BOLD THE MAGAZINE No.05
BEGEISTERUNG INNIGES VERLANGEN | HOFFNUNG STIRBT ZULETZT | BELLA ITAL IA | TOCOTRONIC | FASHION SPECIAL | SPANISH AVIDNESS – BARCELONA | INNER DESIRE – PARIS | HUNDERTWASSER
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24 | <strong>BOLD</strong> <strong>THE</strong> <strong>MAGAZINE</strong><br />
Schwerpunkt | Begeisterung | Japaner in Paris<br />
angrifftslustig sagt: „Nun zu uns beiden,<br />
Paris“. Um der Enttäuschung schon im<br />
Vorhinein entgegenzuwirken, rät eine<br />
Infobroschüre des japanischen Konsulats,<br />
dem „romantischen Image dieser Stadt“<br />
zu misstrauen. In den bebilderten Szenen<br />
trifft eine Manga-Frau auf Taschendiebe,<br />
die „Japaner als reiche und einfache<br />
Ziele ausmachen“, auf falsche Polizisten,<br />
die sie um Hab und Gut bringen, oder auf<br />
Kellner, die ihnen Fantasierechnungen<br />
unterjubeln.<br />
Übertrieben? Der japanische Konsularchef<br />
selbst soll als junger Mann in einem<br />
Bistro einmal die Zahlen verwechselt<br />
haben. Niemand machte ihn auf seinen<br />
Irrtum aufmerksam, und so saß der<br />
angehende Diplomat dann vor zehn<br />
Pfannkuchen, obwohl er nur zwei essen<br />
wollte.<br />
„Ein Affront“, sagt die Psychologin Fuyu<br />
Matsushita kopfschüttelnd. In ihrem<br />
Besprechungsraum im Amerikanischen<br />
Krankenhaus in Neuilly-sur-Seine strahlt<br />
die Mitsechzigerin mit dem blütenweißen<br />
Kittel, dem exakt geschnittenen<br />
grauen Pagenkopf und den gefalteten<br />
Händen eine beruhigende Autorität aus.<br />
Aber auch sie, gibt sie zu, habe der Alltag<br />
zunächst vollkommen überfordert, als<br />
sie ihrem französischen Ehemann vor<br />
gut 30 Jahren nach Paris folgte. „Japan<br />
ist eine ausgeprägte Dienstleistungsgesellschaft.<br />
Man ist stets bereit zu<br />
helfen. Vor allem, wenn jemand von<br />
weit her kommt. Diese Behandlung wird<br />
auch in Frankreich erwartet.“ In der alten<br />
Heimat sei es normal gewesen, nahezu<br />
alle Aktivitäten in der Gruppe zu unternehmen.<br />
Im Wohnhaus kannten sich alle<br />
Nachbarn. „In Frankreich traf ich auf eine<br />
Kultur, in der das Individuum zählt.“<br />
Richtig schlimm, weiß Matsushita, trifft<br />
es oft Japaner, die für längere Zeit nach<br />
Paris kommen, weil sie hier studieren<br />
oder arbeiten wollen. „Sie trauen sich<br />
manchmal gar nicht mehr aus dem<br />
Haus.“ Auf die besonderen Bedürfnisse<br />
japanischer Touristen stellen sich<br />
inzwischen immer mehr Hotels ein. Das<br />
„George V“ an den Champs-Elysées etwa<br />
empfängt Japaner nach ihren Ausflügen<br />
in die Stadt stets mit einer Tasse frisch<br />
gebrühten grünen Tees. Jeden Abend<br />
liegen ihre Pyjamas gewaschen und<br />
gebügelt auf ihren Betten. In den Metrozügen<br />
warnen Lautsprecherdurchsagen<br />
neuerdings auch auf Japanisch vor einem<br />
womöglich breiten Spalt zwischen Zug<br />
und Bahnsteigkante.<br />
Die Journalistin Nakamura schätzt inzwischen<br />
auch so manche Eigenheit in<br />
ihrer neuen Heimat, zum Beispiel das<br />
viel vertrautere Verhältnis der Ehepaare.<br />
„Wenn ein Paar in Japan Kinder hat, dann<br />
sagt der Ehemann zur Ehefrau ‚Mama‘<br />
und sie zu ihm ‚Papa‘. Er geht abends<br />
mit Freunden weg, sie bleibt zu Hause<br />
bei den Kindern. Französische Männer<br />
betrachten ihre Partnerinnen dagegen<br />
auch noch nach Jahren als Frauen.“<br />
Und der Comic-Autor Nishimura löst auf<br />
den letzten Seiten seines Buches endlich<br />
auch ein Rätsel, das ihn zu Beginn tief<br />
erschütterte: Warum Franzosen nackt<br />
schlafen.