, dass er eine Auflage zu erfüllen hatte.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
Die Behör<strong>de</strong> prüft:<br />
37<br />
• enthält <strong>de</strong>r zu wi<strong>de</strong>rrufen<strong>de</strong> Verwaltungsakt eine rechtmäßige, insbeson<strong>de</strong>re hinrei-<br />
chend bestimmte, Auflage?<br />
• wur<strong>de</strong> die Auflage nicht erfüllt bzw. gegen sie verstoßen?<br />
• wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Adressaten eine Nachfrist gesetzt?<br />
Damit ist das pflichtgemäß auszuüben<strong>de</strong> Wi<strong>de</strong>rrufsermessen eröffnet.<br />
Bsp.: Es wird eine tierschutzrechtliche Erlaubnis für ein Tierheim mit <strong>de</strong>r Auflage erteilt,<br />
dass dort maximal 100 Hun<strong>de</strong> gehalten wer<strong>de</strong>n dürfen, die durch Fachpersonal mit Befä-<br />
higungsnachweis (Tierpfleger) betreut wer<strong>de</strong>n müssen. Bei einer mehrere Jahre später<br />
stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kontrolle wird festgestellt, dass dort weit mehr als 200 Hun<strong>de</strong> - mit <strong>de</strong>n auf-<br />
grund <strong>de</strong>r räumlichen Enge entsprechen<strong>de</strong>n Folgen (tot gebissene und verletzte Tiere) -<br />
gehalten wer<strong>de</strong>n und dass kein Fachpersonal vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />
Die Behör<strong>de</strong> muss (wie immer) beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit beach-<br />
ten. Dabei muss sie auch be<strong>de</strong>nken, ob an<strong>de</strong>re weniger eingreifen<strong>de</strong> Mittel als <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>r-<br />
ruf zum Ziel führen können.<br />
Alternativ könnte (bei selbständigen Auflagen) auch - als mil<strong>de</strong>res Mittel - <strong>de</strong>ren Durchset-<br />
zung mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>s Verwaltungszwangs (LVwVG) in Betracht kommen.<br />
Im obigen Beispiel ist es sicherlich bei pflichtgemäßer Ermessensausübung im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und im Rahmen <strong>de</strong>r Mittel-Zweck-Relation ange-<br />
messen, die Erlaubnis für das Tierheim zu wi<strong>de</strong>rrufen. Bei <strong>de</strong>rart schwerwiegen<strong>de</strong>n Ver-<br />
stößen gegen die Auflage kann man sogar von einer Ermessensreduzierung auf Null im<br />
Sinne eines Wi<strong>de</strong>rrufs <strong>de</strong>r Erlaubnis ausgehen.<br />
An<strong>de</strong>rs wäre <strong>de</strong>r Fall hingegen zu beurteilen, wenn <strong>de</strong>r Verstoß gegen die Auflage in <strong>de</strong>r<br />
Besetzung von 105 statt <strong>de</strong>r erlaubten 100 Hun<strong>de</strong> bestan<strong>de</strong>n hätte, die sich in einem gu-<br />
ten Zustand befan<strong>de</strong>n und von genügend Fachpersonal betreut wur<strong>de</strong>n. Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r<br />
Erlaubnis wäre in diesem Fall kaum verhältnismäßig.<br />
Bei <strong>de</strong>r Ausübung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufsermessens wegen Nichterfüllung einer Auflage kann es<br />
insbeson<strong>de</strong>re auf folgen<strong>de</strong>s ankommen:<br />
• welche materielle Be<strong>de</strong>utung kommt <strong>de</strong>r Auflage zu?<br />
• han<strong>de</strong>lt es sich um eine essentielle Grundvoraussetzung für <strong>de</strong>n Haupt-Verwaltungsakt<br />
o<strong>de</strong>r ist sie die Auflage eher nebensächlicher Natur?<br />
• in welchem Maße und mit welcher Nachhaltigkeit verstößt <strong>de</strong>r Begünstigte gegen die<br />
Auflage?<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
38<br />
z.B. ist die Nichterfüllung einer Auflage, einen Maschinenschuppen im Außenbereich<br />
standortgerecht einzupflanzen, an<strong>de</strong>rs zu bewerten, als die Auflage zu einer Gaststätten-<br />
rechtlichen Erlaubnis, eine weitere Gästetoilette einzubauen<br />
4.2.2.3 Überblick über die gemeinwohlbezogenen Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong><br />
Die Nrn. 3 und 4 erlauben es, einen rechtmäßigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt dann<br />
zu wi<strong>de</strong>rrufen, wenn sich nachträglich die Sach- o<strong>de</strong>r Rechtslage verän<strong>de</strong>rt hat (Nrn. 3 und<br />
4), wenn und soweit am Wi<strong>de</strong>rruf ein beson<strong>de</strong>res Interesse besteht. In ganz beson<strong>de</strong>rs<br />
gelagerten Fällen muss nicht einmal eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse eingetreten sein (Nr.<br />
5), wenn nur das Gemeinwohlinteresse am Wi<strong>de</strong>rruf hinreichend schwer wiegt.<br />
Während es bei <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong>n Nrn. 1 und 2 nicht um schutzwürdiges Vertrauen<br />
gehen kann, verhält es sich bei <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong>n Nrn. 3 bis 5 an<strong>de</strong>rs (vgl. Abs. 6).<br />
Wie im Falle <strong>de</strong>s § 48 Abs. 3 LVwVfG wird <strong>de</strong>nnoch einem von Gesetzes wegen beson<strong>de</strong>-<br />
ren öffentlichen Wi<strong>de</strong>rrufsinteresse grundsätzlich <strong>de</strong>r Vorrang gegeben, während <strong>de</strong>m<br />
Vertrauensschutz durch einen Kompensationsanspruch Rechnung getragen wird.<br />
4.2.2.4 Nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r maßgeblichen Tatsachen, Nr. 3<br />
Die Wi<strong>de</strong>rrufsvoraussetzungen beinhalten eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Tatsachen und ein beson<strong>de</strong>-<br />
res öffentliches Interesse<br />
• nachträglich eingetretene Tatsachen<br />
Der Wi<strong>de</strong>rrufsgrund setzt voraus, dass sich <strong>de</strong>r Sachverhalt so verän<strong>de</strong>rt hat, dass seine<br />
Subsumtion im Zeitpunkt <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs die Tatbestandsvoraussetzungen <strong>de</strong>r zu wi<strong>de</strong>rru-<br />
fen<strong>de</strong>n Rechtsfolge nicht (mehr) erfüllt. Entwe<strong>de</strong>r müssen also die Voraussetzungen ent-<br />
fallen sein o<strong>de</strong>r die für die Ermessens- o<strong>de</strong>r Beurteilungsentscheidungen maßgeblichen<br />
Gesichtspunkte müssen sich geän<strong>de</strong>rt haben. Darunter fällt auch<br />
- die Neubewertung bestimmter Tatsachen aufgrund neuer wissenschaftlicher Er-<br />
kenntnisse o<strong>de</strong>r<br />
- <strong>de</strong>r Umstand, dass sich eine Prognose als unzutreffend erwiesen hat.<br />
Bsp. für verän<strong>de</strong>rte Tatsachen<br />
Die Freistellung vom Wehrdienst erfolgte aufgrund <strong>de</strong>r Mitarbeit <strong>de</strong>s Wehrpflichtigen beim<br />
Katastrophenschutz, die dieser aber inzwischen eingestellt hat<br />
<strong>de</strong>r ausgemusterte Wehrpflichtige wird nachträglich wie<strong>de</strong>r wehrtauglich<br />
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39<br />
eine geordnete Abfallbeseitigung ist nach <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>s bisherigen Abnehmers nicht<br />
mehr gesichert<br />
Keine neue Tatsachen stellen dar:<br />
- eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>npraxis<br />
- die Än<strong>de</strong>rung von Verwaltungsvorschriften<br />
• Beseitigung o<strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung eines sonst unmittelbar drohen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>ns für wich-<br />
tige Gemeinschaftsgüter (”Gefährdung <strong>de</strong>s öffentlichen Interesses")<br />
Ohne Wi<strong>de</strong>rruf wür<strong>de</strong> das öffentliche Interesse gefähr<strong>de</strong>t. Der Bestand <strong>de</strong>s Verwaltungs-<br />
aktes müsste zu einer konkreten Gefährdung wichtiger Gemeinschaftsgüter führen<br />
z.B. für die Volksgesundheit, <strong>de</strong>n Jugendschutz etc., aber auch fiskalische Interessen<br />
Zu beachten ist, dass ein Wi<strong>de</strong>rruf dann nicht möglich ist,<br />
• wenn sich die Wirkung <strong>de</strong>s Verwaltungsakt gar nicht in die Zukunft erstreckt (einmalige<br />
Verwaltungsakte)<br />
z.B. Erlaubnis für eine bereits stattgefun<strong>de</strong>ne öffentliche Demonstration<br />
• wenn die Voraussetzungen für die Erteilung <strong>de</strong>r Begünstigung nur im Zeitpunkt <strong>de</strong>s Er-<br />
lasses <strong>de</strong>s Verwaltungsakt vorliegen müssen.<br />
Bspe.:<br />
Eine Einbürgerung kann nicht <strong>de</strong>shalb wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>r Eingebürgerte einige<br />
Jahre später straffällig wird. Die Voraussetzungen für die Einbürgerung müssen nur zum<br />
Zeitpunkt ihrer Erteilung erfüllt sein.<br />
Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Reisegewerbeerlaubnis nach inzwischen erfolgter rechtskräftiger Verur-<br />
teilung wegen Betruges und<br />
Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Bestellung zum Sachverständigen wegen Begehung einer Straftat (vgl. dazu<br />
auch VG Neustadt, U.v. 09.06.2010, im Anhang)<br />
Die Anerkennung einer Prüfungsleistung kann nicht nachträglich wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n, weil<br />
