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Gefahren für die persönliche Identität im Internet - Sociaal Panorama

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Gliederung<br />

Juniorprofessur <strong>für</strong> Soziologie mit dem Schwerpunkt <strong>Internet</strong><br />

Wintersemester 2012/13<br />

Seminar: Soziale <strong>Identität</strong>skonstruktion <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

Dozentin: Prof. Dr. Bernadette Kneidinger<br />

<strong>Gefahren</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>persönliche</strong> <strong>Identität</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

- Peter Z<strong>im</strong>mermann, cand. soz. -<br />

1. Theorie des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

1.1 Sechs zentrale Annahmen<br />

1.2 Merkmale von funktionalen Personifikationen<br />

1.3 Kommunikationskanäle des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

1.4 Methode und allgemeine Forschungsergebnisse<br />

1.5 Typen von Personifikationen<br />

2. Selbst-Personifikation und <strong>Identität</strong><br />

2.1 Muster der Selbst-Erfahrung und therapeutisch relevante <strong>Identität</strong>sgefahren<br />

2.2 Verbindung zwischen <strong>persönliche</strong>r <strong>Identität</strong> und Repräsentationen von anderen<br />

bei der <strong>Internet</strong>nutzung<br />

2.3 Beispiele von <strong>Identität</strong>sgefahren <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

3. Parallelen und Unterschiede zu ausgewählten <strong>Identität</strong>stheorien<br />

3.1 Theoretischer und methodologischer Hintergrund des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

3.2 Erik H. Erikson: <strong>Identität</strong> und Lebenszyklus (1973)<br />

3.3 George H. Mead: Geist, <strong>Identität</strong> und Gesellschaft (1934)<br />

4. Kritische Reflexion<br />

5. Literaturverweise<br />

6. Abkürzungen<br />

29.01.2013


1. Theorie des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

- Entwickelt vom niederländischen Sozialpsychologen Lucas Derks (seit 1993)<br />

- Gegenstandsbereich: Innere Struktur und Funktionen sozialer Vorstellungen (Kognitionen)<br />

des Menschen und von sich selbst<br />

- Themen- und Anwendungsbereiche:<br />

- Autorität, Dominanz und soziale Macht<br />

- Soziale Einstellungen<br />

- Psychodynamik und frühkindliche Prägungen<br />

- Spirituelle Erfahrungen (Geister, Besetzungen, spirituelle Herrschaft)<br />

- Training und Team-Building<br />

- Massenwirksame Kommunikation<br />

- Psychotherapie / Psychiatrie<br />

- Selbst-Erfahrung und <strong>Identität</strong><br />

- Der Ansatz des Sozialen <strong>Panorama</strong>s beinhaltet einerseits <strong>die</strong><br />

Analyse/Diagnostik und andererseits <strong>die</strong> tatsächliche Veränderungsarbeit<br />

Veränderungsarbeit bzw. Interventionen sind nicht Gegenstand des Referates<br />

1.1 Sechs zentrale Annahmen<br />

ANNAHME I:<br />

DIE FÄHIGKEIT AN ANDERE MENSCHEN ZU DENKEN IST NICHT ANGEBOREN, SONDERN ERLERNT.<br />

- Entwicklungspsychologisch gesehen, sind Neugeborene und Säuglinge dazu noch nicht in<br />

der Lage<br />

- Personifikationsbildung: Die Fähigkeit, materielle und soziale Objekte aus dem<br />

Bewusstseinsstrom ("stream of counsciousness" nach William James) auszugliedern und<br />

sie stabil mental zu repräsentieren entwickelt sich erst <strong>im</strong> Laufe des ersten Lebensjahres.<br />

Angelehnt an <strong>die</strong> Objekt- oder Personenpermanenz (Piaget) bzw. Objektkonstanz<br />

- Def. Personifikation: P. sind mentale Repräsentation von anderen oder sich selbst<br />

- Def. Soziales <strong>Panorama</strong>: Die Gesamtheit aller <strong>im</strong> mentalen Raum potentiell aufrufbaren<br />

Personifikationen<br />

- Prägung: Ergebnisse <strong>die</strong>ses Lernprozesses, <strong>die</strong> "frühen Personifikationen", werden<br />

vermutlich stark von den (subjektiv) erlebten Beziehungen des Kleinkindes zu bedeutsamen<br />

Bezugspersonen (Eltern, Großeltern, Geschwister,…) beeinflusst<br />

"Frühkindliche Personifikationen" werden zu Teilen der kindlichen Persönlichkeitsstruktur<br />

und Psychodynamik<br />

Alle Personifikationen sind in <strong>die</strong>ser Hinsicht Persönlichkeitsanteile eines Menschen<br />

ANNAHME II:<br />

DAS SOZIALE PANORAMA IST DIE PRIMÄRE REPRÄSENTATION SOZIALER BEZIEHUNGEN.<br />

- Die meisten Menschen repräsentieren ihre Familie, Freunde und andere Menschen als<br />

feste Objekte <strong>im</strong> Raum - sie haben keine andere, fundamentalere Art, sie zu repräsentieren<br />

und leben und handeln pr<strong>im</strong>är auf Grund <strong>die</strong>ser räumlichen Relationen<br />

Mentaler Raum: "Unendliches, ausgedehntes und irgendwie räumlich organisiertes<br />

Nichts" (Suggestion)<br />

Vergleiche Kurt Lewins Feldtheorie: Aus einer Anordnung psychologisch relevanter<br />

Kräfte geht das individuelle Verhalten hervor.<br />

2


ANNAHME III:<br />

"BEZIEHUNGEN" ALS SOLCHE WERDEN NICHT IN FORM SPEZIFISCHER ERLEBNISSE MIT ANDEREN<br />

PERSONEN KODIERT, SONDERN AUF EINER MEHR ALLGEMEINEN EBENE - DER EBENE DER<br />

"TRANSKONTEXTUELLEN PERSONIFIKATIONEN".<br />

- Personifikationen sind nicht Gegenstand des biographischen Gedächtnisses, in dem<br />

best<strong>im</strong>mte räumlich-zeitliche Bezugserfahrungen mit Interaktionspartnern gespeichert sind<br />

- Personifikationen sind hingegen<br />

- de-kontextualisiert (nicht auf best<strong>im</strong>mte erinnerte Ereignisse<br />

zum Zeitpunkt t bezogen)<br />

- abstrahiert und<br />

- generalisiert.<br />

Würden Beziehungen tatsächlich nur in Form spezifischer Ereignisse mit anderen<br />

repräsentiert, so wären stabile Beziehungen unmöglich<br />

Das assoziative Gedächtnis ist in hohem Maße vom emotionalen Zustand des Menschen<br />

abhängig. Würden ausschließlich Erinnerungen das Sozialverhalten steuern, so wären<br />

deren Reaktionen auf andere Menschen extrem st<strong>im</strong>mungsabhängig. Das<br />