die dafür erfor<strong>de</strong>rlichen Kenntnisse nicht mehr vorhan<strong>de</strong>n sind<br />
Die Zulassung eines Schulbuches darf bei nachträglicher Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Lehrinhalte gemäß<br />
§ 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n (BVerwG, Beschluss vom 16.07.1982, 7 B<br />
190/81 -, ).<br />
.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
4.2.2.5 Nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage, Nr. 4<br />
40<br />
Der Wi<strong>de</strong>rrufsgrund <strong>de</strong>s § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG setzt eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage,<br />
ein beson<strong>de</strong>res öffentliches Interesse und außer<strong>de</strong>m voraus, dass von <strong>de</strong>r Begünstigung<br />
noch kein Gebrauch gemacht wur<strong>de</strong>.<br />
• nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage<br />
Dies setzt voraus, dass sich die Rechtslage seit Erlass <strong>de</strong>s Verwaltungsakt geän<strong>de</strong>rt hat<br />
und die Behör<strong>de</strong> nunmehr berechtigt wäre, <strong>de</strong>n Verwaltungsakt nicht mehr zu erlassen.<br />
Eine bloße Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtsprechung ist (an<strong>de</strong>rs als im Falle von § 48 II SGB X) kei-<br />
ne Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtslage.<br />
• von <strong>de</strong>r Begünstigung wur<strong>de</strong> noch kein Gebrauch gemacht.<br />
Ein Gebrauchmachen setzt voraus, dass eine Ausführungshandlung im Vertrauen auf <strong>de</strong>n<br />
Verwaltungsakt ”ins Werk gesetzt" wur<strong>de</strong>, d.h. z.B. mit <strong>de</strong>m Bau begonnen wur<strong>de</strong>.<br />
• ohne Wi<strong>de</strong>rruf wür<strong>de</strong> das öffentliche Interesse gefähr<strong>de</strong>t, d.h. es muss ein Scha<strong>de</strong>n für<br />
wichtige Gemeinschaftsgüter drohen.<br />
Zu beachten ist, dass ein Wi<strong>de</strong>rruf nur dann in Betracht kommt, wenn die Geltungswirkung<br />
<strong>de</strong>s Verwaltungsakt noch andauert. Es muss sich also um einen Verwaltungsakt mit Dau-<br />
erwirkung han<strong>de</strong>ln.<br />
Bsp.: Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Aufstellungserlaubnis für Glücksspielautomaten, von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Begün-<br />
stigte noch keinen Gebrauch gemacht hat, wegen nachträglicher Verschärfung <strong>de</strong>r Ju-<br />
gendschutzbestimmungen, wenn ohne <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf ein wirksamer Jugendschutz gefähr-<br />
<strong>de</strong>t wäre.<br />
4.2.2.6 Schwere Nachteile für das Gemeinwohl, Nr. 5<br />
Schließlich ist ein Wi<strong>de</strong>rruf zulässig zur Verhütung o<strong>de</strong>r Beseitigung schwerer Nachteile<br />
für das Gemeinwohl. Die Vorschrift bringt <strong>de</strong>n Grundsatz zum Ausdruck, dass Indivi-<br />
dualinteressen gegenüber dringen<strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s Gemeinwohls gänzlich zurückzu-<br />
treten haben. Die Vorschrift ist jedoch eng auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal<br />
”schwere Nachteile für das Gemeinwohl" verlangt strengere Voraussetzungen als die<br />
”Gefährdung <strong>de</strong>s öffentlichen Interesses" nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG.<br />
• Schwere Nachteile für das Gemeinwohl<br />
Es muss eine konkrete Gefahr für hochwertige Rechtsgüter bestehen, die mit <strong>de</strong>n polizei-<br />
rechtlichen Instrumentarien als nicht beherrschbar erscheint.<br />
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41<br />
Bsp.: Wi<strong>de</strong>rruf einer Betriebsgenehmigung für ein Endlager für radioaktive Abfälle<br />
(BVerwG, Urteil vom 21.05.1997, - 11 C 1/96 -, = NVwZ 1998, 281).<br />
4.2.3 Schranken <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufsermessens<br />
Liegt ein Wi<strong>de</strong>rrufsgrund nach § 49 Abs. 2 Nr. 1 - 5 LVwVfG vor, so eröffnet dies (erst) das<br />
Wi<strong>de</strong>rrufsermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>. Die Behör<strong>de</strong> darf/muss also nur unter diesen Vorausset-<br />
zungen prüfen,<br />
• ob sie <strong>de</strong>n Verwaltungsakt überhaupt wi<strong>de</strong>rrufen will (Entschließungsermessen)<br />
• ggfs. ob sie <strong>de</strong>n Verwaltungsakt ganz o<strong>de</strong>r teilweise wi<strong>de</strong>rrufen will (Auswahlermessen)<br />
• im Rahmen von § 49 Abs. 2 LVwVfG, ob mit Wirkung ab welchem Zeitpunkt von jetzt ab<br />
wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n soll (Auswahlermessen)<br />
Die Regelung steht wie immer unter <strong>de</strong>m Vorbehalt spezialgesetzlicher Regelungen, die<br />
auch eine Pflicht zum Wi<strong>de</strong>rruf enthalten können.<br />
beachte für die Ermessensbetätigung:<br />
• es gelten die allgemeinen Schranken, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Gleichheitssatz und <strong>de</strong>r Grund-<br />
satz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />
• Vertrauensgesichtspunkte können das Ermessen nach § 49 Abs. 2 LVwVfG idR nicht<br />
einschränken:<br />
- in <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Nrn. 1 und 2 wur<strong>de</strong> schutzwürdiges Vertrauen von vornherein ver-<br />
hin<strong>de</strong>rt<br />
- in <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Nrn. 3 bis 5 gibt <strong>de</strong>r Gesetzgeber <strong>de</strong>m öffentlichen Interesse von<br />
vornherein <strong>de</strong>n Vorrang und gibt <strong>de</strong>m schutzwürdigen Vertrauen nur als Vorausset-<br />
zung für einen Anspruch auf Ersatz <strong>de</strong>s Vertrauensscha<strong>de</strong>ns Raum.<br />
4.2.4 Wi<strong>de</strong>rrufsfrist<br />
Zu beachten ist, dass <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf nur innerhalb <strong>de</strong>r Jahresfrist zulässig ist (§ 49 Abs. 2<br />
Satz 2 LVwVfG i.V.m. § 48 Abs. 4 LVwVfG). Auf die Ausführungen unter Ziff. 2.6 wird ver-<br />
wiesen.<br />
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4.2.5 Folgewirkungen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs nach § 49 Abs. 2 LVwVfG<br />
• Kein Erstattungsanspruch<br />
42<br />
Gegenstand <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs nach § 49 Abs. 2 LVwVfG können grundsätzlich auch Geld-<br />
o<strong>de</strong>r Sachleistungs-Verwaltungsakte sein. Da § 49 Abs. 2 LVwVfG einen Wi<strong>de</strong>rruf jedoch<br />
in allen Fällen nur mit Wirkung für die Zukunft zulässt, kann hier eine Rückfor<strong>de</strong>rung nach<br />
§ 49a LVwVfG nicht greifen, weil dieser Erstattungsanspruch nur zum Zuge kommt, wenn<br />
<strong>de</strong>r Verwaltungsakt ”mit Wirkung für die Vergangenheit … wi<strong>de</strong>rrufen wor<strong>de</strong>n ist”.<br />
• Entschädigungsanspruch<br />
Im Falle <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs ”sonstiger” begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte nach Nrn. 3 bis 5 sieht<br />
§ 49 Abs. 6 LVwVfG einen Entschädigungsanspruch für <strong>de</strong>n in seinem Vertrauen ent-<br />
täuschten Adressaten vor, aber nicht in <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>s § 49 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 LVwVfG,<br />
weil hier kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen konnte.<br />
Für Voraussetzungen und Umfang <strong>de</strong>s Entschädigungsanspruchs sowie für das Verfahren<br />
gilt nach § 49 Abs. 6 LVwVfG dasselbe wie für <strong>de</strong>n Ausgleichsanspruch bei <strong>de</strong>r Rücknah-<br />
me rechtswidriger ”sonstiger begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakt" nach § 48 Abs. 3 LVwVfG.<br />
Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zur ”Folgewirkung <strong>de</strong>r Rücknahme eines<br />
”sonstigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt" Bezug genommen.<br />
Beachte: Ein wesentlicher Unterschied zur Regelung in § 48 Abs. 3 LVwVfG stellt die<br />
Rechtsweg-Regelung in § 49 Abs. 6 Satz 3 LVwVfG dar. Danach wer<strong>de</strong>n gerichtliche<br />
Streitigkeiten wegen <strong>de</strong>s Entschädigungsanspruchs auf <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Rechtsweg (Zivil-<br />
rechtsweg) verwiesen. Dies rührt daher, dass es sich bei <strong>de</strong>m Anspruch nach § 49 Abs. 6<br />
LVwVfG um einen Anspruch aus Enteignung o<strong>de</strong>r Aufopferung han<strong>de</strong>ln könnte, für <strong>de</strong>n<br />
gemäß Art. 14 Abs. 3 GG <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntliche Rechtsweg eröffnet ist. An dieser Rechtswegzu-<br />
weisung wollte bzw. konnte das LVwVfG nichts än<strong>de</strong>rn.<br />
Bsp.: Die einem Busunternehmer erteilte Liniengenehmigung soll wi<strong>de</strong>rrufen wer<strong>de</strong>n. Der<br />
Wi<strong>de</strong>rruf ist nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> zulässig. Er<br />
kann nur auf einen bestimmten Zeitpunkt in <strong>de</strong>r Zukunft erfolgen. Hat <strong>de</strong>r Unternehmer<br />
bereits Aufwendungen gemacht (z.B. Anschaffung von entsprechen<strong>de</strong>n Bussen, die er<br />
jetzt nicht mehr benötigt und nur mit Verlust wie<strong>de</strong>r verkaufen kann), so kann er einen Ent-<br />
schädigungsanspruch nach § 49 Abs. 6 Satz 1 LVwVfG geltend machen. Wird einem ent-<br />
sprechen<strong>de</strong>n Antrag nicht stattgegeben, können die Zivilgerichte angerufen wer<strong>de</strong>n.<br />
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4.2.6 Problemstellung in <strong>de</strong>r Praxis: Wi<strong>de</strong>rruf =/= Untersagung<br />
43<br />
Soll ein bislang erlaubtes o<strong>de</strong>r genehmigtes Verhalten untersagt wer<strong>de</strong>n, muss zuvor die<br />
Erlaubnis o<strong>de</strong>r Genehmigung aufgehoben wer<strong>de</strong>n.<br />
Bsp.: Der weitere Betrieb <strong>de</strong>s Tierheims kann erst und nur dann vollständig untersagt wer-<br />
<strong>de</strong>n, soweit zuvor die tierschutzrechtliche Erlaubnis für <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>s Tierheims wi<strong>de</strong>r-<br />
rufen wur<strong>de</strong>. Sonst kann nur <strong>de</strong>r Betrieb untersagt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Umfang <strong>de</strong>r Er-<br />
laubnis hinausgeht.<br />
War die Genehmigung o<strong>de</strong>r Erlaubnis rechtmäßig, kommt insoweit nur ein Wi<strong>de</strong>rruf in Be-<br />
tracht. Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Erlaubnis und die Untersagung <strong>de</strong>s weiteren Betriebs können<br />
grundsätzlich in einem Bescheid ergehen.<br />
Besteht dabei ein beson<strong>de</strong>res Vollziehungsinteresses (Eilinteresses), sollte in einem sol-<br />
chen Fall die Anordnung <strong>de</strong>s Sofortvollzugs <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs und auch <strong>de</strong>r Untersagungs-<br />
verfügung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erwogen wer<strong>de</strong>n. Dies könnte verhin<strong>de</strong>rn, dass<br />
die Erhebung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rspruchs gemäß § 80 Abs. 1 VwGO <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r aufschieben-<br />
<strong>de</strong>n Wirkung hervorruft und damit die Untersagungsverfügung unterläuft.<br />
Bsp. für einen Verfügungssatz:<br />
1. Die Ihnen am ... erteilte Erlaubnis zum Betrieb eines Tierheims wird hiermit wi<strong>de</strong>rru-<br />
fen.<br />
2. Der weitere Betrieb <strong>de</strong>s Tierheims wird Ihnen untersagt.<br />
3. Den vorhan<strong>de</strong>nen Tierbestand haben Sie innerhalb von sechs Wochen aufzulösen<br />
(als Konkretisierung <strong>de</strong>r Untersagungsverfügung)<br />
4. Die sofortige Vollziehung von Ziff. 1 - 3 wird angeordnet.<br />
Hinweis: Sollten Sie <strong>de</strong>n Tierbestand nicht innerhalb <strong>de</strong>r gesetzten Frist auflösen, wer<strong>de</strong>n<br />
die Tiere beschlagnahmt, eingezogen und veräußert wer<strong>de</strong>n.<br />
4.3 Wi<strong>de</strong>rruf (rechtmäßiger) Geld- und Sachleistungs-Verwaltungsakt<br />
4.3.1 Allgemeines<br />
§ 49 Abs. 3 LVwVfG sieht Wi<strong>de</strong>rrufsmöglichkeiten für rechtmäßige Verwaltungsakte vor,<br />
die eine Geld- o<strong>de</strong>r teilbare Sachleistung gewähren o<strong>de</strong>r dafür Voraussetzung sind, und<br />
zwar auch mit Wirkung für die Vergangenheit. Zwei unterschiedliche Fälle wer<strong>de</strong>n gere-<br />
gelt:<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
• die Zweckverfehlung (§ 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LVwVfG)<br />
44<br />
• <strong>de</strong>r Auflagenungehorsam (§ 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LVwVfG; vgl. dazu aber auch § 49<br />
Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG)<br />
Vgl. dazu Sächs. OVG, U.v. 20.01.2010, im Anhang (zu E 47 II SGB X)<br />
Die Regelung ist nötig, weil <strong>de</strong>r Verwaltungsakt, <strong>de</strong>r die Grundlage für die Sach- o<strong>de</strong>r<br />
Geldleistung darstellte, nicht dadurch rechtswidrig wird, weil später eine damit verbun<strong>de</strong>ne<br />
Auflage nicht erfüllt o<strong>de</strong>r die Leistung nicht zweckgemäß verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Die Nr. 2 ist<br />
gegenüber § 49 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG nötig, weil dort kein Wi<strong>de</strong>rruf mit Wirkung für die<br />
Vergangenheit zulässig ist; § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LVwVfG stellt daher für eine Sach- o<strong>de</strong>r<br />
Geldleistung betreffen<strong>de</strong> rechtmäßige begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakte die speziellere Wi-<br />
<strong>de</strong>rrufsregelung dar.<br />
4.3.2 Ermessen<br />
Die Entscheidung <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zu<br />
wi<strong>de</strong>rrufen, steht im Ermessen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>.<br />
In <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Zweckverfehlung kommt <strong>de</strong>n haushaltsrechtlichen Grundsätzen <strong>de</strong>r<br />
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eine ermessenslenken<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung zu (intendiertes<br />
Ermessen), so dass in <strong>de</strong>r Regel nur die Entscheidung für <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf als ermessens-<br />
fehlerfrei angesehen wer<strong>de</strong>n kann. Die Haushaltsgrundsätze überwiegen im allgemeinen<br />
das Interesse <strong>de</strong>s Begünstigten, die Leistung behalten zu dürfen, obwohl er sie nicht<br />
zweckentsprechend verwen<strong>de</strong>t.<br />
4.3.3 Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong><br />
4.3.3.1 Fälle <strong>de</strong>r Zweckverfehlung nach § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LVwVfG<br />
Dieser Wi<strong>de</strong>rrufsgrund setzt voraus, dass in <strong>de</strong>m (zu wi<strong>de</strong>rrufen<strong>de</strong>n) Leistungsbescheid<br />
eine Zweckbindung hinreichend bestimmt war (vgl. VG Köln, U.v. 10.06.2010, im Anhang).<br />
Die Vorschrift läßt <strong>de</strong>n rückwirken<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf in drei verschie<strong>de</strong>nen Alternativen zu:<br />
• die Leistung wird nicht für <strong>de</strong>n im Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwen<strong>de</strong>t<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
45<br />
Die erste Alternative betrifft Fälle, in <strong>de</strong>nen die Leistung von vornherein nicht für <strong>de</strong>n im<br />
Verwaltungsakt vorgesehenen Zweck verwen<strong>de</strong>t wird, sei es dass <strong>de</strong>r Begünstigte die<br />
Mittel für an<strong>de</strong>re Zwecke verwen<strong>de</strong>t hat, die Leistung untergegangen ist o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Begün-<br />
stigten auf an<strong>de</strong>re Weise abhan<strong>de</strong>n gekommen ist.<br />
Bsp.: Eine mit Grünbrache-Zuschuß geför<strong>de</strong>rte Fläche wird entgegen <strong>de</strong>n Angaben im<br />
Antrag nicht als Grünbrache belassen, son<strong>de</strong>rn zum Getrei<strong>de</strong>anbau genutzt.<br />
• die Leistung wird nicht alsbald nach <strong>de</strong>r Erbringung für <strong>de</strong>n im Verwaltungsakt be-<br />
stimmten Zweck verwen<strong>de</strong>t<br />
Die zweite Alternative zielt auf die Verhin<strong>de</strong>rung von Verzögerungen bei <strong>de</strong>r Mittelverwen-<br />
dung durch <strong>de</strong>n Begünstigten ab. ”Alsbald" be<strong>de</strong>utet nicht das gleiche wie ”unverzüglich"<br />
(ohne schuldhaftes Zögern), son<strong>de</strong>rn lediglich ”kurz danach". Auf ein Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Be-<br />
günstigten kommt es nicht an. Allerdings kann fehlen<strong>de</strong>s Verschul<strong>de</strong>n im Rahmen <strong>de</strong>r -<br />
intendierten - Ermessensausübung einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, <strong>de</strong>r ein<br />
Absehen vom Wi<strong>de</strong>rruf ermöglicht.<br />
• die Leistung wird nicht mehr für <strong>de</strong>n im Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwen<strong>de</strong>t<br />
Die dritte Alternative soll die zweckgemäße Verwendung <strong>de</strong>r gewährten Leistung dauer-<br />
haft sicher stellen. Demgemäß ist die nur anfangs zweckgerechte Verwendung kein Aus-<br />
schlussgrund für einen Wi<strong>de</strong>rruf.<br />
Die Subvention wird für <strong>de</strong>n Bau eines Rin<strong>de</strong>rstalles gewährt. Nach Beginn <strong>de</strong>r Bauarbei-<br />
ten beschließt <strong>de</strong>r Landwirt, statt eines Rin<strong>de</strong>rstalles einen Schweinemaststall zu errich-<br />
ten.<br />
Die Subvention wird für die Errichtung und <strong>de</strong>n Betrieb eines Gewächshauses gewährt. Mit<br />
<strong>de</strong>r Errichtung wird auch begonnen. Allerdings wird das Pachtverhältnis über das Be-<br />
triebsgrundstück gekündigt und <strong>de</strong>r Landwirt ist gezwungen, das Gewächshaus wie<strong>de</strong>r<br />
abzubauen. Er pachtet woan<strong>de</strong>rs ein Grundstück. Das Gewächshaus wird dort jedoch<br />