Beziehungsverhalten des Menschen wäre dann vollkommen unkalkulierbar.<br />

Die meisten Menschen des abendländischen Kulturkreises unterscheiden in ihren<br />

sozialen Beziehungen über<strong>die</strong>s stabil zwischen klar abgegrenzten Beziehungskategorien<br />

("Fremde", "Leute, <strong>die</strong> man vom Sehen kennt", "Kollegen" "Bekannte", "Freunde",<br />

"Verwandte", "Int<strong>im</strong>partner",…). Die sozialen Zuordnungen bleiben in der Regel über<br />

längere Zeiträume hinweg stabil.<br />

Menschen wissen in der Regel genau und über viele Kontexte/Lebensbereiche hinweg,<br />

wer genau ihr Int<strong>im</strong>partner ist (auch bei Abwesenheit des "Partners aus Fleisch und Blut")<br />

ANNAHME IV:<br />

ERLEBEN UND VERHALTEN VON MENSCHEN SIND AUF REIN MENTALE REPRÄSENTATION VON<br />

MENSCHEN UNBEWUSST AUSGERICHTET UND NICHT AUF MENSCHEN AUS "FLEISCH UND BLUT".<br />

- Wäre dem nicht so, würde <strong>im</strong> Falle von Beziehungskonflikten zeitlich gesehen das Erleben<br />

und Verhalten der Beteiligten nur so lange andauern, solange <strong>die</strong> sinnesspezifische<br />

Wahrnehmung des Gegenübers in "Fleisch und Blut" anhält (VAKOG ext )<br />

- Dennoch beschäftigen sich <strong>die</strong> Betroffenen teilweise tage-, wochen- oder gar monatelang<br />

mit dem Konflikt, indem sie:<br />

- <strong>die</strong> unangenehme Situation in ihrer Vorstellung aufrechterhalten,<br />

- <strong>im</strong>aginierte Streitgespräche weiterführen,<br />

- zusätzliche Verletzungen halluzinieren oder unangenehme Begegnungen auf<br />

mentaler Ebene vorwegnehmen.<br />

Der Großteil (subjektiv) erlebter Beziehungen zu anderen findet in Phantasien und<br />

Vorstellungen (VAKOG int ) statt<br />

Die Ausrichtung des Erlebens und Verhaltens auf mentale Repräsentationen anderer ist<br />

meist unbewusst bzw. unwillkürlich, da <strong>die</strong> Benennung / Benamung der Mitmenschen aus<br />

"Fleisch und Blut" identisch ist mit dem Namen der <strong>im</strong>aginierten Repräsentationen (z.B.<br />

"Vater", "Oma", "Cousine"). Daher richten sich <strong>die</strong> meisten Bewältigungsstrategien darauf,<br />

eine Veränderung <strong>im</strong> Verhalten des Gegenübers zu bewirken (z.B. klärende Diskussionen,<br />

Streit, Kontaktverweigerung, Vorwürfe usw.)<br />

3


ANNAHME V:<br />

BEZIEHUNG IST GLEICH LOKALISATION - ODER: DER ORT EINER PERSONIFIKATION IM SOZIALEN<br />

PANORAMA BESTIMMT ZU WEITEN TEILEN DIE QUALITÄT DER ERLEBTEN BEZIEHUNG.<br />

- Jede spontane (oder therapeutisch veranlasste) Veränderung <strong>im</strong> Bereich der sozialen<br />

Beziehungen geht mit einer Veränderung der Lokalisation der beteiligten Personifikationen<br />

einher<br />

Bei jedem Menschen ist eine best<strong>im</strong>me Lokalisation von einer Personifikation mit einem<br />

best<strong>im</strong>mten spontanen, emotionalen Erleben verbunden (auch bei Austausch der P.)<br />

- Ort einer Personifikation ist gleich Richtung und Abstand derselben Personifikation<br />

- Wichtige Submodalitäten neben dem Ort: Blickrichtung, Höhe, gefühlte Verbindung<br />

Z.B. "First Position" <strong>für</strong> Int<strong>im</strong>partner: 12 Uhr, ca. 1m Abstand<br />

ANNAHME VI:<br />

SOZIALE REPRÄSENTATIONEN WIRKEN ALS WAHRNEHMUNGSFILTER UND DETERMINIEREN DAS<br />

SOZIALE ERLEBEN UND DAMIT AUCH DIE INTERAKTION.<br />

- Die Art und Weise, in der Menschen einander, sich selbst und ihre Beziehung zueinander<br />

repräsentieren, determiniert:<br />

- <strong>die</strong> wechselseitigen (unbewussten) Erwartungshaltungen und damit auch<br />

- <strong>die</strong>jenigen Aspekte <strong>im</strong> Verhalten des anderen, <strong>die</strong> in der Wahrnehmung<br />

hervorgehoben werden,<br />

- <strong>die</strong> gegenüber der anderen Person erlebten Gefühle,<br />

- den daraus resultierenden Zustand,<br />

- den daraus resultierenden selektiven Zugriff auf Gedächtnisinhalte und damit auch<br />

- das konkrete soziale Erleben und Verhalten.<br />

- Im Falle von Beziehungskonflikten werden Begegnungen mit realen Personen (VAKOG ext )<br />

von <strong>im</strong>aginierten Erlebnissen (VAKOG int ) überschattet, sodass es nicht selten zur<br />

"selbsterfüllten Prophezeihung" kommt<br />

- Die Repräsentationen von anderen best<strong>im</strong>men <strong>die</strong> Interaktionsmuster und dominieren<br />

damit <strong>die</strong> Interaktion<br />

- Frivole Annahme: Die einseitige Veränderung der Einstellung zu einer Person wird auch<br />

deren Haltung beeinflussen<br />

Eine einseitig veränderte Einstellung führt zu veränderten Verhalten. Die andere Person<br />

wird - vor allem durch eine Veränderung der Wahrnehmung nonverbalen Ausdrucks-<br />

verhaltens - dazu gezwungen, früher oder später auch ihre Verhaltensweisen zu verändern.<br />

1.2 Merkmale von funktionalen Personifikationen<br />

- Ort: Jede soziale Person n<strong>im</strong>mt einen eigenen Raum ein, der in der Regel nicht identisch<br />

mit dem eigenen Ort ist (außer "Introjekte").<br />

- Name: Jede Person hat (potentiell) einen Namen, der sie eindeutig kennzeichnet.<br />