über die Dauer <strong>de</strong>r Zweckbindung hinweg nicht mehr errichtet.<br />
Liegt ein Fall unverschul<strong>de</strong>ter objektiver Unmöglichkeit <strong>de</strong>r Verwendung, z.B. infolge höhe-<br />
rer Gewalt vor, so ist auch hier eine Berücksichtigung im Rahmen <strong>de</strong>r intendierten Ermes-<br />
sensausübung angezeigt.<br />
vgl. weiter die Urteile <strong>de</strong>s VG Frankfurt/M v. 04.11.2009 (Au-Pair als Assistenzkraft) und<br />
<strong>de</strong>s OVG NRW vom 18.11.2009 (fehlen<strong>de</strong>r Verwendungsnachweis), jeweils im Anhang).<br />
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4.3.3.2 Fälle <strong>de</strong>s "Auflagenungehorsams", § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LVwVfG<br />
46<br />
Ein rückwirken<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf ist auch dann möglich, wenn <strong>de</strong>r Leistungsempfänger eine mit<br />
<strong>de</strong>m Leistungs-Verwaltungsakt verbun<strong>de</strong>ne Auflage nicht erfüllt.<br />
Wegen dieser Fragen kann auf Ziff. 4.2.2.2 (Auflagenungehorsam im Rahmen von § 49<br />
Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG) verwiesen wer<strong>de</strong>n. Soweit es um <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf eines eine Sach- und<br />
Geldleistung betreffen<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes geht, stellt § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 LVwVfG die<br />
speziellere Regelung dar, weil sie <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf auch mit Wirkung für die Vergangenheit<br />
regelt und hieran auch <strong>de</strong>r Erstattungsanspruch nach § 49a Abs. 1 LVwVfG anknüpft.<br />
Wichtig ist, dass <strong>de</strong>m Begünstigten vor <strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rruf eine Frist zu <strong>de</strong>ssen Abwendung<br />
gesetzt wird, er muss also Gelegenheit bekommen, die Auflage doch noch zu erfüllen.<br />
4.3.4 Wi<strong>de</strong>rrufsfrist<br />
Gemäß § 49 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG gilt § 48 Abs. 4 LVwVfG entsprechend. Daher hat<br />
auch <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf eines leistungsgewähren<strong>de</strong>n Verwaltungsakt mit Wirkung für die Ver-<br />
gangenheit innerhalb <strong>de</strong>r (Ausschluss-)Frist von einem Jahr zu erfolgen (vgl. Ziff. 2.6).<br />
4.3.5 Folgewirkungen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs<br />
4.3.5.1 Allgemeines<br />
Nach § 49a Abs. 1 LVwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, wenn und so-<br />
weit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird. Wie bei <strong>de</strong>r<br />
Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 2 LVwVfG führt auch<br />
<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf eines Verwaltungsaktes nach § 49 Abs. 3 LVwVfG mit Wirkung für die Ver-<br />
gangenheit zu einem (verzinslichen) öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bezüglich<br />
<strong>de</strong>r gewährten Leistungen (§ 49a Abs. 1 bis 3 LVwVfG). Denn mit <strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>r<br />
Aufhebung (Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf) wird <strong>de</strong>n Leistungen (nachträglich) die Rechts-<br />
grundlage entzogen.<br />
Wegen <strong>de</strong>r Einzelheiten, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Entreicherungseinre<strong>de</strong>, wird auf die Ausfüh-<br />
rungen unter Ziff. 1.7.1 Bezug genommen. Der Verstoß gegen die Zweckbindung bzw. die<br />
Nichterfüllung einer Auflage schließen die Entreicherungseinre<strong>de</strong> nach § 49a Abs. 2 S. 2<br />
LVwVfG in <strong>de</strong>r Regel aus.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
4.3.5.2 Erstattungsverfahren<br />
47<br />
Die Rückfor<strong>de</strong>rung setzt zuvor die Aufhebung <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes voraus, <strong>de</strong>r die<br />
Rechtsgrundlage für die erbrachte Leistung dargestellt hat. Notwendig ist, dass die Aufhe-<br />
bung <strong>de</strong>r Rückfor<strong>de</strong>rung zumin<strong>de</strong>st um eine juristische Sekun<strong>de</strong> voraus geht.<br />
In <strong>de</strong>r Praxis hat daher ein zweistufiges Verfahren zu erfolgen:<br />
• Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s begünstigen<strong>de</strong>n Zuwendungsbeschei<strong>de</strong>s mit Wirkung für die Vergangen-<br />
heit.<br />
• Rückfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gewährten Leistungen.<br />
Aufhebung und Rückfor<strong>de</strong>rung können jedoch in einem Bescheid verfügt wer<strong>de</strong>n.<br />
Nach § 49a Abs. 1 Satz 2 LVwVfG ist <strong>de</strong>r Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt (Lei-<br />
stungsbescheid, Erstattungsbescheid) geltend zu machen. Der Erhebung einer Klage<br />
durch die Behör<strong>de</strong> bedarf es also nicht. Für Streitigkeiten über Grund und Höhe <strong>de</strong>s Er-<br />
stattungsanspruchs ist <strong>de</strong>r Verwaltungsrechtsweg eröffnet<br />
5. Vollstreckungsrechtliche Fragen<br />
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes durch Rücknahme o<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf stellt immer ei-<br />
nen rechtsgestalten<strong>de</strong>n Verwaltungsakt dar, <strong>de</strong>r das ursprünglich bestehen<strong>de</strong> Recht <strong>de</strong>s<br />
Begünstigten zum Erlöschen bringt<br />
z.B. die Baugenehmigung, die Reisegewerbeerlaubnis, die Gaststättenerlaubnis<br />
Nach <strong>de</strong>r Rücknahme bzw. <strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Genehmigung o<strong>de</strong>r Erlaubnis besitzt <strong>de</strong>r<br />
Betroffene das entsprechen<strong>de</strong> Recht nicht mehr. Er muss es nunmehr kraft Gesetzes un-<br />
terlassen,<br />
z.B. ohne die erfor<strong>de</strong>rliche Baugenehmigung zu bauen, ohne die erfor<strong>de</strong>rliche Reisege-<br />
werbeerlaubnis das Reisegewerbe weiterhin auszuüben o<strong>de</strong>r ohne die erfor<strong>de</strong>rliche Gast-<br />
stättenerlaubnis die Gaststätte weiter zu betreiben.<br />
Rechtsgestalten<strong>de</strong> Verwaltungsakte wie die Rücknahme o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf haben keinen<br />
vollstreckungsfähigen Inhalt. Sie bringen nur das Recht zum Erlöschen, woraus eine nicht<br />
vollstreckbare gesetzliche Unterlassungspflicht <strong>de</strong>s Betroffenen resultiert.<br />
Gemäß 18 LVwVG wer<strong>de</strong>n nur Verwaltungsakte, die zu einer Handlung, Duldung o<strong>de</strong>r<br />
Unterlassung verpflichten, d.h. befehlen<strong>de</strong> Verwaltungsakt, mit Zwangsmitteln vollstreckt.<br />
Man unterschei<strong>de</strong>t:<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
48<br />
• das Beitreibungsverfahren (die zu vollstrecken<strong>de</strong> Handlung besteht in einer Geldlei-<br />
stungspflicht; Vollstreckung von Geldfor<strong>de</strong>rungen, §§ 13 bis 17 LVwVG in Verbindung<br />
mit AO)<br />
• das Verwaltungszwangsverfahren (die zu vollstrecken<strong>de</strong> Handlung besteht in einem<br />
Bsp.:<br />
sonstigen realen Tun, Dul<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Unterlassen, §§ 19 ff. LVwVG).<br />
Der Wi<strong>de</strong>rruf einer Gaststättenerlaubnis ist ein rechtsgestalten<strong>de</strong>r Verwaltungsakt, <strong>de</strong>r<br />
nicht mit Zwangsmitteln vollstreckt wer<strong>de</strong>n kann. Für die mit Mitteln <strong>de</strong>r Verwaltungsvoll-<br />
streckung durchsetzbare Unterbindung <strong>de</strong>s nach vollziehbarem Wi<strong>de</strong>rruf unerlaubt fortge-<br />
setzten Gaststättenbetriebs bedarf es daher einer Verfügung nach Maßgabe <strong>de</strong>s § 31<br />
GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO (Betriebsuntersagung), die ihrerseits sofort vollziehbar<br />
o<strong>de</strong>r unanfechtbar sein muss (VGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Urteil vom 04.11.1993, - 14 S<br />
2322/93 -, = Gewerbearchiv 1994, 30).<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
B. Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf nach SGB X (Summarische Darstellung)<br />
1. Grundsätzliches<br />
49<br />
Das SGB X regelt im Rahmen <strong>de</strong>s Anwendungsbereiches dieses Verfahrensgesetzes (al-<br />
so grundsätzlich im Rahmen <strong>de</strong>r Geltung <strong>de</strong>r Sozialgesetzbücher) in <strong>de</strong>n §§ 44 ff. die Auf-<br />
hebung von Verwaltungsakten, somit also gegenüber <strong>de</strong>m LVwVfG als spezielleres Recht<br />
(vgl. dazu VGH München, U.v. 31.05.2010, im Anhang). Dies fin<strong>de</strong>t seinen Grund darin,<br />
dass es um die Ausgestaltung von sozialrechtlichen Beziehungen geht, die Ausdruck <strong>de</strong>s<br />
Sozialstaatsprinzips sind und die <strong>de</strong>m Bürger häufig subjektive öffentliche Rechte vermit-<br />
teln (vgl. dazu insbeson<strong>de</strong>re das "Zugunstenverfahren" nach § 44 SBG X).<br />
Wie bei §§ 48 f. LVwVfG geht es auch bei §§ 44 ff. SGB X letztlich um die Möglichkeit,<br />
insbeson<strong>de</strong>re auch bestandskräftig Verwaltungsakt zu berichtigen, wobei hier im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s sozialrechtlichen Verhältnisses das individuelle Interesse (insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Vertrau-<br />
ensschutz) prinzipiell stärker gewichtet wird. Das öffentliche Interesse wird vielfach vor-<br />
rangig in <strong>de</strong>r Gewährleistung materieller Gerechtigkeit gesehen (<strong>de</strong>r Bürger soll bekom-<br />
men, was ihm materiell-rechtlich zusteht), so dass es indirekt häufig ebenfalls <strong>de</strong>m betrof-<br />
fenen Bürger zugute kommt.<br />
Deutlich wer<strong>de</strong>n diese Unterschie<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re durch die sehr weitgehen<strong>de</strong> Bindung<br />
<strong>de</strong>r Sozialträger, <strong>de</strong>nen, wenn überhaupt, Ermessen grundsätzlich nur in zeitlicher Hinsicht<br />
(darf <strong>de</strong>r Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wer<strong>de</strong>n?)<br />
eingeräumt wird.<br />
Schutzwürdiges Vertrauen wird honoriert, umgekehrt führt die Bösgläubigkeit o<strong>de</strong>r die<br />
Verhin<strong>de</strong>rung von Vertrauensschutz auch hier zu einer Einschränkung <strong>de</strong>s Bestands-<br />
schutzes <strong>de</strong>s Bürgers. Zu Unrecht erlangte Leistungen sind auch im Rahmen <strong>de</strong>s SGB X<br />
zu erstatten.<br />
Da es sich im Rahmen von sozialen Leistungsbeziehungen oft um Verwaltungsakte mit<br />
Dauerwirkung han<strong>de</strong>lt, wird im Rahmen <strong>de</strong>r §§ 44 ff. SGB X <strong>de</strong>r Dauerverwaltungsakt be-<br />
son<strong>de</strong>rs geregelt, aber eben nicht nur in § 48 SGB X, son<strong>de</strong>rn auch in § 45 Abs. 3 SGB X.<br />
Die Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten ähneln in Vielem <strong>de</strong>n Rege-<br />
lungen <strong>de</strong>s LVwVfG, sie unterschei<strong>de</strong>n sich entsprechend <strong>de</strong>r Zielsetzung aber auch zum<br />
Teil erheblich. Jedoch entsprechen die Terminologie und die Grundstruktur <strong>de</strong>r Unter-<br />
scheidungskriterien <strong>de</strong>m LVwVfG: Das SGB X unterschei<strong>de</strong>t zwischen<br />
• Rücknahme (Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte, vgl. §§ 44, 45 SGB X), und<br />
• Wi<strong>de</strong>rruf (Aufhebung rechtmäßiger Verwaltungsakte, vgl. §§ 46, 47 SGB X).<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
Es wird jeweils unterschie<strong>de</strong>n zwischen<br />
• rechtswidrigen bzw. rechtmäßigen Verwaltungsakten<br />
• belasten<strong>de</strong>n und begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakten<br />
und bei <strong>de</strong>n begünstigen<strong>de</strong>n zwischen<br />
50<br />
• eine Geld- o<strong>de</strong>r Sach- o<strong>de</strong>r auch Dienstleistungen betreffen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r "sonstigen" Ver-<br />
waltungsakten, aber die Trennung ist nicht durchgängig, son<strong>de</strong>rn von Regelung zu Re-<br />
gelung verschie<strong>de</strong>n (vgl. § 44 Abs. 1 gegenüber Abs. 2, dagegen aber § 45 Abs. 2)<br />
Ein direkter systematischer Vergleich <strong>de</strong>r §§ 48 f. LVwVfG mit <strong>de</strong>n §§ 44 ff. SGB X muss<br />
in<strong>de</strong>s scheitern.<br />
§ 44 § 45 § 46 § 47 § 48<br />
Rücknahme Rücknahme Wi<strong>de</strong>rruf Wi<strong>de</strong>rruf Aufhebung<br />
belasten<strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt<br />
rechtswidriger rechtmäßiger rechtmäßiger o<strong>de</strong>r<br />
begünstigen<strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt<br />
belasten<strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt<br />
begünstigen<strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt<br />
rechtswidriger<br />
Verwaltungsakt mit<br />
Dauerwirkung<br />
§ 48 I LVwVfG? § 48 II, III LVwVfG ? § 49 I LVwVfG? § 49 II, III LVwVfG? § 49 II Nr. 3, 4 LVwVfG?<br />
§ 49 SGB X schließlich setzt sich mit <strong>de</strong>r Aufhebung von begünstigen<strong>de</strong>n VA auseinan<strong>de</strong>r,<br />
die von Dritten angefochten wor<strong>de</strong>n sind und entspricht damit § 50 LVwVfG.<br />
Schließlich regelt § 50 SGB X die Rückfor<strong>de</strong>rung bzw. -erstattung von zu Unrecht erhalte-<br />
nen Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungen (entsprechend § 49a LVwVfG) und § 51 SGB X die Rück-<br />
gabe von Urkun<strong>de</strong>n und Sachen (entspr. § 52 LVwVfG).<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
2. Rücknahme<br />
Die Rücknahme betrifft die Aufhebung von rechtswidrigen Verwaltungsakten<br />
2.1 Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte<br />
Die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte richtet sich nach<br />
• § 44 SGB X für belasten<strong>de</strong> Verwaltungsakte<br />
• § 45 SGB X für begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakte<br />
2.1.1 Rücknahme (rechtswidriger) belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakt<br />
51<br />
§ 44 SGB X betrifft rechtswidrige ”nicht begünstigen<strong>de</strong>”, also belasten<strong>de</strong> Verwaltungsakte.<br />
Solche Verwaltungsakte verstoßen gegen <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Gesetzmäßigkeit <strong>de</strong>r Ver-<br />
waltung und sind damit zwingend aufzuheben.<br />
Bei <strong>de</strong>n rechtswidrigen belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakten kann es sich zum einen um Be-<br />
schei<strong>de</strong> han<strong>de</strong>ln, die zu Unrecht Leistungen abgelehnt o<strong>de</strong>r Beiträge gefor<strong>de</strong>rt haben.<br />
Damit befaßt sich § 44 Abs. 1 SGB X.<br />
Alle an<strong>de</strong>ren rechtswidrigen belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakte fallen dann unter § 44 Abs. 2<br />
SGB X, <strong>de</strong>r bezüglich <strong>de</strong>r zeitlichen Wirkung Ermessen einräumt.<br />
Die Verweigerung von Sozialleistungen führt im Rahmen <strong>de</strong>r 4-Jahres-Regelung nach<br />
Abs. 4 zur Nachleistungspflicht.<br />
2.1.1.1. Rücknahme von Verwaltungsakten im Leistungs- und Beitragsbereich Zugun-<br />
stenverfahren)<br />
Tatbestandsvoraussetzungen nach § 44 Abs. 1 SGB X<br />
positiv • Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht<br />
• Beiträge zu Unrecht erhoben<br />
• aufgrund (Kausalität) unrichtiger Rechtsanwendung o<strong>de</strong>r unzutreffen<strong>de</strong>n<br />
Sachverhalts<br />
negativ • Verwaltungsakt darf nicht auf unrichtigen/unvollständigen Angaben <strong>de</strong>s<br />
Betroffenen beruhen (s. S. 2)<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
52<br />
• Sozialleistungen sind (vgl. § 11 SGB I) Geld-, Sach- und Dienstleistungen einschließ-<br />
lich Zinsen und Kosten. Darunter fallen nicht Beitragserstattungen o<strong>de</strong>r die Feststel-<br />
lung einer Schwerbehin<strong>de</strong>rung.<br />
Sie sind zu Unrecht nicht erbracht, wenn <strong>de</strong>r Betroffene einen Rechtsanspruch auf sie<br />
hatte.<br />
• Beiträge sind alle Leistungen von Arbeitgebern o<strong>de</strong>r -nehmern o<strong>de</strong>r auch von Dritten<br />
aufgrund einer Versicherungspflicht o<strong>de</strong>r freiwilliger Versicherung, einschließlich Zin-<br />
sen, Säumniszuschlägen bzw. auch <strong>de</strong>ren Ablehnung.<br />
Beiträge sind zu Unrecht erhoben, wenn die tatsächlichen o<strong>de</strong>r rechtlichen Vorausset-<br />
zungen (Tatbestandsvoraussetzungen) dafür nicht vorgelegen haben.<br />
• aufgrund unrichtiger Rechtsanwendung o<strong>de</strong>r unzutreffen<strong>de</strong>n Sachverhalts betrifft die<br />
Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes. Hier gilt, was im Rahmen von §§ 48, 49<br />
LVwVfG erörtert wur<strong>de</strong>, entsprechend.<br />
Beruht die Rechtswidrigkeit auf unrichtigen o<strong>de</strong>r unvollständigen Angaben <strong>de</strong>s Betrof-<br />
fenen, so schei<strong>de</strong>t die Rücknahme aus (s. Satz 2).<br />
Rechtsfolge nach § 44 Abs. 1 SGB X:<br />
• Der Verwaltungsakt ist zwingend mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Die<br />
Behör<strong>de</strong> hat kein Ermessen, <strong>de</strong>m entsprechend hat <strong>de</strong>r Betroffene einen Rechtsan-<br />
spruch auf die Rücknahme.<br />
• Weiterhin hat <strong>de</strong>r Betroffene Anspruch auf Nachleistung nach § 44 Abs. 4 SGB X.<br />
Beachte:<br />
Während § 44 SGB X auf das Leistungsrecht <strong>de</strong>s BAföG uneingeschränkt anwendbar ist,<br />
entzieht sich das gesamte Leistungsrecht <strong>de</strong>s SGB XII (Sozialhilfe) <strong>de</strong>m Anwendungsbe-<br />
reich dieser Vorschrift. Der Grund liegt in <strong>de</strong>m nicht ausdrücklich geregelten, aber aus § 18<br />
SGB XII abgeleiteten Strukturprinzip <strong>de</strong>r Sozialhilfe: ”Keine Hilfe für die Vergangenheit".<br />
Aus <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>s § 44 SGB X wür<strong>de</strong> sich nach <strong>de</strong>ssen Abs. 4 eine rückwirken<strong>de</strong><br />
Leistung <strong>de</strong>r Sozialhilfe ergeben.<br />