- Sichtbarkeit: Jede Person ist sichtbar.<br />

- Lebendigkeit: Personen leben.<br />

- Selbst-Bewusstsein: Jede Person hat eine Bewusstheit ihrer selbst.<br />

- Gefühle: Jede Person empfindet Gefühle.<br />

- Motive: Jede Person hat best<strong>im</strong>mte Motive, an denen sie ihr Handeln ausrichtet.<br />

- Ressourcen: Jede Person hat best<strong>im</strong>mte Fähigkeiten.<br />

4


1.3 Kommunikationskanäle des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

- Die direkte Benennung von Beziehungen<br />

("Sie ist meine Frau." "Wir sind Geschäftspartner.")<br />

- Das Sprechen über Lokalisierungen<br />

("Ich stehe an Deiner Seite." "Ich habe ihn hinter mir gelassen.")<br />

- Nonverbale Hinweise auf Lokalisierungen<br />

(Gesten und Blicke in einer best<strong>im</strong>mte Richtung, wenn von einer anderen Person <strong>die</strong> Rede<br />

ist oder der/<strong>die</strong> Betreffende über <strong>die</strong>se nachdenkt)<br />

- Die Benutzung von Beziehungsmetaphern<br />

("Wir kreisen wie Satelliten umeinander." "Wie bilden eine gemeinsame Front gegen <strong>die</strong><br />

anderen.")<br />

1.4 Methode und allgemeine Forschungsergebnisse<br />

Methode:<br />

- "Population Modeling": vergleichende, individuenübergreifende Untersuchung<br />

mentaler Musterbildungsprozesse<br />

- Neben der klassischen Beobachtung des Gegenübers (VAKOG ext ) ist vor allem <strong>die</strong><br />

Introspektion des subjektiven Erlebens in Form sinnesspezifischer Ko<strong>die</strong>rungen bzw.<br />

Submodalitäten (VAKOG int ) von Bedeutung<br />

- Dokumentation erfolgt über Notationen, in der Psychotherapie meist einmal vor einer<br />

Intenvention und einmal danach (teilstandardisiert)<br />

- Benutzung hypnotischer Sprachmuster<br />

Hohe Sozial- und Methodenkompetenz des Interviewers erforderlich!<br />

- Drei Forschungsd<strong>im</strong>ensionen:<br />

- Allgemeines Soziales <strong>Panorama</strong>:<br />

Einstellung und Erleben gegenüber der gesamten Menschheit<br />

- Spezielles Soziales <strong>Panorama</strong>:<br />

Aktuelle Einstellung und Erleben innerhalb eines best<strong>im</strong>mten sozialen Kontextes<br />

- Familienpanorama:<br />

Einstellung und Erleben innerhalb der Herkunftsfamilie <strong>im</strong> regressiven Zustand<br />

Forschungsergebnisse - Muster in der sozialen Wahrnehmung:<br />

- Grundsätzlich gibt es universelle und idiosynkratische (einzigartige) Muster<br />

- Universelle Muster:<br />

- Je näher <strong>die</strong> Personifikationen repräsentiert werden, desto intensiver ist das Gefühl.<br />

- Umso weiter jemand weg aus sich hinaus dissoziiert, desto weniger intensiv ist das<br />

Gefühl.<br />

- Die vertikale D<strong>im</strong>ension, gemessen an der Augenhöhe, gibt Aufschluss über den<br />

einer Personifikation beigemessenen Status:<br />

- Je höher/größer <strong>die</strong> Personifikation, desto mächtiger wird ihr Einfluss<br />

empfunden.<br />

- Eine Verortung von Personifikationen auf 12 Uhr vorne ist bedeutsam <strong>für</strong>:<br />

- das Selbst-Bild<br />

- Int<strong>im</strong>partner oder Kinder (nah dran heißt Armeslänge bis 1 meter)<br />

- Konkurrenten (größer als 5 meter [neutrale Distanz])<br />

- Personifikationen können nicht visualisiert werden, wenn sie sich innerhalb eines<br />

5


Körpers befinden.<br />

- Personifikationen Verstorbener werden höher repräsentiert als Personifikationen<br />

noch lebender Menschen.<br />

- Die horizontale D<strong>im</strong>ension (rechts/links) <strong>die</strong>nt zur Unterscheidung von gut/böse,<br />

freundlich/unangenehm usw.<br />

- Dunklere Personifikationen werden schlechter bewertet als hellere Personifikationen.<br />

- Personifikationen, <strong>die</strong> vorne repräsentiert werden, werden stärker beachtet als<br />

Personifikationen, <strong>die</strong> hinten repräsentiert werden.<br />

- Vertraute Personifikationen, <strong>die</strong> nah hinter einem repräsentiert werden und einen<br />

anschauen, wirken unterstützend.<br />

- Menschengruppen:<br />

- Extrovertierte Menschen repräsentieren ihr Soziales <strong>Panorama</strong> näher als<br />

introvertierte Menschen.<br />

- Mitglieder derselben Kultur haben oftmals <strong>die</strong> gemeinsame Ko<strong>die</strong>rungsmuster, <strong>die</strong><br />

unterschiedlich ggü. Mitglieder aus einer anderen Kultur hinsichtlich eines Merkmals sind.<br />

1.5 Typen von Personifikationen<br />

- Personifikationen anderer<br />

- Selbst-Personifikation<br />

- Gruppen-Personifikation (meist ohne konkrete Individuen)<br />

- Grenzüberschreitende Personifikationen: All das, was <strong>für</strong> einen Menschen <strong>im</strong><br />

nicht-materiellen, spirituellen Bereich existiert (Götter, Geister, Dämonen, Verstorbene,…)<br />

- Metaphorische Personifikaitonen (z.B. "Bullenschweine")<br />

2. Selbst-Personifikation und <strong>Identität</strong><br />

Linguistische Definition von <strong>Identität</strong>:<br />

<strong>Identität</strong> ist das, was <strong>die</strong> Person zu sein glaubt.<br />

Das Substantiv "<strong>Identität</strong>" suggeriert fälschlicherweise <strong>die</strong> Existenz einer Art von<br />

"Kern-Selbst", als gäbe es so etwas wie eine stabile und konstante Struktur des Selbst.<br />

Aber: Das Selbst ist kein festes Objekt und <strong>Identität</strong> nie identisch. Die Selbst-Erfahrung<br />

wandelt sich mit dem Kontext und <strong>im</strong> Laufe der Zeit.<br />

Selbst-Personifikation:<br />

Eine funktionale Erfahrung des Selbst besteht vor allem aus:<br />

- einem kinästhetischen Selbst (K i ) = Selbst-Gefühl<br />

(von Antonio Damasio, Hirnforscher, als "somatische Marker" bezeichnet)<br />

- einem Selbst-Bild (V i )<br />

- einer Verbindung zwischen Selbst-Bild und kinästhetischem Selbst (V i /K i -Link)<br />