Für belasten<strong>de</strong> Verwaltungsakte <strong>de</strong>r Sozialhilfe außerhalb <strong>de</strong>s Leistungsrechts (z.B. Ko-<br />
stenersatzbescheid nach § 103 SGB XII) bleibt § 44 SGB X jedoch anwendbar.<br />
Bsp.: Die rechtswidrige Ablehnung einer För<strong>de</strong>rung nach BAföG ist nach § 44 SGB X<br />
rücknehmbar, die rechtswidrige Ablehnung <strong>de</strong>r Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII<br />
hingegen nicht.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
2.1.1.2 Rücknahme von sonstigen rechtswidrigen belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakte<br />
53<br />
In <strong>de</strong>n von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht erfaßten ”übrigen" Fällen rechtswidriger Ver-<br />
waltungsakte ist <strong>de</strong>r Leistungsträger nach § 44 Abs. 2 SGB X verpflichtet, <strong>de</strong>n Verwal-<br />
tungsakt , soweit er rechtswidrig ist, mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn er<br />
Dauerwirkung hat. Fehlt die Dauerwirkung, so macht die Aufhebung keinen Sinn, weil <strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsakt ohnehin keine Rechtswirkungen mehr erzeugt.<br />
Darüber hinaus kann die Behör<strong>de</strong> nach pflichtgemäßem Ermessen entschei<strong>de</strong>n, ob und<br />
inwieweit sie <strong>de</strong>n VA (mit o<strong>de</strong>r ohne Dauerwirkung) für die Vergangenheit zurücknimmt (§<br />
44 Abs. 2 Satz 2 SGB X).<br />
Bsp.: Rechtswidriger Kostenbeitragsbescheid nach § 93 SGB VIII; rechtswidriger Ko-<br />
stenersatzbescheid nach § 103 SGB XII<br />
2.1.1.3 Anwendung <strong>de</strong>s § 44 SGB X auch bei Rechtswidrigkeit wegen Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsprechung - Verhältnis § 44 SGB X zu § 48 Abs. 2 SGB X<br />
Nach <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s BSG macht auch eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtsprechung einen<br />
Verwaltungsakt rechtswidrig mit <strong>de</strong>r Folge, dass er selbst dann, wenn er im Zeitpunkt sei-<br />
nes Erlasses <strong>de</strong>r Rechtsprechung entsprach, heute zurück zu nehmen ist (vgl. BSG, Urteil<br />
vom 25.10.1984, - 11 Rz 3/83 -, ). Nach § 44 SGB X ist ein solcher Verwaltungsakt<br />
- mit Wirkung für die Vergangenheit und nicht nur für die Zukunft - zurückzunehmen.<br />
Gleichzeitig sieht auch § 48 SGB X bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung eine Aufhe-<br />
bung wegen einer nachträglichen Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtsprechung zugunsten <strong>de</strong>s Berech-<br />
tigten vorsieht - allerdings nur für die Zukunft. Daher stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>m Ver-<br />
hältnis <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Ermächtigungsgrundlagen.<br />
Nach § 48 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB X bleibt die Anwendung <strong>de</strong>s § 44 SGB X<br />
”unberührt". Dies be<strong>de</strong>utet, dass § 44 SGB X so auszulegen und anzuwen<strong>de</strong>n ist, als ob<br />
es <strong>de</strong>n § 48 SGB X nicht gäbe.<br />
Strittig ist insoweit außer<strong>de</strong>m, ob bei je<strong>de</strong>r nachträglichen Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rechtsprechung<br />
<strong>de</strong>r obersten Gerichte eine Anwendung <strong>de</strong>s § 44 SGB X - mit einer Aufhebung auch für die<br />
Vergangenheit und einer daraus resultieren<strong>de</strong>n rückwirken<strong>de</strong>n Leistung - möglich ist, o<strong>de</strong>r<br />
ob in Fällen, in welchen sich die höchstrichterliche Rechtsprechung infolge geän<strong>de</strong>rter<br />
rechtlicher und sozialer Umstän<strong>de</strong> nachträglich gewan<strong>de</strong>lt hat, lediglich § 48 SGB X zur<br />
Anwendung kommt mit <strong>de</strong>r Folge, dass sich nur eine Aufhebung für die Zukunft ergibt.<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
2.1.1.4 Rückwirken<strong>de</strong> Erbringung <strong>de</strong>r Leistung nach Aufhebung<br />
54<br />
Soweit ein Verwaltungsakt wegen rechtswidriger Versagung einer Leistung nach § 44<br />
SGB X rückwirkend zurückgenommen wird, ist <strong>de</strong>r Leistungsträger verpflichtet, entspre-<br />
chend rückwirkend die Sozialleistung zu erbringen, allerdings nach § 44 Abs. 4 SGB X<br />
höchstens für einen Zeitraum von vier vollen Kalen<strong>de</strong>rjahren vor <strong>de</strong>r Rücknahme. Davon<br />
abgesehen ist <strong>de</strong>r Leistungsträger bei Rechtsverhältnissen mit Dauerwirkung natürlich<br />
verpflichtet, die rechtmäßige Leistung auch für die Zukunft zu gewähren.<br />
2.2 Rücknahme (rechtswidriger) begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
2.2.1 Rücknahmevoraussetzungen<br />
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X sind rechtswidrige begünstigen<strong>de</strong> VA grundsätzlich nach<br />
pflichtgemäßem Ermessen rücknehmbar. Es han<strong>de</strong>lt sich um die praktisch be<strong>de</strong>utsamste<br />
Vorschrift <strong>de</strong>r §§ 44 ff. SGB X.<br />
Die Vorschrift ähnelt <strong>de</strong>m § 48 Abs. 2 LVwVfG, umfaßt jedoch nicht nur Geld- und Sach-<br />
leistungen betreffen<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch ”sonstige” begünstigen<strong>de</strong> Verwaltungsakte (vgl. da-<br />
zu die völlig an<strong>de</strong>re Regelung in § 48 Abs. 3 LVwVfG). Außer<strong>de</strong>m enthält § 45 Abs. 2 Satz<br />
3 leicht unterschiedliche Formulierungen in <strong>de</strong>n Nrn. 2 und 3.<br />
§ 45 SGB X § 48 LVwVfG<br />
Abs. 2: betrifft alle rechtswidrigen begünsti-<br />
gen<strong>de</strong>n Verwaltungsakt iSd Abs. 1<br />
Abs. 2: betrifft nur Geld- und Sachleistungs-<br />
Verwaltungsakte; für ”sonstige Verwaltungs-<br />
akte gilt <strong>de</strong>r Grundsatz: ”dul<strong>de</strong> die Rück-<br />
nahme und liquidiere <strong>de</strong>n Vertrauensscha-<br />
<strong>de</strong>n”<br />
Abs. 2 S. 3: Abs. 2 S. 3:<br />
Nr. 2: <strong>de</strong>r Verwaltungsakt auf Angaben be-<br />
ruht, die <strong>de</strong>r Begünstigte vorsätzlich o<strong>de</strong>r<br />
grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung<br />
unrichtig o<strong>de</strong>r unvollständig gemacht hat<br />
Nr. 3: er die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwal-<br />
tungsaktes kannte o<strong>de</strong>r infolge grober<br />
Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrläs-<br />
sigkeit liegt vor, wenn <strong>de</strong>r Begünstigte….<br />
Nr. 2: <strong>de</strong>n Verwaltungsakt durch Angaben<br />
erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung<br />
unrichtig o<strong>de</strong>r unvollständig waren<br />
Nr. 3: er die Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwal-<br />
tungsaktes kannte o<strong>de</strong>r infolge grober<br />
Fahrlässigkeit nicht kannte<br />
Richard U. Haakh * Rücknahme und Wi<strong>de</strong>rruf von Verwaltungsakten * Mai 2011 © Haakh@VGStuttgart.Justiz.BWL.<strong>de</strong>
55<br />
Eine Rücknahme nach § 45 SGB X ist ausgeschlossen, wenn sich <strong>de</strong>r Begünstigte auf<br />
schutzwürdiges Vertrauen berufen kann (§ 45 Abs. 2 SGB X). Nach <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />
Formulierung kann man auch hier darüber streiten, ob das schutzwürdige Vertrauen als<br />
Tatbestandsvoraussetzungen das Ermessen gar nicht erst eröffnet o<strong>de</strong>r aber ob es sich<br />
dabei um eine Ermessensschranke han<strong>de</strong>lt, die eine Rücknahmeentscheidung aus-<br />
schließt.<br />
2.2.2 Rücknahme für die Vergangenheit und Fristen<br />
Gemäß § 45 Abs. 4 SGB X darf <strong>de</strong>r VA nur in zwei Fällen mit Wirkung für die Vergangen-<br />
heit zurückgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
• Bei ”unlauterem" Verhalten <strong>de</strong>s Begünstigten im Sinne <strong>de</strong>s § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X<br />
ist eine rückwirken<strong>de</strong> Aufhebung möglich. Beruhen dagegen die unrichtigen o<strong>de</strong>r un-<br />
vollständigen Angaben we<strong>de</strong>r auf vorsätzlichem noch auf grob fahrlässigem Han<strong>de</strong>ln,<br />
so schei<strong>de</strong>t hier die Rücknahme ebenfalls aus (an<strong>de</strong>rs als bei § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2<br />
LVwVfG: ”erwirkt”).<br />
Ist die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nicht bzw. wegen Fristablaufs nicht mehr zu-<br />
lässig, bleibt seine Bestandskraft und damit die Bindungswirkung bestehen.<br />
Bsp.: Rücknahme einer Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 45 Abs. 2 Satz<br />
3 Nr. 2 LVwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit <strong>de</strong>r Hilfeempfänger Einkommen<br />
aufgrund <strong>de</strong>r Untervermietung eines Zimmers verschwiegen hat, nach<strong>de</strong>m er zuvor auf<br />
seine Pflicht nach § 60 SGB I, bestimmte (wahrheitsgemäße) Angaben zu machen, hin-<br />
gewiesen wur<strong>de</strong>.<br />
• Eine rückwirken<strong>de</strong> Rücknahme kommt außer<strong>de</strong>m bei Verwaltungsakten mit Dauerwir-<br />
kung in Betracht, wenn Wie<strong>de</strong>raufnahmegrün<strong>de</strong> entsprechend § 580 ZPO vorliegen<br />
(vgl. § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X).<br />
Die einjährige Ausschlussfrist <strong>de</strong>s § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, d.h. die Frist, innerhalb wel-<br />
cher <strong>de</strong>r Leistungsträger <strong>de</strong>n VA zurücknehmen kann, berechnet sich nach § 26 SGB X<br />
i.V.m. §§ 187 ff. BGB. Auslöser für <strong>de</strong>n Lauf <strong>de</strong>r Frist ist die Kenntnis <strong>de</strong>r Tatsachen, die<br />
die Rücknahme erlauben. Erst die Kenntnis <strong>de</strong>r Rechtswidrigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes<br />
löst die Frist aus.<br />
2.2.3 Rücknahme für die Zukunft und Fristen<br />
Eine Rücknahme für die Zukunft kommt nach § 45 SGB X generell nur bei Verwaltungs-<br />
akten mit Dauerwirkung in Betracht. Das ergibt sich aus <strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>s § 45 Abs. 3<br />
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56<br />
Satz 1 SGB X im Hinblick auf § 45 Abs. 4 SGB X. Für Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung,<br />
also fin<strong>de</strong>t § 45 Abs. 3 SGB X keine Anwendung.<br />
z.B. für leistungsgewähren<strong>de</strong> VA <strong>de</strong>r Sozialhilfe<br />
Die Frage, von welchem Zeitpunkt an die Rücknahme wirksam wer<strong>de</strong>n soll, wenn das<br />
Vertrauen <strong>de</strong>s Begünstigten nur für die Vergangenheit (evtl. auch zeitweise für die Zu-<br />
kunft) schutzwürdig ist, wird vom LVwVfG und vom SGB X einheitlich beantwortet (vgl. §<br />
45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X, § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 LVwVfG: "darf nicht zurückge-<br />
nommen wer<strong>de</strong>n, soweit...").<br />
Allerdings sind <strong>de</strong>r Rücknehmbarkeit für die Zukunft (nur für Verwaltungsakte mit Dauer-<br />
wirkung) im SGB X an<strong>de</strong>re zeitliche Grenzen gesetzt. Die Rücknahmefrist beträgt zwei<br />
Jahre (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Ausnahmen sind in § 45 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB<br />
X geregelt.<br />
2.2.4 Bestandsschutz nicht rücknehmbarer Verwaltungsakte<br />
Han<strong>de</strong>lt es sich dabei um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, so ist bei künftigen<br />
Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r tatsächlichen o<strong>de</strong>r rechtlichen Verhältnisse § 48 Abs. 3 SGB X zu be-<br />
achten.<br />
3. Wi<strong>de</strong>rruf (rechtmäßiger) Verwaltungsakte<br />
Bei rechtmäßigen Verwaltungsakten fällt das Argument aus, das Verfassungsrecht (s.o.)<br />
erzwinge die Herstellung von rechtmäßigen Zustän<strong>de</strong>n, allerdings können auch hier öf-<br />
fentliche und private Interessen für o<strong>de</strong>r gegen eine Aufhebung (Wi<strong>de</strong>rruf) streiten.<br />
3.1 Wi<strong>de</strong>rruf rechtmäßiger belasten<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
Durch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf eines rechtmäßigen, aber belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes wird <strong>de</strong>r<br />
Adressat nicht in seinen Rechten tangiert.<br />
Bsp. für die selten vorkommen<strong>de</strong>n belasten<strong>de</strong>n Verwaltungsakte im Sozialrecht: § 66 Abs.<br />
1 SGB I, § 24 Abs. 1 SGB IV (Säumniszuschlag), § 13 SGB VI (Leistungen zur Teilhabe)<br />
Daher steht es gemäß § 46 Abs. 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen (”kann") <strong>de</strong>r zu-<br />
ständigen Behör<strong>de</strong> (vgl. § 46 Abs. 2 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X), ob sie <strong>de</strong>n belasten<strong>de</strong>n<br />
Verwaltungsakt wi<strong>de</strong>rruft. Die Vorschrift entspricht wörtlich § 49 Abs. 1 LVwVfG. Da <strong>de</strong>r<br />
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57<br />
Wi<strong>de</strong>rruf nur für die Zukunft wirkt, kommt er generell nur bei Verwaltungsakten mit Dauer-<br />
wirkung in Betracht, spielt also z.B. im Bereich <strong>de</strong>r leistungsgewähren<strong>de</strong>n Sozialhilfe<br />
grundsätzlich keine Rolle.<br />
Ausgeschlossen ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf, (”außer wenn…”) wenn <strong>de</strong>r belasten<strong>de</strong> Verwaltungsakt<br />
zu ergehen hatte, d.h. bei seiner Aufhebung ein rechtswidriger Zustand eintreten wür<strong>de</strong>.<br />
Der Anwendungsbereich <strong>de</strong>s § 46 SGB X beschränkt sich daher auf die Aufhebung von<br />
Ermessensentscheidungen. Davon abgesehen erlangt <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf nach § 46 SGB X we-<br />
gen <strong>de</strong>r im Sozialrecht relativ seltenen Ermessensentscheidungen, insbeson<strong>de</strong>re über Art<br />
und Höhe einer Leistung, nur in Ausnahmefällen Be<strong>de</strong>utung.<br />
3.2 Wi<strong>de</strong>rruf (rechtmäßiger) begünstigen<strong>de</strong>r Verwaltungsakte<br />
§ 47 SGB X regelt <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s rechtmäßigen und begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsaktes<br />
und enthält eine weitgehen<strong>de</strong> Ermessensermächtigung (Entschließungs- und Auswahler-<br />
messen), welches durch das Vorliegen <strong>de</strong>r Tatbestandsmerkmale aber erst eröffnet wird.<br />
Die Vorschrift unterschei<strong>de</strong>t - wie auch § 49 Abs. 2 und 3 LVwVfG - zwischen<br />
• Grün<strong>de</strong>n (gesetzlicher Wi<strong>de</strong>rrufsvorbehalt und Auflagenungehorsam, vgl. § 47 Abs. 1<br />
SGB X) für einen Wi<strong>de</strong>rruf mit Wirkung für die Zukunft<br />
§ 47 Abs. 1 SGB X stimmt insoweit wortgleich mit § 49 Abs. 2 LVwVfG überein. Die Wi<strong>de</strong>r-<br />
rufsgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s § 49 Abs. 2 Nr. 3 und 4 LVwVfG sind in § 48 SGB X (nachträgliche Verän-<br />
<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r tatsächlichen o<strong>de</strong>r rechtlichen Verhältnisse) enthalten.<br />
und<br />
• (nur bei zweckgebun<strong>de</strong>nen Geld- o<strong>de</strong>r Sachleistungs-Verwaltungsakten) Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Zweckverfehlung und wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>s (speziellen!) Auflagenungehorsams für einen Wi-<br />
<strong>de</strong>rruf auch für die Vergangenheit, sofern <strong>de</strong>r Betroffene nicht schutzwürdiges Ver-<br />
trauen hatte.<br />
Vgl. zu diesen Fällen Sächs. OVG, U.v. 20.10.2010; Bayer.LSG, U.v. 21.01.2010 und VG<br />
Ansbach, U.v. 01.04.2010, sämtliche im Anhang.<br />
Die Wi<strong>de</strong>rrufsgrün<strong>de</strong> setzten grundsätzlich rechtmäßige Nebenbestimmungen voraus, <strong>de</strong>-<br />
ren Zulässigkeit im Rahmen <strong>de</strong>s Sozialrechts allerdings stark begrenzt ist (vgl. § 32 SGB<br />
X). Deshalb hat § 47 SGB X keine große praktische Be<strong>de</strong>utung.<br />
Bei <strong>de</strong>n Zweckverfehlungen kommt hinzu, dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf rechtfertigen<strong>de</strong> verfehlte<br />
Zweck im (zu wi<strong>de</strong>rrufen<strong>de</strong>n) VA ein<strong>de</strong>utig genannt o<strong>de</strong>r bestimmt wor<strong>de</strong>n sein musste.<br />
Häufig fehlen aber gesetzliche Vorgaben, die eine Zweckbindung von Geldleistungen<br />
überhaupt rechtfertigen.<br />
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58<br />
Bsp.: Zuschuß zur Beschaffung eines PKW im Arbeitsför<strong>de</strong>rungsbereich, aber keine<br />
Zweckbindung etwa bei sog. Lohnersatzleistungen<br />
4. Aufhebung eines (rechtmäßigen o<strong>de</strong>r rechtswidrigen) Verwaltungsaktes mit Dauer-<br />
wirkung wegen nachträglicher Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse, § 48 SGB X<br />
4.1. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - Begriff<br />
Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich <strong>de</strong>r Geltungsanspruch <strong>de</strong>s Ver-<br />
waltungsaktes nicht nur auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses, son-<br />
<strong>de</strong>rn auf die Zukunft erstreckt. Dabei kommt es nicht auf dauern<strong>de</strong> Rechtsfolgen an, maß-<br />
gebend ist vielmehr, ob <strong>de</strong>r Verwaltungsakt ein auf eine gewisse Dauer berechnetes<br />
Rechtsverhältnis begrün<strong>de</strong>t, das in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängig ist. Bei<br />
diesen Verwaltungsakten müssen ihre Voraussetzungen während ihrer gesamten Gel-<br />
tungsdauer vorliegen. Entfallen die Voraussetzungen, liegt ein Aufhebungsgrund vor.<br />
Bsp.: Wohngeld, Ausbildungsför<strong>de</strong>rung<br />
Die Unterscheidung von Verwaltungsakt ohne o<strong>de</strong>r mit Dauerwirkung hat insbeson<strong>de</strong>re im<br />
Sozialrecht Be<strong>de</strong>utung, weil die Vorschriften <strong>de</strong>r §§ 44 ff. SGB X teilweise nicht, teilweise<br />
nur für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung gelten.<br />