- Referenz-Personifikationen, <strong>die</strong> einen Vergleich mit dem Selbst-Bild ermöglichen<br />

(Mindestens mit Anderer-Bild).<br />

Was ist dann das sog. Fremdbild?<br />

1) Bild einer Personifikation eines anderen oder einer Gruppe (1. Wahrnehmungsposition):<br />

“Wie sehe ich den/<strong>die</strong> anderen?”<br />

2) Betrachtung des eigenen Selbstbildes aus der Perspektive einer Personifikation es<br />

anderen oder einer Gruppe (2. Wahrnehmungsposition): “Wie sieht mich der andere?”<br />

6


Funktionen des Selbst:<br />

1. Erhalt der Persönlichkeitsgrenzen (Relevant bei Problemen mit multipler Persönlichkeit)<br />

2. Kommunikative Funktion: andere Menschen wissen lassen, wer man ist, wie man in der<br />

sozialen Ordnung aufgestellt werden möchte<br />

3. Ermöglichung der mentalen Repräsentation von Beziehungen zwischen dem Selbst und<br />

den anderen (Selbst-Bild zeigt einem <strong>die</strong> Stellung zwischen den anderen Menschen).<br />

Persönliche und soziale <strong>Identität</strong>:<br />

- Persönliche <strong>Identität</strong>:<br />

- Persönliches Selbst: "Ich als einzigartiges Individuum"<br />

- Transtemporales Selbst: das, was ein Mensch war, ist und sein wird, sogar vor und<br />

nach seinem Leben; "Ich, wie ich <strong>im</strong>mer bin"<br />

- Kontextuelles Selbst: Selbst-Bilder, <strong>die</strong> zu best<strong>im</strong>mten Situationen gehören; "Ich in<br />

<strong>die</strong>sem Moment"<br />

Linguistisch: "ich", "einmalig"<br />

- Soziale <strong>Identität</strong>:<br />

- Soziales Selbst: "Wir-Teil" des Selbst; Enthält Informationen darüber, wie ein Mensch<br />

anderen Menschen ähnlich ist; "Wir sind gleich"<br />

- Stammesidentität: Stammesgemeinschaft, der wir angehören, ohne uns da<strong>für</strong><br />

entschieden zu haben, z.B. Familie, Nation; "Wir sind eine Familie"<br />

- Selbstgewählte Gruppen: "Wir sind Freunde"<br />

Linguistisch: "wir", "ähnlich"<br />

DAS "GESETZ DER DOMINANTEN PERSONIFIKATION":<br />

MENSCHEN WERDEN SICH ZU JEDEM ZEITPUNKT MIT DER PERSONIFIKATION IDENTIFIZIEREN, DIE SIE<br />

MIT DEN STÄRKSTEN SUBMODALITÄTEN REPRÄSENTIEREN.<br />

- Annahme: kinästhetische Repräsentationen sind <strong>im</strong> Gegensatz zu visuellen<br />

Repräsentationen begrenzt<br />

- Wenn der kinästhetisch andere stärker repräsentiert wird, als das kinästhetische Selbst,<br />

wird letzteres durch ersteren ersetzt<br />

- Folge: Erfahrung der "2. Wahrnehmungsposition", also Dissoziation vom Selbst-Bild und<br />

Assoziation mit dem Bild eines anderen (Identifikation)<br />

Wichtig <strong>für</strong> Identifikationslernen und Nachahmungsverhalten von (Klein-)Kindern und<br />

deren Entwicklung<br />

Betrifft alle Typen von Personifikationen<br />

Für best<strong>im</strong>mte Kontexte oder Lebensbereiche gibt es meist ein "führendes Selbst"<br />

gegenüber den anderen Selbst-Teilen<br />

Erklärt Dynamik des Selbst, wenn <strong>die</strong> <strong>Identität</strong> instabil ist<br />

Erklärt, wieso das <strong>persönliche</strong> Selbst das soziale Selbst dominiert oder umgekehrt<br />

("Ist dir wichtiger, was du über dich selbst denkst, oder was andere über dich denken?")<br />

7


2.1 Muster der Selbst-Erfahrung und therapeutisch relevante <strong>Identität</strong>sgefahren<br />

Muster der Selbst-Erfahrung:<br />

- Selbst Gefühl (kinästhetisches Selbst) n<strong>im</strong>mt umso mehr zu, je<br />

- größer das Selbst-Bild ist<br />

- näher das Selbst-Bild ist<br />

- heller und klarer das Selbst-Bild ist<br />

- stärker man mit dem Selbst-Bild assoziiert ist<br />

(Aber: Verlust von Sozialkompetenzen, da Verhältnis Selbst-Bild und andere fehlt!)<br />

- stärker <strong>die</strong> Selbst-Verbindung ist<br />

- mehr man Personifikation anderer hinter sich repräsentiert (wirkt unterstützend)<br />

- Ohne Selbst-Bild gibt es kein Selbst-Gefühl<br />

- Ohne Selbst-Verbindung kann das Selbst-Bild nicht als solches erkannt werden<br />

- Repräsentation des "führenden Selbst" in best<strong>im</strong>mtem Kontext: vorne auf 12 Uhr<br />

Ausgewählte therapeutisch relevante <strong>Identität</strong>sgefahren:<br />

Erst der Gesamteinfluss der an einem sozialen Kontext beteiligten Personifikationen wird<br />

wird unter Belastungsbedingungen dominant!<br />

2 Perspektiven: 1) Potentiell Gefährdete (“Opfer”), 2) Potentiell Gefährliche (“Täter”)<br />

- Kleines Selbst-Bild und/oder Selbst-Bild weit entfernt:<br />

- Schwaches Selbst-Gefühl<br />

- Dominanz des Selbst-Bildes durch Personifikationen von anderen<br />

(oder von Gruppen) leicht möglich<br />

- Selbstbetrachtung ausschließlich aus der Wahrnehmungsposition anderer heraus /<br />

Identifikation mit Anderer- oder Gruppenpersonifikation<br />

- Guru- und Sekten-Phänomen mit Aufgabe des eigenen Selbst, aber unter<br />

Umständen starkem sozialen Zugehörigkeitsgefühl<br />

Wobei der Guru nie seine <strong>Identität</strong> aufgibt und ein starkes Ego hat (s.u.)!<br />