Vgl. zur Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung die Urteile <strong>de</strong>s SG Dres<strong>de</strong>n<br />
vom 15.04.2005 und <strong>de</strong>s OVG NRW vom 20.03.2008, bei<strong>de</strong> im Anhang<br />
Bei leistungsgewähren<strong>de</strong>n Verwaltungsakten im Bereich <strong>de</strong>r Sozialhilfe han<strong>de</strong>lt es sich um<br />
Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung, weil <strong>de</strong>r Sozialhilfefall ”gleichsam täglich erneut re-<br />
gelungsbedürftig" wird (BVerwG, Urteil vom 30.11.1966, - V C 29.66 -, BVerwGE 25, 307<br />
und ). In <strong>de</strong>r Fortzahlung <strong>de</strong>r Leistung ist ein neuer, durch konklu<strong>de</strong>nte Handlung<br />
erlassener Verwaltungsakt zu sehen. Die Einstellung <strong>de</strong>r Hilfe ist daher kein Wi<strong>de</strong>rruf,<br />
keine Rücknahme o<strong>de</strong>r Aufhebung eines fortdauern<strong>de</strong>n Bewilligungsbescheids, son<strong>de</strong>rn<br />
die Versagung <strong>de</strong>r weiteren Bewilligung. Deshalb ist § 48 SGB X im Rahmen <strong>de</strong>r Sozial-<br />
hilfe nur - ausnahmsweise - anwendbar, nämlich soweit es sich tatsächlich um einen Ver-<br />
waltungsakt mit Dauerwirkung han<strong>de</strong>lt, weil ein Leistungsanspruch über einen gewissen<br />
Zeitraum ausdrücklich geregelt wor<strong>de</strong>n war.<br />
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4.2 Voraussetzungen<br />
59<br />
§ 48 Abs. 1 SGB X normiert eine Pflicht zur Aufhebung. Die Pflicht ist an drei Vorausset-<br />
zungen geknüpft:<br />
• (rechtmäßiger o<strong>de</strong>r rechtswidriger) Verwaltungsakt mit Dauerwirkung<br />
• nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r rechtlichen o<strong>de</strong>r tatsächlichen Verhältnisse, die <strong>de</strong>r Ent-<br />
scheidung zugrun<strong>de</strong> lagen,<br />
• wesentliche Än<strong>de</strong>rung<br />
Eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r rechtlichen Verhältnisse ist nach § 48 Abs. 2 SGB X auch eine Än<strong>de</strong>-<br />
rung <strong>de</strong>r Rechtsprechung eines zuständigen obersten Gerichtshof <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s (BSG o<strong>de</strong>r<br />
BVerwG), soweit sie sich zugunsten <strong>de</strong>s Berechtigten auswirkt. § 44 SGB X bleibt unbe-<br />
rührt (§ 48 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB X).<br />
Wesentlich ist die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse dann, wenn sie <strong>de</strong>m ursprünglichen Verwal-<br />
tungsakt die Rechtsgrundlage entzieht. Es kommt also darauf an, ob die Behör<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n<br />
nunmehr objektiv vorliegen<strong>de</strong>n Verhältnissen <strong>de</strong>n Verwaltungsakt hätte erlassen dürfen<br />
o<strong>de</strong>r nicht. Nur soweit eine wesentliche Än<strong>de</strong>rung eingetreten ist, erfolgt eine Aufhebung.<br />
Dies ist in zeitlicher und in inhaltlicher (betragsmäßiger) Hinsicht zu verstehen.<br />
Bsp.: Eine wesentliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse im Sinne <strong>de</strong>s § 48 Abs. 1 SGB X ist<br />
nicht eingetreten, wenn Einglie<strong>de</strong>rungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII trotz Wegfalls <strong>de</strong>r Be-<br />
hin<strong>de</strong>rung geboten ist, um die Wirksamkeit <strong>de</strong>r zuvor gewährten Hilfe zu sichern.<br />
4.3 Wirkung <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
Grundsätzlich erfolgt die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft<br />
Eine Aufhebung mit Wirkung vom Zeitpunkt <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung an - also rückwirkend - ist nur<br />
unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zulässig.<br />
Bsp.: Geburt eines Kin<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Witwe, so dass nach § 46 Abs. 2 SGB VI eine große Wit-<br />
wenrente zu gewähren ist.<br />
Bei <strong>de</strong>r Aufhebung nach § 48 SGB X ist zu beachten, dass die Geltung <strong>de</strong>s § 48 SGB X<br />
bzw. einzelner seiner Regelungen, insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich <strong>de</strong>s Zeitpunkts <strong>de</strong>r Aufhe-<br />
bung, durch eine Vielzahl von Vorschriften <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Teile <strong>de</strong>s SGB wegen <strong>de</strong>r<br />
Subsidiaritätsklausel <strong>de</strong>s § 37 Abs. 1 SGB I ganz o<strong>de</strong>r teilweise ausgeschlossen ist und<br />
Einzelheiten umstritten sind.<br />
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60<br />
Bsp.: Entziehung einer Rente wegen Erwerbsmin<strong>de</strong>rung (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) nach<br />
Besserung <strong>de</strong>s Gesundheitszustan<strong>de</strong>s zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt, <strong>de</strong>n § 100 Abs. 3 SGB VI be-<br />
stimmt.<br />
4.4 Bestandsschutz und nachträgliche Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse<br />
§ 48 Abs. 3 SGB X enthält eine Son<strong>de</strong>rvorschrift über die Auswirkungen <strong>de</strong>r Bestandskraft<br />
(Bindungswirkung) von rechtswidrigen begünstigen<strong>de</strong>n Verwaltungsakten mit Dauerwir-<br />
kung über eine sozialrechtliche Leistung, <strong>de</strong>ren Rücknahme nach § 45 SGB X nicht bzw.<br />
wegen Fristablaufs nicht mehr zulässig ist. Tritt in diesen Fällen nachträglich eine wesent-<br />
liche Än<strong>de</strong>rung zugunsten <strong>de</strong>s Betroffenen ein (§ 48 Abs. 1 o<strong>de</strong>r 2 SGB X), dann wirkt sich<br />
die Bestandskraft <strong>de</strong>s Verwaltungsaktes hinsichtlich <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Leistung nicht etwa so<br />
aus, dass die Än<strong>de</strong>rung zusätzlich zu <strong>de</strong>m unrichtigen, aber mit Bindungswirkung festge-<br />
schriebenen Leistungsbetrag berücksichtigt wird. Die Leistung ist vielmehr ”ohne Berück-<br />
sichtigung <strong>de</strong>r Bestandskraft", also nach <strong>de</strong>r zutreffen<strong>de</strong>n Sach- und Rechtslage unter<br />
Einbeziehung <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung neu festzustellen. Übersteigt ihre Höhe <strong>de</strong>n bestandsge-<br />
schützten Betrag, dann ist die Leistung in <strong>de</strong>r neu festgestellten Höhe zu gewähren. Un-<br />
terschreitet ihre Höhe <strong>de</strong>n bestandsgeschützten Betrag, dann verbleibt es bei diesem Be-<br />
trag.<br />
4.5 Fristen<br />
Die Aufhebung von Verwaltungsakten nach § 48 Abs. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft<br />
ist an keine Frist gebun<strong>de</strong>n. Dasselbe gilt auch für die Aufhebung ab Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ver-<br />
hältnisse zugunsten <strong>de</strong>s Betroffenen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).<br />
Die Aufhebung ab Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse für die Vergangenheit zuungunsten <strong>de</strong>s Be-<br />
troffenen ist nur innerhalb von zehn Jahren seit Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verhältnisse zulässig.<br />
Sofern die Aufhebung danach noch zulässig ist, muss sie innerhalb eines Jahres nach<br />
Kenntnis <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> vom Eintritt <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung vorgenommen wer<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>rnfalls ist die<br />
Aufhebung nur noch für die Zukunft zulässig. Dies ergibt sich aus <strong>de</strong>n Verweisungen in §<br />
48 Abs. 4 SGB X.<br />
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5. Rechtsfolgen <strong>de</strong>r Aufhebung<br />
5.1 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen - Allgemeines<br />
61<br />
§ 50 SGB X enthält eine Spezialvorschrift für die Erstattung <strong>de</strong>r vom Sozialleistungsträger<br />
erbrachten Leistungen, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit auf-<br />
gehoben wird. Insoweit stimmt die Regelung teilweise mit § 49a LVwVfG überein.<br />
Im Detail gibt es jedoch Abweichungen, außer<strong>de</strong>m erschöpft sich <strong>de</strong>r Geltungsbereich <strong>de</strong>r<br />
Norm nicht in <strong>de</strong>r Aufhebung von Verwaltungsakten.<br />
Nach § 50 Abs. 2 SGB X steht es - entgegen <strong>de</strong>m Wortlaut (”sind zu erstatten") - im Er-<br />
messen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>, ob sie Leistungen, die sie ohne Verwaltungsakt erbracht hat, zu-<br />
rückfor<strong>de</strong>rt (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1987, - 10 RJg 5/85 -, ; BVerwG, Urteil vom<br />
22.11.2001, - 5 C 10/00 -, )<br />
Die Erstattungsfor<strong>de</strong>rungen sind nur im Falle <strong>de</strong>s § 50 Abs. 2a SGB X zu verzinsen, wenn<br />
es sich also um Leistungen zur För<strong>de</strong>rung von Einrichtungen und Betrieben gehan<strong>de</strong>lt hat.<br />
5.2 Rückgabe von Urkun<strong>de</strong>n und Sachen<br />
§ 51 SGB X stimmt wörtlich mit § 52 LVwVfG überein.<br />
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