- (Co-)Abhängigkeit<br />

- Unterwürfigkeit<br />

- Furcht vor Zurückweisung und Strafe<br />

- Anfällig <strong>für</strong> Manipulation, Missbrauch oder Stalking, Abgabe der Kontrolle an andere<br />

("Andere sind wichtiger als ich.")<br />

- Aufopferung / Märtyrer-Verhalten<br />

- Unfähig zu selbstbewusstem Verhalten / Unsicherheit<br />

- Einschränkung der Ausdruck, Kreativität und Handlungsfähigkeit<br />

- Überragendes Selbstbild:<br />

- Starkes Selbst-Gefühl<br />

Gefühl von Stärke, Macht und Überlegenheit<br />

Evtl. Missbrauch der Macht und Furcht, <strong>die</strong>se zu verlieren<br />

- Erfahrung unbegrenzter Ausdrucksmöglichkeit, Kreativität und Handlungsfähigkeit<br />

- Keine Dominierung durch andere (kontextabhängig!)<br />

- Selbstbetrachtung meist aus der eigenen Wahrnehmungsposition heraus<br />

Persönliche <strong>Identität</strong> dominiert <strong>die</strong> soziale <strong>Identität</strong>, Egozentrismus<br />

- Man ist selbst der Guru, der Dämagoge oder <strong>die</strong> Authorität<br />

- Keine Kritik oder schlechte Nachrichten von seinen “Anhängern”<br />

8


- Misstrauen gegen andere & Führer-Paranoia<br />

- Mangel an Vertrautheit auf gleichberechtigter Basis, Isolation<br />

- Fehlendes Selbst-Bild:<br />

- Kein Selbst-Gefühl<br />

- Unmöglich, sich mit anderen zu vergleichen oder in Beziehung zu setzen<br />

- Platz innerhalb der Sozialordnung kann nicht gefunden werden<br />

- Keine Unterscheidung zwischen mir selbst und anderen möglich<br />

Gleichheitsaspekt überwiegt zu stark, da Einzigartigkeit am Selbst-Bild erkannt wird<br />

Persönliche <strong>Identität</strong> = soziale <strong>Identität</strong><br />

- Man hat sich "aus dem Blick verloren"<br />

- Dominierung durch und Identifizierung mit anderen oder Gruppen sehr leicht<br />

möglich!<br />

Besessenheits-Phänomene<br />

Durch das fehlende Selbst-Bild ist auch das Selbst-Gefühl vollig abwesend, welches<br />

separat betrachtet folgende <strong>Identität</strong>sgefahr mit sich bringt:<br />

- De-Personifikation von sich selbst ("Ich bin keine Person.", "Ich habe das Gefühl,<br />

nicht <strong>die</strong> Person zu sein, <strong>die</strong> ich sein sollte.")<br />

- Entfremdungsgefühle<br />

- "Außerkörperliche Erfahrungen"<br />

- Falls es dennoch ein Selbst-Bild gibt, zeigt <strong>die</strong>s fremde/andere Person und kann<br />

nicht als solches erkannt werden<br />

- Vollständig assoziiert mit dem Selbst-Bild:<br />

- Intensives Selbst-Gefühl, “Ego-Schub”<br />

- Schwierig, sich mit anderen in Beziehung zu setzen (da kein Selbst-Bild)<br />

Geringe Sozialkompetenz<br />

- Selbstbezogenheit / Egozentrismus (nur noch erste Wahrnehmungsposition)<br />

Nicht vorstellbar, was andere empfinden<br />

- Dominierung durch und Identifikation mit anderen (oder Gruppen) ist nicht so leicht,<br />

aber grundsätzlich möglich (wenn andere stärkere Submodalitäten haben)<br />

Z.B. Absichtlich bei schamanischen Besessenheits-Ritualen<br />

- Dominanz unterschiedlicher Selbst-Bilder:<br />

- Kein "führendes Selbst" in den jeweiligen Kontexten oder mehrere "führende Selbste"<br />

- Kein einheitliches transtemporales Selbst<br />

- Unstabiles, dynamisches Selbst<br />

In der Psychiatrie: "Multiple Persönlichkeitsstörung" / "dissoziative Störung"<br />

- Emotional negativ behaftetes Selbst-Bild:<br />

- Negatives Selbst-Gefühl<br />

- Keine Selbstachtung<br />

- Verurteilung und Abwertung seiner selbst, wütend auf “sich selbst”<br />

- Man fühlt ich schlecht, wenn man das Selbst-Bild ansieht<br />

Vermeidung, Selbst-Bild anzuschauen<br />

(evtl. kreisende Suchbewegung um das Selbst-Bild herum)<br />

Wird weit weggeschoben, verkleinert<br />

9


- Bild und Gefühl in der Repräsentation anderer ist abwesend:<br />

- Keine gefühlte Verbindung<br />

- De-Personifikation anderer<br />

Repräsentation anderer kann nicht der “Spezies Mensch” zugeordnet werden<br />

Ethnozentrismus (z.B. gegenüber Schwarzen, Indianern,…)<br />

Gewalttätigkeit und Misshandlung gegenüber anderen<br />

Eine Bedingung <strong>für</strong> sexuellen Missbrauch (als “Täter”)<br />

2.2 Verbindung zwischen <strong>persönliche</strong>r <strong>Identität</strong> und Repräsentationen von anderen<br />

bei der <strong>Internet</strong>nutzung<br />

- Erinnerung an <strong>die</strong> Annahmen IV und VI, <strong>die</strong> zusammengefasst lauten:<br />

ERLEBEN UND VERHALTEN VON MENSCHEN SIND AUF REIN MENTALE REPRÄSENTATION VON<br />

ANDEREN UNBEWUSST AUSGERICHTET, WIRKEN ALS WAHRNEHMUNGSFILTER UND DETERMINIEREN<br />

DAS SOZIALE ERLEBEN UND DAMIT AUCH DIE INTERAKTION.<br />

- Dementsprechend findet bei der <strong>Internet</strong>nutzung vermutlich folgender Prozess statt:<br />

(In <strong>die</strong>ser Reihenfolge am Beispiel der Erstanmeldung bei Facebook)<br />

1. Vorwissen darüber, dass es Facebook gibt und was das ist.<br />

2. Durch das Vorwissen und meine Motive, mich dort anzumelden hat man Vorstellungen<br />

und Erwartungen.<br />

3. Entsprechend der Vorstellungen und Erwartungen werden neue Repräsentationen von<br />

anderen bzw. Gruppen gebildet und/oder soziale Kategorien (“Freunde”, “Bekannte”,…)<br />

bereitgehalten.<br />

4. Gemäß der vorhandenen Repräsentationen und sozialen Kategorien melde ich mich an<br />

und verhalte ich mich.<br />

5. Wenn eine reale Interaktion mit anderen (oder Gruppen) stattfindet, bestätigen sich<br />

meine Vorstellungen und Erwartungen durch Wahrnehmungsfilter (Tilgung, Verzerrung,<br />

Generalisierung), <strong>die</strong> an <strong>die</strong> jeweiligen Personifikationen geknüpft sind. Be<strong>im</strong><br />

Gegenüber passiert dasselbe.<br />

6. Übergang in routinisiertes Verhalten mit zunehmend stabilen Repräsentationen von<br />

anderen und zunehmenden selektiven (!) Wissens über Facebook.<br />

Beispiel: Bekommt der <strong>Internet</strong>nutzer nach der Anmeldung eine Freundschaftsanfrage<br />

einer ehemaligen Schulfreundin, kann er das als “alte Bekannte meldet sich” oder als “sie<br />

mag mich <strong>im</strong>mer noch – mal schauen, was passiert” (oder ganz anders) auffassen. Er<br />

verhält sich dementsprechend fortan solange, bis <strong>die</strong> Repräsentationen nicht mehr<br />

angemessen ist, z.B. wenn sie ihm schreibt “Ich bin jetzt glücklich verheiratet und es ist <strong>die</strong><br />

beste Zeit meines Lebens!”. Die Vorstellung, dass sie ihn “noch <strong>im</strong>mer mag”, kann dann nur<br />

noch bei starker Verzerrung der Wahrnehmunge aufrecht erhalten werden. Seine<br />

Repräsentation von ihr wird gemäß der Bedeutungszuschreibung angepasst werden.<br />

- Wesentlicher Unterschied zwischen Face-to-face-Kommunikation und computervermittelter<br />

Kommunikation ist <strong>die</strong> Qualität des Informationsgehaltes zu Beginn des<br />

Prozesses: Repräsentationsbildung und soziale Kategorisierung müssen mit weniger<br />

Vorwissen auskommen, Bildung unangemessener Personifikationen (“Missverständnisse”)<br />

Die Kommunikation wird nicht entsinnlicht (Kanalreduktionstheorie), da sie hauptsächlich<br />

VAKOG int stattfindet und nicht VAKOG ext<br />

Offenbar gibt es hinreichend genug Informationen, <strong>die</strong> zur Personifikations-Bildung<br />

gebraucht werden. Die Frage ist: Gibt es Differenz zwischen VAKOG int und VAKOG ext ?<br />

10


“Hervorragende Personifikationsfähigkeiten werden auch <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> gebraucht, wo <strong>die</strong><br />

int<strong>im</strong>e Kommunikation – auf gleichberechtigter Basis – mit virtuellen Partnern weit verbreitet<br />

ist. Ich glaube, das Kennenlernen verläuft bei virtuellen Liebespartnern oder Filmfiguren<br />

nicht viel anders als bei “realen” Menschen. Aber wer klug ist, stattet seine Filmhelden und<br />

<strong>Internet</strong>-Partner mit best<strong>im</strong>mten Submodalitäten aus, nur um sicherzugehen, daß er Fiktion<br />

und Wirklichkeit stets auseinanderhalten kann.”<br />

(Derks 2000: 40, meine Hervorhebung)<br />

2.3 <strong>Identität</strong>sgefahren <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

Forschungsdefizit: Bislang noch nicht mit dem Sozialen <strong>Panorama</strong> betrachtet<br />

Beispiele von <strong>Identität</strong>sgefahren <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> mit hypothetischen (!) Erklärungen:<br />

<strong>Identität</strong>sgefahren bei falscher <strong>Identität</strong> / Scheinidentitäten:<br />

- Grundsätzliches Problem der Angemessenheit der gebildeten Personifikationen anderer<br />

auf Grund des geringen Informationsgehaltes <strong>im</strong> Vergleich zur Face-to-face-Kommunikation<br />

Abgleich VAKOG int und VAKOG ext erst später oder gar nicht möglich<br />

- Möglichkeiten der Personifikationsbildung anderer bei falscher <strong>Identität</strong> des Gegenübers:<br />

(Interesse und Skepsis hängen von Vorwissen, Erfahrungen, Überzeugungen usw. ab!)<br />

1) Repräsentation des anderen ohne Interesse UND mit Skepsis:<br />

- Vorne lokalisiert (zwischen 10 und 2 Uhr)<br />

- Abstand mit mindestens 5 m (neutrale Distanz)<br />

- Kein Gefühl zum anderen<br />

Soziale Kategorie: „Fremde“, „Unbekannte“<br />

In der Regel unproblematisch<br />

2) Repräsentation mit Interesse UND ohne Skepsis:<br />

- Vorne lokalisiert<br />

- Abstand näher als 5 m<br />

- Gefühl zum anderen: Vertrautheit, Sympathie,...<br />

Soziale Kategorie: „Freunde“, „“Gleichgesinnte“, „Int<strong>im</strong>partner“<br />

<strong>Identität</strong>sgefahr durch emotionale Involviertheit hier am größten:<br />

Verletzung, Beschämung, Vertrauensverlust, Selbstzweifel, Enttäuschung,...<br />

<strong>Identität</strong>sgefahren bei sozialen Multi-User-Dungeons (MUDs):<br />

- In den Rollenspielen wird meist ein neues kontextuelles Selbst gebildet<br />

- Ermöglicht Erfahrungen (VAKOG int ), <strong>die</strong> es mit anderen <strong>Identität</strong>s-Versionen nicht gibt<br />

- In <strong>die</strong>sem Zusammenhang können folgende Phänomene auftreten:<br />

1) Selbst in realen Kontexten hat stärkere Submodalitäten als Selbst <strong>im</strong> virtuellen Kontext:<br />

- Kontexte klar getrennt, wenn sich Selbst-Submodalitäten hinreichend unterscheiden<br />

- Reales Selbst dominiert virtuelles Selbst<br />

Reale Welt wird der virtuellen Welt (unfreiwillig) vorgezogen<br />

In der Regel nicht problematisch<br />

2) Selbst <strong>im</strong> virtuellen Kontext hat särkere Submodalitäten als Selbst in realen Kontexten:<br />

- Kontexte klar getrennt, wenn sich Selbst-Submodalitäten hinreichend unterscheiden<br />

- Virtuelles Selbst dominiert reales Selbst<br />

Virtuelle Welt wird der realen Welt (unfreiwillig) vorgezogen<br />

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Man will das zwar nicht, kann es aber nicht willentlich beeinflussen<br />

Evtl. Rückzug aus dem realen Leben mit problematischen Konsequenzen<br />

3) Geringe oder gar keine Unterschiede zwischen den Selbst-Submodalitäten:<br />

- Verwechselung von virtuellen und realen <strong>Identität</strong>en über verschiedene Kontexte hinweg<br />

- Voraussetzung <strong>für</strong> einen Konflikt zwischen virtuellen und realen <strong>Identität</strong>en ist erfüllt<br />

Konflikt entscheidet sich nach Selbst-Gefühlen oder Bewertung der Selbst-Bilder:<br />

Wenn das virtuelle Selbst positiver empfunden oder bewertet wird als das reale Selbst, wird<br />

ersteres dem letzteren über verschiedene Kontexte hinweg vorgezogen<br />

Bewältigungsstrategie: Kann sich zwar <strong>für</strong> das reale Selbst entscheiden, will aber nicht<br />

<strong>Identität</strong>sgefahren be<strong>im</strong> Gender-Swapping:<br />

- Voraussetzung, gegengeschlechtliche <strong>Identität</strong> anzunehmen, ist ein eigens da<strong>für</strong><br />

gebildetes Selbst<br />

- Vor allem das Selbst-Bild ermöglicht eine Unterscheidung zwischen den Geschlechtern<br />

Mögliche <strong>Gefahren</strong>:<br />

- Gegengeschlechtliches Selbst dominiert eigengeschlechtliches Selbst<br />

- Geringe oder keine Unterschiede in den Submodalitäten der eigen- und<br />

gegengeschlechtliches Selbste über verschiedene Kontexte hinweg<br />

Innerer Konflikt, der sich nach Selbst-Gefühlen oder Bewertung der Selbst-Bilder<br />

entscheidet<br />

<strong>Identität</strong>sgefahren durch virtuelle Vergewaltigung, Gewaltanwendung o.Ä. –<br />

Wie repräsentiert der „Täter“ das „Opfer“?<br />

- Bild und/oder Gefühl in der Repräsentation des Opfers ist abwesend<br />

- Führt zur De-Personifikation des Opfers<br />

Repräsentation kann so nicht der „Spezies Mensch“ zugeordnet werden<br />

Würde, Respekt, Motive, Gefühle werden dem Opfer nicht zugesprochen<br />

...Vergewaltigung, Gewaltanwendung o.Ä. auch in der Realität:<br />

Geringe oder keine Unterschiede in den Submodalitäten der Repräsentation der virtuellen<br />

und realen Personifikationen anderer (s.o.)<br />

Weitere Beispiele <strong>für</strong> <strong>Identität</strong>sgefahren:<br />

- <strong>Identität</strong>sübernahme<br />

- Cyber-Mobbing<br />

- ...<br />

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3. Parallelen und Unterschiede zu ausgewählten <strong>Identität</strong>stheorien<br />

3.1 Theoretischer und methodologischer Hintergrund des Sozialen <strong>Panorama</strong>s<br />

- Derks lehnt sich <strong>für</strong> den Begriff soziale <strong>Identität</strong> an Tajfel/Turner (1986) und <strong>für</strong> den Begriff<br />

De-Personalisierung an Turner/Hoff/Oaks/Wetherell (1987) an<br />

- Der unbewusste Abgleich des Selbst-Bildes mit den Personifikationen anderer ist<br />

vermutlich Festingers Theory of Social Comparism Processes (1954) entlehnt<br />

- Methodologisch ist Derks vor allem durch <strong>die</strong> Struktur subjektiver Erfahrung (VAKOG int/ext )<br />

von Bandler/Grinder beeinflusst (1975), <strong>die</strong> vor allem linguistisch <strong>die</strong> Bedeutung der<br />

einzelnen Sinneskanäle thematisierten. Auf Grundlage ihrer Forschungen sprachen sie sich<br />

gegen <strong>die</strong> behavoristische Ablehnung der Introspektion aus. Sie lehnten <strong>die</strong> damit<br />

verbundene Tendenz in der zu ihrer Zeit vorherrschenden Psychoanalyse ab, Gedanken<br />

des Gegenübers “abzulesen” oder interpretativ über das Erleben und Empfinden der<br />

Gesprächspartner zu halluzinieren<br />

- Derks ist pragmatistisch ausgerichtet, vor allem in Bezug auf William James<br />

- Als Vorläufer-Theorie nennt Derks <strong>die</strong> Feldtheorie Kurt Lewins (1936)<br />

- Weiterhin wurde Derksʼ Ansatz durch <strong>die</strong> Humanistische Familientherapie (Satir), <strong>die</strong><br />

Systemische Familientherapie (Hellinger) und einige kybernetische Überlegungen (Bateson)<br />

beeinflusst<br />

3.2 Erik H. Erikson: <strong>Identität</strong> und Lebenszyklus (1973)<br />

Parallelen zum Sozialen <strong>Panorama</strong>:<br />

- So wie Erikson von Siegmund Freud (Psychoanalyse) beeinflusst wurde, wurde Derks von<br />

William James (Pragmatismus) beeinflusst<br />

- Beide wurden von Kurt Lewin (Sozialpsychologie) beeinflusst<br />

- Einbezug von sozialen und kulturellen Aspekten<br />

- Berücksichtigung der Psychodynamik (Freund/Lewin)<br />

- Methodisch verlassen sich beide auf Introspektion<br />

Unterschiede zum Sozialen <strong>Panorama</strong>:<br />

- Bei Erikson gibt es nur eine einzige <strong>Identität</strong> (= transtemporales Selbst bei Derks), bei<br />

Derks gibt es kontext- und zeitabhängige <strong>Identität</strong>en (“multiple Selbste”)<br />

- Während Eriksons Ansatz eine Art eigene Entwicklungspsychologie beschreibt, folgt Derks<br />

eher allgemeinen Annahmen und Befunden der Entwicklungspsychologie, z.B. von Piaget<br />

- Derks geht nicht von einer Persönlichkeitsentwicklung in 8 Sta<strong>die</strong>n nach angeborenenen<br />

Gesetzmäßigkeiten aus, sondern von Gesetzmäßigkeiten <strong>im</strong> “mentalen Raum”, <strong>die</strong> teilweise<br />

<strong>die</strong> Struktur der selbst- und zwischenmenschlichen Erfahrung determinieren<br />

- Derks geht nicht von zu bewältigenden Entwicklungskrisen in best<strong>im</strong>mten Lebensphasen<br />

aus, deren Ergebnis <strong>die</strong> Ich-<strong>Identität</strong> ist. Nach ihm können <strong>im</strong> Prinzip jede Art von<br />

Entwicklungskrisen zu jeder Zeit auftreten, <strong>die</strong> nicht zwingend <strong>die</strong> <strong>Identität</strong> betreffen müssen<br />

- Eriksons (ebenso wie Freuds) eher heuristischer Ansatz mit hoher theoretischer und wenig<br />

empirischer Sättigung steht Derksʼ Ansatz mit hoher empirischer Sättigung (VAKOG int/ext )<br />

und weniger theoretischer Sättigung gegenüber<br />

- Bei Erikson gibt es <strong>im</strong> Gegensatz zu Derks keine handlungspragmatischen Therapie- oder<br />

Veränderungsmodelle oder -methoden und bleibt damit ein rein deskriptiver Ansatz<br />

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3.3 George H. Mead: Geist, <strong>Identität</strong> und Gesellschaft (1934)<br />

Parallelen zum Sozialen <strong>Panorama</strong>:<br />

- Anlehnung an den Pragmatismus (Mead eher kollektivistisch, James eher individualistisch)<br />

- Meads Begriff signifikant (signifikante Symbole, der signifikat Andere) entspricht Derksʼ<br />

Begriff der starken oder mächtigen oder dominanten Submodalitäten<br />

- Die <strong>Identität</strong>sbildung bei Mead durch <strong>die</strong> Übernahme der Haltungen des signifikant<br />

Anderen (Vgl. Folien 13f., 1. Sitzung) beschreibt dasselbe wie <strong>die</strong> Identifikation bei Derks,<br />

der <strong>die</strong>ses Phänomen mit der Dominanz der Submodalitäten des anderen über das Selbst<br />

erklärt ( Verhältnis I, Me und Self bei Mead)<br />

Unterschiede zum Sozialen <strong>Panorama</strong>:<br />

- Nach Derks dominiert in sozialen Beziehungen <strong>die</strong> Repräsentation <strong>die</strong> Interaktion bzw.<br />

geht ihr zeitlich voraus (Vgl. ANNAHME VI), während sich bei Mead <strong>die</strong> Bedeutung einer<br />

Beziehung durch symbolisch vermittelte Interaktion ergibt<br />

- Derks versteht Symbole, Metaphern usw. in der Kommunikation linguistisch als Prädikate,<br />

<strong>die</strong> in Anlehnung an Bandler/Grinder <strong>die</strong> sinnesspezifische Tiefenerfahrung teilweise direct<br />

wiederspiegeln. Derks hat Gruppenexper<strong>im</strong>ente zur Prädikat-Hypothese durchgeführt, <strong>die</strong><br />

seine These bestätigen, “dass tatsächlich eine Kommunikation in Prädikaten ist” (Derks<br />

2012: 49)<br />

- Für Derks hat das nonverbale Ausdrucksverhalten mehr Bedeutung als bei Mead, bei dem<br />

<strong>die</strong> Sprache das tragende Kommunikationsmedium ist. Derks argumentiert hingegen, dass<br />

das Soziale <strong>Panorama</strong> vor allem deshalb <strong>die</strong> pr<strong>im</strong>äre Repräsentation von Beziehungen ist,<br />

weil <strong>die</strong> Befunde der Entwicklungspsychologie und Psychodynamik da<strong>für</strong> sprechen, dass<br />

bereits vor dem Spracherwerb (und damit der Voraussetzung <strong>für</strong> Kommunikation)<br />

Beziehungen aufgebaut und gestaltet werden. Da<strong>für</strong> komme nur nonverbale Kommunikation<br />

in Frage (z.B. nonverbale Hinweise auf Lokalisierungen). Demnach könnte Mead auch nicht<br />

behaupten, dass Beziehungen pr<strong>im</strong>är durch symbolisch vermittelte Interaktion entstünden<br />

- Bei Mead gibt es <strong>im</strong> Gegensatz zu Derks keine handlungspragmatischen Therapie- oder<br />

Veränderungsmodelle oder -methoden und bleibt damit ein rein deskriptiver Ansatz<br />

4. Kritische Reflexion<br />

Stärken der Theorie:<br />

- Handlungspragmatisch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Veränderung der <strong>Identität</strong> ausgerichtet<br />

Zugleich Theorie und Therapiemodell<br />

- Im Prinzip kein klassisches Operationalisierungs- und Indikatorenproblem, da<br />

Informationssammlung hauptsächlich über Introspektion (VAKOG int ) mit hohem empirischen<br />

Gehalt stattfindet und intersubjektiv prüfbar ist<br />

Schwächen der Theorie:<br />

- Bislang keine wissenschaftlichen Stu<strong>die</strong>n (Derks: “Feldexper<strong>im</strong>ente”)<br />

- Konsequente Introspektion geht auf Kosten der Anschlussfähigkeit und könnte generell in<br />

Frage gestellt werden (v.a. von Behavoristen)<br />

- Bei der <strong>Identität</strong>smessung können Artefakte entstehen durch:<br />

- Soziale Erwünschtheit bei Vorwissen<br />

- Verbale oder nonverbale Lokalisationshinweise des Interviewers<br />

- (Vor-)Erfahrung mit Familienaufstellungen<br />

- Bewusste Tisch- und Sitzordnung während der Imagination<br />

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5. Literaturverweise<br />

Bandler, R., Grinder, J. (1975): The structure of magic. Vol. I. Palo Alto: Science and<br />

Behavior Books<br />

Derks, L (2000): Das Spiel sozialer Beziehungen. Stuttgart: Klett-Cotta. 2. Aufl. 2012<br />

Erikson, E.H. (1966): <strong>Identität</strong> und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. Frankfurt a.M.: Suhrkamp<br />

Lewin, K. (1936): Principles of Topological Psychology. New York<br />

Mead, G.H. (1978): Geist, <strong>Identität</strong> und Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp<br />

Tajfel, H., Turner, J.C. (1986): The social identity theory of intergroup behaviour. In:<br />

Worcel, S. und Austin, W.G. (Hrsg.): Psychology of intergroup relations. Chicago, IL:<br />

Nelson-Hall, S. 7-24<br />

Turner, J.C., Hogg, M.A., Oakes, P.J, Reicher, S.D., Wetherell, M.S. (1987):<br />

Rediscovering the social group. A Self-Categorization Theory. New York: Basil Blackwell<br />

Festinger, L. (1984): A Theory of Social Comparison Processes. In: Human Relations<br />

(1954), Nr. 7, S. 117<br />

6. Abkürzungen<br />

VAKOG = Visuell Auditiv Kinästhetisch Olfaktorisch Gustatorisch<br />

int = internal (nach innen)<br />

ext<br />

= external (nach außen)<br />

Kombinationen, z.B. K i = kinästhetisch-internal, V e = visuell-external usw.<br />

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